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Glüxklaus
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Franken

Bewertungen

Insgesamt 576 Bewertungen
Bewertung vom 29.08.2022
Blanche Monet und das Leuchten der Seerosen / Ikonen ihrer Zeit Bd.7
Paulin, Claire

Blanche Monet und das Leuchten der Seerosen / Ikonen ihrer Zeit Bd.7


sehr gut

Die berührende Geschichte einer wenig beachteten Künstlerin

„Liebe lässt sich nicht erklären. Es kümmert sie nicht, ob sie den guten Sitten entspricht. Sie kommt und vergeht, oder sie blüht ewig.“

Als der Kunstsammler Ernest Hoschede vor dem finanziellen Ruin steht, bietet der Maler Claude Monet, Ernests Frau Alice und ihren Kindern Marthe, Blanche, Suzanne, Jacques, Germaine und Jean-Pierre an, bei seiner Familie zu leben. Nach dem Tod von Monets Frau Camille findet Monet Trost bei Alice, die beiden werden bald ein Liebespaar. Ernest und Alices Tochter Blanche ist sofort von Monets Bildern fasziniert und beginnt selbst zu malen. Sie beweist dabei ein erstaunliches Talent. Als Blanche sich in den amerikanischen Maler John Leslie Breck verliebt, möchte Claude Monet die Beziehung der beiden unter allen Umständen verhindern.

Claire Paulin erzählt bildhaft, anschaulich, angenehm leicht und chronologisch in der Vergangenheit. Wenn sie von der Natur und der Malerei schwärmt, hatte ich sofort ein klares Bild vor Augen, eine genaue Vorstellung von dem, was Blanche gerade sieht und empfindet: „Seichte Wogen schwappten an Land. Das Wasser rollte über den hellen Sand der Böschung hinauf, lief zungenförmig aus und floss glitzernd zurück, wo sich schon die nächste Welle aufbäumte. Sie wünschte, sie hätte mehr als nur ihre Pastellkreiden, und sehnte sich nach dem matten Glanz der Ölfarben, um die Schönheit der Wellen festhalten zu können.“ Das Cover - Blanche malend vor einem See mit Seerosen stehend- passt perfekt zum Buch und lässt auf den ersten Blick an Monets Gemälde denken.

Blanche ist eine sehr interessante Persönlichkeit. Sie ist eine ausgesprochen talentierte Malerin, lernt von Claude Monet nur durch Beobachtung, sie wird nie direkt von ihm unterrichtet.
Blanche steckt voller Leidenschaft für das Malen und voller Liebe für andere wie ihre Schwester Suzu, ihren Vater oder den amerikanischen Maler John Breck. Als sie das erste Mal das Haus in Giverny erblickt, ist sie auch sofort in das Haus und die Landschaft drumherum verliebt. Blanche ist außergewöhnlich mitfühlend und rücksichtsvoll, übernimmt Verantwortung für andere. Ihr Vater sagt zu ihr: „Dein Herz ist so groß wie der Ozean und dafür liebe ich dich.“ Von ihrem leiblichen Vater fühlt Blanche sich verstanden. Sie leidet sehr darunter, dass sie ihn selten sieht, fühlt sich zerrissen, seit die Familie bei Monet lebt. Blanche ist auf der Suche, zweifelt: „Würde sie jemals etwas finden, woran sie sich für immer festhalten könnte? Würde sie je ein Tor durchschreiten, hinter dem sich eine bessere Welt verbarg?“
Zu Monet hat Blanche ein zwiespältiges Verhältnis. Er übt eine unerklärliche Anziehung auf sie aus, verkörpert Stärke, ist klug und charmant, hat Temperament, neigt aber auch zu cholerischen Anfällen. Dass Monet besessen von der Malerei ist, kann Blanche am allerbesten verstehen, geht es ihr doch ähnlich. Monet ist aber bei all der Großzügigkeit und Fürsorglichkeit gegenüber Blanche und ihrer Familie auch manchmal ruhelos, perfektionistisch, dominant und herrisch. „Monet hat alles und jeden im Griff.“ Blanche steht zeitlebens in seinem Schatten.

Claire Paulin zeichnet das Bild einer bemerkenswerten Frau, die sich selbst für andere zurücknimmt, voller Mitgefühl stets soviel Rücksicht nimmt, dass sie ihr eigenes Glück aus den Augen verliert. Die Romanbiographie hat ein sehr langsames Erzähltempo, liest sich ruhig und fließend, einfach schön, gleich einem Bild von Blanche oder Monet, der im Buch sehr nachvollziehbar und differenziert charakterisiert wird. Ein Buch zum Entspannen und Genießen.
Ich kannte Blanche Monet vorher nicht, aber ihre bewegende Geschichte hat es absolut verdient, gelesen und erzählt zu werden.

Bewertung vom 29.08.2022
Der größte Schatz der Welt / SAMi Bd.13
Schütze, Andrea

Der größte Schatz der Welt / SAMi Bd.13


sehr gut

Der kleine Affe Mono langweilt sich sehr. Als ihm seine Mutter vorschlägt: „Sing mir doch was Tolles, mein Schatz!“, interpretiert Mono das als Aufforderung, Mama einen Goldschatz zu bringen, denn im Dschungel herrscht ein Höllenlärm und es ist schwer, alles genau zu verstehen. Mono begibt sich auf Schatzsuche. Er trifft verschiedene Tiere, die alle schon ihren Schatz gefunden haben: Das, was ihnen am meisten bedeutet, worauf sie stolz sind, besondere Talente und Fähigkeiten, das, was sie glücklich macht. Mono ist traurig, dass er nicht fündig geworden ist. Als er niedergeschlagen am Abend zu Mama zurückkehrt, tröstet sie ihn und zeigt ihm ihren größten Schatz.

Andrea Schütze hat die Geschichte kindgemäß, klar und lebendig formuliert, viel wörtliche Rede sorgt für Abwechslung. Die passenden Bilder hat Joëlle Tourlonais gezeichnet. Sie sind großflächig, überwiegend in den gedeckten grünlichen Farben des Dschungels gehalten. Die Nacht wird eher bläulich und dunkel dargestellt. Die Figuren sehen charakteristisch und niedlich aus, sind sofort als Illustrationen der Zeichnerin der Hummel Bommel zu erkennen. Ich persönlich finde die Affen allerdings ein wenig kitschig geraten. Mir sind die Gesichter der Affen etwas zu menschlich, so hat die Mutter sogar Ohrringe, was auch meine Kinder kritisiert haben. Dennoch werden sich Kinder die Bilder der Geschichte sicher gerne anschauen. Sprecherin Katrin Daliot liest mit angenehmer Stimme, gut betont und mitreißend. Ihrem einfühlsamen Vortrag hört man gerne zu, im Hintergrund sind typische Geräusche des Dschungels zu vernehmen. Die Geschichte richtet sich an Kinder ab drei Jahren.

Mit dem kleinen, neugierigen, umtriebigen Affen können sich die kleinen Zuhörer sicher leicht identifizieren. Mono hat sich in den Kopf gesetzt, einen Schatz zu finden und gibt sein Vorhaben den ganzen Tag nicht auf. So beharrlich sind Kinder auch manchmal. Monos Mama ist eine Mama wie aus dem Bilderbuch, sie zeigt ihm, was Mütter ihren Kindern nicht oft genug zeigen können.

Eine Schatzsuche, die deutlich macht, dass jeder unterschiedliche Vorstellungen davon hat, was ein Schatz ist. „Manchmal will man einen Schatz suchen und findet sich selbst.“ Jeder Mensch ist auf seine Art ein Schatz, für sich und für andere. Eine wirklich schöne Botschaft, die uns daran erinnert, dass das Glück manchmal ziemlich nah ist.
Am Ende des Buchs gibt es noch das Sami-Lied „Jedes Buch ist eine Reise“. Das Lied hat eine Melodie, die rasch ins Ohr geht. Der Text zeigt, was Sami und Bücher alles leisten, ist allerdings etwas plump und holprig formuliert. Den Kindern gefällt es trotzdem sicher, dass mit einem Lied und Musik noch etwas Abwechslung hinzukommt und nicht nur vorgelesen wird.

Sami ersetzt sicher nicht das besondere Vorleseerlebnis, dass Kinder bspw. mit ihren Eltern haben. Aber Sami ist eine gute Alternative, wenn mal keine Zeit zum Vorlesen bleibt. Sami macht ein Buch zum bebilderten, bunten Hörbuchabenteuer. Dass man beim Hören das Buch und Bilder immer vor Augen hat, gefällt mir. Das Buch steht im Fokus. Mittlerweile gibt es auch ein breites Angebot an weiteren Samibüchern, die man selbstverständlich auch selbst vorlesen kann. Sami ist allerdings eine wirklich sinnvolle Bereicherung für das Bücherregal. Mit ihm können sich Kinder auch alleine beschäftigen, können selbst bestimmen, wann ihnen vorgelesen wird und wie lange sie sich einer Seite widmen wollen. Trotz kleiner Mängel können wir eine klare Empfehlung für alle Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren geben, die Vorlesen mögen, sich gerne bunte Bilderbücher anschauen und selbst noch nicht gut genug lesen können.

Bewertung vom 27.08.2022
Eine Prise Wunder hilft bei jedem Fluch / Faye Fox Bd.1
Sagar, Andy

Eine Prise Wunder hilft bei jedem Fluch / Faye Fox Bd.1


ausgezeichnet

Phantastisches, magisches Abenteuer mit zauberhaftem Schauplatz und einzigartigen Figuren - ein rundum gelungener Auftakt

„Trinken wir erst mal eine schöne Tasse Tee. Nenn mich voreingenommen, aber meiner Meinung nach gibt es kein Problem, das sich nicht mit einer Tasse Tee, einem Stück Kuchen und guter Gesellschaft lösen lässt.“

Freitag Fox ist nicht zu beneiden. Das Mädchen mit den Fuchsohren wird in einem Wanderzirkus als Skurilität ausgestellt. Als Baby wurde Freitag verwaist vor dem Zirkus gefunden, neben ihr lag „Das kleine Buch der Zauberwesen“, das von allerlei erstaunlichen magischen Wesen berichtet. Freitag kennt das Buch mittlerweile auswendig, hält die Figuren im Buch aber für eine Erfindung. Doch es stellt sich heraus, dass sie sich irrt. Eines Tages wird Freitag aus ihrem Gefängnis im Zirkus befreit, sie macht daraufhin eine sehr unliebsame Bekanntschaft und andere wesentlich angenehmere. Der finstere Mr. Gram plant, sie mit ins Reich der Toten zu nehmen und verspricht ihr dort ein sorgenfreies, luxuriöses Leben. Die sympathische Teehexe Miss Butterling hingegen möchte Freitag als Lehrling in ihrem magischen Teesalon. Freitag entscheidet sich, bei Miss Butterling zu leben. Doch Mr. Gram gibt sein Vorhaben nicht auf, das Mädchen für sich zu gewinnen und hat unglücklicherweise einen Trumpf in der Hinterhand.

Andy Sagar schreibt für Kinder gut verständlich, klar, humorvoll und bildhaft. Gerade beim Vorlesen wird immer wieder deutlich, wie „magisch schön“ viele seiner Sätze und ihre Aussagen sind. Die Schrift ist normal groß gedruckt mit etwas größerem Seitenabstand am Rand. Zu Beginn jeden Kapitels finden sich kleine, detailreiche, hübsche Zeichnungen von Personen oder Gegenständen, die im entsprechenden Kapitel eine größere Rolle spielen.
Das Buch richtet sich an Kinder ab zehn Jahren zum Selbstlesen und unerschrockene jüngere Mädchen und Jungen zum Vorlesen.

Zahlreiche faszinierende Figuren treten im Buch auf. Freitag, später Faye genannt, hat ihr Leben bisher in einem Käfig in einem Wanderzirkus verbracht. Sie verabscheut ihre Fuchsohren, deretwegen sie oft gehänselt wurde, und muss sich erst daran gewöhnen, dass es jemand wirklich gut mit ihr meint. Ihre besonderen Fähigkeiten erkennt Faye zunächst auch nicht. Zuversicht und an sich selbst und das Gute zu glauben, lernt sie von der gütigen, immer freundlichen und sehr weisen Miss Butterling, die ein echter Lichtblick ist. Dann gibt es noch den liebenswerten Jack, der immer wieder schräge neue Einfälle für Erfindungen in seinem Konfektlabor hat und den strengen Nicht-Raben und Vertrauten Madrigal, der Faye mit Skepsis und Argwohn begegnet. Immer wieder tauchen besondere zauberhafte Figuren auf, ein Teegeist, Kobolde, Drachen oder Dryaden. Und auch das Böse hat seinen Platz in der Geschichte: Mr. Gram scheut nicht vor den furchtbarsten Gemeinheiten zurück, um Freitag ins Reich der Toten zu locken.

Was für einen besonderen Schauplatz hat Andy Sagar da erschaffen! Wer möchte nicht einmal einen magischen, umherwandernden Teesalon wie Dwimmerly End besuchen, von dem Miss Butterling sagt: „Schätzchen, ich dachte, du wüsstest inzwischen, dass ein Wort wie unmöglichen einem Ort wie diesem nichts zu suchen hat.“? Hier ist alles lebendig und voller Magie. Auch der Fahrende Koboldmarkt ist ein einzigartiger, umtriebiger Ort. So hell und freundlich es in Dwimmerly End zugeht, so düster und grau ist die Stimmung im Reich der Toten, das sogar über eine Einreisebehörde verfügt.
Faye hat einige Herausforderungen zu bewältigen: Sie muss die Magie in sich entdecken, eine Zauberprüfung bestehen, finstere Gedanken und Stimmen vertreiben und sich Mr. Gram widersetzen. Dabei warten zahlreiche gefährliche Abenteuer auf sie. Und Miss Butterling hat stets wichtige Weisheiten für sie parat wie „Allzu oft ist Wut nichts weiter als Angst, die ihr Gesicht zeigt und viel Wirbel macht,“ und „Mach es nicht, wie Mr. Gram. Lass nicht zu, dass Herzschmerz dich in etwas Grausam

Bewertung vom 25.08.2022
Der fürsorgliche Mr Cave
Haig, Matt

Der fürsorgliche Mr Cave


sehr gut

Wieviel Leid kann ein Mensch ertragen? Eine erschütternde Tragödie

Antiquitätenhändler Terrence Cave hat mehr Leid erfahren müssen, als ein Mensch ertragen kann. Seiner Mutter beging Selbstmord, später wurde seine Frau bei einem Überfall auf sein Geschäft ermordet und schließlich stirbt sein Sohn Reuben auf tragische Weise. Nun macht er sich große Sorgen um seine Tochter Bryony. Doch seine Fürsorge geht zu weit. Je mehr und rigoroser er Bryony schützen möchte, desto mehr fühlt diese sich eingeengt. Als sich Bryony verliebt, droht eine Katastrophe.

Matt Haig schreibt flüssig, atmosphärisch in bildhafter, wunderschöner Sprache aus Terences Sicht in Ich-Form. Terence erzählt seine Version der Geschichte seiner Tochter Bryony, spricht diese immer wieder direkt mit „Du“ an. Sprecher Mark Waschke verleiht Terences Gedanken eine Stimme. Er liest abwechslungsreich und gut betont und schaffte es durch seinen mitreißenden Vortrag rasch, mich zu fesseln.

Terence kann einem nur leid tun. Tochter Brynoy ist neben Schwiegermutter Cynthia der einzige Mensch, der ihm geblieben ist. Er liebt seine Tochter abgöttisch, hat aber selbst niemanden, der ihn versteht und unterstützt. Mit allen Mitteln versucht er, sie zu beschützen, beginnt sie zu überwachen, droht sie mit seiner Fürsorge zu ersticken. Er scheint immer besessener von der Idee, Brynoy vor jeder Gefahr zu bewahren, scheint dabei fast den Verstand zu verlieren. Tochter Brynoy ist zu jung, denkt vornehmlich an sich, scheint die Situation nicht zu erfassen und erkennt genauswenig wie ihre Großmutter Cynthia, wie es ihrem Vater wirklich geht. Während die Teenagerin um ihre Freiheit kämpft, steigert sich Terrence immer mehr in seinen Wahn hinein und verliert zunehmend den Bezug zur Realität. Seine Schuldgefühle Reuben gegenüber, für dessen Tod er sich verantwortlich fühlt, tun ihr Übriges.

Autor Matt Haig hat mich mit seinen bisherigen Werken immer wieder überrascht und mit seinem großartigen Erzählstil überzeugt. Auch „Der fürsorgliche Mr. Cave“ entwickelte sich für mich absolut anders als erwartet. Ein intensiver Roman, der hautnah und auf knallharte und erschreckende Weise zeigt, wie Verlust und Leid einem Menschen den Verstand rauben können. Düster, todtraurig, tragisch aber dabei leider ziemlich nachvollziehbar. Manche Ereignisse sind zu schrecklich, um sie alleine ertragen zu können. Manche Schicksale finden einfach kein Happy End. Aber wer weiß, vielleicht wäre es Terrence besser ergangen, hätten andere wie Cynthia genauer hingeschaut und versucht, ihn und seine Situation wirklich zu sehen?
Sicher kein Hörbuch für jede Lebenslage, aber eine sehr wichtige, eindrucksvolle Geschichte über Leid, Trauer, Verlust, Schuldgefühle, Einsamkeit und Hilflosigkeit, das einen lange nicht loslässt und Menschen, die nach Traumata mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, eine Stimme gibt.

Bewertung vom 25.08.2022
Die Freundinnen vom Strandbad - Wellen des Schicksals / Die Müggelsee-Saga Bd.1
Heiland, Julie

Die Freundinnen vom Strandbad - Wellen des Schicksals / Die Müggelsee-Saga Bd.1


sehr gut

Erwachsenwerden in der DDR - unterhaltsame, packende Geschichte einer Mädchenfreundschaft

„Es hat einem niemand gesagt, wie schwer es ist, erwachsen zu werden. Früher konnte ich es kaum erwarten. Aber es fühlt sich an, als würde man aus dem Paradies vertrieben werden.“

Seit sie im Juli 1956 gemeinsam im Strandbad Müggelsee einem Mann vor dem Ertrinken bewahrt und ihm das Leben gerettet haben, sind Martha, Clara und Betty unzertrennlich. Regelmäßig treffen sich die Freundinnen im Strandband, verbringen ihre Sommer gemeinsam. Sie alle haben ganz eigene Träume und Vorstellungen vom Leben. Doch Erwachsenwerden in der DDR ist nicht einfach und die Freundschaft der Mädchen wird wiederholt auf eine harte Probe gestellt.

Autorin Julie Heiland schreibt flüssig und leicht lesbar in der dritten Person Vergangenheit. Sie nimmt abwechselnd die Perspektive ihrer Hauptfiguren ein, entwickelt nach und nach chronologisch die Geschichten aus verschiedenen Sichtweisen weiter.

Martha, Clara und Betty haben ganz unterschiedliche familiäre Hintergründe und Voraussetzungen. Martha wächst in einer linientreuen Familie auf, sie ist sehr darauf bedacht, die Erwartungen anderer an sie zu erfüllen, ist eine vorbildliche Schülerin, hat dennoch wenig Selbstbewusstsein. Doch dann erfährt sie etwas, das ihr gesamtes Leben in Frage stellt. Clara ist nicht in der FDJ, muss daher doppelt so hart arbeiten wie andere, um Erfolg zu haben. Ihr Motto: „Lieber denke ich zu groß als zu klein.“ Clara möchte hoch hinaus und Kosmonautin werden. „Angst ist nie ein guter Ratgeber. Man darf nicht zulassen, dass man sich aus Angst gegen sein Herz entscheidet. Angst schreibt nicht die Art von Leben, auf die man irgendwann mit Stolz zurückblickt.“ Davon ist Clara überzeugt.
Bettys Vater leitet das Strandbad. Bettys Traum ist es, Karriere als Schauspielerin zu machen.
Und dann ist da noch Bettys Bruder Alex, der bei den Freundinnen für ein gehöriges Gefühlsdurcheinander sorgt.
Die Freundschaft der drei Mädchen ist eine ganz besonders enge, doch die Verhältnisse in der DDR nehmen ihr die Leichtigkeit, verhindern, dass die drei frei und ungezwungen aufwachsen können.

Julie Heiland beschreibt auf mitreißende und kurzweilige Weise, wie drei Mädchen in den Anfängen der DDR erwachsen werden. Drei Schicksale werden hier sehr nachvollziehbar und authentisch geschildert. Auf alle Hauptfiguren hat die gesellschaftlich und politische Situation unmittelbaren Einfluss. Während Martha sich ans System anpasst, hat Clara Schwierigkeiten, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Zwar hat ihr kluger Vater sicher recht, wenn er sagt: „Weißte, det Leben ist ein Chaos und noch dazu furchtbar schnell vorbei. Und wer weiß denn schon, wie es mit dem Land weitergeht. Der, was uns den Kopf oben halten lässt, det is nich unsere Arbeit oder Erfolg, det is unser Glaube und die Liebe.“ Doch das ist leichter gesagt, als wirklich zu beherzigen. Es wird im Roman sehr deutlich, was es wirklich bedeutet, in einem totalitären System zu leben. Die Überwachung durch die Stasi, die überall lauernde Gefahr, etwas falsch zu machen, das Unbehagen angesichts der permanenten Angst davor, zu Handlungen gezwungen zu werden, die einem zuwider sind, das alles fängt die Autorin sehr deutlich und fast nachfühlbar ein. Nachdem ich die drei Mädchen immer näher kennenlernte, gingen mir ihre Erlebnisse sehr nahe, auch wenn manche Ereignisse sich nicht hundertprozentig korrekt in den historischen und gesellschaftlichen Kontext einordnen lassen und manche Umstände ob der Dramaturgie von der Autorin einfach „passend gemacht“ wurden. Die persönlichen Geschichten der Mädchen haben mich dennoch gefesselt. Im Mittelteil, wenn die Liebe ins Spiel kommt, flacht die Handlung etwas ab, driftet stellenweise ins Kitschige ab und die Entwicklung der Mädchen gerät dann leider zugunsten von leichten Liebesgeschichten in den Hintergrund. Gegen Ende steigt der Spannungsbogen aber wieder. „Die Freundinnen vom Strandbad - We

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Bewertung vom 23.08.2022
Werwolf wider Willen
Bertram, Rüdiger

Werwolf wider Willen


ausgezeichnet

Wenn Will zum Werwolfwelpen wird - witziges, packendes Erstlesebuch mit motivierendem Comicanteil

Will ist eigentlich ein netter Junge, aber sobald Wasser ins Spiel kommt, ist es mit Wills Nettigkeit schnell vorbei. Dann verwandelt er sich in einen Werwolfwelpen und wird plötzlich ziemlich gefährlich und unberechenbar. Wenn Will wütet, geht es Wäsche an die Wäsche, Gemüse muss dran glauben und Bällen geht die Luft aus. Hinterher tun Will seine Ausbrüche immer leid. Will und sein bester Freund Tim suchen fieberhaft nach einer Lösung für Wills Problem. Ob sie es schaffen? Dabei müssen sie sich unbedingt vor dem Biologielehrer Herrn Helsing hüten, der unter keinen Umständen von Wills Geheimnis erfahren darf. Er träumt nämlich davon, einmal einen echten Vampir oder Werwolf zu fangen.

Die Geschichte ist in Ich-Form aus Wills Sicht geschrieben. Die Sätze sind einfach, klar strukturiert, gut verständlich und kindgemäß formuliert. Die Schrift ist groß gedruckt, der Zeilenabstand weit, das erleichtert die Lesbarkeit. Ka Schmitz hat zur Geschichte passende, lustige, comicartige Illustrationen gezeichnet. Die individuellen, aussagekräftigen, farbigen Bilder zeigen deutlich, wie es den Figuren gerade geht, wie sie sich fühlen. Teilweise erzählen die Bilder die Geschichte auch als Comic weiter, dann unterhalten sich die dargestellten Personen über Sprechblasen. Jede Seite hat mindestens ein Bild, das meist mehr als die halbe Seite ausfüllt. So werden die jungen Leser beim Lesen nicht überfordert. Die Geschichte richtet sich an Mädchen und Jungen ab sieben Jahren zum Selbstlesen, jüngere Kinder lassen sich die Geschichte sicher gerne vorlesen.

Will ist ein Junge wie viele andere auch. Er verliert schon mal die Beherrschung, wütet dann unkontrolliert, aber hinterher bereut er es. Das kommt garantiert vielen Kindern bekannt vor und sie können sich daher bestimmt problemlos in die Hauptfigur hineinversetzen. Will hat ganz besonderes Glück, er hat einen Freund, Tim, der ihn akzeptiert wie er ist und der ihn immer unterstützt. Und vielleicht ist Tim gar nicht der einzige Mensch, auf den Will zählen kann?

Wer kennt das nicht? Manchmal braucht es nur eine Kleinigkeit und man mutiert zum zornigen Monster. „Jeder Mensch verliert mal die Kontrolle und rastet dann aus“. Rüdiger Bertram hat darüber eine originelle, komische und auch ziemlich spannende Geschichte geschrieben. Kinder werden hier nicht belehrt, sondern ernst genommen und verstanden. Das Buch geht auf sie, ihre Interessen und ihre eigenen Erfahrungen ein. Dass die Geschichte auch witzige Comicelemente enthält, ist zudem für Lesemuffel besonders motivierend. Die Kinder werden nach dem Erlesen eines längeren Textabschnitts am Stück mit vielen Bildern „belohnt“, dürfen kurz beim Bilderbetrachten „entspannen“. „Werwolf wider Willen“ ist ein rundum gelungenes, ansprechend und abwechslungsreich gestaltetes Erstlesebuch für alle Wüteriche dieser Welt und für alle anderen Leseanfänger und Kindergartenkinder auch.

Bewertung vom 18.08.2022
Das märchenhafte Internat / Fairy Tale Camp Bd.1
Wieja, Corinna

Das märchenhafte Internat / Fairy Tale Camp Bd.1


ausgezeichnet

Ein märchenhaft magisches, mitreißendes Freundschaftsabenteuer mit originellen Figuren

Als eine Sahnetorte im Gesicht ihrer Lehrerin Frau Schneeberger landet, wird Marie zu einer Unterredung mit ihrer Lehrerin zitiert. Doch das Gespräch entwickelt sich völlig anders als erwartet. Marie erhält für die Ferien eine Einladung ins Fairy Tale Camp, soll sie doch tatsächlich die Nachfahrin einer bekannten Märchenfigur sein. Marie kann es zunächst nicht glauben, aber schon bald wird klar, dass die Zeit auf Schloß Fairy Tale die aufregendste und märchenhafteste ihres Lebens sein wird…

Corinna Wieja erzählt in Ich-Form aus der Sicht ihrer Protagonistin Marie Brunner. Sie formuliert lebendig, anschaulich und kindgemäß. Wenn Marie in bestimmten Situationen ein „Prickelbrausegefühl“empfindet, ist sofort klar, wie sie sich fühlt. Die amüsanten Wortspiele, beispielsweise Graf Huberts Reden, in die immer wieder der Laut „Quak“ eingearbeitet ist, bringen zum Schmunzeln.
Frau Annikas schlichte, aber aussagekräftige Schwarz-Weiß-Illustrationen stellen die Handlung und die Figuren treffend und ansprechend dar. Die gezeichneten Figuren wirken niedlich. Dass auf dem Cover neben den sechs Hauptfiguren zahlreiche Hinweise auf verschiedene Märchen und das Buch zu finden sind, gefällt mir sehr. Das Cover weckt so die Neugier.
Das Buch richtet sich an Kinder ab zehn Jahren, zum Vorlesen ist es auch schon für jüngere Kinder geeignet.

Die Figurenkonstellation ist nicht nur märchenhaft, sondern auch sehr spannungsgeladen und interessant.
Marie, die selbst eine Nachfahrin von Frau Holle ist und mit zwei sehr aufregenden und herausragenden Talenten ausgestattet ist, muss sich in ihrer neuen Rolle erst einmal zurechtfinden, hielt sie sich doch bisher einfach nur für ein normales Mädchen, das ohne Mutter aufwuchs und gerne zeichnet. Mit ihrer Zimmergenossin Ro, die oft recht harsch, arrogant und abweisend rüberkommt, hat Marie zunächst ihre Schwierigkeiten. Doch Ro hat auch eine andere Seite. Als sie Will kennenlernt, erfährt Marie, dass die Sache mit „Gut“ und „Böse“ gar nicht so einfach ist. Und dann gibt es noch Jake mit den traumhaft schönen Haaren, die tierliebe Ella und Poppy, die über ein beeindruckendes Märchenwissen verfügt. Die Kinder bilden ein ungleiches, ungewöhnliches Team mit allerhand magischem Potential.

Was lernt man in einem Märchencamp? Wieso ist die Märchenwelt bedroht? Und was geschah mit Maries Mutter, die spurlos verschwand, als Marie noch ganz klein war? Marie erlebt ein unglaubliches Abenteuer mit ihren neuen Freunden und entführt die Leser in eine phantastische, zauberhafte und mehr als aufregende Welt. Hier tauschen Prinz und Prinzessinnen schon mal die Rollen und strahlende Helden verletzen gelegentlich die Spielregeln und verhalten sich dann nicht ganz so vorbildhaft und fair.
Corinna Wieja ist mit „Fairy Tale Camp - Das märchenhafte Internat“ ein wunderbares Buch über Freundschaft, Vorurteile besondere Talente, Magie und natürlich Märchen gelungen, das nicht nur unterhält, sondern auch interessante Denkanstöße gibt, ohne dabei zu belehren. Zum Beispiel kommt die Frage auf: „Was ist eigentlich gut und was ist böse“?. Und dazu bekommt man beim Lesen große Lust, sich intensiver mit Märchen zu beschäftigen. Die haben nämlich einiges zu bieten.
Uns hat die phantasievolle, spannende Geschichte mitgerissen wie ein magischer Wirbelsturm, wir können die Fortsetzung schon jetzt kaum erwarten.

Bewertung vom 17.08.2022
Die höchstfamose Zoo-Schule - Tierisch-lustige Vorlesegeschichte für die erste Klasse
Till, Jochen

Die höchstfamose Zoo-Schule - Tierisch-lustige Vorlesegeschichte für die erste Klasse


ausgezeichnet

Höchstfamose, lustige Vorlesegeschichten mit drolligen Figuren und starken Botschaften

In der höchstfamosen Zooschule wird es nicht langweilig: Direktor Lernegern würde bestimmt seinen Kopf vergessen, wäre er nicht angewachsen, Stinktier Skottie landet in der falschen Klasse, Giraffe Gino beweist überraschend ein erstaunliches Talent, Frau Puschel wird vor eine besondere Herausforderung gestellt, der schüchterne Paulchen traut sich was und auch schulfremde Wesen werden an der Schule herzlich aufgenommen.

Jochen Till formuliert witzig, anschaulich und sehr kindgemäß mit viel wörtlicher Rede. Dank des eingängigen, lockeren Schreibstils lässt sich die Geschichte leicht und flüssig vorlesen. Steffen Gumberts farbenfrohe, klar konturierte, komische und oft ziemlich niedliche Bilder passen perfekt zu den Geschichten. Die Bilder sind nicht starr, stecken vielmehr voller Dynamik und guter Laune.
Die Geschichten eignen sich zum Vorlesen für Kinder ab fünf Jahren. Fortgeschrittene Erstleser können sie auch schon selbstständig lesen. Die Schrift ist aufgrund des weiten Zeilenabstands und der Größe gut lesbar. Durch die vielen Bilder ist das Text-Bildverhältnis ausgewogen und überfordert selberlesende Kinder nicht.

Eine herrlich bunte Figurentruppe bereichert die Geschichten: Ein schusseliger Katta-Direktor, ein pflichtbewusster Pandahausmeister, ein schwimmendes Stinktier, eine recht untypische Giraffe, ein überaus ungeduldiges Eichhörnchen, ein tiefenentspannntes Faultier, der schönste Vogel der Welt, eine aufgeweckte, einfühlsame Katzenbärin und viele weitere mehr. In dieser Schule werden die Tierkinder grundsätzlich von Vertretern anderer Tierarten unterrichtet. So sind die Konstellationen immer wieder überraschend. Die Tierkinder haben oft sehr menschliche Probleme. Mit ihnen können sich die Leser und Zuhörer daher bestimmt gut identifizieren.

Die verschiedenen Schulabenteuer sind nicht nur warmherzig, unkonventionell, originell, phantasievoll und sehr witzig, sondern auch gleichzeitig besondere Mutmachgeschichten mit wichtigen Botschaften. Sie regen an, einen Blick über den eigenen Tellerrand zu wagen, zeigen, wie schädlich Hektik sein kann, preisen stattdessen den Wert von Entspannung und Gelassenheit, demonstrieren, dass vermeintliche Schwächen auch Stärken sein können und sind ein Plädoyer für mehr Toleranz und gegenseitiges Verständnis. Jochen Till zeigt auf höchstfamose, unterhaltsame Art, worum es in einer Gemeinschaft zum Wohlfühlen geht, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben. Das Buch bietet Erstklässlern und Vorschulkindern zahlreiche Gesprächsanlässe über das Schulleben und das soziale Miteinander, eignet sich ganz prima als Vorlesebuch in den ersten Schulwoche. Eine echte Bereicherung für jede Schultüte.

Bewertung vom 16.08.2022
Disney Villains: Ein tierisch guter Plan / 1000 Gefahren junior Bd.5
Lenk, Fabian

Disney Villains: Ein tierisch guter Plan / 1000 Gefahren junior Bd.5


gut

Interaktives, motivierendes, buntes und turbulentes Leseabenteuer mit kleinen Mängeln

Einmal ein Erdmännchen sein: Die kleinen Leser werden hier zur Hauptfigur und schlüpfen in die Rolle von Lilly, dem gewitztesten Erdmännchen im ganzen Zoo. Zwei Einbrecher treiben derweil nachts im Zoo ihr Unwesen. Nun ist es an der Leserschaft zu entscheiden, was zu tun ist. Und so kann sich das Abenteuer auf ganz unterschiedliche Art weiterentwickeln.

Die Geschichte ist ungewöhnlicherweise in der zweiten Person geschrieben, die Leser werden direkt mit „Du“ angesprochen. So gelingt es natürlich besonders leicht, sich in die Geschichte hineinzuversetzen. Der Text ist klar, kindgemäß, lebendig und mit viel wörtlicher Rede formuliert.
Auf jeder Seite finden sich zum Textabschnitt passende bunte, motivierende Bilder im typischen Disney-Stil, einige Illustrationen wiederholen sich. Das Buch hat ein handliches DIN A 5-Format. Die Schrift ist etwas größer gedruckt, der Zeilenabstand etwas weiter. Das Buch richtet sich an Kinder ab sieben Jahren, jüngere Kinder können es sich vorlesen lassen.

Erdmännchen sind drollige Tiere. Sicherlich macht es vielen Kindern Spaß, einmal ein Abenteuer aus der Sicht dieser quirligen Wesen zu erleben. Eine durchaus originelle Sichtweise! Erdmännchen Lilly und ihr Freund Eddy treffen je nach Weg auf verschieden Zoo- und andere Tiere, zwei Ganoven und eine besonders bösartige, berüchtigte Dame. Wer hier mit von der Partie ist, bestimmen die Leser selbst.

Bücher der Reihe „1000 Gefahren- Du entscheidest selbst“ zeichnen sich dadurch aus, dass es nicht nur eine Geschichte zum Lesen gibt, sondern viele verschiedene. Die Leser wählen, wie es weitergeht und so entwickelt sich die Geschichte auf ganz unterschiedliche Art weiter. Nicht nach jedem Abschnitt gibt es alternative Antwortmöglichkeiten, manchmal muss man auch einfach so an anderer Stelle weiterlesen. Dadurch lernen die Kinder, sich an Seitenzahlen zu orientieren. „Ein tierischer guter Plan“ ist ein interaktives Leseabenteuer. Nicht nur Entscheidungen müssen getroffen werden, auch knifflige Rätsel sollen gelöst werden. Ein spannendes, abwechslungsreiches, turbulentes Buch für Mädchen und Jungen, das zum Lesen motiviert. Dass die Leser auch „weiterkommen“, ohne die Rätsel richtig zu lösen, finde ich nicht ganz überzeugend. Es wird vorausgesetzt, dass die Frage automatisch richtig beantwortet wird. Vielleicht hätte man hier auch mit verschiedenen Antwortmöglichkeiten arbeiten können. Um etwas mehr verschiedene, abwechslungsreiche Aktivitäten für die Leser einzubringen, könnte ich mir auch Entscheidungen nach dem Zufallsprinzip vorstellen, wie etwa mit Hilfe von Würfeln. Die Geschichten sind natürlich unterschiedlich lang. Manchmal kommt das Ende recht plötzlich, was mein achtjähriger Sohn kritisiert hat. Aber das regt ja gleichzeitig auch dazu an, beim nächsten Mal zu versuchen, ein längeres Abenteuer zu erleben. Insgesamt dennoch ein spannendes Konzept, ein Buch zum immer wieder anders Lesen, das auch Lesemuffel anspricht.

Bewertung vom 15.08.2022
Elternhaus
Mentges, Jennifer

Elternhaus


sehr gut

Ein Haus mit dunkler Geschichte und gefährlicher Anziehungskraft - fesselnder Psychothriller

„Und so war der Junge eingekeilt zwischen dem Haus und der Vergangenheit, und die Vergangenheit war so dicht wie Nebel, der ihn zu ersticken drohte.“

Die alte Villa im Hamburger Vorort übt eine ganz besondere Anziehungskraft auf den Barpianisten und Klavierlehrer Tobias Hansen aus. Regelmäßig kommt er zum Haus und beobachtet, was hier vor sich geht. Als Yvette Winkler mit ihrem Mann Bernhard und den vier gemeinsamen Kindern in das Haus einzieht, schafft es Tobias rasch, das Vertrauen der Familie zu gewinnen. Schon bald gehört er als Klavierlehrer der Kinder zum Freundeskreis der Familie. Doch er verhält sich immer merkwürdiger. Was sind seine wahren Absichten?

Autorin Jennifer Menges formuliert präzise, anschaulich, gut verständlich und flüssig. Sie erzählt die Geschichte multiperspektivisch, meist aus der Sicht von Yvette, von Tobias, aber auch mal aus dem Blickwinkel der Haushaltshilfe Consuelo, des Maklers oder der blinden Nachbarin Gerda Hoff. Meist wird das Geschehen chronologisch geschildert, doch werden auch wiederholt Rückblenden und Kindheitserinnerungen von Tobias eingeschoben.
Das Cover, ein Klavier, ein helles Fenster mit Vorhängen, ein in Strichen skizziertes Haus und viel Dunkelheit drumherum, wirkt bedrohlich und weckt die Neugier.

Dass Tobias Hansen nicht der ist, der er vorzugeben versucht, wird rasch klar. Er präsentiert sich nach außen sympathisch, charmant, freundlich und hilfsbereit, hat aber gleichzeitig gewichtige Geheimnisse zu verbergen und benimmt sich zunehmend seltsam und befremdlich. Mit Yvette hatte ich deutlich weniger Schwierigkeiten als mit Tobias. Sie scheint wesentlich berechenbarer und leichter einzuschätzen als Tobias.
Und dann gibt es noch Haushälterin Consuelo Strunz, die ganz offen von Familienglück träumt und dabei besorgniserregende Verhaltensweisen zeigt. Im Roman tummeln sich einige dubiose Charaktere, die die Figurenkonstellation interessant und reizvoll machen.

Was geschah damals in der alten Villa? Warum ist Tobias von dem Haus so besessen? Was hat Tobias zu verbergen? Und welche Pläne verfolgt er?
Jennifer Mentges hat einen fesselnden, atmosphärischen Thriller konstruiert, der mit einem packendem Finale überzeugt und durchaus Beklemmungen hinterlässt. Schaudern braucht nicht unbedingt viel Action oder Blutvergießen, es reicht wie hier ein gelungenes Setting. Ein besonderes Haus, das Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist. Nach und nach puzzelt sich ein komplexes Gesamtbild zusammen und am Ende überrascht der Roman noch mit der ein oder anderen unvorhergesehenen Entwicklung. Da sind manche Längen im Mittelteil schnell vergessen. Unterm Strich ein solider, durchdachter, fesselnder Psychothriller um Rache, Wahn, Betrug, Schuld und andere menschliche Abgründe.