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Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 07.08.2021
Das Geheimnis des grünen Nachtfeuers / Daliahs Garten Bd.1 (CD)
Turan, Fabiola

Das Geheimnis des grünen Nachtfeuers / Daliahs Garten Bd.1 (CD)


sehr gut

Ein spannendes und fantasievolles Plädoyer für die Bewahrung der Natur

Die Gestaltung des Covers ist so verlockend, dass man sich dem kaum entziehen kann. Besser hätte man die Welt der Tausend Farben gar nicht darstellen können. Umso enttäuschter war ich, als die Illustration des Einbandes tatsächlich die einzige im gesamten Buch ist. Das ist so schade, denn die Geschichte hätte es wahrlich verdient, sowohl auf edlerem Papier gedruckt zu werden, als auch mit weiteren fantastischen Illustrationen versehen zu werden. Auch wenn das Buch damit teurer geworden wäre – verdient hätte es die Geschichte auf jeden Fall!

Daliah muss mit ihren Eltern das Schloss Lilienfels, in dem sie aufgewachsen ist, verlassen und in die Stadt ziehen, weil das Schloss verkauft worden war. Daliah ist sehr traurig darüber. Wie gut, dass sie sich mit Rahim, dem Sohn des neuen Schlossbesitzers, so gut versteht. Mit ihm zusammen verfolgt sie ein geheimnisvolles Licht, das im verbotenen Teil des Schlossgartens auftaucht. Was dann alles an Unglaublichem und Aufregendem passiert, müsst ihr unbedingt selber lesen!

Dass Daliah die besondere Gabe hat, die Gefühle anderer als farbigen Schimmer wahrzunehmen, lässt sie zu einer besonderen Protagonistin werden. Sie kann dadurch mühelos und mutig zwischen der realen Welt und der fantastischen Welt der Tausend Farben wechseln. Und sie spürt, dass eine besondere Gabe immer auch eine besondere Verantwortung mit sich bringt. Sie spürt, dass die Natur, die so sehr bedroht ist von Menschen mit „dunklen“ Gedanken, Unterstützung braucht. Diese und noch weitere wichtige Botschaften sind unauffällig in der Geschichte verborgen, was mir sehr gut gefiel. Die Autorin erzählt mit schier unerschöpflicher Fantasie und auf sehr aufregend-spannende Weise. Da störte es mich nicht, dass der Sprachstil gelegentlich etwas unbeholfen wirkt.

Fazit: Eine Geschichte, die voller Fantasie und Abenteuer ein Plädoyer ist für die Natur, die viel mehr für unser Leben ist als nur eine bunte Verzierung.

Rezension bezieht sich auf das gebundene Buch!

Bewertung vom 04.08.2021
Ich hatte nicht immer, was ich wollte, aber alles, was ich brauchte
Lindeblad, Björn Natthiko;Bankler, Caroline;Modiri, Navid

Ich hatte nicht immer, was ich wollte, aber alles, was ich brauchte


ausgezeichnet

Ein Buch, das man nicht im Bücherschrank verschwinden lassen sollte

Zunächst war ich misstrauisch dem Buch gegenüber. Denn ich fürchtete, darin allzu missionarischen Eifer zu finden oder den besserwisserischen Ton wie in der unendlichen Anzahl von pseudoklugen Selbsthilfebüchern. Lesen wollte ich von einem exzentrischen Autor und seinen individuell-persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen. Und genau das Erhoffte bot mir das Buch in sehr angenehmer und nachdenkenswerter Weise.

Björn Lindeblad war sowohl beruflich als auch materiell erfolgreich. Doch er spürte: Erfolg ist nicht Glück. Und so begann er seine persönliche Suche nach dem, was inneren Frieden und persönliche Freiheit schenkt. Er ging seinen Weg über die Meditation hin zum buddhistischen Waldmönch und weiter zum Anbieter von Vorträgen und Seminaren. Auch jetzt, erkrankt an ADL, geht er gelassen weiter. Geschrieben ist das Buch hauptsächlich von Caroline Bankler, überarbeitet von Navid Modiri, ergänzt von Lindeblads persönlichen Einschüben und Gedanken. Sehr einfühlsam wird der Werdegang Lindeblads, insbesondere seine geistig-spirituelle Entwicklung, geschildert, dabei wurde – für den Leser sehr angenehm – die Form des Erfahrungsberichtes gewählt. Damit bleibt es dem Leser selbst überlassen, ob und welche Anregungen eventuell auch für ihn von Wert sein könnten. Kleine Geschichtchen, kleine Weisheiten, unauffällig und geradezu demütig eingestreut, manchmal mit leisem Humor verbunden, finden ohne Zeigefinger den Weg zum Leser. Für mich persönlich steckt dieses Buch voller nachdenkenswerter Gedanken. Besonders haften bleibt mir, dass es uns allen ganz gut täte, sich selbst, seine Meinungen und Gedanken nicht so wichtig zu nehmen. Da Buch wird seinen ganz individuellen Platz bei mir finden, damit es immer wieder einmal aufgeschlagen werden kann…

Bewertung vom 03.08.2021
Heldinnen werden wir dennoch sein
Wünsche, Christiane

Heldinnen werden wir dennoch sein


gut

Leider enttäuschend

Angelockt von der Inhaltsangabe und weil ich die Autorin nicht kannte, begann ich neugierig, das Buch zu lesen. Leider dauerte es gar nicht lang, bis ich das Lesen abbrechen wollte, nur mein Pflichtgefühl zwang mich weiterzulesen. Zwar gewöhnte ich mich nach einer Weile an die Erzählweise, aber Freude hat mir die Lektüre leider gar nicht gemacht.

Fünf seit Jugendzeit an eng verbundene Freundinnen sind geschockt, als sie vom Selbstmord ihres damals zur Clique zugehörigen Freundes Frankie erfahren. Dieses Geschehnis ruft Erinnerungen hervor, die teils sehr quälend sind. Die Freundinnen beginnen zu reflektieren, was das Leben seit ihrer Jugendzeit aus ihnen gemacht hat und wie Vergangenes und eine unausgesprochene Schuldfrage bis in die Gegenwart hinein wirken.

Ich hatte die Erwartung, dass die großen angekündigten Themen wie Freundschaft, Loyalität, Schuld, Verlust, Homosexualität, Lebensentscheidungen in einer psychologisch klugen, tiefgründigen Weise anhand einer berührenden Geschichte behandelt werden. Doch leider blieb ich emotional völlig unberührt. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. Jede der Freundinnen hat ein eigenes Bild von Frankie und der gemeinsamen Jugendzeit in Erinnerung und hatte jeweils ganz eigene Zukunftserwartungen. Dies wird durchaus gut dargestellt, aber dennoch so nüchtern-neutral, dass der Leser nicht berührt wird. Zusätzlich zu den Perspektivwechseln gibt es eingestreute Rückblicke an „früher“, die zwar dem Verständnis dienen, aber dennoch Verwirrung schaffen, weil dadurch immer mehr Personen auftauchen, die der Leser irgendwie einordnen muss. Die Dialoge wirken oft hölzern-konstruiert. Leider finden sich auch etliche sprachlich und grammatikalisch unsaubere Stellen. Am schlimmsten jedoch war für mich persönlich dieses häufige Verzetteln in Beschreibungen von absolut nebensächlichen Dingen. Da wird zum Beispiel von irgendwelchen Großeltern berichtet, die im Buch keine Rolle spielen, auch nie mehr erwähnt werden. Dennoch wird berichtet, was und wie sie gerne E-Bike fahren… Dies nur als kleines Beispiel der ermüdend weitschweifigen Erzählweise mit unendlich vielen unnützen Informationen, die mir das Lesen völlig verleideten. Auch hätte ich von einer guten Autorin erwartet, dass die Beiträge, die Frankie selbst in den Mund gelegt werden, in einer zu ihm passenden feinfühlig-sensiblen Sprache geschrieben worden wäre, nicht so nüchtern wie ein Zeitungsbericht.
So war in der Gesamtschau dieser Roman für mich leider sehr enttäuschend.

Bewertung vom 25.07.2021
Unbarmherziges Land
Offutt, Chris

Unbarmherziges Land


weniger gut

Viel Schweigen, viel Hässlichkeiten

Diesen Kriminalroman habe ich erst mit Neugier und dann mit zunehmender Abneigung gelesen. Ich musste mich mit einer Welt befassen, die mir fremd ist – und die man vielleicht nur mit viel Alkohol erträgt und versteht. Nicht meine Welt, leider.
Mick Hardin, ein harter Kerl Ermittler für das CID der US-Army, ist auf Heimaturlaub. Er sollte eigentlich mit seiner hochschwangeren Frau reden, doch vielleicht ist das Kind nicht von ihm. Da schweigt er lieber, lebt in einer einsamen Waldhütte und trinkt sich die bösen Träume weg. Als ein Ginseng-Sammler eine Frauenleiche in den Wäldern findet, wird Mick Hardin von seiner Schwester Linda um Hilfe bei den Ermittlungen gebeten. Linda wurde vor kurzem zum ersten weiblichen Sheriff bestimmt, doch die Politik will sie auf diesem Posten nicht haben. Und die Menschen in Kentucky geben sowieso nichts auf die Justiz….
Der Kriminalfall als solcher kommt mir vor wie ein mühsam eingearbeiteter Seitenstrang eines Romanes. Er ist nicht wichtig, er kommt auch nur selten zur Sprache. Und spannend ist er schon gar nicht. Schwerpunkt des Buches sind viele Naturschilderungen, die Beschreibung von vierschrötigen Menschen, deren Familienverbünde in der Abgeschiedenheit zu Festungen geworden sind und denen kein Wort zu viel über die Lippen kommt. Dazu recht ausufernde bildhafte Darstellungen über abgeranztes, schäbiges Mobiliar und andere Hässlichkeiten. Ein Maultier als Dachträger? Gangster „mit einem Verstand, wie Gott ihn sonst nur den Gänsen zugedacht hatte“? Viel Bourbon, viel Schweigen, viel Gewalt. Das Beste am Buch war für mich, dass es nur einen geringen Umfang hatte. So konnte ich nach einem Tag Lesen mit großer Erleichterung die hässliche Welt des Mick Hardin wieder verlassen.

Bewertung vom 24.07.2021
Bonuskind
Noort, Saskia

Bonuskind


sehr gut

Düstere Suche nach der Wahrheit

Ist das vorliegende Buch wirklich ein Thriller? Möglicherweise ein Psychothriller oder doch eher ein Roman? Auf jeden Fall ist es keine Coming-of-Age-Geschichte, wie vom Verlag angekündigt, denn ich sehe im Buch keine Entwicklung in der Person Lies. Eher mutet sie mich von Beginn an wie die einzige reife Erwachsene unter lauter mehr oder weniger gestörten Familienmitgliedern.

Die 15-jährige Lies und ihr kleiner Bruder Luuk werden seit der Trennung ihrer Eltern zwischen Mutter und Vater hin- und hergereicht und müssen den permanenten hasserfüllten Streit zwischen den Eltern ertragen. Der Vater Peter lebt mit einer jüngeren Frau zusammen, die Mutter Jet ist ihren extremen Gefühlsschwankungen ausgeliefert. Als die Mutter plötzlich verschwindet und schließlich ihre Leiche gefunden wird, sind sich alle einig, dass Jet Selbstmord begangen hat. Schließlich kannten alle ihre psychische Instabilität. Nur Lies als Einzige ist sich sicher, dass die Mutter niemals ihre Kinder im Stich gelassen hätte. Sie findet das Tagebuch von Jet mit außerordentlich verstörenden Details…

Das Buch nimmt den Leser gefangen, weil es so raffiniert und klug konstruiert ist, dass man nie so recht weiß, wem man Glauben schenken darf. Und es nimmt gefangen im Miterleben, welchem psychischen Elend Kinder ausgesetzt sind, wenn Eltern sich in permanentem Hass nur um sich selbst drehen und die Kinder instrumentalisiert werden. Die Autorin wechselt zwischen dem Bericht aus der Sicht von Lies und den in kursiver Schrift gesetzten Abschnitten aus den tagebuchartigen Notizen von Mutter Jet. Sehr eindrücklich ist es Saskia Noort gelungen, in der Person Lies das Wandern auf der Grenze zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt darzustellen. Lies hat mich sehr beeindruckt mit ihrer inneren Stärke und geistigen Klarheit, mit der sie durch Wut und Trauer hindurch auf der Suche nach der Wahrheit ist und die Menschen ihrer Umgebung mit feinem Gespür analysiert. Sehr viel schwächer und weniger nachvollziehbar ist für mich die Schilderung der Mutter Jet gelungen. Auch frage ich mich, ob die breit ausgewalzten erotischen Szenen nicht glaubwürdiger und eindringlicher gewirkt hätten, wenn sie etwas zurückhaltender beschrieben worden wären. Mit dem Ende der Geschichte setzt die Autorin noch einen unerwarteten Überraschungseffekt.

Fazit: Ein ungewöhnlich konstruierter, durchweg packend zu lesender, psychologisch düsterer Roman.

Bewertung vom 23.07.2021
Das Fundament der Hoffnung / Mandelli Saga Bd.1
Bordoli, Ladina

Das Fundament der Hoffnung / Mandelli Saga Bd.1


gut

Viel Gefühl, zu wenig Tiefgang

Mehrbändige Familien-Sagas sind gerade sehr in Mode. Wenn sie gut recherchiert sind, erfährt man neben den familiären Gefühlsgeschichten auch etwas über den historischen, landschaftlichen und beruflichen Hintergrund, sodass neben dem Unterhaltungswert auch ein wenig Wissenszugewinn das Lesen sinnvoll macht. Im vorliegenden 1. Band der Mandelli-Saga habe ich allerdings Mühe, diesen Wissenszugewinn zu entdecken.
Wir befinden uns im Jahr 1956 am Comer See. Aurora ist 19 Jahre alt, als ihr geliebter Bruder den Unfalltod stirbt. Der Vater, der zusammen mit seinem Sohn ein kleines Bauunternehmen führte, ist gebrochen. Um der Familie das Überleben zu sichern, versucht Aurora, die schon immer ein Faible für die Arbeit als Maurerin, als muratore, hatte, die Firma weiterzuführen und glaubt, am langjährigen Mitarbeiter Michele einen treuen Beistand zu haben. Doch Aurora scheint am gesellschaftlichen Druck zu zerbrechen…

Allem vorangeschickt sei, dass das Buch wunderbar zu lesen ist. Man wird von Anfang an von der Geschichte eingefangen und kann die Gefühle, die Aurora und ihre Familie bewegen, stets mitempfinden. Ladina Bordoli schreibt zwar in einer sehr malerisch-ausschmückenden und weitschweifigen Erzählweise, dennoch wurde mir beim Lesen nie langweilig. Schade fand ich, dass recht viele Klischees bemüht werden, was zum Beispiel beim schnellen Wandel des Michele vom hilfsbereiten, freundlichen Menschen zum extrem widerwärtigen, saufenden, jähzornigen Ekel sichtbar wird. Merkwürdig empfinde ich auch die Darstellung von Aurora, die eine emanzipierte Seite hat und sehr selbstsicher ihre Gestaltungsvorstellungen darlegt, andererseits aber so stumm-leidend und selbstunsicher in ihren Beziehungen ist. Und leider, leider wird über die Arbeit von Aurora wenig Substantielles berichtet. Nur über ihre außerordentlich besonderen Fähigkeiten, Gegebenheiten aufzunehmen und sofort im Geist Entwürfe der Umgestaltung präsentieren zu können, erfahren wir. Wissenszugewinn wie oben erwähnt, ist im Buch nicht zu finden, weder was die Örtlichkeiten, was die schwierige Zeit der Fünfziger Jahre noch was die schwere Arbeit der Muratore betrifft. Das Buch erschöpft sich in schweigendem Ertragen, im detaillierten Beobachten und in diversen Gefühlslagen. Schön zu lesen, doch ein wenig mehr Tiefgang hätte dem Roman gut getan.

Bewertung vom 21.07.2021
Unzertrennlich
Yalom, Irvin D.;Yalom, Marilyn

Unzertrennlich


ausgezeichnet

Bewegend

Wer sich je mit Psychotherapie beschäftigt hat, sei es beruflich, sei es aus persönlichem Interesse, dem wird der Name des angesehensten und einflussreichsten Psychotherapeuten Amerikas, Irvin D. Yalom, bekannt sein. Unvergleichlich seine Gabe, die Grundpfeiler der existentiellen Psychotherapie, die weit ins Tiefenpsychologisch-Philosophische hineinragen, anhand von „Therapiegeschichten“ unterhaltsam-verstehbar zu machen (z. B. „Die Liebe und ihr Henker“ u.v.a.). Als seine Frau Marilyn, hochgebildete Kulturwissenschaftlerin und Autorin, todkrank wird, beschließen sie, über diese letzte gemeinsame Zeit miteinander ein Buch zu schreiben, das erste und einzige gemeinsame Werk. Vergangenen Herbst starb Marilyn und Irvin musste das Buch alleine fertigstellen.

Während der Lektüre des Buches habe ich mir die zahlreichen Fotos im Buch immer wieder neu angesehen. Viele wirken gestellt, gewollt, in Szene gesetzt. Dem Leser wird kaum ein spontaner Einblick gewährt. Und diese Distanz spüre ich auch über die gesamte Lektüre hinweg durch die meist eher intellektuell-rationale Erzählweise. Was ich aber auch spüre, und das ist sicher nicht überraschend: Wie die Schilderungen des Buches mich persönlich anpacken. Denn der Abschied, das Weggeben, das Weggehen, das Verlassen und Verlassen-Werden, das Sterben und der Tod in seiner Endgültigkeit sind große Themen des Menschseins, und genau diesen begegnet der Leser ganz direkt. Alles, wirklich alles dreht sich im Buch letztlich um Nietzsches Satz „Stirb zur rechten Zeit“. Im Wechsel erzählen Marilyn und Irvin von ihrem gelebten Leben, von Erfahrungen, von Hoffnungen, von geistigen Begleitern, von Kindern, Enkelkindern und Freunden. Marilyn bleibt lange stark für Irvin, bis sie ans Ende ihrer Kraft gelangt und den in Amerika erlaubten begleiteten Suizid wählt. Unerwartet war für mich zu lesen, dass Transzendenz kein Thema für das Ehepaar Yalom war, auch nicht im direkten Angesicht des Todes. Oder dass für Musik kein Platz war im Leben der Beiden. Das letzte Drittel des Buches muss Irvin schließlich allein schreiben. Er schildert darin in vielen Facetten seine unfassbar tiefe Einsamkeit nach Verlust seiner geliebten Frau, Partnerin und verlässlichen Stütze im Leben wie im intellektuellen Miteinander, wie sie es über die unglaublich lange Zeit einer 65-jährigen Ehe war.
„Trauern ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir den Mut haben, andere zu lieben.“

Fazit: Ein bewegendes, ein wichtiges Buch für alle, die sich mit Leben, Liebe und Tod gleichermaßen beschäftigen.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.07.2021
The Nothing Man
Ryan Howard, Catherine

The Nothing Man


ausgezeichnet

Raffiniert, intelligent, bedrohlich-fesselnd

Bewundernswert, was Catherine Ryan Howard hier gelungen ist. Ein Thriller der Extraklasse, der mich von Anfang bis Ende fasziniert hat, nicht nur der Handlung wegen, sondern ganz besonders wegen der Raffinesse des gesamten Konstrukts des Buches.

Vor zwanzig Jahren tötete ein Mann die gesamte Familie von Eve Black, ohne auch nur die geringsten Spuren zu hinterlassen. Eve, damals zwölfjährig, überlebt als Einzige, und schreibt 20 Jahre später ein Buch über dieses traumatische Erlebnis. „Ich war das Mädchen, das den Nothing Man überlebte. Jetzt bin ich die Frau, die ihn fassen wird.“ Jim Doyle übt den langweiligen Job eines Wachmanns in einem Supermarkt aus. Er beginnt, das Buch von Eve Black zu lesen. Und ihm wird klar, dass er keine andere Wahl hat, als Eve zu töten. Denn er ist der Nothing Man. Mehr kann man über den Inhalt nicht verraten, ohne Spannung wegzunehmen.

Mit unglaublicher Raffinesse schafft es die Autorin, dass man von Anfang an das Gefühl hat, zwei Bücher gleichzeitig zu lesen, und zwar beide mit der gleichen aufregenden Spannung. Zwei Geschichten, die sich im Schriftbild unterscheiden, was dem Leser hilft, die Orientierung zu behalten. Zwei Geschichten, die sich unaufhaltsam aufeinander zu bewegen. Je näher sie sich kommen, desto mehr wachsen Angst und Beklemmung beim Lesen. Solch ein geniales Thriller-Konstrukt habe ich noch nie erlebt. Wir lernen den Serienkiller von seinen intimsten Seiten kennen. Und wir erfahren, wie Eve niemals, niemals aufgehört hat, dem Killer auf die Spur kommen zu wollen. Zwei Geschichten, die sich zwischen den Genres True Crime und fiktivem Thriller hin und her bewegen und mit den jeweiligen Klischees spielen. Zwei Geschichten über das Anschleichen von Jäger und Gejagtem. Zwei Geschichten, die durch mehrere Wendungen letztlich überraschen.

Fazit: Ein überzeugend schlau durchdachtes, durchweg spannend-bedrohliches Lesevergnügen!

Bewertung vom 17.07.2021
99 seichte Fragen für tiefgründige Unterhaltungen zwischen Eltern und Kindern
Caspers, Ralph

99 seichte Fragen für tiefgründige Unterhaltungen zwischen Eltern und Kindern


ausgezeichnet

Von wegen seichte Fragen!

Ich muss zugeben, dass ich den Autor nicht kannte. Natürlich sind mir die Sendungen Quarks oder die Sendung mit der Maus bekannt, habe mir aber nie den Namen Ralph Caspers gemerkt. Die von ihm nun vorgelegten „99 seichten Fragen“ sind alles andere als seicht, weder für Kinder noch für Erwachsene. Ein Buch, das man immer und immer wieder hervorholen kann.

Die 99 ganz unterschiedlichen Fragen fordern allesamt zum Nachdenken heraus und sind geeignet, den eigenen Blickwinkel auch einmal zu verlassen, egal mit wem man anhand der Fragen ins Gespräch kommt. Abgesehen von den Fragen gefallen mir ausnehmend gut die Anmerkungen oder Anregungen, die Ralph Caspers zu seinen Fragen anfügt. Zum Beispiel die Frage: „Welche Kleinigkeit macht dir eine große Freude?“ Der Kommentar des Autors öffnet uns ganz schnell die Augen, wie viele Kleinigkeiten es jeden Tag gibt, die uns erfreuen – und die wir so leicht übersehen, denn es sind halt Kleinigkeiten. Ganz unspektakulär und doch wirksamer als so mancher Kalenderspruch eines klugen Kopfes! Mit ganz leichter Hand und recht viel Humor bringt uns Ralph Caspers dazu, sich mit Kindern oder mit Erwachsenen oder auch ganz allein mit sich selbst mit seinen ausgewählten 99 Fragen auseinanderzusetzen. Überraschungen sind gewiss!

Wer sagt übrigens, dass nur Eltern mit Kindern anhand der 99 gestellten Fragen tiefgründige Unterhaltungen führen können? Aus der derzeit nicht vorhandenen Möglichkeit, das Buch mit meinen Lesepaten-Kindern auszuprobieren, begann ich, die eine oder andere zufällig ausgesuchte Frage Erwachsenen zu stellen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Da gibt es zum Beispiel ein wöchentliches Stammtischtreffen mit älteren Damen. Dieses Treffen schleppt sich von Woche zu Woche zu immer sich wiederholenden Berichten über das Gleiche, über das Wetter und Krankheiten. So warf ich einmal die im Buch gefundene Frage in die Runde „Was war dein größter Reinfall beim Kochen oder Backen?“ Nach einer ersten überraschten Stille hatte jede der Damen etwas beizutragen. So lebendig und lustig war die Stammtischrunde schon lange nicht mehr gewesen.
Probieren Sie es selbst aus, dazu kann ich nur raten!

Bewertung vom 14.07.2021
Was fehlt dir
Nunez, Sigrid

Was fehlt dir


ausgezeichnet

Spitzentanz in Clogs

Welch ein seltsames Buch. Ein Buch ohne roten Faden – oder doch? Ein Buch, das anmutet wie ein Ideen-Notizbuch, eine Sammlung von Gedachtem, Gelesenem, Gesehenem, zusammengetragen mit Willkür – oder doch nicht? Vielleicht passt am besten dieser Satz, den die Autorin selbst im Buch schreibt: „Die wichtigsten Dinge in Worte zu fassen, ist wie ein Spitzentanz in Clogs.“

Eine zusammengefasste Inhaltsangabe lässt sich nicht schreiben. Menschen tauchen auf den Buchseiten auf, sind Anlass für Wahrnehmungen und Fragen an sich selbst, dann verschwinden sie wieder. Die größte Konstante im Buch ist die an Krebs erkrankte Freundin, die auf ein selbstbestimmtes Ende besteht. Die Ich-Erzählerin lernt an ihr und an den anderen Begegnungen viele Formen der Lebenssicht und eine Ahnung davon, wie Empathie, wie genaues Zuhören die kostbarste Form des menschlichen Miteinanders ist.

Das Buch beginnt mit einem Vortrag, einer gnadenlosen Analyse des unumkehrbaren Versagens der Menschheit. Den Menschen fehlt der kollektive Wille, die Katastrophe (der eigenen Vernichtung) aufzuhalten. Zynisch-hoffnungslos. Es folgt sozusagen als Kontrapunkt eine Fülle an Miniaturen mit einer großen Bandbreite von Themen, kurzweilig, humorvoll, tieftraurig, teilweise mit beiläufig wirkenden Sätzen, die jedoch in Wahrheit sinngebend sind, allesamt Versuche, das Leben irgendwie hoffnungsvoller zu sehen. Langatmige Erzählungen von Buch- oder Filminhalten oder literarische „Querverweise“ wollen den erzählten Begegnungen und Geschichten zusätzliche Tiefe verleihen. Sigrid Nunez schreibt sezierend beobachtend, klug und belesen, mit einem leisen, entlarvenden Humor. Sie ist wie eine Frau, die einen Vorfall erzählen will, aber nie dazu kommt, weil ihr ständig neue Details einfallen, die sie auch noch erzählen will und dadurch nie zum Punkt kommt.

Mit dem Bild des Spitzentanzes in Clogs befreit die Autorin die Leser und Rezensenten von dem Versuch, ihr Buch umfassend zu verstehen. Empathie und genaues Zuhören reicht.