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Benutzername: 
MarcoL
Wohnort: 
Füssen

Bewertungen

Insgesamt 176 Bewertungen
Bewertung vom 17.11.2021
Goldenes Gift / Xavier Kieffer Bd.7
Hillenbrand, Tom

Goldenes Gift / Xavier Kieffer Bd.7


sehr gut

Xavier Kieffer, Koch und Gastronom in Luxemburg, darf (endlich) wieder ermitteln. Zusammen mit seiner Freundin Valerie Gabin stoßen sie zufällig auf dunkle Machenschaften hinter der Honigindustrie.
Valerie stolpert auf einer Reise in den USA auf ungewöhnliche Machenschaften rund um den Verleih von Bienenvölker, während Zeitgleich in Luxemburg der Stadt-Imker tot aufgefunden wurde (und dieser noch kurz zuvor von Kieffer kontaktiert wurde). Während ihren Nachforschungen dringen sie immer weiter in das System der Honigpantscherei, Genmanipulation, und mafiösen Verstrickungen ein. Die Polizei wollen sie, wie immer, vorerst nicht informieren – die tun ja eh zu wenig und stellen die falschen Fragen. Teilweise hat der Autor die Hintergründe gut recherchiert, mir kommt aber vor, dass ihm dies in vergangenen Romanen besser gelungen ist (rein subjektives Empfinden meinerseits).
Der Plot ist spannend wie eh und eh, nur manchmal wird den Protagonisten zu viel Heldenmut zugetraut, besonders dann im Showdown. Nichts desto trotz war der #Krimi ein feines Lesevergnügen, eine angenehme Ablenkung, die 470 Seiten rutschten an zwei Abenden durch.
Die ganze Serie zeichnet sich aus durch gute Beschreibungen der Stadt Luxemburg (macht Lust, dort mal einen Städtetrip zu machen), sowie durch wichtige, teils unbekannte Themen rund um Lebensmittel – und wie die Industrie damit umgeht. Hier wird gefälscht und manipuliert dass sich die Balken biegen.
So gesehen sind die Bücher ein guter Mix aus Hintergrundinfos und spannendem Krimi rund um die Gastronomie.

Bewertung vom 10.11.2021
Faszination Krake
Stavaric, Michael

Faszination Krake


ausgezeichnet

Diese schöne Sachbuch, vornehmlich geschrieben und gedacht für Kinder ab der 5.,6. Schulstufe ist ein wunderbarer Streifzug durch die Welt der Tintenfische. Es gibt viel Wissenswertes darin über diese tollen Geschöpfe, ein paar kleine Anekdoten des Autors runden das Buch ab. Ich für meinen Teil hätte im Text allerdings noch mehr über die Kraken erfahren, und weniger Einblicke über den Ich-Erzähler/Schreiber.
Die Sprache, so finde ich, ist sehr gut an die Zielgruppe angepasst.
Die Zeichnungen und Illustrationen von Michele Ganser sind liebevoll gestaltet und passen perfekt dazu, regen die Fantasie an. Ein paar wenige Suchbilder, machen das Sachbuch interaktiv – auch davon dürfte es ruhig mehr geben für meinen Geschmack.
Trotz dieser „Mini-Beanstandungen“ meinerseits ist es ein sehr gelungenes Kinderbuch – und auch Erwachsene können sich darin verlieren und viel Wissen mitnehmen.
Die Aufmachung ist wirklich liebevoll gestaltet – das Buch eignet sich sehr gut als Geschenk für alle jungen Forscher und Entdecker.

Bewertung vom 17.10.2021
Wolkenkuckucksland
Doerr, Anthony

Wolkenkuckucksland


ausgezeichnet

Wow! Was für ein Buch!! Es ist sehr vielschichtig, und dennoch einfach, kommt im Prinzip mit fünf handelnden Personen aus, überspannt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, und ist vor allem eins: Eine Liebeserklärung an das geschriebene Wort, an Bücher und Bibliotheken. Dies ist dem Autor eindrucksvoll gelungen.
Allen drei Handlungssträngen sind zwei Dinge gemeinsam: Zum ersten ist es ein antikes Werk mit dem Namen „Wolkenkuckucksland“ (eine mysteriöse Stadt in den Wolken), verfasst von Antonios Diogenes auf 24 Tafeln, gemäß dem damaligen altgriechischen Alphabet. Zum zweiten sehen sich die Handlungsträger mit den Auswirkungen einer zerstörten Welt konfrontiert.
Die 24 Abschnitte des Romans beginnen jeweils mit einer Tafel des Diogenes – welche immer wieder zentraler Punkt der Erzählung wird rund um die Personen.
Konstantinopel steht im Jahr 1453 kurz vor dem Fall an die Sarazenen, mitten drinnen die junge, streng christlich (mit allen Anbiederungen, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten) erzogene Anna, und Omeir, Muslim, geboren mit einem Wolfsrachen, welcher ihm kein einfaches Leben beschert.
Beide kommen mit dem Kodex in Verbindung, beide sind involviert in den drohenden Krieg, und beide versuchen das beste aus ihrem auferlegten Schicksal zu machen.
In der gegenwärtigen Zeit kämpft sich Seymour mühsam gegen die Welt an. Er ist ein Außenseiter, hypersensibel. Er findet seine Ruhe nur in der Natur, freundet sich mit einer Eule an, und zerbricht an der fortlaufenden Zerstörung der Welt. Er trifft in gewisser Weise auf Zeno, der ebenfalls in eine Welt geworfen wurde, mit der er schwer klar kommt. Traumatisiert vom Korea-Krieg dümpelt er sein Dasein in der gleichen Stadt wie Seymour. Letztendlich treffen sie aufeinander, und …
Konstance, ein junges Mädchen, befindet sich in einem futuristischen Raumschiff, welche ein paar auserwählte Menschen in einem über mehrere Generationen übergreifenden Flug zum nächst möglichen Exoplaneten bringt. Eine KI steuert das Schiff, wird zum Versorger und Wärter der Passagiere, bis das eintritt, was als unmöglich eingestuft wurde …
Der erwähnte Kodex ist stets eine Art Bindeglied zu den verschiedenen Ebenen – welche die Zerstörung der Welt als Gemeinsamkeit haben.
Das Buch, so einfühlsam es auch ist, so wunderbar die einzelnen Abschnitte erzählt werden, ist für mich ein gewaltiges Mahnmal an die Kraft der Liebe und Bücher, an die Wunder der Natur, an die Schönheiten unseres Planeten und ein gehöriger Fingerzeit gegen die allgegenwärtige Zerstörung unserer Umwelt und Lebensbereiches! Es mag ganz leicht dystopisch angehaucht sein – doch in solchen Szenarien bewegen wir uns leider schon – die Menschheit hat den Ast, auf welchem sie sitzt, zu 99,9% schon durchgesägt.

Bewertung vom 12.10.2021
Die Party
Haidacher, Ulrike

Die Party


ausgezeichnet

Sätze, verschachtelt, verwebt und mit Gedanken verknotet, welche sich oft über mehr als ein Seite dehnen. Das klingt vorerst eher abschreckend und macht skeptisch. Und dennoch: Das Buch liest sich derart leicht und schnell, trotz all der Gespinste bleibt der Faden der Geschichte, sofern von Handlung überhaupt gesprochen werden kann, sicht- und greifbar. Man kann sich daran wunderbar entlang hanteln – wie auf einer Brücke über eine tiefe Schlucht mit grandioser Aussicht nach links und rechts.
Diese Sätze sind so geschrieben, wie wir oft denken, in Schleifen, mit Ahnungen und Ideen nebenbei, und kommen immer wieder zum Kern des ursprünglichen Gedanken zurück.
Auf diese Weise erzählt uns die Ich-Erzahlerin, wie sie von ihrem Softeisstand zu einer Party eines selbsternannten „Künstlers“, „Autors“, „Theatermachers“ gelangt, mit verschiedenen Personen in Kontakt kommt, die Themen abstruser und abstruser zu scheinen werden und der Eklat vorprogrammiert zu sein scheint.
Mit viel Witz und der nötigen Härte geht die Autorin hierbei an die Themen des Feminismus und vor allem Sexismus heran. Die Ausführungen des Künstlers, welcher sich als Frauenversteher und -beschützer sieht, wirken überzogen, sind aber in Wirklichkeit der wahre Kern, wenn es um Frauendiskriminierung geht. In seinen Theaterstücken belegt er die weiblichen Rollen mit Männern, so kommt das männliche Publikum erst gar nicht auf die Idee sich zu überlegen, wie die Dame ohne Kleider aussehen würde – ein wahrer Schutz für die Frauen (natürlich sehr ironisch). Und so ziehen sich solche und andere Themen durch das Buch, machen einen nachdenklich schmunzelnd, kopfschüttelnd und setzen unserer Gesellschaft einen Spiegel vor, welcher nicht zerbrochen werden kann.
S.54: „[...] immerhin hat jede Frau wählen dürfen, wem sie dienen hat wollen: Ob zum Beispiel als Nonne dem lieben Gott oder als Ehefrau einem Ehemann, oder ob sie am allerliebsten Dienerin als Bedienerin war [...]“ - also zuwas aufregen, alle suchen sich aus was sie wollen! NICHT!
An und für sich könnt ich hier das ganze Buch zitieren – so viele Botschaften, manchmal knallhart präsentiert, oftmals mit feinem Humor und Sarkasmus versteckt, finden sich in den 200 Seiten, geballt mit Kritik an den Männern und der Gesellschaft. Zu recht!!!
Der Subtitel – Eine Einkreisung. Aus meiner Sicht (die auch komplett daneben liegen kann) wird der Sexismus im enger werdenden Radius thematisiert, bis er ins Zentrum (oder Nullpunkt) kommt, gleich dem alles eskalierenden Urknall. Die Frauen verstecken – dann erledigt sich das Thema von selbst (woher kommt mir das nur so bekannt vor???). Ich kann nur sagen: Absolut geniales Buch, eine starke Stimme für die Frau!
Traut auch rein in dieses absolut tolle Debüt der österreichischen Autorin, welche in ihrem Hauptberuf eine gefeierte Kabarettistin ist.

Bewertung vom 10.10.2021
Schwund
Kruse, Tatjana

Schwund


ausgezeichnet

Nun, ich lese ja viel, und hauptsächlich ernste Literatur. Aber zwischendurch muss und darf es auch was Heiteres sein, so wie diese Thrillmödie. Und ich bin hin und weg und vollauf begeistert (liegt wohl daran, dass ich schwarzen Humor mag).

Es tauchen Leichen auf, tiefgefroren und sorgfältig eingewickelt in Folie. Wer meint das sei makaber genug – mit nichten. Den toten Körpern fehlen nebenbei noch Skalp und die Augen. Dafür sind sie tätowiert …
Die Sachlage scheint schwierig, wenn nicht aussichtslos für das Ermittlerteam. Es gibt zwar erste Vermutungen, weil es ähnlich geartete Morde schon mal gab, allerdings vor Jahrzehnten. Und als neue Leichen auftauchen geht die Schnitzeljagd nach dem, der oder die Täter in rasantem Tempo quer durch Deutschland. Die SoKo erweitert sich quasi von selbst – was auch mehr oder weniger der einzige Zugewinn an Fakten ist. Die Chefs der Ermittler, sowie Staatsanwaltschaft, reagieren ziemlich unfreundlich und cholerisch, und als dem Team dann noch ein Überermittler namens „Fixer“ vor die Nase gesetzt wird und die ganze Chose in einen fulminanten Drogen-Bandenkrieg ausartet, kann man spätestens hier erkennen, warum der Titel „Schwund“ heißt. Der Bodycount wächst und wächst und wächst … so, zuviel gespoilert.
Die Protagonisten sind bis auf die fiesen Typen (siehe oben) alle sehr liebenswert, haben alle ihre Macken und Stärken, die Autorin versteht es prächtig, ihre Ermittler und handelnde Personen sehr plastisch darzustellen. Man könnte meinen man kennt sie persönlich. Wie sie so sind: Bitte selber lesen!!!
Die Kapitel beginnen immer mit einem weisen Spruch bzw. Zitat – sehr treffend, Schmunzelfaktor garantiert.
Das Buch liest sich in einem Rutsch lachmuskelstrapazierend durch, es war ein feiner toller Spass!! Ganz großes Kompli an die Autorin

Das Buch ist beendet, es war grandios!
Die Kunst der Autorin einfach famos!

Fast angepieselt ich mich hätt vor lauter Lachen!
Stehen darin doch viele lustige Sachen!

Die Helden des Romans waren ganz patent!
Von rotzig frech bis leicht verklemmt!

Es gab auch ein paar fiese Gesellen!
Und auf Hündchen, die lieber beissen statt bellen!

Alles zusammen war es ein Heidenspass!
Und bei den Toten gabs kaum ein Maß!

Ganz lauwarm erwischt hat mich das Buch am Ende!
Gab es doch eine völlig geniale Wende!

Bewertung vom 01.10.2021
Wenn ich wiederkomme
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


ausgezeichnet

Wenn ich wiederkomme von Marco Balzano

Was macht Literatur aus? Was ist es, das uns letztendlich in der unendlichen Flut von wohlgeformten Sätzen dahinschmelzen lässt?
Für mich ist es diese Kunst, wie sie Balzano beherrscht, aus einem tragischen Thema ein einfühlsames Werk zu schaffen, das weder beurteilt noch verurteilt, sondern, so knapp eine Inhaltsangabe auch ausfallen mag, eine Episode im Leben von Menschen uns gefühlvoll näher bringt. Wie schon in seinen Vorgängerromanen schafft es der Autor auch hier wieder eindrucksvoll, den Leser in einem Meer aus Buchstaben treiben zu lassen, ohne dass die Wellen der Worte über einen schwappen und ertränken.
Daniela lebt in mit ihren Kindern Angelica und Manuel, sowie ihrem Mann, der für die prekäre Familiensituation wenig übrig hat, in Rumänien. Das Leben ist auch nach dem Fall des Kommunismus hart, karg, bitter. Die spärliche Arbeit reicht nicht aus für ein halbwegs sorgenfreies Leben, oder um den Kindern ein Studium zu finanzieren, zumal der sogenannte „Familienernährer“ nicht gerade ein Vorzeigemodell ist.
Über Nacht, ohne Abschied, geht Daniela nach Mailand um dort in der Kinder- und/oder Altenpflege zu arbeiten. Der Job ist hart, aber sie verdient genug Geld um es ihren Kindern nach Hause zu schicken. Der Vater ist mittlerweile getürmt, die Erziehung obliegt erst mal den Großeltern. Knapp sind die Heimatbesuche der Mutter, das schlechte Gewissen mit diversen Geschenken beruhigt.
Einfühlsam beschreibt der Autor die Situationen der einzelnen Handlungsträger, verrät uns ihre Wünsche, Sehnsüchte, Ängste und Nöte. Sie kommen selbst in den Kapiteln zu Wort, erzählen uns von sich (ein Fakt der mir sehr gut gefällt). Es passieren kleine und große Katastrophen, und der Titel des Buches wird dem Inhalt, der Botschaft, gerecht.
Die Geschichte an sich mag fiktiv sein, dennoch beruht sie auf dem wahren Hintergrund, dass Millionen von Frauen aus dem Osten im Westen Arbeit suchen, zu Bedingungen zu welche Mitteleuropäer:Innen wohl kaum arbeiten würden. Es ist ein Buch voller Menschlichkeit, berührt und lässt einen so manche Dinge im Leben neu bewerten und sehen.

Bewertung vom 28.09.2021
Pop ist tot
Mulitzer, Thomas

Pop ist tot


ausgezeichnet

„Pop ist tot“ ist der Name einer Punkband, welche in den 90er Jahren die österreichische Provinz samt Nachbarländer aufmischte. Die Musik war laut, schrill, drei Gitarrenakkorde genügten, mehr brauchte man nicht, um auf Tour zu gehen. Der Erfolg schwelte so zwischen fast bekannt und der Verpuffung in die Bedeutungslosigkeit. Aber es war eine tolle Zeit für Hansi, Branko, Günther und dem Ich-Erzähler. Sie lebten gemäß dem Slogan: „No future – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung [...]“ (S.12).
Natürlich gab es eine Zukunft für alle vier Bandmitglieder. Währende sich Branko und Hansi gar nicht so schlecht machten und es zu einem gewissen Lebensstandart schafften, tat sich Günther schon wesentlich schwerer den von der Gesellschaft erwarteten Spießbürgerstatus einzunehmen. Und der Erzähler tümpelte in der Erfolgslosigkeit von Jobs herum, hatte aber zumindest eine bezahlte Beschäftigung.
Eines Tages taucht Günther auf, einige Details seines Lebens verschweigend, und möchte die Band wieder vereinen und auf Tour gehen. Sie könnten als Vorgruppe der Band „Superschnaps“ spielen, einen Bus habe er, und zugesagt auch schon. Jetzt muss nur noch der Rest mit aufspringen.
Irgendwie dachte ich mir beim Lesen: Hm, gabs doch schon mal bei den Blues Brothers, … aber weit gefehlt. Das anstehende Roadmovie durch Österreich, Slowenien, Ungarn entwickelt zu einem schrillen Spaß, einer virtuosen schreiberischen Genialität, Tinnitus inklusive. Aberwitzige Situationen und skurriles aus der Vergangenheit mischen die Buchstaben gehörig durcheinander.
Der Sprachstil ist einfach, locker, frech und typisch österreichisch – ich fühlte mich um Jahrzehnte verjüngt und musste das Buch in einem Rutsch durchlesen. Schmunzelfaktor inbegriffen.
Und dennoch klingen immer wieder mal ernstere, gesellschaftskritische Töne durch, die dem Ganzen eine runde Harmonie verpassen, von Dissonanz keine Spur.
S.32: „Eure Tradition ist es, Tiere zu häuten, Stiefel zu lecken und Geld zu verdienen. Und das nicht aus Zufall seit 1938.“
oder S. 130: „Das heißt, die Komfortzone zu verlassen und feministische Standpunkte kennenzulernen, was dem schwachen Männergemüt schon einiges abverlangen kann.“
Es war mir ein Fest und spreche eine mehr als klare Leseempfehlung aus (vor allem für Freunde der österreichischen, zeitgenössischen Literatur a la Angela Lehner, Helena Adler, etc.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2021
Gegen alle Regeln / Strafverteidiger Pirlo Bd.1
Bott, Ingo

Gegen alle Regeln / Strafverteidiger Pirlo Bd.1


ausgezeichnet

Es war mir ein Fest das Buch lesen zu dürfen, auch wenn der Roman und ich am Anfang noch nicht ganz so dicke Freunde waren. Ich musste mich da erst ein wenig hinein finden – was dann auch sehr gut geklappt hat.
Dr. Anton Pirlo, ein selbstgewähltes Pseudonym, denn sein wahrer Name (und somit seine Familie) käme in den Kreisen der Rechtsgelehrten wohl nicht so gut an. So langsam und allmählich lüftet Bott uns dieses Geheimnis. Und wahrlich, Pirlo, ist nicht zu beneiden. Nebenbei noch von der Agentur rausgeschmissen, fängt er neu an. Seine neue Kanzlei richtet er sich in seinem Wohnzimmer ein, anscheinend ein neuer Trend. Zugute kommen ihm sein nach wie vor seine Reputation als Strafverteidiger, sein Doktorvater, eine ehrgeizige Partnerin (mit eigenen Baustellen) und natürlich ein Fall, der es in sich hat.
Seiner Mandantin wird Mord vorgeworfen, die Faktenlage ist eigentlich eindeutig, ein Schuldspruch scheint mehr als wahrscheinlich. Schadensminimierung ist erstmal angesagt. Nachdem aber seine Brüder mehr oder weniger einen etwas größeren Unsinn gemacht haben, muss Geld her. Viel Geld. Und dies bekommt Pirlo nur, wenn er den Fall gewinnt – sprich ein Freispruch muss her. Und dazu Ermittlungen auf eigene Faust, vielleicht nicht immer ganz koscher … mehr verrate ich nicht, selber lesen bitte!
Die vielen kurzen Kapitel stören am Lesefluss nicht, Überschrift, Orts- und Zeitangaben lassen Erwartungen zu – ein Stilmittel, erst etwas ungewohnt für mich, letztendlich sehr begrüßt.
Fazit: Ein wunderbarer, spannender Pageturner – mit einer behutsamen Einführung in die Charaktere samt ihrem Umfeld, ohne gleich von Anfang an mit der Türe ins Haus zu fallen. Also ein sehr gekonnter Aufbau. Was soll ich noch sagen: Lest es!

Bewertung vom 31.08.2021
In diesen Sommern
Hecht, Janina

In diesen Sommern


ausgezeichnet

In einfachen Worten blättert die Ich-Erzählerin Teresa in ihren Erinnerungen und gibt uns einen zarten Einblick in eine Vergangenheit, die gerade erst geschah.
Sommerfeelings, die ersten Meter auf dem Fahrrad, Urlaube, Blumen, Schule, Bruder. Es könnte eine Idylle sein, unbeschwert und leicht. Doch man merkt sehr bald, dass sich am fernen Horizont eine düstere Wolke aufbauscht, den drohenden Sturm samt Unwetter ankündigt, wohl wissend um die Möglichkeit des Vorbeiziehens des Unheils.
Es ist eine Unterschwelligkeit, oft nur Ahnungen, doch auch manchmal wie der Blitz samt lautem Donner aus heiterem Himmel, der so manche, fast schon erhoffte, Überraschung entlädt.
Teresas Rückblicke ziehen immer wieder zu ihrem Vater, zu einer Chronologie von familiären Angelegenheiten, welche nicht immer die Angenehmsten sind und waren. Ich möchte hier nicht viel mehr über den Inhalt schreiben – es wäre gespoilert und getriggert.
Die Sprache ist sehr einfach gehalten – eben aus der Sicht eines Kindes bzw. eines Teenagers. Das zieht das teilweise schwere Thema zu einer, sagen wir, naiven Betrachtung, geschuldet aus den Augen eines jungen Menschen, der noch nicht allumfassend verstehen kann, was um ihn geschieht, beziehungsweise auf ihn zukommen mag.
Einfühlsam und dennoch mit der nötigen Härte schreibt Janina Hecht über den Alltag einer Familie, wie sie wahrscheinlich zu Millionen vorkommt. Erinnerungen, Verblassungen, Gewesenes. Was bleibt am Ende über? Hass oder Liebe? Verständnis oder Verachtung? Hierüber kann nur jeder für sich selber entscheiden? - Deswegen und für vieles mehr gebe ich hier sehr gerne eine Leseempfehlung, das Buch fordert auf, seine eigene Vergangenheit zu durchforsten.
Die knapp 160 Seiten sind schnell gelesen, und erzeugen einen gewissen Nachhall. Wie gesagt, der Sprachstil ist bewusst einfach, ohne überflüssige Worte oder Schnörkel – ein sehr gelungenes Debüt der Autorin!

Genial einfach - einfach genial tiefgreifend!

Bewertung vom 23.08.2021
2001
Lehner, Angela

2001


ausgezeichnet

Der Roman ist unglaublich fesselnd, spannend, sehr humorvoll, mit der richtigen Prise Sarkasmus, und mit sehr wichtigen Botschaften, verpackt in einen comingofage Roman.
Während man sich noch vor Lachen die Tränen abwischt versteht es die Autorin, dass einem schon im nächsten Absatz das Gesicht buchstäblich einfriert. Sie kommen nicht oft vor, diese abrupte Wechsel, aber sie sind sehr geschickt platziert.
Die österreichische Politik des Jahres 2001 spielt eine gewisse Rolle in diesem wunderbaren Roman. Es geht aber vielmehr um die fünfzehnjährige Julia (Ich-Erzählerin), die sich durch das letzte Hauptschuljahr im ländlichen Ort „Tal“ kämpft. Mit Lernen hat sie es nicht so, und schon gar nicht mit Zahlen. Somit scheiden Mathe und Geschichte schon mal aus, und das nicht so reichlich vorhandene Hirnbenzin sollte da eingesetzt werden, wo es dienlicher ist. Schließlich müssen die Ressourcen geschont und richtig eingesetzt werden (frei interpretierter O-Ton).
Ihre Abschussklasse befindet sich im Keller des Gebäudes, und wird kurzerhand „Restmüll“ genannt. Sie hat eine Crew – eine Clique von Gleichgesinnten – mit denen sie meistens abhängt, raucht, Skol drinkt, und viel Musik hört (Playlist im Anhang inkl). Während ihr Bruder, der ihr meist eine Stütze ist, sich auf die Matura vorbereitet, entfremden sich diese im Laufe der Zeit, und von Eltern …. ?

Als dann der Lehrer für Geschichte einen sagenhaften Einfall für ein Experiment hat, bei welchem jede Schüler*In einen Einser bekommt, und er selbst die erhoffte Beförderung zum Direktor, beginnen manche Strukturen zu bröckeln. Mehr kann und will ich über den Inhalt nicht sagen – es wäre alles gespoilert.
Nur soviel: Das Zurechtfinden in einer Welt ohne Zukunftsperspektiven. Das Entdecken der eigenen Wut. Familiäre Vernachlässigung. Rechtsdruck. … und und und ...
Der Sprachstil ist dem Wortschatz von Julia angepasst. Aus ihrer Sicht erleben wir die ersten Monate des Jahres 2001. Die Sprache ist teils etwas derb (aber das passt schon so), teils mit wirklich sehr köstlichen österreichischen Ausdrücken gespickt. Ich bin wirklich schwerst begeistert von diesem Roman, der neben all der humorvollen Schilderung die wahren Abgründe unserer Gesellschaft schonungslos aufdeckt.
Es ist ein Buch, auf das man sich wahrscheinlich etwas einlassen muss, aber spätestens nach den ersten Seiten ist man im Bann der Erzählkunst. Einfach nur sehr GENIAL! Danke an die Autorin für diese sehr köstlichen Lesestunden!