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Wedma

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Insgesamt 549 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2020
Die Anbetung
Wolff, Marie-Luise

Die Anbetung


ausgezeichnet

Dieses digitalisierungskritische Buch habe ich sehr gern gelesen und empfehle es wärmstens weiter. Es liefert nicht nur so manche Information, die man den sog. Leitmedien kaum entnehmen kann. Es gibt so viele Ideen, Gedankenanstöße, spannende Fragestellungen, über die man dringend nachdenken und die man im Freundes-/Familienkreis ausdiskutieren sollte. So viele bemerkenswerte Stellen, s. Foto. Fast auf jeder Seite steckt ein Klebezettel. Es ist auch ein Buch, das man vllt schnell durchlesen kann, ein schlichter, aber ergreifender Schreibstil, aber das Nachdenken über die Inhalte kann mitunter das Vielfache der Lesezeit betragen, was sich ein unbedingter Attribut der sehr lesenswerten Bücher ausmachen lässt.
Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend.
Das Buch hat 7 Kapitel, die man in beliebiger Reihenfolge lesen kann. Sie sind wie Essays zum jeweiligen Thema. Schon im Vorwort geht es gut los mit der These, dass „…die Bildung digitaler Plattformkonzerne den Ausfall staatlicher Regulierung bewirkt haben.“ S. 10. „Unsere ‚Opferbranchen‘ lassen wir bisher ungeschützt. Alle Türen stehen den digitalen durch das Versagen des Staats weit offen.“ „Digitalmonopole sind Monopole, auch wenn sie modern daherkommen. Mit ihrem Geschäftsmodell beamen sie uns in die Wirtschaftsordnung feudaler, vordemokratischer Zeiten zurück.“ S. 11. In weiteren Kapiteln wird dies, und noch vieles mehr, plausibel, bildhaft, für jeden zugänglich erläutert.
Jedes Kapitel hat seine Highlights. Kap. 4 „Geldverbrennung im Silicon Valley“ hat mehrere davon. Hier geht es u.a. um Elon Musk und seine Geschäfte, um seinen feudalen Führungsstil, um seine als umweltfreundlichen angepriesenen Autos, die Marsbesiedelungspläne usw. Im Unterkapitel „Orwell und das 21. Jahrhundert“ geht es u.a. um die private Big Data Firma Plantir, die den Horror der Orwellschen Totalüberwachung längst möglich gemacht hat. Da stehen einem die Haare zu berge.
Im Kap. 6 „Der digitale Konsument: Wie man zum Instrument von Algorithmen wird“ fand ich nicht nur griffige Zusammenfassungen zu Kahnemanns Werk „Schnelles Denken, langsames Denken“. Hier geht es um Nudging und Super Nudging online, dass man vor lauter clever gestalteter Reize dazu tendiert, das kritische, langsame Denken auszuschalten und sich dem Digitalen wehrlos zu ergeben. Das Verhalten solcher Nutzer wird vorausseh- und steuerbar, was etliche Interessengruppen aus der Wirtschaft und Politik für sich zu nutzen wissen.
Kapitel 7 liefert den „Wegweiser“ namens „Das Ende der Anbetung“. Die Warnung, dass außer paar digitalen Monopolisten das Groß der Nutzer auf der Verliererseite stehen werden, geht dem voran. „Das soziale, das kulturelle und auch das wirtschaftliche Leben werden mit und nach den Eingriffen der digitalen Konzerne ärmer sein. Wir können und sollten uns dieser Eingriffe deutlich erwehren.“ S. 246. Weiterhin gibt es 14 Punkte für die Nutzer, die ihren Umgang mit dem Digitalen dadurch optimieren können. Auch die drauf folgenden 16 Vorschläge zur strukturellen Verbesserung im Umgang mit dem Digitalen sollten sich die Politiker wie ihre Wähler durch den Kopf gehen lassen. Wenn so manches daraus realisiert wäre, sei es die digitalen Konzerne zur Erfüllung ihrer Steuerpflicht bringen, die Speicherung und Verkauf privater Nutzerdaten durch digitale Dienstleister gesetzlich zu verbieten oder auch Grundrechtecharta für die Anwendung starker künstlicher Intelligenzen zu erarbeiten, wäre man weiter in Sachen, ach aus dem Digitalisierungsjoch einen Stück zu befreien.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das einen wertvollen Beitrag in der öffentlichen Debatte zum Thema Digitalisierung leistet. Sehr gern gelesen. Bitte mehr davon.

Bewertung vom 01.09.2020
Wir müssen reden, Frau Doktor!
Adler, Yael

Wir müssen reden, Frau Doktor!


ausgezeichnet

Dr. med. Adler hat erneut ein informatives und unterhaltsames Werk vorgelegt, das heute stark aktuelles Thema aus diversen Blickwinkeln beleuchtet: bessere Verständigung zwischen den Patienten und den Ärzten. Denn davon, wie gut Arzt und Patient miteinander auskommen, hängt vieles ab, die Genesung des Patienten eingeschlossen. Dies wurde anhand des Beispiels aus dem realen Leben gleich am Anfang beschrieben. Die Geschichte von Markus, Anfang 50, bei dem Prostatakarzinom im Frühstadium entdeckt wurde, und wie es ihm damit erging, beeindruckt nicht nur, sie macht deutlich, was alles schiefgehen kann, wenn man eine weniger geschickte Kommunikation mit den Ärzten an den Tag legt. Es geht praktisch ums Leben und Tod.

Dr. Adler geht wohl geordnet vor und untersucht zunächst die Beziehung Patient-Arzt. Dabei unterscheidet sie diverse Arzttypen wie „Der Kittelträger“, „Der Dino“, „Der ‚Spezialist‘“, „Der Technikgläubiger“, „Der Hypochonder“ usw. Jeder Typ ist auf ca. 3 Seiten beschrieben samt Fazit, was für diesen Arzttypus wichtig ist und wie man mit ihm am besten umgeht. Die Ärzte-Klischees, z.B. wie sich die Chirurgen, Hautärzte, Kardiologen usw. typischerweise verhalten und wie man dies sich zunutze machen kann, findet man im Anschluss.

Im nächsten Kapitel folgen die Patiententypen wie „Der Zwanghafte (Listenschreiber)“, „Der Ängstliche I und II“, „Der Hypochonder“ usw. Hier ist interessant zu schauen, zu welchem Typus man selbst tendiert, und wie die Ärzte mit so einem Typus im Normalfall umgehen.

Auch einige Internetadressen der Gesundheitsportale wurden hier gegeben, die man gern nutzen kann, statt zum Dr.-bekannte-Suchmaschine zu greifen uvm.

Man erfährt hier u.a., was in bestimmten Situationen zu tun angebracht wäre, z.B. „Was tun, wenn mein Arzt mir teure Zusatzleistungen verkaufen will?“ S. 179ff. Die Empfehlungen sind in einer kleinen Tabelle zusammengefasst, dazu kommt eine Internetseite, auf der die Zusatzleistungen beschrieben sind, sodass man selbst abschätzen kann, ob man sie wirklich braucht. Das Thema Vertrauen zw. Arzt und Patient wurde hier ebenfalls beleuchtet, genauso wie und was tun, wenn man den Arzt wechseln möchte uvm.

Dr. Adler zeigt die gröbsten Fehler auf, die die Ärzte und Patienten in einem Gespräch miteinander begehen können. Sie erklärt, wie man sich am besten auf einen Arztbesuch vorbereitet und effizient kommuniziert.
Man erhält also eine sehr gute Entscheidungsgrundlage für die Fragen, die viele Patienten beschäftigen.

Es gibt hier noch weitere spannende Themen, auf die ich in diesem Rahmen nicht eingehe.

Fazit: Ein Buch voller Empfehlungen, Infos, Gedankenanstöße in einer sehr zugänglichen und für jeden verständlichen Form: klar, hin und wieder mit lustigen s/w Zeichnungen lesefreundlich aufbereitet. Ein sehr guter Ratgeber, den ich gern weiterempfehle.

Bewertung vom 27.08.2020
Die Indianer
Bungert, Heike

Die Indianer


ausgezeichnet

Ein toll geschriebenes, informatives und aufschlussreiches Werk, das ich sehr gern gelesen habe und ebenso gern weiterempfehle.
Angefangen mit der vorchristlichen Zeit und dem neusten Stand der Erkenntnisse, aus welchen Regionen der Welt die Urvölker nach Nordamerika eingewandert waren: (Kapitel 1 „Ursprünge“ 14000 v Chr. - ca. 1400 n.Chr.) und den Ausführungen zum Stand der Dinge bevor das Ganze losging (Kapitel 2 „Kultur, Sprache und Lebensweise vor Ankunft der Euroamerikaner (1400-1513))“ ging es übers Mittelalter (Kapitel 3 „Formen des Kontaktes und Auswirkungen (1513-1689))“ immer näher zu der heutigen Zeit bis zum Jahr 2019.
Wer den Romanzyklus „Lederstrumpf“ von J. F. Cooper mal gelesen hat, kann sich vieles aus den Kapiteln 4 „Von der Teilnahme an europäischen Kriegen zur Indianerpolitik der jungen USA (1689-ca. 1820), Kapitel 5 „Indianische Erneuerungsbewegungen und der Widerstand gegen die Euroamerikaner (1762-ca. 1820)“ und Kapitel 6 „Die US-amerikanische Vertreibungspolitik und die Reaktion der Indigenen (1820-ca. 1860)“ bildhaft vorstellen.
Hier sind die Dinge ebenfalls so dargestellt worden, dass die Geschehnisse klar vor Augen stehen. In diesem Sachbuch aber wurde die Vogelperspektive eingenommen und Hintergründe, Zusammenhänge usw. dargelegt. Schauen Sie ins Inhaltsverzeichnis. Zu jedem der dort aufgeführten Themen, s. die Kapitelüberschriften, findet man reichhaltige, aufschlussreiche Inhalte. Gut auch, dass man hier über die Kultur und Religionen der indigenen Völker, zumindest kurz, lesen konnte. Wie sie versucht haben, auf ihre Art die Geschehnisse, ja den Verlauf der Geschichte zu eigenen Gunsten zu verändern… David gegen Goliath ist nichts dagegen.
Die vier Ziele, die Heike Bungert an ihr Buch gestellt hat, sind prima getroffen worden. Insb. der Überblick über die indianische Geschichte ist sehr gut gelungen. Auch die Rolle der indigenen Frauen, ferner die Rolle der indianischen Gruppen im „Zivilisierungsprozess“ und die gegenseitige Wahrnehmung sind deutlich herausgekommen.
Die Sachverhalte sind so klar und unverblümt dargelegt worden! Man sieht, wie viele Kriege, wie viel Gewalt, wie viel Leid die Euroamerikaner nach Nordamerika gebracht haben, welche Verbrechen begangen wurden. Da stehen einem die Haare zu Berge. Das Ganze ist aber schön nüchtern, sachlich und/aber keineswegs trocken erzählt worden. Die Balance zwischen dem Sachlichen und dem Kopfkino, das gleich am Anfang startet, ist prima getroffen, was ich der Autorin hoch anrechne.
Man sieht dem Werk an, dass dieses Thema der Autorin sehr am Herzen lag. Großartige Arbeit hat sie geleistet: Ihr Wissen so zugänglich, so lebendig und (doch) auf dem Niveau eines sehr guten Sachbuches für die Leser aufbereitet. Schon diese Leistung, diese Hingabe, zusammen mit den spannenden, aussagestarken Inhalten, machen dieses Werk sehr lesenswert.

Es gibt einige s/w Fotos, die die Indianer den heutigen Leser nahebringen.
Hinten im Buch findet man auch Karten: Die Indianerreservate und Stammesgebiete heute. Und noch eine, die aufzeigt, wo welche indigenen Völker lebten, bevor sie von den Euroamerikanern entdeckt wurden. Das gibt zu denken.
Die Anmerkungen sind auch liebevoll gestaltet. Dort gibt es ergänzende Kommentare, Empfehlungen der weiterführenden Literatur usw.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das zeigt, auf welchem Fundament das heutige Weltmacht-Imperium steht, mit welchen Mitteln diese Macht gewonnen wurde uvm.

Bewertung vom 20.08.2020
Gegen die Diktatur der Gewinner
Leberecht, Tim

Gegen die Diktatur der Gewinner


ausgezeichnet

Dieses Buch möchte ich jedem ans Herz legen, denn es ist ein Thema, das uns alle angeht, mit dem wir uns, jeder für sich und wir als Gemeinschaft, stärker auseinandersetzen müssen.
So eine frische, wohl durchdachte, strukturiert und leicht bekömmlich dargelegte Sicht der Dinge kommt nicht alle Tage.
Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend: „Tim Leberecht, scharfsinniger Vordenker für einen neuen Humanismus in Wirtschaft und Gesellschaft, prophezeit: In Zeiten der Digitalisierung und der ständigen Optimierung müssen wir neu lernen, mit Niederlagen umzugehen. Verlieren wird sogar zur unerlässlichen Kernkompetenz. Welche Arten des Verlierens es gibt und wie wir gut damit zurechtkommen, verrät er in diesem leidenschaftlichen, gesellschaftskritischen Aufruf zu mehr Menschlichkeit…“

Jede Zeile liefert die Erkenntnis, dass der Autor lange und gründlich über das Thema nachgedacht hat. Mutig wie scharfsinnig beschreibt er seine Sicht auf den heutigen Ist-Zustand in Sachen Gewinner vs. Verlierer. Und viele seiner Beobachtungen erschienen sehr treffend, wie mir aus der Seele geschrieben. Noch vielen Lesern wird es vermutlich so ergehen, insb. denjenigen, die Managementpositionen in international agierenden Firmen bekleidet haben. Auch für die Leser, die etwas anderes gemacht haben, birgt dieses Buch eine Fundgrube an wertvollen Einsichten.
Leberecht erklärt, recht plausibel, warum die Gewinner-Diktatur schädlich ist. Es wurde dabei zwischen dem Verlieren und Scheitern unterschieden. Nur eine sehr kleine Gruppe profitiert von der Gewinner-Diktatur. Der Rest gehört auf lange Sicht zu den Verlierern. Also sollte man sich mit dem Thema so früh und gründlich, wie es nur geht, auseinandersetzen.
Leberecht analysiert in Kapiteln 1 und 2 die Gewinnermentalität, dabei nimmt er sie ganz schön aufs Korn, dieses unbedingte, um jeden Preis gewinnen müssen: „Wenn Gewinnen zum kategorischen Imperativ wird, sind ethische Aspekte schnell hintangestellt und Externalitäten Nebensache. Und auch die Wahrheit wird dann rasch zweitrangig.“ S. 29. Zwei Typen der Gewinner, Leitwölfe und Bullys, stellt er hier vor. Im Kap. 2 erfolgt die Bestandsaufnahme der letzten Entwicklungen in der Gesellschaft, die totale Digitalisierung eingeschlossen, und zeigt, wie die Gewinner-Diktatur das konstruktive, gute Miteinander und das Normalmenschliche insg. zerstört (hat). „Die Diktatur der Gewinner – das sind die Datenanalysten in Unternehmen und Managementfirmen, die uns sagen, was richtig und was falsch ist, was angemessen und abgebracht. Und die neben Daten keine anderen Götter tolerieren.“ S. 35.
Es gibt noch viele wichtige Dinge, über die der Autor sich die Gedanken gemacht hat und seine Sicht mit den Lesern teilt, darunter: welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die nationale Identifikation hat/ haben sollte. Welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die westlichen liberalen Demokratien mittlerweile hat. „2014 kam heraus, dass die Plattform Experimente durchgeführt hatte, um zu testen, inwieweit es die emotionalen Stimmungen seiner Nutzer manipulieren konnte. Mit anderen Worten: Anders als ein Staat kann Facebook Millionen von Menschen kurzfristig emotionalisieren. Es ist eine Waffe der Massenmanipulation.“ S. 89.
Je weiter ich las, desto öfter kommentierte ich die Passagen mit „Wie wahr!“ Ich würde jedem ein Exemplar in die Hand drücken: Lese es! Denk darüber nach. Diskutiere es mit deinen Freunden und in der Familie.
Die Sprache ist sehr klar, wohl verständlich. Der Stoff ist prima strukturiert, ist für breites Publikum geeignet.

Die Buchgestaltung ist hochwertig: Festeinband im gedämpften Weiß, Schutzumschlag aus festem, glattem Papier. Die Quellen findet man hinten, nach Kapiteln geordnet. Gut lesbare Schriftgröße. Schöne als Geschenk oder ein nettes Mitbringsel.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, wie man würdevoll verliert, ohne ein Looser zu sein und noch vieles mehr.

Gekürzt.

Bewertung vom 20.08.2020
Code kaputt
Wiener, Anna

Code kaputt


ausgezeichnet

„Code Kaputt“ habe ich gern gelesen und empfehle das Buch gern weiter. Es ist nicht nur sehr unterhaltsam, es stellt die richtigen Fragen, schildert die Gegebenheiten bildhaft, liefert den Lesern in ihrem Buch spannende Einsichten in die Start-up-Szene im Silicon Valley der Nullerjahre und entlarvt, was hinter dem großen Hype steckt.
Klappentext beschreibt den Inhalt sehr treffend.
Aus einer Agentur im Verlagswesen wechselte die Autorin, Ende der Nullerjahre war sie Mitte zwanzig, zu einem Start-up. In diesem Buch schildert sie ihre Erfahrungen. Es ist eine Art Selbsterfahrungsbericht, wie es ihr bei den jungen coolen Unternehmern erging, die sagenhaftes Geld mit den Daten der User und ähnl. Dingen verdienen. Sie arbeitete bei drei Firmen im Laufe ihrer Zeit im Silicon Valley. Was sie da erlebt hat, auch im Sinne welch ein Miteinander dort herrschte, wie man mit ihr umging (u.a. emotionale Erpressung), was von Firma zu Firma doch recht unterschiedlich ausfiel, wie leicht man dort auch viel Geld verdienen konnte, erschien mir schon höchstinteressant.
Anna Wiener hat messerscharfe Beobachtungen auch bezüglich der Sprache, wie auch der Mentalität der Coolen in ihren Bericht einfließen lassen. Ihr Blick, einer Außenseiterin, die nichts vom Gründen, Start-ups, IT insg. versteht, erlaubt ihr einen ganz anderen Blickwinkel. Es ist der Blick einer wohlgebildeten, belesenen Humanistin. Hier wird der Zusammenprall dieser Welten sehr unterhaltsam präsentiert.
Sie stellte grundsätzliche, ja philosophische Fragen, die sich evtl. wohl kaum der Erschaffer dieser Apps je gestellt hätten. Sie dachte u.a. über die Zukunft nach, über das Leben und Denken der Menschen, die durch diese Techno-Innovationen beeinflusst werden würden, die so denken werden müssen, wie die Maschinen dies für angebracht halten. Es ging u.a. auch um die Bücher und die Apps, die das Lesen, den Zugang zu den Werken, revolutionieren sollten. Dass das ewige Prinzip „teile und herrsche“ auch im Silicon Valley seine Anwendung fand, liest man so ziemlich in der Mitte, u.a. auch: „…eine Welt, die von Firmen optimiert wird, die von Daten optimiert werden. Eine Welt frei von Entscheidungen und der unnötigen Friktion menschlichen Verhaltens…“ Heute gehört es zur Realität, s. die Vorgänge im Finanzsektor.
Über die Enthüllungen von Snowden und wie die Autorin all das in ihrer Firma erlebt hat, liest man hier auch. Wie auch eine zutreffende Schilderung des Verhaltens der Trolle, s. S. 268. Wird so manchen Leser, der auf FB aktiv ist, ein Augenöffnender Moment sein.
Von den „schlauen“ CEOs ist hier auch die Rede: „‘Warum sollte ich euch dafür danken, dass ihr eure Arbeit gut macht?“, fragte er stirnrunzelnd. Ich bezahle euch doch dafür.‘“
Ihre Art zu erzählen: leicht und ungezwungen, mit einer guten Prise Ironie und gewisser Tiefe, sorgte nicht nur für hohen Unterhaltungswert. Die Schilderungen der Menschen, die im Silicon Valley arbeiten, wie sie leben, ihre Freizeit gestalten, wie sie drauf sind! Köstlich. Just auf den Punkt und recht witzig. An einigen Stellen musste ich auflachen. Gelungene Groteske all dieser Wichtigtuer.
Ich freute mich, abends zu diesem Buch zurückkehren zu können. Diese schöne Art mit dem Leser umzugehen, mit Leichtigkeit und Humor auch über ernstere Themen zu sprechen, fand ich großartig.

Fazit: Ein realistischer Blick in die Branche. Ein großartig beschriebener Clash zweier Welten: Eine belesene, intelligente Humanistin trifft auch die hochspezialisierten, engstirnigen Tech-Freaks, bei denen Algorithmen und Codes mehr zählen als freier menschlicher Geist und ein Mensch insg. Leicht und humorvoll erzählt. Sehr gern gelesen, viel Spaß damit gehabt, was ich Euch auch wünsche.

Bewertung vom 20.08.2020
Oberkampf (eBook, ePUB)
Klute, Hilmar

Oberkampf (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Oberkampf“ habe ich sehr gern gelesen empfehle ich gern weiter. Ein gelungener Mix aus der Hommage auf den Literaturbetrieb, der Gesellschaftskritik, einer guten Prise Humor uvm.
Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Es hat eher wie ein Versehen angefangen. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass es so geschehen ist. Sonst wäre mir diese tolle Neuerscheinung entgangen, was ausgesprochen schade wäre.
Zugegeben, am Anfang musste ich mich ein wenig gedulden, aber je weiter ich las, je mehr ich von Jonas Gedanken mitbekam, die Menschen ich um ihn kennenlernte und die Geschichte sich weiterentspann, desto besser gefiel mir das Ganze.
Jonas ist kein typischer Held. Er hat sein Leben in Deutschland aufgelöst und ist nach Paris gegangen, um die Biografie eines ehem. berühmten Schriftstellers zu schreiben, der in Paris seit einigen Jahren lebt. Hier eröffnet sich die Pandorabüchse. Der ältere Herr ist alles andere als ein Kind der Traurigkeit. Es ist höchstinteressant, ihn und seine Freunde kennenzulernen. Und zu vergleichen: seine Generation und die von Jonas, oder auch Jonas und den Alten.
Wenn man einfach auf die Gedanken der Figuren achtet, beobachtet, was passiert, die Kommentare dazu wahrnimmt, mitdenkt, schaut, wie die Konflikte ausgetragen wurden usw., dann entwickelt sich das Ganze zu einer tiefgründigen und sehr unterhaltsamen Angelegenheit.
Diese Ironie zwischendurch! Dieser Humor! Die Sprüche! Oft genug musste ich schmunzeln, paarmal auflachen und noch öfter „wie wahr!“, wie „treffend gesagt!“, „herrlich, und ganz und gar nicht abgedroschen“ denken.
Dass diese bemerkenswerten Gedanken so unerwartet auftauchten, war stets eine nette Überraschung. Und auch sonst wurde für Überraschungen gesorgt, besonders zum Schluss.
Jedes Kapitel ist beeindruckend auf sein eigene Art. Spätestens ab der zweiten Hälfte habe ich extra langsamer gelesen, damit so etwas Gutes nicht zu schnell vorbeigeht.
„Oberkampf“ ist ein Roman, bei dem man über so vieles nachdenken kann! Eine Vielfalt an Themen wurde hier in den Erzählteppich authentisch eingewoben. Der Autor Hilmar Klute versteht es, die Atmosphäre so frisch, alles andere als banal, und zum Greifen nah rüber zu bringen. Man merkt, hier wurde Wert auf das Unverbrauchte, Originelle, Eigenartige gelegt. Und es ist vollauf gelungen.
Vor allem die Art, WIE diese Geschichte erzählt wurde, ist mitunter das aufregende, das für Spannung und Lesegenuss sorgt. Selten genug: So ein Mix aus der hohen Dichte an großartigen Sätzen, Gedankentiefe, dem tollen Erzählstil trifft man nicht alle Tage. Der Roman gehört mMn mit Preisen überschüttet.
Ich glaube, nach einer Pause lese ich „Oberkampf“ nochmals. Beim zweiten Mal wird es evtl. noch schöner. Wie es bei tollen literarischen Werken meist der Fall ist.

Fazit: Eine großartig erzählte Geschichte, die viele Aspekte des heutigen zwischenmenschlichen Daseins unter die Lupe nimmt und der Gesellschaft den Spiegel vor Augen hält, dabei den Humor nicht vergisst. Bitte mehr davon.

Bewertung vom 19.08.2020
Die Bank gewinnt immer
Schick, Gerhard

Die Bank gewinnt immer


ausgezeichnet

Es ist Buch, das ich jedem ans Herz legen möchte. So zugänglich, so klar und verständlich sind die Tatsachen beschrieben, dass es auch für diejenigen eine passende Lektüre ist, die kaum Sachbücher lesen. Sehr gut geeignet für Einsteiger auf diesem Gebiet. Aber auch wer sich zu den Fortgeschrittenen zählt, kommt auf seine Kosten.

Klappentext beschreibt den Inhalt sehr gut.

Jedes Kapitel hat eigenen Schwerpunkt:
1. Kriminalität: Wie der Finanzmarkt illegale Machenschaften fördert.
2. Geldanlage: Warum unser Erspartes Banken, Versicherer & Co. reich macht.
3. Immobilien: wie uns Spekulanten um bezahlbare Wohnung bringen.
4. Ungleichheit: Wie der Finanzmarkt von Art nach Reich umverteilt.
5. Klima: Wie der Finanzsektor die Klimakrise nach Kräften vorantreibt.
6. Digitalisierung: Warum Techkonzerne den Finanzmarkt nicht kapern dürfen.
7. Europa: Was der neue Populismus mit dem Finanzmarkt zu tun hat
8. Immer wieder Krise: Corona trifft auf einen instabilen Finanzmarkt
9. Lobbyismus: Allzeit präsent oder Warum die Bank immer gewinnt
Schlusswort: Lobby der anderen.

Das Buch liest sich stellenweise wie ein politischer Horrorthriller. Es ist aber keine Belletristik. Es sind Dinge, die tagtäglich so ablaufen, bzw. so abgelaufen sind, wie z.B. die Finanzkrise 2008, die dann die Steuerzahler mit ihrem Geld bewältigen durften, und die Finanzbonzen kassieren munter weiter. Die nächste Krise ist vorprogrammiert. Die Lage am Immobilienmarkt wird immer prekärer. Wer schon mal eine Wohnung gesucht hat, kann ein Lied davon singen. Höchstinteressant ist auch, wie sich der Finanzsektor an kriminellen Machenschaften beteiligt. Es gibt da noch mehr an Inhalten, bei denen einem die Luft wegbleibt.
Hier wird Klartext geredet, was im Finanzsektor passiert, warum und wie diese Aktivitäten dem Bürgerwohl schaden.
Im Kap. 8 musste ich oft an ein weiteres, auch sehr lesenswertes Buch denken, das sich u.a. mit dem Thema Corona und instabile Finanzmärkte befasst: „Coronomics“ von Daniel Stelter. Wer also noch mehr zu dem Thema lesen möchte, kann da gut zugreifen.

Zum Schluss spricht Dr. Gerhard Schick über die Bürgerbewegung Finanzwende, die er mit seinem Team vor über einem Jahr ins Elben gerufen und heute in Berlin betreibt. Zu den Zielen gehören u.a. die Bekämpfung der Finanzkriminalität, das Arbeiten am stabilen Finanzsystem, Unterstützung der Anleger und Verbraucher uvm. Es gibt schon einige Erfolge. Man wird zum Besuch der Webseite und zum Mitmachen bei den Aktionen eingeladen.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch. Gerade für Einsteiger prima geeignet, denn die Sachverhalte sind sehr klar, zugänglich und just auf den Punkt geschildert worden. Und die Themen, sehe oben, gehen uns alle an. Es ist höchste Zeit, die eigenen Interessen zu verteidigen und die richtigen Dinge zu tun.

Bewertung vom 18.08.2020
Die Wahnsinnige (eBook, ePUB)
Hennig Von Lange, Alexa

Die Wahnsinnige (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Buchbeschreibung war so gut, so verlockend, dass es mir unmöglich erschien, dieses Buch nicht zu lesen. Und ja, der Inhalt hat die erweckten Erwartungen vollauf erfüllt.
Der Anfang fesselte mich gleich und ließ nicht los: Die Worte der Machtfrau aus dem Jahr 1525 klangen so stark und so modern, als ob sich die Geschehnisse in unserer Zeit stattfanden. Jedenfalls ließen sich ihre Aussagen mühelos in unsere Gegenwart projizieren.
Vor allem aber die Art, WIE diese Geschichte erzählt wurde, ließ mich das Buch kaum aus der Hand legen. Eine gelungene Mischung aus Klartext und dem schönen, sicheren Schreibstil einer ungemein talentierten Autorin. Ihre Art zu erzählen hat mir schöne Lesestunden geschenkt: tiefgründig, bildhaft und bemerkenswert leicht. Gerade bei diesen gar nicht leichten Themen, die hier zur Sprache kamen, ist sie eine starke Leistung.
Alexa Henning von Lange lässt die historischen Personen wie Isabella die Katholische, ihre Tochter Johanna, Phillip den Schönen usw. aufleben. Man hat sie so klar vorm inneren Auge, wie sie kämpften, lebten und liebten, als ob man unmittelbar selbst bei all dem dabei gewesen wäre, was auf diesen etwa 150 Seiten geschah. Man bekommt mit, wer Johanna die Wahnsinnige war, vor allem wie sie war. Man bekommt gute Anhaltspunkte, um zu begreifen, weshalb ihr Leben so enden musste. Die Überlegungen Johannas zum Thema Macht sind frei von den Vorgaben ihrer machtgierigen Vormünder. Ihre Gedanken sind von so einer bemerkenswerten Tiefgründigkeit und Aktualität!
Mit der Lebensgeschichte Johannas wird klar vor Augen geführt, dass sich die Machtverhältnisse, wie auch die Verhaltensmuster der Machtbesessenen über die Jahrhunderte hinweg kaum geändert haben. Und was den Menschen bleibt, die nichts mit der Macht zu tun haben wollen, sieht man am Johannas Lebensende. Eine Geschichte, die sich bis in die heutige Zeit unzählige Male wiederholt hat.
Die Dialoge klingen auch sehr modern. Kaum zu glauben, dass Johanna mit ihrem hochwohlgeborenen Gemahl, Phillip dem Schönen, so gesprochen hatte. Aber sei es drum. Die lassen diese Geschichte noch aktueller, moderner, ja zeitloser erscheinen.
Es gibt noch weitere Themen, die hier authentisch in den Erzählteppich miteingewoben wurden. Johanna war auch eine mehrfache Mutter, die ihre Kinder oft genug zurücklassen musste. Auch das Verhältnis Mann-Frau ist sehr klar herausgekommen. Wofür und wie sie, die mächtigere von den beiden, eine starke Frau, von ihrem machtgierigen Gatten ge- und missbraucht wurde. Johanna steht symbolisch für viele Frauen, sowohl ihrer Generation als auch noch vielen nachfolgenden.
Diesen Kurzroman zu lesen und darüber nachzudenken ist eine wahre Bereicherung.

Fazit: Ein großartiges Werk, das ich sehr gern gelesen habe und Euch auch wünsche. 5 wohl verdienten Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.08.2020
Das Gartenzimmer (eBook, ePUB)
Schäfer, Andreas

Das Gartenzimmer (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eine bemerkenswerte Geschichte. Talentiert und gekonnt erzählt. Das Kopfkino startete mit der ersten Seite und ist noch nicht ganz zu Ende, obwohl die letzte Seite vor gut zehn Tagen umgeblättert worden ist.

„Das Gartenzimmer“ ist nicht nur Geschichte eines besonderen Hauses und seiner Bewohner, die im Jahr 1908 anfängt und in 2013 endet, und somit die zwei Weltkriege umfasst. Gerade der zweite Weltkrieg spielt hier eine Rolle. Die Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit und ihrer Auswirkung ist eine überzeugende wie beeindruckende Darstellung des Prinzips „Der Fluch der bösen Tat“, bildhaft und zum Greifen nah dargeboten.

Vor dem inneren Auge läuft ein Film ab, wie diese die Schicksale der Bewohner über die Generationen hinweg beeinflusst, wie sie in ihre Lebensentscheidungen mit hineinfließt und so manches junges Leben komplett wegfegt.
Die überlebensgroßen Figuren, wie die Archetypen der Menschen der jeweiligen Zeit, ob in 1914, 1943, 2001 oder 2011, so heißen auch die Kapitel, werden mir noch lange in Erinnerung bleiben.

Fazit: Ein beeindruckender, sehr lesenswerter Roman. Vor dem eigentlichen Text steht: „Die Arbeit am vorliegenden Buch wurde gefördert durch den Berliner Senat (Arbeitsstipendium) und das auswärtige Amt (Stipendium Villa Aurora).“ Jeden Cent wert, würde ich sagen.

Bewertung vom 21.07.2020
Die Marschallin
Del Buono, Zora;Del Buono, Zora

Die Marschallin


ausgezeichnet

Diesen Roman habe ich ausgesprochen gern gelesen. Eher ungewöhnlich von der Form her und in so einem reifen, gedrungenen und zugleich poetischen Stil verfasst, dass ich dieses Meisterwerk nach einer Pause gern nochmals lesen würde.
17 Kapitel spielen zwischen 1919 und 1948 und umfassen 2 Weltkriege. Die Auslösung findet in 1980 statt. Jedes Kapitel beschreibt eine Episode aus dem Leben der Familie im Allgemeinen und Zora del Buono, geb. Ostan im Besonderen. Die Schauplätze sind meist in Slowenien und Italien, einer in Ägypten auf Sinai.
Es ist nicht nur ein farbintensiver, gehaltvoller Familienroman. Es ist auch ein starkes Plädoyer gegen den Krieg. Diese eindringlichen Beschreibungen der Umstände, die die einfachen Menschen während und infolge der Kriege erleiden mussten, sprechen Bände. Es wurden auch die grausigen Begebenheiten angesprochen, die den Lesern kaum bekannt sein dürften, wenn man nicht gerade aus der Gegend kommt und im Krieg mitgemacht hat. Wer weiß heute, wie es in Slowenien während des 2.ten Weltkrieges aussah und was dort geschah?
Auch das Thema Rolle der Frauen ist hier sehr gut präsent. Hier gibt es nicht nur die herrische, starke Persönlichkeit Zora, die im großen Herrenhaus ihr Regiment führt, einen erfolgreichen Professor der Radiologie geheiratet hat, drei Söhne erzieht und sich politisch nach Kräften engagiert. Hier trifft man noch andere Frauen, jung und alt, die eine Art Kontrast zu Zora bilden. Ihre Schicksale sind nicht minder spannend und kennenlernenswert.
Die Männerfiguren sorgen für noch mehr Vielfalt mit ihren Eigenarten und Lebensverläufen: von den Nachkommen der slowenischen Bauern bis zu Josip Broz Tito, auch Marschall genannt, ehem. Präsidenten von Jugoslawien.
Alle Figuren standen mir lebendig vor Augen. Das Kopfkino startete von der ersten Seite an und endete noch lange nicht, als die letzte Seite umgeblättert worden war.
Gut möglich, dass man einen gewissen Grad an persönlicher Reife mitbringen sollte, um in vollen Genuss dieses Werkes zu kommen. Insb. das letzte Kapitel, in dem die alte Zora zu den Lesern spricht und über ihr eigenes Leben sinniert.
Auf dem Buchrücken steht: „‘Die Marschallin‘ ist ein großer, farbiger Familienroman über eine starke Frau, über eine Zeit der Kriege und der Gewalt, über Liebe, Leidenschaft, Verrat und ein fatales Verhängnis.“ Eine treffende Beschreibung. Passt sehr gut.

Die Buchgestaltung halte ich auch hier für sehr gelungen: Festeinband in Weiß, Umschlagblatt, Lesebändchen passend dazu in Orange, angenehme Schriftgröße. Das Buch liegt gut in der Hand, weder klobig noch schwer. Schön als Geschenk.

Fazit: Ein großartiges literarisches Meisterwerk, bei dem das Wie des Erzählens mir besonders viel Lesevergnügen bereitet hat. Sehr gern gelesen und viele erfüllte Lesestunden damit erlebt, was ich Euch auch wünsche.