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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Lu
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 166 Bewertungen
Bewertung vom 19.10.2023
Das Gemälde
Brooks, Geraldine

Das Gemälde


ausgezeichnet

Nein, dieser Roman ist keine Antwort auf den Barbie-Film, in dem Ken schnell erkennt, dass es in der realen Welt der USA vor allem um Männer und Pferde geht. Der Roman von Geraldine Brooks erschien nämlich schon 2022 unter dem Titel „Horse“ und kommt nun in der Übersetzung von Judith Schwaab auf den deutschen Buchmarkt. Dennoch liest sich der Roman über die Pferderennindustrie der USA im 19. Jahrhundert wie ein Versuch, die Sache mit den Männern und den Pferden zu erklären - mit allem, was dazu gehört: dem Patriarchat, das es Frauen kaum erlaubt, zur Hauptfigur der Geschichte aufzusteigen, dem Anti-Schwarzen Rassismus, der die amerikanische Gesellschaft noch immer auf eine speziellere Weise strukturiert und bestimmt als im Rest der Welt, dem Klassismus, der mit den Mechanismen von Rassismus und Patriarchat zusammenwirkt.
Die Autorin tut dies, indem sie einen Roman über ein berühmtes Rennpferd schreibt und dabei beständig zwischen Perspektiven der Vergangenheit und Perspektiven der Gegenwart wechselt, die sie wiederum durch ein Gemälde dieses Pferdes geschickt verwebt. Kann man der Autorin vorwerfen, dass sie es als weiße Frau nicht ganz schafft, die Perspektive Schwarzer Männer in den USA authentisch darzustellen? Ja, ihr ist es sicherlich nicht immer gelungen, die Schwarzen Charaktere hinreichend komplex zu zeichnen. Allerdings könnte man auch diskutieren, ob dies nicht wiederum als Verweis auf die amerikanische Gesellschaft zu lesen ist. So gibt am Ende des Romans auch nicht nur eine der Figuren die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in den USA auf.
Was der Autorin definitiv gelingt, ist, die Leser in die Geschichten eintauchen zu lassen - mir ist auf den knapp 600 Seiten nie langweilig geworden, so spannend, anrührend und aufwühlend sind die Episoden, die sie beschreibt und so sehr gehen die Figuren, die die Autorin für die Erzählung zu Historie des Rennpferds und seines Gemäldes dazu erfindet, ans Herz.

Bewertung vom 14.10.2023
Büchermenschen
Vernet, Stéphanie;de Cussac, Camille

Büchermenschen


ausgezeichnet

Im Laufe des Buches wird der gesamte Prozess der Entstehung eines Buches anhand der verschiedenen beteiligten Berufsfelder erklärt. Durch die liebevollen Illustrationen und Fun Facts über den Literaturbetrieb kann man auch beim zweiten Mal lesen noch jede Menge entdecken. Oft werden die Inhalte der Erklärtexte durch die Illustrationen noch einmal veranschaulicht, sodass auch junge Leser:innen sich Begriffe wie den „Seitenaufriss“ besser erschließen können. Trotzdem würde ich sagen, dass das Bilderbuch eher anspruchsvoll ist und Erwachsene evtl. mehr Spaß an den in den Zeichnungen enthaltenen Easter Eggs und den Anekdoten um Schriftsteller:innen und ihre Bücher haben als Kinder. Außerdem ist die Schriftgröße mit 9 pt eher klein - wer wissen möchte, was die Angabe aussagt, muss ins Buch schauen! Zudem hat man nach dem Lesen dieses Buches richtig Lust, direkt in die Bibliothek zu gehen und eines der erwähnten Bücher auszuleihen. Das sind aber fast alles Bücher für Erwachsene, insbesondere Klassiker wie Tucholsky, Dostojewski oder Austen.
Erfahrene junge Leser:innen werden das Bilderbuch aber definitiv zu schätzen wissen, weil man einfach so einen liebevollen Einblick in die Welt der Bücher bekommt. Deshalb ist dieses Bilderbuch ein tolles Geschenk für alle Menschen zwischen 9 und 99 Jahren, die Bücher lieben! Bei mir wird es einen Ehrenplatz im Regal bekommen.

Bewertung vom 08.10.2023
Baustellen der Nation
Banse, Philip;Buermeyer, Ulf

Baustellen der Nation


sehr gut

Die Macher des Podcast „Lage der Nation“ haben gemeinsam mit ihrem Team eine informative, detailreiche Ergänzung zu ihrem Podcast geschrieben. Dieser wird durch das Sachbuch nicht überflüssig, evtl. hat man durch die vielen Hintergrundinformationen sogar noch mehr Spaß am Hören - und umgekehrt!
In „Baustellen der Nation“ werden die Leser:innen in grundlegende Probleme in Sachen Infrastruktur, Sozialstaat und Föderalismus eingeführt. Dabei wird teilweise ganz schön ins Detail gegangen, wenn z.B. kommunale Entscheidungsprozesse erläutert werden. Das kann mitunter anstrengend zu lesen sein, ist aber immer gut verständlich. Die Lösungen, die vorgeschlagen werden, gehen oft „lagetypisch“ in Richtung Liberalisierung und Entbürokratisierung einerseits und Zentralisierung andererseits - wir bewegen uns also politisch v.a. im ökolibertären bis linksliberalen Spektrum. Auch wenn durchaus auch Kritik an der Ampelkoalition geübt wird, bleibt sie immer konstruktiv und es wird auch auf Erfolge geschaut. Das fand ich persönlich sehr angenehm, weil die Probleme dann nicht in Hoffnungslosigkeit enden: Das Sachbuch bleibt eben nicht bei einer kritischen Analyse stehen, sondern zeigt auch realistische politische Lösungen auf.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.10.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


ausgezeichnet

Anika Landsteiners Roman "Nachts erzähle ich dir alles“ zeigt erneut, wie talentiert die Autorin ist. Mit ihrem unverkennbaren Stil beherrscht Landsteiner die Kunst der Coming-of-Age-Geschichte für Frauen Mitte dreißig wie keine andere. Dieser Roman ist keine Ausnahme und bietet eine fesselnde Handlung, komplexe Charaktere und ein herrlich sommerliches Setting in Südfrankreich.
Eines der herausragenden Merkmale dieses Buches sind zweifellos die Frauenfiguren, die von Landsteiner mit großer Tiefe und Komplexität gezeichnet wurden - man will sie eigentlich alle kennenlernen, am besten im kleinen Ort am Meer in Frankreich, der ebenfalls nah und dicht beschrieben wird. Jede einzelne Figur besitzt eine eigene Geschichte, eine einzigartige Persönlichkeit und individuelle Herausforderungen, mit denen sie sich auseinandersetzen muss. Ihre Stärken, Schwächen und Emotionen sind so realistisch und nuanciert dargestellt, dass man schnell eine Verbindung zu ihnen aufbaut.
Landsteiner gelingt es, ernste Themen wie Tod und Reproduktionsrechte auf eine Art und Weise anzusprechen, die die Lesenden sowohl berührt als auch zum Nachdenken anregt. Sie schafft es, diese Themen sensibel und einfühlsam in die Geschichte einzuflechten, ohne den Lesefluss zu beeinträchtigen oder den Roman zu überladen. Große Empfehlung!

Bewertung vom 07.10.2023
Rattensommer
Pickel, Juliane

Rattensommer


ausgezeichnet

Juliane Pickel hat einen weiteren sehr guten Jugendroman geschrieben, der sich mit Wut, Freundschaft und versagenden Erwachsenen auseinandersetzt, die die Jugendlichen nicht wirklich sehen bzw. die einfach weitgehend abwesend sind. Dabei verwendet die Autorin wie auch in Krummer Hund eine bittersüße, poetische Sprache, die eine melancholische Atmosphäre schafft. Die Geschichte von Lou und Sonny ist nur oberflächlich betrachtet eine queere Liebesgeschichte oder eine packende Story um einen Mordfall, wie der Klappentext es andeutet. Es geht vor allem darum, wie Lou sich von ihrer Freundin und ihren Eltern abnabelt und zu ihrem eigenen Weg findet. Dabei bleibt Vieles in der Geschichte ambivalent und offen, etwas, womit auch Lou lernen muss umzugehen und woran Sonny zu scheitern droht.
Coming-of-age + Sommer + Schwimmen scheint das Erfolgsrezept für Romane in diesem Sommer zu sein, es gelingt auch Juliane Pickel!

Bewertung vom 07.10.2023
Nincshof
Sebauer, Johanna

Nincshof


sehr gut

Was für ein netter Sommerroman! Man merkt den verschroben gestalteten Charakteren an, mit wie viel Liebe und Spaß hier geschrieben wurde. Am besten hat mir Erna Rohdiebl gefallen, mit der alles beginnt: Nachts bricht die patente ältere Dame in einen Garten in ihrem Dorf Nincshof ein, um dort im Pool schwimmen zu gehen. Was für ein Skandal in Nincshof, als das auffliegt! Auch die Hauptstoryline muss der Autorin unheimlich viel Spaß gemacht haben: Eine kleine Gruppe aus Verschwörern will das Dorf verschwinden lassen, damit man von Touristen und co in Ruhe gelassen wird. Sogar ein theoretisches Fundament mit Bezug zu Arendt und co wird dafür entwickelt, verschiedene Aktionen werden durchgeführt. Am Ende wird schließlich alles auf die Spitze getrieben, es geht weiter ins Absurde - vielleicht nicht weltverändernd, aber rundum ein nettes Lesevergnügen!

Bewertung vom 07.10.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


sehr gut

Mit Alex, der Protagonistin, kann man sich kaum identifizieren: Sie lebt in den Tag hinein, begeht immer wieder zwischenmenschliche Fehler, wodurch sich ihre Lebenssituation weiter verschlechtert, geht aber gleichzeitig sehr berechnend mit ihren Mitmenschen um und knüpft nur Kontakte, um die Menschen auszunutzen. Trotzdem ist Alex faszinierend, ich wollte immer weiterlesen, um zu sehen, ob sie noch bekommt, was sie will: das Leben der Reichen und Schönen, endlich dort nicht mehr nur zu Gast sein. Nie erfährt man dabei etwas Wichtiges über sie. Mit ihren eigenen Emotionen setzt sie sich lieber nicht auseinander. So richtig scheint das die Reichen um sie herum aber auch nicht zu stören, die sind nämlich auch viel zu sehr mit sich selbst und den künstlich erzeugten Problemen beschäftigt. Menschen, die offensichtlich nicht dazu gehören, werden von ihnen kategorisch ausgeschlossen. Alex schafft es allerdings, sich ihnen so anzupassen, dass die fehlende Zugehörigkeit oft nicht bemerkt wird. Bis zum Schluss wird das Lesen von Fragen begleitet, die dafür sorgen, dass man durch die Seiten eilt: Fliegt Alex auf? Entkommt sie Dom, dem sie Geld schuldet? Lebt sie einfach immer so weiter im Dunstkreis der reichen Leute?

Bewertung vom 07.10.2023
Mattanza
Fabiano, Germana

Mattanza


ausgezeichnet

Als auf der Insel Katria Nora Greco geboren wird, bricht eine neue Zeit an: Die Tunfischjagd wird, wenn ihr Großvater zurücktritt, erstmals von einer Frau angeführt werden. Ihr Leben lang wird Nora darauf vorbereitet, dann übernimmt sie, als sie gerade volljährig geworden ist. Aber die Zeiten auf Katria ändern sich auch in anderer Hinsicht: Tourismus, moderne Tunfischjagd und schließlich auch die Ankunft vieler Geflüchteter über das Mittelmeer bedrohen die traditionelle Lebensweise und Tunfischjagd auf Katria, was Nora als Anführerin vor große Herausforderungen stellt.
Der Roman ist einfühlsam geschrieben, die poetischen Beschreibungen des Meeres passen wunderbar zum Mare Verlag, die Menschen im Dorf werden liebenswert aber komplex dargestellt. Ich habe die fiktive Geschichte der kleinen Insel gerne mitverfolgt. Nur das Titelbild passt für mich nicht gut - Noras Augen werden ganz anders beschrieben und die gesamte Insel spielt eine viel größere Rolle im Roman. Nur aufgrund des Titelbilds wäre ich am Roman vorbeigegangen.

Bewertung vom 07.10.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


sehr gut

Max Richard Leßmann erzählt von einem Besuch bei seinen Großeltern auf Sylt, bei dem er sich immer wieder an Geschichten aus seiner Großfamilie erinnert. Diese humoristisch erzählten Anekdoten erinnern an den Stil des beliebten Autors Horst Evers, wobei Leßmann viel tiefgründiger erzählt und seine Charaktere liebevoller zeichnet. Der Schreibstil überzeugt mich auch mehr - feiner Humor, schöne Satzkonstruktionen, lebendige Dialoge. Während ich Horst Evers gar nicht gut ertragen kann, weil eine Pointe die andere jagt, konnte ich Leßmann gut weglesen, auch wenn ich sogar gern noch mehr von dem Blick hinter die Fassaden der stoischen Großeltern gehabt hätte. Gerade die traurigen und leisen Momente im Roman haben mich nämlich sehr berührt. Einen zweiten Band der witzigen und abstrusen Familienanekdoten bräuchte ich dagegen nicht, auch wenn ich sie gerne gelesen habe.

Insgesamt ist "Sylter Welle" ein Roman, der sich hervorragend als Sundowner Lektüre eignet - nicht zu schwermütig, nicht zu leichtfüßig, schnell weggelesen. "Sylter Welle" ist eine Empfehlung für alle, die eine berührende und gleichzeitig unterhaltsame Lektüre suchen.

Bewertung vom 07.10.2023
Vatermal
Öziri, Necati

Vatermal


ausgezeichnet

„Vatermal" von Necati Öziri ist ein Roman, der auf den ersten Seiten direkt eine Sogwirkung entfaltet. Der Autor versteht es, die Leserinnen und Leser unmittelbar in die Welt des Protagonisten Arda und seiner Freunde am Bahnhof zu versetzen. Man hat das Gefühl, selbst auf der Bank zu sitzen, während man mitverfolgt, wie Ardas Schwester Aylin von zu Hause wegläuft, weil sie mit der Mutter nicht mehr klarkommt.
Besonders beeindruckend ist, wie Öziri die Geschichten von Ardas Mutter und Schwester im Krankenhaus einfängt und vermittelt. Man spürt förmlich, wie Arda diese Erzählungen aufsaugt und dabei über die Auswirkungen der Abwesenheit seines Vaters auf seine eigene Geschichte nachdenkt. Die beiden Frauengeschichten bekommen dabei viel Raum.
Die knappe Erzählform des Autors ermöglicht es, die emotionalen Bindungen der Charaktere und die Tiefe ihrer Gedanken auf eindrucksvolle Weise zu erfassen, man ist immer ganz bei den Figuren. „Vatermal“ ist ein Roman, der den Leserinnen und Lesern ein intensives Leseerlebnis bietet. Necati Öziri hat hier eine beeindruckende Erzählung geschaffen, die sich mit Themen wie Familie, Verlust und Identität auseinandersetzt und dabei einen bleibenden Eindruck hinterlässt.