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Volker M.

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Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 23.07.2023
Tokyo Jazz Joints
Catchpole, James

Tokyo Jazz Joints


ausgezeichnet

Es ist eine eigene Welt, die langsam verschwindet. Japanische Jazz-Kneipen, Kissas, wie sie auf Japanisch heißen, hatten in den Sechziger- und Siebzigerjahren ihren Zenit, aber mit dem Publikum sterben auch die Orte. Kissas sind keine durchgestylten Schickimicki-Bars, keine lichtdurchfluteten Wohlfühloasen mit Clubsesseln und hübschen Kellnerinnen, sondern verrauchte Kellerbars in schummrigem Licht, mit übersichtlicher Getränkewahl und einem Besitzer in meist vorgerücktem Alter, der über ein Imperium aus hunderten, manchmal sogar tausenden LPs regiert, die wohlsortiert und katalogisiert in Regalen auf ihren Einsatz warten. Aufgelegt wird je nach Stimmung des Eigentümers oder seiner Gäste, die meistens Stammgäste sind und bei dezenter Jazz-Untermalung an ihrem Kaffee oder Whiskey nippen. Anders als in den ebenfalls sehr familiären Izakayas gibt es kein Essen, aber die persönliche Bindung zwischen Gast und Betreiber ist obligatorisch und macht die Kissas zu etwas absolut Einzigartigem und typisch Japanischem.
2017 begann der Fotograf Philip Arneill, der damals schon fast 20 Jahre lang in Japan lebte, diese verschwindende Kultur im Bild festzuhalten und anders als es der Titel des Buches andeutet, beschränkte er sich keineswegs auf Tokyo. Seine Erlebnisse und Bilder kommen aus ganz Japan, von Sapporo bis Kitakyushu und er ist für sie tausende Kilometer geflogen oder mit dem Shinkansen gefahren.

Die Fotos fangen eine patinierte Atmosphäre ein, wie mit Zigarrettenrauch getränkt und im Staub konserviert. Ich habe mich als Betrachter nicht selten in der Position eines Archäologen gefühlt, der ein antikes Grab öffnet, zumal nur auf wenigen Fotos die Besitzer zu sehen sind und nur ein einziges Mal ein Gast. Aber das ist eben auch die Realität: Die Protagonisten sterben weg und es gibt kaum Nachfolger, da die Musik ebenfalls aus der Zeit fällt. Jazz ist komplex, anspruchsvoll und eine Musik für den kleinen Rahmen. Man füllt damit keine Olympiastadien und er verträgt kein Bühnenfeuerwerk. Eine verräucherte Kneipe im Souterrain eines Bahnhofs passt dagegen perfekt.

Philip Arneill hat einen Blick fürs Detail. Er zoomt auf ein Schild und dessen abplatzende Beschriftung oder notdürftig mit Klebeband fixierten Risse sagen mehr über den Zustand dieser speziellen Kulturform als so mancher eloquente Aufsatz. Kissas gehörten immer zur Subkultur und sie sammelten ein nicht ganz so angepasstes Publikum, ähnlich wie heute z. B. Cosplay. Aus diesem Gemeinschaftsgefühl heraus erklärt sich auch die Loyalität, die sowohl die Gäste als auch die Betreiber verspüren, denn die Bilder zeigen auch, dass die Kissas meist keinen Gewinn abwerfen. Sie sind Zeit- und Erinnerungskapseln. Erinnerungen, die zwar mit den Protagonisten sterben werden, aber in den Fotos dennoch gelassene Melancholie und keine Trauer vermitteln. Insofern stimmt das Bild vom Anfang nicht ganz. Kissas sind keine Gräber, die es zu entdecken gilt, sondern Orte eines alternativen Lebensstils, der allerdings gerade ausstirbt.

Da ich mich seit vielen Jahren mit Japan befasse und auch schon oft dort war, habe ich einige Hintergrundinformationen zu den Kissas, die ich hier verarbeitet habe und gerne auch in Philip Arneills Vorwort gelesen hätte, aber er fokussiert mehr auf den Entstehungsprozess des Buches als auf den besonderen kulturellen Hintergrund. Das ist ein bisschen schade, allerdings kann ein guter Beobachter vieles von dem auch aus den Bildern ablesen. Es sind in jedem Fall faszinierende Einblicke mit dokumentarischem Wert, die die besondere Atmosphäre einfangen, ohne voyeuristisch zu sein. Noch leben die Kissas.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.07.2023
Tibetan Mustang
Fieni, Luigi;Parker, Kenneth

Tibetan Mustang


ausgezeichnet

Seit der chinesischen Okkupation Tibets im Jahr 1950 befindet sich die dortige Kultur im steten Zerfall. Auch wenn aus touristischen Gründen viele der damals zerstörten Klöster wieder aufgebaut wurden, ist die Qualität der Rekonstruktion nicht vergleichbar mit den verlorenen Originalen und die spirituelle Grundlage spielt heute keine Rolle mehr. „Restaurierungen“ in China sind eher romantisierende Wunschvorstellung als der wissenschaftlich fundierte Erhalt von Originalsubstanz und die Rekonstruktion unter Verwendung historischer Techniken und Materialien.

Mustang ist dieses Schicksal erspart geblieben, auch wenn es seit 2008 seine Unabhängigkeit als Königreich Lo verloren hat. Die kulturellen Wurzeln wurden nie durchtrennt und so hat sich hier ein authentisches monastisches Leben in westtibetischer Tradition erhalten.

1998 begann die American Himalayan Foundation unter unsagbar schwierigen Bedingungen mit der Restaurierung der beiden Klöster Tubchen und Jampa Gompa, die in einem fortgeschrittenen Zustand des Verfalls waren. Rituell wurden die Gebäude nicht mehr genutzt, da die Mönche die beschädigten Wandgemälde nicht mehr als verehrenswürdig ansahen. Die Fresken stammen aus dem 15. Jahrhundert, waren aber durch eindringende Feuchtigkeit stark beeinträchtigt und zum Teil verloren. Die Amerikaner begannen 1998 mit der Unterstützung lokaler Handwerker und eigens angelernter Restauratoren mit der Konservierung und sukzessiven Restaurierung der beiden Anlagen, wobei sowohl moderne restauratorische Verfahren als auch traditionelles Handwerk eingesetzt wurden. Buddhistisches Handwerk und Spiritualität sind im Himalaya (sofern es sich nicht um touristische Erzeugnisse handelt) untrennbar miteinander verbunden, so dass das eindrucksvolle Ergebnis mittlerweile auch die rituellen Anforderungen an ein Kloster erfüllt. Tubchen und Jampa Gompa haben heute wieder eine Klostergemeinschaft und werden von Mönchen und Dorfbewohnern aktiv genutzt.

Das großformatige Buch ist keine wissenschaftliche Aufarbeitung der Restaurierungsarbeiten, sondern ein atemberaubendes Bildzeugnis der lebendigen tibetischen Kultur in Mustang. Es zeigt Landschaften, privates und monastisches Leben, aber eben auch die in ihrer Feinheit und Eleganz unvergleichlich schönen Kunstwerke in den beiden Klöstern. Details der Wandgemälde gehören dazu, aber auch stimmungsvolle Bilder aus dem Klosteralltag, von praktiziertem Glauben und prachtvollen Tsechus, den buddhistischen Klosterfesten. Es sind traumhaft schöne Fotos, die durch das Großformat die Weite und Majestät der Landschaft genauso einfangen, wie die mystische Atmosphäre in den dunklen Klöstern oder die archaisch anmutenden Lebensbedingungen der Landbevölkerung. Jedes Bild mag man sich an die Wand hängen, so einzigartig und wunderschön ist dieser, auch heute noch relativ isolierte Landstrich im Himalaya. Die kurzen (englischsprachigen) Texte und Bildbeschreibungen setzen einen thematischen Rahmen und gehen zuweilen auch ins Detail, aber es sind vor allem die atemberaubenden Bilder, die für sich sprechen. Das Buch ist ein Plädoyer für den Wert der Kultur und gleichzeitig Zeugnis für das, was in Tibet selber unwiederbringlich verloren ist.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2023
Schnee, der auf Ceran fällt
Sträter, Torsten

Schnee, der auf Ceran fällt


sehr gut

Diesmal ist alles ganz anders. Torsten Sträter hat seit drei Jahren kein echtes Publikum mehr vor sich gehabt, die Auftritte in den Autokinos sollte man nicht mitzählen, und er hat ganz offenbar etwas nachzuholen. Zumindest habe ich ihn noch nie so aufgedreht erlebt wie auf dieser Live-CD. Lesungen von Texten fallen diesmal komplett aus, alles ist mehr oder weniger improvisiert – aber zum Glück ist Sträter gerade in dieser Disziplin der wohl beste Spaßmacher Deutschlands. Niemand reicht ihm da das Wasser. Er spielt souverän mit dem Publikum und reagiert dabei mit der Geschwindigkeit eines Quantencomputers. Ich weiß nicht, wie er das macht, aber seine Pointen rattern wie ein Maschinengewehr, so dass es manchmal selbst mir zu viel ist. Man kann kaum so schnell denken, wie Sträter redet. Wie ein Eichhörnchen auf Speed. Oder der Schnee ist vielleicht nicht nur auf Ceran gefallen.

Einen roten Faden hat das Programm weniger, es ist eher eine atemlose Gag-Nummernrevue, die meinem Anschein nach auch erst in dem Moment entsteht, in dem Sträter den Mund aufmacht. Aber es bereitet ihm (und dem Publikum) hörbar Spaß. Die Live-Atmosphäre kommt auf der CD sehr gut rüber, auch wie das Publikum mitgeht, ist ansteckend und ich musste oft laut mitlachen, was mir bei Audios eher selten passiert. Was mir dagegen gar nicht gefallen hat, ist die Tonqualität. Der Pegel ist teilweise übersteuert, dann wieder zu leise. Es fehlt ein Popp-Schutz, so dass die Sprache permanent knallt. Der Toningenieur darf sich gerne sein Lehrgeld zurückgeben lassen, den Prozess gewinnt er. Dafür einen Stern Abzug. Für den Restspaß gibt’s deren vier.

(Die CD wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.07.2023
Die geheimen Gärten von Sussex und Kent
Segall, Barbara

Die geheimen Gärten von Sussex und Kent


sehr gut

Der Süden Englands ist das El Dorado der Gartenkunst, klimatisch verwöhnt und dank der nie versiegenden Finanzmittel, die aus dem riesigen Kolonialreich nach London strömten, setzte bereits im 19. Jahrhundert eine breite großbürgerliche Gartenbewegung ein, die völlig neue Formen entwickelte. Bis heute sind die Engländer Gartenenthusiasten und wer im Titel von „Die geheimen Gärten von Sussex & Kent“ die südenglische Grafschaft Surrey vermisst, der sei gleich beruhigt: Surrey ist eingeschlossen, es passte nur nicht mehr auf das Cover.

Insgesamt werden 20 Gärten der Region vorgestellt, deren thematische Bandbreite erstaunlich ist, aber die Autorin verzichtet bewusst auf die großen Aushängeschilder wie Sissinghurst oder Great Dixter (Fergus Garrett, der Chefgärtner von Great Dixter steuert aber das Vorwort bei). Dafür nimmt sie den Leser mit in winzige, aber kreative Privatgärten, naturhafte Präriegärten, klassische English-Border-Gärten, atemberaubende Arboreten, formale Formschnitt-Gärten und sogar ein Skulpturengarten ist dabei. Im Mittelpunkt stehen neben den Schauwerten die Hüter des üppigen Grüns, ausschließlich Privatleute und nicht immer die „Erben“ der teilweise sehr traditionsreichen Pflanzungen, sondern oft ambitionierte und enthusiastische neue Besitzer, die teilweise ihre gesamte Zeit – und viel Geld – in ihr Gartenprojekt gesteckt haben. Inspirierende Lebensläufe kommen zutage, denen allen gemein ist, dass die Gärtner und Gärtnerinnen mit Herzblut bei der Sache sind und ein schlüssiges Konzept haben. Ob das nun Rekonstruktionen historischer Pflanzungen sind oder moderne Neuanlagen im Stil von Piet Oudolf, jede Idee hat ihre eigenständige Berechtigung und die Ergebnisse sind wirklich sehenswert, teilweise sogar atemberaubend.

Während die informativen, auf Interviews basierenden Begleittexte den historischen und konzeptionellen Hintergrund sehr anschaulich beleuchten, sind die Bildbeschreibungen aus meiner (gärtnerischen) Sicht nicht immer ausreichend detailliert. Bei Pflanzengesellschaften werden höchstens die Leitstauden benannt, oft werden die abgebildeten Pflanzen auch gar nicht identifiziert. Bei vielen Exemplaren hätte ich mir das persönlich sehr gewünscht und leider sind die Fotos tendenziell auch sehr dunkel geraten, was den Gärten zwar manchmal eine geheimnisvolle Aura verleiht, sie in vielen Fällen aber einfach nur schlecht lesbar macht, zumal bei trübem Wetter. So ist es dann schwer bis unmöglich, Arten oder Sorten selber zu bestimmen, da viele Bildformate auch nicht besonders groß sind. Vielleicht wäre weniger hier mehr gewesen.

Adressen und Kontaktdaten der vorgestellten Gärten, die zum großen Teil in Privathand und nicht das ganze Jahr über frei zugänglich sind, finden sich im Anhang. Eine Übersichtskarte wäre vielleicht noch sinnvoll gewesen, aber die fehlt leider.

Insgesamt ein schönes und zu gewissen Aspekten auch informatives Gartenbuch, aber nicht unbedingt für alle Interessen perfekt passend.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.07.2023
A Random Walk Down Wallstreet - warum Börsenerfolg kein Zufall ist
Malkiel, Burton G.

A Random Walk Down Wallstreet - warum Börsenerfolg kein Zufall ist


sehr gut

Als Burton G. Malkiel 1973 erstmals seinen Finanzratgeber „A Random Walk Down Wallstreet“ veröffentlichte, war das Medienecho groß. Seine Thesen lösten unter Finanzexperten in Wirtschaft und Wissenschaft heftige Diskussionen und Verunsicherung aus, denn Malkiel behauptete mit seiner „Random-Walk-Theorie“, dass sich Aktienkurse nicht aus vergangenen Kursen vorhersagen ließen und die bekannten Analysemethoden (fundamentale und technische) für die Prognose zukünftiger Kurse überbewertet seien. Folgerichtig gab es für ihn nur eine optimale Anlagestrategie, nämlich in einen breit gestreuten Indexfonds zu investieren und sich passiv an der Entwicklung des Index zu orientieren - sehr zum Ärger vieler aktiver Fondsmanager, die ihr Geschäftsmodell in Gefahr sahen. Erst drei Jahre nach Erscheinen des Buches legte Jack Bogle von Vanguard den ersten Indexfonds auf, in den die breite Öffentlichkeit investieren konnte.
Für die aktuelle Jubiläumsausgabe hat der inzwischen über 90-jährige Malkiel seinen Bestseller komplett überarbeitet, Grafiken und Tabellen aktualisiert, Thesen von damals überprüft und gegebenenfalls korrigiert und neue Trendthemen wie Bitcoins in seinen Finanzratgeber aufgenommen.

Das Buch ist in vier Teile gegliedert: Zunächst gibt Malkiel einen historischen Abriss über bisherige Crashs und deren Ursachen, bevor er sich kritisch mit der technischen und fundamentalen Analyse auseinandersetzt. Von der Charttechnik hält der Autor nichts, da sie keinen verlässlichen Erfolg bringe. Seine Kritik gefiel den technischen Analysten natürlich nicht und so hat Malkiel die Gegenargumente seiner Gegner aufgenommen und kommentiert. Herausgekommen ist eine sachliche Darstellung mit einer weiteren Entzauberung der Charttechniker. Aber auch die Fundamentalanalyse kann er nicht uneingeschränkt empfehlen, da auch hier Renditen und Wachstum nicht in die Zukunft projiziert werden können. Er zitiert Wissenschaftler, die sogar behaupten, dass ein Affe, der mit verbundenen Augen Dartpfeile auf eine Liste von Aktien wirft, ein erfolgreicheres Portfolio zusammenstellen kann als ein professioneller Portfoliomanager. Zusammenfassend gilt für Malkiel: Wenn man die Aktienkurse über einen beliebigen Zeitraum untersucht, wird man fast immer ein System finden, das funktioniert hat. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob die Strategie auch in einem anderen Zeitraum funktioniert hätte. Auch der fortgeschrittene Anleger erfährt hier viel Neues im Streit um die „richtige“ Analysemethode.

Im dritten Teil geht der Bestsellerautor wieder kritisch, aber sachlich der Frage nach, was von den neuen, modernen Portfoliotheorien wie Smart Beta, Risikoparität und ESG-Investing zu halten ist. Außerdem behandelt er das weite Themenfeld der Verhaltensökonomie, denn viele (oder gar alle) Anleger verhalten sich am Aktienmarkt alles andere als rational: sie überschätzen sich, sind stolz und voreingenommen, folgen dem Herdentrieb und haben eine Verlustaversion.

Der vierte Teil richtet sich vor allem an Einsteiger, die mit hilfreichen (wenn auch nicht neuen) Handlungsempfehlungen in die Lage versetzt werden sollen, sinnvolle und der Lebenssituation angepasste Finanzentscheidungen zu treffen und dabei vor allem in Indexfonds zu investieren. Für mich der schwächste Teil, da die Tipps teilweise sehr trivial sind (wie z. B. früh mit dem Geldsparen beginnen, Barreserven anlegen, eigene Anlageziele und Risikoprofil erarbeiten oder auf die Kosten achten) oder nur an der Oberfläche kratzen (z. B. ETF).
Ein weiterer Nachteil ist, dass steuerliche Themen – und das sind nicht wenige – nur in den USA gelten. Dies wird jedoch durch Fußnoten kenntlich gemacht.

Als Malkiel vor 50 Jahren zum ersten Mal seinen Random Walk vorstellte, erwies er sich als Visionär, und seine Theorien sind heute nicht mehr verpönt. Im Gegenteil: Indexfonds laufen aktiven Investmentfonds den Rang ab und die meisten Finanzratgeber empfehlen die Investition in breit gestreute Indexfonds zu investieren, die den gesamten Aktienmarkt abdecken und den Kern eines jeden Anlageportfolios bilden sollten. Einzig der Streit zwischen den Charttechnikern und den Fundamentalanalysten ist geblieben.

Für mich ein absolut lesenswertes Buch, auch wenn das letzte Kapitel etwas konkreter hätte ausfallen können.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 14.07.2023
Hierzulande
Lebeck, Robert

Hierzulande


ausgezeichnet

Robert Lebeck war ein herausragender Reportagefotograf, der ein gutes halbes Jahrhundert Zeitgeschichte dokumentiert hat und zu dessen Werk nicht wenige Ikonen der Fotogeschichte gehören. Berühmt sind vor allem seine Auslandsreportagen, aber auch in Deutschland war er (vor allem für den „Stern“) aktiv.
„Hierzulande“ ist eine von seiner Witwe Cordula Lebeck kuratierte Auswahl aus dem gewaltigen Archiv der Familie, mit einer bemerkenswerten thematischen Bandbreite. Seien es die Spätheimkehrer, die Konrad Adenauer 1955 aus der Sowjetunion zurückbrachte, in deren leeren Blicken aber kein Zeichen von Freude zu sehen ist, oder im Kontrast dazu die alkoholisierte Ausgelassenheit von Reeperbahntouristen in den Sechzigern und natürlich die berühmten Prominentenfotos von Romy Schneider oder Alfred Hitchcock. Egal, welches Thema Lebeck wählt, immer gelingt es ihm, den besonderen Moment zu finden, eine besondere Stimmung einzufangen, wodurch ein dokumentarisches Foto zu einem herausragenden Reportagefoto wird. Dabei nutzt er eine andere Herangehensweise als viele seiner Kollegen. Die Prominentenfotos geben hiervon besonders Zeugnis, denn Robert Lebeck ist niemals Voyeurist, er will weder jemanden bloßstellen noch in eine verbotene Intimzone eindringen. Romy Schneider und in noch viel ausgeprägterem Maß Alfred Hitchcock spielen mit der Kamera und Lebeck lässt es nicht nur zu, er animiert sein Gegenüber zu diesem Spiel. Hitchcock weiß genau um die Wirkung der Bilder, die da gerade entstehen, die seinen Mythos illustrieren sollen und man glaubt in seinen Augen geradezu das Foto zu sehen, das er sich durch die Kameralinse selbst imaginiert. Das besondere ist, dass Lebeck trotz der Inszenierung die Persönlichkeit der Portraitierten wahrhaftig wiedergibt und das liegt an seinem fabelhaften Talent, den richtigen Moment zu finden, zu dem er den Auslöser drückt. Das war schon beim „Degendieb von Leopoldville“ so (unbedingt nachschauen, wer das nicht kennt) und es ist ein wesentliches Element bei buchstäblich allen hier ausgewählten Bildern. Sie erzählen Geschichten, die über das Dargestellte weit hinausgehen.

Die Seitengestaltung verzichtet bei den Bildern auf Text, die Legenden sind dankenswerterweise in den Anhang verbannt und das gibt dem Betrachter die Möglichkeit, sich unabhängig Gedanken zum Motiv zu machen, ja möglicherweise sogar überrascht zu werden. Die kurzen Einleitungen zu Beginn einer neuen Serie setzen aber in der Regel den zeitlichen und örtlichen Rahmen. Die Fotos sind hervorragend reprografiert und holen aus dem Material heraus, was überhaupt aus den teilweise 70 Jahre alten Negativen nur möglich ist. Die Druckqualität kommt mittlerweile fast an Galerieabzüge heran.

„Hierzulande“ zeigt ein Deutschland, an das sich immer weniger Menschen aus eigener Anschauung erinnern. Robert Lebecks Fotos konservieren diese faszinierende Zeit, deren Probleme verglichen mit den heutigen fast marginal erscheinen. Sicher ist nur, dass Lebecks Momentaufnahmen auch in 100 Jahren ihre magische Sogwirkung nicht verloren haben werden.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.07.2023
Geld oder Leben
Braun, Nikolaus

Geld oder Leben


ausgezeichnet

Auf dem Buchmarkt gibt es unzählige Finanzratgeber. Allen gemeinsam ist, dass der Leser sie nicht nur verstehen, sondern auch umsetzen soll, wozu es verschiedene Wege gibt. Nikolaus Braun erzählt in „Geld oder Leben“ Geschichten aus dem täglichen Leben und deren Verflechtung mit Geld und Geldanlage, um seine Botschaften zu vermitteln.

Das funktioniert erstaunlich gut. In kurzweiligen Beiträgen - mal komisch, mal tragisch oder grotesk - geht Braun anhand typischer Fallbeispiele den Problemen rund ums Geld auf den Grund: Welche Bedeutung hat Geld für unsere Lebensplanung und auf unseren Lebensentwurf? Macht Geld glücklich? Wann hat man „genug“ Geld? Welche Macht übt Geld aus? Warum definieren sich viele über Arbeit und Geld und fallen im Ruhestand in ein tiefes Loch? Wie soll man mit Verlusten umgehen?
Braun zeigt, wie wichtig es ist, die eigene Risikotragfähigkeit (Was kann ich wirtschaftlich verkraften?) und Risikotoleranz (Mit welchen Risiken kann ich "leben"?) in Einklang zu bringen und auch konsequent beizubehalten. Ansonsten besteht die Gefahr, von der eigenen Gier in die Arme provisionsgetriebener Finanzvertriebe oder gar Betrüger getrieben zu werden.
Besonders gelungen finde ich den Gastbeitrag von Stefan Heringer, der bekannte Crash-Propheten auf die Schippe nimmt und die Empfehlungen des fiktiven Beraters Nostradamus nachzeichnet.

Der Schlüsselsatz ist meiner Meinung nach dieser: „Wir sollten dringend genauer beobachten und reflektieren, was wir mit Geld machen, vor allem aber sollten wir verhindern, dass Geld etwas mit uns macht. Dass es Besitz von uns ergreift, Macht über uns bekommt.“
Genau dabei hilft dieses Buch. In vielen Geschichten hat mir der Autor den Spiegel vorgehalten, aber darüber nachdenken und umsetzen muss jeder seine Erkenntnisse schon selbst.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.07.2023
Als ich noch der Waldbauernbub war
Rosegger, Peter

Als ich noch der Waldbauernbub war


ausgezeichnet

Peter Rosegger (1843-1918) war im besten Sinn ein Volksschriftsteller. Aufgewachsen auf einem Berghof in der Steiermark, zunächst ohne formale Schulbildung, arbeitete er sich mit Eigeninitiative, Ausdauer und einer Prise Glück nach oben und konnte später von den Einnahmen aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit gut leben. Seine autobiografische Erzählungssammlung „Waldheimat“ erschien ab 1877 in vier Bänden, die in einer leicht gekürzten Fassung unter dem Titel „Als ich noch der Waldbauernbub war“ im Jahr 1900 zusammengefasst wurden.

Alle Geschichten der Sammlung sind jeweils eigenständig und nur insofern miteinander verbunden, als dass sie in etwa chronologisch sortiert sind. Auch wenn seine eigenen Erlebnisse im Fokus stehen, erzählt Rosegger ebenso von seinen Vorfahren und dem einfachen Leben der Bergbauern. Er ist Chronist einer Zeit, die damals bereits im Schwinden begriffen ist. Ganz langsam erreicht die Moderne auch die entlegenen Regionen und Rosegger, der zwar nie ein „Städter“ wurde, aber mittlerweile in Wohlstand lebt, beschreibt seine Jugend im Spannungsfeld zwischen Idylle und hartem Alltag. Seine Naturschilderungen, für die er besonders berühmt war, sind in einfachen, aber wahrhaftigen Worten gehalten, sie sind sehr stimmungsvoll und schaffen den Spagat zwischen Naturidylle und der Natur als permanenter Bedrohung. Sein Stil ist ausgesprochen lebendig, durchsetzt mit viel sprachlichem Lokalkolorit, ohne dass es für den heutigen Leser anstrengend würde, ihm zu folgen. Es hat mich in seiner anrührenden Aufrichtigkeit ein wenig an Anna Wimschneiders „Herbstmilch“ erinnert, auch wenn Rosegger seine Geschichten deutlich stärker dramatisiert.

Familiensinn, Naturverehrung, Religiosität, eine leicht kritische Distanz zur Obrigkeit und die tiefe Verehrung für das „einfache Leben“ spricht aus diesen Geschichten, also die Werte, für die Rosegger stand und die er auch öffentlich vertrat. Er war ein Vorreiter der Naturschutzbewegung, der sozialen Bildungsförderung und Heimatkundler. Seine Walbauernbub-Geschichten stecken voller hochinteressanter kultur- und sozialgeschichtlicher Beobachtungen, die er aber in so unaufdringlicher Weise vermittelt, dass seine immer vorhandene erzieherische Botschaft niemals mit dem Dreschflegel daherkommt. Da dürfen sich unsere übergriffigen Woke-Aktivisten gerne mal eine Scheibe abschneiden.

Ich habe den Waldbauernbub mit 16 zum ersten Mal gelesen und fand ihn wunderbar. Ich habe ihn jetzt wieder gelesen und finde ihn immer noch wunderbar, diesmal aus anderen Gründen. Dass ein Buch über Generationen hinweg so gut „funktioniert“, ist wirklich selten. Die meisten Bücher meiner Jugendzeit stehen jedenfalls nur noch aus nostalgischen Gründen im Regal, lesen kann ich Enid Blyton & Co auch mit viel gutem Willen leider heute nicht mehr...

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 02.07.2023
Anna Atkins. Cyanotypes
Walther, Peter

Anna Atkins. Cyanotypes


ausgezeichnet

Es ist eines der seltensten Bücher der Welt und gleichzeitig eines der ersten, das sich photografischer Reproduktionsmethoden bediente. Anna Atkins schuf zwischen 1843 und 1854 drei umfangreiche Serien mit Cyanotypien von gepressten Pflanzen, die auf lichtempfindlichem Papier der Sonne ausgesetzt wurden. Dadurch entstand ein Abbild, das eine fast schon mystische Aura besitzt, wobei Teile der Pflanzen wie auf einer Röntgenaufnahme durchleuchtet und selbst feinste Strukturen wiedergegeben werden. Dass ausgerechnet Anna Atkins dieses Projekt realisierte, war kein Zufall, denn sie stammte aus einem wissenschaftlich gebildeten Umfeld. Ihr Vater arbeitete als stellvertretender Leiter der naturwissenschaftlichen Sammlung am British Museum, war Vizepräsident der Royal Botanical Society und initiierte und unterstützte die Ambitionen seiner Tochter.

In den späten Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts werden parallel diesseits und jenseits des Ärmelkanals verschiedene photographische Techniken entwickelt, darunter die französische Daguerrotype oder das Negativverfahren von William Talbot, das sich aber erst 50 Jahre später durchsetzte. Die Cyanotypie, mit der sich Anna Atkins befasst, hat sich zwar in der Form als Primärfotografie nie weiter verbreitet, aber sie ist kulturgeschichtliches Zeugnis der angestrengten Suche nach neuen, massentauglichen Reproduktionsverfahren.

Das erste, in vier Bänden erschienene Werk Atkins‘ behandelt britische Algen, die sich aufgrund ihrer filigranen Struktur ganz besonders gut für die Photoreproduktion eignen. Die Serie war bewusst auf Vollständigkeit angelegt und nutzte die damals gültige wissenschaftliche Systematik und Nomenklatur, da die Autorin ihre Publikation später an einflussreiche Wissenschaftler verschenkte, u . a. an John Herschel, aus dessen Besitz auch eine der Vorlagen für das hier erschienene Faksimile stammt. Den ersten Band stellte Anna Atkins in etwa 15 Exemplaren seriell her, indem sie dieselben Präparate mehrfach zur Belichtung verwendete. Durch minimale Verschiebungen sind alle Cyanotypien leicht unterschiedlich, was sie zu einzigartigen Individuen macht.

Neben dem 1843-53 entstandenen Hauptwerk „British Algae“ findet sich im vorliegenden Faksimile ebenfalls eine komplette Serie der „Cyanotypes of British and Foreign Ferns“ (1853). Die nur in einem einzigen Exemplar existierende Serie „Cyanotypes of British and Foreign Flowerimg Plants and Ferns“ (1854) wurde 1981 in Tafeln zerlegt und einzeln versteigert und ist daher heute nicht mehr rekonstruierbar. Im Gegensatz zu den vorgenannten Serien war es auch nicht nach wissenschaftlichen, sondern ästhetischen Kriterien zusammengestellt.

Dem Abbildungsteil vorangestellt ist eine dreisprachige biografische Einleitung, die alle notwendigen Hintergrundinformationen liefert. Das Faksimile kombiniert die Tafeln aus unterschiedlichen Quellen und liefert damit eine Vollständigkeit, wie sie nirgendwo auf der Welt an einem einzigen Ort verfügbar ist. Alle Tafeln sind in Originalgröße abgebildet, der einzige editorische Eingriff ist eine farbliche Angleichung der Blautöne, uniform im für die Technologie typischen Cyan. Der Band ist exzellent verarbeitet, auf voluminösem, leicht getönten Papier, das dem Original sehr nahe kommt, dazu mit Fadenbindung und Lesebändchen, sowie einem soliden Schuber. So wird dieses außergewöhnliche Werk, dem neben seiner modern-abstrakten Ästhetik in besonderem Maß eine kultur- und technologiegeschichtliche Bedeutung zukommt, erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)