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Benutzername: 
dj79
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Ilsenburg

Bewertungen

Insgesamt 200 Bewertungen
Bewertung vom 07.10.2018
Ca. 750 g Glück - Das kleine Buch über die große Lust sein eigenes Sauerteigbrot zu backen
Stoletzky, Judith;Geißler, Lutz

Ca. 750 g Glück - Das kleine Buch über die große Lust sein eigenes Sauerteigbrot zu backen


gut

Brotbacken zur Besinnung auf das Wesentliche

Brotbacken bedarf Geduld, eine Gabe, die uns heutzutage viel zu oft abhanden gekommen scheint, ein wenig Disziplin und Aufmerksamkeit dem Teig gegenüber. Denn nur wenn man gewisse Regeln beachtet, hat man die Chance aus den Zutaten Wasser, Mehl und Salz ein genießbares Brot entstehen zu lassen.

Wer einen Rezeptband mit Geling-Garantie erwartet, ist hier bei „Ca. 750 g Glück“ an der falschen Adresse. Ein perfektes Brot steht hier weniger im Fokus, viel mehr die Leidenschaft beim Anrühren der Zutaten, beim Beobachten und Belauschen des Sauerteiges, beim sanften Kneten des Brotes, beim Duft des Backens und beim Warten auf das Anschneiden des fertigen Brotes. Auf mich wirkte der Ansatz wie das Weihnachtslied „Vorfreude, schönste Freude ...“.
Sprachlich wurde die Idee der Entschleunigung beim Brotbacken mit Witz und Charme umgesetzt. Unsere „Luxusprobleme“ von heute und unser Umgang damit werden gekonnt auf die Schippe genommen.

Die Aufmachung des Buches mit dem schlichten roten Titel wirkt äußerlich wie die handgeschriebenen Rezeptbücher meiner Mutter früher, was ich sehr ansprechend finde. Die Oberfläche ist so strukturiert, dass es nach einem Leineneinband aussieht. Die Buchseiten sind, wie bei anderen Back- und Kochbüchern auch, aus hochwertigem, schneeweißen Papier. Bebildert wurde das Buch sehr dezent teils in Farbe, teils monochrom. Insgesamt eine hübsche Sache.

Fazit: Da es sich nicht um ein „reinrassiges“ Backbuch handelt, kann ich nur eine eingeschränkte Leseempfehlung geben. Mir hat es gut gefallen, mein erster Starter ist angerührt, ich bin nun gespannt, was daraus wird.

Bewertung vom 04.10.2018
Ein Winter in Paris
Blondel, Jean-Philippe

Ein Winter in Paris


ausgezeichnet

„Romane haben die Eigenschaft, den Leser dazu zu verführen, auf den Schlaf zu verzichten. Lautlos steht er wieder auf, um die Person nicht zu stören, die neben ihm schläft. Er geht ins Wohnzimmer runter, macht das Licht an, legt sich aufs Sofa und gibt sich geschlagen. Die Prosa hat den Kampf gewonnen. Jeder Widerstand wäre zwecklos.“ ( S. 183)

Jean-Philippe Blondel gelingt genau dieser Effekt mit seinem Roman, in dem er mit wunderschöner Sprache Victors Werdegang am Lycée D. in Paris skizziert. Der aus einfachen, provinziellen Verhältnissen stammende junge Mann navigiert in dieser elitären Umgebung stets am Rand der Schlucht des Scheiterns. Just in dem Moment als Victor Hoffnung aufbaut, der Einsamkeit und dem Scheitern zu entkommen, springt Mathieu Lestaing, sein einziger sozialer Kontakt in Paris, in den Freitod. Weil er der einzige war, der Mathieu kannte, steht Victor plötzlich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.

Ich konnte mich schon nach wenigen Seiten mit Victor identifizieren, seinen Wunsch, der Provinz zu entwachsen, seine Zielstrebigkeit, die Entfremdung gegenüber seinen Eltern, die mit Fortschreiten seines Studiums zunimmt. Er war mir nicht nur in seiner natürlichen, ungekünstelten Art und in seinem Auftreten gegenüber Kommilitonen und Lehrkräften sympathisch, Victor hat mich mit seiner Gedankenwelt, seinen Zweifeln, die er mit ungebrochenem Ehrgeiz bekämpft, tief berührt. Die gemeinsame Zeit mit Mathieus Vater, Patrick Lestaing, der mit Victors Hilfe zunächst dessen Freitod verstehen wollte, hatte in meiner Wahrnehmung etwas Heil bringendes für beide. Ihre Gespräche als Teil der Trauerbewältigung, der Erfahrungsaustausch und der gegenseitig bedingungslos gezollte Respekt lassen sowohl Victor als auch Patrick herausfinden, was sie für ihr weiteres Leben wirklich wollen.

Eingebettet ist die Geschichte um Victor in eine wunderbar bezaubernde Sprache. Ich habe des Öfteren Abschnitte wiederholt gelesen, nicht des Verständnisses wegen, sondern weil ich den Genuss des Lesens erneut erfahren wollte. Ich empfinde diese liebevolle Symbiose aus verwendeten Satzkonstruktionen und Stilmitteln als wahre Kunst.

Aus meiner Sicht ist „Ein Winter in Paris“ eine literarische Praline, ein Genuss, auf den Literaturfans nicht verzichten sollten. Nach dem Lesen „... war Ebbe, und ich konnte am Strand der Sätze spazieren gehen, die wir [das Buch und ich] ausgetauscht hatten, die Spuren im Sand betrachten, bevor sie weggespült wurden, den Geräuschen des Windes lauschen, das Gesagte noch einmal überdenken.“ (S. 113)

„Ein Winter in Paris“ zählt zu meinen Favoriten in 2018, also ganz klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 28.09.2018
Ins Dunkel
Harper, Jane

Ins Dunkel


gut

Vielleicht hat jeder von uns schon einmal wahrgenommen, was passiert, wenn zu viele Frauen ohne den ausgleichenden Spirit von ein paar Herren über einen längeren Zeitraum mit einander auskommen müssen, vielleicht in einer Mädels-Clique während der Schulzeit oder im beruflichen Alltag in vom weiblichen Geschlecht dominierten Abteilungen. Wenn es gut läuft, gibt es nur hin und wieder Differenzen, andernfalls zicken sie sich richtig an.

Genau dies sollte wohl bei BaileyTennants vermieden werden, indem man mit abwechselnder Besetzung jedes Jahr Survival-Trails mit Mitarbeitern und Führungskräften als Teambuilding-Maßnahme durchgeführt hat. Die aktuelle Besetzung, ein Damen- und ein Herrenteam, soll nun innerhalb von drei Tagen den Mirror Falls Trail im Giralang-Massiv absolvieren. Das Herrenteam erreicht das vereinbarte Ziel termingerecht. Von den fünf gestarteten Damen kommen Tage später schwer gezeichnet nur vier wieder zurück. Alice bleibt im Wald verschwunden.

„Ins Dunkel“ beschreibt in zwei sich abwechselnden Handlungssträngen die Wanderung in die Katastrophe. Dabei begleiten wir einerseits Jill, Bree, Beth, Lauren und Alice auf ihrem beschwerlichen Weg und auf der anderen Seite die örtliche Polizei bei der Suche nach Alice, sowie den Ermittler Aaron Falk und seine Partnerin Carmen, die eigentlich aus anderen Gründen an BaileyTennants interessiert sind.

Die fünf Damen waren mir allesamt unsympathisch. Ich kam an keine so richtig heran, konnte mich auch mit keiner identifizieren. Am wenigsten mochte ich Alice. Warum das so war, steht auch gleich im ersten Absatz: „Alice hatte eine so scharfe Zunge, dass man sich daran schneiden konnte.“

Aaron Falk wirkte hier ein wenig fehl am Platz, weil das, was hauptsächlich zu ermitteln war, nämlich das Verbleiben von Alice, nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fiel. Trotzdem hat er die lokalen Behörden bestmöglich unterstützt. Durch den Erkenntnisgewinn über Eltern-Kind-Beziehungen ist es ihm gelungen, in seinem eigenen Leben ein Stück mehr Ordnung zu bringen.

Am besten hat mir Carmen gefallen. Ihre natürliche und rücksichtsvolle Art hat mich direkt angesprochen. Sie ist die perfekte Ergänzung zu Aaron im Dienst. Im Privaten hat sie immer ein offenes Ohr für ihn. Zudem ist sich Carmen auch nicht zu schade, ihrem Partner mit einem Tritt in den Hintern auf den richtigen Weg zu verhelfen.

Wenn man davon absieht, dass „Ins Dunkel“ eher ein Abenteuerroman mit Thrillerelementen ist und dass für einen richtigen Thriller die Spannung zu spät anschwillt, hat mir das Buch ganz gut gefallen. Als Leser war ich lange Zeit ganz im Dunklen unterwegs. Ich hätte mir gewünscht, mit einer Ahnung auf den Holzweg gelockt zu werden. Als mir dann sehr spät klar wurde, worauf das Ganze hinaus läuft, war es auch genau so.

Bewertung vom 17.09.2018
TEXT
Glukhovsky, Dmitry

TEXT


sehr gut

Der Roman von Dimitry Glukhovsky erzählt nicht nur von Ilja, einem gebrochenen jungen Mann, der zu Unrecht verurteilt, gerade aus dem Straflager entlassen wurde, sondern berichtet darüber hinaus von Korruption, Polizeigewalt und Überwachung der Menschen durch den Staatsapparat. Er zeigt auf, wie schnell man in diesem Umfeld Opfer von Willkür werden kann, wie abgestempelt und chancenlos einmal auffällig gewordene Personen sind.

Als Ilja aus der Gefangenschaft heimkehrt, ist er ein Fremder. Moskau hat sich verändert, Nichts scheint mehr so zu sein, wie es war. Einzig die „Hüter von Recht und Ordnung“ sind für Ilja überall erkennbar. Bei seiner Ankunft zu Hause muss er dann auch noch feststellen, dass seine Mutter vor ein paar Tagen verstorben ist. Lediglich ein Topf Kohlsuppe ist ihm von ihr geblieben. Ilja betäubt seinen Schmerz mit Alkohol, zieht schließlich los zu dem Ort, wo sein Unglück begann und trifft auf seinen Peiniger, Petja. Im Affekt ersticht er ihn und nimmt dessen Handy an sich. Doch das ist nur der Anfang einer erschreckenden Odyssee. Petjas Handy, als Tor zu dessen Leben, lässt Ilja nach und nach begreifen, warum er ins Straflager musste.

Der Roman betrachtet hauptsächlich die beiden Charaktere, Ilja und Petja. Dabei entstammt die gesamte, Petja betreffende Handlung der Vergangenheit. Sie entsteht als Interpretation aus Iljas Studien der eMails, WhatsApps, Fotos, Videos und Sprachnachrichten, die in Petjas Handy gespeichert sind. Um Petjas Umfeld hinzuhalten, setzt Ilja dessen Kommunikation fort. Für den Leser verschwimmen nun im Verlauf die beiden Persönlichkeiten immer mehr. Zwischenzeitlich musste ich zurück blättern, inne halten und das Gelesene sacken lassen, damit ich die beiden auseinander halten konnte. Iljas Gedankenwelt ist mit Träumen aus seiner Vergangenheit, mit Wünschen für seine Zukunft und Vorstellungen von Pflichterfüllung durchsetzt. Wenn Ilja schläft, mischt sich seine Welt mit dem Bild, das er von Petjas Leben hat.

Dimitry Glukhovsky setzt uns hier keinen einfachen Roman vor. Dieser „Text“ braucht Aufmerksamkeit und Zeit. Dem Leser wird an Iljas Beispiel die Schwermütigkeit der abgehängten russischen Bevölkerung näher gebracht. Wenn man unterstellt, dass die Aussagen des Romans über die Staatsmacht Russlands nicht frei erfunden sind, erfährt der Leser zudem, wie weit entfernt Russland von unserer Denke von Demokratie ist.

Ich empfehle diesen Roman sehr gern weiter, gebe aber zu bedenken, dass hier das Vergnügen etwas Aufwand kostet.

Bewertung vom 17.09.2018
Mit der Faust in die Welt schlagen
Rietzschel, Lukas

Mit der Faust in die Welt schlagen


sehr gut

Schonungslos ehrlich wird in diesem Roman die Gefühlswelt der Nachwendejugend anhand der beiden ostsächsischen Brüder, Philipp und Tobias, herausgearbeitet.

Mit der Wende eröffneten sich für die Erwachsenen, Jugendlichen und die Kinder seinerzeit schier unendliche Möglichkeiten: freie Meinungsäußerung, Reisen in ferne Länder, schicke Autos, coole Klamotten und so Vieles mehr. Der Zugang zu den materiellen Dingen bleibt vielen aus finanziellen Gründen jedoch verwehrt. Gleichzeitig ist die Wahrheit von „gestern“ heute eine Lüge. Massenhaft Leute verlieren ihre Jobs. Die Beständigkeit des Lebens wird aus den Angeln gerissen.

In dieser Zeit erfüllen sich die Zschornacks den Traum vom eigenen Haus. Dabei empfinden sie einerseits Scham gegenüber denjenigen, die sich vermutlich niemals ein Haus leisten werden, andererseits Neid auf den Luxus, den sich andere noch zusätzlich gönnen können. Auch Philipp und Tobias nehmen das Scheitern von Bekannten war, sehen sich selbst in ramponierten Billigklamotten, müssen regelmäßig Verzicht üben, wie auf dem Rummel. Im Heranwachsen verfestigt sich ihr Eindruck, dass es egal ist wie sehr sie sich abstrampeln. Sie werden ohnehin nicht das Leben führen können, das sie sich wünschen.

In dieser Hoffnungslosigkeit ist man gerade als Jugendlicher empfänglich für einfache Ideen, die alle Probleme aus der Welt schaffen, die man selbst nicht zu lösen vermag. Wenn dann gute Redner die jungen Leute im eigenen Umfeld infiziert haben, ist es gar nicht so einfach den „rechten“ Weg nicht mit zu gehen, weil man so schnell allein da steht.

Dieser begrenzte Ausschnitt aus der ostdeutschen Gesellschaft zeichnet gesichtslose Charaktere, die niemand wahrnimmt, deren Ängste, Nöte und Sorgen keiner würdigt. Was gut ist, um die triste Stimmung zu stützen, machte mir das Auseinanderhalten der jugendlichen Charaktere schwer. Beispielsweise habe ich sehr lange gebraucht bis ich sicher wusste, welcher Bruder der Ältere ist und wer von beiden jetzt welche Meinung vertritt.

Insgesamt hat mir die nüchterne, nicht anklagende, lediglich beschreibende Auseinandersetzung mit den Ursachen, die die Empfänglichkeit für rechtes Gedankengut in Neschwitz begünstigt haben, gut gefallen.

Bewertung vom 04.09.2018
Wie ich fälschte, log und Gutes tat
Klupp, Thomas

Wie ich fälschte, log und Gutes tat


gut

Lügen haben kurze Beine

Thomas Klupp begleitet mit seinem temporeichen, humorvollen Roman den Zehntklässler und Tennisspieler, Benedikt Jäger, vier Monate lang. Dessen Leben in der Oberpfälzer Kleinstadt Weiden als Sohn eines Chirurgen und einer angesehenen „Event-Managerin“ der Lady-Lions könnte so schön sein, wäre da nicht der alltägliche Stress, den Tennismatches, Mädchen, Butterhof-Partys und vor Allem der Leistungsdruck am Kepler-Gymnasium auslösen.

Von seiner Mutter hat Benedikt gelernt, dass kleine Schummeleien, einen einfach besser aussehen lassen. Nach diesem Schema lässt es sich prima heimlich kiffen und Schulnoten frisieren. Wie im Rausch perfektioniert Benedikt seine Fälschungen bis er im Adrenalin-Strudel hängenbleibt. Als Benedikt versucht, dem Wahn zu entkommen, beginnt ein amüsantes Abenteuer voller Irrungen und Wirrungen. Die Gefahr, erwischt zu werden, steigt exponentiell an.

Sprachlich richtet sich der Roman (hoffentlich überspitzt) an der Jugend aus. Durchgehend im WhatsApp-Style kommunizieren Benedikt und seine Kumpels Vince und Prechtl miteinander. Sie ziehen über ihre Lehrer her, planen ihre Partybesuche und werten ihre Trefferquote an der Mädelsfront aus. Der Roman thematisiert aus Erwachsenensicht nur belangloses Zeug, welches allerdings während jeder Pubertät wichtig erscheint. Auch wenn die Story weniger durch Tiefgang, sondern mehr durch Witz und Situationskomik getragen wird, hat sich aus meiner Sicht das Lesen gelohnt.

Fazit: Dauerhaftes exzessives Lügen und Schummeln lohnt sich nicht, weil es einen letztendlich wahnsinnig macht. Es ist ein Riesen-Aufwand, der nicht mal nachhaltig ist, sprich langfristig kommt nichts dabei raus.

Bewertung vom 30.08.2018
Wo alles beginnt / Hazel Wood Bd.1
Albert, Melissa

Wo alles beginnt / Hazel Wood Bd.1


gut

Top Marketing, aber „Ich sah nichts als Blätter“

Selten war ich bei einem Buch dermaßen hin- und hergerissen wie bei Hazelwood. Begeistert durch Optik und Klappentext hatte ich hohe Erwartungen an das Buch, die zunächst nicht erfüllt wurden. Melissa Alberts fantastische, märchenhafte Figuren und Handlungsspielräume für die Charaktere können lange Zeit ihre Wirkung nicht umfänglich genug entfalten. Dafür irrte ich gemeinsam mit den Protagonisten irgendwie kopflos durch New York verließ die Stadt schließlich in nördlicher Richtung. Es hat mich enttäuscht, dass die Autorin über weite Strecken das Potential ihrer brillanten Ideen in meinen Augen verschenkt. Erst mit der Wendung in der Geschichte kam auch meine Begeisterung zurück und blieb dann auch bis zum Schluss. Deshalb muss es auch richtigerweise heißen: „ Ich sah lange Zeit nichts als Blätter“.

Als ich Hazelwood zum ersten Mal online sah, hat es mich mit seinem wunderbaren Cover direkt angesprochen. Da wusste ich allerdings noch nicht, dass man dieses perfekte Look and Feel nur wahrnehmen kann, wenn man Hazelwood in die Hand nehmen darf. Dabei gefällt mir nicht nur der Umschlag, bei dem es so aussieht als wäre der Buchtitel bei Nacht in einen nassen Blätterhaufen gefallen. Der Mond und die Sterne bescheinen die Blätter, was durch den verwendeten Glitzer sehr schön zur Geltung kommt. Nimmt man den Umschlag ab, ist das Buch nicht nackt. Die Blätter bleiben erhalten. Auch das Format finde ich passend. Das Buch lässt sich ganz weit aufschlagen und wirkt dadurch irgendwie breiter als normal, wie ein richtiges Märchenbuch halt.

Ella ist in meinen Augen die kritischste Figur in Hazelwood. Sie bewirkt durch ihrem einzigen, stets gewählten Ausweg der Flucht Alices Unfähigkeit sich mit vorhandenen Problemen auseinanderzusetzen. Dabei hat Ella mit ihrem Tun selbst dafür gesorgt, dass beide vom Unheil verfolgt werden. Obwohl ich Ella anfangs ziemlich cool fand, fing meine Sympathie für sie im Verlauf an zu bröckeln.

Mit Alice, Enkeltochter der sagenumwobenen Märchenerzählerin Althea Proserpine, wurde ich lange Zeit nicht warm. Sie kam trotzig, gleichzeitig schüchtern, vorlaut jedoch ohne eigene Ideen und damit hilflos, aber nervig rüber. Insgesamt empfand ich Alice irgendwie undankbar. Das änderte sich erst, als sie auf dem Weg nach Hazelwood auf sich allein gestellt war. Alice musste aus ihrer Komfortzone heraustreten, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das hat ihrem Charakter unheimlich gut getan. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kam sie nun Schritt für Schritt voran. Endlich kam ich ihr näher, konnte Sympathie für Alice aufbauen.

Mein heimlicher Favorit in Hazelwood ist Finch, auch wenn oder auch gerade weil sein nerdiger Charakter etwas klischeehaft angelegt ist. Er ist von Beginn an aktiv, weiß scheinbar intuitiv in jeder noch so misslichen Lage, was zu tun ist. Er ist bereit, Annehmlichkeiten hinter sich zu lassen, um seine eigenen Wünsche und Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Mit Finch habe ich am meisten mitgefiebert. Es wäre mir eine Freude, wenn er bei einer Fortsetzung von Hazelwood auch wieder mit von der Partie wäre.

Neben der grandiosen Aufmachung des Buches haben mir die phantasievollen Figuren und auch die mystisch anmutende, etwas dunklere Märchenwelt sehr gut gefallen. Weniger erbaut war ich von dem für mein Gefühl zu langgezogenen Start ins Geschehen. Gerade auch zu Beginn hätte ich mir eine tiefere Beschreibung der Charaktere gewünscht. So ist mache von ihnen ausgehende Wirkung bei mir eher lautlos verpufft. Zum Ende hin wurde aber auch ich abgeholt und von Hazelwood in den Bann gezogen. Sollte es weitere Bände geben, würde ich ihnen gern eine Chance geben.

Bewertung vom 21.08.2018
Alligatoren
Spera, Deb

Alligatoren


sehr gut

Von wem ist hier eigentlich die Rede, wenn Deb Spera mit dem Titel ihres Romans „Alligatoren“ ankündigt? So unverwüstlich wie die Haut und auch so zäh wie das Fleisch der Alligatoren, die im benachbarten Sumpf leben, müssen auch die Frauen zur Zeit kurz vor der Weltwirtschaftskrise sein, die in den Südstaaten der USA um ihr Überleben kämpfen müssen. Der Baumwollkäfer hat bereits drei Ernten infolge vernichtet. Das Umsatteln auf Tabakanbau wirft nicht genug Gewinn ab.

Zu dieser unwirtlichen Zeit kreuzen sich die Wege von Anni Coles, Retta Bootles und Gertrude Pardee.

Die Farbige, Retta, arbeitet im Haushalt der Familie Coles, so wie es schon ihre Mutter und ihre Großmutter getan haben, nur mit dem Unterschied, dass sie in Freiheit geboren wurde. Retta, die eigentlich Oretta heißt, ist sehr spirituell unterwegs, sie hat ein unendlich großes Herz, sie verehrt Gott und die Kirche. Die größte Zuneigung und Liebe empfindet sie jedoch für ihren Ehemann, Odell. So wie sie von ihm spricht, denkt man an eine junge Liebe und dementsprechend an eine junge Frau. Nur ihre Gebrechen verraten sie. Oretta und Odell haben alle Widrigkeiten des Lebens gemeinsam überstanden. So hält die beiden auch im Alter ein festes Band zusammen, auch wenn sie Meilen von einander entfernt sind.

Gertrude ist die gepeinigte Frau eines alkoholkranken Taugenichts. Sie haben vier Mädchen, von denen zwei bei Verwandten wohnen müssen, weil sie nicht mal genug haben, um alle satt zu bekommen. Als sie schließlich bei Anni Coles in der Näherei anfängt, könnte das Leben für sie besser werden. Doch überall lauern Gefahren wie zum Beispiel das Sumpffieber.

Anni scheint es als Frau eines Plantagenbesitzers und Besitzerin einer Näherei am besten zu haben. Doch der Schein trügt, auch sie hat ihr, wenn nicht gar das schwerste, Päckchen zu tragen. Es kommt nicht von ungefähr, dass ihre Töchter den Kontakt zu den Eltern abgebrochen haben. Zudem setzen die Missernten auch den reichen Weißen zu.

Auf für diese Zeit unkonventionelle Art und Weise helfen sich die drei Frauen. Retta nimmt Gertrudes neunjährige, kranke Tochter bei sich auf und pflegt sie gesund. Anni gibt ihr Obdach und eine Anstellung. Auch wenn die Beziehung manchmal weniger herzlich als geschäftlich wirkt, zieht jede der drei Frauen einen sehr persönlichen Nutzen daraus.

Der in fünf Teile gegliederte Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Gertrude, Retta und Anni jeweils in der Ich-Perspektive erzählt. So kann man allen Dreien nahe kommen. Am sympathischsten war mir Retta. Sie hat am meisten gegeben, strahlte trotz der Misere eine gewisse Zufriedenheit aus. Für mich war Retta zudem die heimliche Chefin der Gruppe, weil sie im Hintergrund sämtliche Fäden gezogen hat.

Mir hat „Alligatoren“ gefallen, ich empfehle es gern weiter.

Bewertung vom 05.08.2018
Ed ist tot
McLean, Russel D.

Ed ist tot


sehr gut

Dermaßen abgedreht, dass es schon wieder gut ist

Das in eine für mein Empfinden hässliche Brochure gebundene Buch von Russel D McLean hält, was der Einband verspricht. Qualitativ gibt es daran gar nichts zu meckern. Das Cover hat eine schöne samtige Oberfläche. Auch die inneren Werte des Buches stimmen, deutliche Abschnittseinteilung, gut lesbares Schriftbild. Was ich mit hässlich meine, ist diese hölzerne, wie Wandtäfelung wirkende Figur mit dem steinzeitlichen Modegeschmack und dem Anti-Talent für Farbkombinationen, die offensichtlich unsere Protagonistin, Jennifer (Jen) Carter, darstellt. Wenn man sich jedoch die Brochure während des Lesens immer wieder von wirklich allen Seiten, anschaut, entdeckt man nach und nach witzige, sehr passende Details.

Normalerweise wird ein Krimi aus der Sicht von Ermittlern oder auch teilweise aus Sicht der Opfer erzählt. Hier dachte ich eine ganze Weile, es wäre eine Story aus Sicht der Täterin. Aber weit gefehlt, auch Jen ist ein Opfer, ein bisschen verursacht durch die kriminellen Machenschaften ihres (Ex)Freundes, Ed, aber hauptsächlich durch ihre eigenen Unzulänglichkeiten. Wie oft habe ich beim Lesen gedacht: „Jen wird doch nicht, sie wird doch wohl nicht, doch sie wird ...“. Dabei hat Jen ganz oft überlegt, wie sie weiter vorgehen soll, hat sich nach meinem Ermessen jedes Mal für die schlechteste Alternative entschieden.

So stolpert Jen durch eine rasante, sehr skurrile Verfolgungsjagd, bei der sowohl der Glasgower Drogenboss als auch die Polizei hinter ihr her sind. Sie trifft dabei auf diverse Gangster in Ballonseide, mäht vor lauter Unsicherheit, was jeweils richtig oder falsch ist, alle und jeden um, die ihr oder ihren Lieben etwas Böses wollen. So entstand im Verlauf die Schlagzeile „Leichen pflastern ihren Weg“. Die Story hat auch was von: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Gefühlt im Wechsel gehen mal Gangster und mal Jen‘s Leute drauf. Am Ende wird dann alles mehr oder weniger gut, als Leser kann man kopfschüttelnd das Buch schließen und ein letztes Mal schmunzeln.

Ich mochte Jen als Antiheldin, die in jeder Lebenslage gezeigt hat, wie man es nicht macht, sehr gerne. Sie wirkte zeitweise echt unsicher, aber immer wenn sie eine unkluge Entscheidung getroffen hatte, war ihr Tatendrang unumstößlich und kraftvoll. Ein schlechtes Gewissen oder Empathie für die Opfer konnte ich bei Jen nicht feststellen. War sie total irre? Oder hatte sie zwei Persönlichkeiten? Das Buch hat es geschafft, dass diese Tatsachen für mich nicht so richtig von Bedeutung waren, ich wollte nur die ganze Zeit gern wissen, was sie als nächstes wieder anstellt.

Fazit:
Man sollte dieses Buch nicht unbedingt lesen, wenn man Bücher über Bücher, Buchhändler und Bibliothekarinnen liebt, es sei den man versteht ganz viel Spaß. Man darf diesen Krimi so oder so nicht ernst nehmen, um ihm etwas abgewinnen zu können. Mir hat er gut gefallen, makabere, witzige Entspannungslektüre als kleine Abwechslung zwischen „normalen“ Büchern. Ich werde mir auf jeden Fall den Verlag merken, der sich auf Bücher wie „Ed ist tot“ spezialisiert hat.

Bewertung vom 29.07.2018
Der Sprengmeister
Mankell, Henning

Der Sprengmeister


sehr gut

Poetische Bruchstücke

Das Cover zeigt den erfüllten Lebenstraum von Oskar Johansson, ein einsames Kleinod auf einer Schäre, ein winziges, spärlich eingerichtetes Saunahäuschen, losgelöst von der kapitalistischen Welt. Es bietet ein einfaches Leben, aber auch die Weite des Meeres und des Himmels. Hier verbringt der im Ruhestand befindliche Oskar seine Sommer.

Als junger Mann überlebt Oskar nur knapp und mit bleibenden Schäden eine Fehlzündung bei Sprengarbeiten. Nachdem seine erste Freundin ihn aufgrund seines „unerträglichen“ Anblicks verlässt, lernt er während einer Demonstration deren Schwester Elvira kennen. Sie heiraten, bekommen drei Kinder, sie führen ein entbehrungsreiches Leben innerhalb der unteren sozialen Schicht. Als Sozialisten sind sie politisch engagiert, hoffen ihr ganzes Leben auf einen Wandel, sie glauben an die Revolution.

Da man Oskar als gealterten Menschen kennenlernt, wirkt er oft schon ein wenig senil und starrköpfig. Er hat keine richtige Lust, sein Leben zu offenbaren. Manches hat er auch einfach verdrängt. Erstaunlich war für mich nach seinem Unfall die Rückkehr in seinen alten Beruf als Sprengmeister. Trotz seiner schweren Verletzung und der daraus resultierenden Eingeschränktheit hat Oskar nie aufgegeben, sich durchgebissen und sein ganzes Leben für seine Familie so viel wie möglich gearbeitet. Das hat mir stark imponiert.

Der Schreibstil von Mankell ist hier sehr schön poetisch, trotzdem etwas gewöhnungsbedürftig, da Oskar’s Geschichte bruchstückhaft in Einzelteilen mit vielen, nicht chronologischen Rückblicken erzählt wird. Wie beim Kitten einer zerbrochenen Vase muss der Leser für die Einzelteile eine Ordnung finden, damit das große Ganze entsteht. Dadurch ist das Lesen recht anspruchsvoll. Aus meiner Sicht ist es eine kleine lohnenswerte Mühe.