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gst
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pirna

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Insgesamt 201 Bewertungen
Bewertung vom 03.05.2018
#EGOLAND
Nast, Michael

#EGOLAND


gut

„Er war ein Blender, dachte er und irgendwann würden sie ihn enttarnen, zumindest hatte er das einmal angenommen, aber irgendwann hatte er auch verstanden, dass niemand Interesse daran hatte, ihn zu enttarnen. Sie wollten sich täuschen lassen. Sie wollten Oberflächlichkeiten, etwas Glattes und Einfaches, das niemand vor Rätsel stellt.“ (Seite 112)

Michael Nast hat in seinem ersten Roman laut eigenen Angaben tatsächlich stattgefundene Ereignisse festgehalten. Er schreibt über einen Schriftstellerkollegen, mit dem er einmal befreundet war. Dass der sich das Leben genommen hat, erfährt der Leser schon im Prolog. Als Erbe bekam Michael Nast die Aufzeichnungen über das letzte Lebensjahr des Mannes, den er schon aus seiner Jugend kannte. Daraus wurde dieser Roman, in dem er die Ursachen des Suizides aufdeckt.

Eigentlich ein Thema, das Interesse erweckt. Aber leider sind die ersten 200 Seiten so ausführlich beschrieben, dass mir beim Lesen ständig die Augen zufielen. Hier wird die Berliner Schickimicki-Szene beschrieben: wie gesoffen und palavert wird, und die Menschen kreuz und quer miteinander schlafen. Schade, dass Berlin nur für diejenigen lebendig wird, denen Stadtteile und Straßen- oder Kneipennamen geläufig sind. Die erhoffte Atmosphäre blitzt nur selten auf. Wichtiger sind dem Autor nichtssagende Gespräche: „Die Gespräche, die er in den letzten zwanzig Minuten geführt hatte, waren ineinander verschlungene Monologe, die sich nicht berührten“ (Seite 119)

Es dauert weit über 200 Seiten, ehe die Schamlosigkeit des Toten so richtig zum Tragen kommt. Wenn er sich überlegt „Manchmal hat man nur die Chance auf eine glückliche Beziehung , indem man eine andere zerstört“ (Seite 271), entsteht sogar so etwas wie Spannung. Da langweilen plötzlich die vielen Whatsup-Nachrichten weniger, ganz im Gegenteil wird die Abhängigkeit von der Technik und die damit entstehende Lebensferne deutlich.

War ich zu Beginn des Buches noch der Meinung, dass es - auch wegen der unendlich vielen Druckfehler - höchstens zwei Sterne wert ist, wurden es schließlich doch drei. Ich denke, dass mit einem ordentlichen Lektorat und einigen Kürzungen aus dem Thema mehr herauszuholen gewesen wäre.

Bewertung vom 16.04.2018
Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2
Lunde, Maja

Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2


sehr gut

Ohne Wasser kein Leben

Signe kämpft seit ihrer Jugend für die Umwelt. Auch mit knapp 70 Jahren gibt sie nicht auf und will verhindern, dass das norwegische Gletschereis von arabischen Scheichs als Drinkkühler verwendet wird. Dazu macht sie sich im Jahr 2017 mit ihrem Segelboot auf den Weg zu ihrem ehemaligen Geliebten nach Frankreich.

David könnte vom Alter her ihr Enkel sein. Er lebt im Jahr 2041 in Frankreich und flieht gemeinsam mit seiner Tochter vor der Hitze des Südens in den Norden. In einem Flüchtlingslager hofft er seine Frau und den kleinen Sohn wieder zu finden.

In relativ kurzen Kapiteln begleitet der Leser abwechselnd Signe und David auf ihrem strapaziösen, vom Wasser abhängigen Weg und erfährt dabei so einiges über die Vergangenheit beider Protagonisten. „Nichts kann hässlicher werden als etwas, das einmal schön war“, spielt zwar auf die Ehe von Signes Eltern an, passt aber ebenso auf den extremen Wetterumschwung in nur wenigen Jahren, den David als Krieg bezeichnet.

Die 1975 in Olso geborene Maja Lunde, die mit ihrer „Geschichte der Bienen“ bekannt wurde, hat in diesem Buch auf eine in meinen Augen interessante Schreibtechnik zurückgegriffen: Das, was in der heutigen Zeit geschieht, erzählt sie im Präsens, das was erst in Zukunft geschehen wird, erzählt sie im Perfekt. Ihr ist mit der Geschichte des Wassers ein Werk gelungen, das erschreckt und zum Nachdenken anregt. Denn diese fiktionale Erzählung ist gar nicht so unwahrscheinlich und verdeutlicht, dass die Zahl der Flüchtlinge in nicht allzu ferner Zukunft wohl noch um einiges größer werden kann.

Obwohl mir der Roman gut gefallen hat und sich leicht lesen ließ, hat er mich nicht ganz überzeugt. Aber vier Sterne ist er auf alle Fälle wert.

Bewertung vom 14.03.2018
Ein Leben lang
Grosse, Julia

Ein Leben lang


ausgezeichnet

„Dies ist kein Handbuch für die Liebe, randvoll mit praktischen Antworten. Doch es lässt einen die Idee von Partnerschaft, die Situation der eigenen Beziehung vielleicht neu betrachten“, schreibt die Autorin im Vorwort zu diesem gelungenen Buch. Die Geschichten über langjährige Ehepaare sind ebenso bunt wie das Cover.


Julia Grosse (geboren 1976) hat von klein auf zu ihren Großeltern aufgeblickt. Sie waren mehr als 70 Jahre ein Paar. Auf der Suche nach einer Antwort, wie man eine so tiefe Verbundenheit ein ganzes Leben lang aufrechterhält, hat sie neun Paare interviewt, die alle weit über 50 Jahre zusammenleben.


Interessant daran ist, dass jedes Paar andere Prioritäten setzt. Bei den einen war das Eheleben nicht immer so entspannt, wie es im Rückblick aussieht. Viele haben mit nichts begonnen und sich gemeinsam etwas aufgebaut. Bei den Paaren, die Kinder hatten, gab es die typische Rollenverteilung, bei der die Frau die Familie zusammen hielt und der Mann für das Einkommen zuständig war. Dass das nicht immer so bleiben muss, zeigt die Aussage von Herbert Baumann: Nachdem er erkannt hat, was er früher falsch machte, versucht er nun „das aufzuholen, was ich seinerzeit versäumt habe“ (Seite 48)


Die tiefen Einblicke in die verschiedenen Lebensmodelle (auch ein lesbisches Paar kam zu Wort) haben mehrere Gemeinsamkeiten. Alle wissen, dass sie sich aufeinander verlassen können und haben großen Respekt voreinander. Man muss nicht immer einer Meinung sein, aber „man muss versuchen, die des anderen zu nachzuvollziehen und zu akzeptieren.“ Während sich die einen gar nicht trennen können, meinen andere: „Es hält frisch, wenn man nicht immer aufeinander hockt.“


Untermalt ist das Buch mit aussagekräftigen Fotos, deren Anblick mich sehr gerührt hat, weil das Glück und die Liebe daraus hervorleuchten. Nachdem ich mich einmal mit all diesen internationalen Geschichten beschäftigt habe, bleibt der tiefe Wunsch übrig, die eigene Ehe ebenso erfüllt bis zum Ende zu leben.


Fazit: Obwohl das Buch kein Beziehungsratgeber ist, kann man als Leser eine Menge daraus lernen. Möge es vielen Liebespaaren Mut machen!

Bewertung vom 12.03.2018
Ein Band von meinem Herzen bricht
Schmidle, Elke

Ein Band von meinem Herzen bricht


sehr gut

Der Weg in die Freiheit

Es ist noch nicht so lange her, dass von Kindern unbedingter Gehorsam verlangt wurde. Dass der auch zu ungewollter Abhängigkeit von charismatischen Persönlichkeiten führen kann, zeigt dieses Buch.

Die 1959 geborene Autorin erzählt sehr lebendig über ihre Kindheit als jüngste von vier Geschwistern. Ihre Eltern wurden als Jugendliche von den Idealen des Nationalsozialismus geprägt und haben sich so manche Erziehungsrichtlinien zu eigen gemacht. So wurde Elke Schmidle zu einer jungen Frau, die sich nicht gegen Übergriffe von Außen zu wehren wusste. Sie schloss sich vertrauensvoll einer „Führerin“ im Glauben an, die weit über jedes christliches Ziel hinaus schoss. Diese „Führerin“ war so charismatisch, dass es auch den wenigen hellhörig gewordenen Erwachsenen nicht gelang, die jungen Menschen aus dieser Abhängigkeit zu lösen. Eigentlich hatten sie ja auch nichts Böses im Sinn – sie wollten mit Magdas Hilfe nur „besonders gute Christen“ werden.

„Oft empfand ich starken Widerstand gegen diese Gebetskämpfe“ (stundenlang wurden Fürbitten für jeden einzelnen Namen, der ihnen einfiel, gehalten), „aber damals gab es für mich keine Möglichkeit zu entrinnen … Es war für mich eine unlösbare, ausweglose Situation: in mir stritten der verzweifelte Wunsch, einfach leben zu dürfen – ich war 22 Jahre alt! - die Angst, unsere große Sache durch meinen Ungehorsam zu gefährden, die Angst, Magdas Vertrauen in mich zu enttäuschen, und die Schuldgefühle dafür, dass in mir so viel Zerrissenheit herrschte.“ (Seite 83)

Magda entpuppte sich immer mehr als psychisch krank und schaffte es sogar, ihre „Nachfolger“ anzustecken. Sie gaben ihre Arbeit oder das Studium auf (und damit jede soziale Absicherung), „um ganz für Gott da zu sein“.

Was ich da zu lesen bekam, war einfach schrecklich! Hier wurde deutlich, wie religiöser Fanatismus entstehen kann. Elke musste erst ganz tief sinken, ehe sie die Notbremse zog und Hilfe suchte. Nun lernte sie, was wichtig im Leben ist: „Ein geregelter Tagesablauf, gutes Essen, saubere Kleidung, ein warmes Bett, menschliche Zuneigung, lachen und fröhlich sein.“ (Seite 133)

Ehe die eingefrorenen Gefühle wieder auftauten, verging viel Zeit. Über Jahrzehnte arbeitete sie hart daran, um etwas Leichtigkeit im Leben zu spüren. Immer wieder stellte sie fest: „Wir tragen nicht erwachsen gewordene Anteile in uns, und sie blockieren uns noch als Erwachsene, mischen sich immer wieder in unsere Gefühle und Reaktionen ein.“ Deshalb ist die Autorin auch überzeugt davon, „dass jeder Blick zurück dazu diente, im Heute besser leben zu können.“

Selten lässt mich ein Buch so zwiegespalten zurück. Es hat mich angesprochen – aber auch abgestoßen. Diese Hörigkeit, von der ich hier lesen konnte, hat mich erschreckt. Obwohl mir der Stil der Autorin nicht besonders gefiel, entwickelte das Buch einen gewissen Sog – denn es macht klar, wie leicht junge Menschen vom richtigen Weg abkommen können und wie schwer es ist, ihn wieder zu finden. Buchtipps auf den letzten Seiten ergänzen das Thema.

Bewertung vom 07.03.2018
Hinter dem Lächeln die Tränen
Walsh, Sheila

Hinter dem Lächeln die Tränen


ausgezeichnet

„Es wäre wunderbar, wenn die Medizin und die christliche Gemeinschaft zusammenwirken würden zum Nutzen der Menschen.“ (Seite 278)

Sheila Walsh wurde 1956 in Ayr (Schottland) geboren und lebt in nun Frisco/Texas. Sie ist als gefragte Musikerin, Rednerin und Autorin international unterwegs. In diesem Buch erzählt sie von einer schweren seelischen Verletzung, die sie als Kind traumatisierte und im Erwachsenenalter als Depression Behandlung verlangte. Von einem Tag auf den anderen verließ sie ihren öffentlichen Arbeitsplatz, um sich einen Monat lang in einer Klinik behandeln zu lassen. Als sie bemerkte, wie viele Menschen an alten Verletzungen leiden, gab sie ihre Verschwiegenheit auf. In diesem Buch beleuchtet sie, wie ihr der christliche Glaube beim Weg aus der Verzweiflung half.

Als ich das Buch zur Hand nahm, stellte ich mir vor, in die Biografie der Autorin einzutauchen. Sicher enthält es auch einige biografische Aspekte, doch überwiegen Zitate aus der Bibel. Die gehen auf „verletzte Herzen“ ein und zeigen den Überlebenskampf der Propheten, ehe sie die heilende Gemeinschaft aufgreifen, die wieder Freude am Leben schenken kann.

Ich sehe dieses Buch als Ratgeber für Menschen, die sich aus einer Depression befreien wollen. Ich kann mir vorstellen, dass es wunderbar eine Psychotherapie ergänzt. Es regt aber auch mehr oder weniger Gesunde zum Nachdenken an. Schritt für Schritt wird klar, wie man mit Hilfe der Bibelgeschichten wieder Verantwortung für das eigene Leben mit all seinen Verhaltensweisen übernehmen kann.

„Die Furcht hinter sich zu lassen erfordert Glauben“, schreibt Walsh auf Seite 214 und geht wenig später (Seite 235) auf das göttliche Paradoxon ein: „Stärke entspringt aus Schwäche, Demütigung geht der Auferstehung voraus; Schmerz ist nicht nur der Preis, sondern der Grundstein geistlicher Auferstehung.“

Walsh, die mit den Worten der Bibel viele der Probleme benennt, die die Menschheit schon seit jeher belasten, wehrt sich vehement gegen die Sicht von vielen religiösen Menschen, dass sich eine Depression ganz ohne Medikamente - nur durch den Glauben - heilen lässt: „Wenn ein Mensch an schwerer klinischer Depression leidet und man ihm dann rät, er solle sich mal wieder einkriegen oder mehr beten, dann ist das gerade so, als ob man einem Diabetiker empfiehlt, die Insulinspritzen abzusetzen und sich lieber einem Bibelgesprächskreis anzuschließen.“ (Seite 277)

In meinen Augen hat sie ihren Weg der Reifung sehr nachvollziehbar festgehalten. Auch wenn das Buch völlig anders war, als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte, hat es mich so überzeugt, dass ich es gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 05.03.2018
40 Tage mit Dietrich Bonhoeffer
Göpfert, Sandro

40 Tage mit Dietrich Bonhoeffer


ausgezeichnet

Ein hilfreicher Begleiter - nicht nur zur Fastenzeit

40 Tage, also von Aschermittwoch bis Karsamstag dauert die Fastenzeit im christlichen Glauben. Sie geht auf Jesus zurück, der laut Bibel freiwillig 40 Tage in der Wüste verbrachte. Nicht nur Christen denken in der Zeit vor Ostern über ihren Lebensstil nach und wollen ihn – zumindest zeitweise - verändern. Dabei geht es nicht nur um Verzicht bezüglich des allgemeinen Konsums, sondern auch um Besinnung und Umkehr.


Sandro Göpferts Andachtsbuch mit Texten von Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) kann dabei sehr hilfreich sein. Er widmet sich all den Anliegen der Menschen, die der evangelische Pfarrer und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in seinen Büchern festgehalten hat. „Bonhoeffer hat in ihnen Rechenschaft gegeben, wie christlicher Glaube vom einzelnen Christen inmitten der Gemeinde unter den Bedingungen einer Diktatur gelebt werden kann“, schreibt Peter Zimmerling im Vorwort dieses Buches.


Es enthält für jeden der 40 Tage jeweils einen zum Nachdenken anregenden Text von Dietrich Bonhoeffer. Verbunden mit einem kurzen, dazu passenden Bibeltext und sehr persönlich gehaltenen Fragen und Gebeten kann sich der Leser nicht nur den herausfordernden Gedanken Bonhoeffers nähern, sondern wird auch dazu angeregt, seine eigene Einstellung zum Glauben zu überdenken.


Mir persönlich hat der Aufbau der Texte sehr gut gefallen. Es werden alle Aspekte des christlichen Lebens beleuchtet, aber auch menschliche Stärken und Schwächen kommen nicht zu kurz. Freude und Not, Gemeinschaft und Enttäuschungen, Singen und Schweigen und viel mehr für jeden Menschen wichtige, gegensätzliche Stichworte werden erörtert und verdeutlichen so, was Bonhoeffer durch seine Not getragen hat.


Auch wenn wir heute im Allgemeinen nicht Bonhoeffers Repressionen ausgesetzt sind, lohnt sich die Lektüre. Denn, wie das Cover schon andeutet, wird der Blick bis in den Nebel hinein geschärft und der Mut, sich den unvermeidlichen Nöten des Lebens zu stellen, gestärkt.


Der 1980 geborene Sandro Göpfert hat sich nach einer Bankausbildung zum Theologiestudium entschlossen. Der evangelische Pfarrer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sein Wirkungskreis ist inBurgstädt bei Chemnitz.

Bewertung vom 12.02.2018
Frau Einstein / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.1
Benedict, Marie

Frau Einstein / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.1


gut

Geplatzte Träume
Über Albert Einstein gibt es viele Bücher. Doch über seine Frau(en) weiß man relativ wenig. Durch dieses Buch hoffte ich nun, diese Wissenslücke zu schließen. Doch das, was ich mir vorgestellt hatte, wurde enttäuscht. Die Autorin hat zwar versucht, sich so weit wie möglich an Fakten bezüglich Daten, Orten und Figuren zu halten, hat sich aber an Stellen, zu denen sie keine Nachweise fand, der reinen Spekulation hingegeben. Dabei gelang es ihr meines Erachtens nur ansatzweise, den Geist der damaligen Zeit einzufangen.

Das Buch ist von einer emanzipierten Frau geschrieben. Auch Mileva Marić, die „es vom hinterwäldlerischen, frauenfeindlichen Serbien in die ausschließlich von Männern bevölkerte Physik- und Mathematiksäle einer Schweizer Hochschule geschafft hatte“ (Seite 360), war emanzipiert. Auf jeden Fall musste sie große Anstrengungen aufbringen, um ihren Weg zu gehen. Auf den ersten 100 Seiten des Romans wird die Geschichte eines ungewöhnlichen jungen Mädchens auf eine romantisierte Art erzählt.

Das Buch ist aus der Sicht von Mileva geschrieben, doch ich höre die Stimme der Autorin heraus, die sich über die frauenfeindliche, ungerechte Behandlung echauffiert. Sicher erfährt der Leser auch einige interessante Details über das Leben der Frau, die eigentlich selbst eine wissenschaftliche Karriere anstrebte und schließlich im Hausfrauen- und Mutterdasein unterging. Aber je weiter ich in der leicht lesbaren Lektüre vordrang, desto weniger gefiel mir die Art des Geschriebenen. Ich hätte wohl doch lieber eine neutrale Biografie gelesen, als diesen mit vielen Emotionen beladenen Roman.

Die 1973 geborene Amerikanerin Marie Benedict ist durch Hausaufgaben ihres Sohnes auf die erste Frau von Albert Einstein aufmerksam geworden und hat dann versucht, sich ihr anzunähern. „Je mehr ich mich mit Mileva beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass sie selbst eine hochinteressante Persönlichkeit war – und nicht nur eine Fußnote in Albert Einsteins Leben.“ (Seite 360) Die Autorin hat für meinen Geschmack an Stellen, zu denen sie keine Nachweise fand, zu sehr aus heutiger Sicht spekuliert, wie es gewesen sein könnte. Da es aber sonst kaum Informationen über Mileva Marić gibt, kann man sich zumindest ansatzweise ein Bild über die 18 Jahre machen, die hier erzählt werden.

Bewertung vom 21.01.2018
Eine Insel zwischen Himmel und Meer
Wolk, Lauren

Eine Insel zwischen Himmel und Meer


sehr gut

Crow landete als Neugeborene in einem kleinen Boot auf einer nur von einem Einsiedler bewohnten Insel an. Ihr wahrer Name sowie ihre Herkunft sind unbekannt. Nun ist Crow zwölf und die Fragen nach ihren Eltern lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Währenddessen wächst bei ihrem Ziehvater Osh die Angst, dass er das Mädchen verlieren könnte. Unterstützt von Miss Maggie, der liebevollen Frau von der Nachbarinsel, begibt sich Crow auf die Suche nach ihrer Familie und überzeugt Osh davon, dass er ihre wahre Familie ist. Geschrieben ist alles aus der Perspektive von Crow, die eine gute Beobachtungsgabe hat.

Lauren Wolk hat mit „Eine Insel zwischen Himmel und Meer“ einen gut lesbaren, emotionalen Roman verfasst, der gleichermaßen Kinder und Erwachsene anspricht. Hier verbinden sich tiefe Gefühle mit Abenteuerlust und Spannung. Schauplatz sind die Elisabethinseln, die durch den sogenannten „Schiffsfriedhof“ von der Küste von Massachusettes getrennt sind. Der Leser lernt so nicht nur das mal mehr, mal weniger mühsame Leben auf einer armseligen Insel während der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts kennen, sondern auch die Sorge um Schiffe, die bei Sturm an Klippen zerschellen. Und – nicht zu verachten – die Angst vor ansteckenden Krankheiten. Denn Penikese (eine der Inseln) beherbergte früher Leprakranke.

„Die Geschichte ist so etwas wie eine Torte mit vielen Schichten“, schreibt die Autorin in ihrem Vorwort. Diese Schichten bestehen unter anderem aus Furcht und Mut, Gier und Großzügigkeit, Vorurteilen und Vergebung sowie der Frage nach der eigenen Identität. Lauren Wolk bringt dem Leser ihres Buches unterschiedliche Charaktere nahe, so unterschiedlich, wie die Menschen nun mal sind. Man erlebt Crows Verwunderung darüber ebenso wie die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor Gewalt.

Fazit: Ich habe das Buch gerne gelesen und empfehle es uneingeschränkt weiter.

Bewertung vom 05.01.2018
Mein Herz ist ein wilder Tiger
Weber, Tanja

Mein Herz ist ein wilder Tiger


ausgezeichnet

Auch verwundete Seelen wollen leben

"Schau nicht zurück, John Mbete, schau nach vorne! Die Sonne scheint.“ (Seite 185)

Elly ist 100 und lebt im Pflegeheim. Ihre Kräfte lassen nach, aber ihre Erinnerung ist lebendig. Sie hat im, mit und für den Zirkus gelebt. Aufgewachsen im Zirkus Busch erhielt sie Engagements im Berliner Wintergarten, im Circus Sarrassani, mit dem sie bis nach Amerika reiste und bei Ringling Brothers eine neue Heimat fand. Die Autorin hat sauber recherchiert und so die Geschichte der Zirkuswelt aufgerollt.

Ellys Lieblingspfleger im Heim ist John. Der Schwarzafrikaner versucht nach seiner Flucht übers Meer im heutigen Berlin Fuß zu fassen. Er wohnt mit dem jungen Eritreer Tesfai und dem Afghanen Ajmal in einer Wohngemeinschaft. Nachts zerreißen Schreie der Traumatisierten die Stille. Durch gegenseitige Unterstützung versuchen die Gestrandeten sich das Leben erträglich zu gestalten.

Der Autorin ist es wunderbar geglückt, diese so unterschiedlichen Schicksale in ihrem Roman zu verbinden. Die Brüche, die sich beim Wechsel einer Lebensgeschichte zur nächsten nicht vermeiden lassen, fielen mir beim Lesen kaum auf. Das Buch ist spannend geschrieben und ließ mich als Leser tief in die Problematik der einzelnen Figuren eintauchen.

Dies war das dritte Buch, das ich von Tanja Weber las, doch für mich mit Abstand das beste, da es reale Vergangenheit und Gegenwart nachvollziehbar verbindet.