Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
solveig

Bewertungen

Insgesamt 471 Bewertungen
Bewertung vom 23.09.2018
Ein Winter in Paris
Blondel, Jean-Philippe

Ein Winter in Paris


sehr gut

Feinfühlig

Für den einen bedeutet er das unwiderrufliche Ende, für den anderen den Start in ein neues Leben: an der Eliteschule, dem Lycée D. in Paris, verändert der Selbstmord Mathieu Lestaings den Alltag seines Mitschülers Victor nachhaltig. Der zuvor zielstrebige, aber gesellschaftlich unbeachtete Victor rückt plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses seiner Kollegen. Vor allem Patrick, Mathieus „verwaister“ Vater, bemüht sich um seine Aufmerksamkeit; er möchte so viel wie möglich über die Beweggründe seines Sohnes erfahren. Wie geht Victor mit dem neuen „Ruhm“ um? Was ändert sich am Schulbetrieb?
Realistisch und äußerst kritisch schildert Jean-Philippe Blondel, der selbst an einem Lycée unterrichtet, den Schulalltag an einem Elitegymnasium. Mit viel psychologischem Geschick versetzt er den Leser in Victors Situation. Er lässt seinen Protagonisten selbst erzählen; sachlich und offen spricht Victor von sich und seinen Gefühlen. Vom Elternhaus und seiner provinziellen Herkunft hat er sich innerlich abgewandt, aber auch zu seinen Pariser Mitschülern besteht eine Kluft. Für die Söhne und Töchter der besser gestellten sozialen Klassen fehlen ihm die „Zugangscodes“ ; er spürt sehr deutlich die unsichtbaren Grenzen zwischen den Gesellschaftsschichten.
Blondel schreibt mit viel Feingefühl, in einer ruhigen, gepflegten Sprache. Ohne Pathos beschreibt er die Entwicklung, die der junge Mann durchläuft. Im Roman herrscht zwar ein leicht melancholischer Ton vor, dennoch behalten Victors jugendlicher Optimismus und sein Sinn für Realität die Oberhand. Ein tiefgründiger Stoff, der dem Leser auf leichte und unterhaltende Weise dargeboten wird.

Bewertung vom 23.09.2018
Geschichten von Henriette und Onkel Titus
Hacks, Peter

Geschichten von Henriette und Onkel Titus


ausgezeichnet

Ein wahres Füllhorn...

… an fantastischen Geschichten und Gedichten hat der Schriftsteller Peter Hacks (1928 – 2003) für Kinder und Erwachsene geschrieben. Eine kleine Auswahl ist nun als Hörbuch im Eulenspiegel-Verlag erschienen, der Werke des Autors bereits zu dessen Lebzeiten verlegt hat.
Die „Geschichten von Henriette und Onkel Titus“ enthalten originelle kurze Erzählungen über das nicht ganz alltägliche Leben des schrulligen Erfinder-Onkels mit dem birnenförmigen Kopf und seiner aufgeweckten Nichte Henriette. Mit von der Partie sind die Nachbarin Frau Philip und der Dichter Felix im rosa seidenen Morgenrock, der „sich vernünftige Gedanken ausdenkt“ und Henriette zeigt, was ein „Tagedieb“ bewirken kann. Die einzelnen Episoden werden immer wieder einmal abgelöst von humorvollen Gedichten. Hacks´ anspruchsvolle Sprache und seine knappen hintersinnigen Anspielungen sind für jeden gut verständlich und werden - finde ich - ausgezeichnet von den beiden Sprecherinnen transportiert. Die bekannten Schauspielerinnen Carmen-Maja und Jennipher Antoni lesen die Geschichten wechselweise, mit viel Enthusiasmus, frisch und ausdrucksvoll. Es gelingt ihnen vortrefflich, dem Zuhörer Hacks´ Fabulierkunst und seine optimistische Lebenseinstellung zu vermitteln.
Peter Hacks´ Humor reicht von witzig bis sarkastisch und rabenschwarz. Als „sozialistischer Klassiker“ war der Schriftsteller zwar nicht unumstritten, doch als Kinder- und Jugendbuchautor ist er zweifellos einer der fantasievollsten und feinsinnigsten Literaten. Neben zahlreichen Auszeichnungen für seine Werke erhielt er im Jahre 1998 auch den deutschen Jugendliteraturpreis.
Die „Geschichten von Henriette und Onkel Titus“ bieten 74 Minuten Hörvergnügen, in denen Mutter und Tochter Antoni die kuriosen Einfälle und überraschenden Wendungen vor den Augen des aufmerksamen Lauschers (ab 6 Jahren) lebendig werden lassen.

Bewertung vom 23.09.2018
Achtung, gruselig! / Tiergeister AG Bd.1
Iland-Olschewski, Barbara

Achtung, gruselig! / Tiergeister AG Bd.1


sehr gut

Kein Platz für Geister?

Tomato Salata! Was passiert nur mit Spuk Ekelburg? Der kleine Dackel Arik hat noch gar nicht richtig begriffen, dass er bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, da wird er schon als Neuankömmling in der Spukschule für Geistertiere aufgenommen. Hier schließt er Freundschaft mit Schicksalsgenossen - doch Spuk Ekelburg, die tagsüber unter dem Namen Sankt Ethelburg als Schule für Menschenkinder dient, ist als Unterschlupf für die Geistertiere nicht mehr sicher. Arik, der Kinder liebt, schmiedet einen Plan, bei dem nicht nur seine spukigen Freunde sondern auch einige menschliche Schüler eine Rolle spielen…
Leichten Grusel und eine Menge Spaß verspricht Barbara Iland-Olschewskis Buch für Kinder ab 8 Jahren. In kindgerechter Sprache erzählt sie vom Schulbetrieb einer ganz besonderen Art. Lustig und lebendig schildert sie die Spukfächer der Geistertiere, die sich von denen der menschlichen Schüler sehr unterscheiden, und die (Freizeit-)Aktivitäten der Geisterschüler, die denen der Menschenkinder recht ähnlich sind. Die freundlich gesinnten Gespenster beweisen mit ihrer gewitzten Aktion, wie wichtig Zusammenhalt ist, dass Ziele gemeinsam leichter erreicht werden können und (Vor)Urteile nicht zutreffen müssen. Zahlreiche witzige Illustrationen, die ebenso fantasievoll sind wie der Text, runden die Geschichte ab. Diverse Lautäußerungen - farblich und in der Schriftart abgehoben vom übrigen Text - lockern das Schriftbild auf. Geheimnisvolle Pfotenabdrücke begleiten die kleinen Leser durch das Buch, ebenso wie kecke Würmer, die sich um die Kapitelanfänge ringeln. Und auch das Vorsatzblatt gibt einen Vorgeschmack auf ein bisschen Grusel und Ekel und beschert eine leichte Gänsehaut.

Bewertung vom 17.09.2018
Loyalitäten
Vigan, Delphine

Loyalitäten


sehr gut

Ein "leises" Drama

Wie reagiert ein Kind, wenn es in eine anscheinend ausweglose Situation gerät? Der 12jährige Théo, der als Kind geschiedener Eltern zwischen den unversöhnlichen Partnern steht, folgt dem Beispiel seines Vaters: er sucht Entspannung und Vergessen im Alkohol. Obwohl zermürbt von der ständigen, selbst auferlegten Verpflichtung, seine Eltern - besonders die Lebensweise seines Vaters – decken zu müssen, schafft er es dennoch nicht, sich einem Erwachsenen anzuvertrauen. Auch seiner Lehrerin Hélène gegenüber, deren eigene Kindheitserlebnisse sie für die Probleme ihrer Schüler sensibilisiert haben, kann er sich nicht öffnen. Steuert Théo einer Katastrophe entgegen?
Mit ihrer ruhigen, aber sehr intensiven Art zu erzählen trifft Delphine de Vigan ihre Leser im Innersten. Wie weit geht die Verpflichtung, einen Menschen, dem ich familiär oder freundschaftlich verbunden bin, durch Schweigen zu schützen? Wann kann oder muss ich mein Schweigen brechen? Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Gefühl der Loyalität für andere ergeben, beleuchtet de Vigan eindrucksvoll aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sachlich, ohne Sentimentalität, lässt sie einen kleinen Personenkreis selbst zu Wort kommen: zwei Kinder, Théo und seinen Freund Mathis, und zwei Erwachsene, ihre Lehrerin Hélène und Mathis´ Mutter Cécile. Den Dreh- und Angelpunkt bildet Théo; um ihn herum gruppieren sich die Episoden und Probleme der übrigen Figuren. Neben dem Thema Loyalität entsteht logischerweise auch die schwierige Frage: Wann und wie soll ein Außenstehender eingreifen?
Werden zumindest die Erwachsenen einen Weg finden, Théo zu helfen?
Ungeschminkt inszeniert Delphine de Vigan eines der „leisen Dramen“ in dieser Welt. Ihr neuer Roman hat mich stark beeindruckt und lässt mich nachdenklich zurück.

Bewertung vom 11.09.2018
Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich
Lambeck, Silke

Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich


sehr gut

"Wir sind die Herren Kinder"

Welche Verbindung besteht zwischen Hausaufgaben, einem knurrigen Kioskbesitzer und Gangsta-Rap? Die Freunde Matti und Otto, die sich bereits „ein ganzes Leben minus drei Wochen“ kennen, stecken in einem Dilemma: sie sollen für den Musikunterricht der Fünften Klasse einen Rap schreiben - nach dem Vorbild von Bruda Berlin. Aber sie sind zu brav; sie haben kein „Gangsta-Gen“, wie Otto sachlich feststellt, und sind weit entfernt von einem „wilden Leben“. Als die zwei Jungen schließlich entscheiden, den meist schlecht gelaunten Kioskbesitzer Hotte Zimmermann zum „Helden“ ihres Rapsongs zu küren und ihm obendrein einen Streich zu spielen, ahnen sie noch nicht, wie nah sie einem echten Abenteuer bereits sind…
Salopp und witzig erzählt Silke Lambeck das Großstadtabenteuer in einer modernen Sprache, die dem Lesealter der Kinder (ab 8 Jahren) angemessen ist. Dabei lässt sie den elfjährigen Matti selbst berichten. Erfrischend ehrlich schildert er seine Eindrücke und Ansichten von Schule und Familie. Aus Mattis Sicht nehmen die jungen Leser seine Umgebung wahr, erfahren die unmittelbare Bedrohung durch Immobilienhändler und deren dubiose Gehilfen, erleben den abenteuerlichen Ausflug von einem „besseren“ Kiez in einen Problembezirk und nehmen teil am entschlossenen, hilfsbereiten Handeln der Herren Kinder, wie sich Otto und Matti als Rapper nennen.
In ihrem Buch, welches das Großstadtleben vieler Kinder wirklichkeitsnah abbildet, spricht die Autorin in leichtem Ton gleich mehrere aktuelle Probleme an - vielbeschäftigte Eltern, Vorurteile, Gentrifizierung - und zeigt in unterhaltsamer Form, wie mit Freundschaft, Toleranz, Mut und Zusammenhalt einiges zum Guten bewirkt werden kann. Die zahlreichen Illustrationen von Barbara Jung ergänzen den Kinderroman auf harmonische Weise und tragen viel zum Lesevergnügen bei. Ihre gut durchdachten Zeichnungen zeugen ebenso von Mitgefühl und Humor wie der Text.
Mein Fazit: ein spannendes und witziges Kinderbuch vor aktuellem Hintergrund.

Bewertung vom 07.08.2018
Da haben wir den Salat!
Essig, Rolf-Bernhard

Da haben wir den Salat!


ausgezeichnet

Amüsant und lehrreich

Ein wichtiges Erbteil unserer Kultur bilden Sprichwörter. Kurz und prägnant geben sie Lebensweisheiten und –erfahrungen wieder. So verfügen unterschiedliche Kulturen natürlich auch über verschiedene Redensarten, die von Ausländern nicht unbedingt verstanden werden, obwohl ihre Botschaften überall Gültigkeit besitzen.
In einer virtuellen Weltreise erläutert Rolf-Bernhard Essig eine Auswahl an Redewendungen, wie sie in mehr als vierzig Ländern der Erde üblich sind. Auf sehr unterhaltsame Art präsentiert er teils ernste, teils humorvolle kurze Geschichten zu ihrer Entstehung. Wer etwa wissen möchte, was „Die rote Zunge gibt den grünen Kopf dem Winde preis“ bedeutet, wird im Iran fündig, und in Schweden erfährt der Leser den Grund für den Ausdruck „Guten Tag, Axtstiel.“ Von alt überlieferten Legenden bis zu modernen, erst im 20. Jahrhundert entstandenen Redewendungen reicht die Auswahl. Jedem Sprichwort stellt der Autor zusätzlich eine deutsche Entsprechung bei, die sich (als schöner Kontrast) sehr übersichtlich durch eine andere Farbgebung abhebt.
Die Farben des Textes werden in den zahlreichen Illustrationen von Regina Kehn aufgenommen, so dass der Eindruck eines lebhaft colorierten, aber nicht zu bunten Buches entsteht. Ebenso humorvoll wie sich Essigs Geschichten präsentieren, fügen sie sich harmonisch in den Text und ergänzen ihn. Auch die Umschlaggestaltung wirkt fröhlich und macht „Appetit“ auf die Reise durch die Welt. Deren Verlauf kann der Leser übrigens bequem auf dem Vorsatzblatt nachvollziehen, „mit dem Finger auf der Landkarte“.
Meine Meinung: ein amüsantes und gleichzeitig lehrreiches Buch für Kinder (ab 11 Jahren) und Erwachsene!

Bewertung vom 23.07.2018
Ida
Adler, Katharina

Ida


sehr gut

Aufbruch

Ida Bauer - als Siegmund Freuds „Fall Dora“ erlangte sie Berühmtheit. Doch abgesehen von Freuds Darstellung ihrer Psyche in der Hysterie-Analyse ist über ihr Leben nicht viel bekannt. Idas Urenkelin, Katharina Adler, versucht nun in ihrem Buch, dem Wesen ihrer Urgroßmutter näher zu kommen.
Mit Bedacht versetzt sich die Autorin in die Person Ida Adler-Bauers. Sie schildert deren Situation stets aus dem Blick ihrer Protagonistin und verknüpft sie mit den vorherrschenden sozialen und politischen Bedingungen des ausgehenden 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Ida prägen. Dabei geht die Autorin in ihrem Roman allerdings nicht chronologisch vor, sondern „springt“ in der Zeit, während sie uns Ida in unterschiedlichen Altersphasen nahe bringt - immer wieder einmal unterbrochen von kurzen Auszügen aus Freuds Hysterie-Analyse als Kontrast zu Idas eigenem Erleben. Liegt der berühmte Psychologe richtig mit seinen Deutungen? Ida selbst denkt anders darüber als ihr Arzt und wehrt sich auf ihre Weise.
Katharina Adler präsentiert dem Leser auf unterhaltsame Art die Ergebnisse ihrer Familien-Recherche, wobei manche Frage offen bleiben muss; denn die Protagonistin selbst kann ihre Erklärungen nicht mehr abgeben. Dennoch: aus einer Mischung aus realen Ereignissen und Fiktion ist eine spannende Romanbiografie entstanden, die Idas Leben - vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund - veranschaulicht. Nicht die Patientin als medizinischer Fall steht hier im Mittelpunkt, sondern Ida, der Mensch, und ihr Schicksal.

Bewertung vom 18.06.2018
Bye-bye, Traumfigur
Aeschbach, Silvia

Bye-bye, Traumfigur


sehr gut

Ein lebendiger Erfahrungsbericht

Neben Diätenwahn und Bodyworkout findet inzwischen ein schlichter Satz Aufmerksamkeit: „Wir sollten einfach alle etwas liebevoller mit uns umgehen.“ (Helena Bonham Carter)
Silvia Aeschbach greift diesen Ansatz auf und schreibt in lockerem Ton über ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit der „Traumfigur“, einem Ideal, dem sie bereits früh nacheiferte - und an dem sie meistens wieder scheiterte. Weniger als Ratgeber denn als Ehrfahrungsbericht ist Silvia Aeschbachs Buch gedacht, in dem sie sehr unterhaltsam und teilweise recht selbstironisch über Lust und Frust berichtet, die das Thema Schönheitsideal begleiten, das in den Medien propagiert wird. Ein fataler Kreislauf beginnt: Trotz Diäten und Fitnesstrainer fällt Aeschbach immer wieder zurück in alte Verhaltensmuster, tröstet sich bei Kummer und Problemen mit Süßigkeiten, hadert mit ihrem daraufhin steigenden Gewicht, beginnt eine neue Diät… .
Ihre Darstellung macht deutlich: Die Probleme liegen wesentlich tiefer. Ein gesunder Körper braucht mehr als nur gesunde Ernährung. Die Psychologie spielt eine ebenso große Rolle, Familie, Freunde, gesellschaftliche Akzeptanz - da braucht jeder Mensch sein individuelles Konzept. Am wichtigsten jedoch ist die (nicht unbedingt neue) Botschaft: Niemand ist perfekt; nimm dich an, wie du bist! Sich selbst zu lieben und ein positives Körpergefühl zu entwickeln, erfordert einiges an Energie und ist vielleicht ein lebenslanger Prozess - aber es bringt Zufriedenheit und Ausgeglichenheit.

Bewertung vom 18.06.2018
Häuser aus Sand
Alyan, Hala

Häuser aus Sand


sehr gut

Vertreibung und Neuanfang


„Das Leben hat sie mit sich gerissen wie eine kleine Muschel, die an Land geschwemmt wird, ist über sie hinweggespült …“
Eine Erkenntnis am Ende ihres Lebens, die sicher viele alte Leute nachvollziehen können - in diesem Roman ist es Alia, die darüber nachdenkt, welche Umstände ihr Leben gelenkt haben. Sie hat als Kind die Vertreibung ihrer Familie aus Jaffa und den Neubeginn der Eltern Salma und Hussam in Nablus (Westjordanland) erlebt, zieht mit ihrem Mann Atef drei Kinder groß und muss im Verlauf der Nahostkrisen und -kriege nach Amman (Jordanien) und Kuwait übersiedeln. Der Nahostkonflikt schwebt auch über den nachfolgenden Generationen der Familie wie eine dunkle Wolke und beeinflusst ihr Leben. Dabei können sich die Yacoubs als wohlhabende Leute immerhin einen gehobenen Lebensstil leisten - im Gegensatz zu den meisten anderen Flüchtlingen, die (teilweise noch heute) in ärmlichen Lagern ihr Dasein fristen müssen.
Hala Alyan erzählt lebendig und eindrucksvoll vom Schicksal mehrerer Generationen. In jedem Kapitel wechselt sie die Sichtweise und lässt ein anderes Familienmitglied zu Wort kommen, wobei es ihr gelingt, sich glaubhaft in die unterschiedlichen Charaktere einzufühlen. Anschaulich schildert sie die Lebensumstände und auftretenden Probleme. Allerdings ist es für einen Leser, der mit dem Nahostkonflikt und seinen Ursachen nicht näher vertraut ist, etwas schwierig, diese nachzuvollziehen. Vertreibung, Flucht, Verlust der Heimat und all der Dinge, auf die man vertrauen kann, Neuanfang - was bedeutet das für die Betroffenen? Wie stark sind die Nachkommen noch mit diesen Problemen belastet? Das sind Themen, die natürlich nicht nur für Palästinenser gelten, sondern in vielen anderen Kulturen ebenso aktuell sind. „Häuser aus Sand“ bieten weder Schutz noch Zukunft; doch ein Neustart ist immer möglich, wie Hala Alyan in ihrer Familienchronik zeigt.

Bewertung vom 31.05.2018
Für immer
Metger, Georg

Für immer


sehr gut

Gedenken an die Liebsten

„Im Moment, als ich glaube, angekommen zu sein, endet alles. Für immer.“
Von einem Tag auf den anderen steht Georg Metger vor den Scherben all seiner Hoffnungen und Zukunftsträume: seine langjährige Partnerin Carla, ihre Söhne Davin und Dion und Simona, die Freundin des ältesten Sohnes, werden brutal ermordet. Dieser schreckliche Mordfall erschüttert nicht nur die kleine Gemeinde Rupperswil, sondern wird über die Schweizer Grenzen hinaus bekannt. Wie kann man solch einen Schicksalsschlag verarbeiten? Kann man sich überhaupt jemals damit abfinden?
In seinen Aufzeichnungen hat Metger versucht, sich vieles von der Seele zu schreiben. Aus diesen Notizen ist nun mit Hilfe der Journalistin Franziska Müller ein Buch entstanden, das weniger eine Abrechnung mit dem Täter ist, sondern vor allem die Erinnerung an die Opfer aufrecht erhalten soll. Denn meist treten diese bei einem spektakulären Kapitalverbrechen in den Hintergrund, während dem Täter das meiste Interesse gilt. Sehr ehrlich und ergreifend, aber keineswegs larmoyant, schreibt Metger über seine anfängliche Fassungslosigkeit und den Schmerz über den Verlust seiner Liebsten. Ebenso eindrücklich berichtet er über die Zeit, in der er selbst und andere Familienglieder unter Tatverdacht standen, die lange Dauer des Wartens auf die Ergreifung und Anklage des Mörders. Auch der (Alb-)Druck des großen Medieninteresses, die Sensationslust vieler Menschen, ist ein wichtiges Thema. Und während er noch versucht, das Geschehen zu verarbeiten, kommt eine Menge an Formalitäten auf ihn zu. Aber auch andere Aspekte werden angesprochen, so etwa der Beistand von Familienmitgliedern, Freunden und Arbeitgeber oder auch die psychologische Opferhilfe. Metgers Buch zeigt eindrucksvoll die Verfassung eines Hinterbliebenen von Gewaltopfern, die Fragen, Zweifel und Probleme, denen er sich stellen muss. Nein, dieses Buch lässt sicherlich niemanden kalt.