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seschat
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Bewertungen

Insgesamt 895 Bewertungen
Bewertung vom 08.05.2022
Ostseeglück
Eden, Stephanie

Ostseeglück


ausgezeichnet

Stephanie Eden (*1976) hat jahrelang in Werbeagenturen und in der Finanzbranche gearbeitet, bis die Geburt ihrer Zwillingstöchter zum Umdenken führte und sie an die Ostsee lockte. Hier inmitten von Rapsfeldern und Steilküsten fand sie in der Imkerei ihre Passion.

In ihrem Buch "Ostseeglück" berichtet sie unverstellt von ihrem beruflichen Neustart als Imkerin. Ohne Vorkenntnisse, aber mit viel Enthusiasmus eignet sie sich Schritt für Schritt das nötige Wissen an, wird Mitglied im Imkerverein und findet herzliche Imker-Mentoren. Von Anfang an setzt sie auf nachhaltige Imkerei ohne Ertragsmaximierungsdruck. Die Bienen bestimmen das Tempo und nicht der Markt. Inmitten von Bienenstöcken fühlt sie sich wohl und endlich angekommen.

Zu 95 Prozent dreht sich in diesem Buch alles um Imkerei. Wer bis dato noch nichts darüber wusste, wird mithilfe der Lektüre einiges interessantes Bienen-Wissen, von der Zusammensetzung des Honigs bis zur Hierarchie im Bienenstock, anhäufen können. Die übrigen 5 Prozent handeln von Stephanie Edens Werdegang und Familienalltag als 3-fache Mutter und Frau eines Piloten. Die Ostseeumgebung und deren Bewohner spielten hingegen nur eine untergeordnete Rolle, was ich etwas schade fand, da der Buchtitel bei mir etwas anderes suggerierte. Gleichwohl finde ich die warme Covergestaltung sowie die im Buch enthaltenen idyllischen Farbfotos ungemein stimmig. Sie machen gute Laune und man sieht der Autorin an, dass sie in der Imkerei ihr (Lebens-)Glück gefunden hat.

Bewertung vom 06.05.2022
Der Prinz im Labyrinth
Fondraz, Charlotte

Der Prinz im Labyrinth


sehr gut

Den Minotauros-Mythos kennen sicherlich viele. Die Autorin Charlotte Fondraz hat dem antiken Stoff neues Leben eingehaucht, indem sie Figuren und wichtige Szenen umgeschrieben hat. Die Erzählerrolle teilen sich der kretische Baumeister Daidalos und sein Sohn Ikaros.

Der vorliegende Genremix aus Historienroman und Kriminalroman las sich kurzweilig und recht flüssig. An der Neuadaption des Mythos' gefiel mir vor allem die Einbindung typischer Begriffe aus Architektur, Mode und Kunst der minoischen Zeit. Auch das wissenschaftlich heiß diskutierte Matriarchat fand in der weiblichen Herrscherin Minas ihren Niederschlag. Kurzum, Fondraz' umfangreiches Quellenstudium hat sich m. E. ausgezahlt. Die Krimihandlung blieb bis zum Ende der Geschichte spannend. Einzig die häufigen Rückblenden und die langatmige Fluchtgeschichte von Daidalos enervierten mich.

Bewertung vom 29.04.2022
Darf ich vorstellen: Legasthenie
Coors, Fiona

Darf ich vorstellen: Legasthenie


gut

Die Schauspielerin Fiona Coors (*1972) ist mir vor allem durch die ZDF-Serie "Der Staatsanwalt" bekannt, in der sie eine taffe Kommissarin mimt. Dass sie seit ihrer Kindheit unter Legasthenie leidet, wusste ich allerdings nicht. Zwar merkte sie schon recht früh, dass sie beim Lesen und Schreiben Schwierigkeiten hatte und die Buchstaben vor ihren Augen zu tanzen begannen, doch damals waren Lehrer und Eltern noch weit davon entfernt, ihre Schwäche zu erkennen. Was tat Fiona? Sie lernte damit zu leben, duckte sich weg, las Donald-Duck-Comics und steckte all ihre Kraft in ihr Schauspieltalent. Letzteres wurde ihr quasi in die Wiege gelegt, denn ihr Vater ist selbst ein bekannter Schauspieler und ihr Opa arbeitete als Aufnahmeleiter beim Film. Trotz ihrer unerkannten Legasthenie erwarb sie in Sussex das sog. Certificate of Secondary Education und bekam danach erste Fernsehrollen. Die Trennung ihrer Eltern und der frühe Tod ihrer schottischen Mutter führten zur stärkeren Beschäftigung mit sich selbst und ihrem Leben. Durch Retreats, Yoga und Meditation konnten ihre Wunden heilen. Heute lebt sie im Einklang mit sich selbst und gibt ihre Erfahrungen gern weiter. So enthält das zweite Kapitel allerlei Tools (wie z.B. Eisbaden, Bauchgefühl oder Digital Detox), mit deren Hilfe man lernt, im stressigen Alltag richtig abzuschalten und besser auf sich selbst zu achten.

Am spannendsten an Coors' Buch empfand ich die unverstellten Einblicke in ihr Leben mit Legasthenie. Versagensängste, Minderwertigkeitskomplexe usw. begleiten sie bis ins junge Erwachsenenalter. Dahingehend finde ich es sehr bewundernswert, wie sie trotz ihrer Defizite ihren Weg zur Schauspielerin gegangen ist und sich nicht hat unterkriegen lassen. Mit dem bereits angesprochenen zweiten Teil des Buchs konnte ich mich weniger anfreunden, was vor allem an Coors' oftmals weitschweifigen, ins esoterische abdriftenden Ausführungen lag. Hier wäre weniger mehr gewesen. Infolge ließ meine Aufmerksamkeit nach und ich blätterte großzügig vor, um ans Buchende zu gelangen.

FAZIT
Mehr Lebens- bzw. Achtsamkeitsratgeber als Erfahrungsbericht einer Legasthenikerin, dennoch ein wichtiges Buch, das Aufmerksamkeit schafft.

PS: Es scheint aktuell en vouge zu sein, über persönliche Unzulänglichkeiten/Krankheiten Bücher zu schreiben, vgl. Kurt Krömer.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.04.2022
Ein irisches Cottage zum Verlieben (eBook, ePUB)
Jonson, Jo

Ein irisches Cottage zum Verlieben (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

INHALT
Reisejournalistin Tamara und Fotograf Simon sind seit 10 Jahren ein Paar und beruflich ständig auf Reisen. Sie haben sich über die Jahre mehr und mehr auseinandergelebt und sehen den gemeinsamen Irlandurlaub nun als Neuanfang. Doch vor Ort wird immer deutlicher, dass beide verschiedene Lebenspläne haben. Tamara möchte endlich sesshaft werden und erliegt sofort dem Zauber der grünen Insel, während Simon sein freies Leben schätzt.

MEINUNG
Jo Jonsons Liebesroman erzählt eine wahrhaft romantische Geschichte, die niemanden kalt lässt. Darin lernt Tamara nach der Trennung von Simon ihren Seelenverwandten Henrik kennen, der noch dazu der Besitzer ihrer Urlaubsunterkunft ist. Dieser lässt nichts unversucht, um die Frau, auf die er immer gewartet hat, von sich und seinem Land zu überzeugen. Beide Hauptcharaktere wirken echt und sympathisch; mächtiges Gefühlschaos inklusive. Während Henrik den edlen Ritter mimt und frei nach Cecelia Ahern an irische Mystik/Zauberkraft glaubt, ist Tamara hin und her gerissen zwischen Trennungsschmerz und euphorischer neuer Liebe. Doch um ihr gemeinsames Glück zuzulassen, gibt es noch einige Missverständnisse aufzuklären. Auch die Nebencharaktere, allen voran Henriks Freunde Molly, Sean und Daisy, mochte ich auf Anhieb, weil sie die irische Lebensfreunde und das herzliche Miteinander realistisch transportierten. Darüber hinaus merkte man jeder Irlandbeschreibung an, dass die Autorin einen Narren an der grünen Insel gefressen hat und diese Begeisterung wirkte ansteckend. Jonsons kurzweiliger Erzählstil führte dazu, dass ich das 214-Seiten-Werk relativ zügig durchgelesen habe.

FAZIT
Jo Jonsons Roman "Irish Love" ist das perfekte Lesefutter für Romantik- und Irlandliebhaber. Ein entspannter Kurzurlaub für die Seele.

Bewertung vom 17.04.2022
Das 'Anders' gehört zu mir
Kouchev, Veronique

Das 'Anders' gehört zu mir


ausgezeichnet

Bewegende Lektüre über Asperger-Autismus
Das substantivierte Adverb "das Anders" im Buchtitel von Veronique Kouchev hat auf den ersten Blick meine Neugier geweckt und ich wollte unverzüglich ergründen, worin dieses "Andersein" besteht.

Nach der spannenden, aber auch emotional ungemein bewegenden Lektüre weiß ich nun, dass die Autorin mit "Anders" ihren Asperger-Autismus meint.

Auf 256 Buchseiten berichtet Veronique Kouchev (*1996) von ihrer Leidensgeschichte aus Mobbing, Angst und Anderssein. Schon als Kind merkt sie, dass sie empfindliche Sinne hat und Gesichtsausdrücke nur schwer einschätzen kann. Infolge kommt es besonders in der Schule zu unzähligen Mobbingattacken, weil ihre Mitschüler sie als Sonderling und Opfer einstufen. Sie weint, aber wehrt sich auch mit Fäusten gegen ihre Angreifer. Vermeintlich beste Freundinnen enttäuschen sie ein ums andere Mal. Erst mit 17 Jahren wird bei ihr eine Autismus-Störung diagnostiziert, die viele schmerzliche Erfahrungen in der Vergangenheit und Gegenwart erklärt. Infolge entschließt sie sich für eine Therapie und einen offenen Umgang mit ihrem Autismus.

Ihr zeichnerisches Talent und ihr gutes Gedächtnis sind positive Merkmale ihres "Andersseins". Kouchevs Ausbildung zur Grafikdesignerin erscheint da nur folgerichtig. Kostproben ihres Könnens in Form von Selbstporträts sind im Buch enthalten. Auch das Buchcover in ihren Lieblingsfarben wird der Autorin gerecht und entspricht meinem Geschmack.

Die Offenheit, mit der sie über ihre Autismus-Störung spricht, verdient höchsten Respekt. Denn wer selbst einmal Mobbingopfer war, der weiß, wie schwer es fällt, über diesen "Terror" zu sprechen und damit die eigene Verletzlichkeit zu offenbaren. Die Art und Weise, wie sie von Mitschülern gequält und von Vermietern wie Ärzten wegen ihres Autismus' diskriminiert wurde, hat mich beim Lesen sehr bewegt und teilweise sprachlos gemacht. Kouchev ist eine starke junge Frau, die selbst bei schweren Verletzungen und Krankheiten ihren Lebensmut nicht verloren hat.

FAZIT
Persönliches Porträt einer starken Frau, welches zum besseren Verständnis von Asperger-Autismus führt und damit Betroffenen eine Stimme gibt.

Bewertung vom 17.04.2022
Mittelalter. 100 Seiten
Frenz, Thomas

Mittelalter. 100 Seiten


ausgezeichnet

Dieses 100-seitige Büchlein gereicht formidabel zum Einstieg in diese spannende und so gar nicht dunkle Epoche der deutschen Geschichte. Fernab der gängigen Klischees aus TV, Videospielen und Folkloreveranstaltungen zeigt der emeritierte Professor Thomas Frenz dem geneigten Leser, wie die mittelalterliche Lebenswirklichkeit aussah.

Bereits die zeitliche Einordnung des Mittelalters ist bis heute umstritten. Nicht die Unterscheidung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter ist das Problem, sondern die Bestimmung des exakten Beginn- und Enddatums.

Darüber hinaus bekommt der Leser kurzweilige Wissenshappen vorgesetzt, welche vom sog. Ständewesen über Ess- und Trinkkultur bis zu Kurzbiografien interessanter Persönlichkeiten des Mittelalters (wie z. B. Heinrich IV., Hildegard von Bingen und Friedrich Barbarossa) reichen. Der so gewonnene grobe Überblick lässt sich je nach Gusto mithilfe von Frenz' Lektüretipps vertiefen.

Wer bisher nichts oder nicht viel über das Mittelalter wusste, wird überrascht sein, wie interessant und vielschichtig diese Epoche ist.

Ich habe diese Zeitstufe zwischen Antike und Neuzeit erst während meines Geschichtsstudiums besser kennen lernen dürfen. Seitdem sehe ich diese Epoche und die dazugehörigen Wissenschaft (Mediävistik) mit anderen Augen.

FAZIT
Eine kurze, aber dennoch neugierig machende Einführung in die mittelalterliche Geschichte.

Bewertung vom 17.04.2022
Homer. 100 Seiten
Möller, Melanie

Homer. 100 Seiten


ausgezeichnet

Pointiertes Kompendium über Homer

Während meines Studiums der Altertumswissenschaften musste ich mich recht häufig mit der antiken Figur Homer auseinandersetzen. Seitdem sind einige Jahre vergangen, doch das Streitthema Homer bzw. die sog. homerische Frage existiert fort. Daher fand ich es ungemein spannend, das 100 Seiten Werk der Altphilologin Melanie Möller zu eben diesen Thema lesen zu dürfen. Darin fasst sie pointiert wie kurzweilig den aktuellen Wissensstand zusammen. Hierbei hat es mich überrascht, dass sich die Forscher weiterhin in zwei Lager teilen, das der Unitarier und das der Analytiker. Sprich, die eine Gruppe glaubt an Homer als eine lebende Künstlerpersönlichkeit und die andere Gruppe vermutet mehrere Schreiber hinter diesem Namen. Nichtsdestotrotz markieren Homers Epen Ilias und Odyssee, welche Möller in zwei ausführlichen Kapiteln betrachtet, den Übergang von der mündlichen Tradierung (sog. Oral Poetry) zur Schriftkultur. Ob Homer nun aus Smyrna, Chios oder den Orient stammt und wirklich blind gewesen ist, weiß keiner der Wissenschaftler so wirklich zu beantworten, weil zeitgenössische Quellen einfach Mangelware sind. Davon abgesehen kann man die Leistung des Rhapsoden aus dem 8. Jh. v. Chr. nicht hoch genug bewerten. Denn bis heute lernen Schüler und Studenten im altsprachlichen Unterricht Homers Welt kennen. Die Heroen und Götter aus seinen Werken Ilias und Odyssee sind noch immer in aller Munde und das nicht nur in der Welt der Künstler und Intellektuellen. Gerade weil die homerischen Epen menschliche Tugenden und Schwächen gleichermaßen abbilden, werden sie hoffentlich niemals in Vergessenheit geraten. Schon allein um bestimmte Bezeichnungen, wie Trojanisches Pferd, Achillesferse oder Odyssee, zu verstehen, hilft die spannende Lektüre dieser antiken Mammutwerke sehr. Zuvor empfehle ich zur Einführung die erquickende Lektüre aus dem Reclam Verlag. Schon das minimalistische Cover mit der homerischen Begriffssammlung und dem weißen Trojanischen Pferd verführt zur näheren Betrachtung. Im Buchinneren ergänzen Fotos, Grafiken und Karten den luziden Text, der Laien wie Kenner gleichermaßen anspricht. Ich wusste bis zur Lektüre des Büchleins beispielsweise nicht, dass es noch die sog. Pseudohomerica gibt.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.04.2022
Speed-Dating mit der Arbeit von morgen
Schwedler, Christian

Speed-Dating mit der Arbeit von morgen


ausgezeichnet

Der Autor Christian Schwedler hat nach seinem Architekturstudium in verschiedenen Ländern, u.a. Australien und Chile, gejobbt. Dabei standen Flexibilität und selbstständige Wissensaneignung an der Tagesordnung. In Zukunft, so Schwedlers Prognose, wird es vorrangig nicht mehr darum gehen, was wir studiert oder gelernt haben, sondern wie effektiv wir unsere Kenntnisse auf dem neuen Arbeitsmarkt anwenden und ausbauen können. Neben krisensicheren Berufen, wie Pfleger oder IT-Spezialist, werden neue, vornehmlich digitale Berufe entstehen. Körperlich anstrengende und einfache Tätigkeiten werden zunehmend automatisiert, d.h., von Robotern und KI übernommen. Besonders der Einzelhandel und das Verwaltungswesen stehen auf der Kippe.

Blickt man nach Amerika und China, steckt Deutschland in Bezug auf KI und die digitalen Möglichkeiten noch in den Kinderschuhen. Dass dich mittlerweile veganer Fleischersatz und menschliches Gewebe mit dem 3-D-Drucker herstellen lassen, ist einerseits unglaublich und andererseits auch etwas gruselig. Die Techgiganten Amazon, Apple & Co dominieren den Markt und führen durch ihre Innovationen zum Umdenken. Vieles lässt sich bereits heute per App steuern, ob Bestellungen, Bankgeschäfte oder das eigene Heim. Auch wenn man dieser Entwicklung skeptisch gegenüber steht, so kann man sie auch nicht ignorieren, weil man sonst abgehängt wird.

Schwedlers Lektüre empfand ich als ungemein aufschlussreich und inspirierend. Er argumentiert optimistisch, ideenreich und zeigt Chancen des beruflichen Wandels, wie eine bessere Work-Life-Balance und wegfallende Hierarchien, auf. Seine Weblinks zu Online-Fortbildungsseiten wie Plattformen, welche zukunftsfähige Berufsfelder auflisten, fand ich persönlich wie beruflich sehr hilfreich. Schwedlers Plädoyer für fächerübergreifendes, kreatives wie kritisches Denken goutiere ich. Auch den Wandel innerhalb der Fehlerkultur erachte ich als längst überfällig, wenn man wirtschaftlich wie gesellschaftlich vorankommen will. Zudem muss auch ein Umdenken in Bildung und Schule her. Schwedler fordert zurecht, dass Talente individuell gefördert und nicht alle Schüler gleichförmig beschult werden sollten.

Gleichwohl ich nicht alle technische Entwicklungen, wie z. B. Neuralink oder Cyborg, gutheiße, mir die menschliche Komponente allzu häufig ins Abseits gerät und bestimmte Berufe aussterben werden, bin ich gespannt auf die Arbeitswelt von morgen.

FAZIT
Ein gut zu lesendes Buch über New Work, das zum Nachdenken wie Umdenken führt. Wer wissen will, wie unsere Arbeitswelt in ein paar Jahren aussehen wird, dem empfehle ich die Lektüre dieses sehr gut aufbereiteten Sachbuchs.

Bewertung vom 10.04.2022
Die hundert Jahre von Lenni und Margot
Cronin, Marianne

Die hundert Jahre von Lenni und Margot


ausgezeichnet

Marianne Cronins Buch über die außergewöhnliche Freundschaft zwischen der 17-jährigen Lenni und der 83-jährigen Margot hat mich zu Tränen gerührt.

An sich handelt dieser Roman von einem ernsten Thema, nämlich dem Tod. Lenni und Margot lernen sich im Glasgow Princess Royal Hospital bei einem Zeichenkurs kennen. Sie sind beide todkrank und beschließen, die ihnen noch verbliebende Zeit zu nutzen, um Lebensbilder zu malen, wobei Lenni mangels Talents in die Erzählerrolle schlüpft. Gemeinsam sind sie 100 Jahre alt (vgl. Titel) und lassen ihrer beider Leben noch einmal Revue passieren.

Lenni ist eine aufgeweckte junge Frau, die gern den Krankenhauspastor Arthur mit ihren Fragen über den Tod herausfordert und so versucht, mit der eigenen niederschmetternden Diagnose fertig zu werden. Ihre Mutter ist tot und ihr Vater nur sporadisch zu Besuch, so dass Margot und Arthur zu ihren Ersatzeltern mutieren.

Margot hat viel erlebt. Die Entbehrungen des Krieges, den Tod ihrer Kinder und die Liebe zu einer Frau.

Die Autorin hat mit Margot und Lenni zwei sympathische und vor allem starke Hauptcharaktere geschaffen, die sich trotz ihrer tödlichen Erkrankung nicht aufgeben, sondern durch ihre Freundschaft wachsen und ihr Schicksal leichter annehmen. Es menschelte überall und lachen war durchaus erlaubt. Sodann geriet die an sich todtraurige Story zu einer hoffnungsvollen Hommage ans Leben.

Cronins Geschichte ist für mich die erste überzeugende belletristische Neuentdeckung des Lesefrühjahrs 2022.

Bewertung vom 03.04.2022
Was Politiker nicht sagen
Gysi, Gregor

Was Politiker nicht sagen


ausgezeichnet

Der linke Vollblutpolitiker Gregor Gysi untersucht in seinem neuesten Buch gewohnt eloquent und scharfzüngig die politische Rhetorik. Von den Anfängen in der griechischen Antike bis in die Gegenwart spürt er Eigenheiten, wie die Demagogie und die Kunst des Nichtsagens, und Unterschiede, wie z. B. den Wandel von der Debattenkultur zur digitalen Selbstinszenierung, innerhalb des Politikersprechs auf.

Für sprachaffine wie politikinteressierte Leser bietet dieses Büchlein vergnügliche Lesestunden. Wer allerdings die in den letzten Jahren erschienenen Bücher von Gregor Gysi (vgl. Ein Leben ist zu wenig, Marx & wir, Gysi vs. Sonneborn) kennt, wird einige Wiederholungen ausmachen und nicht viel Neues erfahren. Gleichwohl ist und bleibt Gysi ein brillanter Rhetoriker und launiger Erzähler, der sich gern auch mal selbst beweihräuchert, indem er diese Lektüre mit ausgewählten, einst gehaltenen Reden über Afghanistan und Edward Snowden abschließt.

Ich finde dieses Buch wichtig, weil es zeigt, dass die heutigen Politiker mehr und mehr am Volk vorbei argumentieren und lieber schweigen als anzuecken. Die Kunst der Rede beherrschen nur wenige von ihnen, auch weil es gerade einmal einen einzigen Lehrstuhl für Rhetorik in Deutschland gibt. Gregor Gysi gibt aber auch Verbesserungstipps. So sollten Politiker auch etwas zu sagen haben, wenn sie ans Rednerpult treten und nicht nur hohle Phrasen dreschen. Das Kämpferische und die Verständlichkeit vermisse ich am meisten. Lieber tummeln sich die Politiker in Talk-Shows und steigern so ihre Popularität und ihren Geldbeutel.

Sympathisch war mir Gysi immer dann, wenn es persönlich wurde und er gegen den Genderwahn oder die Deklarierung der DDR als Unrechtsstaat wetterte. Als studierter Rechtsanwalt wagt er stets den Blick aufs große Ganze und hat noch dazu immer eine eigene Meinung.

FAZIT
Ein typisches Gysi-Buch, das streitbar, anekdotenreich und aufrüttelnd zugleich ist.