Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
EOS
Wohnort: 
Siegen

Bewertungen

Insgesamt 209 Bewertungen
Bewertung vom 20.03.2020
Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1
Schorlau, Wolfgang;Caiolo, Claudio

Der freie Hund / Ein Fall für Commissario Morello Bd.1


weniger gut

Ich muss ehrlich sagen, dass ich von diesem Buch mehr erwartet habe. Die Leseprobe war vielversprechend: ein italienischer Krimi, der in Venedig spielt, untermalt von dem Ärger um die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die der Lagunenstadt Umweltprobleme bescheren.
Inhaltlich geht es um Commissario Morello, der von Sizilien nach Venedig versetzt wird, um ihn vor der Mafia zu schützen, denn ihm ist ein großer Coup gegen sie gelungen, und man trachtet ihm nach dem Leben. Nachdem er zunächst auf Sizilien in einer Kaserne untergebracht und bewacht wurde, wird er nun nach Norden versetzt, denn die Mafia mordet nur in ihrem Heimatbereich. Morellos Empfang in Venedig ist unterkühlt, seine neuen Kollegen mögen den Sizilianer nicht als neuen Chef, sie hatten sich selber auf der Karriereleiter klettern sehen. Venedig wiederum gefällt Morello nicht, denn Massentourismus und Umweltverschmutzung durch die Vielzahl an Kreuzfahrtschiffen bestimmen das Stadtbild. Kurz nach Morellos Ankunft wird ein Umweltschützer ermordet, der sich für ein Verbot der riesigen Luxusliner in Venedig eingesetzt hat. Der Kommissar beginnt mit den Ermittlungen....
Und diese Ermittlungen plätschern so vor sich hin, irgendwie kommt keine Spannung auf. Es gibt zwar Verdächtige mit Mordmotiv, aber die Motivation mitzurätseln blieb aus. Die vielen Verhöre waren eher langatmig und nicht ergiebig. In meinen Augen war die Krimihandlung nebensächlich. Im Vordergrund stand viel Lokalkolorit, was ich durchaus informativ und interessant fand, was aber die Spannung nicht erhöhte. Die Problematik der Kreuzfahrtschiffe hätte intensiver behandelt werden können. Dagegen war die Beschreibung der kulinarischen Genüsse in der venizianischen Küche sehr detailliert, in meinen Augen zu sehr ausgedehnt, denn ich wollte kein Kochbuch lesen.
Überhaupt hatte ich das Gefühl, dass viele Szenen einfach Seitenfüller waren und das Handlungsgeschehen nicht beeinflussten, so z.B. Morellos heimliche Reise nach Sizilien. Anderes erschien mir unrealistisch, z.B. die Massage auf der Fähre.
Der Schreibstil ist einfach gehalten, kurze und klar überschaubare Sätze. Dazwischen immer wieder italienische Sätze, teilweise leider ohne Übersetzung. Und dann dieses ständige 'Cazzo', dessen Bedeutung ich erstmal nachschlagen musste.
Der Hauptprotagonist Morello ist ein sagenhafter Heldentyp, ihm gelingt einfach alles, außerdem hat man den Eindruck, dass er auf seine neuen Kollegen hinabschaut, da sie an seine Genialität nicht heranreichen. Die anderen Figuren finde ich eher blass und Claudio sogar unglaubwürdig.
Alles in allem konnte mich das Buch nicht überzeugen, zumindest nicht als Kriminalroman. Lokalkolorit und die dadurch entstehenden Impressionen von Venedig haben mir gefallen, besonders die amüsante Beschreibung der Touristenströme. Einen weiteren Band dieser Reihe brauche ich nicht.

Bewertung vom 11.03.2020
Der Gin des Lebens / Kulinarische Kriminalromane Bd.1
Henn, Carsten Sebastian

Der Gin des Lebens / Kulinarische Kriminalromane Bd.1


ausgezeichnet

Die Suche nach dem Gin des Lebens
In letzter Zeit entwickelt sich der Gin immer mehr zum Kultgetränk (man schaue nur einmal in die Angebote führender Getränkemärkte!), und in meinen Augen ist dieses Buch auf dem Weg, ein Kultbuch für Gin-Fans zu werden, denn es verdeutlicht, wie die Suche nach DER einen unnachahmlichen und umwerfenden Zusammensetzung des Getränks zum Lebensinhalt werden kann.
Grundsätzlich geht es in diesem Buch um die Aufklärung eines Mordes, der in Cathys Garten geschehen ist, direkt vor ihrem Gartenhaus, in dem sie heimlich herumexperimentiert, um einen unübertrefflichen Gin zu destillieren. Cathy betreibt einen Bed&Breakfast Place in Plymouth an Englands Südküste. Auch ihr Vater war auf der Suche nach dem perfekten Ginrezept, und Cathy möchte sein Werk nun fortsetzen.
Der zweite Hauptprotagonist ist Bene, ein junger Deutscher, dessen Vater ihm eine Flasche selbst erzeugten Gin hinterlassen hat. Diese Flasche wurde jahrelang nicht beachtet, aber als Bene sich aus Liebeskummer betrinken möchte, sieht er den richtigen Zeitpunkt gekommen, die Flasche Gin anzubrechen. Der Gin übertrifft alle seine Erwartungen, und voller Enthusiasmus versucht er, die verloren gegangene Rezeptur ausfindig zu machen. Die Spur führt ihn nach Plymouth, wo er sich bei Cathy einquartiert, da auch sein Vater dort öfters zu Gast war. So kreuzen sich nun die Wege der beiden Gin-Begeisterten, und eine turbulente Handlung mit vielen Überraschungen beginnt.
Der Mord steht weitgehend im Hintergrund, obwohl hier einige kriminelle Machenschaften aufgedeckt werden, aber man vermisst hier auch keine direkte Ermittlungsarbeit, weil die Handlungen der agierenden Personen so kurzweilig sind, dass man an den Todesfall kaum noch denkt.
Der Schreibstil ist so bildhaft und humorvoll in seinen Ausführungen, dass es eine Freude ist, das Buch zu lesen. Auch eine Menge treffender Zitate schmücken die einzelnen Kapitel. Die Bildhaftigkeit zeigt sich auch in der Beschreibung der durchweg skurrilen Protagonisten. Sie alle zeichnen sich durch irgendwelche absurden Gewohnheiten, ungewöhnliche Hobbys oder überaus seltsame Verhaltensweisen aus. Ein Genuss, darüber zu lesen! Man hat unwillkürlich ein Grinsen im Gesicht. Aber es gibt sie wirklich diese krassen Typen! Man setze sich nur mal in einen Pub und verhalte sich als stiller Beobachter.....
Darüber hinaus habe ich sehr viel gelernt, über Gin, Botanicals, Destillation usw., was bei mir ein deutliches Interesse geweckt hat, mich intensiver damit zu beschäftigen und den ein oder anderen Gin mal zu probieren, um Botanicals und Störer zu schmecken, den Charakter zu erkennen und Rezepte auszuprobieren. Von letzteren finden sich auch einige am Ende des Buches.
Auch das Cover ist bemerkenswert, mit hervorgehobenem Print und farblich ansprechendem Drink. Außerdem in den Umschlagseiten eine Landkarte der örtlichen Begebenheiten.
Alles in allem finde ich das Buch äußerst gelungen: spannend, unterhaltsam, informativ, berührend und fesselnd. Es hat die höchste Sternchenzahl verdient, und ich werde es gern weiter empfehlen.

Bewertung vom 03.03.2020
Palast der Miserablen
Khider, Abbas

Palast der Miserablen


ausgezeichnet

Ein Leben voller Entbehrungen im Irak
Der Junge Shams Hussein lebt mit seiner Schwester und seinen Eltern in einem kleinen Dorf im Südirak und bekommt dort die Auswirkungen des Saddam-Regimes bereits zu spüren. Nach einer gescheiterten Rebellion gegen den Diktator wird das Leben immer unerträglicher, so dass die Familie beschließt, alles aufzugeben und nach Bagdad zu ziehen, in der Hoffnung auf ein friedlicheres Leben. Doch sie kommen vom Regen in die Traufe, denn nachdem sie vorerst bei Bekannten unterkommen, was aber auf Dauer nicht in Frage kommt, bauen sie sich eine Blechhütte nahe der Müllkippe im 'Blechviertel'. Das Leben bleibt entbehrungsreich trotz ständiger Bemühungen der ganzen Familie, der Armut zu entkommen. Aber auch politisch wird die Lage immer bedrohlicher, und besonders Shams bekommt dies aus nächster Nähe mit. Er hat kaum Zeit für Hobbys, da er neben der Schule, die ihn vor dem Soldatwerden bewahren soll, auch ständig Geld verdienen muss. Sein einziger Lichtblick als junger Mensch sind Treffen mit literatur- und kunstbegeisterten jungen Leuten und die zahlreichen Bücher, die er verschlingt, um seiner eintönigen und grauen Welt zu entkommen. Die jungen Leute treffen sich im 'Palast der Miserablen', ein privater Salon, und hier bekommt Shams Einblicke politischer und kultureller Art, die vorher von ihm ferngehalten wurden und zu denen seine Familie keinen Zugang fand.
In einem zweiten Erzählstrang befindet sich ein Häftling zunächst in einer 6-Mann-Zelle unter schlimmsten Bedingungen, zieht dann um in eine Einzelzelle auf einer Krankenstation, wo es ihm zunächst relativ gut geht, da er genug zu essen bekommt, die Zelleneinrichtung komfortabler ist und er auch medizinisch behandelt wird, da er starke Beschwerden hat. Aber plötzlich fällt der Strom aus, die Versorgung wird reduziert und er vegetiert vor sich hin......
Das Buch hat mir tiefe Einblicke in das Leben im Irak unter Saddam gegeben, was ich mir so auch gewünscht hatte, so dass ich nach der Lektüre sehr zufrieden bin. Was für ein entbehrungsreiches Leben, und trotzdem immer wieder das ÜBERleben! In unserer westlichen Konsumgesellschaft kann man sich schwer vorstellen, welche beängstigenden und bedrohlichen Situationen ein Mensch durchstehen kann....für uns ist es unvorstellbar, unter solch ärmlichen Bedingungen und unter ständigem politischen Druck zu leben.
Die Atmosphäre des Buches ist niederdrückend und trotzdem keimt immer wieder Hoffnung auf, und in meinen Augen hat Abbas Khider dies in seinem Roman gut zum Ausdruck gebracht. Es war immer eine gewisse Spannung da, man fragte sich oft: wie geht es denn nun weiter? Auch im zweiten, deutlich knapperen Erzählstrang, war ich gespannt, was den Häftling als nächstes erwartet. Und am Ende schließt sich auch der Kreis der beiden Handlungsstränge.
Der Schreibstil ist flüssig und gut verständlich. Der Autor benutzt eine einfache Sprache, ohne Verschnörkelungen, was meiner Meinung nach aber gut zum Inhalt passt, denn auch das geschilderte Leben ist bescheiden, sogar armselig und auf jeden Fall schmucklos. Auch die grausamen Foltermethoden verdienen keine ausgeschmückte Sprache.
Shams Hussein ist mir sympathisch, denn er ist familienzugewandt, sensibel, ausdauernd, verantwortungsvoll und hilfsbereit, was unter den geschilderten Lebensumständen nicht selbstverständlich ist. Ganz besonders gefällt mir sein Mut, sich auch mal gegen die diktatorischen Gesellschaftsregeln zu stellen.
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, es hat meine Erwartungen erfüllt und verdient aus meiner Sicht die volle Sternewertung.

Bewertung vom 26.02.2020
Nach Mattias
Zantingh, Peter

Nach Mattias


ausgezeichnet

Die Spuren, die man im Leben hinterlässt
Mattias ist tot. Er war noch jung. Er hinterlässt eine Lücke. Wieso starb er so jung? Wer ist von seinem Tod berührt? Woraus besteht die Lücke?
Zunächst dachte ich, dass Mattias einen Fahrradunfall hatte, denn sein Rad wird zu seiner Freundin Amber gebracht, die es zunächst ins Wohnzimmer stellt und mit ihren Gedanken um Mattias kreist. Erst viel später erfahren wir den wahren Sachverhalt, der sein Leben beendete. Bis es soweit ist, lernen wir einige Menschen kennen, die intensiv oder nur peripher mit Mattias Kontakt hatten. Teilweise überschneiden sich diese Kontakte, und man erfährt immer mehr über Mattias Lebensgestaltung, seine Verhaltensmuster und seine Charakterzüge. Aus der zunächst völlig unbekannten Person entsteht so nach und nach das Bild eines jungen Mannes, der deutliche Spuren im Leben hinterlassen hat, und diese Spuren sind so positiv, dass man eine Ahnung davon bekommt, wie groß die hinterlassene Lücke ist.
Zentrales Thema dieses Romans ist aber nicht die Trauer, sondern eher ein Appell für mehr Empathie und Mitmenschlichkeit, denn dadurch werden Spuren gelegt, die über den Tod hinaus bleiben. Das wird deutlich durch die Zeugnisse der Menschen, die Matthias Weg kreuzten. Was wirklich zählt ist nicht der Intellekt des einzelnen, sondern das was er in der Erinnerung hinterlässt. Diese Abdrücke machen das Menschsein aus. So erinnert sich seine Mutter Kristianne zurück an ihr Leben mit Mattias und spürt dabei immer wieder seine Einfühlsamkeit auf.
Und auch ein anderes Thema tritt deutlich zutage: die Einsamkeit eines jeden Individuums. Alle Menschen, die uns in diesem Buch begegnen, stehen damit in Kontakt, selbst wenn sie zu zweit zusammen leben, wie die Großeltern von Mattias. Ein Gefühl von Verlassenheit ist allgegenwärtig. Keiner bleibt davon verschont.
Aber die aufgeführten Personen geben sich nicht ihrer Einsamkeit hin, sondern sie versuchen, jeder auf seine Weise, dagegen anzugehen, um nicht zu versinken. Jeden Tag leben, so wie er kommt, und fühlen, was Menschsein ausmacht.
Mich hat dieses Buch sehr berührt und nachdenklich gemacht. Ich kann es jedem empfehlen, um zur Ruhe zu kommen und über den Sinn der menschlichen Existenz nachzudenken. Das Buch hat 5 Sterne verdient!

Bewertung vom 16.02.2020
Tiefer Fall / Doggerland Bd.2
Adolfsson, Maria

Tiefer Fall / Doggerland Bd.2


gut

Es ist Weihnachtszeit auf Doggerland, als Leser stellt man sich eine schön verschneite Landschaft und ein gemütliches Beisammensein der ganzen Familie am warmen Feuer vor. Aber dies gefällt der Kommissarin Karen Eiken Hornby in diesem Jahr nicht, denn sie leidet noch unter den Auswirkungen des vorigen Falls, der wohl ziemlich gefährlich war und seine Spuren bei der Ermittlerin hinterlassen hat, sowohl körperlich als auch psychisch. Sie ist noch krank geschrieben, aber fühlt sich in dieser Situation nicht wohl, denn ihr ist nicht nach Feiern und ihre Familie geht ihr auf die Nerven. Deshalb nimmt sie dankbar an, als ihr Chef sie beauftragt, in einem Mordfall auf der nördlichsten Insel Noorö zu ermitteln. Sie beendet ihren Krankenstand und sucht Ablenkung in der Arbeit.
Dies ist der 2. Band der Doggerland-Trilogie, und nachdem ich so viele gute Rezensionen über den ersten Band gelesen hatte, wollte ich die Reihe unbedingt kennenlernen. Leider wurden meine hohen Erwartungen nicht erfüllt, denn ich fand das Buch recht langatmig. Bei diesem Kriminalroman liegt der Akzent eher auf 'Roman' als auf 'Krimi'. In meinen Augen läuft der eigentliche Fall so nebenher ab, während anderes im Vordergrund steht, wie z.B. der physische und psychische Zustand der Ermittlerin. Auch die häusliche Gewalt, die Eikens Freundin erleidet, nimmt sehr viel Platz ein und war für mich aufwühlender als der Mord, obwohl nach kurzer Zeit noch ein weiterer Mann getötet wurde. So richtig spannend wurde es erst in der zweiten Hälfte des Buches, besonders gegen Ende. Vorher plätschert die Handlung so dahin, und es passiert nichts Spektakuläres.
Man kann miträtseln, wie die beiden Morde zusammenhängen und wer der Täter ist, und hier sind auch falsche Spuren gelegt, was die Handlung zeitweise interessanter macht, aber im Vordergrund steht doch immer wieder die Befindlichkeit Eikens. Natürlich ist es unterhaltsam, etwas über das Privatleben der Protagonisten zu erfahren, aber bitte nicht so vorherrschend.
Die Hauptcharaktere sind mir nicht wirklich sympathisch, denn sie wirken oftmals schlecht gelaunt, problembeladen und erledigen ihre Arbeit nur unlustig. Dies trifft auch auf die Ermittlerin Eiken zu, denn sie ist oftmals unwirsch in ihrem Verhalten gegenüber anderen, und private Probleme sind ihr wichtiger als ihre Arbeit. Sie wirkt oftmals destruktiv und sucht die Abgeschiedenheit.
Positiv sind die intensiv atmosphärischen Beschreibungen der Autorin, sowohl der Landschaft als auch der verschiedenen Gefühlsebenen der Protagonisten. Ich konnte mir die Landschaft vor meinem inneren Auge perfekt vorstellen, was direkt zu Beginn einsetzte, als Frederic von seiner Schwester gesucht wurde. Aber auch personenbezogene Angstsituationen konnte ich gut nachempfinden.
Insgesamt fand ich das Geschehen gut durchdacht, logisch konstruiert, und alle Fäden wurden am Ende zusammengeführt. Für mich blieb keine Frage offen. Außerdem ist der Anlass für die Morde nicht alltäglich, was mir gut gefällt.
Ich hätte mir den Roman komprimierter gewünscht, weniger Privatleben, mehr Spannung, denn das Grundkonzept ist eindrucksvoll. Schade, mein Fazit: drei Sterne.

Bewertung vom 09.02.2020
Die Bagage
Helfer, Monika

Die Bagage


sehr gut

Maria ist die Großmutter der Autorin, und vor allem über Maria wird in diesem Buch berichtet. Maria und Josef Moosbrugger wohnen mit ihren Kindern oberhalb des Dorfes ganz am Rand zum Wald hin. Sie leben in einfachen und geradezu ärmlichen Verhältnissen, weshalb sie abfällig von den anderen Dorfbewohnern als die 'Bagage' bezeichnet werden. Es gibt keinen Strom im Haus und auch kein fließendes Wasser, nur einen Brunnen, unterhalb des Hauses. Der einzige Besitz sind ein paar Tiere, die die Moosbrugggers z.B. mit Milch versorgen. Dann wird Josef eingezogen, er beauftragt den Bürgermeister, mit dem er sich gut versteht, auf seine Familie aufzupassen, aber dieser möchte besonders auf die schöne Maria aufpassen, die er sehr begehrt. Maria durchschaut den Bürgermeister und 'benutzt' ihn für das Wohl ihrer Familie. Sie lernt dann Georg aus Hannover kennen und verliebt sich in ihn. Er besucht sie in den Bergen, die Kinder mögen ihn sehr, und plötzlich ist Maria schwanger....
In meinen Augen ist das Buch ein Loblied auf Maria, denn trotz aller Armut und Defizite führt sie ein weitgehend selbstbestimmtes Leben. Sie schenkt ihren Kindern viel Liebe, und die Kinder hängen sehr an ihr. Die Kinder unterstützen sie auch, soweit sie dazu in der Lage sind. Da sie eine schöne Frau ist und dies weiß, setzt sie ihre Reize gekonnt ein, um Vorteile für ihre Familie zu bekommen, z.B. Geschenke vom Bürgermeister, aber sie kalkuliert vorher genau, wie weit sie gehen kann, um ihren Stolz nicht zu verlieren. Somit ist sie für ihre Verhältnisse sehr intelligent, was sich auch darin zeigt, dass sie ihren Kindern einiges fürs Leben lehrt. Sie legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres und saubere Kleidung, besonders gern in weiß. Als schöne Frau um die 30 ist sie natürlich auch empfänglich für Schmeicheleien, was man ihr nicht verdenken kann, denn obwohl sie sehr begehrt ist, wird sie auch respektiert. Sie genießt ihr bescheidenes Leben, aber träumt sich manchmal davon in andere soziale Schichten oder z.B. in große Städte, ohne übermütig zu werden.
Ich denke, dass Maria eine sehr starke Frau ist, die alles im Griff hat und der Dreh- und Angelpunkt der Familie ist. Sie trotzt allen Schwierigkeiten und findet immer einen Ausweg. Eine so selbstbewusste Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist bemerkenswert, besonders wenn die soziale Stellung so gering ist wie in diesem Falle. Die Autorin ist zurecht stolz auf diese Großmutter, von der sie abstammt.
Der Schreibstil ist zunächst gewöhnungsbedürftig, kurze Sätze, Zeitsprünge und unbekannte Phrasen, aber man gewöhnt sich daran.
Man fragt sich nur nach der Lektüre, warum dieses Paar eine Änderung nicht gewollt hat. Warum wollten sie unter diesen Bedingungen leben und tolerieren diese Stigmatisierung? Man erfährt, dass sie mit einigen realisierbaren Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Lebensumstände konfrontiert wurden, aber dies ablehnten. Vielleicht haben sie sich irgendwie in ihrer Rolle als Außenseiter gefallen, wie z.B. bei Kirchenbesuchen, wenn die ganze Familie nebeneinander sitzt (in weißer Kleidung) anstatt sich in die Frauen- und Männerbänke zu setzen, wie damals üblich. Hier hätte ich gern noch mehr erfahren.....
Und dann habe ich noch eine weitere Frage offen. Es wird erwähnt, dass zwei der Kinder rothaarig sind, während die anderen alle dunkles Haar haben genau wie Maria und Josef. Gab es da vielleicht noch eine brisante Begegnung?
Alles in allem hat das Buch für kurzweilige Unterhaltung gesorgt, ich hätte gern noch mehr über das Leben der 'Bagage' erfahren....Hochinteressant war es, Einblicke in die Armut der damaligen Zeit zu bekommen und wie damit umgegangen wurde.

Bewertung vom 04.02.2020
Long Bright River
Moore, Liz

Long Bright River


ausgezeichnet

Elend und Trostlosigkeit in den Straßen Philadelphias
Natürlich fällt einem sofort Bruce Springsteens Song 'Streets of Philadelphia' ein, wenn man dieses Buch liest, denn dort spielt der Großteil der Handlung in diesem Roman. Mickey ist eine Streifenpolizistin, die dauernd auf den Straßen unterwegs ist, einerseits weil sie ihren Job erfüllen will, aber gleichzeitig sucht sie auch die Straßen ab auf der Suche nach ihrer Schwester Kacey, die seit einiger Zeit verschwunden ist und und zu der sie schon lange keinen Kontakt mehr hat. Trotzdem empfindet sie Fürsorgepflicht für ihre kleine Schwester, denn diese ist abgedriftet in das Drogenmilieu und damit verbunden in die Prostitution. So lernen wir die Straßen Philadelphias kennen, und ich muss sagen, dass ich sehr überrascht war, denn was einst Vorzeigecharakter hatte, z.B. der schöne Stadtteil im Kolonialstil Kensington, scheint total runtergekommen zu sein. Philadelphia war einst sogar Hauptstadt der USA, die zweitgrößte Stadt an der Ostküste.
Aber auch das soziale Milieu, in dem Mickey und Kacey aufgewachsen sind, ist sehr ergreifend beschrieben. Das System der Familie funktioniert nicht mehr, die Mutter starb den Drogentod, der Vater (auch drogenabhängig) fühlte sich nicht verantwortlich, so wuchsen beide unter dem harten und lieblosen Regiment der Großmutter auf, mit vielen Entbehrungen. Es war für mich erschreckend zu lesen, mit welchem Outfit die Oma die arme Mickey ins Theater gehen lässt. Mobbing vorgrammiert! Damals hat die bei Mitschülern beliebte Kacey ihrer großen Schwester oft aus prekären Situationen geholfen , und deshalb möchte Mickey nun ihrer Schwester helfen, aber wo ist sie? Mickey gehört nur noch am Rande zur Großfamilie, denn als Polizistin kann man ihr nicht mehr trauen, und man unterstellt ihr auch Hochmut. Die Autorin hat die Verwandtentreffen, die voller Ablehnung und Misstrauen sind, sehr atmosphärisch beschrieben. Man kommt sich vor wie ein unsichtbarer Teilnehmer dieser Szenen. Das hat mir sehr gut gefallen.
Gleichzeitig ist im Geschehen auch noch ein Kriminalfall eingebunden, denn es werden mehrere junge Prostituierte ermordet und stets befürchtet Mickey, dass eines der Opfer ihre Schwester sein Könnte. Mickey ermittelt oft im Alleingang und begibt sich in so manche gefährlich Situation. Sie weiß bald nicht mehr, wem sie wirklich trauen kann und wer sie auf eine falsche Fährte locken will. Sogar Ihr Chef wirkt suspekt und gibt ihr keine Unterstützung. So fühlt sie sich sehr allein und im Stich gelassen, aber aus Liebe zu ihrer Schwester geht sie bedrohliche Risiken ein. Mir tut sie in dieser Situation sehr leid, denn sie wirkt sehr gestresst und ängstlich und bräuchte dringend Beistand. Aber aufgrund ihrer empathielosen Kindheit ist sie nicht fähig, sich gegenüber anderen Menschen zu öffnen. Das Misstrauen ist zu groß. Sie steht sich damit selbst im Wege, kann aber nicht über ihren Schatten springen.
Die Autorin erzählt aus Mickeys Perspektive, so dass wir viel über ihre Gefühlswelt und ihre Gedanken erfahren. Durch die abwechselnde Kapitelunterteilung in 'Früher' und 'Jetzt ' setzt sich nach und nach eine Biographie der jungen Polizistin zusammen.
Das Buch hat mir äußerst gut gefallen, da es so vielfältig ist: Krimi, Sozialstudien, Landeskunde....Es ist spannend geschrieben in einem flüssigen und leichten Stil. Ich habe die über 400 Seiten in drei Tagen gelesen, jede freie Minute genutzt, da es mich so in seinen Bann gezogen hat. Der Roman ist voller Überraschungen und Wendungen, sehr fesselnd, sicher eines der Highlights im Jahr 2020. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 02.02.2020
Abgefackelt / Paul Herzfeld Bd.2
Tsokos, Michael

Abgefackelt / Paul Herzfeld Bd.2


sehr gut

Nach den hochdramatischen Ereignissen im vorigen Fall, soll der Rechtsmediziner Paul Herzfeld sich erst einmal erholen. Sein Chef ordnet ihn ab nach Itzehoe, einer beschaulichen Kleinbstadt, wo gerade eine Stelle in der Pathologie frei geworden ist. Er soll die Zeit nutzen, um runterzufahren und die schrecklichen Ereignisse zu verarbeiten. Doch schon bald muss er feststellen, dass sein Vorgänger in eine geheimnisvolle Sache verwickelt war und auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen ist. Das lässt Herzfeld keine Ruhe, und so beginnt er mit geheimen Ermittlungen, die ihn sehr bald in eine gefährliche Lage bringen .....
Ich muss Sebastian Fitzek Recht geben: dieses Buch ist wahrlich ein Pageturner. Ich habe es in 2 Tagen gelesen und konnte nicht davon lassen. Da die Kapitel kurz sind, habe ich mir immer noch ein weiteres vorgenommen, da ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht....Die Spannung setzt bereits im Prolog ein und wird von Tsokos bis zum Ende aufrecht erhalten. Dazu trägt auf jeden Fall der ständige Perspektivwechsel bei, der uns auch zu den Sichtweisen und Aktivitäten der Antihelden führt. Dies hat mir sehr gut gefallen, besonders mochte ich die Zeitangeben am Anfang jedes Kapitels, ähnlich wie in einem Tagebuch, denn so konnte man die schnelle zeitlich Abfolge erkennen. Denn das ganze Ermittlungsgeschehen dauert nur ca. 3 Wochen.
Beeindruckend sind die Einblicke in die Arbeit eines Rechtsmediziners, die Tsokos als Insider sehr minutiös beschreibt. Hierbei geht es nicht nur um Fälle, die mit den aktuellen Ermittlungen zu tun haben, sondern auch um andere Sektionen mit interessanten 'Entdeckungen'. Ich fand das sehr interessant, vielleicht weil ich es nur auf Papier wahrgenommen habe und nicht visuell oder olfaktorisch. True Crime Elemente ziehen sich außerdem durch die ganze Geschichte.
Was mir nicht gefallen hat, war das abrupte Ende. Da hätte ich gern noch weitere Informationen und Details mitbekommen, wie es nach dem spektakulären Ende weitergeht. Hier war plötzlich Schluss, und es folgte der sprunghafte Übergang in die 'heile Welt'.
Nichtsdestotrotz hat mir das Buch gut gefallen, es hat mir spannende Stunden beschert, ich freue mich auf die Fortsetzung und kann das Buch allen Thrillerfans empfehlen.

Bewertung vom 01.02.2020
Hier und Jetzt
Maffay, Peter

Hier und Jetzt


ausgezeichnet

Der Mensch Peter Maffay - eine etwas andere Biographie
Peter Maffay kenne ich schon seit Teenagerzeiten, damals als Schmusesänger mit dem Lied 'Du'. Ich konnte beobachten, wie er sein musikalisches Talent vielschichtig ausgebaut hat, so z.B. als harter Rockmusiker, aber auch mit dem traumhaften Tabaluga-Musical. Letzteres und auch so mancher Song haben mir gut gefallen. Und nun Peter Maffay als Autor dieser Biographie, die aber so ganz anders ist als herkömmliche Biographien.
Der Untertitel lautet 'Mein Bild von einer besseren Welt', und dies trifft es sehr genau. Es ist eine Auseinandersetzung mit aktuellen Themen unserer Zeit und dem Leben im Allgemeinen. Wer jetzt meint, dass es sich um abgehobene philosophische Abhandlungen handelt, liegt falsch, denn Peter Maffay vermittelt auf sehr anschauliche und ansprechende Weise seine Sicht der Dinge. Sein Biohof Gut Dietlhofen bietet ihm die Grundlage, sein Lebenskonzept zu realisieren. Hier findet er alles, was für ihn das Leben lebenswert macht, insbesondere die innige Verbindung zur Natur. Diesen Hof nutzt er jedoch nicht allein für sein eigenes Wohlbefinden, sondern er möchte teilen, vielen Menschen soll er als Wohlfühloase dienen.
Der Hof wird so detailliert und liebevoll beschrieben, dass man sofort Lust bekommt, einen Ausflug dorthin zu machen, um alles mit eigenen Augen zu sehen, und vor allem abzutauchen, denn "es gibt nichts Sinnvolleres und Schöneres im Leben, als die Natur zu erleben und zu fühlen" (Peter Maffay). Der Sänger hat diesen Hof zu einem Ort der Begegnung gestaltet, der allen Menschen offen steht, egal aus welcher Kultur und aus welcher sozialen Schicht, für ein friedvolles Miteinander. Ich denke, jeder kann hier etwas 'mitnehmen', z.B. Respekt vor der Natur, gesunde Ernährung, praktizierter Tierschutz, gegenseitiges Vertrauen.
In seinen Auführungen zu Themen der Zeit, wie z.B. die Religion oder der Flüchtlingsstrom, erläutert er seinen jeweiligen Standpunkt und gibt dazu auch die passenden Argumente und Beispiele. Ich muss sagen, er spricht mir oft aus der Seele. Hätten wir mehr Menschen auf dieser Welt, die Peter Maffays Einstellung und Lebensweise praktizierten, gäbe es weniger Probleme im sozialen Miteinander. Was mir auch gefällt, ist der Optimismus, den er ausstrahlt. Er sieht immer ein Licht im Dunkel, auch bei ernsten Sachlagen.
Der Schreibstil ist leicht und flüssig, man hat keine Verständnisprobleme. Das Cover zeigt uns einen anderen Peter Maffay, als wir ihn bisher kannten, mit frisch gepflücktem Salat auf der Schulter, und untermauert damit den Inhalt des Buches, genau wie die schönen Bilder im Mittelteil, die uns dem Hof noch näher bringen. Auch so manche Anekdote aus Peters Leben bereichert zusätzlich, hier gefällt mir besonders die Beschreibung seiner Rituale, bei denen man ein Schmunzeln nicht umgehen kann.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, und ich werde noch öfters darin lesen, denn Peter Maffays Bild von einer besseren Zukunft entspricht meinen Wunschvorstellungen, und es ist realisierbar! Ich spreche eine ganz klare Lesempfehlung aus, denn dieses Buch eröffnet vielversprechende Sichtweisen des Lebens, die auch die Zukunft lebenswerter gestalten können.

Bewertung vom 05.01.2020
Nebeljagd
Hofelich, Julia

Nebeljagd


ausgezeichnet

Vorverurteilung oder Wahrheit?
Eine Frau wird in einem kleinen Dorf ermordet, und sofort fällt der Verdacht auf ihren Pflegesohn Johann Haug, der nie ein gutes Verhältnis zu ihr hatte. Außerdem steht er in Verdacht, seine frühere Freundin vor 20 Jahren grausam ermordet zu haben, was aber nie bewiesen wurde. Ohne ausreichende Beweise wird eine Gerichtsverhandlung initiiert, und Linn Geller ist seine Pflichtverteidigerin. Sie ist in ständigem Zweifel was Haugs Schuld betrifft und recherchiert auf eigene Faust, da sie das Gefühl hat, dass hier einiges verschleiert werden soll. Sie sieht sich der abweisenden Front der Dorfgemeinschaft gegenüber, die sich ihre feste Meinung gebildet hat und nicht davon abweicht.
Genau wie die Verteidigerin werden auch die Leser immer wieder in verschiedene Denkrichtungen gelenkt, so dass man bis zum Ende hin in Unsicherheit bleibt, ob Johann Haug wirklich ein Mörder ist. Diese Komplexität, die den Leser immer wieder in Sackgassen führt und die ein Umdenken erfordert, erzeugt eine durchgreifende Spannung, denn man möchte unbedingt die Wahrheit erfahren.
Am Anfang erschien mir der Kriminalroman etwas langatmig, vielleicht lag es daran, dass ich den Vorgängerband nicht kannte und erstmal in das Geschehen hineinfinden musste. Aber die Spannung steigerte sich ständig und ließ mich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Der Schreibstil ist flüssig und leicht. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und erscheinen realitätsnah. Linn ist eine Anwältin, die sich durch Ehrgeiz und Hartnäckigkeit auszeichnet. Auch persönliche Bedrohungen schüchtern sie nicht ein. Wir erfahren zwar auch etwas über das Privatleben der Anwälte/Ermittler, aber das hält sich in Grenzen und ist so völlig akzeptabel. Die Szenerie wird intensiv und sehr atmosphärisch beschrieben, besonders die unsägliche Verbohrtheit und der Starrsinn der Dorfbewohner.
Ein sehr spannendes und in sich schlüssiges Buch, das ich gern gelesen habe. Besonders die sich steigernde Spannung habe ich genossen. Und ich möchte dementsprechend eine eindeutige Lesempfehlung aussprechen.