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R. S.

Bewertungen

Insgesamt 165 Bewertungen
Bewertung vom 12.06.2022
Amelia
Burns, Anna

Amelia


gut

Amelia oder ein Leben während des Nordirlandkonfliktes - Glück, Fehlanzeige

Die Geschichte konzentriert sich auf die dysfunktionale Familie Lovett, insbesondere auf Amelia, die zu Beginn des Romans acht Jahre alt ist. Fast jedes Kapitel behandelt ein anderes Jahr ihres Lebens von 1969 bis 1994, die einzelnen Kapitel ähneln dabei eher einer Erzählung, als dass ein konkreter Handlungsverlauf erkennbar ist. Die Leser*innen begleiten in ihnen Amelia von der Schule über die Arbeit bis ins Erwachsenenleben und sehen, wie sie der Nordirlandkonflikt persönlich betrifft ist und wie sie unter dessen Auswirkungen leidet. Amelia hat es alles andere als leicht während dieser Zeit. Sie ist arm, entwickelt eine Essstörung, wird alkoholabhängig, wird Opfer sexuellen Missbrauchs, fühlt sich von ihrer Familie entfremdet und kämpft mit psychischen Problemen.

Erzählt wird ein deprimierendes Ereignis, eins nach dem anderen, glückliche Momente kommen nicht vor. Fans Gute-Laune-Bücher sind hier definitiv fehl am Platz. Da sich die Geschichte über fast 30 Jahre erstreckt, sind die Ereignisse außerdem nicht immer miteinander verknüpft, und es kann schwierig sein, den Überblick über das Geschehen zu behalten.
Gut gefallen hat mir die Charakterisierung von Amelia. Die Leser*innen wachsen mit ihr von klein bis ins Erwachsenenalter auf, wodurch man ihren Denkprozess zu verstehen lernt und ihr Zusammenbruch folglich umso emotionaler auf einen wirkt. Es ist klar, dass sie ein Opfer ihrer Situation ist und ihre Umstände wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen.
Hingegen weniger gut gefallen hat mir das einige Kapitel sich auf andere Charaktere konzentriert haben, die wenig Verbindung zu Amelia erkennen ließen. Die Änderung der Perspektive war teilweise verwirrend und die Kapitel waren auch vergleichsweise lang, wodurch ich schnell das Interesse am Weiterlesen verlor. Außerdem wurde das Lesen dadurch erschwert, dass die Figuren zum Teil an Geisteskrankheiten leiden, wodurch ihre Stimmen fragmentiert sind und schwerer zu verstehen.

Alles in allem ein Buch, das mir ein besseres Verständnis für die Auswirkungen des Nordirlandkonfliktes auf die einfachen Menschen vermittelt hat, mich jedoch inhaltlich und sprachlich nicht komplett überzeugen konnte.

Bewertung vom 12.06.2022
Verheizte Herzen
Crossan, Sarah

Verheizte Herzen


ausgezeichnet

Poetisch erzählte Folgen einer Liebesaffäre

Ana ist Anwältin und verheiratet mit Kindern. Eines Tages ruft die Frau einer ihrer Klienten an, dass ihr Mann Connor verstorben ist. Bei der Frau mit Namen Rebecca handelt es um niemand anderes als die Frau des Mannes, mit dem sie eine Affäre hatte und den sie liebte. Ana ist geschockt, sie möchte es anfangs nicht glauben, dass er tot ist, fragt sich, ob seine Frau von der Untreue ihres Mannes wusste und ob sie lügt. Es ist aber wahr, Connor ist tot. Anas verfällt ihn große Trauer um einen Mann, den sie nur im Verborgen Lieben konnte und der starb, bevor er seine Frau verlassen konnte. Sie beginnt sich zu fragen, ob seine Liebe für sie überhaupt echt war, ob Connor seine Frau wirklich verlassen wollte. Auf der Suche nach Antworten und nach Erinnerungsstücken von Connor sucht Ana seine Frau Rebecca auf.

Der Roman, geschrieben in Versform, wechselt zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart hin und her, wodurch die Leser:innen Zeugen des Kennenlernens von Ana und Connor werden, wie sie sich heimlich getroffen und geliebt haben, aber auch von den Spielen, die sie beide gemeinsam mit ihrer Liebe und ihren Leben gespielt haben. In kurzen, aber ausdrucksstarken Sätzen wird die zerstörerische Kraft der Affäre für die Betrogenen aber auch für die Betrügenden deutlich gemacht. Es war keine Affäre, die sexy war, sie war und ist noch ein Albtraum für alle Betroffenen, besonders Ana befindet sich nach Connors Tod in einer schlechten seelischen Verfassung und wird in ihrer Trauer manipulativ.
Insgesamt kommt keiner der Hauptcharaktere wirklich sympathisch rüber, was in der Situation, in der sie sich befinden oder befanden, aber auch kein Wunder ist.

Die Versform des Romans und der poetisch angehauchte Schreibstil eignen sich hierbei besonders gut, die Geschichte zu erzählen, die Sätze und Abschnitte fließen beim Lesen zu einem Bewusstseinsstrom zusammen, der die Wahrnehmungen und Gefühle der Protagonisten von Liebe über Herzschmerz bis zu Wut perfekt auf den Punkt bringt und berührend widerspiegelt.

Alles in allem eine wunderschön geschriebene und emotional starke Geschichte, die von der ersten Seite eine Sogwirkung entfaltet. Auch Leser, die eher der Literatur in Lyrikform abgeneigt sind, können an dieser gefallen finden. Hervorzuheben ist auch das wunderschön gestaltete Cover mit den Bienen und den in schwarz und weiß gezeichneten Blumen auf gelben Hintergrund.

Bewertung vom 12.06.2022
Real Easy
Rutkoski, Marie

Real Easy


sehr gut

Noir-Krimi im Rotlichtmilieu, in dem die Tänzerinnen die Hauptpersonen sind

Wir schreiben das Jahr 1999 irgendwo in den Südstaaten der USA. Samantha, die schon seit vier Jahren im Stripclub "Lovely Lady" tanzt, mischt sich normalerweise nicht in die Angelegenheiten der anderen Tänzerinnen ein. Doch eines Abends nimmt sie sich der neuen Tänzerin Lady Jade an. Als Samantha sie nach Hause fährt, wird ihr Wagen von der Straße abgedrängt und als später die Polizei an der Unfallstelle eintrifft, findet diese die Leiche von Lady Jade, doch von Samantha fehlt jede Spur. Die folgende Suche nach dem Täter und Samantha, deren Leiche ebenfalls später gefunden wird, wird von Detektivin Holly geleitet und gestaltet sich schwierig, da der Kreis der Verdächtigen groß ist. Eine weitere wichtige Rolle bei den Ermittlungen spielt später auch Georgia, eine weitere Tänzerin im Lovely Lady.

Der Thriller wird aus Sicht mehrerer handelnder Charaktere erzählt, wobei der Schwerpunkt auf Samantha, Georgia, Detektivin Holly sowie dem Täter gelegt wird. Auch wenn es dank der Charakternamen als Kapitelüberschriften es einem erleichtert wird, den Überblick über die wechselnden Perspektiven zu behalten, hätte der Erzählfluss und der Spannungsbogen deutlich davon profitiert, wenn sich der Perspektivenwechsel auf die oben genannten Charaktere beschränkt hätte. Die Kapitel der anderen (Neben)Charaktere trugen nämlich eher nicht zur Handlung und Charakterentwicklung bei, auch wenn diese kurz gehalten wurden. Trotz der Thriller und Noir-Krimi-Elemente (Nachtclubsetting, Korruption, zynische Antihelden) stehen im Mittelpunkt des Romans die Tänzerinnen. Die realistische Darstellung ihres Alltags in einem Stripclub und ihr Privatleben ermöglichen es, einen Blick hinter die Kulissen einer für die meisten unbekannten Welt zu werfen. Bei der Beschreibung konnte Marie Rutkoski hierbei auf eigene Erfahrungen als Tänzerin in ähnlichen Etablissements zurückgreifen, was den authentischen Eindruck verstärkte.

"Real Easy" ist alles in allem ein fesselnder Mix aus Thriller und Charakterstudie. Im Vordergrund stehen dabei die weiblichen Charaktere mit all ihren Sorgen und Hoffnungen, der den Krimi besonders und lesenswert macht.

Bewertung vom 12.06.2022
Der letzte Schrei
Sagiv, Yonatan

Der letzte Schrei


ausgezeichnet

Queere Reise durch Tel Aviv

Warnung: Dieses Buch enthält politisch nicht korrekte Sprache und spielt mit traditionellen Bildern von Mann und Frau. Kurzum, es geht ziemlich bunt, schrill, laut und lustig im nicht so traditionellen Krimi "Der letzte Schrei" von Yonatan Sagiv zu.

Oded Chefer, ein eher erfolgloser Privatermittler aus Tel-Aviv, der von sich selbst im femininen spricht und schwul ist, träumt vom großen Erfolg und Reichtum. Sein neuer, auf den ersten Blick einfacher Auftrag scheint ihm auch die Tür in Israels High Society zu öffnen. Er soll herausfinden, was mit dem 15-jährigen aufsteigenden Pop-Sternchen Carine Carmeli in letzter Zeit los ist. Oded sieht sich schon bei den Reichen und Schönen Israels ein- und ausgehen, doch schnell verkomplizieren sich seine Ermittlungen, weist sein Auftrag doch schon bald Überschneidungen mit dem Verschwinden von Gabriela, einer transsexuellen Frau, auf. Ehe er sich versieht, ist er mit zwei Leichen und Ermittlungen in der LGBTQ-Community von Tel Aviv und den Abgründen der israelischen High Society konfrontiert.

Schon die Handlung zeigt, dass es sich hier nicht um den traditionellen Kriminalroman handelt. Oded entspricht auch nicht dem Bild des "klassischen" zynischen, stillen und einzelgängerischen Detektivs vieler Kriminalromane. Er ist geschwätzig, nimmt kein Blatt vor dem Mund und ist oftmals unverschämt und provozierend in seinen Gesprächen. Auch lässt er sich leicht von schönen und muskulösen Männern ablenken und zieht oft die falschen Schlüsse. Auch wenn er auf dem ersten Blick unsympathisch rüberkommen mag, zeigt er auch Momente tiefen Mitgefühls und Verletzlichkeit. Er ist mit alle seinen Makeln menschlich und das macht ihn sympathisch.

Trotz des eher schrillen und humorvollen Stils des Kriminalromans, spricht der Roman auch geschickt ernstere Themen an und schreckt auch vor gesellschaftskritischen Tönen nicht zurück. Neben dem modernen, liberalen und lebensfrohen Tel Aviv, zeigt Yonatan Sagiv auch dass Tel Aviv, das von einer wirtschaftlichen und sozialen Kluft sowie von Gentrifizierung geprägt ist. Ebenso werden auch die Probleme Israels und in dessen Gesellschaft angesprochen wie z.B. soziale und ethnische Spannungen und der ambivalente Umgang mit Flüchtlingen und Immigranten, auch der israelisch-palästinensischer Konflikt ist in der Handlung präsent.

Mein Fazit: Ein Kriminalroman, der queer und anders ist, der einen von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann zieht und einen Tel Aviv bzw. Israel von einer anderen Seite kennenlernen lässt. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 08.06.2022
Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1
Engel, Nora

Gretas Erbe / Die Winzerin Bd.1


weniger gut

Wein ist Poesie in Flaschen, dieser Roman über die Winzerin Greta eher nicht

Vorneweg: „Gretas Erbe“ ist der erste Band der Trilogie rund um die Winzerin Greta. Der zweite Band „Gretas Geheimnis“ erscheint noch im Herbst dieses Jahres.

Hat mir das Buch gefallen? – Nicht wirklich.
Würde ich es weiterempfehlen? – Eher nicht.

„Gretas Erbe“ spielt während der 70er in Kirchheim, einem Weinort in Westdeutschland und handelt von Greta, die als Waise bei der Winzerfamilie Hellert auf deren Hof lebt. Greta hat es nicht leicht, da ihre Zieheltern sie spüren lassen, dass sie nicht zur Familie gehört. Nur mit Robert, den Sohn der Hellerts, versteht sie sich gut. Greta ist selbstbewusst, intelligent und weiß, was sie vom Leben will und dazu zählt nicht auf dem Weingut der Hellerts zu arbeiten. Sie hat andere Pläne für ihre Zukunft, bis ein Erbe alles verändert und damit endet Band 1. Womit ich schon bei meinem ersten Kritikpunkt wäre, nämlich dem, dass der Titel ausschlaggebende Handelspunkt erst nach mehr als 300 Seiten relevant wird und dann auch noch vergleichsweise kurz abgehandelt wird, ist für mich zu antiklimatisch, da habe ich mir mehr erwartet.

Ebenso konnte der Schreibstil mich nicht richtig fesseln, viele Passagen waren eher langatmig und voll von uninteressanten Beschreibungen, sodass ich viele Textstellen einfach nur überflog. Auch weniger 70er-Jahre Referenzen hätten das Leseerlebnis angenehmer gemacht.

Alles in allem war es für mich eher eine Enttäuschung, vielleicht bin ich auch eher das falsche Publikum für diese Romantrilogie. Leser, die sich für Einblicke in die Weinherstellung und die Bewirtschaftung eines Weinhofes interessieren, Romane über selbstbewusste Frauen mögen sowie in 70er-Jahre Flair schwelgen wollen, könnten von der Buchreihe angetan sein.