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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 15.06.2017
Der Achtsamkeits-Begleiter
Arnold, Sarah Jane

Der Achtsamkeits-Begleiter


ausgezeichnet

Malbücher für Erwachsene liegen zur Zeit schwer im Trend, und das aus gutem Grund: viele Menschen finden die kreative Beschäftigung mit Stift und Papier nicht nur entspannend, sondern geradezu meditativ – man ist zwar ganz im Moment und hochkonzentriert, aber dennoch kann man die Seele baumeln lassen, der Alltagsstress rückt in den Hintergrund...

Nicht jeder findet es jedoch von Anfang an leicht, diesen entspannten Zustand zu erreichen, und das ist auch völlig normal! Wie bei jeder 'normalen' Meditation kann es etwas Übung erfordern, bis man lernt, loszulassen, und die Gedanken nicht mehr beim ersten Anflug von Ruhe lospreschen, um sich endlos um die Einkaufsliste, die Wäsche im Keller oder den nächsten Arzttermin zu drehen.

Und genau dabei soll "Der Achtsamkeits-Begleiter" helfen: jeder Seite zum Ausmalen steht eine kleine Übung gegenüber, die man ganz leicht vor oder während dem Malen machen kann – oder natürlich genauso bei anderen Gelegenheiten in den Alltag integrieren. Ich fand die Übungen gut verständlich und ansprechend! Obwohl ich schon Erfahrungen mit Malbüchern und mit Meditation gesammelt habe, fand ich es sehr anregend, beides ganz bewusst zu verbinden.

Das Papier ist sehr hochwertig: mit genug Biss, dass sich die Farben kräftig und leuchtend auftragen lassen, dabei aber ebenmäßig genug, dass sie nicht klumpen. Es ist dick genug, dass die meisten Fasermaler sich nicht oder nur kaum durchdrücken sollten – ich hatte lediglich bei einem Bild, bei dem ich mehrfach mit Stiften der Marke Stabilo Pen 68 über die selben Stellen gemalt hatte, einen 'Schatten' der Farben auf der Rückseite. Im Zweifelsfall empfehle ich, auf einer der Seiten am Schluss des Buches, die keine Bilder zum Ausmalen mehr enthalten, die Fasermaler auszutesten! Beim Ausmalen mit Buntstiften sollte es eigentlich auf keinen Fall Probleme geben.

Die Motive sind sehr abwechslungsreich: Mandalas, florale oder abstrakte Muster, Tiere, Wellen, Federn, und dabei variiert ebenfalls der Schwierigkeitsgrad, so dass für jeden etwas dabei sein sollte. Manche Bilder sind sehr filigran, so dass man sehr feine oder sehr gut gespitzte Stifte braucht, andere lassen sich auch flott mit dickeren Stiften ausmalen.

Mir macht das Buch bisher viel Spaß – ich freue mich richtig darauf, hier und dort ein halbes Stündchen abzuzweigen, um weiterzumalen!

Bewertung vom 13.06.2017
Die Rebellion der Maddie Freeman / Maddie Bd.1
Kacvinsky, Katie

Die Rebellion der Maddie Freeman / Maddie Bd.1


gut

Im Jahr 2060 hat sich die Welt in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt, doch das geht einher mit einer drastischen Verarmung des sozialen Lebens, auch wenn die meisten Menschen das gar nicht so empfinden. Zwischenmenschliche Interaktion spielt sich immer ausschließlicher in der virtuellen Realität ab, während man offline nur noch das Allernötigste tut, wie Essen oder Schlafen. In vielerlei Hinsicht ist die Welt des Buches eine glaubhafte Weiterentwicklung der sozialen Medien, wie wir sie heute kennen, und unseres Umgangs damit. Die Autorin spricht spannende Themen mit viel Potential für Sozialkritik an, was im Grunde die perfekte Grundlage für eine Dystopie bietet.
Allerdings ist die im Titel versprochene Rebellion weniger dramatisch, als man erwarten würde. Maddies erster großer Akt der Rebellion geschah, als sie 15 Jahre alt war – und da war es in meinen Augen mehr eine Kombination der Umstände als echte Rebellion aus Überzeugung. Mehr möchte ich da noch nicht verraten!

Zu Beginn des Buches ist Maddie jedenfalls 17 und fast schon übertrieben angepasst, ein Resultat der Erziehung ihres kontrollsüchtigen Vaters. Mit großen Augen bestaunt sie fassungslos, dass es tatsächlich noch Menschen gibt, die ganz dreist an der Tür klingeln, um gemeinsam einen Kaffee trinken zu gehen, statt nur ein digitales Café aufzusuchen. Sie ist keine Kämpferin, keine starke, aufmüpfige Rebellin, sondern ein unsicheres Mädchen, das es am liebsten allen recht machen würde. Ja, sie war mir sympathisch, ich konnte mit ihr mitfühlen, und trotzdem wünschte mir mir etlichemal, sie würde ihr Schicksal endlich entschlossen in die eigenen Hände nehmen, statt sich immer nur mitziehen zu lassen! Das Zeug dazu hat sie, das kann man ein paarmal erahnen.

Justin ist entschlossen, sie herauszulocken aus der trügerischen virtuellen Sicherheit. Er blieb für mich allerdings lange nur schwer greifbar: man erfährt, dass er unglaublich wichtig ist für die Rebellion, aber bis auf wenige kurze Einblicke nicht viel darüber, was er eigentlich genau tut, um den Respekt und die Verehrung zu rechtfertigen, die ihm entgegengebracht werden.

Maddie gegenüber verhält er sich sehr wechselhaft und meist nicht unbedingt so, dass es romantische Gefühle ermutigen würde, was sie allerdings nicht davon abhält, ihn anzuhimmeln. Die Liebesgeschichte entwickelt sich ziemlich schnell und rückt dann über weite Strecken in den Mittelpunkt, während die Dystopie in den Hintergrund gerät. Mir war die Sprache ehrlich gesagt oft zu kitschig – besonders, wenn man bedenkt, wie kurz Maddie und Justin sich erst kennen!

Das Buch ist zwar durchaus unterhaltsam, die Geschichte ist jedoch nicht so packend oder vielschichtig, wie ich erwartet hatte. Für eine Dystopie fehlte mir das Gefühl der Dringlichkeit oder Bedrohung!

Die Welt erschien mir ebenfalls nicht bis ins Letzte durchdacht oder logisch:

Wenn alle immer online sind, wer hält dann derweil die Welt am Laufen? Denn noch lassen sich Menschen nicht von digitalem Gemüse ernähren oder ein Haus aus digitalen Bausteinen erbauen! Die Welt braucht Krankenhäuser, Fabriken, landwirtschaftliche Betriebe und vieles mehr, das sich nicht digitalisieren lässt. Es muss eine breite Masse geben, die das Lebensnotwendige produziert, dennoch scheinen es hier nur die Rebellen zu sein, die bewusst offline leben.

Man kann das Buch gut in wenigen Tagen durchlesen und sich dabei nicht langweilen, denn die Sprache ist zwar einfach, dabei aber ansprechend und flüssig. Wirklich herausragend fand ich den Schreibstil jedoch nicht; für meinen Geschmack wird zu oft Oberflächliches beschrieben, wie das Aussehen und die Kleidung der verschiedenen Personen – auch, wenn es gerade viel interessantere Themen geben würde.

Bewertung vom 12.06.2017
Das Achtsamkeits-Zeichenbuch
Barber, Barrington

Das Achtsamkeits-Zeichenbuch


ausgezeichnet

Der bekannte Zeichenlehrer Barrington Barber bringt dem Leser in diesem ausführlichen, leicht verständlichen und reich bebilderten Buch die Kunst des achtsamen Zeichnens näher: Zeichnen als meditative Auszeit vom alltäglichen Stress, sozusagen Entschleunigung für den überaktiven Geist! Der Kurs richtet sich nicht nur an bereits geübte Zeichner, sondern beginnt leicht verständlich und für jeden nachvollziehbar bei den Grundlagen. Die Methoden und Techniken, die der Autor vorstellt, lassen sich jedoch beliebig einfach oder komplex gestalten und erweitern, so dass auch die geübten Zeichner einen Gewinn aus dem Buch ziehen können.

Besonders interessant dürfte das Buch für Liebhaber von Malbüchern für Erwachsene sein, die daran interessiert sind, selber Zeichnungen zum Ausmalen zu gestalten!

Für die meisten Übungen braucht man nichts weiter als Bleistift, Radiergummi und Papier, nur für das Kapitel über die Gestaltung von Mandalas wird natürlich ein Zirkel benötigt. Wie in meinen Beispielfotos zu sehen ist, habe ich die Übungen nur so zum Spaß teilweise mit bunten Stiften gemacht, das ist aber nicht nötig!

Das Kapitel "Achtsames Zeichnen lernen" beginnt mit simplen Zeichenübungen: Linien, Dreiecke, Vierecke,Sterne, Kreise, Spiralen... Außerdem gibt es Übungen zu Schattierung und Schraffur, sowie Vorschläge für einfache Muster.

Als nächstes folgt das Kapitel "Inspiration aus der Natur", in dem es darum geht, Muster und Formen aus der Natur als Grundlage für eigene Zeichnungen zu benutzen. Blumen, Bäume, Tiere, Muscheln oder Wellen sind da nur einige der möglichen Inspirationsquellen!

Das Kapitel fängt mit einfachen Blumenformen an, die sich sehr leicht nachzeichnen lassen, dann wird es komplexer: in mehreren Übungen zeigt der Autor, wie man eine detaillierte Zeichnung Schritt für Schritt stilisiert, bis man eine deutlich vereinfachte, aber aussagekräftige Version dieser Zeichnung erhält. Der ungeübte Künstler ist im ersten Moment vielleicht entmutigt, wenn er die realistischen Zeichnungen von Barrington Barber mit den eigenen vergleicht, aber wie der Autor betont: "Es geht vor allem darum, dass Sie sich mit der Blume und ihrer Form vertraut machen, nicht um eine perfekte Wiedergabe."

Das Kapitel "Mandalas: Blick auf den Kosmos" erfordert Konzentration und Geduld, ist aber hochinteressant – und ich war am Schluss sehr stolz auf meine ersten Versuche, ein eigenes Mandala zu zeichnen! Es gibt Anleitungen für verschiedene Arten von Mandalas, von eher einfachen bis sehr komplexen, detaillierten, die sich gut abwandeln lassen, um eigene Mandalas zu erstellen.

Ging es im Letzten Kapitel um die Natur als Quelle der Inspiration, sind es in "Künstlerische Inspiration" Gemälde, ikonische Bilder, alte Handschriften oder schöne Bauwerke, die es zu zeichnen gilt. Dieses Kapitel ist sicher das anspruchsvollste im Buch, aber auch hier sollte man sich in Erinnerung rufen, dass die eigene Zeichnung nicht unbedingt so fehlerlos und detailliert sein muss wie die von Barrington Barber!

Abschließend möchte ich sagen, dass das Buch großartig ist, wenn man den Schritt vom reinen Ausmalen zum selber Zeichnen machen möchte. Die Übungen sind nicht immer einfach, und man muss sicher auch Zeit und Mühe investieren, aber es lohnt sich. Ich habe auf jeden Fall viel gelernt!

Bewertung vom 11.06.2017
Ready Player One
Cline, Ernest

Ready Player One


gut

"Ready Player One" ist ein Kultklassiker, eine kuriose Mischung aus 80er-Jahre-Hype und SciFi-Dystopie.

Im Jahr 2044 lebt und arbeitet fast jeder nur noch in der virtuellen Realität "Oasis", wo man sich selber nach Belieben präsentieren kann – man kann aussehen, wie man will, klingen, wie man will, alles ist anonym, nichts hat ernsthafte Konsequenzen. Doch dann stirbt James Halliday, Schöpfer der Oasis und reichster Mensch aller Zeiten, und hinterlässt ein komplexes Rätsel: wer sich die drei Schlüssel erspielt, die drei Tore öffnet und das Ei findet, soll Hallidays ganzes Vermögen erben.

Wie zu erwarten, wird die Jagd nach dem Ei zunehmend brisant, mit dramatischen Auswirkungen auf die reale Welt. Das Buch zieht das volle Register: riesige Kampfroboter in der digitalen Welt, Erpressung, Betrug und sogar Mord in der realen.

Das liest sich oft wie ein "Let's Play!", bei dem man Wade, der Hauptfigur, dabei zusieht, wie er seinen Avatar durch ein Computerspiel steuert! Was natürlich dazu passt, dass hier ein jugendlicher Gamer seine Erlebnisse in einer virtuellen Welt erzählt. Die Jugendsprache kam mir zum Teil etwas erzwungen vor, mit hölzernen, übertriebenen Dialogen, dennoch liest sich das Ganze süffig und unterhaltsam – mit leichten Abstrichen.

Halliday war ein glühender Verehrer der 80er-Jahre, und so sind die Rätsel nur so gespickt mit Popkultur-Referenzen. Als Kind der 80er und bekennender Nerd hat mir das erst eine Menge Spaß gemacht, aber irgendwann nutzte es sich ab: ich hatte den Eindruck, es sollten so viele Spiele, Filme, Serien, Bands, Autos und Bücher untergebracht werden, wie nur irgend möglich.
Wade ist am Anfang des Buches ein Außenseiter, weil er zu arm ist, um sich für seinen Avatar Designerklamotten oder teure Ausrüstungsgegenstände leisten zu können. Außerdem ist er ein Gestrandeter: Die Oasis besteht aus unzähligen "Welten", und der Transport zwischen ihnen kostet digitales Geld, das Wade nicht hat. Deswegen sitzt er auf der Welt fest, wo sich seine Schule befindet, was selbstverständlich total uncool ist.

Leise Sozialkritik kommt auf, wenn man sich Wades soziales Leben mal vor Augen führt: da gibt es seinen besten Freund "Aech" und die niedliche Gamerin "Art3mis", in die Wade komplett verschossen ist – aber beide hat er noch nie offline getroffen, er weiß nicht einmal, wie sie aussehen oder wirklich heißen. Was für eine Welt ist das, wenn Freunde und sogar Liebespaare nur das voneinander wissen, was sie im Internet von sich preisgeben? Sind wir auf dem Weg zur Oasis – alles immer schneller, bunter, oberflächlicher, Hauptsache ständige Stimulation und Bestätigung? Leider kratzt das Buch da nur an der Oberfläche.

Mir fehlten bei Wade oft glaubhafte emotionale Reaktionen: sogar, wenn eine seiner Entscheidungen in letzter Konsequenz zum Tod vieler Unschuldiger führt, ruft das keine echte Trauer oder gar Schuldgefühle hervor. Das Spiel muss weitergehen.

Die Tage von Wade und seinen Freunden müssen mindestens 48 Stunden lang sein; sie haben scheinbar alles gelesen, gehört und gespielt, das auch nur im Entferntesten mit den 80ern zu tun hat. Mehrfach, so dass sie jederzeit daraus zitieren können! Gerade Wade fliegt vieles in meinen Augen zu leicht zu. Auch, wenn er ein Spiel nur ein- oder zweimal gespielt hat – vor Jahren! – kann er dennoch in kürzester Zeit den Highscore knacken... Die Rätsel sind in meinen Augen bei Weitem nicht schwierig genug, dass Tausende von Gamern sie in 5 Jahren nicht hätten lösen können!

Außerdem: wie funktioniert diese Welt, wenn die meisten Menschen ständig online sind? Wer pflanzt das Gemüse an, wer baut im Bergwerk die Rohstoffe ab, die für die ganze Technologie gebraucht werden? Die Menschen, die offline leben, müssten eigentlich enorme Macht haben – denn die Menschen, die in der Oasis leben, sind auf sie angewiesen, schließlich müssen sie essen und trinken, brauchen Kleidung und Ausrüstung und so weiter. Für mich blieben da zu viele Fragen offen!

Bewertung vom 05.06.2017
Revolverherz / Chas Riley Bd.1
Buchholz, Simone

Revolverherz / Chas Riley Bd.1


gut

"Revolverherz" bietet Lokalkolorit fernab jeder Postkartenromantik – das Buch spielt in Hamburg, St. Pauli, und das Kiez ist nun mal nicht Rosenheim. Die Autorin porträtiert beinahe liebevoll eine Szene, die irgendwo zwischen Tourismus und Verbrechen, Party und Prostitution angesiedelt ist, eine moralische Grauzone, in der die Ermittler mit den zwielichtigeren Bewohnern per Du sind.

So auch Staatsanwältin Chastity Riley (kurz "Chas"), die in meinen Augen eine der ungewöhnlichsten deutschen Krimi-Heldinnen abgibt: eine interessante Mischung aus abgebrüht und verletzlich, distanziert und mitfühlend. Sie verspürt eine innige Liebe zum Kiez und seiner Parallelwelt, ihr Herz schlägt für die Außenseiter. Sie teilt sich Kippen mit Prostituierten und das Bett mit "Klatsche", einem 15 Jahre jüngeren Ex-Einbrecher, der umgesattelt hat auf Schlüsseldienst. Sie trinkt zu viel und hält sich nicht immer an die Regeln, hat aber das "Profiler-Gen": sie kann sich einfühlen in die Psyche eines Täters, bis sie ihn versteht, vielleicht sogar Verständnis und Zuneigung für ihn empfindet. Psychisch hat sie mehr als einen Knacks weg, aber sie ist einfach menschlich und glaubhaft und war mir von Anfang an sehr sympathisch.

Die anderen Charaktere sind ebenfalls so interessant wie zwiespältig, denn die meisten bewegen sich irgendwo in den Schatten zwischen Gut und Böse. Auch Gauner zeigen manchmal Herz und eine überraschende Menschlichkeit – was sie aber nicht davon abhält, nebenher ihren Gegnern ein paar Schläger auf den Hals zu hetzen.

Leider muss ich sagen, dass die eigentliche Krimihandlung sehr zu wünschen übrig lässt, was in späteren Bänden der Reihe deutlich besser konstruiert wird. Der Fall ist nicht sehr komplex, der Täter ist schnell zu erraten... Auch die falsche Fährte kann daran nicht viel ändern.

Ich fand das Buch dennoch unterhaltsam und auf seine Art auch spannend. Es lebt vor allem von den Charakteren, ihren Schrullen und ihren dubiosen Beziehungen, und vom Ambiente – gnadenlos echt, dreckig und widersprüchlich wie das Leben in St. Pauli an sich.

Zitat:
"Da liegt was im Sand. Ungefähr dreißig Meter von mir entfernt liegt was im Sand. Mir wird auf der Stelle so schwindelig, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann, ich torkele mehr vor mich hin, als dass ich laufe, mein Herz kracht gegen meine Brust, ich will rennen, aber der feuchte Sand hält mich fest, ich reiße an meinen Füßen, renne, reiße, renne, reiße, bis ich da bin, wo die Frauenleiche liegt, bis ich vor ihr knie."

Der Schreibstil ist so eigenwillig wie Chas selber: manchmal knapp und nüchtern, oft melancholisch, gelegentlich fast poetisch, mit interessanten Metaphern und Formulierungen. Sprachlich fand ich das Buch immer sehr interessant und ungewöhnlich!

Zitat:
"Irgendwo hinter den Wolken ziehen die Sterne ihr Ding durch, und ich weiß: Das hier ist mein Ort in der Welt. Dieses schmutzige kleine Stadtviertel mit seinem kaputten Kopfsteinpflaster, seinen dunklen Häusern, seinen funzelnden Lichterketten, seinem Charme, seinem Kummer, seinen nicht wichtigen, aber liebenswerten Geschichten, seinem ewigen Nieselregen, und direkt neben mir ist einer von den Menschen, die ich immer bei mir haben will."

Ohne Romantik kommt das Buch auch nicht aus, diese passt aber genauso wenig in ein Klischee wie der ganze Rest. Chas ist vielleicht nicht fähig zu einer 'normalen' Beziehung, aber ihre vorsichtige Nicht-Beziehung zum Herumtreiber Klatsche ist auf ihre ganz eigene Art berührend.

Der trockene, oft böse Humor sprach mich sehr an, gerade weil Humor und Leid hier oft ganz nahe beieinander liegen... Wie das ganze Buch ohnehin immer wieder Gegensätzliches vereint.

Bewertung vom 01.06.2017
Sie sind da / Die Brut Bd.1
Boone, Ezekiel

Sie sind da / Die Brut Bd.1


weniger gut

Das subtile und dennoch gruselige Cover verrät bereits, um welche Bedrohung es gehen wird in diesem apokalyptischen Actionthriller – richtig, die niedlichen achtbeinigen Tierchen, die viele Leute schon in der Realität zum Kreischen bringen. Wer Herzrasen bekommt, wenn er eine Spinne nur von weitem sieht, der wird sich wahrscheinlich nach wenigen Kapiteln dabei ertappen, dass er ständig alle Schlupfwinkel und dunklen Ecken seines Hauses kontrolliert.

Der Klappentext lässt es schon erwarten: "Die Brut" liest sich wie ein typischer Katastrophenfilm à la "Arachnophobia" in Buchform. Zunächst flog ich geradezu durch die kurzen, rasanten Kapitel und die vielen Schauplätze auf der ganzen Welt, und der Schreibstil sprach mich ebenfalls sehr an; er peitscht die Handlung knapp und schnörkellos voran, und besonders die Dialoge lesen sich stimmig.

Zu Beginn ist der Horror noch eher zurückhaltend, aber das ändert sich schnell – allerdings ließ auch meine Begeisterung bald nach.

Das Buch liest sich so, als wäre es mit dem Drehbuch für eine Hollywood-Verfilmung im Hinterkopf geschrieben worden: relativ wenig Handlung wird durch Action und Schockmomente auf 400 Seiten gestreckt, und dabei bleibt in meinen Augen jeder Anspruch und jede intelligente Thrillerspannung auf der Strecke. Von einem Thriller erwarte ich mir jedoch deutlich mehr Tiefgang als von einem B-Movie-Blockbuster. Und das Potential für 'mehr' wäre im Grunde gegeben, denn die Charaktere sind vielfältig und decken eine Vielzahl von Themen und Blickwinkeln ab, von Wissenschaft über Politik bis Mythologie.

Tatsächlich flachte die Spannung für mich etwa ab der Hälfte sehr stark ab, weil sich das immer gleiche Schema immer wieder wiederholt: die Handlung springt in einen anderen Teil der Welt, die Menschen dort ahnen nichts von der Bedrohung, das achtbeinige Unheil bricht über sie herein, Massenpanik und Leute, die unerklärlicherweise trotz allem noch daran denken, schnell ein Video zu drehen und hochzuladen, bevor sie gefressen werden.

Erschwerend dazu kam für mich noch, dass ich mit den Charakteren nicht so richtig warm wurde. Das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass es wirklich unglaublich viele sind! Die Szenen sind kurz, das Buch springt ständig von Schauplatz zu Schauplatz, und an jedem davon gibt es mehrere und immer wieder neue Charaktere. Zwar bemüht sich der Autor, jedem davon Leben einzuhauchen, indem er dem Leser Hintergrundinformationen an die Hand gibt, aber diese wirken oft seltsam wahllos – interessiert mich zum Beispiel wirklich, nach welchem Baseball-Helden einer der Charaktere seinen Hund benannt hat, obwohl das gerade überhaupt keine Rolle spielt? Auch Charaktere, die nur auftauchen, um kurz darauf als Spinnenfutter zu dienen, werden mit ausgiebigen Einblicken in ihr Leben vorgestellt, was das Buch zusätzlich streckt und die Spannung ausbremst.

Es gibt viele starke Frauencharaktere , was an sich ein Pluspunkt ist, allerdings sind sie meist unglaublich attraktiv und denken viel und ausgiebig über ihr Sexleben nach, was sie dann wiederum auf Äußerlichkeiten reduziert. Ich hatte den Eindruck, dass sie gewissermaßen nur das Klischee des erfolgreichen Alphamännchens widerspiegeln: sie tätscheln Assistenten das Knie und haben Affären mit ihren gut aussehenden Untergebenen, für die sie sich menschlich gesehen nicht die Bohne reduzieren und die sie einfach wegwerfen, wenn sie sich für einen anderen Partner interessieren.

Zu guter Letzt fehlten mir halbwegs glaubhafte Erklärungen. Natürlich muss bei einem Buch dieses Genres nicht alles bis ins Detail erklärt werden, aber ich vermisste das Gefühl, dass die Geschehnisse tatsächlich möglich sein könnten. Es wird zum Beispiel mehrmals gesagt, dass die golfballgroßen Spinnen im Bruchteil einer Sekunde durch die Haut eines Menschen schlüpfen können und dabei lediglich ein Tropfen Blut zurückbleibt. Wie soll das gehen? Der Autor verrät es nicht.

Bewertung vom 24.05.2017
Silent Scream / Kim Stone Bd.1
Marsons, Angela

Silent Scream / Kim Stone Bd.1


ausgezeichnet

Detective Kim Stone ist eine Frau, die es niemandem leicht macht: Verdächtigen nicht, ihren Kollegen nicht, ihrem Chef nicht, und sich selbst schon mal gar nicht. Sie hat kein Taktgefühl und keine Geduld, sagt schonungslos, was sie denkt, ist dabei brutal ehrlich und scheut sich nicht, Menschen vor den Kopf zu stoßen. Das ist nicht mal böse Absicht, sondern einfach komplettes Unverständnis für zwischenmenschliche Feinheiten, was wahrscheinlich daher rührt, dass Kim die ersten sechs Jahre ihres Lebens mit einer schizophrenen Mutter und danach den Rest ihrer Kindheit in wechselnden Pflegefamilien und Heimen verbracht hat.

Ermittler mit emotionalem Knacks sind dermaßen zum Standard geworden, dass es schon wieder langweilig wird. Aber hier fand ich es sehr spannend, gerade weil es auch eine Rolle für den Fall spielt – im Mittelpunkt stehen ein verlassenes Kinderheim und seine ehemaligen Bewohner, und schnell geht Kim dabei jede professionelle Distanz verloren.

Das Buch spart nicht mit Sozialkritik. Das System lässt seine Schutzbefohlenen im Stich: oft wird viel zu lange weggeschaut, und Heimkinder, die zu ihrem eigenen Schutz von ihren Familien getrennt wurden. erleben im Heim erneut Vernachlässigung, Misshandlung und sexuelle Gewalt. Die Autorin integriert diese ernsten Themen in die Krimi-Handlung, ohne dass es der Spannung Abbruch tut, und das ist in meinen Augen sehr gut und differenziert geschrieben.
Ungeachtet dessen, dass Kim ein sehr schwieriger Mensch ist, sind ihre Kollegen ihr in bedingungsloser Loyalität verbunden, selbst ihr vielgeplagter Chef. Auch, wenn sie direkte Befehle missachtet, sogar, wenn sich Verdächtige über sie beschweren, hat ihr Verhalten nur selten Konsequenzen, was gelegentlich etwas unglaubwürdig wirkte. Aber sie ist eine so starke, ungewöhnliche Protagonistin, dass ich nachvollziehen konnte, warum die Menschen um sie herum ihr vieles verzeihen.

Obwohl die anderen Charaktere neben Kim manchmal verblassen, sind einige davon für sich genommen trotzdem sehr interessant, komplex und glaubhaft. Besonders faszinierend finde ich die Zwillingsschwestern Nicola und Beth, die Kim zu ihren Erfahrungen im Heim befragt, denn zwischen den beiden herrscht eine bemerkenswerte Dynamik: gegenseitiger Hass und dennoch Liebe, in gewissem Maße sogar Abhängigkeit. Wie Kim und ihr Zwillingsbruder Mikey, sind auch Nicola und Beth schon früh unter die Räder des Systems geraten.

Der Leser bekommt schon im Prolog einen kleinen Einblick in die Vergangenheit und ist der Polizei damit direkt einen Schritt voraus. Fünf Menschen haben damals eine schwere Schuld auf sich geladen, und schnell wird klar: irgendjemand weiß von dieser Schuld, denn nach kurzer Zeit ist einer der Fünf tot und der Rest schwebt in Lebensgefahr. Was also ist in diesem Kinderheim passiert?

Viel der Spannung beruht auf einer zunehmend dichter werdenden beklemmenden Atmosphäre. Die Autorin legt das Augenmerk mehr auf das Seelenleben der Charaktere als auf Action oder Gewaltorgien, und mir hat das sehr gut gefallen. Manchmal verläuft die Geschichte für meinen Geschmack vielleicht etwas zu gradlinig, aber gegen Ende gibt es dafür eine wirklich großartige unerwartete Wendung, durch die man im Rückblick viele Dinge mit ganz anderen Augen sieht!

Einige Szenen sind aus Sicht des Mörders geschrieben, und dennoch habe ich bis zum Schluss vollkommen im Dunkeln getappt, wer dahintersteckt. Das ist alles sehr gut konstruiert, so dass es trotz Überraschung im Rückblick Sinn ergibt.

Den Schreibstil ist einfach großartig: intelligent geschrieben, mit originellen Formulierungen, einem fantastischen Sprachrhythmus und einer Prise trockenen Humors. Gerade die Dialoge fand ich sehr gelungen: glaubhaft und in genau dem richtigen Takt und Tempo.

Bewertung vom 15.05.2017
Die Prophezeiung der Hawkweed
Brignull, Irena

Die Prophezeiung der Hawkweed


gut

Der Klappentext lockt mit dem Versprechen einer emotionalen, spannenden und wahrhaft magischen Geschichte: zwei einsame Mädchen, die allen Widernissen zum Trotz ihr Glück finden müssen, ein Fluch, ein Hexenkrieg. Was will man mehr? Zugegeben, es gab schon öfter Bücher mit vertauschten Kindern und es ist auch nichts Neues, wenn ein Mädchen in einem Jugendbuch etwas über sich selbst erfährt, dass sein ganzes Leben auf den Kopf stellt.

»Aber die Mischung macht's«, dachte ich mir.

Leider konnte mich die Umsetzung jedoch nicht vollkommen überzeugen. Ich hatte nur selten das Gefühl, etwas wirklich Einzigartiges zu lesen – was sicher auch daran lag, dass auf den ersten Seiten schon viel zu viel verraten wird: nämlich, wer den im Klappentext erwähnten Fluch ausgesprochen hat und warum. Deswegen weiß man als Leser direkt, wer Poppy und Ember Böses will, es gibt kein Rätselraten und keine großen Überraschungen.

Tatsächlich fand ich einen Großteil des Buches vorhersehbar. Natürlich sind beide Mädchen kreuzunglücklich in ihren Familien, natürlich sind sie Außenseiterinnen, weil sie das falsche Leben führen... Aber auch, nachdem sie sich treffen, dauert es eine ganze Weile, bis die Dinge wirklich ins Rollen kommen, und der versprochene Hexenkrieg lässt schier endlos auf sich warten.

Die persönliche Entwicklung von Poppy und Ember hätte spannend und bewegend sein können, aber ich wurde mit ihnen und den anderen Charakteren einfach nicht richtig warm. Die meisten kamen mir ziemlich flach vor, beschränkt auf nur wenige Eigenschaften.

Poppy ist aufbrausend, zeigt nur selten positive Gefühle, ist oft wütend und lässt sich nichts gefallen. Ember ist zuckersüß, naiv, unschuldig und zu gut für diese Welt.

Die Hexen werden sehr klischeehaft dargestellt: sie sind ungepflegt und brauen gerne giftige Zaubertränke, in ihrem Lager stinkt es, weil überall verrottende Tierkadaver herumliegen, und sie bekommen nur deswegen ausschließlich weiblichen Nachwuchs, weil männliche Babys noch im Mutterleib vergiftet werden. Ich fand es im Laufe des Buches immer schwerer, die Hexen als etwas anderes als böse wahrzunehmen.

Ganz fatal fand ich die Liebesgeschichte, aus mehreren Gründen:

Erstens gibt es hier kein Liebesdreieck, sondern ein Liebesviereck. Nicht weniger als drei Mädchen verlieben sich bis über beide Ohren in den obdachlosen Leo.

Zweitens geht alles superschnell: Leo begegnet einem der Mädchen und weiß direkt, dass sie die Eine ist – bevor er überhaupt mit ihr gesprochen hat. Allerdings ist die Eine anscheinend erstaunlich austauschbar, wenn sie mal nicht verfügbar ist...

Drittens fand ich eine bestimmte Szene sehr problematisch: Leo versucht, ein Mädchen zu küssen, und reagiert sauer, als sie nicht direkt begeistert mitmacht, obwohl sie ihn so gut wie gar nicht kennt. Sie fühlt sich schuldig und irgendwie verpflichtet, dafür zu sorgen, dass er sich besser fühlt, deswegen entschuldigt sie sich. Was für eine Botschaft sendet das bitte an junge Leserinnen?!

Auf andere Weise problematisch war für mich, dass Poppys "falsche" Eltern sie anscheinend einzig aus dem Grund nicht wirklich lieben können, weil sie nicht das leibliche Kind ist, was sie instinktiv spüren. Auch hier stellt sich die Frage nach der Botschaft, denn es wird bestimmt das ein oder andere Adoptivkind geben, dass das Buch liest.

Der Schreibstil ist eher einfach, liest sich aber nett und unterhaltsam.

Ich habe das Buch als eBook gelesen und dann bei der Hausarbeit und im Auto noch das gekürzte Hörbuch gehört. Leider wurde ich mit der Stimme von Sybille Schmidt nicht so recht warm – für mein Empfinden hatte sie oft einen eher schleppenden Sprachrhythmus, mit zum Teil ziemlich langen Pausen zwischen den Sätzen. Manchmal fand ich ihren Ausdruck auch ein wenig monoton. Aber ich denke, es ist vor allem einfach Geschmacksache, denn sie ist eigentlich eine sehr beliebte Sprecherin! Manchmal liegt einem eine Stimme bei einem Hörbuch einfach nicht.