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Klara

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Insgesamt 174 Bewertungen
Bewertung vom 06.07.2014
Galgenmann
Kiner, Aline

Galgenmann


gut

Der Kriminalroman „Galgenmann“ (im Original: Le jeu du pendu) von Aline Kiner spielt in Lothringen, einer Region im Nordosten Frankreichs. Der Prolog beginnt im Jahr 1944. Es ist bitterkalt am Heiligabend, und in der vollbesetzten Kirche in dem kleinen Dörfchen Varange wird das erste Weihnachtsfest seit der Befreiung gefeiert. Kurz vor Mitternacht, der Gottesdienst ist gerade zu Ende, verliert Mathilde Ziegler ihren Ehemann Johann aus den Augen. Sie glaubt, dass er zum Grab seiner Eltern gegangen ist, das sich im oberen Teil des Friedhofs befindet. In der Nähe der Statue des Dieu Piteux – dem Gott des Erbarmens – sieht sie ihn, erhängt an einer Eiche, davor ein Schild mit der Aufschrift: Der Strick für Kollaborateure. 60 Jahre später entdeckt der pensionierte Dorfpfarrer Louis Sugères bei einem Spaziergang im Waldgebiet von Puits-Renard die Leiche der 17jährigen Nathalie Caspar. Sie liegt in einer Erdspalte, um ihren ganzen Körper ist ein Seil gebunden, um Brust, Handgelenke und Knöchel. Fast zeitgleich kommt der aus Paris strafversetzte Kommandant Simon Dreemer in Metz an. Er hatte die Mutter eines angeblich durch Selbstmord umgekommenen Kindes zu hart verhört, weil er ihr nicht traute. Die Mutter hatte daraufhin einen Selbstmordversuch unternommen. Während seiner Zugfahrt wird er auf eine Nachricht im Lokalteil der Zeitung aufmerksam, in der es um Demonstrationen gegen die Flutung geht. Es ist die Rede von Einstürzen, die auf die Stilllegung der Eisenbergwerke zurückzuführen ist. In Lothringen ist das allerdings nichts Ungewöhnliches, hier dominierte der Bergbau. Mit Kowalski, Dreemers neuem Chef, Mauduit und Tellier geht es sofort zum Tatort in das zwanzig Kilometer entfernte Varange, wo Dreemer mit seiner ortskundigen Kollegin Jeanne Modover die Ermittlungen aufnimmt. Jeanne entdeckt im Archiv des Departements, dass 1993, also vor elf Jahren, die 17jährige Alice Mayer unter ähnlichen Umständen ums Leben kam. Ihr Adoptivvater Joseph Mayer geriet damals auch wegen Inzestgerüchten ins Visier der Ermittler. Später wurde die Sache als Unfall zu den Akten gelegt. Jetzt wird er erneut befragt. Wie gut kannte er Nathalie, und schenkte er ihr das teure Parfüm, das Dreemer in ihrem Zimmer fand? Wenige Tage später wird die 15jährige Odile Monchau gleichfalls tot in einer Erdspalte gefunden. Wie hängt das alles zusammen? Auf dem Dorffriedhof werden rätselhafte Symbole entdeckt, die möglicherweise im Zusammenhang mit den Morden stehen können. Den entscheidenden Hinweis bekommen die Ermittler von Armand Keller, dem alten Dorfarchivar, dessen Interesse historischen Dokumenten gilt. Als er 1945 aus dem Konzentrationslager Struthof nach Varange zurückgekehrt ist, war nichts mehr so wie früher, denn nach dem Abzug der Deutschen fing das Schlimmste erst an. „Die Verdächtigungen und Vergeltungsakte.“ (S. 39) „Armand setzte seine Brille wieder auf und ließ seinen Blick über die auf den Regalen gestapelten Aktenordner gleiten. Ja, wenn es einmal geschrieben steht, kann man es nicht mehr auslöschen.“ (S. 127) Er versucht, eine Verbindung zwischen dem Lynchmord an Johann Ziegler und den aktuellen Morden herzustellen, aber die Wahrheit, die ans Licht kommt, ist eine andere, als Ermittler und Leser erwarten.
Aline Kiner weiß, worüber sie in ihrem Kriminalroman „Galgenmann“ schreibt. Sie ist die Tochter eines Minenarbeiters und gleichfalls in Lothringen aufgewachsen. Schon dadurch ist sie mit den örtlichen Gegebenheiten und historischen Geschehnissen bestens vertraut. Das Dorf Varange steht stellvertretend für alle anderen Orte, wo die Menschen durch ihre Tätigkeit in den Minen geprägt wurden und es zu persönlichen Tragödien kam. Mir gefällt, wie die Autorin Landschaft und Geschichte in ihren Roman einbezieht, obwohl dadurch streckenweise die Morde in den Hintergrund geraten, und die Aufklärung ins Stocken gerät. Ihre Protagonisten sind gut gezeichnet. Ein empfehlenswerter Debütroman.

Bewertung vom 06.07.2014
Eis bricht
Weber, Raimon

Eis bricht


gut

In Raimon Webers Thriller „Eis bricht“ erlebt Henning Saalbach, wie langsam die Zeit vergehen kann. Zwölf lange Jahre hat er gewartet. In wenigen Tagen wird der Mörder seines achtjährigen Sohnes Marc aus der Haft entlassen. Eines Abends vor zwölf Jahren ist Henning mit seiner Frau Judith bei Carsten Brunner, einem einflussreichen Mann beim ZDF, eingeladen. Marc bleibt allein im Haus zurück. Henning, ein erfolgreicher Drehbuchautor, vergisst eine Mappe mit den Entwürfen für die ersten Folgen einer neuen Fernsehserie und kehrt nach Hause zurück. Dort findet er seinen tödlich verletzten Sohn. Jede Hilfe kommt für ihn zu spät. Er stirbt in seinen Armen. Henning kämpft mit dem Mörder und erkennt ihn. Es ist Erwin George. Er bekommt 12 Jahre wegen angeblichen Totschlags. Danach ist für Henning nichts mehr so wie früher. Seine Ehe zerbricht, er kann nicht mehr arbeiten, wird depressiv, beginnt langsam zu verwahrlosen und verfällt dem Alkohol. Er fiebert dem Tag entgegen, an dem George entlassen werden soll, denn dann bekommt der Mann endlich seine gerechte Strafe: den Tod. „Es ist das Einzige, was mich in der ganzen Zeit am Leben gehalten hat. Ohne dieses Ziel hätte ich mich längst aufgehängt.“ (S. 54) Und dieser Tag ist jetzt gekommen. Öfters fährt Henning zum Gefängnis nach Werl, wo er vor elf Jahren den Justizvollzugsbeamten Thorsten Koch kennengelernt hat, der ihn die letzten Jahre über den Gefangenen auf dem laufenden gehalten hat. Koch ist es, der Saalbach mit seinen Freunden bekannt macht, die sich als „Humanisten“ bezeichnen und ihm eine Waffe besorgen. Obwohl alles gut vorbereitet ist, läuft an dem Tag der Entlassung von Erwin George alles aus dem Ruder, und es kommt anders als gedacht.
„Eis bricht“ von Raimon Weber liest sich gut. Der Autor hat einen ungewöhnlichen Thriller geschrieben, den man auch als Kriminaldrama bezeichnen kann. Die Figur des Henning Saalbach ist sehr authentisch, sein geplantes Vorhaben glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt. Erzählt wird anfangs auf zwei Zeitebenen, einmal in der Gegenwart, in der der Protagonist heute lebt und in der Vergangenheit vor 12 Jahren, bis die Geschichte dann in der Gegenwart bleibt. Die Übergänge sind gut gewählt, und auch das Ende der Story ist für den Leser unvorhersehbar. Die Geschichte ist packend erzählt und bietet zwar düstere, aber interessante Unterhaltung. Ich empfehle das Buch gerne weiter.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.07.2014
Vergeltung
Winslow, Don

Vergeltung


schlecht

In Don Winslows neuem Thriller „Vergeltung“ begibt sich der einstige Major der Delta Force Dave Collins auf einen privaten Rachefeldzug, und das kam so. Er arbeitet als Federal Security Officer (FSO) am Kennedy-Airport und setzt seine Frau Diana und seinen neunjährigen Sohn Jake Weihnachten in ein Flugzeug. Das Weihnachtsfest wollen sie dieses Jahr bei den Schwiegereltern verbringen, doch Flug 211 explodiert über New York und brennende Wrackteile rutschen in den Brooklyn Battery Fahrzeugtunnel. „Das Flugzeug, dessen Tragflächen an der Tunneleinfahrt abreißen, ist jetzt ein flammender Torpedo.“ (S. 43) … „Der Tunnel wird zum Brennofen.“ (S. 44) 416 Passagiere sterben einen qualvollen Tod, und auch Jake und Diana werden nie wieder nach Hause kommen. Am Boden gibt es sechs Trümmerfelder, die sich über zehn Kilometer erstrecken, insgesamt sterben 817 Menschen an dieser Katastrophe. Die Fluggesellschaft Eagle Airlines, die US-Regierung und die Versicherung stellen den Absturz schnell als Unfall dar. Jedoch erhält Dave von Stan Mullen, einem Vietnam-Veteran, Informationen, dass eine Rakete die Passagiermaschine zum Absturz gebracht haben soll. Dave ist schnell klar, dass es ein Anschlag war und trommelt über seinen früheren Vorgesetzten Mike Donovan eine Truppe aus Söldnern zusammen und zieht aus, um Vergeltung zu üben. Vorher geht es noch in ein Ausbildungslager. Dave will Gerechtigkeit. Sein Ziel ist es, die Verantwortlichen für den Absturz von Flug 211 aufzuspüren und zu töten. „Gewalt wird gezielt eingesetzt – unter gar keinen Umständen darf es Kollateralschäden geben.“ (S. 132).
Ich habe den Thriller abgebrochen. Der amerikanische Autor Don Winslow ist für viele der beste Thrillerautor unserer Tage, ein Kultautor. Seine Bücher gelten als brutal. Gegen diesen Vorwurf verteidigt sich Winslow häufig mit der Behauptung, die Wirklichkeit sei noch viel schlimmer. Für mich war das, was ich gelesen habe, eine herbe Enttäuschung. Zwar fand ich die ersten Seiten durchaus fesselnd und actionreich, jedoch hat mich da schon die Detailfreude abgestoßen. Winslow unterrichtet den Leser in Waffenkunde und moderner Kriegsführung. „Vergeltung“ ist ein Roman für Waffenfetischisten, und das bin ich nicht. Das folgende Zitat steht stellvertretend für unzählige ähnliche Passagen, in denen der Leser alles erfährt, was er nie über moderne High-Tech-Waffen wissen wollte. „ ....arbeitet Cody an seinem CQBR-Karabiner, ein MK16 O SCAR. Das MK 16 hat als Ableger des standardmäßigen M4 einen Lauf von nur 25 Zentimetern, ausgesprochen kurz, verglichen mit den 37 Zentimetern seines Vorläufers. Dadurch kombiniert es die Durchschlagskraft eines Karabiners mit der Kompaktheit einer Maschinenpistole, wiegt geladen nur drei Kilo und ist damit ebenfalls perfekt für Auseinandersetzungen auf kurze Distanz." (S. 223) Der beschriebene Detailreichtum betrifft jedoch nicht nur Waffen, sondern auch viele andere Aspekte des Romans, zum Beispiel die Vorstellung der einzelnen Söldner mit ihrem persönlichen Werdegang und das Trainingsprogramm im Ausbildungslager. Winslows abgehackter Stil kann mich ebenfalls nicht begeistern. Deswegen ist der Roman für mich lange nicht so spannend, wie manche Leser behaupten und von daher auch nicht zu empfehlen.