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Zauberberggast
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München

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Insgesamt 164 Bewertungen
Bewertung vom 20.08.2019
Tagebuch eines Buchhändlers
Bythell, Shaun

Tagebuch eines Buchhändlers


sehr gut

Shaun Bythell betreibt seit 2001 eine der größten antiquarischen Buchhandlungen auf dem britischen Festland. Zu dieser kam er wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: der alte Antiquar stand kurz vor der Rente und Bythell, auf Sinn- und Berufssuche in seinem Heimatstädtchen Wigtown im schottischen Landstrich Galloway, wollte bei ihm ein Buch kaufen. Er kaufte allerdings gleich den ganzen "Bookshop". Der Rest gehört zur Legendenbildung, denn mittlerweile ist die Buchhandlung und auch Inhaber Shaun Bythell sowie seine amerikanische Freundin Anna, die etwas exzentrische Angestellte Nancy und der immer dicker werdende Kater Captain überregional bekannt. Buchliebhaber aus aller Welt besuchen Wigtown, das immer mehr Büchermenschen und Kunstschaffende anzog und mittlerweile zur "Book Town" avanciert ist, in der mehrere - vor allem antiquarische Buchhandlungen - ansässig sind.

In "Tagebuch eines Buchhändlers" beschreibt Bythell nun seinen Alltag im Jahr 2014, wobei er am Anfang und Ende jedes Eintrags nicht wie die fiktive Bridget Jones gerauchte Zigaretten und gegessene Süßigkeiten aufzählt, sondern die übers Internet bestellten und im Laden gefundenen Bücher (die Zahl ist nicht immer deckungsgleich) sowie die Anzahl der Kunden (die meisten Kunden kaufen nichts) und die Tageseinnahmen.
Dann gibt er Anekdoten aus seinem Leben zum Besten, nicht immer aber meistens haben sie mit seinem Leben als Buchhändler zu tun.
Ob es die skurrilen, unverschämten oder einfach nur nervigen Kunden sind (ein paar wenige sind auch nett) oder die Dinge, die seinen Job eigentlich ausmachen, wie das Ankaufen von Büchern, u.a. aus Nachlässen (die er meist erst sichten, dann abholen und lagern muss) sowie der täglichen Auseinandersetzung mit dem Internet und seiner Preispolitik, etc.: das alles trägt zur Entzauberung seines Berufsstands bei. Welcher bibliophile Leser hat nicht schon einmal davon geträumt, eine Buchhandlung zu besitzen oder zumindest in einer zu arbeiten? Bythell zumindest empfiehlt allen, die das vorhaben, erst einmal gründlich darüber nachzudenken, bevor sie diesen Schritt gehen und die Memoiren von (ehemaligen) Buchhändlern zu lesen.

Mir hat das sehr gut gefallen und ich habe mich durchaus - bis auf eine Längen - unterhalten gefühlt. Man darf nicht vergessen, es ist ein Tagebuch und vieles wiederholt sich auf die ein oder andere Weise. Schön ist, dass man viel über Schottland lernt, das Land und seine Leute sowie seine Kultur.
Man weiß natürlich als Leser nicht, wie viel Fiktion in diesem Tagebuch steckt und ob es wirklich 1:1 die Lebensrealität Bythells dokumentiert.
Ob Shaun Bythell wirklich zum Typus des griesgrämigen Buchhändlers wie Dylan Moran in der satirischen Serie "Black Books", die er zu Anfangs erwähnt, gehört? Zumindest vermag er es uns dies erfolgreich vorzugaukeln - und das ist recht amüsant!

Bewertung vom 15.08.2019
Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
Turton, Stuart

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle


ausgezeichnet

Goethe hat einmal gesagt: "Alles Gescheite ist schon gedacht worden. Man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken."
Diesen Satz hat sich Stuart Turton mit "Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle" wohl indirekt zu Herzen genommen, indem er literarische Genres und Motive neu gedacht, zusammengewürfelt und etwas originär Neues geschaffen hat, was an Komplexität und Imaginationskraft seinesgleichen sucht.

Die Einflüsse und literarischen Vorlagen, die der Autor verarbeitet, sind zahlreich.
Zum einen Agatha Christie. Turton sagt im Nachwort, dass sie sein Vorbild war. Christie hat den englischen Kriminalroman als "Whodunit" (Wer ist es gewesen?) gleichsam erfunden und perfektioniert, es gibt wohl kaum eine Motiv-Mörder-Kombination die sie nicht beschrieben hat. Nicht immer aber sehr häufig ist der Schauplatz ihrer Krimis ein typisch englisches Herrenhaus, also der Landsitz eines Mitglieds der britischen Oberschicht bzw. des (Land-)Adels. Wo sonst kann man so wunderbar Angehörige der verschiedensten gesellschaftlichen Schichten an einem Ort zusammenführen (“Upstairs and Downstairs” ist das Stichwort) - vor allem dann, wenn eine Party gegeben wird. Hier ist es der Landsitz der Familie Hardcastle, Blackheath Hall.
Auch Turtons Personalkarussell gibt von der verarmten Adelsfamilie, über den Wildhüter (ich erinnere nur an den seinerzeit skandalösen Bestseller “Lady Chatterley’s Lover”), den Künstler, die Vermögensverwalter und Anwälte und den obligatorischen Polizisten bis hin zu alten Freunden und natürlich dem restlichen Hauspersonal alles her, was der Liebhaber solcher Christie-Settings (dazu zähle ich mich auch) kennt und erwartet.

Ist das Landhaus schon etwas verfallen, ist das die perfekte Brutstätte für allerlei dunkle Geheimnisse in der Tradition des englischen Schauerromans ("Gothic novel"). Auch das greift Stuart Turton mit dem degenerierten Herrenhaus, das bezeichnenderweise "Blackheath" (Emily Brontës Heathcliff lässt grüßen) heißt, auf: die Zeichen des Verfalls wurden für die Party nur notdürftig renoviert, hinter der aufgeputzten Fassade fällt alles auseinander, denn - die Hardcastles haben kaum noch Geld. Eigentlich wohnen sie auch nicht mehr auf Blackheath, ein morbider Jahrestag ist der Anlass, weshalb Lord und Lady Hardcastle zum Maskenball laden. Somit ist der heimliche und doch so offensichtliche Protagonist dieses Buches das unheimliche, verlassene und verschachtelte Herrenhaus sowie seine (Jagd-)Gründe - der Ursprung allen Übels.

Wer aber jetzt einen etwas gruseligen, aber unblutigen "Cosy Krimi" erwartet, bei dem viel Tee im Salon getrunken und wie nebenbei ein Mord gelöst wird - weit gefehlt! Dieses verschachtelte Werk hat mehr mit einem Psychothriller gemeinsam, als man auf den ersten Blick denkt und es gibt explizite Gewaltszenen. Psychoterror, dunkle Geheimnisse, Angst und Schuld bilden ein Geflecht seelischer Abgründe, zwischen denen sich der Plot bewegt.

Turton stellt in diesem meisterhaften Buch auch philosophische Menschheitsfragen - sind wir determiniert oder frei, machen wir uns unser Gefängnis selbst, was passiert mit unserer Seele, etc.

Ich denke, dieser Roman polarisiert - für mich funktioniert er, auch wenn ich ihn mir persönlich weniger blutig und düster gewünscht hätte. Dennoch ist die literarische Qualität dieses Romans unbestritten!

Bewertung vom 08.08.2019
Der Gesang der Flusskrebse
Owens, Delia

Der Gesang der Flusskrebse


ausgezeichnet

In ihrem Debütroman befördert Delia Owens den Leser nicht nur in die Vergangenheit (die 1950er bzw -60er Jahre), sondern auch in eine geo-topografische Zone, die den meisten fremd sein dürfte: das Marschland an der Küste North Carolinas - wo Land und Meer ineinander übergehen, dort spielt sich Kyas Geschichte ab.

Auf den ersten Blick ist das Buch rau wie die Naturgewalten. Es beginnt mit dem Auffinden einer Leiche im Prolog und dem harten Alltag des Mädchens Kya in den Sümpfen, die bereits mit sieben Jahren zur Eremitin und absoluten Außenseiterin wird. Verlassen von Mutter und Geschwistern, der Willkür des gewalttätigen Vaters ausgeliefert, als "Sumpfgesindel" von den Dorfbewohnern abgestempelt - eine "Nell" 2.0 gewissermaßen. Man hat als Leser pures Mitleid mit der zunächst Siebenjährigen.

Im Kontrast zur Handlung steht allerdings von Anfang ab die poetische Prosa bzw. der unglaublich zarte, vorsichtig-zurückhaltende Erzählton, vor allem in den malerischen Naturbeschreibungen. Dieser Ton scheint die Geschichte wie ein Rettungsnetz zu überlagern, um sie gleichsam davor zu schützen in den Verdacht zu geraten, ein banaler Justizkrimi mit Lokalkolorit und einer vom Südstaaten-Slang der Figuren geprägten Dialoge zu sein.

Nein, ein einfacher Whodunit-Krimi ist es nicht, der hier auf zwei Zeitebenen - ab 1952 (Kyas Kindheit und Heranwachsen) und 1969 (nach dem Mord, später gibt es noch einen Ausblick in die Zukunft) - erzählt wird, es gibt zunächst kaum offensichtliche Spannungselemente, der Mord spielt erstmal eine Nebenrolle.

Ganz langsam baut sich diese Coming-of-Age-Geschichte auf, in der wir erfahren wie das "arme", isolierte Mädchen Kya und der "reiche", privilegierte Junge Chase zu Opfern (und/oder Tätern) wurden - jede/r auf seine bzw ihre Art. Hier wird mit dem alten literarischen Antagonismus männliches versus weibliches Prinzip gespielt, schon bei Goethe ein beliebtes literarisches Motiv und aktueller denn je. Kya (deren eigentlicher Name Catherine Danielle Clark lautet) steht für die ewig weibliche "Mutter" Natur, das Ursprünglich-Echte, wohingegen der Mann Chase Andrews für die entfremdete Kultur der modernen Welt steht, den Menschen in seiner von der Natur abgewandten Differenziertheit, der aber im tiefsten Inneren, so interpretiert es die Naturforscherin Kya, seinen tierischen Trieben folgt (Frauen sind für ihn Trophäen, er jagt um des Jagens willen, den Frauen und auch dem Glück hinterher). Diese Diskrepanz führt dazu, dass er Kya gleichsam anzieht und gleichzeitig aufgrund ihrer Außenseiterposition in der Gesellschaft, abstößt.
Kya hingegen geht völlig in der Natur auf, sie ist eins mit ihr. Alle Versuche, ihr die erzwungene Kultur der sich von allem Natürlichen entfremdeten Gesellschaft, in der Frauen unpraktische Kleidung und Stöckelschuhe tragen, aufzudrücken, schlagen fehl. Vorurteile, Rassentrennung, der schnöde Mammon, bigotte Religion, Unechtheit (die Natur ist dort eine Fake-Natur aus Farbe und Plastik, nur eine Chimäre und wird, wo es geht, zurückgedrängt um gleichförmige Häuser zu bauen) prägen diese moderne, ach so kultivierte Welt, in der Kya nicht sein möchte und mit der sie doch immer wieder auf negative Weise konfrontiert wird, mit der sie sich auseinandersetzen muss und von der sie teilweise auch angezogen wird. Kya sieht die menschliche Gesellschaft zunehmend mit der Brille der Naturforscherin und weiß, dass alles künstliche Verhalten die eigentlich natürlichen Instinkte und Triebe des Tieres Mensch nur übertünchen und nicht ausrotten kann.

Dann ist da noch Tate, der Dritte im Bunde, der die Dreiecksbeziehung komplettiert. Er verkörpert die positiven Seiten der Kultur, allen voran Bildung und Wissen. Tate verhilft Kya zu sich selbst zu finden, zu Autonomie und Emanzipation. Er ist der Geradlinige, der Gute, doch auch er ist zunächst ganz modern zerrissen zwischen Gefühl und Verstand und den Möglichkeiten, die sich ihm bieten, seine Rolle als (gebildeter) Mann in einer von Männern do

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Bewertung vom 08.08.2019
Letzte Rettung: Paris
deWitt, Patrick

Letzte Rettung: Paris


gut

Die Idee für diesen satirischen Roman ist an sich brilliant und klingt nach einer, aus der der große dramatische Gesellschaftskritiker Oscar Wilde vielleicht ein wundervoll komisches Schauspiel gemacht hätte (man bedenke: für ihn gab es auch einen "French Exit" - im wahrsten Sinne des Wortes - 1900 in Paris). Auch könnte ich mir gut vorstellen, dass der Plot als Basis für einen Woody Allen-Film herhalten könnte: 2 reiche, neurotische New Yorker Exzentriker, plötzlich arm im guten alten Paris!

Die Handlung ist folgende: Die Exzentriker Frances und Malcolm haben seit 20 Jahren wie die Maden im Speck vom unmoralisch erworbenen Vermögen des Staranwalts Franklin Price (Ehemann bzw. Vater von Frances und Malcolm) in Manhattan gelebt. Nun ist das Erbe aufgebraucht und das Mutter-Sohn-Gespann zieht mit der Katze "Klein Frank" (der, wie sie glauben, Reinkarnation von Franklin Price) nach Paris in die Zweitwohnung von Frances' bester Freundin Joan. Dort geben sich Malcolm und seine Mutter in die Gesellschaft eines Panoptikums von Zeitgenossen, die ebenfalls nicht ganz "normal" sind.

Die Stärken des Romans liegen in der Charakterisierung der Figuren.
Mit Frances Price (65 Jahre und früher wunderschön) hat der Autor eine narzisstische Hauptfigur geschaffen, die der Leser "liebt zu hassen". Sie kann nur durch gesellschaftliche Anerkennung und/oder Ablehnung existieren - Hauptsache sie ist Gesprächsthema der High Society. Ihre Verschwendungssucht und Dekadenz sind abstoßend und unverständlich. Im Grunde ihres Seins ist sie eine gefallene, einsame Frau, der aus ihren Glanzzeiten nur noch ihre spitze Zunge geblieben ist.
Ihr unselbständiger 32-jähriger Nesthocker-Sohn Malcolm ist ein nerdiger Einzelgänger, der sich von seiner Mutter behandeln lässt, als wäre er keine eigenständige Person, sondern ein Körperteil von ihr. Er ist gesellschaftlich eher inkompetent, der "gesunde Menschenverstand" geht ihm völlig ab. Malcolm hat zudem einen Hang zu merkwürdigen stereotypen Verhaltensweisen (wie Kleptomanie und Voyeurismus) und versteht Ironie nur bedingt (erkennbar z.B in den Gesprächen mit seiner Verlobten - aha! - Susan).

Die Schwächen des Buches sind sicher die Handlungsarmut und überwiegende Humorlosigkeit der satirischen Darstellung. Einzig manche Aussagen und Handlungen von Frances konnten mir ein müdes Lächeln entlocken. Dennoch muss Humor, der der Satire ja inhärent ist, sei er auch noch so schwarz, immer das Lachen zum Ziel haben. Hier funktioniert das leider nicht bzw. nicht für mich.
Der Roman hat auch einige Längen, zum Beispiel hätte man auf die ausführliche Darstellung der Überfahrt unserer Protagonisten auf einem Kreuzfahrtschiff und auf so einige andere redundante Szenen getrost verzichten können.
Für meinen Geschmack driftet das Buch auch zu oft ins Morbide (Frances' Liegenlassen des Leichnams ihres Mannes, die Szene von Malcolm mit dem Bordarzt, der tote Vogel im Park, etc.) sowie ins Groteske (z.B. was Mme Reynard im Tiefkühlfach hat, Gewaltexzess im Park, die Dreiecksbeziehung Malcolm-Susan-Tom) ab.

Der übersetzte Titel "Letzte Rettung: Paris" ist meines Erachtens irreführend und lässt den Roman humorvoller erscheinen, als er eigentlich ist. Das originale "French Exit" hätte besser beibehalten werden sollen, zumal die Themen letzter Akt, Coda, Exit, letzte (Lebens-)Station, Nihilismus, Reinkarnation, Suizid und der Tod in all seinen Spielarten ("Nicht Sterben in Frankreich.") oft thematisiert werden.

Der Roman lässt mich etwas ratlos und deprimiert zurück - erkenne ich die Genialität des Geschriebenen nicht oder ist es einfach nur ein dekadentes, selbstgefälliges Buch, das gar nicht gefallen will?