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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 13.04.2023
Grimes, Martha

Inspector Jury schläft außer Haus / Inspektor Jury Bd.1


sehr gut

»Ja, auf das Konto eines anderen. Es fragt sich nur, auf wessen? Die Bevölkerung hier in der Gegend nimmt von Tag zu Tag ab.«

Wenige Tage vor Weihnachten ist in dem tiefverschneiten Dorf Long Piddleton von Frieden auf Erden nichts zu merken, zwei gruselige Morde mit bizarr zur Schau gestellten Opfern sorgen für Angst und Schrecken. Inspector Jury, aus London von Scotland Yard angereist, macht sich an die Ermittlung und ist sich schon nach kurzer Zeit sicher, dass der Täter jemand aus der Gegend sein muss. Und leider muss Jury außerdem feststellen, dass der Mörder mit seinem Werk noch nicht fertig ist…

Malerische Häuschen, schöne Natur, diverse skurrile Charaktere und mittendrin ein Serienmörder – das ist der Stoff für dieses Buch. Dieser erste Band der umfangreichen Reihe war auch mein erster Kontakt mit Inspector Jury. Anfangs begeisterte mich der Stil nicht gerade, alles lief dörflich-gemächlich ab, da musste ich mich erst einmal reinfinden. Aber dann, nach einer Weile, hatte das Buch mich doch gepackt. Der Inspector hat eine nett unangepasste Art, die mir gefiel. Seinen Assistenten Wiggins mochte ich ebenfalls, ein dauer-erkälteter junger Mann, der möglicherweise schwer unterschätzt wird. Die Nebencharaktere präsentierten sich in einer großen Vielfalt, von sympathisch bis extrem nervig.

Fazit: Ruhiger Krimi vor schöner Kulisse, mit so einigen interessanten Charakteren, die das Ganze unterhaltsam machen.

»Und Ihre Berufsethik? Ein anständiger Polizist würde so etwas nie tun.«
»Ich habe auch nie behauptet, ich wäre einer, oder?«

Bewertung vom 30.03.2023
Rademacher, Cay

In nomine mortis


sehr gut

»Ein großes Rätsel, fürwahr … Doch ist es nicht das größte Glück eines Inquisitors, Rätsel zu lösen?«

Paris, im Frühjahr 1348. Eigentlich hat der junge Dominikanermönch Ranulf Higden den beschwerlichen Fußmarsch von seinem Kloster in Köln auf sich genommen, um hier, an der berühmtesten Universität des Abendlandes, seinen Wissensdurst beim Studium der Theologie zu stillen. Doch kaum angekommen, stellt der Prior ihn Meister Philippe, dem gefürchtetsten Inquisitor der Stadt, zur Seite. Gerade nämlich wurde vor Notre-Dame ein weiterer deutscher Glaubensbruder ermordet aufgefunden und Ranulf soll Meister Philippe unter anderem mit seinen Sprachkenntnissen unterstützen.
Eingeschüchtert, doch gleichzeitig hochmotiviert und fest im Glauben stürzt sich Ranulf in die Arbeit. Die kommenden Ereignisse aber werden ihn an seine Grenzen bringen. Geheimnisvolle Dinge geschehen, eine Verschwörung scheint im Gange zu sein und drei schöne Frauen, mit denen er während der Ermittlung konfrontiert wird, machen es dem jungen Mönch auch nicht gerade leicht. Zu allem Übel steht auch noch die Pest vor den Toren der Stadt! Als ein weiterer Mönch ermordet wird, fordert die ohnehin schon verängstigte Bevölkerung die Ergreifung des Schuldigen, um Gottes Zorn zu besänftigen. Inmitten blutiger Verhöre beginnt der junge Inquisitor, sich selbst Fragen zu stellen…

Ich habe schon einige Bücher von Cay Rademacher gelesen. Regelmäßig schafft er es, einen spannenden Kriminalfall in einen hochinteressanten historischen Rahmen zu packen und auch hier ist es ihm gelungen. Die Atmosphäre ist sehr dicht und auf mich, die ich immer schon sehr, sehr dankbar war, dass ich nicht in dieser Zeit geboren wurde, wirkte alles höchst beängstigend. Wer empfindlich ist, sollte vielleicht besser verzichten, es wird an einigen Stellen schon sehr grausam. Auf mich wirkte das Szenario authentisch.

Im Zentrum der Handlung steht die Gewissensnot des jungen Ranulf, der bis zu seiner Ankunft in Paris ein zwar ärmliches, aber doch behütetes Leben geführt hat. Alles wird aus seiner Perspektive erzählt, dazu passend sind regelmäßig Sätze in lateinischer Sprache eingefügt, für die sich im Anhang eine Übersetzung findet. Natürlich gibt es diverse Klischees, in Versuchung geführte Mönche und Verschwörungen in Kirchenkreisen sind wirklich keine neuen Themen, aber hier trotzdem gut umgesetzt.

Fazit: Auch dieser historische Kriminalfall des Autors konnte mich überzeugen. Sehr blutig, aber auch fesselnd.

Bewertung vom 21.03.2023
Yamada, Kobi

Vielleicht - Eine Geschichte über die unendlich vielen Begabungen in jedem von uns


ausgezeichnet

»Du bist du. So jemanden wie dich hat es noch nie gegeben und wird es auch nie mehr geben. In dir steckt so viel.«

Während ich ein Buch lese, mache ich mir Notizen, die ich dann für die Rezension zu Hilfe nehme. Wenn ich jetzt auf meinen Zettel schaue, dann stehen da ausschließlich Begriffe der Begeisterung. Da steht zum Beispiel „wunderschön“, „poetisch“, „verträumt“, „mutmachend“ und „liebevoll“, ich kann ohne Übertreibung sagen, dass dies das schönste Buch ist, das ich seit langer Zeit in der Hand hatte.

Auf den traumhaft schön illustrierten Seiten kommt ein kleines Mädchen, immer begleitet von einem süßen Schweinchen, in die unterschiedlichsten Situationen. Mal probiert es sich aus, lebt seine Kreativität, mal steht es vor Herausforderungen, begibt sich in Abenteuer oder hilft anderen Lebewesen. Nicht immer ist es erfolgreich, auch ein mögliches Scheitern kommt zur Sprache, verbunden mit sehr mutmachenden Worten.
Jeder Mensch ist etwas Besonderes, er hat besondere Fähigkeiten, kann vielleicht einzelne Dinge nicht so gut, aber dafür andere umso besser. Und jeder sollte nun herausfinden, wo seine Begabungen liegen, sich nicht mit anderen vergleichen und entmutigen lassen. Ich wünschte, ich hätte dieses Buch als Kind lesen können. Aber auch als Erwachsener lohnt es sich, diese Gedanken mal auf sich wirken zu lassen.

Die Verbundenheit mit der Natur ist ebenfalls ein Thema, das sich durch das Buch zieht. Schön fand ich auch, dass das Mädchen optisch keinen Klischees folgt. Es trägt weder rosa, noch Kleidchen und es hat auch keine Zöpfe. Bekleidet ist es mit einem graublauen Overall, auf dem Kopf trägt es eine gebastelte Vogelmaske. Ich könnte mir daher gut vorstellen, dass ein fantasievoller Junge sich mit dem Kind ebenfalls identifizieren kann.

Fazit: Eins der schönsten Bücher, das ich seit langer Zeit in der Hand hatte. So mutmachend! Ich wünschte, ich hätte es als Kind gelesen.

Bewertung vom 20.03.2023
Perry, Anne

Der Würger von der Cater Street - Historischer Roman


sehr gut

»Wie stellen Sie sich die Unterwelt denn vor, Miss Ellison? Als etwas was man findet, wenn man einen Kanaldeckel öffnet?«

London, 1881. Im noblen Wohnviertel, wo auch das Heim von Charlotte Ellison und ihrer Familie liegt, geht die Angst um. Dem Würger fielen bereits mehrere junge Frauen zum Opfer, die Polizei wirkt ratlos. Und die feine Gesellschaft muss zu ihrer großen Beunruhigung feststellen, dass die Ermordeten nicht nur einfache Dienstmädchen waren, denen man unmoralisches Verhalten unterstellen könnte. Was aber noch beängstigender ist, ist die Tatsache, dass der Täter irgendwo unter ihnen leben muss…

Bei diesem Buch war ich wieder einmal sehr froh, dass ich gewöhnlich keine Bücher abbreche, denn bis etwa Seite 60 habe ich mich ziemlich gelangweilt. Das lag wohl an der Erwartungshaltung, denn ab diesem Zeitpunkt erst startet der eigentliche Krimi. Ohnehin ist dieses Buch mehr ein Gesellschaftsroman, sehr deutlich werden zum einen die Klassenunterschiede herausgearbeitet und zum anderen die mindestens so großen Unterschiede in der gesellschaftlichen Bewertung von Frauen und Männern. Das Buch ist aus Sicht von Charlotte und ihren Schwestern geschrieben, was bedeutet, dass ich viel über Kleider, nachmittägliche Teestunden, Schwärmereien und gesellschaftliche Umgangsformen las, aber bis zum Ende nicht erfahren konnte, was die Männer des Hauses eigentlich den ganzen Tag treiben. Dies war aber kein Versäumnis der Autorin, sondern sollte klarstellen, dass dieser Punkt die Frauen nicht zu interessieren hat. Passend dazu durften die Damen des Hauses auch nicht die Tageszeitung lesen, sondern bekamen ausgesuchte Artikel vom Herrn des Hauses serviert.

Kein Wunder also, dass niemand, der in einem so heilen Kokon lebt, sich vorstellen kann, dass etwas Böses im eigenen Umfeld existieren könnte. Der Täter muss ein krankes, gestörtes Wesen aus der Unterwelt sein, das ist doch klar! Inspector Pitt, der die Ellisons im Rahmen seiner Ermittlungen mit Fragen „belästigt“, erfährt gewaltige Ablehnung, als er diesem Kokon immer mehr Risse verpasst. Ich fand die Wortgefechte zwischen ihm und der recht undamenhaften Charlotte höchst erfrischend und fühlte mich von dem Buch nach diesen ersten 60 Seiten, in denen sich alles nur (s.o.) um Kleider, Teestunden usw. dreht, sehr gut unterhalten.

Packend war auch die Schilderung des sich stetig steigernden Klimas aus Angst und gegenseitigem Misstrauen. Ab einem gewissen Punkt wurde praktisch jeder Mann verdächtigt, eine Atmosphäre, unter der natürlich alle enorm litten. Die Auflösung deutete sich früh an, war aber schlüssig. Und tatsächlich erfreute ich mich hier auch der zarten Beziehung, die zwischen Charlotte und Pitt entsteht, einfach auch deshalb, weil sie gesellschaftlich aufgrund des Standesunterschiedes ein No-Go ist.

Fazit: Mehr Gesellschaftsroman als Krimi, aber wirklich gut gemacht. Die Reihe verfolge ich weiter.

Bewertung vom 17.03.2023
Kunz, Gunnar

Dunkle Tage


sehr gut

»Halb Berlin dürfte ein Motiv gehabt haben, Max Unger umzubringen, und ich wage zu behaupten, dass sein Tod mehr Sektkorken knallen als Tränen fließen lässt.«

Berlin, 1920. Es ist ein sehr blutiger Tatort, an den Kriminalkommissar Gregor Lilienthal gerufen wird. Der Unternehmer Max Unger hat sich zu Lebzeiten reichlich Feinde gemacht, ein Motiv für den brutalen Mord hätten nicht wenige Menschen. Gregor bittet seinen Bruder Hendrik, Professor für Philosophie, ihn mit seinem wachen Verstand bei einigen kniffligen Ermittlungsansätzen zu unterstützen. Und noch jemand stürzt sich auf eigene Faust in die Suche nach dem Täter: Diana Escher, Physikstudentin und Nichte des Ermordeten.

Einen klassischen Krimi vor hochinteressanter historischer Kulisse hat der Autor hier geschaffen. Ihm gelingt es mit intensiven Schilderungen die Atmosphäre der Nachkriegszeit darzustellen, viele Menschen leiden Not und sorgen sich um ihre Zukunft. Rechte Tendenzen, der Kapp-Putsch, die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg – die Stimmung ist politisch aufgeheizt. Hat der Mord womöglich ebenfalls einen politischen Hintergrund?

Der Krimi liest sich flott, ist spannend und die Auflösung wirkt schlüssig. Bei den Ermittlern liegt der Fokus auf Hendrik und Diana, beide Charaktere sind gut ausgearbeitet, wogegen Gregor etwas blass bleibt. In der Summe fühlte ich mich gut unterhalten.

Fazit: Klassischer Krimi vor hochinteressanter historischer Kulisse. Ich fühlte mich gut unterhalten.

Bewertung vom 16.03.2023
Stoker, Bram

Dracula


ausgezeichnet

„Hören Sie die Kinder der Nacht? Was für eine Musik sie machen!“

Das Heulen der Wölfe löst bei dem jungen Anwalt Jonathan Harker keine Begeisterung aus. Ohnehin fühlt er sich mehr als unwohl bei diesem eigenartigen Grafen, den er im Auftrag seiner Kanzlei im fernen Transsylvanien aufsuchen musste, um dort diverse Grundstückskäufe, die der Graf in London tätigen möchte, mit ihm abzuwickeln. Tatsächlich wird sich sein Aufenthalt im Schloss Dracula zu einem einzigen Alptraum entwickeln. Einem Alptraum, der sich gemeinsam mit dem Grafen aufmacht in Richtung England…

Ich habe ihn mal wieder gelesen. Den großen Klassiker unter den Vampirromanen. Und wie schon so oft war ich begeistert.

Geschrieben gegen Ende des 19. Jahrhunderts, erstveröffentlicht 1897, fällt natürlich die aus heutiger Sicht reichlich „geschwollene“ Ausdrucksweise auf. Bei vielen anderen Büchern würde mich das stören, hier tut es das überhaupt nicht. Die aus damaliger Sicht überaus modernen Ärzte und Wissenschaftler, die Doktoren Van Helsing und Seward, wissbegierig, voller Forschungsdrang, offen für neue Behandlungsmethoden werden mit einer Fülle von Aberglauben und Übernatürlichem konfrontiert – ein reizvoller Kontrast, der für mich sehr gut durch den alten Schreibstil unterstützt wird.

Das Buch besteht fast vollständig aus Tagebucheintragungen der verschiedenen (menschlichen) Hauptfiguren. Dadurch wechselt immer wieder die Perspektive, ist man als Leser stets ganz nah dran an den Gedanken und Ängsten jeder einzelnen Person. Diese Tagebucheintragungen werden ergänzt durch Briefe und Zeitungsartikel, die der ganzen Erzählung einen dokumentarischen Hauch verleihen.
„The Westminster Gazette – 25. September – Extrablatt: Soeben erhielten wir Nachricht, dass wieder ein Kind, das letzte Nacht vermisst wurde, erst heute morgen spät unter einem Stechginsterbusch in der Nähe des Schießhügels, dem weniger besuchten Teil der Hampsteader Heide, gefunden worden ist. Es hat dieselben kleinen Wunden an der Kehle, die schon in mehreren vorhergehenden Fällen konstatiert wurden.“

Wenn Harker, Van Helsing, Seward und Co. gezwungenermaßen immer mehr Informationen über die Welt der Untoten erhalten, wenn sie besorgt „Veränderungen“ an ihren Frauen wahrnehmen und letztlich den Kampf gegen „den“ Vampir aufnehmen, dann ist das spannend für mich – auch noch beim soundsovielten Lesen. Und die illustrierte Schmuckausgabe, die ich jetzt lesen durfte, machte das Lesevergnügen noch größer. Ein wunderschönes Buch, mit edel wirkendem Einband, schwarz glänzendem Schnitt, aufwändig gestalteten Seiten, zahlreichen höchst gelungenen Illustrationen und einer Reihe von Extras, wie z.B. einer Karte von Transsilvanien… ich könnte lange schwärmen!

Fazit: Ich liebe diesen Klassiker, auch beim wiederholten Lesen. Und mit dieser wunderschönen Schmuckausgabe machte es noch mal so viel Spaß!

Bewertung vom 08.03.2023
Corff, Aude Le

Bäume reisen nachts


sehr gut

»Der kleine Prinz hat recht. Es ist blöd, den anderen erst zu zähmen, wenn man dann weggeht.«

Die achtjährige Manon leidet fürchterlich unter dem Verschwinden der Mutter. Vor Monaten war diese plötzlich in ein neues Leben aufgebrochen, ließ ihren Mann und die kleine Tochter zurück. Der Rentner Anatole hat Mitleid mit der Kleinen und beginnt, ihr täglich vorzulesen. Bald hat sich zwischen beiden ein Vertrauensverhältnis entwickelt, das beiden hilft, im Alltag nicht zu verzweifeln.
Als endlich, nach Monaten, ein Lebenszeichen von Manons Mutter kommt, machen sich die beiden, zusammen mit Manons Vater Pierre und ihrer Tante Sophie, auf den Weg, um die lang Vermisste zu finden…

Bei diesem Buch war ich mal wieder überrascht, wie viel Inhalt man auf 200 Seiten unterbringen kann. Das kann fürchterlich daneben gehen, aber hier passt es.
Jeder der vier so verschiedenen Reisegefährten hat sein Päckchen im Leben zu tragen. Die kleine Manon ist natürlich vom Verlust der Mutter traumatisiert, zudem hat sie im Grunde beide Eltern verloren, denn Pierre versinkt nach dem Weggang seiner Frau in einer Depression, kann weder arbeiten noch Manon ein Vater sein.
Anatoles Leben besteht seit geraumer Zeit nur noch aus Einsamkeit und Altersbeschwerden, der frühere Französischlehrer hat jeden Sinn und jede Freude am Leben verloren. Und Sophie hat noch ein besonderes Problem, dass sich dem Leser spätestens zur Mitte des Buchs im vollen Umfang erschließt.

Ein Miteinander so verschiedener, problembelasteter Menschen, die sich gegenseitig reiben und stützen, ist thematisch nicht neu, hier aber gut umgesetzt. Nicht wenige der geschilderten Probleme regen zum Nachdenken an und machen beim Lesen deutlich, wie schnell man doch bereit ist, Position zu beziehen und seine Vorurteile zu pflegen. Mein persönlicher Knackpunkt war zum Beispiel Manons Mutter. Es wird genau erklärt, weshalb sie ihre Familie verließ, weshalb sie mit ihrem Leben nicht mehr klarkam - und trotzdem konnte ich kein Verständnis für sie aufbringen. Immerhin: Die Protagonisten im Buch sind bereit, sich mit ihren Vorurteilen auseinanderzusetzen und bemühen sich um Verständnis. Das kann man nur als vorbildlich bezeichnen.

Das Buch liest sich leicht, hat trotz vieler ernsthafter Themen auch amüsante Momente und zahlreiche fernwehfördernde Reisebeschreibungen. Viele Zitate aus dem „Kleinen Prinzen“ werden zudem Fans dieses Buchs Freude machen. Wenn man etwas kritisieren könnte, dann vielleicht das sehr harmonische Ende. Ob das so realistisch ist, weiß ich nicht, aber ein Wohlfühlende hat auch was für sich.

Fazit: Kleines Buch mit viel Inhalt. Mir hat’s gefallen.

Bewertung vom 27.02.2023
Follett, Ken

Die Nadel


ausgezeichnet

»Manche sagen, [er ist] der beste Spion, den wir je hatten. Es wird erzählt, er habe fünf Jahre in der Sowjetunion gelebt und sich im NKWD hochgedient. Zum Schluss soll er einer der engsten Vertrauten Stalins gewesen sein … Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber er wäre dazu fähig. Ein echter Profi. Der Führer weiß das auch.«

Frühjahr 1944. In England bereiten sich die Alliierten auf den Angriff in der Normandie vor. Da alle Verantwortlichen wissen, dass der Feind versucht, die Pläne auszuspionieren, wird ein aufwändiges Täuschungsmanöver in Gang gesetzt. Bald verbreitet sich auf deutscher Seite die Ansicht, dass ein Angriff auf Calais bevorsteht. Einzig die Meldung des Top-Spions, der Nadel, steht noch aus. Ihm vertraut Hitler und von seiner Aussage will er die weiteren Schritte abhängig machen.
Tatsächlich hat die Nadel die Wahrheit herausgefunden und befindet sich mit Beweisen auf den Weg nach Deutschland. Gejagt vom MI5 hinterlässt er auf der Flucht eine blutige Spur und jeder Versuch, ihn zu stellen, scheitert. Der Profi ist ohne Skrupel und seinen Gegner stets eine Nasenlänge voraus. Eine junge Frau könnte am Ende die Entscheidung bringen…

Spionage-Storys fesseln mich ja sonst nicht so, aber dieses Buch war sehr spannend! Meine Güte, habe ich mitgefiebert! Und ich hasste die Nadel aus tiefstem Herzen, diesen abscheulichen, skrupellosen, unmenschlichen Kerl… ich habe ziemlich viel geschimpft beim Lesen, fürchte ich ;-)

Der geschichtliche Rahmen sollte bekannt sein, Ken Follett hat seine Spionage-Story geschickt eingepasst und ich dachte die ganze Zeit über, dass es genau so gewesen sein könnte. Natürlich war mir daher auch klar, dass die Nadel am Ende nicht erfolgreich sein durfte, aber das schadete der Spannung nicht.

Fazit: Ich war selbst überrascht, wie sehr mich diese Spionage-Story fesselte. Ganz toll geschrieben!

Bewertung vom 23.02.2023
Knobelsdorf, Ralph

Des Kummers Nacht / Von der Heyden Bd.1


sehr gut

»Eine tote Österreicherin, ein verschwundener Österreicher. Das ist vermutlich der Beginn eines diplomatischen Albtraums.«

Berlin, 1855. Wilhelm von der Heyden, Sohn aus gutem Hause, hat gerade sein Jura-Studium abgeschlossen und sollte nun anfangen, die für Männer seines Standes vorgesehene Karriereleiter zu erklimmen. Doch der Direktor der Kriminalpolizei, bekannt mit der Familie und begeistert von Wilhelms ungewöhnlich hoher Beobachtungsgabe, umwirbt den jungen Mann. Schließlich werden gute Leute für die noch neue preußische Ermittlungsbehörde dringend benötigt!
Als Wilhelm zufällig Zeuge eines Anschlags wird, bei dem eine junge Frau getötet wird, schließt er sich zur Probe den Ermittlungen an und steckt schon bald bis zum Hals in einem äußerst kniffligen und delikaten Fall, der bis in höchste Kreise führt…

Bei diesem Krimi reizte mich besonders der zeitgeschichtliche Hintergrund. Dieser wird auch sehr gelungen dargestellt, detailliert formt sich beim Lesen ein Bild der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der damaligen Zeit. Auch alle Infos, die sich mit dem Polizeiwesen befassen, wie z.B. Struktur, Aufgaben und Vorgehensweisen, fand ich hochinteressant. Von Zeit zu Zeit jedoch lässt der Autor diesem Umfeld der Handlung ein wenig zu viel Raum, was für die rein historische Vorstellung gut ist, den Krimi aber ausbremst. Im Anhang finden sich diverse (ebenfalls hochinteressante) Ausführungen zu all diesen Hintergründen sowie zu realen und fiktiven Personen im Buch. Hier hätte man vielleicht noch das ein oder andere aus dem Haupttext ergänzen können, um diesen im Gegenzug etwas zu straffen.

Die Spannung leidet also zeitweise, was bedauerlich ist, da die Handlung mit all ihren Verstrickungen viel Spannungspotential hat. Sie wirkt auch realistisch, ich kann mir gut vorstellen, dass Dinge in dieser Art ablaufen könnten oder womöglich sogar abgelaufen sind. Wer weiß das schon? Auch der Fall hier lässt ahnen, dass nicht alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können.

In der Nebenhandlung muss sich Wilhelm mit einem gravierenden familiären Problem auseinandersetzen, dabei hilft ihm sein neuer Beruf. Außerdem leidet er unter einem Trauma, das sich in nächtlichen Albträumen auswirkt und das vermutlich auf einem verdrängten Kindheitserlebnis beruht. Ich hoffe, mehr dazu im nächsten Band zu erfahren.

Ein Punkt hat mich allerdings gestört, oder vielleicht besser, beschäftigt. Der Krimi spielt 1855. Laut Wilhelms Vita, gleich zu Beginn des Buchs, wurde er im Sommer 1935 geboren, ist also zum Zeitpunkt der Handlung gerade einmal 20 Jahre alt. Soll aber bereits einen einjährigen Freiwilligendienst in einem Infanterieregiment absolviert, es zum Leutnant der Landwehr gebracht und ein Jurastudium erfolgreich mit Examen abgeschlossen haben. Ich glaube ja gerne, dass er sehr talentiert ist, aber das alles vor Abschluss des 20. Lebensjahres erscheint mir zweifelhaft.

Fazit: Trotz einiger Längen wegen besonders detaillierten Schilderungen ein packender Fall. Ich lande bei 3,5 Sternen, die ich auf 4 aufrunde.

Bewertung vom 15.02.2023
Doyle, Arthur Conan

Der Hund der Baskervilles


ausgezeichnet

»Sie waren sich alle darin einig, dass es ein riesiges Geschöpf war, leuchtend, schauderhaft und gespenstisch.«

Ein geheimnisvoller Fluch liegt seit Generationen auf dem Geschlecht der Baskervilles, erst kürzlich kam Sir Charles Baskerville auf mysteriöse Weise ums Leben und nun wartet der Fluch auf seinen Erben. Ein teuflischer Hund soll auf dem Moor sein Unwesen treiben, erzählt man sich und schafft damit einen richtig verlockenden Fall für Meisterdetektiv Sherlock Holmes und seinen Gefährten Dr. Watson…

Mich lockte es mal wieder, einen dieser Detektiv-Klassiker zu lesen und ich stellte fest, dass auch ein bekannter Fall Spaß machen kann, wenn er gut geschrieben ist. Der besondere Reiz liegt natürlich in der Figur des Sherlock Holmes und in seiner besonderen Art zu denken, zu ermitteln und sich auszudrücken. Regelmäßig musste ich schmunzeln und hatte manches Mal Mitgefühl mit Watson, der wirklich tolle Arbeit leistet, aber mit Holmes einfach nicht mithalten kann.

Der Stil ist sehr angenehm zu lesen, die Atmosphäre sehr dicht. An Spannung mangelt es ebenfalls nicht und die Auflösung ist, dem Detektiv sei Dank, äußerst logisch und schlüssig.

Fazit: Dieser Detektiv-Klassiker macht auch beim wiederholten Lesen Spaß!

»Ich befürchte, mein lieber Watson, dass die meisten Ihrer Schlüsse falsch waren. Als ich sagte, dass Sie mich inspirieren, meinte ich damit, ehrlich gesagt, dass ich durch Ihre Fehlschlüsse gelegentlich auf die Wahrheit gebracht wurde.«