Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Aischa

Bewertungen

Insgesamt 548 Bewertungen
Bewertung vom 08.09.2022
Zum Paradies
Yanagihara, Hanya

Zum Paradies


weniger gut

In einem Interview anlässlich der Veröffentlichung ihres Erfolgsromans "Ein wenig Leben" erklärte Autorin Hanya Yanagihara, sie hätte sich mit ihrem Lektor darüber gestritten, wie viel ein Leser ertragen kann.

Nun, ich kann nur für mich sprechen und auch nur über ihren aktuellen Roman "Zum Paradies", aber ich HABE dieses Werk definitiv als Zumutung empfunden. Und zwar in erster Linie aufgrund seiner Länge und der Anhäufung von Nichtigkeiten. Vor allem in der zweiten Romanhälfte verliert sich Yanagihara in langweiligen Wiederholungen, die Geschichte kommt nur im Schneckentempo voran, und meine Geduld wurde aufs Äußerste strapaziert.

Dabei ist die Romanidee sehr attraktiv: drei Teile, die im Abstand von je einem Jahrhundert in New York spielen, mit einer gemeinsamen Kulisse eines Wohnhauses am Washington Square. Aber wieso wimmelt es in den knapp 900 Seiten nur so von Männern namens Charles, Edmund, David und William? Anfangs habe ich noch verweifelt nach Abstammungslinien gesucht, bald habe ich überfordert aufgegeben.

Teil eins ist noch am originellsten, eine in der Vergangenheit angesiedelte Utopie. Wir schreiben das Jahr 1893, und Homosexualität ist gleichermaßen weit verbreitet wie gesellschaftlich akzeptiert. Gleichgeschlechtliche Ehen sind selbstverständlich, den Kinderwunsch erfüllt man sich in diesen Partnerschaften durch Adoption. Doch das war es dann auch schon an Originalität, der Rest ist eine schwülstige Variation des Themas "Geld oder Liebe".

Der zweite Teil mäandert zwischen der durch die AIDS-Epidemie erschütterten schwulen Community New Yorks und der sich in Auflösung befindlichen Gesellschaft der hawaiianischen Natives. Die Erzählung wird immer sprunghafter, surreal, schwer verständlich. Schade, ich hätte gerne mehr über die Insulaner erfahren, zumal die Autorin selbst hawaiianische Vorfahren hat.

Die größte Zumutung ist schließlich der letzte Teil, der leider rund die Hälfte des gesamten Romans einnimmt. Hat sich hier keine Lektorin getraut, der Erfolgsautorin die Stirn zu bieten und Belangloses zu kürzen? Ihr zu sagen, dass sich hinter der offensichtlichen Formverliebtheit - Gesellschaftsroman, Sittengemälde, Briefroman - nicht nur Banalitäten und emotionales Geschwurbel verstecken dürfen?

Jedenfalls möchte ich hiermit das wundervolle Design- Prinzip "Form follows function" auf die Literatur übertragen, und zwar mit dem Postulat "Form follows fiction"!

Bewertung vom 26.08.2022
Die Arena
Djavadi, Négar

Die Arena


ausgezeichnet

Bereits für ihr Romandebüt "Desorientale" wurde Négar Djavadi mehrfach ausgezeichnet, und auch "Die Arena" ist in meinen Augen extrem preisverdächtig.

Der Roman vereint Gesellschaftskritik - insbesondere an Medien, Polizeiarbeit und verfehlter Integrationspolitik - mit Elementen des Thrillers. Die Autorin zeichnet ein schillerndes Kaleidoskop an Figuren, und so wie die bunten Splitter sich in diesem optischen Gerät durch Drehung des verspiegelten Rohrs blitzschnell zu völlig neuen Bildern zusammensetzen, so ergeben sich auch im Buch von Kapitel zu Kapitel überraschend neue Sichtweisen. Dabei gelingt es Djavadi trotz der zahlreichen Personen und des komplexen Handlungsgefüges, sich nicht in einer der vielen Verzweigungen zu verlieren. Nein, man wird als Leser*in gekonnt und auf extrem hohem Niveau unterhalten und ins fulminante Finale geleitet.

Der Titel könnte nicht treffender gewählt sein: Die Arena als Kampfplatz römischer Gladiatoren wird nun in die Pariser Banlieues verlegt, wo sich konkurrierende Banden jugendlicher Drogendealer verzweifelte, tödliche Kämpfe liefern. Wir kennen ebenso die Wahlkampfarena, in der Politiker medienwirksam mit harten Bandagen um Stimmen der Wahlberechtigten kämpfen. Im Roman thematisiert Djavadi dies anhand des Wahlkampfs für das Amt der Pariser Bürgermeisterin. Und letztlich dürfen wir auch einen Blick auf die Arena als Zirkusmanege oder Musikarena werfen. Nämlich immer dann, wenn es um beifallheischende (Selbst-)Darstellung geht, sei es in Form von Social Media Posts oder am Beispiel des Protagonisten Benjamin, der als Serienchef eines internationalen Streaming-Konzerns unter immensem Erfolgsdruck steht.

Beeindruckt bin ich auch von der stilistischen Treffsicherheit Djavadis. Ob sie eine vierzehnjährige Schülerin, eine ehrgeizige Polizistin mit Migrationshintergrund, die cinematophile Mutter des Protagonisten oder einen syrischen Geflüchteten sprechen lässt - ich glaube ihr bzw. den Figuren jedes einzelne Wort.

"Die Arena" ist ein in jeder Hinsicht gelungener Roman, den man sich nicht entgehen lassen sollte, auch wenn man sich durch die Lektüre definitiv vom romantisierten Parisbild der Tourismusindustrie verabschieden muss.

Bewertung vom 23.08.2022
Glücksorte in der Oberpfalz
Stoltenberg, Stefanie

Glücksorte in der Oberpfalz


gut

Bis Ende der 1980er Jahre als Zonenrandgebiet stigmatisiert ist die Oberpfalz noch heute nicht unbedingt der bayerische Regierungsbezirk, der einem als erstes in den Sinn kommt, wenn man attraktive Ausflugsziele sucht.

Dass diese Region überraschend attraktive Freizeitdestinationen bietet, zeigt die gebürtige Nabburgerin Stefanie Stoltenberg mit dem vorliegenden Reiseführer. Die von ihr ausgewählten 80 "Glücksorte" sind erfreulich abwechslungsreich, es finden sich Wanderungen in der Natur oder ungewöhnliche Museen in der Stadt, es gibt Kulinarisches, Sportliches, Kulturelles, Besinnliches und Actionreiches.

Jeder Glücksort wird auf einer Doppelseite vorgestellt, wobei eine Seite von einem großformatigen Farbfoto eingenommen wird. Hier muss man leider erste Abstriche machen; die Bilder wirken teils amateurhaft und sind nicht immer sehr aussagekräftig. Die Texte sind gefällig, aber leider rutscht so manche Beschreibung in eine banale Plauderei ab, ich hätte mir stattdessen mehr konkrete Informationen gewünscht, etwa zu Öffnungszeiten, Preisen etc. Zwar kann man dies anhand der angegebenen Websites selbst recherchieren, dies ist jedoch etwas mühsam. Zudem lassen die 80 Ausflugsziele keinerlei Sortierung erkennen, sondern sind bunt durcheinander gewürfelt. Daher wären kleine Symbole hilfreich, die auf einen Blick zeigen, ob sich der Tipp für Kinder eignet, barrierefrei ist, eine sportliche oder kulturelle Aktivität beinhaltet. Zur Orientierung befindet sich auf der hinteren Innenklappe eine Übersichtskarte. Nur leider ist diese nicht wirklich übersichtlich gestaltet: Die Nummern, die den Glücksorten zugeordnet sind, sind sehr klein und dünn geraten, so dass die Karte weniger Hilfsmittel als vielmehr Suchrätsel ist.

Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass von den 80 vorgestellten Zielen lediglich 26 mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind, für die große Mehrzahl ist man leider bei der Anreise aufs Auto angewiesen. Dies mag dem vergleichsweise schlecht ausgebauten ÖPNV in der Oberpfalz geschuldet sein, man sollte es jedoch vor dem Kauf des Buchs bedenken.

Wer sich daran nicht stört, sondern vor allem Anregungen für noch weitgehend unbekannte Ausflugstipps sucht, wird an der handlichen Klappenbroschur seine Freude haben.

Bewertung vom 18.08.2022
Meine Schwester
Flitner, Bettina

Meine Schwester


sehr gut

Bettina Flitner ist bislang vor allem als Fotografin in Erscheinung getreten, manchen ist sie vielleicht auch als Frau an der Seite von Alice Schwarzer bekannt. Nun hat Flitner ihr erstes literarisches Buch veröffentlicht, ein Memoir, in dem ihre ältere Schwester eine zentrale Rolle spielt. Die Schwester, die jahrelang unter Depressionen litt und ihr Leben durch Selbstmord beendete, ebenso wie die Mutter 33 Jahre zuvor.

Die beiden Schwestern müssen nicht nur mit dem Suizid der Mutter klar kommen, sondern auch damit, den Erwartungen des Vaters an ihre beruflichen Laufbahnen nie zu genügen. Überhaupt ist das familiäre Umfeld schwierig. Die Eltern sind linksliberale Bildungsbürger und haben wechselnde Liebschaften. Es war zwar die Zeit der Hippies, der sexuellen Revolution und der freien Liebe, doch so wirklich frei schienen sie nicht - Eifersucht prägte den Alltag. Zwar suchte man dies vor den Töchtern zu verbergen, in dem die Eltern Krisengespräche auf Französisch führten, aber die Kinder bekamen die Spannungen natürlich dennoch zu spüren. Auch das Verhältnis zu den Großeltern war alles andere als herzlich, waren diese doch voller althergebrachter Standesdünkel und sehr autoritär.

Bettina Flitner macht all dies - und noch vieles mehr - mit ihrem literarischen Debüt öffentlich. Vorwürfe findet man dabei erstaunlich wenige, oft nur in Andeutungen. Nein, dies ist keine Anklageschrift, sondern der Versuch der Autorin, durch möglichst nüchternes Erzählen die eigene Geschichte besser zu verstehen. Und doch ist der Text sehr bewegend, auch wenn es manch langatmige Passage gibt. Überdies beschlich mich mehr als einmal das unangenehme Gefühl, unerlaubterweise in einem fremden Tagebuch zu lesen. Vermutlich deshalb, weil Flitner nichts verfremdet oder anonymisiert, sondern alle Familienangehörigen bei vollem Namen nennt. Einzig Susanne wird von ihr fast durchgängig als "meine Schwester" benannt, ganz als ob die Autorin bei aller Offenheit doch einen Rest an Distanz wahren möchte.

Sprachlich ist der Text recht solide, die Sätze sind oft knapp, ruhig, unprätentiös. Insgesamt überzeugt mich die Form nicht ganz so wie der Inhalt. Die Erzählung wirkt auf mich, als ob Tagebücher etwas überarbeitet und für die Öffentlichkeit aufpoliert wurden. Die wenigen Metaphern sind nicht sonderlich originell, etwa die Darstellung der Depression als schwarze Raben, die die Kranke umflattern.

Aber "Meine Schwester" ist ein Buch, das mich berührt hat. Nicht zuletzt dadurch, dass sich Flitner auf die Suche nach Antworten begibt und es zugleich aushält, dass einige Fragen offen bleiben. Und darin liegt, bei aller Tragik, auch ein gewisser Trost.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2022
Isarrauschen
Hillebrand, Diana

Isarrauschen


ausgezeichnet

Autorin Diane Hillebrand lässt alle hier versammelten 18 Kurzgeschichten in München spielen, und da ich zugegebenermaßen ein erklärter Fan der wunderschönen Isarmetropole bin, hat sie damit quasi schon einen Stein bei mir im Brett.

Hillebrand ist zwar selbst "Zuagroaste", kennt die bayerische Landeshauptstadt nach über drei Jahrzehnten (und überdies mit einem waschechten Münchner als Ehemann an ihrer Seite) jedoch definitiv gut genug, um authentisch darüber schreiben zu können. Das merkt man nicht nur am Setting der Geschichten, die auch mal abseits der touristischen Hotspots spielen, sondern auch daran, wie treffsicher sie Münchner Typen skizziert, ganz in der Tradition von Sigi Sommer oder Karl Valentin. Hillebrands Figuren sind meist die sogenannten "kleinen Leute", etwa eine alleinerziehende Mutter mit Geldsorgen, ein Rentnerehepaar, das in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Routine nebeneinander her lebt oder ein eifersüchtiger Trambahnfahrer.

Viele Geschichten haben mich zum Schmunzeln gebracht, einige aber auch zum Nachdenken, denn bei aller Leichtigkeit in der Erzählweise schlägt Hillebrand auch sozialkritische Töne an.

Gerne mehr davon - diese literarischen München-Häppchen haben Appetit gemacht, den Hunger aber nicht gestillt!

Bewertung vom 08.08.2022
Sinken & Fliegen
Frank, Lex R.

Sinken & Fliegen


gut

Psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen, nicht zuletzt durch die großen Herausforderungen und Unsicherheiten, die die Corona-Pandemie mit sich brachte. Mit großem Interesse begann ich daher die Lektüre dieses Romans, der Depression und Burnout sowie den Aufenthalt des Protagonisten in einer psychosomatischen Klinik thematisiert.

Zunächst wurde ich positiv überrascht. Autor Lex R. Frank spielt äußerst virtuos auf der Klaviatur der deutschen Sprache. Er findet zarte, poetische aber auch wuchtige, kraftvolle Metaphern. Sowohl Emotionen seines Protagonisten, des Wirtschaftsanwalts Kleines F., wie auch die Natur werden durch kreative, wunderschöne Bilder beschrieben. Doch leider bleibt dieses Niveau nicht durchgängig erhalten, es schleichen sich auch Plattitüden ein. ("Wenn du ganz unten bist, geht es nur noch aufwärts.")

Und auch der Plot ist sehr durchwachsen. Einerseits geben spannende Rückblenden interessante Einblicke in das Leben von Kleines F. vor seinem Zusammenbruch. Sein Aufenthalt in der geschlossenen Anstalt lässt mich jedoch mit viel zu vielen Fragezeichen und recht unbefriedigt zurück. Weder habe ich mich im Niemandsland zwischen Wahn und Wirklichkeit zurechtgefunden, noch konnte ich mit den Figuren ernstlich mitfühlen - diese Geschichte hat mich leider schlichtweg nicht erreicht.

Schade, denn das Thema, wie unsere Gesellschaft wie auch jeder und jede Einzelne von uns mit Menschen außerhalb der Norm umgeht, ist ein wichtiges.

Bewertung vom 05.08.2022
NEW YORK - Wie es keiner kennt
Kaufman, Susan

NEW YORK - Wie es keiner kennt


sehr gut

Fotografin Susan Kaufman nimmt die Leserinnen und Leser mit auf elf Streifzüge durch ihr ganz persönliches New York, abseits des hektischen Times Square oder der Wolkenkratzer Manhattans.

Die meisten der durchweg sehr ästhetischen Fotos sind in Greenwich Village oder einem der angrenzenden Stadtteile aufgenommen worden, da die Autorin in Greenwich lebt und die Umgebung von ihrer Wohnung aus zu Fuß erkundet hat. Jedem Kapitel nachgestellt ist ein Stadtplanausschnitt, der wunderschön grafisch umgesetzt ist, und in den je vier Lieblingsorte Kaufmans eingezeichnet sind.

Zu jeder Aufnahme ist der jeweilige Standort angegeben, so dass man sich selbst gut auf Spurensuche begeben kann. Die Bilder zeigen viele Fassaden, Treppenaufgänge und Parks, gusseiserne Balkone und Geländer, aber auch Ladenschaufenster oder Innenansichten von Cafés. Vielfalt entsteht auch durch die Jahreszeiten, es gibt Fotos mit blühenden Kirschbäumen, Herbstlaub auf dem Gehweg oder von schneebedeckten Straßen. Literaturbegeisterte interessieren sich vielleicht für das Verlagshaus der Schriftstellerin Anaïs Nin, Serienfans können sich freuen, die Fassade der "Friends"-Wohnung oder des Appartements von Carrie Bradshaw aus "Sex and the City" zu entdecken. Menschen sind hingegen nur ganz vereinzelt und wenn, dann als Beiwerk auf den Fotografien zu sehen; es ist erstaunlich, wie menschenleer "the city that never sleeps" in den frühen Morgenstunden (als die meisten Aufnahmen entstanden) doch sein kann.

Wenig verwundert hingegen, dass die zahlreichen europäischen Einwanderer New Yorks ihrer neuen Heimatstadt auch architektonisch erkennbar ihren Stempel aufgedrückt haben. Es gibt Häuser im niederländischen oder englischen Stil, andere Ecken erinnern an Pariser Bistros oder Römische Palazzi.

Zusätzlich zu den illustrierten Stadtplanausschnitten wäre eine Übersichtskarte hilfreich, aus der die Lage der jeweiligen Stadtteile hervorgeht. Die wunderschönen Fotos hätten ein größeres Format verdient, der Bildband ist doch etwas klein geraten, zumal sich oft gleich vier Aufnahmen eine Seite teilen müssen.

Dennoch lädt das Buch dazu ein, viele, eher unbekannte Seiten New Yorks zu entdecken, sei es zum Träumen zu Hause oder als Vorbereitung auf eine geplante Reise.

Bewertung vom 29.07.2022
Der Papierpalast
Heller, Miranda Cowley

Der Papierpalast


gut

Mal ehrlich - thematisch gesehen ist dieser Roman nicht wirklich bahnbrechend: Eine fünfzigjährige Frau muss sich zwischen ihrer Familie (Ehemann und drei Kindern) und ihrer Jugendliebe entscheiden, mit der sie eine heiße Affäre beginnt. Das hat ohne Frage Potenzial zum Drama, ist aber bereits tausendfach beschrieben. Und Miranda Cowley Heller hat natürlich noch mehr auf Lager, hier eine Vergewaltigung, dort ein Verrat, ja sogar das große Tabu Inzest wird in den Plot eingestrickt. Mir persönlich war das etwas zu viel auf einmal; irgendwie wurde ich den Verdacht nicht los, dass Heller unbedingt einen Bestseller abliefern wollte und hier noch einen Schockmoment und da noch schnell einen Nervenkitzel eingebaut hat. Als ehemalige Senior Vize-Präsidentin des US-amerikanischen Fernsehsenders HBO hat sie Erfolgsserien wie "Six Feet Under" oder die "Sopranos" entwickelt. Und den Mainstream-Geschmack hat sie ja offenbar auch mit ihrem Romandebüt getroffen, "Der Papierpalast" findet sich auf diversen Bestsellerlisten. Wieso ihn auch das Feuilleton so hochjubelt verstehe ich jedoch nicht ganz.

Sprachlich ist die Geschichte gelungen, es ist eine schöne Mischung aus überzeugenden Dialogen und reichlich Einblicken in die Psyche der Ich-Erzählerin. Außerdem schreibt Heller äußerst präzise: Etwas riecht bei ihr nicht einfach nach Erbrochenem, sondern nach "Bananenkotze". Doch die Handlung hat mich im ersten Drittel viel Geduld gekostet, anfangs verliert sich die Geschichte zu sehr in diversen Rückblenden, während die Kapitel in der Gegenwart nahezu minutiös geschildert werden. Die Entwicklung der Hauptfigur bietet dafür Überraschungen und ist letztlich plausibel. Dafür geraten andere Personen - allen voran ihr Prachtstück von einem Ehemann und Traum aller Schwiegermütter - viel zu stereotyp. Als dann auch noch überkommene Geschlechterrollen zementiert werden, habe ich mich wirklich geärgert. Ehemann Peter bruzzelt zwar Rührei zum Frühstück, und zwar auf seine eigene Weise, die eine nur schwer von den Speiseresten zu reinigende Pfanne hinterlässt. Darüber ärgert sich seine Frau zwar, den Abwasch erledigt sie dennoch. Wie bitte? Ist Emanzipation schon erreicht, wenn die Frau auch einen Beruf ausübt, oder was?

Gelungen ist hingegen Hellers Darstellung, wieso ein junges Mädchen einen Missbrauch jahrelang verschweigt. Insgesamt für mich ein durchwachsenes Leseerlebnis.

Bewertung vom 29.07.2022
Eingemacht & zugedreht

Eingemacht & zugedreht


sehr gut

Haftete selbstgemachtem Kompott, eingelegten Gurken und Ähnlichem lange Zeit die ungeliebte Erinnerung an die Lebensmittelknappheit der (Nach-)Kriegsjahre an, so erfährt das Haltbarmachen von Lebensmitteln in der eigenen Küche seit einigen Jahren eine Renaissance und einen positiven Imagewandel. Zu Recht - Einweckte, fermentierte und anderweitig haltbar gemachte Leckereien sind nachhaltig, schonen Ressourcen und sind gesund. Auch im Hinblick auf eine persönliche Notfallvorsorge mach ein gut gefülltes Vorratsregal Sinn. Und mit dem praktischen Ratgeber von smarticular macht es auch noch Spaß.

Über 80 Rezepte mit etlichen Variationen zeigen, wie man selbst Lebensmittel haltbar machen kann, nämlich durch Trocknen, Fermentieren, Einkochen, Gefrieren, unter Zugabe von Salz, Zucker, Essig oder Alkohol. Eingangs wird erklärt, worauf zu achten ist, damit keine gefährlichen Botulinum-Gifte entstehen können. Ferner gibt es Tipps zur richtigen Lagerung von Obst und Gemüse. (Eine kritische Anmerkung an dieser Stelle: Kartoffeln und Zwiebeln kann man zwar wie beschrieben im Gemüsefach des Kühlschranks lagern, jedoch ist dies aufgrund der mangelnden Belüftung nicht optimal und sollte nur für kurze Zeit erfolgen.) Wer handwerklich geschickt ist und einen Garten sein Eigen nennt, kann sich sogar einen Erdkeller für Kartoffeln oder Wurzelgemüse bauen. Ebenfalls im Buch enthalten ist eine Bauanleitung für einen Trockenrahmen. Wirklich praktisch ist die Übersicht über verschiedene Einkochtemperaturen und -zeiten.

Die Rezepte selbst sind sehr vielfältig, von Klassikern wie Holunderblütensirup oder Quittengelee bis zu originellen Köstlichkeiten wie eingelegten Wassermelonenschalen, Rote-Beete-Ketchup oder Kapernersatz aus Knospen der Kapuzinerkresse - die Auswahl ist wirklich beeindruckend.

Das hübsch gestaltete Hardcover mit praktischem Lesebändchen illustriert fast jedes Rezept mit einem ansprechenden ganzseitigen Farbfoto. Leider ist die Schrift etwas klein geraten, und die Angaben zur Haltbarkeit sind oft im Text "versteckt", das hätte übersichtlicher gestaltet werden können. Die Angabe zu Anzahl und Größe der benötigten Aufbewahrungsgefäße fehlt teils oder ist ungenau (wie groß ist "groß?). Hier sollte man sich also besser einen gewissen Vorrat verschiedener Gläser und Flaschen zulegen, bevor man sich ans Werk macht.

Smarticular ist ursprünglich als online-Ideenportal mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit entstanden. Und so ist es nur folgerichtig, dass auch diese Print-Ausgabe praktische Web-Links enthält, unter anderem zu einem Saison-Kalender für Obst und Gemüse oder einem Rechner für Küchenmaße.

Alles in allem ein gelungener Ratgeber und eine überzeugende Rezeptsammlung rund ums Haltbarmachen von Lebensmitteln.

Bewertung vom 29.07.2022
WW - Italien
WW

WW - Italien


sehr gut

Wer wie ich Abwechslung auf dem heimischen Speiseplan liebt, der kann eigentlich nie genügend Kochbücher haben. Und so konnte ich auch bei dieser Neuerscheinung aus dem Hause Weight Watchers nicht widerstehen.

Die italienische Küche ist sehr vielseitig, und Mediterranes passt hervorragend zu den derzeit hochsommerlichen Temperaturen, daher habe ich mich voller Vorfreude in diese hübsch gestaltete Rezeptsammlung gestürzt. Und ich wurde nicht enttäuscht: Mehr als 70 Gerichte laden zu einem kulinarischen Ausflug nach Bella Italia ein. Es gibt Vorspeisen, klassische Nudelgerichte und Pizza, Fleisch und Fisch, Vegetarisches und süße Desserts. Darunter finden sich Klassiker wie Pizza Quattro Stagioni, aber auch Innovative Speisen, wie Lachs mit Süßkartoffelgnocchi oder Kokos-Limetten-Panna-Cotta.

Nahezu allen Rezepten gemein ist eine erfreulich kurze Zubereitungszeit, Vieles kann in weniger als 20 Minuten gekocht werden - perfekt, wenn es nach einem langen Arbeitstag schnell gehen soll. (Ab und an habe ich die Zeitangaben beim Nachkochen überschritten, das sei fairerweise dazu gesagt.) Die Rezepte sind übersichtlich und auch für Anfänger leicht nach zu kochen, und jedes Gericht ist in einem ganzseitigen Farbfoto abgebildet. Wer am Weight Watchers Programm teilnimmt, kann anhand eines QR-Codes seine Mahlzeiten aus dem Buch direkt tracken. Aber auch ohne Gewicht reduzieren zu wollen, ist dieses großformatige Kochbuch ein guter Begleiter für alle, die sich gesund und ausgewogen ernähren wollen.

Schön wäre es gewesen, wenn noch mehr Varianten aufgeführt wären, z.B. vegetarische oder vegane Alternativen. Ausreichend Platz dafür wäre auf den großzügig gelayouteten Seiten vorhanden. Auch die Symbole für spezielle Ernährungsformen und die Angabe der Kalorien sind etwas sehr klein geraten. Dafür erleichtern gleich zwei praktische Register, alphabetisch und nach Zutaten und Stichworten, das Auffinden der Gerichte.

Also nichts wie ran an die Töpfe und buon appetito!