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Benutzername: 
Kata_____Lović
Wohnort: 
Bremen

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Insgesamt 173 Bewertungen
Bewertung vom 16.03.2022
Milch Blut Hitze
Moniz, Dantiel W.

Milch Blut Hitze


sehr gut

Lese ich normalerweise Kurzgeschichten nach und nach, habe ich Milch Blut Hitze an einem Tag durchgelesen. Die elf Kurzgeschichten vereinen mehrheitlich junge Frauen in ärmeren Gesellschaftsschichten des Sunshine States Florida. Sie erzählen von Suizid, Fehlgeburten, Krankheit, Missbrauch, Sexualität, Rassismus, Haft, Kriminalität, Drogen, Kirche und immer wieder Geschlechterbeziehungen. Sie sind wütend, trauern, lieben, erkalten. Der Sound der ärmeren Schichten von Florida verdichtet sich mit jeder Geschichte mehr.

Die Abfolge der Geschichten ist gut gewählt. Milch Blut Hitze startet laut, dröhnend, betäubend mit der ersten Geschichte Monster, dann kommen leiser Töne mit Festmahl, Zungen endet mit einem Knall. Auch die anderen Geschichten wechseln die Lautstärke, die Emotionen.

Nach dem Beenden ist das Bild rund, als wenn wir da wären, mittendrin, im Fastfoodrestaurant, auf einem Parkplatz, in der Kirche, der Schule, auf dem Häuserdach oder im Auto der Figuren.

Bewertung vom 05.03.2022
Freudenberg
Elze, Carl-Christian

Freudenberg


ausgezeichnet

Der 17jährige Freudenberg ist ein Einzelgänger, er ist voll von Gedanken und Poesie. Mit der Welt möchte er nicht reden, die Zunge am liebsten loswerden. Denn "ohne Zunge keine Sprache und ohne Sprache keine falschen Sätze und ohne falsche Sätze keine falschen Gedanken und Gefühle". Freudenberg hat den tiefen Wunsch, ein Anderer zu sein. Er hat einen Zwilling im Geiste, den er nicht kennt, der in sein Leben einbricht und ihn nicht mehr verlässt.

Seinen Eltern entrückt, verbringt Freudenberg mit ihnen den Urlaub Międzydroje, an die polnische Ostsee. Er wandert durch die Stadt, beobachtet, genießt es, durch das nicht verstehen der Sprache, kein Teil zu sein, hindurchzugleiten, unbeachtet, vereinzelt.

Er wandert weiter, am Meer entlang, das immer rauher und roher wird. Er beobachtet die fiesen Möwen, die Wellen, die Steilküste, das Treibgut, sinniert über die Farben und trifft auf einen Jungen, seinem Zwilling am Strand. Marek, sein Ebenbild liegt da, leblos, wie ihm scheint. Freudenberg nimmt Mareks Kleidung und Portemonnaie und setzt seinen eigenen Tod in Szene.

Freudenberg flieht in den Wald und es folgt ein Trip, in dem verschwimmt, was im Außen und was im Innen passiert. Maja lockt ihn zu den Blaubeeren, begleitet, liebt ihn, flackert, verschwindet. Alte Damen pflücken, Murmeln. Er zeltet, er läuft und läuft und läuft. Freudenberg fährt Mofa, fährt, fährt, fährt, bis er im Garten der trauernden Eltern ist. Die Realitäten flirren, im Keller, bei den Blaubeeren, bei Maja, im Metallwerk, bei den Eltern, bei Marek, mit Marek, anstelle von Marek, der auch ein anderer sein wollte.

Der Sound von Freudenberg ist poetisch, dabei präsent, präzise, fast nüchtern, sezierend. Einige Passagen lesen sich wie ein Gedicht und doch ist der Plot stringent, fesselnd, einfach gut.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.03.2022
Meter pro Sekunde
Pilgaard, Stine

Meter pro Sekunde


sehr gut

Im Land der kurzen Sätze landet die Erzählerin, die kommunizieren muss, das Reden und die Sprache liebt.
Noch in Elternzeit zieht sie mit ihrem Mann nach Westjütland, ins Nirgendwo. Er ist umschwärmter Lehrer, sie "Anhang", ein Anhang der sich nicht einfügen mag und sich genau dadurch sehr einfügt in die Dorfgemeinschaft.

Verheiratet ist sie nicht und ja "nur" ein Kind, das noch keinen Namen hat, einen Führerschein hat sie auch nicht, aber einen Fahrlehrerverschleiß und sie redet, redet, redet. Von einem Fettnäpfchen ins nächste quatscht sie sich in die Herzen der reservierten wortkargen Dorfbevölkerung, die lächelnd den Kopf schütteln. Auch wir haben sie gerne um uns, wie eine nette Freundin, die uns unterhält, über das Leben schmunzeln lässt und uns hilft, die Dinge leicht zu sehen. Und Menschen mit Kummer weiß sie aufzuheitern, auf ihre Art. In der Lokalzeitung macht sie den Kummerkasten, deutet die großen und kleinen Verzweiflungen charmant um, so dass sich die Leute besser fühlen.

Meter pro Sekunde ist ein Feel-Good Buch. Wie warme Sonnenstrahlen nimmt es Sorgen, die Schwere und das Leben selbst an, wie es ist. Es ist liebevoll, leise melancholisch und lächelnd.

Bewertung vom 01.03.2022
Die Eistaucher
Bryla, Kaska

Die Eistaucher


sehr gut

"Nach einem solchen Jahr verbringt man den Rest des Lebens damit, zu grübeln und zu versuchen, an dem, was geschehen ist, zu rütteln und die losen Enden zusammenzufügen."

Die Eistaucher von @kaska_bryla ist eisig und hitzig. Es ist eine Coming of Age Geschichte und ein Kriminalroman mit einigen fantastischen Elementen. Es ist es ein politisches Buch, das Queersein, Frau sein, psychische Erkrankungen in den Plot einwebt und dabei mit Zurückhaltung klare Position bezieht. Eistaucher dreht sich um Fragen der Gerechtigkeit, der Radikalisierung und der Selbstjustiz.

Zunächst Schlitten wir auf einer dicken undurchdringlichen Eisschicht. Die Erzählstimme der Gegenwart berichtet von einem Campingplatz im Nirgendwo, auf dem nichts los ist. Wäre da nicht Martin. Wir verstehen weder, wer Martin ist und was er will, noch, wer die Erzählstimme ist. Was wir wissen, es muss mit diesem einen prägenden Jahr aus der Jugendzeit zu tun haben.

Wir tauchen in dieses Jahr ein. Eines ist klar, es läuft auf ein Unheil hinaus. Es geht ums dazugehören, die Liebe, das Begehren, die Freundschaft und den Verlust. Die stilsichere Jess ist haltlos verliebt in ihre Ferienliebe, aber auch fasziniert von Iga. Iga ist der Kosmos, um den sich alles dreht. Sie hat nur Augen für ihre Französischlehrerin, ihr Band zu Saša kommt beiläufig vor. Ras ist in seiner eigenen Welt, hört und sieht Sachen, ein Poet ist er. Robert schwärmt für Lyrik und Jess, während sein bester Freund, der schöne Sebastian ihm ganz verfallen ist.

Sowie die Gegenwart, als auch die Vergangenheit werfen uns Fäden hin, die wir aufnehmen, rätseln, die uns in eine Sackgasse führen und doch immer tiefer in die Geschichte. Wir ahnen erst, dann kommt ein Detail, dann noch eins, dann noch eins. Die äußere Geschichte schließt sich, als sie erfahren, dass eine Frau vergewaltigt wurde, ungesühnt, die Gruppe sucht nach Vergeltung.
Zwischen uns und dem Innenleben der Figuren bleibt jedoch eine dünne Eisschicht, durch die wir sehen können, die auch an einigen Stellen knackt, uns aber auf Distanz hält. Es ist nicht so simpel, wie es erscheint.

Bewertung vom 16.02.2022
Inmitten der Nacht
Alam, Rumaan

Inmitten der Nacht


gut

Die Weißen New Yorker:innen Amanda und Clay mieten ein luxoriöses AirBnB auf Long Island. Sehr kontrolliert lassen sie los von ihrem Alltag, kaufen im Supermarkt ausnahmsweise die teuren Cracker, haben ein klein wenig verruchteren Sex, verbringen Zeit mit den Kindern.

Die sich zusammenbrauende unruhige Stille und aufkommende Dunkelheit ignorieren sie, sie machen das Licht an, fühlen sich sicher.

Inmitten der Nacht klingelt es, ein Auto haben sie nicht anfahren hören, es stürmt. Sie zögern, öffnen dann doch die Tür. Ein Schwarzes älteres Paar, Ruth und George stellen sich als die Besitzer vor. In New York sei der Strom ausgefallen und nun seien sie froh, dass sie es bis zum Ferienhaus geschafft hätten. Sie werden eingelassen und ein unscharfes Kammerspiel beginnt. Geld und Erfolg ist die Matrix von George und Ruth, während Amanda und Clay alles richtig machen möchten, ihren rassistischen Vorurteilen aber erliegen.

Ein dumpfer Knall erschüttert die Welt. Bruchstückhaft dringt durch, dass New York und alles entgültig aus den Fugen ist, oder nicht?

Mit den Familien beobachten wir, wie das Unheil diffus Einzug nimmt. Es entblättert sich eine mysteriöse Dystopie, verwirrend, voller Bedrohung und Andeutungen an eine Apokalypse. Die Rehe versammeln sich, schauen stumm, Flamingos okkupieren den Pool, der Vater verschwindet kurz, begegnet einer indigenen Frau, die Tochter ist vom Erdboden verschluckt, der Sohn erkrankt.

Inmitten der Nacht gehört zu den Romanen, in die sich alles und nichts hinein interpretieren lässt, zu offen und wage für meinen wahrscheinlich europäischen Geschmack.

2017 ist es geschrieben worden, vor der Pandemie und hat den Autor in die erste Riege der amerikanischen Gegenwartsliteratur katapultiert. Der große Erfolg erklärt sich auch durch die neue Lesart im Zusammenhang mit Corona. Netflix hat sich die Filmrechte gesichert und beabsichtigt es mit großem Budget zu verfilmen.

Bewertung vom 13.02.2022
Das Leben keiner Frau
Rosales, Caroline

Das Leben keiner Frau


sehr gut

Das Leben Keiner Frau dreht sich um Mel, die es uns schwer macht, Sympathie oder auch nur Mitgefühl zu entwickeln. Wir sind gefangen in ihrer verzweifelten, wütenden und zutiefst pessimistischen Sicht auf ihr Alter, die Männer und Frauen um sie herum. Wir können gar nicht anders, als uns zu ärgern, ihr zu widersprechen und nach anderen Sichtweisen zu suchen. Dabei müssen wir zugeben, dass wir Teile ihrer Sicht und ihrer Ängste auch selbst in uns tragen. Wie schön es wäre, sie einfach abzustreifen.



Mel ist stellvertretende Chefredakteurin im Print, das hat sie sich hart erkämpft. Mel erhungert sich ihre perfekte Figur, sie trinkt, kaum merklich immer mehr. Sie sucht nach Sex und Bestätigung, aber eigentlich möchte sie nur geliebt werden. Ja, so Klischeehaft es klingt, so ist es.

Die Mutter zieht in ein Pflegeheim, wertet Mel ab. Die Tochter, die Mel allein aufzog, ist verheiratet und hat ein Kind, fürchterlich konservativ und bieder empfindet Mel sie.

Mel's Ex bekommt mit seiner neuen jungen Frau ein Kind, das Kind, das er mit Mel nie wollte. Mel ist wütend, bitter, zu sich selbst und allem um sich herum.



Als der Chefredakteur einer Anfang 20jährigen aus dem Nichts eine Kolumne gibt und Mel degradiert, spritzt sie vor Gift. "Das Mädchen" ist ehrgeizig und selbstbewusst, sucht Mel's Nähe. Mel ist sauer, missgünstig, auf eine vordergründig höfliche Art, da kann sich die junge Frau noch so anstrengen.



Der Text ist zugespitzt, die Klischees zahlreich, die Botschaft trotz eines kleinen Ausblicks zutiefst pessimistisch. Ich schwankte zwischen großem Vergnügen an einigen Szenen, Wut auf die Figur, die Autorin, die gefälligst positive weniger Klischee- beladene Figuren entwickeln soll und dem Gedanken, wenn du es doch nur ein wenig anders sehen würdest Mel, dann könntest du zufriedener sein. Du könntest schätzen was du hast, andere lieben, unterstützen, solidarisch sein, nett, mild zu dir und den Anderen sein, dann würdest du weniger bitter, einsam sein und weniger Galle spucken. Ja, dann könnten Frauen solidarischer miteinander sein und gemeinsam mehr erreichen.

Bewertung vom 13.02.2022
Revolver Christi
Albinus, Anna

Revolver Christi


sehr gut

"Ich Begriff, dass ich über ein Jahr lang alles untersucht hatte, ohne das Geringste herauszufinden. Alle Verbindungen, die sich gezeigt, alle Details, die mir bekannt geworden waren, sagten nichts aus über den Revolver und noch weniger über Christus an der Waffe."

Revolver Christi ist eine kompakte sprach-und stilsichere verdichtete Novelle.

Im unterägyptischen Umma Maram existierte bis ins 9.Jahrhundert eine kriegerische christliche Stöhmung, die Gewalt und Schmerz zur höchsten Form der göttlichen Hingabe erkoren.
Revolver Christi ist eine über 900 Jahre alte Waffe, die im Rufe steht ihren Besitzer:innen besonderes Glück zu bringen, um die es mystische Geschichten mit Stigmem, Selbsttötung und Unglück gibt.

1908, 17. Juli 2:15 Uhr, Ausstellung der Reliquie Revolver Christi. Peter Zochen, erschossen. In der Hand des Toten die Botschaft "Verwundet von der Liebe Christi" . Ein Stigma am Sonnengeflecht wird später gefunden. Die Umstände bleiben rätselhaft.

2018, 5. Juli 12:07, Johanna Wächter schießt mit einer baugleichen Waffe den Revolver Christi aus der Vitrine und schweigt. Die Waffe erhielt sie vom Schwiegervater des Kommissars. Johanna lauert ihm auf, macht Andeutungen, spricht in Rätseln, verstirbt, hat ein Stigma. Die Tochter des Kommissars verhält sich eigentümlich, sie erkennt den Revolver Christi aus ihrer Kindheit.

Stefanie taucht auf. Als junge Frau war sie mit radikalen Christen zusammen, wie Margot, die Mutter der Frau des Kommissars, die sich vielleicht das Leben nahm als Kämpferin Christi.

Wie der Kommissar tappte ich bis zum Ende im Dunkeln, dachte, ich verstünde einen Zusammenhang, verlor die Spur und die Gedanken.
Ich vermute theologische und historische Bezüge, die bestimmt Spaß machen zu entdecken. Mir blieb diese Novelle intellektuell verschlossen mit sieben Siegeln.

Der Revolver Christi versprüht bis zum Schluss die Energie und Faszination des Mystischen und Geheimnisvollen, des Unergründlichen.

Bewertung vom 13.02.2022
Im Bauch der Königin
Taha, Karosh

Im Bauch der Königin


ausgezeichnet

Im Bauch der Königin von Karosh Taha ist ein Wenderoman. Es gibt zwei Vorderseiten, zwei Geschichten, die in der Mitte zusammen treffen.

Im Bauch der Königin entblättert sich eine ganze Welt. Es kommt eine Gemeinschaft zum Vorschein, in der die Menschen Gutes und Schlechtes tun, dabei sich und andere verletzen. Sie können nicht anders, sie handeln aus Überlebensdrang, Stolz und Liebe.
Im Epizentrum dieser Welt läuft Shahira, mit roten Lippen, lackierten Fingernägeln, kurzen Röcken und einer Sinnlichkeit, die ihr selbst nicht bewusst zu sein scheint. Sie ist eine "Ungehaltene" alleinstehende Frau, das ist ihr bewusst. Shahira wird von den Frauen gemieden, von den Männern angeschmachtet.

Im Bauch der Königin ist eine Liebeserklärung an die Frauen. Neben Shahira ist da noch Amals Mutter, die ebenso stark wie Shahira ihre Kinder alleine aufzieht. Sie ist eine "Wartende". Auch Raffiq's Mutter steht vor dem Problem, zu einer "Wartenden" oder "Ungehaltenen" zu werden. Die Tochter Amal ist kämpferisch und sucht, Sanye ist fürchterlich erwachsen und vernünftig, Jana, das "Alman-Mädchen" fügt sich der Rolle der asexuellen besten Freundin gut.

Im Bauch der Königin ist eine Liebeserklärung an die Männer. An Väter, die im Irak|Kurdistan wer waren, studiert haben, Architekten sind und in Deutschland Hilfsarbeiten ausführen, die deutsche Sprache gebrochen sprechen. An Männer die zurück wollen, als sich die Chance bietet, Kurdistan aufbauen und auf den Widerstand ihrer Frauen und Kinder stoßen. An Väter, die ihre Familien verlassen und Söhne, die den starken Müttern entwachsen. Younis ist bewunderter Außenseiter, wie seine Mutter Shahira, Raffiq beobachtet, sucht, unterstützt.

Die Rezensionen der Feuilletons irritieren, sie sind voll von "Zwischenwelten" "Zerrissenheit" "Parallelgesellschaft" "zwischen den Kulturen" . Dina Netz von Deutschlandfunk Kultur schreibt gar, dass die Autorin beweisen müsse, über andere Themen und Figuren zu schreiben. Das muss sie ganz und gar nicht. Karosh Taha kann Geschichten erzählen, universelle Geschichten, die Sprache ist poetisch und klar, die Romanform innovativ.

Bewertung vom 12.12.2021
Dein Bücherregal verrät dich
Snider, Grant

Dein Bücherregal verrät dich


ausgezeichnet

Was für ein Schätzchen ist dieses Buch bitte? Ich habe fast die ganze Zeit gelächelt, als ich es durchgeblättert, angeschaut, gelesen habe. Sagt man bei Comics lesen? Es ist ja eine Mischung aus schauen und lesen.

Wenn ihr auf der Suche nach einem Geschenk für Vielleser:innen seid, greift zu diesem.

Ich erkore diesen Buchschatz zu meiner Toilettenlektüre. Klingt dispektierlich, finde ich aber gar nicht dispektierlich. Dort soll es von nun an liegen und mir und wem auch immer in Zukunft Freude machen. Und das macht es, wenn ich nur darauf schaue. Ich liebs.

Wovon anderes soll es handeln, als von Büchern, vom lesen, vom Leben mit den Büchern, vom lesen und schreiben. Natürlich berührten mich nicht alle Geschichten gleich und es gab auch kleine Vergaloppierunfen in Richtung "der Autor und seine Care-arbeitende Ehefrau", verziehen, verziehen, die anderen Geschichten wiegen es auf.

Bewertung vom 28.09.2021
FRAUEN LITERATUR
Seifert, Nicole

FRAUEN LITERATUR


ausgezeichnet

Wie fein und subtil die Diskurse und Praktiken für eine Marginalisierung von Frauen in der Literatur wirken, legt Nicole Seifert in FrauenLiteratur eindringlich und überzeugend dar.

Seifert nähert sich dem Thema durch ihre "kleine persönliche Lesehistorie" an. Auch wenn FrauenLiteratur andere Wege einschlagen wird, dachten meine Mitleserin und ich kurz an Kim Jiyoung, des nüchternen Stiles wegen, der im Kontrast zum Thema steht, der Eindringlichkeit und der bei der Leserin aufkommenden Wiedererkennung und Emotionalität wegen.

Seifert folgt einem stringenten Aufbau, in dem sie Argumente, die ihren Standpunkt falsifizieren oder ignorieren, vorwegnimmt und sich mit ihnen auseinandersetzt.

Sie berichtet über vergessene Autorinnen in der Literaturgeschichte und legt dar, was das mit Kanonisierung zu tun hat. Auch den Themenfeldern und Zuschreibungen von "weiblichem Schreiben" widmet sie ein Kapitel. Typische Abqualifikationen fasst sie treffend mit "banal, kitschig und trivial" zusammen, Bilder, die in uns allen wirken. Bei der Frage, warum Weiße männliche Literatur besser bezahlt, gefördert, mehr verlegt, beworben, besprochen, eingeladen wird und mehr Preise erhält, entgegnet sie detailliert und überzeugend dem Argument, es zähle nur die Qualität.

Es ist logisch und folgerichtig, dass Seifert den Bogen weiter fasst, Rassismus, die Marginalisierung von Schwarzen, nicht westeuropäischen, queeren Stimmen mitdenkt und Raum gibt. Es wäre schön, wenn diese Themen mehr Förderung und Aufmerksamkeit bekäme.

Das Problem, was in Frauenliteratur beschrieben wird, trifft dieses Buch in besonderem Maße, müsste es doch von Weißen Männern gelesen werden bzw. von all jenen Menschen, die sich mit der Materie nicht viel beschäftigen. Doch ich befürchte, diese werden weiterhin nicht zu diesem Buch greifen, heißt es doch FrauenLiteratur. Ein Teufelskreis.

Daher erscheint es mir fast wichtiger, was Nicole Seifert rund um das Buch tut, Interviews geben, sich den Argumenten und Fragen stellen, die sie im Buch bereits vorweg genommen hat. Danke Nicole Seifert für die klaren und eindringlichen Worte und noch mehr dafür, dass du sie in Interviews und Artikeln in die Welt trägst.