Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Bücherfreundin

Bewertungen

Insgesamt 265 Bewertungen
Bewertung vom 16.01.2023
Die Liebe an miesen Tagen
Arenz, Ewald

Die Liebe an miesen Tagen


sehr gut

Wunderbar erzählte Liebesgeschichte
Der Dumont Verlag hat "Die Liebe an miesen Tagen", den neuen Roman von Ewald Arenz veröffentlicht.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Clara Wagenbach. Sie ist Ende Vierzig, verwitwet und verdient ihren Lebensunterhalt als Zeitungsfotografin. Ihr Leben ändert sich, als sie von ihrem Arbeitgeber die Kündigung erhält.

Clara möchte das Haus, das sie mit ihrem Mann Paul bewohnte, verkaufen und lernt bei einem Besichtigungstermin Elias kennen. Elias ist Theaterschauspieler, beide sind auf Anhieb auf einer Wellenlänge, haben den gleichen Humor und sind voneinander angetan. Bei der Premiere eines neuen Theaterstücks treffen sie sich zufällig wieder und reden bis zum frühen Morgen. Elias, der einige Jahre jünger als Clara ist, trennt sich von seiner Freundin Vera. Clara und Elias verbringen eine unbeschwerte Zeit miteinander, bis Clara einen Brief vom Arbeitsamt erhält. Sie soll sich für die Leitung einer Fotoredaktion in einem Verlagshaus in Hamburg bewerben. Hamburg ist 600 km entfernt, und sie kennen sich doch erst so kurze Zeit .....

Auch diese Geschichte erzählt Ewald Arenz ganz wunderbar. Er ist ein großartiger Beobachter, und ich mag seinen ruhigen und sensiblen Sprachstil. Die Charaktere sind authentisch skizziert, und der Autor beschreibt meisterhaft die Liebe des nicht mehr ganz jungen Paares, aber auch seine Zweifel und das Hin- und Hergerissensein. Ewald Arenz lässt uns eintauchen in die Gefühlswelt seiner Protagonisten, und wir erleben ihre berührende Liebesgeschichte mit allen Höhen und Tiefen.

Sehr gut gefallen haben mir die sensiblen Schilderungen des Autors über die Demenzerkrankung von Claras Mutter. Hier wurde realistisch, aber auch durchaus liebevoll und humorvoll der Umgang der Familie mit der Mutter beschrieben.

Ich habe den Roman sehr gern gelesen, jedoch war mir die Geschichte im letzten Teil des Buches etwas übertrieben dramatisch und leider auch zu vorhersehbar.

Bewertung vom 13.01.2023
Frankie
Köhlmeier, Michael

Frankie


ausgezeichnet

Großartiger Roman über eine ungewöhnliche Großvater-Enkel-Beziehung
Der Hanser Verlag hat den neuen Roman des mit vielen Literaturpreisen ausgezeichneten österreichischen Autors Michael Köhlmeier veröffentlicht.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Gymnasiast Frank Thaler. Der 14jährige lebt gemeinsam mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung in Wien. Der Vater hat die Mutter bereits vor Jahren verlassen, Frank sieht ihn selten. Mutter und Sohn stehen sich sehr nahe, sie kochen gern und sehen sich im Fernsehen gemeinsam Filme an. Die Mutter verdient den Lebensunterhalt als Schneiderin und Garderobenfrau in der Volksoper.

Frank und seine Mutter holen den Großvater Ferdinand vom Gefängnis ab, wo dieser eine 18jährige Freiheitsstrafe verbüßte und nun wegen guter Führung vorzeitig entlassen wird. Der 71jährige wohnt für einige Tage bei der kleinen Familie, ehe er eine eigene Wohnung bezieht. Die Mutter weigert sich, Frank zu erzählen, weshalb der Großvater im Gefängnis war. Ferdinand ist barsch und unfreundlich zu seinem Enkel und wird sogar handgreiflich. Frank, vom Großvater nur Frankie genannt, hat wie seine Mutter Angst vor diesem, gleichzeitig aber übt Ferdinand eine große Faszination auf den Jungen aus. Eines Abends steht Ferdinand vollkommen unerwartet vor Franks Bett, und gemeinsam verlassen sie die Wohnung. Eine gemeinsame Reise beginnt, die Franks Leben verändern wird .....

Das Buch ist in der Ich-Form aus Franks Perspektive erzählt und hat mich von Anfang an fasziniert. Frank lässt uns teilhaben an seinem Alltag und seiner Gedankenwelt, aber auch an seinen Ängsten. Wir erleben, wie er sich nach anfänglicher Zurückhaltung immer mehr seinem Großvater annähert und sich von diesem manipulieren lässt. 

Michael Köhlmeier ist es gelungen, die unterschiedlichen Charaktere authentisch und bildhaft zu zeichnen: den naiven und ängstlichen Frank, seine liebevolle Mutter, die sich vor ihrem Vater fürchtet - und den bösartigen und manipulativen Großvater, der sich sehr schnell durch andere provozieren lässt.
Das Buch ist in ganz wunderbarer und klarer Sprache geschrieben, ich konnte es kaum aus der Hand legen. Das Ende der Geschichte mag manche Leser enttäuschen, weil offene Fragen zurückbleiben. Mir hat es gefallen, da es dem Leser viel Raum für eigene Gedanken lässt. 

Klare Leseempfehlung für diesen klugen und anspruchsvollen Roman!

Bewertung vom 08.01.2023
Wehrlos
Benrath, Nora

Wehrlos


sehr gut

Spannender Thriller mit wichtiger Thematik
Im neuen Thriller von Nora Benrath wird der Albtraum jeder Mutter Wirklichkeit. Nele ist vier Jahre alt, als sie an einem kalten Wintertag auf dem Spielplatz von einem fremden Mädchen im Grundschulalter in ein Spiel verwickelt und entführt wird. Ihre Mutter Mieke Ganter ist nur kurz durch ihr Handy abgelenkt, als es passiert. Sie bemerkt sofort, dass Nele nicht in ihrer Nähe spielt und sucht sie. Aber sie kommt zu spät, sie sieht nur noch den dunklen Wagen davonfahren, in den ihre Tochter gezerrt wurde. Ein furchtbarer Albtraum beginnt für die junge Frau, der in diesem Moment noch nicht klar ist, dass sie selbst mit ihrem Verhalten zu der Entführung beigetragen hat.
Zehn Minuten später sind die beiden Polizisten Ben Andersen und Imke Hansen vor Ort und beginnen mit den Ermittlungen und Befragungen ...

Das Buch ist sehr klar strukturiert durch überwiegend kurze Kapitel, die mit Angabe des jeweiligen Tages, der Uhrzeit und dem Handlungsort versehen sind. Diese Kapitel sind wechselweise aus Sicht unterschiedlicher Personen geschrieben. So tauchen wir ein in die Gedankenwelt von Neles Mutter, Nele, verschiedenen Nachbarn, der Polizei, aber auch in die der an der Entführung beteiligten Personen. Und nach und nach erfahren wir immer mehr über die Hintergründe der Entführung.

Die Geschichte wird flüssig und rasant erzählt. Sie ist von Beginn an äußerst fesselnd mit beständig hohem Spannungsbogen. Der Autorin ist es gelungen, die Charaktere authentisch und bildhaft zu zeichnen. Der Leser lernt neben der Familie von Nele und den beiden Ermittlern etliche Verdächtige kennen, gekonnt legt die Autorin falsche Fährten. Das Ende ist für mich vollkommen überraschend. Allerdings finde ich es sehr schade, dass doch einige Punkte ungeklärt bzw. Fragen unbeantwortet bleiben.

Einmal mehr wird durch dieses Buch auf die Gefahren hingewiesen, die das sorglose Zurschaustellen und Vermarkten von Kindern durch die eigenen Eltern in den sozialen Medien mit sich bringt. Eine wichtige Botschaft!

Bewertung vom 05.01.2023
Ginsterhöhe
Caspari, Anna-Maria

Ginsterhöhe


sehr gut

Beeindruckende Geschichte über ein kleines Dorf in der Eifel
"Ginsterhöhe" ist mein erstes Buch von Anna-Maria Caspari. Das schöne und schlichte Cover spiegelt die Zeit wider, um die es in dem Buch geht, der Klappentext sprach mich an, und ich bin nicht enttäuscht worden.

Der historische Roman verknüpft die Geschichte des Dorfes Wollseifen, das es tatsächlich gegeben hat, mit dem Leben der Dorfbewohner.
Im Zentrum des Romans steht der junge Bauer Albert Lintermann. Wir schreiben das Jahr 1919, als er aus dem Krieg in sein kleines Heimatdorf in der Eifel zurückkehrt. Er ist nicht nur körperlich versehrt und abgemagert, auch die erlittenen Kriegstraumata belasten ihn. Der Empfang auf dem Bauernhof durch seine Ehefrau Bertha ist eher frostig. Er ist nicht mehr der gutaussehende Mann, in den sie sich vor Jahren verliebt hatte. Bertha fühlt sich von seinem entstellten Gesicht abgestoßen, und das zeigt sie ihm. Im Laufe der Zeit kommen die beiden sich wieder näher, und die Kunst der Wiederherstellungschirurgie verhilft Albert nicht nur zu einem fast normalen Aussehen, sondern auch zu mehr Selbstbewusstsein.
Eine weitere tragende Rolle in dem Roman spielt Leni, die junge Verlobte von Alberts Freund Hennes, der während des Krieges ums Leben gekommen ist.

Das Dorfleben ändert sich gravierend, als Hitler Reichskanzler wird und auf Anregung des Gutsbesitzers Johann Meller in der Nähe ein Reichsschulungszentrum errichtet wird .....

Die Geschichte ist in drei Teile gegliedert und umfasst den Zeitraum zwischen 1919 und 1949.
Im ersten Teil beschreibt die Autorin die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Ersten Weltkrieg. Es sind harte Jahre, das Geld verliert ständig an Wert, und die Dorfbewohner kämpfen ums Überleben.
Der Schwerpunkt des zweiten Teils liegt auf der politischen Situation der dreißiger Jahre. Hitler ist Reichskanzler, und auch im Dorf treten Bewohner in die NSDAP ein. Durch den Bau des Reichsschulungszentrums erlangt Wollseifen einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Der dritte Teil behandelt die Kriegsjahre und die Jahre danach. Obwohl viele Dorfbewohner Angehörige durch Luftangriffe und Kriegseinsätze verloren haben, bleibt ihr Wunsch, Wollseifen wieder aufzubauen, ungebrochen.

Das Buch mit seinem geschichtlichen Hintergrund ist packend geschrieben und hervorragend recherchiert. Es hat mir sehr gut gefallen, ich mochte den ruhigen und sprachlich sehr ansprechenden Erzählstil. Der Autorin ist es gelungen, die Charaktere authentisch und lebensnah zu zeichnen. Es fehlte mir allerdings an Emotionen, die findet man höchstens zwischen den Zeilen. Die Handlung beinhaltet die Ereignisse von drei Jahrzehnten, daher gibt es viele Zeitsprünge. Über einige Protagonisten hätte ich gern mehr gelesen, z.B. über Hildegard und den Lehrer Martin Faßbender, der in seinen interessanten Tagebuchaufzeichnungen über seine Ansichten und Erlebnisse, das Dortleben sowie die Geschehnisse der damaligen Zeit Zeugnis ablegte.
Sehr gut gefallen hat mir auch die ausführliche Schilderung des täglichen Lebens vor 100 Jahren auf einem Bauernhof mit allen Gegebenheiten und auch Schwierigkeiten, mit denen die Bauern zu kämpfen hatten.

Im Nachwort wird verraten, dass "Ginsterhöhe" der erste Teil einer Trilogie ist. Ich freue mich auf den nächsten Band!

Bewertung vom 04.01.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

Intelligent und mit feinem Humor erzählte Autobiographie
Mit "Das glückliche Geheimnis" legt Arno Geiger sein erstes autobiographisches Buch vor. Er beschreibt darin mit großer Offenheit seinen Werdegang als Schriftsteller. Er ist 24 Jahre alt, Student, lebt in Wien in einem heruntergekommenen Haus und verfügt nur über begrenzte finanzielle Mittel. Um seinen Hunger nach Lesestoff zu stillen, beginnt er, die Papiercontainer in der Umgebung nach entsorgten Büchern zu durchsuchen. Dabei ist er sehr erfolgreich und begibt sich nun einmal wöchentlich für einige Stunden auf die Suche. Mit dem anschließenden Verkauf der Bücher auf dem Flohmarkt sichert er seinen bescheidenen Lebensstandard. Aber es sind nicht nur Bücher, die ihn interessieren, auch Tagebücher und Briefe begeistern ihn. In ihnen findet er unzählige Anregungen für seine Bücher.

Mit feinem Humor erzählt der mit zahlreichen Buchpreisen ausgezeichnete Autor seine Geschichte. Es geht nicht nur um unzählige Streifzüge durch Wien, sondern auch um seine Liebesbeziehungen, den so lange herbeigesehnten Aufstieg als Schriftsteller und den Umgang mit den Eltern. Die Schilderung über die Demenzerkrankung des Vaters hat mich so berührt, dass ich mir spontan sein Buch "Der alte König in seinem Exil" gekauft habe, in dem er die gemeinsame Zeit mit seinem Vater während dessen Erkrankung beschreibt.

Arno Geiger gewährt uns Einblicke in den Alltag eines Schriftstellers und in die Entstehungsgeschichten seiner Bücher, darüber hinaus verschweigt er aber auch nicht die Probleme mit dem Verlag und den Stress, der mit seiner plötzlich auftretenden Berühmtheit und den zahlreichen Lesereisen verbunden ist. Diesem Stress entflieht er durch erneute Sammeltouren.

Ich habe das großartige Buch über das glückliche Geheimnis des Autors, sein Leben und seine philosophischen Betrachtungen zu unterschiedlichen Themen mit sehr viel Freude gelesen - von mir klare Leseempfehlung und 5 Sterne!

Bewertung vom 29.12.2022
Das College
Ware, Ruth

Das College


sehr gut

Tod eines It-Girls - spannend und fesselnd
"Das College" ist der erste Thriller von Ruth Ware, den ich gelesen habe. Das Cover ist aufwendig und sehr schön gestaltet, und der Klappentext hat mich sofort angesprochen. Ich wurde nicht enttäuscht.

Im Mittelpunkt des Buches steht Hannah Jones, die 10 Jahre zuvor im Pelham College der Universität Oxford ankommt, um Literatur zu studieren. Hier wird für die kommenden drei Jahre ihr Zuhause sein. Sie lernt die attraktive April kennen, mit der sie sich eine Wohnung teilt. April ist die verwöhnte und selbstbewusste Tochter eines reichen Vaters, die beiden werden sehr schnell Freundinnen. Gemeinsam mit Will, Hugh, Ryan und Emily bilden sie bald eine verschworene Clique. Nachdem Hannah eines Abends nach einer Theateraufführung April tot in der Wohnung auffindet, wird aufgrund ihrer Aussage der Pförtner John Neville wegen Mordes verhaftet und zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt.

Wir begegnen Hannah 10 Jahre später wieder. Sie arbeitet in einer Buchhandlung, ist glücklich verheiratet und erwartet ihr erstes Kind. Von ihrer Mutter erfährt sie, dass Aprils Mörder im Gefängnis an einem Herzinfarkt verstorben ist. Er hat immer wieder beteuert, für die Tat nicht verantwortlich zu sein, und nun gibt es auch aufgrund der Informationen eines Journalisten erhebliche Zweifel an seiner Schuld. Hannah, die den Tod ihrer Freundin nie verarbeitet hat, beginnt mit der Suche nach der Wahrheit. Hierbei begibt sie sich selbst in große Gefahr .....

Ich mag ruhige und anspruchsvolle Thriller ohne blutiges Gemetzel, in denen sich die Spannung langsam aufbaut. "Das College" ist ein Thriller, wie ich ihn liebe. Er besteht aus zwei Handlungssträngen, auch das mag ich sehr. Die Geschichte ist intelligent und flüssig erzählt, die ausführliche Beschreibung der Personen fand ich sehr gelungen und bildhaft. Auch die intensive Schilderung des Collegealltags der Studienanfänger hat mir sehr gut gefallen.
Die Autorin hat die Charaktere sehr authentisch gezeichnet. Hannah war mir auf Anhieb sympathisch, ich habe ihre Angst bei den Begegnungen mit John Neville sehr gut nachempfinden können. Für die egozentrische und manipulative April hingegen habe ich keine Sympathie empfinden können.

Der Thriller ist auf zwei Zeitebenen erzählt, das Davor spielt in der Zeit vor dem Mord, das Danach im Hier und Jetzt. Das Davor wird in der Vergangenheitsform erzählt, das Danach in der Gegenwartsform. Dadurch ist zu Beginn eines neuen Kapitels immer sofort erkennbar, um welche Zeitschiene es sich gerade handelt.

Ich fand das lesenswerte Buch sehr spannend, habe mich gern in die Irre führen lassen und war bis zum überraschenden Ende gefesselt.

Bewertung vom 12.12.2022
NIGHT - Nacht der Angst
Sager, Riley

NIGHT - Nacht der Angst


weniger gut

Das Buch konnte mich leider nicht begeistern
Von Riley Sager habe ich bisher noch kein Buch gelesen, aber sowohl das Cover als auch der Klappentext seines neuen Thrillers "Night" haben mich sehr neugierig gemacht.

Wir schreiben das Jahr 1991. Die junge Studentin Charlie möchte nach Hause, um Thanksgiving mit ihrer Großmutter Norma zu feiern. Da passt es gut, dass sie beim Anbringen ihres Mitfahrgesuchs am Schwarzen Brett der Uni Josh kennenlernt, der ihr eine Mitfahrgelegenheit anbietet. Sie nimmt das Angebot an, obwohl sie vorsichtig sein müsste. Ihre beste Freundin Maddy, mit der sie sich im Studentenwohnheim ein Zimmer teilte, ist zwei Monate zuvor auf gewaltsame Art ums Leben gekommen. Ihr Mörder ist bisher nicht gefasst worden.
Robbie, Charlies Freund, bringt sie am Abend zum Treffpunkt, und es ist klar, dass der Abschied der beiden das Ende ihrer Beziehung bedeutet. Charlie wird ihr Studium aufgeben und nicht wieder zurückkehren, zu sehr vermisst sie ihre Freundin, an deren Tod sie sich schuldig fühlt.
Charlie hat zwar Bedenken, mit dem Fremden zu fahren, aber der Wunsch, fortzukommen, überwiegt, und sie setzt sich in Joshs Auto. Die beiden unterhalten sich, und nachdem Charlie Widersprüche und Unstimmigkeiten in Joshs Äußerungen bemerkt, gerät sie in Panik. Ist Josh vielleicht der gesuchte Campus-Killer?

Das Buch, das die Geschehnisse einer einzigen Nacht erzählt, ist spannend, der Schreibstil ist sehr angenehm und liest sich flüssig. Die Handlung spielt zum überwiegenden Teil in Joshs Auto. Die Gespräche zwischen Charlie und Josh werden unterbrochen durch Charlies "Filme im Kopf" und Halluzinationen, unter denen sie leidet. Seit dem Tod der Eltern vor einigen Jahren sieht sie diese Filme in ihrem Kopf und kann Realität nicht von Phantasie unterscheiden.

Ich hatte große Probleme mit der Protagonistin. Charlie wirkte auf mich äußerst unglaubwürdig, ebenso ihr Verhalten in einigen Situationen. Es mangelt ihr an gesundem Menschenverstand, mehrmals trifft sie falsche Entscheidungen. Der Personenkreis der Verdächtigen ist überschaubar, was die Identität des Mörders relativ früh erahnen lässt. Das Finale fand ich stark überzogen, ebenso das Tatmotiv. Das in kursiver Schrift geschriebene Schlusskapitel des Buches empfand ich als kitschig.

Charlie hat eine Vorliebe für Filme, die verschiedenen Ausflüge in die Filmwelt haben mir gut gefallen.
Der Thriller war in weiten Teilen spannend, es gab einige Wendungen und unerwartete Entwicklungen, aber begeistern konnte er mich leider nicht.

Bewertung vom 06.12.2022
Der Strand - Vermisst / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.1
Sander, Karen

Der Strand - Vermisst / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.1


weniger gut

Spannender Thriller, der leider vollkommen abrupt und ohne Auflösung endet
Der Rowohlt Verlag hat "Der Strand - Vermisst", den ersten Band einer Trilogie von Karen Sander um die Ermittler Tom Engelhardt und Mascha Krieger, veröffentlicht. Die Autorin hat bereits unter ihrem bürgerlichen Namen Sabine Klewe zahlreiche Kriminalromane geschrieben. Hier stellt sich mir die Frage, warum sie die Trilogie nicht auch unter ihrem realen Namen geschrieben hat.

Das Buch beginnt damit, dass Cornelia, Mutter einer kleinen gehörlosen Tochter namens Lilli, sich auf die heimliche Verabredung mit einer Internetbekanntschaft am Strand vorbereitet. Das 5 Monate alte Baby wird währenddessen von den ahnungslosen Großeltern betreut, bei denen Cornelia seit kurzem wieder wohnt.
19 Jahre später:
Kriminalhauptkommissar Tom Engelhardt bekommt einen Anruf, dass Lilli Sternberg verschwunden ist. Die inzwischen 19jährige Gehörlose arbeitet in einer Gärtnerei als Floristin und war mit ihrer Freundin Fabienne Mauritz nachmittags am Weststrand verabredet, ist dort allerdings nie erschienen. Tom leitet die Suche nach der Verschwundenen. Nachdem Fabienne von Lilli ein Handyfoto mit geheimnisvollen Zeichen erhält, wird Tom die Kryptologin Mascha Krieger vom LKA Schwerin zur Seite gestellt, worüber er wenig begeistert ist ....

Die Geschichte wird flüssig in schönem Schreibstil erzählt. Sie ist sehr spannend, die Beschreibung der Charaktere finde ich sehr gelungen. Der Leser lernt neben den beiden Ermittlern etliche Verdächtige kennen, gekonnt legt die Autorin verschiedene Fährten. Am Ende passiert noch einiges, und dann endet das Buch ganz abrupt. Vieles bleibt offen, etliche Fragen unbeantwortet. Der Thriller hat mich enttäuscht und ratlos zurückgelassen. 

Im Nachwort erklärt die Autorin, dass die Handlung um Lilli auf drei Bände ausgelegt ist. Absolute Klarheit ist mithin also erst am Ende des dritten Bandes zu erwarten. Dieser Umstand war mir vor dem Lesen von  "Der Strand" nicht klar. Ich bin aufgrund des Klappentextes davon ausgegangen, dass die Trilogie um das neue Ermittlerteam aus drei unabhängig voneinander zu lesenden unterschiedlichen Kriminalfällen besteht. In einigen Onlineshops findet sich für den zweiten Band der Reihe der Hinweis, dass es sich um drei in sich abgeschlossene Thriller handelt. Dem ist jedoch nicht so.

Ich bin verärgert und enttäuscht - die beiden weiteren Bände ("Der Strand - Verraten" und "Der Strand - Vergessen"), die im März und Juni des kommenden Jahres erscheinen, werde ich mit Sicherheit nicht lesen. Leseempfehlung von mir nur für die Leser, denen klar ist, dass sie alle drei Teile der Trilogie lesen müssen, um - hoffentlich - alles über den Fall und seine Auflösung zu erfahren.

Bewertung vom 24.11.2022
Verbrenn all meine Briefe
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe


ausgezeichnet

Zutiefst berührender und beeindruckender Roman
Der dtv Verlag hat "Verbrenn all meine Briefe", den neuen Roman des schwedischen Autors Alex Schulman, veröffentlicht. Nach der Lektüre seines ersten in deutscher Sprache erschienenen Buches "Die Überlebenden" war ich sehr neugierig auf sein neues Werk - und ich wurde nicht enttäuscht!
 
Der Autor Alex Schulman erkennt eines Tages, dass seine Frau Amanda und seine Tochter Frances Angst vor ihm haben. Er ist unbeherrscht und trägt eine Wut in sich, gegen die er etwas unternehmen muss. Alex beginnt mit einer Therapie und stellt dabei fest, dass es in der Verwandtschaft seiner Mutter stets viele Zerwürfnisse gegeben hat. Seine Recherchen ergeben, dass sein Großvater mütterlicherseits sehr aufbrausend war und diese Wut über Generationen hinweg auch an ihn vererbt hat.
 Alex befasst sich daraufhin intensiv mit der Lebensgeschichte seines Großvaters. Sven Stolpe war ein sehr erfolgreicher und bekannter Schriftsteller, dessen literarischen Nachlass Alex akribisch sichtet. Mit Hilfe der Tagebücher und zahlreicher Briefe setzt er das Puzzle zusammen und erfährt, dass seine Großmutter Karin sich im Sommer des Jahres 1932 in den jungen Geschichtsstudenten Olof Lagercrantz verliebte ....
 
Die Geschichte, die der Autor seiner Großmutter widmet, wird auf drei Zeitebenen erzählt.
Der Ich-Erzähler Alex erzählt auf der Gegenwartsebene aus dem Hier und Jetzt und erinnert sich auf der zweiten Zeitebene an die späten achtziger Jahre, als er als 12jähriger regelmäßig einmal im Monat mit dem Bus zu seinen Großeltern fuhr.
Auf der dritten Zeitebene steht das Leben der Großeltern im Mittelpunkt, hier ganz besonders der Sommer 1932.
 
Dem Autor ist es gelungen, in großartiger und intelligenter Sprache die drei Perspektiven zu einer spannenden und berührenden Geschichte zu verweben. Ich habe die Offenheit bewundert, mit der er seine Familiengeschichte erzählt. Mit viel Einfühlungsvermögen hat er nicht nur die tragische Liebe zwischen Karin und Olof beschrieben, sondern auch die Grausamkeiten, Demütigungen und die Eifersucht des cholerischen Großvaters. Die schmerzhafte und ergreifende Dreiecksgeschichte, die der Autor so intensiv und voller Mitgefühl für seine Großmutter erzählt, hat mich mitgerissen und zutiefst berührt.
 
Seine Suche nach der Wahrheit hat der Autor faszinierend und fesselnd beschrieben, ebenso die toxische Beziehung der beiden, die von psychischer Gewalt geprägt war. Die Charaktere sind ganz wunderbar und intensiv gezeichnet. Ich habe mit Karin und Olof mitgelitten und Sven aufs Tiefste verachtet. Selbst am Ende, als sich der Grund offenbarte, weshalb Sven zu dem Mann geworden war, der er war, konnte ich keinerlei Sympathie für ihn empfinden.
 
Das außergewöhnliche Buch, das mich noch lange beschäftigen wird, gehört für mich zu den Highlights dieses Jahres.
Von mir absolute Leseempfehlung und 5 Sterne!

Bewertung vom 20.11.2022
Die dunklen Sommer
Beverly-Whittemore, Miranda

Die dunklen Sommer


ausgezeichnet

Faszinierender und spannender Roman
Die amerikanische Autorin Miranda Beverly-Whittemore war mir bislang völlig unbekannt, das düstere Cover ihres neuen Romans "Die dunklen Sommer" hat mich nicht gerade angesprochen, dafür der Klappentext umso mehr. Ich war sehr neugierig auf das Buch, und ich bin nicht enttäuscht worden.

Die Geschichte beginnt mit einem Gespräch der Ich-Erzählerin Saskia mit ihrem kleinen Bruder William. Als die Elfjährige ihn kurz allein lässt, passiert etwas Schreckliches. Daraufhin muss der Vater ins Gefängnis, die Mutter geht nach Mexiko, und Saskia bleibt vorerst bei ihrer Großmutter. Aber ihr Aufenthalt dort ist nicht von Dauer, bald zieht sie zu Philip und Jane Pierce, Freunden der Familie. Philip ist Maler, Jane Geschäftsfrau, der gemeinsame Sohn heißt Xavier. Als Saskia 13 Jahre alt ist, fährt Philip mit ihr und Xavier in den Ferien nach Maine. Die Ferien entpuppen sich als ein dauerhafter Aufenthalt in einer Kommune, tief in den Wäldern Maines, die sich "Zuhause" nennt. Dort leben die Menschen als Selbstversorger und bewirtschaften das Land. Ihr Clanchef ist der charismatische Abraham, nach dessen Vorbild sich die  Bewohner "entdingen". Entdingen bedeutet, ohne die Anhäufung materieller Dinge zu leben.
Saskia lebt sich in der Gemeinschaft rasch ein, sie findet Beschäftigung und Erfüllung in der Küche, wo sie Sarah mit viel Freude beim Brotbacken hilft. Bald schließt sie sich Jugendlichen ihres Alters an und trifft auf Marta, die ihr umfassende Kenntnisse über die Natur vermittelt. Als der Fortbestand von Zuhause gefährdet ist, treffen die Jugendlichen eine folgenschwere Entscheidung.

Zwei Jahrzehnte später, Saskia lebt mittlerweile im Haus ihrer verstorbenen Großmutter, werden sie und ihre damaligen Freunde durch anonyme Drohriefe aufgefordert, gemeinsam nach Zuhause zurückzukehren ....

Die in ganz wunderbarem Sprachstil erzählte atmosphärische Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Die erste Zeitebene spielt im Hier und Jetzt, die zweite behandelt die Jahre seit der Tragödie und Saskias Jahre in Zuhause. Mit jedem der bisweilen sehr kurzen Kapitel wechseln sich die Zeitebenen ab. Anfangs ist ein wenig Konzentration erforderlich, um den größeren Personenkreis in Zuhause zu erfassen.
Der Alltag der Mitglieder der Kommune - sie nennen sich "die Behausten" wird sehr eindrucksvoll beschrieben. Erschreckend ist der starke Einfluss des Oberhauptes Abraham auf die Bewohner, ganz besonders auf die Jugendlichen. Der Autorin ist es gelungen, die unterschiedlichen Charaktere ganz großartig zu skizzieren.

Ich fand es faszinierend, Saskias Leben in der Kommune zu begleiten und ihre Entwicklung zu verfolgen. Die schönen Beschreibungen von Landschaft und Natur haben mir sehr gefallen. Der spannende und mystische Roman, der auch gleichzeitig ein Psychothriller ist, hat mich von Anfang an gefesselt und begeistert. Nach und nach kommt der Leser der Wahrheit näher, die schockierende Auflösung am Ende hat mich dennoch vollkommen überrascht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Buch, in dem es auch um Schuld, Trauer, Freundschaft, Abhängigkeit und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geht, eine ausgezeichnete Filmvorlage wäre.

Der intelligent geschriebene Roman hat mir sehr viel Lesefreude bereitet - klare Leseempfehlung und 5 Sterne!