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Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 374 Bewertungen
Bewertung vom 01.07.2023
Life-Serie Serie Komplett
Steafman,Alison/Lester,Adrian/Hamilton,Victoria/+

Life-Serie Serie Komplett


ausgezeichnet

Sie wohnen alle unter einem Dach: Gale, der nach fünfzig Ehejahren plötzlich aufgeht, dass ihr Mann sie verachtet. David, dessen kürzlich verstorbene Frau ein Geheimnis mit ins Grab nahm, das er nun aufklären will. Hannah, die bald heiraten wird, nur nicht den Vater ihres neugeborenen Kindes. Belle, Alkoholikerin, plötzlich Ziehmutter ihrer pubertären Nichte und mit der neuen Situation und ihrem ganzen Leben überfordert. Sie alle wohnen unter einem Dach und sie stehen am Scheideweg. Gibt es ein richtiges Leben im falschen?

Die BBC Serie punktet mit einem ausgefeilten Drehbuch, mit brillanten Dialogen, die ich so schnell nicht vergessen werde, sowie Darstellern, wie es sie vor allem in Großbritannien gibt: Typen mit Ecken und Kanten, denen man ihre Lebensgeschichte abkauft, die keinen Text aufsagen, sondern ihre Rolle mit Herzblut und Tiefsinn spielen. In Deutschland gibt es sowas auch, aber es ist leider die absolute Ausnahme. Geradezu virtuos werden die verschiedenen Handlungsstränge miteinander verwoben, die Entwicklungen sind höchst dramatisch und doch hatte ich (bis auf eine winzige Stelle) nie das Gefühl, die Logik oder Nachvollziehbarkeit bliebe dabei auf der Strecke. Trotz der auffällig woken Hauptdarsteller-Auswahl und der etwas frauenlastigen Themen habe ich mich zu keinem Zeitpunkt aktivistisch belehrt gefühlt, wie das im deutschen TV mittlerweile leider die Regel ist. Das war einfach nur gutes Fernsehen, auf einem darstellerischen, inhaltlichen und dramaturgischen Niveau, das hierzulande fast ausgestorben ist. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, eine so packende Serie im letzten Jahr hier gesehen zu haben.

Und noch was: Die deutschen Synchronsprecher sind einfach nur brillant und spielen ohne Zweifel auf dem Niveau ihrer britischen Avatare. Wenn es sowas wie einen Synchron-Oscar gibt, gebe ich ihn der Sprecherin von Belle, Christin Marquitan, der Allzweckwaffe im deutschen Synchrongeschäft...

Und noch was: Wer sich wie ich mehrere Folgen lang fragt, woher er das Gesicht von Gales Ehemann Henry kennt: Es ist Tristan aus „Der Doktor und das liebe Vieh“. 50 Jahre älter, aber unverkennbar noch mit demselben Charme.

(Diese DVD wurde mir von Polyband kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 27.06.2023
Auf ins Land am Nil

Auf ins Land am Nil


ausgezeichnet

Max Weidenbach war das jüngste Mitglied der berühmten Lepsius-Expedition nach Ägypten in den Jahren 1842-1845. Es war ein überaus erfolgreiches Unternehmen, das nicht nur reiche wissenschaftliche Ernte brachte, die bis heute nachwirkt, sondern das auch alle Teilnehmer trotz großer Anstrengungen und Risiken überlebten. Max Weidenbach war zwar von Beginn als Zeichner angestellt, seine Fähigkeiten entwickelten sich aber im Wesentlichen während der Reise.

In den letzten Jahren wurden bereits akribisch die Tagebücher und Reisebriefe von Georg Erbkam editiert und kommentiert. Zusammen mit den eher wissenschaftlich orientierten Aufzeichnungen von Richard Lepsius ist die Expedition damit eine der am besten dokumentierten deutschen Forschungsexpeditionen des 19. Jahrhunderts, deren Verlauf sich bis ins Detail rekonstruieren lässt. Im Jahr 2013 kam völlig überraschend ein weiteres Puzzlestück hinzu: Im South Australian Museum in Adelaide tauchte das umfangreiche Reisetagebuch Max Weidenbachs auf, dessen Nachkommen nach Australien ausgewandert waren. Damit erschloss sich eine weitere Sicht auf die Expedition und ihre Mitglieder, denn Max hatte eine deutlich abweichende Herangehensweise, die Dinge zu protokollieren. Wenn Lepsius der Archäologe und Wissenschaftler, Erbkam der Chronist der sozialen Zwischentöne und Empfindungen ist, dann ist Weidenbach der Buchhalter. Mit einer bemerkenswerten Ausdauer protokolliert er jede Aktivität, er notiert fast täglich die Speisefolge (übrigens erstaunlich fleischlastig...), die Kosten für Transporttiere oder Lebensmittel. Nicht dass er kein Auge für die Schönheiten der Umgebung oder die imposanten antiken Ruinen hätte, nur sind diese Beobachtungen gleichrangig mit allem anderen. Im Gegensatz zu Erbkam notiert Weidenbach auch Absichtserklärungen, die später nicht umgesetzt werden, z. B. wenn er auf einen protokollarischen Besuch dann doch nicht mitgenommen wird. Man hat bei der Lektüre immer das Gefühl, dass er jeden Moment festhalten will, da ihm stets bewusst ist, dass diese Reise der Höhepunkt seines Lebens sein wird, deren Details er auf keinen Fall vergessen darf. Erbkams Reisebriefe sind von vorne herein für ein Publikum geschrieben, seine Tagebücher zumindest an Nachkommen gerichtet. Weidenbach schreibt für sich selbst, minutiös und nicht unbedingt auf einen flüssigen Stil bedacht, sondern auf Vollständigkeit. Insofern hat gerade dieses Tagebuch eine eigene Berechtigung, indem es Dinge protokolliert, die den anderen als nicht berichtenswert erschienen, die aus heutiger Sicht aber viele Informationen über Wirtschaft, Reiseorganisation, Hierarchien und den Tagesablauf vermitteln. Es ist faszinierend, wenn man Erbkams und Weidenbachs Aufzeichnungen tageweise vergleich, wie komplementär die Informationen oft sind. Was ich anfangs schon bemerkt habe, dass die Lepsius-Expedition eine der am besten dokumentierten Expeditionen des 19. Jahrhunderts ist, hat durch die Veröffentlichung von Weidenbachs Tagebuch noch einmal an Richtigkeit gewonnen.

Wie schon die Vorgängerbände ist auch diese Edition ausführlich kommentiert und insbesondere in das monumentale Reisewerk von Lepsius eingebunden („Denkmäler aus Ägypten“). Hinzu kommt, dass das vor Ort entstandene Konvolut aus Plänen, Zeichnungen und Abklatschen fast vollständig die beiden Weltkriege überstanden hat, so dass die Herausgeberin Susanne Binder ein vielschichtiges Werk zur Referenz nutzen kann. Hinzu kommen faksimilierte Zeichnungen Weidenbachs, die u. a. belegen, wie seine künstlerischen Fähigkeiten im Lauf der Reise erkennbar wachsen. Wohlgemerkt im Eigenstudium, denn Georg Erbkam, der als Architekt mitreiste, war als Zeichner eher mittelmäßig und ihm sicher keine Hilfe.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.06.2023
Die 50 bekanntesten archäologischen Stätten in Mittel- und Nordgriechenland
Schollmeyer, Patrick

Die 50 bekanntesten archäologischen Stätten in Mittel- und Nordgriechenland


sehr gut

Kürzlich habe ich zur Reisevorbereitung den Band „Peloponnes“, ebenfalls von Patrick Schollmeyer, durchgearbeitet und hatte ein paar Kritikpunkte angebracht. Die sind im Band „Mittel- und Nordgriechenland“ interessanterweise zum großen Teil nicht vorhanden und das, obwohl beide Bände parallel herausgegeben wurden. So ist das Kartenmaterial diesmal deutlich durchdachter. So gibt es z. B. eine sinnvolle Übersichtskarte mit allen vorgestellten Stätten. Natürlich sind Best-of-Auswahlen bis zu einem gewissen Grad immer subjektiv, aber Patrick Schollmeyers Wahl ist überzeugend. Sie bildet die griechische Antike von der Bronzezeit bis ins Römische Reich ab (eine Ausnahme erwähne ich unten) und verbindet touristisches Interesse mit historischer Bedeutung.

Ein ständiger Begleiter ist, wie schon im Peleponnes-Band, der (griechisch-)römische Reiseschriftsteller Pausanias, der im 2. Jahrhundert Griechenland bereiste und seine eigenständigen Beobachtungen festhielt. Viele Ruinen könnten wir heute ohne seine, teilweise sehr detaillierten Informationen nicht mehr zuordnen und Patrick Schollmeyer vermerkt die Pausanias-Referenzen bei jeder sinnvollen Gelegenheit.

Die einzelnen Kapitel enthalten summarisch den aktuellen Stand der archäologischen Forschung, auch mit Hinweis auf bestehende Kontroversen. Es sind keine fachwissenschaftlichen Artikel, allerdings werden die Fachbegriffe für antike Architekturelemente und Baukörper regelmäßig verwendet. Die Abbildungen zeigen meistens Übersichtsaufnahmen der Ruinenstätte bzw. der Landschaft, manchmal auch Exponate aus den angegliederten Museen. Im Zusammenspiel mit den Texten bekommt man einen recht guten Eindruck von dem, was einen vor Ort erwartet.

Der Band versteht sich nicht als klassischer Reiseführer, d. h. man erfährt keine Adressen, Telefonnummern oder Öffnungszeiten, dafür hat das Buch auch kein Verfallsdatum und bleibt daher länger aktuell. Als Archäologieführer beschränkt es sich selbstredend auf die Antike, mit einer Ausnahme, nämlich dem byzanthinischen Osios Loukas, das ausführlich betrachtet wird. In der Regel werden spätere Befunde nur am Rande erwähnt und insbesondere die Neustädte bleiben unberücksichtigt. Darin unterscheidet sich das Buch z. B. von einem Baedecker, der jedoch fachlich bei weitem nicht so in die Tiefe geht. Patrick Schollmeyer stellt die historischen Zusammenhänge dar, die sich aus der antiken Quellenlage ableiten lassen. Das ist natürlich mit gewissen Unsicherheiten behaftet, die der Autor aber deutlich herausarbeitet.

Es gibt weiterhin keine regionalen Ausschnittskarten, wenn man von den gelegentlichen Übersichtsplänen der Stätten selbst absieht, die allerdings meist sehr klein geraten sind. Das war in anderen Bänden der Reihe etwas besser gelöst. Dieser Archäologieführer eignet sich aus meiner Sicht besser für die eigene Reiseplanung als der Peloponnes-Band, aber ein bisschen Nachrecherche ist auch hier nötig.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 25.06.2023
Die Geschichte der Vermögensanlage
Seuferle, Johannes

Die Geschichte der Vermögensanlage


ausgezeichnet

Bücher zur Geschichte der Geldanlage können leicht ermüden, wenn sie mit der Antike beginnen und sich dann linear bis in die Gegenwart durchhangeln. Johannes Seuferle vermeidet den Fehler, indem er sein Buch zunächst nach Anlageformen und dann erst nach Zeit und Ländern gliedert. Ihn interessiert vor allem, wie es den Anlegern früher ergangen ist, welche Anlageformen sich bewährt haben und welche nicht. Aber auch er findet keine ewig gültigen Regeln der Vermögensanlage. Wenn eine Anlageform seit 200 Jahren besser abschneidet als andere, kann das so bleiben oder in den nächsten 200 Jahren das Gegenteil eintreten.

In 17 Kapiteln beschreibt der Autor die historische Entwicklung der wichtigsten Anlageklassen wie Bargeld, Rohstoffe, Gold und Silber, Aktien, Anleihen (Staaten, Banken, Unternehmen), Grundstücke und Immobilien, Kunst und Sammlerobjekte. Immer wieder zeigt Seuferle, dass es neben einigen echten Entwicklungen (z. B. bei Immobilien und Staatsanleihen) auch viele Themen gibt, die keine Entwicklung zeigen - also eher ein Hin und Her (z.B. durch Eingriffe in das Mietrecht, Regulierung der Terminmärkte bzw. deren Entfesselung).
Er geht vielen spannenden Einzelfragen nach: Wie hoch war die Mietrendite von Häusern im Mittelalter? Wie entwickelte sich der Silberpreis in den Jahren des Goldverbotes von 1933 bis 1974? Gab es schon in der Antike wertvolle Gemälde? Wie entwickelten sich japanische Aktien von 1918 bis 1940 und wie reagierten sie auf das Erdbeben von 1923?
Besonders interessant fand ich die Exkurse zu einzelnen Themen wie dem Goldverbot oder den Zusammenhängen zwischen Aktien und Wirtschaftswachstum sowie Staats- und Unternehmensanleihen.

Seuferle berücksichtigt bei seinen Analysen stets das historische, politische, wirtschaftliche und finanzielle Umfeld. Der Ökonom belegt sachlich und neutral, dass die Finanzgeschichte voller kollektiver und für den Anleger schmerzhafter Fehleinschätzungen ist, weil scheinbar vernünftige Analogieschlüsse gezogen wurden. So wurden zur Bekämpfung und Überwindung der Weltfinanzkrise 2008/09 die Bilanzen der wichtigsten Notenbanken massiv ausgeweitet - die erwartete Inflationswelle blieb aus. Die Bekämpfung der Corona-Krise von 2020 erfolgte wiederum durch Geldschöpfung. Diesmal kam es unerwartet zur Inflation, allerdings mit Verzögerung ab 2022.

Obwohl es ein umfangreiches Quellenverzeichnis gibt, wurde aus mir unverständlichen Gründen auf ein Stichwortverzeichnis verzichtet. Bei einem Umfang von über 1.200 Seiten ist es kaum möglich, Informationen nur über das Inhaltsverzeichnis zu finden. Hilfreich wäre es gewesen, wenn im Lieferumfang der Buchausgabe das eBook enthalten wäre oder man zumindest ein Stichwortverzeichnis als PDF auf der Verlagswebseite herunterladen könnte.

Fazit: Das zweibändige Werk der Vermögensgeschichte ist eine Fundgrube qualifizierter Zahlen, Daten und Fakten und es erläutert Zusammenhänge sehr verständlich und nachvollziehbar. In zahlreichen Exkursen greift es Themen auf, die auch heute noch relevant und vor allem hochspannend sind. Es ist keine Anleitung zur Vermögensanlage, trägt aber wesentlich zum Verständnis der historischen Entwicklung bei.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 22.06.2023
Projekt-Safari 2
Neumann, Mario

Projekt-Safari 2


ausgezeichnet

Konventionelle Softwareentwicklung mit starren Vorgehensmodellen wie dem V-Modell gilt als aufwändig, bürokratisch und wenig flexibel gegenüber Änderungen. Kein Wunder also, dass sich vor über 20 Jahren namhafte Entwickler aus Frustration zusammenfanden und die Softwareentwicklung revolutionierten: Menschen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge, eine funktionierende Software zählt mehr als eine umfangreiche Dokumentation, die Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen und vor allem das Eingehen auf Veränderungen hat Vorrang vor dem starren Festhalten am Projektplan. Diese Flexibilität und Anpassungsfähigkeit wirkt sich auch auf das Projektmanagement aus - es muss ebenfalls beweglich werden.

Während sich Mario Neumann im ersten Band der Projektsafari auf das klassische Projektmanagement konzentrierte, stellt er in diesem Band die Arbeitsmethoden vor und beschreibt die Unterschiede zum traditionellen Vorgehen. Dabei steht er der sogenannten „agilen“ Arbeitsweise (wie auch ich) durchaus kritisch gegenüber, da sie nicht für alle Projekte geeignet ist. Auch mit agilen Ansätzen lassen sich nicht alle Herausforderungen des Projektalltags lösen. Agile Frameworks mögen vereinfachte Vorgehensweisen hervorgebracht haben, aber sie vereinfachen nicht die Herausforderungen, die in jedem Projekt stecken. Im Projektmanagement haben beide Methoden ihre Berechtigung und man sollte je nach Bedarf und Fall unterscheiden und die jeweils sinnvollste Variante einsetzen. Neumann rät: „Vermeiden Sie es also, sich im Paradigmen-Streit blindlings auf eine der beiden Seiten zu schlagen!“.

Neben der Beschreibung spezieller Methoden wie Scrums geht Neumann auch auf viele mögliche Fehlerquellen aus der Praxis ein, die in Projekten immensen Schaden anrichten können. So ist es nicht sinnvoll, das gesamte Projekt im Voraus zu planen und ein Pflichtenheft zu erstellen, wie es im klassischen Projektmanagement erforderlich ist. Agilität bedeutet eben nicht, dass die Anforderungen von Anfang an perfekt sein müssen. Wollte man das gesamte Projekt im Voraus planen, müsste man viele Annahmen und Bedingungen festlegen und liefe damit Gefahr, dass Annahmen falsch sind und das Produkt am Ende wichtige Kundenbedürfnisse ignoriert. Genauso falsch ist es jedoch, auf jegliche Planung zu verzichten und einfach loszulegen.

Methodisch ist sich Neumann treu geblieben. Um die Themen aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten, nutzt Autor einen stilistischen Trick: Im fiktiven Tagebuch des Projektleiters "Tom" werden dessen persönlichen (subjektiven) Erfahrungen festgehalten. Auch ich führe in Projekten ein Tagebuch und kann dies nur zur Nachahmung empfehlen.

Neben dem ungewöhnlichen Querformat des Buches fällt vor allem die sehr strukturierte Darstellung auf. Jedem Abschnitt ist eine bestimmte Farbe zugeordnet. Alle Überschriften, Tabellen und Grafiken sind in dieser Farbe gehalten. So fällt die Orientierung im Buch schon nach kurzer Zeit sehr leicht und lässt das Fehlen eines Stichwortverzeichnisses verschmerzen.

Mario Neumann ist mit seiner Safari in die Welt des agilen Projektmanagements ein ausgewogenes und didaktisch gut aufbereitetes Handbuch gelungen, das sich sowohl für Einsteiger als auch für Umsteiger richtet. Neumann lädt Verfechter des klassischen und agilen Projektmanagements ein, über den Tellerrand zu schauen und eigene Positionen zu hinterfragen.

Ein kluges Buch in einer durchdachten und anregenden Aufmachung.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 15.06.2023
Japan Home Kitchen
Murota, Maori

Japan Home Kitchen


sehr gut

Auf den ersten Blick sind japanische Rezepte keine Zauberei. Sie verwenden oft nur einfache Verarbeitungstechniken, die Zahl der Zutaten ist übersichtlich und oft steht ihr Eigengeschmack im Vordergrund.
Auf den zweiten Blick sind japanische Rezepte ausgesprochen komplex und erfordern ein Höchstmaß an Präzision und Erfahrung. Nehmen wir als Beispiel Okonomiyaki, hier im Kochbuch auf S. 44 als „japanische Pfannkuchen“ beschrieben. Wenn man dem Rezept folgt, werden alle Zutaten zusammengeworfen und in einer Pfanne ausgebacken, wie man das bei europäischen Pfannkuchen kennt. Wer allerdings einmal Okonomiyaki in Japan gegessen hat (bevorzugt in Hiroshima, der Okonomiyaki-Hauptstadt), der weiß, dass diese völlig anders hergestellt werden und in Konsistenz, Saftigkeit und Aroma nicht einmal im Ansatz mit dem hier verwendeten Rezept vergleichbar sind. Zur Ehrenrettung der Autorin muss ich allerdings hinzufügen, dass man für ein authentisches Okonomiyaki eine offene Herdplatte mit drei Wärmezonen und einige Jahre Erfahrung braucht. Das schafft auch die japanische Mutti wahrscheinlich nicht am heimischen Herd und es sind bei weitem nicht alle Rezepte im Buch so verstümmelt, wie in diesem speziellen Fall. Die meisten sind sogar ziemlich authentisch, mit einem Fokus auf Zutaten, die man auch in Europa problemlos im Asiamarkt bekommt.
Ein weiteres Problem sind die Handgriffe. Sie werden nur sehr selten (z. B. beim Rollen von Futomaki-Sushi) im Detail gezeigt, aber ohne detaillierte Anleitung wird man z. B. Gyoza oder Tamagoyaki nicht authentisch hinbekommen. Das ist eine Kunst. Für Tamagoyaki braucht man sogar eine besondere Pfanne, die im Buch nicht einmal erwähnt wird. Nun kann man fragen: Braucht man das wirklich unbedingt? Aus eigener Erfahrung sage ich: Ja. Die Konsistenz ist durch die Spezialpfanne anders und es schmeckt dadurch auch anders. Wer als Koch nicht weiß, wie das Gericht am Ende aussehen und schmecken soll, der braucht eben ganz klare und präzise Anweisungen, notfalls mit Schritt-für-Schritt Abbildungen.

Auf der positiven Seite stehen Rezepte, die zwar westlich aussehen, aber sehr, sehr japanisch sind. Schnitzel zum Beispiel. Oder Spaghetti. Das sind Klassiker, die in keinem japanischen Restaurant fehlen dürfen und natürlich sind sie im Detail oft japanisiert. Das Schnitzel wird mit der unvergleichlichen (!) Panko-Panade zubereitet, die Spaghetti mit Miso.

Das Register ist nicht wirklich intuitiv sortiert, da es eine Mischung aus Überbegriffen mit zugehörigen Rezepttiteln und einzelnen Schlagworten oder Einzelrezepten darstellt. Leider findet man die Rezepte aber immer nur in einer der beiden Kategorien. Manchmal muss man Phantasie haben, wo das gesuchte Rezept einsortiert wurde.

Mein Urteil fällt insgesamt etwas zwiespältig aus. Einerseits finde ich, dass viele Grundrezepte hier gut und nachvollziehbar beschrieben sind, andererseits fehlen die Kniffe und die Raffinesse, die richtig gute japanische Küche so außergewöhnlich machen. Für einen ersten Schnupperkurs ist das Buch absolut geeignet, man darf nur nicht erwarten, hier die echten Geheimnisse zu erfahren.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.06.2023
St. Emmeram

St. Emmeram


ausgezeichnet

Das Kloster St. Emmeram ist aufgrund seiner besonders umfangreichen Überlieferungsgeschichte ein bevorzugtes Objekt der monastischen Mittelalterforschung, denn hier lassen sich Entwicklungen, Kontinuität und Reformbewegungen in einer Detailliertheit nachvollziehen, wie es für den deutschsprachigen Raum selten sind. Der hier vorliegende Tagungsband zur Liturgie und Musik zieht u. a. neue Erkenntnisse aus der kürzlich abgeschlossenen Edition der Emmeramer Libri ordinarii (Gottesdienstanweisungen im kirchlichen Jahr), die im Rahmen des „Cantus Network“ digitalisiert und damit recherchier- und analysierbar wurden. Der Schwerpunkt auf den Libri ordinarii in zahlreichen Beiträgen kommt nicht von ungefähr, denn sie sind zum einen über einen sehr langen Zeitraum überliefert, zum anderen spiegeln sich in ihnen sowohl reformatorische Einflüsse (z. B. die Kastler Reform) als auch der konkrete regionale und monastische Sakralraum wieder, indem detaillierte Angaben zu Prozessionswegen, Grablegen und Altären mit der Liturgie verbunden und dokumentiert wurden. Die zugehörige Musiktradition lässt sich allerdings nur indirekt aus einigen erhaltenen Gesangbüchern Regensburger Pfarrkirchen ableiten. Im Gegensatz dazu steht eine erst kürzlich in Prag entdeckte Quelle aus der Karolingerzeit, die als einzige die Melodien des Emmeram-Offizium tradiert und ebenfalls in mehrere Beiträge einfließt.

Eine ähnlich komplexe Gemengelage bietet die Überlieferung der Emmeramsviten, die in zwei konkurrierenden Fassungen in Süddeutschland zirkulierten. Veronika Lukas untersucht die Intentionen des „Neuautors“ Probst Arnold, der im frühen 11. Jahrhundert die karolingische Version von Arbeo mehr oder weniger stark überarbeitete. Hier zeigen sich ein verändertes historisches Interesse, aber auch politische Einflüsse, sowohl innerhalb wie außerhalb des Klosters. Kurz danach nimmt der Emmeramer Abt Wilhelm von Hirsau Kontakt zum Reformkloster Cluny auf, was sich wiederum auf Liturgie und das monastische Leben in Emmeram auswirken wird, wobei Wilhelm ein wesentlich moderateres Modell wählen wird als die bald darauf gegründeten Zisterzienser. All das zeigt, wie sehr regionale und überregionale Einflüsse sich in Emmeram überlagern und wie das Kloster als Kondensationskeim fungierte.

Die letzten Beiträge erweitern den Blick noch einmal dezidiert auf Regensburg und die Wechselwirkungen zwischen Diözese und Kloster. Auch werden einzelne Manuskripte, darunter einige spätmittelalterliche Chorbücher aus dem Regensburger Raum, sowie der Mensuralcodex des Hermann Pötzlinger im Detail analysiert und in den liturgischen und musikgeschichtlichen Kontext gestellt. Der letzte Beitrag überwindet dann sogar die Konfessionsschranken, indem er das Chorbuch des Ambrosius Mayrhofer von 1542 vor dem Hintergrund des katholischen St. Emmeram in Nachbarschaft zum damals evangelischen Rat der Stadt Regensburg bewertet. Es ist ein Musterbeispiel diplomatischer Ausgewogenheit in einer Zeit, die für Diplomatie wenig berühmt ist.

Der wissenschaftliche Anspruch an den Leser ist hoch, angefangen bei den nur teilweise übersetzten lateinischen Zitaten bis hin zu anspruchsvollen musiktheoretischen Beiträgen, die detailliertes Vorwissen voraussetzen. Die Komplexität und teilweise auch nur fragmentarische Überlieferung der Quellen, die mit detektivischem Spürsinn und den Analysefunktionen des Cantus Network zusammengeführt werden, bietet aber zahlreiche Überraschungen, auch wenn absolute historische Sicherheit über einen so langen Zeitraum bis zu einem gewissen Teil Spekulation bleiben muss.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 10.06.2023
Altmühltal Reiseführer Michael Müller Verlag
Haller, Andreas

Altmühltal Reiseführer Michael Müller Verlag


ausgezeichnet

Das Problem vieler Reiseführer ist die unterschiedliche Interessenlage ihrer Leser. Da wo es viel zu sehen und zu erleben gibt, kann es schnell in einem unübersichtlichen Durcheinander enden, wenn man alles auflisten möchte. Ein schönes Beispiel für so eine erlebnisreiche und vielfältige Region ist das Altmühltal, mit wunderschönen Altstädten, vielen Kultur- und Freizeitangeboten, dem beliebtesten Radwanderweg Deutschlands und herrlichen Landschaften.

Andreas Haller ist es gelungen, mit einem durchdachten Konzept dieser Vielfalt Ordnung zu geben, ohne dass es zu übermäßigen Dopplungen kommt, wodurch der Umfang des Reiseführers auf ein handliches Maß begrenzt bleibt, bei gleichzeitig hoher Informationsdichte. Wie in jedem Reiseführer ist das primäre Sortierprinzip die regionale Aufteilung in vier Großgebiete, vom oberen Altmühltal (etwa ab Rothenburg o. d. Tauber) bis Kehlheim an der Donau. Der Routenverlauf folgt dem Fluss, erfasst aber auch noch außerhalb liegende Orte, sofern sie mit wenig Aufwand zu erreichen sind (Beispiel Neuburg a. d. Donau). Neben geografischen Besonderheiten und einer kurzen Einführung in die Lokalgeschichte werden die Sehenswürdigkeiten vorgestellt, jeweils mit Adressinformationen, Öffnungszeiten und aktuellen Eintrittspreisen. Die Auswahl ist sehr vielfältig und spart kein Interessengebiet aus. Zu jedem Ort gibt es außerdem selektierte Vorschläge zu Übernachtungen, Gaststätten, Einkaufsmöglichkeiten und turnusmäßigen Veranstaltungen. Sportliche Aktivitäten wie Kanufahren, Wandern oder Radfahren sind in der Regel separat vermerkt, manchmal gibt es zusätzlich Verweise auf noch detailliertere Sonderkapitel. Überhaupt findet sich zu fast jedem übergeordneten Thema noch ein Beitrag, in dem regionenübergreifend alle wichtigen Orte/Veranstaltungen zusammengefasst werden. Das passiert entweder im separaten Anhang (Thema Wandern mit 18 detaillierten, GPS-unterstützten Wanderungen) oder im Vorspann, der die absoluten Kultur- und Naturhöhepunkte, sowie sportliche Aktivitäten und spezielle Angebote mit Kindern auflistet. So kann man den Reiseführer auch als übersichtliche Planungsgrundlage für die unterschiedlichsten Interessen verwenden. Was mir persönlich gefehlt hat, ist ein Sonderkapitel Fossiliensammeln, das bei meiner letzten Reise die Hauptmotivation war. Allerdings sind die wichtigsten Besuchersteinbrüche bei den jeweiligen Orten korrekt aufgeführt, die weltberühmten Fossilienmuseen sowieso.
Im Register sind einerseits die Orte und Hauptsehenswürdigkeiten (z. B. Burgen und Schlösser) aufgenommen, andererseits auch übergreifende Themen wie „Wellness“ oder „Radfahren“. Bei letzteren wird allerdings nur auf das Übersichtskapitel verwiesen, nicht jedoch auf Angebote in den jeweiligen Orten.

Das Kartenmaterial ist umfangreich und detailliert. Neben den großen Übersichtskarten in den Broschurklappen gibt es kleinere Ausschnitte zu Beginn der Regionenkapitel, sowie größeren Städten auch Stadtpläne mit eingezeichneten Sehenswürdigkeiten, Parkplätzen oder Touristeninformationen. Die Wanderkarten im Anhang sind für sich alleine bereits detailliert genug, werden aber durch einen kostenlosen GPX-Download auf der Verlagswebseite unterstützt. Zusätzlich kann man auch die „mmTravel“-App auf sein Smartphone laden und sich den kompletten Reiseführer inkl. aller Touren mit dem im Buch abgedruckten Code freischalten lassen – aber leider nur für 12 Monate (endet automatisch).

Der Reiseführer wird der vielfältigen Region Altmühltal (inkl. fränkisches Seenland im Oberlauf) sehr gerecht und eignet sich für eine themenbezogene Reiseplanung genauso wie für den Spontanurlaub.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.06.2023
Simplicissimus 1896 - 1933
Klimmt, Reinhard;Zimmermann, Hans

Simplicissimus 1896 - 1933


ausgezeichnet

Um 1900 gab es in Deutschland über 1500 Satirezeitschriften, fast alle eher Witzesammlungen im Stil der „Gartenlaube“ als ernsthaft satirische Publikationen. Im Gegensatz zu England, das eine lange Tradition der politischen Satire besaß, waren deutsche Blätter lieber staatshörig und mieden den Konflikt mit der Zensur.
Der „Simplicissimus“ war ganz anders, von einigen unrühmlichen Perioden abgesehen. Der Verleger Albert Langen verpflichtete von der ersten Ausgabe an hochkarätige Künstler und Schriftsteller, die auch heute noch Rang und Namen haben, darunter Olaf Gulbransson, Käthe Kollwitz, Heinrich Zille, Ludwig Thoma, Thomas Mann, Erich Kästner, Hermann Hesse oder Kurt Tucholsky. Die Grafiker kamen zum Teil von der stilprägenden Zeitschrift „Jugend“ und auch in der Folgezeit orientierte man sich an modernen, wenn nicht gar avantgardistischen Strömungen. Auch inhaltlich wurden Maßstäbe gesetzt, mit ständigem Austesten der Langmut (oder Dummheit) der Zensur, bis hin zu Gefängnisaufenthalten für Verleger und Redakteure. Der Simplicissimus verspottete das dumpf-nationale Milieu des Militärs, den mit geistiger Einfalt garnierten Standesdünkel des Adels, die erratische Politik des „Parlaments“, die Großmannssucht Wilhelms II. und viele andere, in der wilhelminischen Zeit sakrosankte Themen.
Auch wenn für die Erstausgabe sensationelle 300 000 Exemplare gedruckt worden sein sollen, war der Simplicissimus kein Blitzerfolg und blieb über lange Strecken defizitär. Er wurde nur durch das erhebliche Privatvermögen Albert Langens am Leben gehalten. In der goldenen Phase, die von 1896 bis etwa 1910 dauerte, lagen die Verkäufe bei wenigen Tausend Exemplaren, was auch der Grund ist, warum diese Ausgaben antiquarisch hoch bezahlt werden.

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Mit dem ubiquitären Antisemitismus der Zeit ging der Simplicissimus ambivalent um. Einerseits prangerte er ihn an, andererseits bediente er auch Stereotype. In der Zeit des Ersten Weltkriegs schlug die Redaktion voll in die nationalistische Kerbe und mit der Machtübernahme durch die Nazis wurde die politische Satire zu Gunsten harmloser Scherzchen eingestellt. 1944 war endgültig Schluss. Nicht die Zensur, sondern Papiermangel hatte dem Blatt den Rest gegeben.

Der Auswahlband zeigt in verkleinerter (aber gut lesbarer) Reproduktion satirische Illustrationen aus der Phase von 1896 bis 1933, darunter Ikonen der politischen Karikatur, ohne dabei die Fehltritte zu verheimlichen. Die Herausgeber haben eine nach Themen sortierte Selektion vorgenommen, die nicht nur den Humor der wilhelminischen Zeit einfängt, sondern wirkliche Zeitgeschichte reflektiert. Es wird das gesellschaftliche Klima genauso erkennbar wie die oft irrwitzigen politischen Entwicklungen, die manchmal an unsere Gegenwart erinnern. Die Herausgeber erläutern die jeweiligen Hintergründe, wobei ihr launiger Humor nicht immer den richtigen Ton trifft. Allzu oft wird allzu Offensichtliches noch einmal mit erhobenem Bildungsbürgerfinger ins Hirn des Lesers gedroschen. Ich glaube, da unterschätzen die beiden Herren ihr Publikum ein wenig.

Insgesamt hat mir die Auswahl ausgesprochen gut gefallen. Sie liefert zwischen den Zeilen ungeheuer viel Information zum politischen und geschichtlichen Hintergrund, sowie dem Zustand der Gesellschaft, deren Ansichten und dem, was die Menschen verschiedener Schichten damals umtrieb. Der Humor hat sich selbstverständlich gewandelt, aber man kann sich dennoch gut einfühlen in eine engstirnige, nationalistische und von Standesdünkel geradezu durchsetzte Gesellschaft, die besinnungslos in ihr Unglück taumelt. Der Simplicissimus hat das nicht aufhalten können, auch wenn er über lange Strecken den Parlamentarismus hochhielt. Satire darf, nach Tucholsky, zwar alles, aber leider bewirkt sie letztlich wenig.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

Bewertung vom 31.05.2023
Wie man schlecht schreibt
aus dem Siepen, Stefan

Wie man schlecht schreibt


ausgezeichnet

Es gibt mehr schlechte Bücher als schlechte Rezensionen.

Das wäre zumindest ein guter erster Satz: er macht neugierig auf den Rest, ohne zu viel zu verraten, ist nicht zu lang, nicht zu belanglos. Die Wortwiederholung ist Stilmittel, rhythmisiert die Phrase und gibt Witz. Nur leider stimmt der Satz eben nicht. Es gibt viel mehr schlecht geschriebene Rezensionen als schlecht geschriebene Bücher.

Stefan aus dem Siepen hat dennoch genügend Auswahlmaterial, um seine Anti-Stilkunde mit Beispielen zu füllen und er muss sich dafür nicht einmal in die Untiefen des Selfpublishing begeben. Nein, die Klassiker tun’s auch. Angefangen bei Goethe (ja, endlich mal einer, der nicht reflexhaft im Kotau vor dem Denkmalsockel in die Knie geht!) bis Hermann Hesse oder Ernst Jünger; nicht einmal ein Thomas Mann bleibt verschont. Selbstverständlich gießt Siepen sein Urteil nicht pauschal über die Autoren, dafür ist er einfach zu belesen, aber er seziert mit Vergnügen die kleinen und größeren Ausrutscher und manchmal zeigt er uns auch noch, wie es besser geht. Zum Beispiel bei Goethe, Hermann Hesse oder Thomas Mann.

Zu Anfang kam mir der Ansatz ein bisschen beckmesserisch vor, etwas kleinkariert und nachtragend, aber dann habe ich zunehmend Gefallen an Siepens Stil gefunden. Mich hat die ungeheure Belesenheit des Autors schwer beeindruckt und die Konzentration, mit der er einen Text wahrnimmt. Wenn mich etwas langweilt, lese ich quer und blättere ein paar Seiten weiter. Wenn es schlimm wird, lege ich das Buch weg und schreibe einen Verriss. Stefan aus dem Siepen fragt sich dagegen, was ihn an einem Text stört, analysiert sehr feinfühlig und eloquent und er hält sich bemerkenswert konsequent an Billy Wilders Motto für einen guten Film: 1. Du sollst nicht langweilen. 2. Du sollst nicht langweilen. 3. Du sollst nicht langweilen. Selbst wenn man die einzelnen Bücher nicht kennt, bekommt man anhand der Beispiele doch schnell ein Gefühl dafür, ob es einem gefallen würde oder nicht. Völlig unabhängig davon, ob der Autor gepatzt hat oder nicht.

Übrigens gibt es keine allgemeingültigen Kriterien für „schlechten Stil“. Was im einen Fall ziellos und platt wirkt, kann in einem anderen Kontext durchaus gekonnt sein. Was dem Einen zu knapp geraten, mag der Nächste pointiert empfinden. Insofern ist Siepens schlechte Stilkunde bis zu einem gewissen Grad Ansichtssache, aber es macht meistens viel Spaß, ihn am Seziertisch zu beobachten. Die kurzen Kapitel laden geradezu ein, das Buch auf den Nachttisch zu legen und nach der Lektüre mit zufriedenem Grinsen das Licht auszuschalten. Wenn schon bei den Großen die Sahne sauer wird, muss ich mir jedenfalls keine echten Sorgen machen.

P.S.: Für die nächste Auflage wäre ein Personenregister keine schlechte Idee.

(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.