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Benutzername: 
westeraccum
Wohnort: 
Sauerland

Bewertungen

Insgesamt 208 Bewertungen
Bewertung vom 16.05.2019
Bell und Harry
Gardam, Jane

Bell und Harry


ausgezeichnet

Jane Gardams Buch ist für mich bisher das Buch des Jahres.
In neun einzelnen Geschichten über mehr als zwanzig Jahre erzählt sie vom Bauernsohn Bell und seinem aus London stammenden Freund Harry, der seine Ferien immer auf einer Farm in der Nähe von Bell verbringt. Über viele Jahre hinweg erleben die beiden Jungen gemeinsame Abenteuer und Gefahren, doch die größte Gefahr - und eine Überraschung - wartet in der letzten Geschichte.
Jane Gardam schreibt sehr bedächtig, auf den Stil muss man sich einlassen können. Doch manche der Geschichten sind auch sehr witzig und skurril, ich musste öfters laut lachen. Genau diese Mischung macht die Qualität des Buches aus, das schon 1981 geschrieben wurde. Es entführt in eine Zeit, als Landwirtschaft noch bäuerlich geprägt war und nicht vom Profitstreben großer Konzerne bestimmt wurde, als die Menschen noch an Geister und Sagen und nicht an Fake News glaubten, und ich finde es einfach bezaubernd, ein Wort, das mir nur selten in den Sinn kommt. Aber hier passt es!

Bewertung vom 01.05.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Es kommt selten vor, das ich ein Buch in einem Rutsch weglese, aber bei diesem Buch ist es mir gelungen.
Helikopter-Eltern sind ja eine Plage, aber eine russische Helikopter-Großmutter - das ist der Supergau! Der kleine Max ist mit einer solchen Oma gesegnet, sie und der Großvater sind wegen des kleinen Jungen aus der Sowjetunion nach Deutschland ausgewandert. Angeblich ist Max ein schwacher, debiler Irrer, der wegen der Bakterien nichts anfassen und nichts essen darf, was seine Oma ihm nicht selbst zubereitet und püriert hat. Das wird natürlich schwierig, als er in die deutsche Schule gehen soll. Es gibt Erleichterung, als die Familie die Klavierlehrerin Nina und ihre Tochter Vera kennen lernt. Doch dann verliebt sich der Großvater unsterblich in Nina und das Unheil nimmt seinen Lauf...
Das Buch ist so leicht und lustig und dramatisch und traurig geschrieben, dass man es kaum weglegen kann. Max berichtet als Ich-Erzähler aus seiner kindlichen Perspektive, das ist naiv und manchmal altklug, ab und zu aber auch richtig böse. Ein echtes Lesevergnügen, ohne jemals platt oder ordinär zu sein!

Bewertung vom 13.04.2019
Golden Cage. Trau ihm nicht. Trau niemandem / Golden Cage Bd.1
Läckberg, Camilla

Golden Cage. Trau ihm nicht. Trau niemandem / Golden Cage Bd.1


ausgezeichnet

Faye ist mit Jack verheiratet, sie haben eine kleine Tochter namens Julienne. Nach außen ist alles okay, doch bald stellt sich heraus, dass Faye in einem goldenen Käfig lebt. Sie hat viel Geld, doch wirklich glücklich ist sie nicht, denn Jack versteht es geschickt ihr jegliches Selbstbewusstsein zu nehmen. Sie fühlt sich hässlich und fett. Als sie merkt, dass Jack eine Affäre hat, will sie Rache. Und die will sie nicht zum ersten Mal...
Erst nach und nach erfährt der Leser, dass Faye ein anderes Leben vor der Ehe hatte. Damals hieß sie noch Mathilda, ihr Vater war gewalttätig und sitzt wegen Mordes im Gefängnis, ihr Bruder brachte sich um. Sie verließ ihre Heimatstadt und beim Studium an der Stockholmer Handelshochschule lernte sie Jack kennen. Beide bauten zusammen mit einem Freund eine erfolgreiche Firma auf und kamen zu viel Geld und Ansehen, die Stockholmer Society liebt sie.
Anfangs liest sich das Buch wie die üblichen Frauenromane: eine Frau wird seelisch unterdrückt und will sich rächen. Doch dann merkt man, dass Läckberg mehr kann als die üblichen Krimischriftsteller, denn der Plot ist sehr raffiniert aufgebaut und hält die Spannung bis zum überraschenden Ende.
Schon auf der ersten Seite fragt man sich, was aus diesem Geschehen noch werden kann.
Das Buch hat drei verschiedene Teile, die geschickt miteinander verwoben sind: da ist zuerst einmal Fayes Geschichte, die in der dritten Person erzählt wird. Dann gibt es Erinnerungen an Fayes Zeit mit ihren Eltern, die in der Ich-Form geschrieben und durch Überschriften gekennzeichnet sind. Und dann sind da die geheimnisvollen kurzen, kursiv gesetzten Einsprengsel, die auf ein Geschehen hinweisen, das der Leser noch nicht entschlüsseln kann.
Ein wirklich guter Krimi, den man mit Freude liest!

Bewertung vom 12.04.2019
Die Angehörigen
Dion, Katharine

Die Angehörigen


gut

Gene hat seine Frau Maida verloren, mit der er lange verheiratet war und mit der er eine gemeinsame Tochter und eine Enkelin hat.
Er durchlebt die üblichen Phasen der Trauer, seine Tochter hilft ihm bei der Organisation einer Trauerfeier, seine Freunde Ed und Gayle unterstützen ihn in den täglichen Belangen. Als er eine Haushälterin einstellt, beginnen die beiden eine kurze Liebesbeziehung. Doch dann verlässt sie ihn und Gene zieht sich in die Einsamkeit einer Hütte am See zurück, in der er glückliche Stunden mit seiner Familie und seinen Freunden verbracht hat, und denkt über sein Leben nach. Das Ende bleibt offen.
In diesem Buch passiert sehr wenig, es besteht vorwiegend aus den Reflexionen Genes über die Vergangenheit. Manchmal fand ich das Buch sehr ermüdend und langatmig.
Der Stil erinnerte mich an die Bücher von Meg Wollitzer, ohne aber deren Klasse zu erreichen. Man muss sich für dieses Buch Zeit nehmen, aber es hat mich nicht ganz überzeugt.

Bewertung vom 07.04.2019
Schatten der Toten / Judith Kepler Bd.3
Herrmann, Elisabeth

Schatten der Toten / Judith Kepler Bd.3


sehr gut

Ein Buch mit über 600 Seiten spannend und fast ohne Durchhänger zu schreiben, das schafft kaum ein Krimiautor. Elisabeth Herrmann ist es aber gelungen.
Im dritten Band ihrer Reihe um die Tatortreinigerin Judith Kepler kommt es zum Showdown. Judith sucht noch immer ihren Vater, den Waffenhändler Larcan und nimmt eine neue Spur auf, die nach Odessa führt. Aber auch die LKA-Mitarbeiterin Isa Kellermann sucht den Mann und will ihm eine Fall stellen, denn er hat auch Isas Mutter ins Unglück gestürzt. In Odessa spitzen sich die Ereignisse zu, nicht alles läuft wie geplant.
Es ist hilfreich, wenn man die beiden Vorgängerbände kennt, denn viele Ereignisse beziehen sich darauf, allerdings kann man das Buch auch "solo" lesen.
Herrmann schreibt sehr präzise, raffiniert, aber auch anspruchsvoll. Der Romanaufbau ist sehr raffiniert, lässt den Leser aber nie den Faden verlieren. Die Ereignisse in der früheren DDR sind gut recherchiert und nachvollziehbar.
Ein wirklich lesenswerter und spannende Krimi mit geschichtlichem und aktuellem politischen Hintergrund.

Bewertung vom 23.03.2019
Bella Ciao
Romagnolo, Raffaella

Bella Ciao


ausgezeichnet

Giulia und Anita wachsen gemeinsam in einem kleinen Ort im Piemont auf. Während Giulia zusammen mit ihrer harten Mutter in Armut lebt, findet sie bei Anitas Familie Zuwendung und Wärme. Doch dann entzweien sie sich, denn sie lieben den selben Mann und Giulia entschließt sich nach Amerika auszuwandern. Erst nach über 45 Jahren kehrt sie zurück. Da ist der Zweite Weltkrieg gerade zu Ende gegangen und Giulia kommt in ein zerstörtes Land.
Vor dem Hintergrund der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfaltet Raffaella Romagnolo die Geschichte von zwei Familien mit allen ihren Höhen und Tiefen. Während Giulia in New York einen guten Mann findet und mit ihm zusammen eine Kette von Läden aufbaut, erlebt Anita zwei Weltkriege mit und muss um ihren Sohn und viele andere Familienangehörige trauern.
Das Buch hat mich sehr bewegt, das harte Leben der einfachen Menschen, die Niedertracht der Ausbeuter, die sich ihre Taschen vollstopfen, ohne die Not der kleinen Leute zu sehen, das Leid der Kriege, alles beschreibt Romagnolo intensiv und detailreich. Ihren Schreibstil fand ich gut lesbar, allerdings auch anspruchsvoll. Kein Buch für nebenbei, denn man muss sich bei der Vielzahl von Figuren schon konzentrieren.
Das Titelbild ist wie immer bei Diogenes sehr gelungen, eine vornehme Frau, die kühl und distanziert in ihre eigenen Vergangenheit zurückblickt und alle wichtigen Fragen des Lebens stellt.
Zuerst hat mich der Titel des Buches etwas befremdet, aber dann erfuhr ich, dass es sich um ein altes Lied der Partisanen im Kampf gegen den "Duce" handelt und das passt dann wieder.
Insgesamt ist dies ein Buch, das ich jedem ans Herz lege, der sich für die neuere Geschichte interessiert. Die Kombination von Historie und persönlichem Schicksal finde ich sehr gelungen und spannend, oft auch sehr berührend. Dabei ist das Buch sehr politisch und bildet ein Stück Zeitgeschichte sehr faszinierend ab.

Bewertung vom 19.03.2019
Was uns erinnern lässt
Naumann, Kati

Was uns erinnern lässt


sehr gut

Das Buch führt uns zurück in die Zeit der deutschen Teilung.
Familie Dressel besitzt ein Hotel direkt an der innerdeutschen Grenze auf dem Gebiet der DDR. Gäste dürfen nicht mehr zu ihnen hoch in den Thüringer Wald und man schikaniert die Familie, wo man nur kann, um sie zu einem Umzug zu bewegen. Kein fließendes Wasser, kein Krankenwagen und die Kinder müssen jeden Tag 6 km durch den Wald zur nächsten Bushaltestelle laufen. Doch dann fahren Lastwagen vor und die Familie wird zwangsweise umgesiedelt und enteignet.
Viele Jahre später stößt Milla auf die Überreste des Hotels und beginnt sich für die Vergangenheit zu interessieren. Die DDR ist längst Geschichte und die Dressels würden gern ihr Grundstück zurück erhalten.
Die Geschichte ist gut und die historischen Fakten stimmen, so weit ich das beurteilen kann. Leider schreibt Kati Naumann in einer etwas schlichten Sprache und nicht sehr differenziert. Das hat mich manchmal gestört. Die beiden parallel erzählten Zeitstränge sind gut auseinander zu halten. Die Personen agieren und sprechen manchmal etwas starr und formelhaft.
Insgesamt ist das Buch aber gut lesbar und sicherlich auch interessant für Leser, die die DDR nicht miterlebt haben.

Bewertung vom 02.03.2019
Rheinblick
Glaser, Brigitte

Rheinblick


sehr gut

Bonn im Jahr 1972. Willy Brandt hat die Bundestagswahl haushoch gewonnen, doch dann zwingt ihn einen Stimmbandoperation zum Schweigen und er kann die Koalitionsverhandlungen nicht leiten.
Um diesen politischen Hintergrund herum ist der Roman konzipiert. Hauptfiguren sind Hilde Kessel, die Wirtin des beliebten Lokals "Rheinblick", in dem viele Politiker verkehren, und Sonja Engel, die junge Logopädin, die Willy Brandt in der Klinik betreut und ihm das Sprechen wieder beibringen soll. Diese beiden starken Frauen kämpfen mit ihren Problemen, jede auf ihre eigenen Art und Weise. Um diese beiden Frauen sind verschiedene Personen drapiert und ergeben ein interessantes Tableau aus unterschiedlichen Charakteren und sogar ein Mordfall spielt eine Nebenrolle.
Da ich mich selbst noch gut an die Zeit erinnere und auch den Wahlsieg von Willy Brandt gefeiert habe, weckte das Buch bei mir viele Erinnerungen. Es bietet aber auch einen interessanten Einblick in den damaligen Politbetrieb mit Rainer Barzel, Helmut Schmidt und anderen historischen Figuren.
Brigitte Glaser schreibt spannend und unterhaltsam. Ihre Figuren sind lebendig und nahbar. Einige kleine Fehler (z.B. Zinkteller statt Zinnteller) verzeiht man ihr da gern.
Jetzt werde ich mir mal ihr erstes Buch "Bühlerhöhe" über die Adenauerzeit besorgen und auch das nächste verspricht gute Unterhaltung.

Bewertung vom 28.02.2019
Die Farben des Feuers / Die Kinder der Katastrophe Bd.2
Lemaître, Pierre

Die Farben des Feuers / Die Kinder der Katastrophe Bd.2


sehr gut

Das Buch beginnt wie ein Gesellschaftsroman aus den 1920er Jahren und steigert sich dann zu einer sehr spanenden Geschichte, die sich stellenweise wie ein Thriller liest.
Madeleine wächst in der sehr reichen Bankiersfamilie Pericourt auf, heiratet einen schönen Mann, bekommt den Sohn Paul - alles bestens, so denkt man. Doch das Unglück beginnt, als ihr Vater stirbt und ihr kleiner Sohn vor der Beerdigung aus dem zweiten Stock der Villa springt. Er bliebt sein Leben lang gelähmt, die Ehe ist schon lange gescheitert und der Kindsvater sitzt im Gefängnis.
Madeleine kümmert sich vorwiegend um ihren Sohn und weniger um die Finanzen der Bank. So ist es für den Prokuristen Gustave Joubert, Madeleines Onkel Charles und ihren ehemaligen Liebhaber Andre Delcourt ein Leichtes sie in den Ruin zu treiben und aus der feudalen Villa zu jagen. Doch Madeleine sinnt auf Rache und ist dabei sehr erfindungsreich...
Das Buch ist zwar anfangs verhalten, eine weitere Geschichte von reichen Leuten, aber dann wird es zu einem ganz spannenden Krimi. Das Vorgehen von Madeleine ist raffiniert, ihre Helfer sind einfallsreich und man möchte unbedingt wissen, ob sie ihr Ziel erreichen.
Anfangs musste ich mich erst orientieren und die zahlreichen Personen einordnen, doch das geht schnell besser und man findet gut in das Geschehen hinein. Man schwankt zwischen dem Mitleid für die arme Madeleine und dem für ihre Opfer, denen alles genommen werden soll.
Alles geschieht vor dem Hintergrund geschichtlicher Umwälzungen in den 1920er und 1930er Jahren, als die Welt sich dem Faschismus zuwendet und die heraufziehenden Gefahren nicht sieht.
Lemaitre schreibt zwar für meinen Geschmack etwas umständlich und sehr detailreich, aber auch daran gewöhnt man sich schnell. Ihm ist ein ganz fesselndes Portrait einer Gesellschaft am Abgrund gelungen!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.02.2019
Liebes Kind
Hausmann, Romy

Liebes Kind


ausgezeichnet

Es ist eine grausige Vorstellung: Vater, Mutter und zwei Kinder leben eingeschlossen in einer Waldhütte, nur der Vater hat Kontakte nach außen und lebt ein fast normales leben, der Rest der Familie ist von ihm absolut abhängig.
Erst als es der Mutter gelingt den Vater niederzuschlagen und zu fliehen, kommen die Kinder mit einem normalen Leben in Kontakt. Dabei ist Hannah, die Tochter, mit ihren 13 Jahren sehr klein und beide Kinder sind erschreckend blass, weil sie nie das Tageslicht gesehen haben. Dann stellt sich heraus, dass die "Mutter" nicht die leibliche Mutter der Kinder ist, sondern eine junge Frau, die vor einigen Monaten entführt wurde. Wo ist Lena, die echte Mutter? Ihr Vater Matthias dreht fast durch und macht viele Fehler im Umgang mit der Polizei und der Presse.
Das Buch erzählt die Geschichte der Hauptpersonen aus unterschiedlichen Perspektiven und spielt dabei gekonnt mit den Vorstellungen der Leser. Immer, wenn man glaubt die Handlung durchschaut zu haben, gibt es wieder ein überraschendes Detail, dass diese Vorstellung ins Wanken bringt. Das ist sehr gekonnt und erinnert an Jeffrey Deaver.
Insgesamt ein überraschend gekonnter Debütkrimi, bei dem man kaum glauben kann, dass es das erste Buch der Autorin ist.
Der Schluss ist etwas schwach, nicht alle Fäden werden entwirrt, aber das ist für mich der einzige Kritikpunkt.
Von Romy Hausmann kann man noch viel erwarten, wenn sie auf diesem Niveau weiterschreibt!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.