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Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 263 Bewertungen
Bewertung vom 22.08.2019
Licht und Schatten
Drvenkar, Zoran

Licht und Schatten


ausgezeichnet

REISE IN DIE EWIGKEIT
Das ist erneut ein Buch, das noch lange in mir nachwirken wird. Ich musste erst einmal in Ruhe verarbeiten, was ich gelesen habe. Da gab es über 579 Seiten eine Flut an kreativen Ideen, die wiederum eine Fülle von Bildern in meinen Kopf entstehen ließen und meine Phantasie anheizten. Nun will ich versuchen in einer Rezension meine Eindrücke in Worte zu fassen.
Zur Handlung
Im Winter 1704 wird Vida, ein Mädchen mit besonderer Bestimmung, in einem kleinen russischen Dörfchen geboren. Sie soll das Licht zurückbringen, das Dunkle verdrängen und die Wahrheit finden. Sie ist die Hoffnung der Welt, nachdem das Böse, das Negative, die Schatten immer mächtiger werden. Nicht nur der widerwärtige Wächter will die positive Macht von Vida verhindern. Das Mädchen wächst zunächst versteckt und behütet auf, bis ihr Geheimnis irrtümlich vor der Zeit enthüllt wird. Der Vater Solomon und die drei wunderbaren Tanten vervollkommnen ihre Fähig- und Fertigkeiten in vielen Bereichen, bereiten sie auf die große Aufgabe vor. Vor der Zeit, bereits mit 13 Jahren bricht sie auf, um ihrer Berufung gerecht zu werden. Selbstbewusst und ohne Furcht tritt sie sogar dem Tod entgegen...
Meine Eindrücke
Recht schnell hat mich die zarte, anmutige, feinsinnige, romantische Atmosphäre der Geschichte gefangen genommen, die sehr oft und urplötzlich ins Entgegengesetzte, Grausame, Furchtbare umschlug. Zoran Drvenkar entführt mit unfaßbaren, kreativen Ideenreichtum scheinbar ins Russland Anfang des 18. Jahrhunderts. Doch auf der anderen Seite sind da durch die dreiundzwanzig Mütter ganz große Themen präsent: die Entstehung der Welt, unsere Erde in ihren frühen Zeiten vor Millionen Jahren, fremde Länder in fernen Zeiten mit unzähligen Eindrücken und philosophischen Erkenntnissen. U. a. fand ich die Erklärung, wie die negativen Eigenschaften entstanden sind, irgendwie herrlich naiv. Mit seinem eigenwilligen, detailreichen Erzählstil zeichnet Drvenkar ein absolut lebendiges Bild in einer märchenhaften, phantasiebeladenen Umgebung mit den sprechenden Tieren und den Horrorgestalten. Es vermittelt tiefgründige Botschaften, ab und zu mit Metaphern durchsetzt, die mich nachdenken ließen.
Die Bemerkungen, Weisheiten von Vidas Tanten, ihres Vaters, von einigen anderen Figuren sowie ihre eigenen Gedanken sind kursiv geschrieben und heben sich damit vom übrigen Text ab. Ich habe recht viele Textstellen in meine Zitatensammlung übernommen.

Das Cover empfinde ich als düster und geheimnisvoll. Es ist entstanden nach einem Werk von Pieter Bruegel, dem Älteren. Hier sehe ich viele Ansatzpunkte zum Werk von Zoran Drvenkar. Wer einmal die Gelegenheit hatte, wie ich die Bilder Bruegels in Ruhe auf sich wirken zu lassen, erkennt darin viele Bezüge zu dieser Geschichte. Die phantasievolle, mysteriöse Bilderwelt des bedeutenden flämischen Malers und Zeichners Pieter Bruegel d. Ä. (1525/30–1569) mit den grotesken Spuk- und Höllenszenen, den satirischen Allegorien paßte für mich.

Fazit:
Was ist dieses Buch? Märchen, Grusel, Mythos, Horror, Phantasie? Von allem etwas und mehr! In allererster Linie las ich eine anspruchsvolle Geschichte mit großartigen und auch kapriziösen Ideen, ein märchenhaftes Epos über Ende und Neuanfang, über Gut und Böse, über Ewigkeit und Endlichkeit, Licht und Schatten... eine Geschichte über das Gegensätzliche in der Welt.

Für mich ist es ein Lesehighlight und damit vergebe ich die Höchstbewertung und meine unbedingte Lese- und Kaufempfehlung! (Vielleicht nicht unbedingt für 14jährige geeignet!)

Bewertung vom 02.08.2019
Jagd auf die Bestie / Detective Robert Hunter Bd.10
Carter, Chris

Jagd auf die Bestie / Detective Robert Hunter Bd.10


ausgezeichnet

WAHRHAFT KALTBLÜTIG
Auch in Band 10 ist Hochspannung und Nervenkitzel von Anfang an garantiert! Nichts für Zartbesaitete, nur für Thrillerfans, die brutale, blutige Szenen aushalten können!

Nachdem ich als erstes Buch von Chris Carter den 9. Fall des erfolgreichen Polizistenduos Robert Hunter und Carlos Garcia, „Blutrausch“ gelesen habe, war ich total überzeugt davon, auch den nächsten Fall unbedingt lesen zu wollen. Zumal „Blutrausch“ mit einem Cliffhanger endete. Lucien Folter, ein äußerst gefährlicher und dazu hochintelligenter Verbrecher war aus einem Hochsicherheitsgefängnis ausgebrochen und hinterließ eine blutige Spur. Für Robert Hunter beginnt die Jagd auf einen teuflischen Mörder, der sich überlegen fühlt in jeder Hinsicht. Sie kennen sich aus der gemeinsamen Studienzeit, waren befreundet. Doch nun ist Folter auf Rache aus und beginnt ein kaltblütiges Katz- und Maus-Spiel bei dem in kürzester Zeit viele Menschen auf grausame Weise ihr Leben lassen müssen. Hunter und die gesamte polizeiliche Elite wird aufgeboten und muss dennoch über weite Strecken dem erbarmungslosen, bestialischen Treiben des Killers hilflos zuschauen bzw. sie kommen um wenige Sekunden zu spät.
Der Spannungsbogen ist weit gespannt und wird geschickt über die gesamte Story gehalten. Ich fühlte mich außerordentlich gut unterhalten. Die 110 Kapitel sind ausnahmslos kurz und ich folgte voller Ungeduld der Story, die ab und an den direkten Handlungsstrang zum Täter unterbrach und damit die Spannung für mich erhöhte. Durch die Erzählweise ist der Leser immer dicht am Geschehen dran und teilweise gegenüber Hunter und den Ermittlern im Vorteil.
Die Protagonisten Hunter und Garcia empfinde ich wie schon im Vorgängerband als sehr sympathische, logisch agierende Ermittler die auch im Team arbeiten können und sich mit innovativen Vorschlägen und Gedanken einbringen. Sie sind keine schießwütigen Cops. Hier in dem Fall allerdings ist Robert Hunter so gut wie auf sich allein gestellt gegen Lucien Folter, der rational, gewollt und ohne geringste Emotionen seine verschiedenen Mordpläne zu „Forschungszwecken“ durchzieht. Der Autor schreibt spannend bis zur letzten Zeile in einem angenehmen, temporeichen Schreibstil, der allerdings manchmal wundersame Blüten treibt.

S. 138 „ohrenbetäubendes Schweigen“
S. 282 „Charisma eines Bibliotheksausweises“

Ganz sicher werde ich noch mehr von ihm lesen! Vor allem Band 6 „Die stille Bestie“. Chris Carter selbst merkt im Anschluß des Buches an, dass „Die Jagd auf die Bestie“ eine Fortsetzung ist, die man aber unabhängig voneinander lesen kann.
Ich bin sehr neugierig, wie er sich selbst noch übertreffen will. Obwohl er Kriminalpsychologe ist, müssen ihm doch die besonderen Ideen für die menschlichen Abgründe mal ausgehen?! Na ja, hoffentlich nicht!!!!!

Fazit:
Ein packend erzählter Thriller mit einem explosiven (im wahrsten Sinne des Wortes) Ende, das mich auf eine baldige Fortsetzung hoffen läßt.

Von mir gibt es die höchste Bewertung und die unbedingte Kauf- und Leseempfehlung!

Bewertung vom 22.07.2019
Jenseits von schwarz
Flebbe, Lucie

Jenseits von schwarz


ausgezeichnet

HAARSTRÄUBENDE VERHÄLTNISSE IN EINER SUCHTKLINIK
Nachdem ich im März den ersten Teil der Trilogie „Jenseits von Wut“ mit Begeisterung gelesen habe, folgte nun mit "Jenseits von schwarz" der zweite Band.
Inhalt (übernommen)
Joseph Rheinhart alias „Zombie“ hat der Tod seiner Schwester aus der Bahn geworfen. Als er doch mal wieder eine Schicht als Securitymann vor einer Suchtklinik schiebt, wird er überfallen und niedergeschlagen. Allerdings fragt sich: Warum? Nichts wird gestohlen, niemand sonst kommt zu Schaden.
Am nächsten Abend wird Zombie an selber Stelle von zwei bewaffneten Männern angegriffen und tötet sie in Notwehr – behauptet er jedenfalls.
Teilzeitpolizistin Edith „Eddie“ Beelitz glaubt dem Vater der besten Freundin ihrer kleinen Tochter Lotti, dass er keine Wahl hatte, und hilft ihm unterzutauchen. Zombie versteckt sich ausgerechnet in der Suchtklinik – und Eddie riskiert nicht nur ihren Job …

Ich befand mich sofort wieder mittendrin in der Geschichte. Die Protagonisten waren mir erneut direkt vertraut durch ihre realistische, dem Leben abgeschaute Charakterisierung. Die bekannten Figuren aus Teil 1 wie Mütze, Flo, Zombie, Adrian werden so eingeführt, dass man meiner Meinung nach auch ohne Vorkenntnisse gut ins Geschehen finden kann.
Die Bochumer Polizistin Eddie Beelitz agiert von Beginn an wie gewohnt natürlich, mit ein wenig verzweifeltem Pragmatismus versehen, in der kriminalistischen Arbeit intuitiv mit normalem Menschenverstand, aber eben auch zuweilen impulsiv, ohne nachzudenken.
Die Hauptpersonen haben samt und sonders ihren eigenen ganz besonderen Charme und sind vielschichtig, sehr facettenreich angelegt. Da ist zum Beispiel der problematische, zu heftigen Aggressionen neigende Joseph (Jo) Rheinhart, genannt Zombie. Vor ihm und seinen ekelhaft abschreckenden, respekteinflößenden Tätowierungen hatte Eddie im ersten Band regelrechte Furcht. Ihr war dieser Mensch nicht geheuer. Im Verlauf der Geschichte ändert sich das Verhältnis der Beiden zueinander. Auch das ist beachtlich, wie die Autorin die Annäherung in Worte umzusetzen weiß. Wunderschön zu lesen, mit so viel Feingefühl! Bei ihr gibt es keine Schwarz-Weiß-Malerei! Für mich war alles nachvollziehbar, lebensecht.
Autorin Lucie Flebbe bleibt der Erzählform der Ich-Perspektive treu. Wiederum wechseln die Sichtweisen zwischen Lucie und Zombie in kurzen, übersichtlichen Kapiteln, die mich beim Lesen immer weitertrieben. Das ging mir schon bei „Jenseits von Wut“ so.
Der Autorin gelingt es sowohl negativ als auch positiv erscheinende Charaktere glaubwürdig agieren zu lassen. Ich wiederhole mich gern, weil ich das so außergewöhnlich gut fand. Besonders gefallen mir noch Mütze und ebenso die Oma von Eddie.
Das Ende konnte mich überraschen. Der Mörder und die Drahtzieher werden überführt und wiederum sieht Adrian, der Vorgesetzte von Eddie ziemlich alt aus. Da bin ich nun auf die abschließende Fortsetzung gespannt. Ich glaube Überraschungen sind auch da wieder vorprogrammiert.

Fazit:
Sehr schön erzählt bis zum Ende. Sehr gute Unterhaltung, wie schon Band 1. Freue mich nun auf den dritten Teil. Schade, dass dann Schluss ist!?
Der Krimi wurde einfühlsam, anteilnehmend, humorvoll, aber auch mit Gesellschaftskritik versehen (u.a. die miserablen Verhältnisse in der Suchtklinik) geschrieben. Hervorragende Recherche!

Ich vergebe sehr gern meine Lese-/Kaufempfehlung mit fünf von fünf wohlverdienten Sternen!

Bewertung vom 21.07.2019
R.I.P. / Kommissar Huldar Bd.3
Sigurdardóttir, Yrsa

R.I.P. / Kommissar Huldar Bd.3


ausgezeichnet

MÖRDERISCHE RACHE
Nach DNA und SOG hier nun der dritte Fall für Huldar und Freya. Auch dieses Mal besteht der Buchtitel nur aus drei Buchstaben. R.I.P. - Ruhe in Frieden (lat. Requiescat in pace, abgekürzt R.I.P.) ist eine häufig verwendete Grabinschrift. Die Bedeutung war mir allerdings für diese Geschichte nicht passend. Der Originaltitel lautet „Aflausn“, was Absolution bedeutet. Das finde ich besser.
Dieser Thriller von Yrsa Sigurdardóttir widmet sich einem besonderen Thema des Verbrechens, dessen Folgen eher psychischer, quälender Natur sind und selten tödlich enden.

Es beginnt ganz harmlos an einem schönen Ort, in einem Kino nach der Vorstellung. Das junge Mädchen Stella ist mit Aufräumarbeiten beschäftigt als ihr Leben brutal und jäh endet. Per Snapchat versendet der skrupellose Mörder die verstörenden Bilder an ihre Freundinnen. Von Stella indes keine Spur! Kurz darauf verschwindet der 15jährige Egill aus seinem Elternhaus. Die Anzeichen deuten auf eine Entführung hin. Wo ist der Zusammenhang zu Stella? Kann der Junge noch gerettet werden vor dem anscheinend irren Killer? Wie in den vorangegangenen Bänden werden Huldar, sein Team und Freya als Psychologin den Dingen auf den Grund gehen...

Ich habe schnell wieder Zugang zu den Protagonisten gefunden. Es sind nicht nur die speziellen, außergewöhnlichen Verbrechen, die eine große Rolle bei der Autorin spielen. Die Personen haben auch ein privates Leben. Huldar ist ein attraktiver Mann, der sich trotzdem beim weiblichen Geschlecht recht ungeschickt anstellt. Nicht nur bei seiner Vorgesetzten Erla, auch bei Freya ist er in Ungnade gefallen. Wieviele Zeilen, Sätze, Seiten werden da noch zu lesen sein, bis endlich klare Entscheidungen fallen? Mir ist das Rumgeeiere mittlerweile stellenweise echt zuviel. Es wurde für meinen Geschmack inzwischen zäh. Das mag gehen, wenn man z. B. nur einen Band liest. Das zieht sich aber nun schon von Anfang so hin und das bei erwachsenen, gestandenen Menschen! Bei Freya scheint mittlerweile zumindest in ihrem Lebensstil, in ihrer Zukunftsplanung ein Umdenken stattzufinden.
Die Ermittlungen führen trotz Unstimmigkeiten, vielen kleinen und auch größeren Kontroversen im Team schließlich zum Erfolg. Die vollständige Auflösung des diffizilen Falles gelingt, die Taten werden schlüssig aufgeklärt. Ich wurde allerdings auf eine falsche Fährte gelenkt, dachte lange Zeit in die verkehrte Richtung. Die gesamte Handlung wurde sehr geschickt aufgebaut. Alle Personen, teilweise mit schwierigen, isländischen Namen, die mich manchmal verwirrten, werden nachvollziehbar durch das Geschehen geführt. Bei mir blieben zum Ende keine Fragen offen.

Fazit:
Der dritte Teil der Serie ist ein Thriller auf solidem Fundament mit einem ernsthaften Thema, das unter Jugendlichen durch die Social Medias immer mehr zu einer Gefahr wird. In R.I.P. führt es zu äußerst brutalen Morden. Dabei verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart zu einem diabolischen Geflecht.
Ich wurde trotz der einschränkenden Bemerkungen gut unterhalten. Fünf von fünf Sternen!

Bewertung vom 11.07.2019
Küstenstill / Kommissare Hardy Finkel und Greta Silber Bd.1
Haller, Elias

Küstenstill / Kommissare Hardy Finkel und Greta Silber Bd.1


ausgezeichnet

BLUTIGE SPUR ENTLANG DER OSTSEEKÜSTE
Hardy Finkel gibt seinen Job beim BKA Wiesbaden auf und zieht nach 20 Jahren der Liebe wegen wieder in die heimatliche Ostseeküstenregion. Gleich am ersten Tag bei der Kriminalpolizeiinspektion Anklam wird er mit einem grausamen Mord konfroniert. Das Foto einer abscheulich zugerichteten Frauenleiche erschien zusammen mit einer mysteriösen Mitteilung auf Instagram. Gemeinsam mit Kriminalhauptkommissarin Greta Silber soll er nun in diesem Fall ermitteln. Kurz darauf wird eine zweite Tote gefunden, ebenso mißhandelt wie die vorher Aufgefundene mit den gleichen Merkmalen, nach dem gleichen Muster. Ist ein Serienkiller am Werk? Zudem holen Hardy die Dämonen seiner Vergangenheit ein. Er wird mit Dingen konfrontiert, die er als vergessen glaubte...

Wo soll ich mit der Laudatio auf diesen Thriller beginnen? Mir gefiel das Gesamtpaket, Cover und Titel eingeschlossen. Von Anfang an gibt es Gänsehautmomente. Ich wurde sofort in das Geschehen hineingezogen und ich hätte am liebsten in einem Zug das Buch durchgelesen. Die Personen sind bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend dargestellt und mit Eigenschaften der verschiedensten Couleur versehen, wie im richtigen Leben. Ich konnte keine Schwarz-Weiß-Malerei entdecken. Die Charaktere sind anschaulich und nachvollziehbar dargestellt, wobei das nicht heißen soll, dass ich die Handlungsweisen der Personen immer verstehen kann. Es gibt schlimme, ja auch richtig fiese Typen. Sehr gut gefiel mir die Darstellung des kleine Benjamin, den der Autor mit einem bezaubernden Sprachfehler versieht.

Hardy Finkel und Greta Silber, so heißen die Ermittler, werden ohne persönliche Kennenlernphase mit dem komplizierten Fall betraut. Ihre Zusammenarbeit funktioniert vom ersten Augenblick an reibungslos bis auf kleine unbedeutende Zeckeleien.

Es sind unwahrscheinlich viele Hinweise, Andeutungen, Anspielungen bis hin zu den privaten Problemen der Protagonisten in der Handlung zu finden. Ich habe bis zuletzt meilenweit danebengelegen mit meinen Vermutungen wer hinter den grausamen Morden steckt.

Der Täter handelt äußerst kaltblütig, emotionslos nach einem Motiv der sieben Todsünden, dem Neid. Mit Puzzleteilchen, die bei jeder Leiche und an anderen Orten zu finden sind werden Anhaltspunkte für die Ursache der Taten geliefert. Für die Ermittler schwer bis unmöglich zu durchschauen, obwohl Hardy und Greta bei den Opfern nicht nur nach Gemeinsamkeiten suchen, sondern sich auch für die Unterschiede interessieren.

Alles in allem ist die gesamte Geschichte sehr durchdacht mit für mich überraschenden Wendungen, überaus trick-, einfalls- und detailreich. Ich war mehr als einmal fassungslos über die abgebrühte Brutalität und im nachhinein über das außerordentliche, schauspielerische Talent mit dem vorgegangen wurde. Was für ein durch und durch krankhafter Mensch sich dahinter verbarg! Im übertragenen Sinn blieb mir die Spucke weg und mein Atem stand still.

„Küstenstill" enttäuschte mich an keiner Stelle. Es ist ein Thriller, der mich über alle Maßen überzeugte und mich ausgezeichnet unterhalten hat. Weiter so, Elias Haller, ich bin begeistert! Ich freue mich schon auf eine Fortsetzung mit dem feinsinnigen, sensiblen, mit einer guten Kombinations- und Beobachtungsgabe ausgestatteten Hardy und der taffen Greta, die mit ihren Stärken noch etwas im Hintergrund blieb.

Elias Haller spricht mit seinen Werken für sich, macht mit seinen Büchern Furore und braucht den Vergleich mit der Konkurrenz aus dem In- und Ausland nicht zu scheuen.



Selbstverständlich vergebe ich für diesen Thriller hochverdiente fünf bzw. sieben (buch7) Sterne und meine unbedingte Empfehlung für alle, die gut unterhalten werden wollen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.07.2019
Die Obsession - Wenn eine Begegnung zum Verhängnis wird
Çesme, Nuray

Die Obsession - Wenn eine Begegnung zum Verhängnis wird


weniger gut

KONNTE MICH NICHT ÜBERZEUGEN
„Die Obsession – Wenn eine Begegnung zum Verhängnis wird“ ist das zweite Buch von Nuray Çeşme. Vorher erschien von ihr „Der Wille versetzt Berge – Aus dem Leben einer türkischen Gastarbeiterfamilie“.

In dem vorliegenden Buch, der als Psychothriller benannt wird, geht es um Amelia, eine 36jährige, attraktive, temperamentvolle Italienerin. Sie lernt, nachdem sie schon viele kurze Beziehungen hatte, auf einem Onlineportal den Frauenhelden Marlon kennen und lieben. Der junge Mann zeigt sich von seiner besten Seite, verbringt viel Zeit mit Amelia. Doch das ist nur von kurzer Dauer, denn urplötzlich bricht er den Kontakt mit ihr ab. Von da an beginnt sie ihn zu verfolgen, beobachtet ihn mit einer zwanghaften Intensität. Sie verstrickt sich dabei immer mehr in Widersprüche, verliert dabei fast ihre Identität...

Mich hatten die Thematik, das geheimnisvolle Cover im Vorfeld angesprochen und ich wollte mich sehr gern auf diesen Psychothriller einlassen. Aber ich muss leider sagen, dass der Aufbau und der Handlungsverlauf der Geschichte mich nicht überzeugten. Die Art und Weise der Schilderung der Problematik um die Protagonisten und diese selber konnten mich nicht fesseln.
Die Handlungsstrukturen um die Vielzahl an angeschnittenen Themen wie Online-Dating, Ghosting, krankhafte Liebe, Stalking, psychische Störungen, Zwangsverheiratung, konservative Erziehung, problematische Kindheit werden angerissen, aber unvollständig, irgendwie bruchstückartig vorgetragen und nicht konsequent erzählt. Die Autorin spricht wichtige Aspekte (bspw. Schwangerschaft, Abtreibung, das verwandtschaftliche Verhältnis Lukas zu Marlon) an, die dann keinerlei Rolle mehr spielen.
„Die Obsession...“ erfolgte in einer merkwürdig distanzierten, nüchternen, fast pragmatischen Erzählweise aus der Ich-Perspektive, die mich nicht erfaßte. Viele Wortwiederholungen taten ihr Übriges. Mein Lesefluß wurde gehemmt. Es kam mir so vor als hätten zwei Personen an dem Buch geschrieben. Auf der einen Seite fand ich einige Stellen, die mir in ihrer Aussage und in der Ausdruckskraft gefielen.
Bspw. [178] „Der Spiegel hat einen Riss in der Mitte und es schauen mich zwei Frauen an, Amelia und Sofia, Sofia und Amelia. Beide sehen gleich aus, mit dem einen Unterschied, dass die eine schwarzweiß ist, Amelia – zerbrochen, voller Wut und Hass, und daneben, in voller Farbe, in Anmut und Liebe und unendlich schön, Sofia. Zwei Frauen, dieselbe Frau, wie eineiige Zwillinge“.
Andererseits störten mich die Worthäufungen, was beim Lektorat hätte auffallen müssen.
Zum Finale kommt etwas Bewegung ins Geschehen, aber auch da werden in „Hopplahopp-Manier“ wichtige Dinge nicht mit der nötigen Ruhe zu Ende erzählt. Das sah für mich nach einer Fortsetzung aus.
Ich kann das Buch nicht als Psychothriller bezeichnen. Dafür hatte es zu wenig Spannung, es besaß keinen Nervenkitzel, was mich zum unbedingten, ungeduldigen Weiterlesen trieb. Mein Kopfkino kam nicht in Gang.

Die Grundidee für „Obsession“ finde ich gut, aber es bleibt leider zu vieles im Ansatz stecken, wird nicht weiter ausgeführt. Es ist leider nicht das Buch, das in mir Spuren hinterlassen wird.

Bewertung vom 16.06.2019
All das zu verlieren
Slimani, Leïla

All das zu verlieren


gut

EIN VERSTÖRENDER, SOGHAFTER ROMAN
Mit „All das zu verlieren“ (Originaltitel: Dans le jardin de l'ogre) stellt Leïla Slimani dem Leser eine junge Frau vor, die dem Anschein nach alles besitzt und ein glückliches Leben führen müsste.
Adèle ist jung, schön, verheiratet mit einem wohlhabenden, fleißigen, ebenfalls jungen Chirurgen, arbeitet selbst als Journalistin. Sie haben einen dreijährigen Sohn und wohnen in einem noblen Pariser Vorort. Trotzdem empfindet sie eine selbstzerstörerische Leere, die sie immer öfter mit sexuellen Eskapaden mit sogar vollkommen fremden Männern zu lindern versucht. Adèle ist rast- und ruhelos. Warum? Was will diese Frau eigentlich? Was stimmt mit ihr nicht? Sie scheint für nichts im Leben einen triftigen Grund zu haben - nicht für die Heirat mit Richard, nicht für das Kind, nicht für ihre sexuellen Abenteuer... Ihr ist es lediglich wichtig dazuzugehören und auf die Frage ihrer einzigen Freundin Lauren, warum sie geheiratet hat, antwortete sie folgendermaßen.
[S. 51] „Ich habe ihn geheiratet, weil er mich gefragt hat. Er war der Erste und bisher der Einzige. Er hatte mir was zu bieten. Und außerdem war meine Mutter so glücklich. Ein Arzt, stell dir vor!“
Ich las aus den Zeilen Überdruss für fast alles, keinerlei Linderung für ihr sexuelles Verlangen, eine große Gleichgültigkeit, Desinteresse für das, was über den Augenblick hinausgeht. Adèle ist eine Getriebene ihrer eigenen Vorstellungen, ohne irgendeine Erfüllung zu finden, ohne Bindungen an oder für etwas/jemanden. Die Zerrissenheit A. kommt sehr gut zum Ausdruck. Da gibt es sehr viele selbstzerstörerische Szenen, die das mehr als verdeutlichen.
Der Schreibstil Leïla Slimanis und die kurzen Kapitel machten mir das Lesen leicht, weniger die Verhaltensweisen der Protagonistin. Sie hat so viele Störungen, dass es eigentlich für einen Menschen zu viel ist. Neben ihrer Sexsucht und ihren zahlreichen Ängsten (AIDS, Schwangerschaft, vor Überfällen...) entwickelte und kultivierte sie eine Magersucht.
[S. 72] „Sie hat es immer gemocht, Hunger zu haben. Zu spüren, wie man schwächer wird, schwankt,... Sie hat ihre Magerkeit kultiviert wie eine Lebenskunst.“
Es ist für mich schwierig zu verstehen, wie weit Adèle geht, wie weit sie sich als Persönlichkeit verliert. Erklärungen für das Verhalten beider Protagonisten (Adèle und ihr Ehemann Richard) liefert dieser Roman nicht. Hier noch ein Zitat für die Sichtweise Richards:
[S. 152] "Adèle hat die Welt zerrissen...Die Erinnerungen, die Versprechen, all das ist wertlos. Ihr Leben ist nur trügerischer Schein...Vielleicht, wenn er schwieg, würde es trotzdem halten..."
Für mich warf dieses Buch mehr Fragen auf als es beantwortete.

Fazit:
· Es ist eine Geschichte, die nicht gefällig schön ist. Nein, sie deprimiert, sie verstört, sie bietet keine Alternativen, keine Perspektiven und hat eine dermaßen widersprüchliche Protagonistin in Adèle, die jenseits der gängigen Moralvorstellungen agiert. Im Gegensatz dazu, möchte sie, dass ihre Werte nach außen hin für alle Welt stimmig sind.
· Es ist eine Geschichte, die sprachlich brillant daherkommt, aber inhaltlich keine Ursachen aufzeigt und mich etwas ratlos zurückließ, vor allem mit dem Ende
· Es ist eine Geschichte, die sicher polarisiert.

Evtl. habe ich zuviel hineininterpretiert. Ich empfehle „All das zu verlieren“ sehr gern. Jeder soll seine eigene Erfahrungen mit dem Roman machen. Auf Grund des herausragenden Schreibstils, des offensichtlichen Schreibtalents werde ich auch das nächste Buch der Autorin lesen. Doch mehr als drei von fünf Lesesternen möchte ich nicht vergeben.

Bewertung vom 16.06.2019
Schneewittchensarg / Ingrid Nyström & Stina Forss Bd.7
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Schneewittchensarg / Ingrid Nyström & Stina Forss Bd.7


sehr gut

Verhängnisvolle Entscheidungen

Mein Einstieg in die Serie erfolgte mit diesem siebten Band. Vorkenntnisse sind meiner Meinung nach nicht erforderlich. Ich konnte bestens den Geschehnissen folgen.
Es beginnt in der Gegenwart Schwedens, in einem Museum, in dem gerade eine neue Ausstellung vorbereitet wird und in Kürze eröffnet werden soll. Die Ausstellung ist dem Lebenswerk des erfolgreichen Glasherstellers Gunnar Gustavsson gewidmet. Dann erfolgt der riesige Schock: In einem Glassarg befindet sich ein menschliches Skelett in einem blutbefleckten Hochzeitskleid. Gunnar glaubt darin seine vor 47 Jahren am Hochzeitstag verschollene Braut Berit zu erkennen. Nun beginnt nicht nur eine akribische, beharrliche Ermittlertätigkeit über einen langen Zeitraum. Es bleibt auch die Frage bis fast zum Schluß ungeklärt, wer die Tote gegen das eigentliche Kunstwerk austauschte und aus welchem Grund.

Ich fand die Personen fast ausnahmslos gut herausgearbeitet mit ihren natürlichen, menschlichen Eigenschaften. Fast jeder Mensch wird mit seinem individuellen Schicksal treffend, anschaulich und nachvollziehbar beschrieben, wobei die Kriminalistinnen Stina Forss und Ingrid Nyström auch im Privaten mit Mord und Totschlag zu tun haben. Da gibt es Bezüge zu vorherigen Geschehnissen. Der aktuelle Fall fordert das gesamte Team bis an seine Grenzen. Das ist schon hammerharte Ermittlerarbeit über diesen großen Zeitraum – über fast ein halbes Jahrhundert. Durch die ausdauernde und beständige Arbeit der einzelnen Kollegen, die gut ineinandergreift, gelingt es schließlich diesen verzwickten Kriminalfall zu lösen. Drei Unternehmerfamilien des Glasreiches sind darin verwickelt und fühlen sich sichtbar unwohl bei den intensiven Befragungen. Das und andere Ereignisse, die scheinbar nichts mit dem Verschwinden der jungen Braut zu tun hatten, zogen sich teilweise in die Länge und waren zwischenzeitlich etwas anstrengend zu lesen.
Die Schwierigkeit ein so lang zurückliegendes Ereignis zu rekapitulieren wird durch die Erzählweise sehr deutlich. Verdrängung, Verklärung, Schuldgefühle, Neid, Haß u. v. mehr – eine riesige Skala der menschlichen Gefühle kommt zum Vorschein. Ich empfand den Krimi als ein schönes Porträt, wie die Jugendzeit die Menschen prägt. Gewisse Vorkommnisse trägt man sein ganzes Leben mit sich und vergißt sie nie.

Fazit:
Trotz des furchtbaren Fundes ist „Schneewittchensarg“ eine ruhige, unaufgeregte Geschichte mit einer klar strukturierten Handlung, obwohl das zwischenzeitlich nicht so schien. Das Ende überrascht, wie es sich für einen gut gemachten Krimi gehört.

Ich vergebe meine Empfehlung mit vier von fünf Sternen!

Bewertung vom 06.06.2019
Marina, Marina
Landau, Grit

Marina, Marina


ausgezeichnet

VERRÄTERISCHE GRÜNE AUGEN
Als ich denTitel las und das Cover sah, nahm ich an, dass es sich um eine leichte Sommerlektüre mit Italienfeeling handelt. Aber dem ist und war nicht so. Es beginnt zwar leicht und locker mit der intensiven, schwärmerischen Verliebtheit des 13jährigen Nino Lanteri in die schöne, reife Marina, in die Frau des Dorffriseurs Carlo Vassallo und Mutter seines besten Freundes Matteo. Doch das wird eine platonische Liebe bleiben.
Im Mittelpunkt des Geschehens befindet sich die fikive Ortschaft Sant´Amato an der italienischen Riviera. Ihre Bewohner sind zum Teil miteinander verwandt oder verschwägert. Die Mitglieder von fünf Familien und einzelne Personen spielen mehr oder weniger tragende Rollen. Ihre Namen sind vorn im Buch aufgelistet.
Die Handlung beginnt im Jahre 1960 und wird bis 1968 weitergeführt, wobei auch Nebengeschichten erzählt werden, die aber miteinander verwoben sind. Die Hauptfiguren sind im wesentlichen die drei Jungen Nino, Matteo und Beppe mit ihren Träumen (Meeresbiologe, Fußballprofi, Hotelbesitzer) sowie Marina und Davide, die der Leser ebenfalls über die 60er Jahre begleitet. Dazu gibt es einen Rückblick in das Kriegsjahr 1944 und den letzten Teil mit dem tragischen Epilog im Jahr 1980.
Grit Landau verbindet die Nebenschauplätze im Verlauf des Romans sehr geschickt. Da gibt es den Balkonsturz der jungen deutschen Touristin Reni, die eine kurze Romanze mit einem italienischen Arzt beginnt, der wiederum der Cousin einer der Hauptpersonen ist. Reni Klopp hat ein Foto ihres Vaters von 1944 dabei, die ihn in Zusammenhang mit den örtlichen Partisanenkämpfern in den italienischen Bergen bringen. Zugegeben, diese Episode hätte es nicht unbedingt für den Verlauf der Geschichte gebraucht.

Sehr interessant fand ich die vielen Informationen zu den Verhältnissen der einzelnen Dorfbewohner untereinander in den Kapiteln zum Jahr 1944. Das brachte mir u. a. Aufklärung zur Person Nunziatas und zur Person Davides. Es war erschreckend, was ihr passierte, was ihm passierte, welches großes Leid durch Tod und Zerstörung die Faschisten über die Familien und das Dorf brachten.
Durch das Nachwort der Autorin wurde mir auch nochmal einiges klarer, z. B. die Sache mit dem Gendefekt Davides. Durch seine Phonagnosie war er nicht in der Lage Stimmen zu unterscheiden.

Auch die lebenslustige, attraktive Marina hatte in ihrer frühen Jugend, ebenfalls in dem Kriegsjahr 1944, einschneidendes, gravierendes an großem Kummer zu erleiden. Durch diese Einblicke verstand ich die Gefühle der Frau, sowohl für ihren Mann Carlo als auch für Davide. Das wird jedoch nicht vordergründig erzählt, sondern ergibt sich über die gesamten Kapitel bis zum Ende. Es ist, ich wiederhole es gern, keine locker fluffige Sommerlektüre aus Bella Italia!

Es geht um erfüllte und unerfüllte Leidenschaften, um die Liebe in allen Variationen, um große und kleine Geheimnisse, um Haß, Neid, Verrat, um das gesamte menschliche Gefühlsspektrum.
Die vierzehn Kapitel werden auf italienisch nummeriert, so dass ich so ganz nebenbei von UNO bis QUATTORDICI zählen lernte.
Vor jedem Kapitel, der Jahreszahl entsprechend, wurde ein Hit vorgestellt mit so bekannten Interpreten wie Adriano Celentano, den Rolling Stones u. v. m.
Auch ich als Ostdeutsche kenne den Ohrwurm „Marina, Marina“ aus meinen Kindertagen. Dieses Lied ist so mitreißend und lebendig, gesungen von Rocco Granata.
Dadurch übertrug sich zusätzlich die wunderbare italienische Atmosphäre bei allem Ernst der Geschichte.

Keine Frage, dass ich „Marina, Marina“ empfehlen möchte!

Bewertung vom 30.05.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


gut

EINE UNVOLLENDETE GESCHICHTE
Das Buch mit seinen knapp über 200 Seiten war sehr schnell gelesen. Alina Bronsky schrieb eine Geschichte, die zwischen Komödie und Tragödie schwankt, eine Geschichte, die das Leben schreibt, allerdings oft mit starker Übertreibung und bitterbösem Humor.
Aus der Sicht des heranwachsenden Max wird das diffizile Beziehungsgeflecht zwischen drei Erwachsenen erzählt.

Als russische Kontingentflüchtlinge wohnen die Großeltern und Max im Wohnheim, im ehemaligen Hotel „Zur Sonne“. Griesgrämig und mit üblen Schimpfworten bedenkt Margo ihren Mann Tschingis und den kleinen, zu Beginn 6jährigen Jungen. Mäxchen ist wahlweise u.a. ein „Idiot“, ein „Schrumpfkopf“, der kleine „Krüppel“ und der Großvater die „asiatische Fresse“. Max bekommt von ihr, weil er angeblich schwächlich, kränklich und unterentwickelt ist, stets pürierte, ungesalzene Pampe vorgesetzt. Sie kontrolliert alles und jeden, desinfiziert, läßt ständig Hände waschen, entwickelt angeblich aus Fürsorge für den Enkel hypochondrische Züge. Was hinter der Fassade dieser verschrobenen, schrägen Person vorgeht, läßt sich schwer ausmachen. Auf alle Fälle liebt Max trotz allem seine Großmutter und erträgt ihre Marotten genau wie der Großvater mit einer stoischen Ruhe.

Der Großmutter fehlt die Liebenswürdigkeit. Sie ist ein anstrengender, total überdrehter Charakter, die irgendwie in ihrem eigenen Kosmos lebt. Dass der Enkel ihre „Torturen“ übersteht, statt dessen noch eine gewisse charakterliche Stärke entwickelt, grenzt an Wunder. Er ist so helle, dass er weit vor seiner Großmutter mitbekommt, dass sich zwischen dem Großvater und der um einige Jahre jüngeren Nachbarin zärtliche Gefühle entwickelten. Sie bemerkt es erst als der Miniatur - Tschingis ihr aus dem Kinderwagen entgegenblickt. Ihre Reaktion auf die veränderten Familiensituationen ist mehr als überraschend und für mich nicht nachvollziehbar gewesen.
Die Geschichte strotzt vor skurillen Momenten, die ich oft als überspitzt empfand, auch weil zu wenig Hintergrundinfos vermittelt werden. Ich bin ganz gut im zwischen den Zeilen lesen und mir muss auch nicht jedes Detail erklärt werden; doch es wurde mir leider hier zu viel weggelassen, was zum besseren Verständnis vielleicht notwendig gewesen wäre. Die vielen Andeutungen waren mir zu vage, viele meiner Fragen blieben leider unbeantwortet.

Die Lektüre hat mich erreicht, weil die Geschichte in einem lebhaften, mitreißenden Schreibstil verfaßt wurde. Leider konnte sie mich nicht vollständig überzeugen, da durch die robuste, dominante Großmutter die anderen Personen zu Rand- bzw. Nebenfiguren degradiert wurden. Die Sichtweise des Großvaters hätte mich interessiert. Zum Ende der Geschichte mit dem langsamen Loslösen von Max aus der Patchworkfamilie kommt etwas Licht ins Dunkel. Für das Verhalten der Großmutter wagte ich, als dann der Zopf fiel (ein Bild mit hohem Symbolcharakter !), zarte Erklärungsversuche.

„Der Zopf meiner Großmutter“ scheint mir nicht zu Ende erzählt. Es ist eine unvollendete, fragmentarische Geschichte. Ich schwanke zwischen Bewunderung und Enttäuschung.

Trotzdem möchte ich meine Empfehlung aussprechen und bewerte mit drei von fünf Sternen!