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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 989 Bewertungen
Bewertung vom 14.08.2022
Der Mann auf dem Balkon
Sjöwall, Maj;Wahlöö, Per

Der Mann auf dem Balkon


sehr gut

»Es war Sommer. Die Leute gingen schwimmen. Touristen irrten mit Stadtplänen in den Händen umher. Und in dem Gebüsch zwischen der Hügelkuppe und dem roten Zaun lag ein totes Kind. Das war widerwärtig. Aber am schlimmsten war, dass es noch viel schlimmer werden konnte.«

Stockholm, in den 1960er Jahren. Die Bevölkerung ist bereits durch eine Serie brutaler Raubüberfälle verängstigt, doch es wird noch schlimmer kommen. An einem Abend wird nicht nur eine kleine Händlerin krankenhausreif geprügelt und um ihre gesamten Tageseinnahmen gebracht, sondern in einem Gebüsch liegt ein kleines, ermordetes Mädchen.
Für das Team um Kommissar Martin Beck gibt es kein Privatleben und keine Freizeit mehr, denn die böse Ahnung, dass einem toten Kind noch weitere folgen werden, bewahrheitet sich schon bald…

Das war mal wieder ein sehr gelungener, spannender und intensiver Polizeiroman! Als Leser ist man fast die ganze Zeit über bei den Ermittlern, jeder Teil ihrer Arbeit wird detailliert beschrieben. Verhörprotokolle und Zeugenbefragungen werden ausführlich und als wörtliche Notizen gebracht, das wirkt extrem realistisch. Manchmal ist auch Kreativität gefragt, wenn man sich Aussagen von einem anderen inhaftierten Verbrecher oder einem Kleinkind erhofft.

Realistisch ist auch das Wort, mit dem man die Ermittler beschreiben kann. Sie wirken wie völlig normale Menschen mit ganz normalen Problemen. Und keiner von ihnen ist in der Lage, einfach abzuschalten, das Wissen wegzuschieben, dass der von ihnen noch nicht gefasste Triebtäter vielleicht exakt in diesem Moment dem nächsten kleinen Mädchen auflauert.

Fazit: Toller Polizeiroman, realistisch, spannend und intensiv. Die Reihe verfolge ich gerne weiter.

Bewertung vom 14.08.2022
Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2 (eBook, ePUB)
Pötzsch, Oliver

Das Mädchen und der Totengräber / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

»Der Professor ist also der Ermordete?«
»Ob er ermordet wurde, ist noch nicht ganz klar. Auch nicht wann oder wie.«
»Was wollen Sie damit andeuten? Könnte es Selbstmord gewesen sein?«
»Nein, das glaube ich kaum. Es sei denn, der Professor hätte sich vorher selbst die Eingeweide entfernt, sich in Natronlauge gelegt und dann in Bandagen gewickelt.«

Wien, 1894. Es ist ein wirklich ungewöhnlicher Fall, der Inspektor Leopold von Herzfeldt beschäftigt. Der Tote, Professor für Archäologie, war erst kürzlich durch seine Entdeckungen in Ägypten berühmt geworden. Und nun liegt er selbst perfekt mumifiziert in einer Ecke des Kunsthistorischen Museums. Als bekannt wird, dass auch noch andere Beteiligte der Ägypten-Expedition zu Tode gekommen sind, wird sofort über einen Fluch spekuliert. Für Leo stellt eine übernatürliche Ursache jedoch keine Option dar.

Der junge Inspektor, dem in seiner Dienststelle aufgrund seiner jüdischen Herkunft und seines reinen Hochdeutsch regelmäßig mit Vorurteilen, Sticheleien und offener Abneigung begegnet wird, wendet sich ratsuchend an den Totengräber Augustin Rothmayer. Dieser hat sich bereits in der Vergangenheit als Experte für alles, was mit Tod und Begräbnisritualen zu tun hat, einen Namen gemacht. Gern würde sich Leo ganz auf die Suche nach einer rationalen Erklärung konzentrieren, doch in Wien geht noch ein unheimlicher Serienmörder um, der eine blutige Spur grausam verstümmelter Opfer hinterlässt.

Auch dieser zweite Fall für Leopold von Herzfeldt und Augustin Rothmayer gefiel mir sehr. Die beiden intelligenten und eigensinnigen Außenseiter sind abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten grundverschieden. Vor allem der Totengräber verleitet die Menschen, auf die er trifft, dazu, ihn völlig zu unterschätzen. Ich mag die Idee, einen solch kauzigen Charakter als Ermittler einzusetzen.

Die Fälle, die die beiden zu knacken haben, empfand ich als sehr spannend, wobei ich persönlich das Rätsel um den mumifizierten Professor noch reizvoller fand als die Jagd auf den Serienkiller. Überhaupt hätte ich mir einen größeren Ermittlungsanteil von Augustin Rothmayer gewünscht. Er liefert zwar immer wieder entscheidende Hinweise, mehr Platz im Buch wird aber Leo zugestanden. Und wer ist das Mädchen vom Titel? Leos Freundin, die sich ebenfalls als Ermittlerin versucht oder Rothmayers Pflegetochter, die er sehr liebt, die aber für den Fall ansonsten keine Bedeutung hat? Ein wenig irritierend…

Fazit: Spannende Fälle und reizvolle Charaktere, ich mag diese Reihe sehr und hoffe auf eine baldige Fortsetzung. Wenn dann der Ermittlungsanteil des Totengräbers noch ein wenig höher wäre, wäre alles perfekt.

Bewertung vom 29.07.2022
Altwerden ist nichts für Feiglinge
Fuchsberger, Joachim

Altwerden ist nichts für Feiglinge


sehr gut

»Da saßen wir alten Männer uns im Rollstuhl gegenüber und hielten unsere Hörgeräte in die Höhe und lachten Tränen. Nach wenigen Minuten kamen die Begleiter, um uns zu unseren Flugzeugen zu bringen. Wir sahen uns lange in die Augen, dachten wohl beide diesen Augenblick lang darüber nach, ob wir uns im Leben noch mal wiedersehen werden? Dann schoben sie uns auseinander. Altwerden ist nichts für Feiglinge!«

Joachim „Blacky“ Fuchsberger – ich mochte ihn immer. Er war mein Lieblingsermittler in den alten Edgar-Wallace-Filmen, einen Lehrer, wie er ihn im „Fliegenden Klassenzimmer“ spielte, hätte ich gerne gehabt und auch als Showmaster gefiel er mir. Über den Privatmenschen wusste ich bislang sehr wenig, aber immer wirkte er ehrlich und authentisch. Sein Buch hier unterstützt diesen Eindruck.

Als er es schrieb, war er 82 Jahre alt und damit schon irgendwo auf der Zielgerade des Lebens. Locker plaudert er über all die Dinge, die mit dieser Lebensphase einhergehen. Ich konnte mir beim Lesen gut vorstellen, wie er beim Erzählen diesen leicht verschmitzt-charmanten Gesichtsausdruck zeigt, den er so gut beherrschte.

Aber natürlich gibt es nicht nur nette Dinge zu berichten. Immer wieder wird sein Ton sehr kritisch, da sorgt er sich um die Welt, um die Art und Weise, in der Menschen miteinander umgehen. Schlimme Zeiten und Tragödien gab es einige in seinem Leben. Wenn er darüber spricht, teilt er sehr ehrlich seine Gefühle mit, jedoch ohne großes Jammern. Das fand ich sehr beeindruckend! Offen teilt er auch gemachte Fehler, vielleicht, damit andere etwas daraus lernen können? Ohnehin sind eine Reihe von Lebensweisheiten dabei, das muss gestattet sein, wenn man so alt geworden ist. Mir gefiel, dass er mehrfach betont, dass früher eben nicht alles besser war. Nur anders.

Liebenswert fand ich auch die Art und Weise, wie er über seine Ehefrau („meine Regierung“) spricht. Wie wunderbar sind doch diese Paare, die ein ganzes Leben miteinander verbracht haben, immer noch glücklich sind und sich täglich weiter Mühe geben, ihre Beziehung zu pflegen.

So las das Buch sich sehr leicht und flott. Und ich mag ihn nach diesen sehr persönlichen Einblicken noch ein wenig mehr.

Fazit: Lebenshöhepunkte und Tragödien, sehr offen und mit einem Augenzwinkern geschildert.

Bewertung vom 27.07.2022
Die siebte Zeugin / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.1
Schwiecker, Florian;Tsokos, Michael

Die siebte Zeugin / Eberhardt & Jarmer ermitteln Bd.1


sehr gut

»Nölting bekam das alles nur noch wie durch einen Filter mit. Vor seinen Augen verschwammen die Bilder zu einem Farbbrei, die Schreie der Menschen hörte er wie durch Watte. Für einen Moment dachte er, er würde ohnmächtig werden, doch er wusste, dass das jetzt nicht passieren durfte. Er biss sich auf die Unterlippe, bis sie blutete, um bei Bewusstsein zu bleiben. Es dauerte eine Weile, bis er seine Umgebung wieder wahrnahm und sein Gehör zurückkehrte. Benommen blickte er sich um und starrte in angsterfüllte Gesichter. Dann ließ er, von einer Sekunde auf die nächste, die Waffe neben sich fallen, kniete sich auf den Boden und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er hatte es getan.«

Es ist ein ganz durchschnittlicher Sonntagmorgen in Berlin Charlottenburg, als ein völlig durchschnittlich aussehender Mann namens Nikolas Nölting eine Bäckerei betritt und anfängt, um sich zu schießen. Er tötet einen Menschen, verletzt zwei und lässt sich anschließend widerstandslos festnehmen, verweigert jedoch jede Aussage. Zeugen für die Tat gibt es einige und die Verurteilung des „Killer-Beamten“, wie ihn die Presse nennt, wegen Mordes scheint eine glasklare Angelegenheit zu sein. Doch Strafverteidiger Rocco Eberhardt will Nöltings Motiv herausfinden und macht sich, unterstützt von dem Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer daran, das Rätsel um seinen schweigenden Mandanten zu knacken…

Dieses Buch hatte seinen ganz eigenen Reiz. Im Gegensatz zu anderen Krimis, bei denen man sich fragt, wer wohl der Täter ist und ob weitere Gefahr von ihm ausgeht, weiß man hier bereits im ersten Kapitel genau, was Nölting getan hat. Und es sieht nicht so aus, als ob weitere Verbrechen von ihm zu befürchten wären. Aber was hat ihn, den glücklich verheirateten Familienvater und Verwaltungsbeamten, zu dieser Tat getrieben?

Ich muss zugeben, wenn man Krimierfahrung hat, denkt man recht schnell in die korrekte Richtung. Das macht aber nichts, denn der Stil des Buchs ist packend, die kurzen Kapitel lesen sich flott und verleiten zum Dranbleiben. So fügt man gemeinsam mit Rocco Eberhardt ein Puzzlesteinchen zum nächsten, bis die Frage des Motivs und der Hintergründe geklärt ist. Doch wird diese Erkenntnis auch vor Gericht von Nutzen sein?

Alles wirkt sehr realistisch, was nicht erstaunt, da beide Autoren vom Fach sind. Florian Schwiecker hat viele Jahre in Berlin als Strafverteidiger gearbeitet und Michael Tsokos leitet das Institut für Rechtsmedizin der Charité. Die beiden wissen also, wovon sie schreiben und das merkt man. Ich mag das sehr und freue mich auf weitere Fälle für Eberhardt & Jarmer.

Fazit: Spannender Justiz-Krimi, packend geschrieben und sehr realistisch.

Bewertung vom 24.07.2022
Die Konitzer Mordaffäre
Beckmann, Herbert

Die Konitzer Mordaffäre


ausgezeichnet

»Alles in allem war damit auch Lewys Alibi für den gesamten Sonntag lückenlos. Diese Tatsache muss nach meinem Dafürhalten unbedingt im Hinterkopf bleiben, um die nachfolgenden katastrophalen Ereignisse in Konitz und weit darüber hinaus richtig bewerten zu können – wenn dies denn überhaupt möglich ist.«

Konitz, Westpreußen im März 1900. Der 18jährige Schüler Ernst Winter wird ermordet aufgefunden, eine grausame und blutige Tat, die die ganze Bevölkerung erschüttert. Aus Berlin werden nacheinander zwei Ermittler geschickt, die sich nach Kräften um eine ordentliche Aufklärung bemühen. Doch sie werden beide scheitern, denn die Volksseele hat schon längst den „wahren“ Schuldigen gefunden: Es müssen die Juden gewesen sein.

Das war wieder mal ein Buch von der Sorte, bei der ich aus dem Kopfschütteln nicht herauskam. Wie kann man nur so komplett jeden vernünftigen Hinweis und jede ordentliche Spur ignorieren, den Verstand so vollständig abschalten, nur um ausschließlich das zu sehen, was man sehen will?! Was dabei besonders erschüttert ist die Tatsache, dass es diese Konitzer Mordaffäre wirklich gab, der Roman also vor historischem Hintergrund stattfindet.
Ich hatte große Hochachtung vor den beiden Ermittlern, die auf der Suche nach der Wahrheit den Kampf gegen Windmühlen aufnehmen. Am Ende wird nicht nur ihre Existenz in Trümmern liegen, denn der Konitzer Weg führt über Gewalt, Hetze und Ausschreitungen hin zu Pogromen. Hier beginnt, was vierzig Jahre später auf die Spitze getrieben werden wird.

Fazit: Einfach nur erschütternd. Man liest mit wachsendem Entsetzen und kann das Buch trotzdem nicht aus der Hand legen.

Bewertung vom 17.07.2022
Die Schatten von Edinburgh / Frey & McGray Bd.1
Muriel, Oscar de

Die Schatten von Edinburgh / Frey & McGray Bd.1


ausgezeichnet

»Lassen Sie mich meine Situation bewerten: Ich muss mit Schimpf und Schande in das von Schotten wimmelnde Edinburgh fahren, dort vorgeben, Mitglied einer erbärmlichen Sondereinheit zu sein, die von einem behämmerten Kerl geleitet wird, der an Elfen glaubt, und mir auf der Jagd nach einem schwerfassbaren Trittbrettfahrer von Jack the Ripper den Rücken krumm arbeiten und den Kopf zerbrechen, und das alles unter strengster Geheimhaltung.«

Nein, Inspector Ian Frey ist nicht begeistert. Gerade noch jagte er Jack the Ripper, nun wird er nach Schottland strafversetzt und soll dort in einer neu gegründeten Sondereinheit arbeiten, die sich mit „Erscheinungen“ befasst. Geht es noch schlimmer? Oh ja, das wird er schon kurz nach seiner Ankunft erfahren, als er seinen neuen Vorgesetzten und Partner McGray kennenlernt, der sämtliche Vorurteile bestätigt, die ein kultivierter Engländer gegenüber einem ungehobelten Schotten haben kann. Wobei das mit den Vorurteilen umgekehrt genauso funktioniert…

Dieses Buch hat mich bestens unterhalten, die beiden Ermittler sind in ihrer Gegensätzlichkeit und ihrer Art, miteinander umzugehen, höchst unterhaltsam! Daneben mag ich die ganze Atmosphäre, die ein stimmiges und dichtes Bild schafft und natürlich den spannenden Fall! Die Mordserie in Edinburgh weist einige blutige Gemeinsamkeiten mit der des Londoner Rippers auf, unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt, denn die schottischen Opfer sind Violinisten.

Nun darf man keine Thrillerhochspannung erwarten, dafür ist das Tempo zu ruhig und die Handlung durch die zahlreichen unterhaltsamen Passagen zu aufgelockert. Für mich resultierte die Spannung aus dem interessant angelegten Fall, der sich dramatisch steigert und am Ende ordentlich aufgelöst wird. Ich freue mich auf die weiteren Fälle für Frey und McGray.

Fazit: Gelungener Reihenauftakt für ein unterhaltsames Ermittlerduo. Hier lese ich gerne weiter!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2022
Mord in Babelsberg / Leo Wechsler Bd.4
Goga, Susanne

Mord in Babelsberg / Leo Wechsler Bd.4


ausgezeichnet

Ihr panischer Blick verriet, dass etwas nicht stimmte. »Kennen Sie moderne Kunst? Ich habe es in einer Illustrierten gesehen. Lauter bunte Flecken, wild durcheinander. Man kann nichts darauf erkennen, keine Menschen oder Häuser oder Landschaften. Nur diese Flecken.«

Berlin 1926. Der Wachtmeister, der von einer völlig panischen Passantin zu einem Tatort in einer feinen Wohngegend gezerrt wird, wird von dem Blutbad, das er erblicken muss, ebenfalls schockiert. Kommissar Leo Wechsler und sein Team übernehmen die Ermittlungen und suchen einen Täter, der eine junge Frau mit einer roten Glasscherbe ermordete.
Der Anblick der Leiche bedeutet noch einen ganz besonderen Schock für Leo, denn er hatte vor Jahren eine Beziehung mit ihr. Weil er verhindern will, dass man ihm den Fall entzieht, verschweigt er dies, auch seiner Frau Clara gegenüber. Probleme sind dadurch vorprogrammiert, aber es kommt noch übler, denn eine weitere Leiche wird gefunden, auf dieselbe Art ermordet. Diesmal jedoch ist der Tote ein Mann und niemand anders als ein gerade hoch gefeierter Starregisseur. Auch nach längerer Suche findet sich kein verbindendes Element zwischen den beiden Opfern und doch muss da etwas sein. Ein kniffliger Fall!

Ich mag diese Krimireihe und auch der vierte Fall konnte mich begeistern. Der Stil ist packend und flott lesbar, die Atmosphäre dicht und stimmig und Aufbau und Auflösung des Falls spannend und stimmig. Leo wirkt sympathisch und menschlich, eben weil er nicht alles völlig korrekt macht. Auch alle Nebenfiguren (Kollegen, Ehefrau, Schwester) wirken sympathisch und authentisch. Der Schauplatz vor Filmkulissen wirkte auf mich zusätzlich reizvoll.

Fazit: Wieder einmal ein toller und spannender Fall für Leo Wechsler. Diese Reihe verfolge ich gerne weiter.

Bewertung vom 29.06.2022
Kommissar mit Herz
Benede, Carlos

Kommissar mit Herz


sehr gut

»Als ich Alex zum ersten Mal begegnete, war er ein schmächtiger Knirps von elf Jahren. Ich war bereits seit einigen Stunden im Dienst, der Vormittag war ruhig verlaufen, keine besonderen Vorkommnisse. Bis die Leiterin unseres Kommissariats zur Tür hereinkam und mir und meiner Kollegin mitteilte, dass in der Nacht vom ersten auf den zweiten Mai ein Mord geschehen war, bei dem ein Kind „übrig geblieben“ sei. Wir sollten uns darum kümmern.«

Carlos Benede, selbst im Heim aufgewachsen, hatte schon immer einen besonders guten Draht zu Kindern und Jugendlichen. Beim Kommissariat für „Prävention und Opferschutz“ hat er täglich mit furchtbaren Schicksalen zu tun.
»Es vergeht kein Tag, an dem nicht wenigstens ein drastischer Fall von Gewalt gegen Schutzbefohlene gemeldet wird.«

An diesem besonderen Tag war es jedoch die Mutter des elfjährigen Alex, die von dessen Vater ermordet wurde. In der heimischen Wohnung, in Gegenwart des Jungen. Carlos Benede kümmert sich um Alex, zunächst rein beruflich, doch nach und nach wird das Vertrauensverhältnis zwischen beiden immer größer und intensiver. Als sich Alex irgendwann wünscht, dass Carlos sein Vater wird, geht er auch diesen Schritt mit und adoptiert den Jungen. Ein paar Jahre später wiederholt sich das Drama, diesmal ist es ein kleiner Junge, der „übrigbleibt“, nachdem sein Vater seine Mutter ermordete…

Meine Güte, was habe ich diesen Mann bewundert. Seinen Mut, sein unglaubliches Engagement, seine tiefe Herzlichkeit. Er selbst macht am Liebsten überhaupt kein Aufheben um sein Handeln, ihm ist einfach nur wichtig, nicht wegzuschauen und auf sein Bauchgefühl zu vertrauen. Dieses Buch erzählt seine Geschichte, in einfachen, aber berührenden Worten.
Von seiner „Familie“ im Heim, den Nonnen, die ihm und seinen Heimgeschwistern viel Liebe gaben. Von der Suche nach seinem beruflichen Weg, der ihn erst relativ spät zur Polizei brachte. Wie er dort am normalen Job fast verzweifelte, bevor er dann im Kommissariat für „Prävention und Opferschutz“ seinen Platz fand. Den er vor einigen Jahren wieder aufgab, um sich ganz der Gründung einer Jugendhilfeeinrichtung zu verschreiben, die sich speziell der „Problemkids“ annimmt, die kein anderes Heim mehr will.
Und natürlich geht es immer wieder um seine beiden Jungs, um ihre Geschichte, ihr Trauma und den Weg zurück ins Leben. Alex kommt dabei häufig zu Wort und berichtet selbst über seine Gefühle. Das war so berührend, ich mochte das Buch nicht aus der Hand legen.

Fazit: Ein sehr berührender Blick auf einen großartigen Mann, der eigentlich immer „nur“ auf sein Herz und seinen Bauch hört.

»Ich bin sicher kein Held. Ich bin ein glücklicher Mensch. Ich habe zwei wunderbare Söhne, ich bin Vater von vielen.«

Bewertung vom 27.06.2022
Der Angstmann / Max Heller Bd.1
Goldammer, Frank

Der Angstmann / Max Heller Bd.1


ausgezeichnet

»Eine Frau ist ermordet worden. Eine furchtbare Tat. Wirklich grässlich. Jemand hat sie … aufgeschnitten…«
»Kannst du etwas tun?«
Heller schnaubte leise. »Keine Leute, kein Benzin, keine Blitzlichtbirnen, keine Zeit.«

Dresden, im November 1944. Kriminalinspektor Max Heller jagt einen Serienmörder, der in einem Umfeld von furchtbaren Bombenangriffen, Zerstörung und Verzweiflung auf denkbar schlimmste und blutigste Art junge Frauen zu Tode quält.
Doch wie soll man halbwegs vernünftig ermitteln, wenn es an allem fehlt und sämtliche Mitarbeiter als letztes Aufgebot an die Front geschickt werden? Wenn der Vorgesetzte seinen Posten durch seine Mitgliedschaft bei der SS erhalten hat? Wenn man niemandem trauen darf? Und wenn man selbst täglich um das eigene Überleben kämpfen muss?

Puh, ein Wohlfühlkrimi war das ganz und gar nicht. Gemeinsam mit Max Heller durchlebt der Leser einen Alptraum aus Bombenterror, Naziherrschaft und grausamer Morde eines Psychopathen. Das Ergebnis ist sehr intensiv, blutig und düster.

Max Heller erscheint als Sympathieträger. Er ist nicht in der Partei, dass er seinen Beruf ausüben darf, verdankt er seinem Kampfeinsatz im 1. Weltkrieg und von seinen Vorgesetzten wird er kritisch beäugt. Aktiv leistet er keinen Widerstand, versucht jedoch, seine Arbeit ordentlich und so menschlich wie möglich zu machen. Innerlich fühlt er sich zerrissen, in der Gesamtdarstellung wirkt er sehr authentisch. Er hat eine Ehefrau und zwei Söhne an der Front, über deren Schicksal er nichts weiß. Irgendwie weitermachen und überleben scheint sein Motto zu sein. Mich berührte das sehr.

Fazit: Sehr spannend, intensiv, blutig und düster. Der Protagonist wirkt sehr authentisch, ich werde diese Reihe weiterverfolgen.

Bewertung vom 22.06.2022
Die Rechenkünstlerin (eBook, ePUB)
Glaesener, Helga

Die Rechenkünstlerin (eBook, ePUB)


sehr gut

»Schreibt Ihr eigentlich nur, oder könnt Ihr auch lesen?«
»Ich schreibe, lese und begreife es.«

Carlotta ist eine hochintelligente junge Frau, die Mathematik ist ihre Leidenschaft. In der heutigen Zeit wäre sie vermutlich Professorin, aber im Jahr 1389 beschränkt sich ihre Tätigkeit an der Universität Heidelberg auf die Versorgung der Scholaren. Wenn sie nicht gerade kocht oder sonstigen leidigen Haushaltspflichten nachgeht, versinkt sie mit Vorliebe in mathematischen Problemen oder schreibt als kleiner Nebenverdienst wissenschaftliche Texte ab.

Der Tod ihrer Freundin Zölestine stellt sie jedoch vor völlig neue Herausforderungen. Angeblich hat die junge Frau Selbstmord begangen, was sich Carola überhaupt nicht vorstellen kann. Als sie dann auch noch an der aufgebahrten Leiche verdächtige Würgemale entdeckt, ist sie sicher, dass Zölestine ermordet wurde. In einer Zeit, in der eine intelligente Frau höchst einfach aus dem Weg geräumt werden kann, indem man sie der Hexerei bezichtigt, macht sie sich mutig an die Nachforschungen. Unterstützt von einem geheimnisvollen Magister, der selbst eine unheilvolle Begabung hat, sich mit ranghohen Persönlichkeiten anzulegen…

Bücher dieser Art lese ich selten. Dabei finde ich die historischen Hintergründe oft hochinteressant und versinke gern in früheren Zeiten, nur sind mir diese Romane oft zu schwülstig und kitschig. Das trifft auf dieses Buch hier zum Glück nicht zu, ich konnte gut in die Geschichte eintauchen und mit Carlotta und dem Magister mitfiebern. Beide waren mir sehr sympathisch, herrlich unangepasst, mit einem Dickschädel, Intelligenz und Mut. Der Magister zeichnet sich zudem durch einen scharfzüngigen, trockenen Humor aus.

Natürlich ahnt man beim Lesen, dass sich zwischen den beiden eine Beziehung entwickelt, zu meiner großen Erleichterung verzichtete die Autorin jedoch auf ausschweifende Romantik und als einmal eine entsprechende Passage kam, war sie so schön und anrührend geschrieben, dass sie mir richtig ans Herz ging. Spannend wird es außerdem und die Auflösung des Falls ordentlich knifflig und gefährlich.

Fazit: So mag ich historische Romane. Eine starke und intelligente Frau, Spannung und wohldosierte, nicht kitschig werdende Romantik.