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Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 13.07.2021
Der böse Mann: Thriller
Shepherd, Catherine

Der böse Mann: Thriller


ausgezeichnet

Beste Thriller-Unterhaltung

Eigentlich könnte ich mich ständig selbst zitieren aus meinen früheren Rezensionen, denn egal welchen Thriller ich von Catherine Shepherd lese, egal aus welcher ihrer Thriller-Reihen, immer fühle ich mich auf verlässliche Weise auf das Beste und Spannendste unterhalten. So erging es mir auch mit „Der böse Mann“, dem neuen Thriller aus der Laura-Kern-Serie.

Laura Kern steht ganz am Anfang einer neuen Beziehung, und zwar mit Taylor, einem Beamten des Berliner Drogendezernats. Ganz schön schwierig, sich auf einen Fall zu konzentrieren, wenn sich die Gefühlswelt immer wieder in den Vordergrund drängen will. Es wird eine Frauenleiche gefunden, der Hals mit Stacheldraht umwickelt. Die Tote hat eine Nachricht bei sich, auf einem Taschentuch geschrieben: „Ich bin die Zweite“. Also muss es eine „erste“ Leiche geben. Bei der Suche verdichten sich die Anzeichen, dass es sich um einen ausnehmend grausamen Serienkiller handeln muss, denn auch eine weitere Frauenleiche, die entdeckt wird, ist entsetzlich zugerichtet. Als Laura Kern dem Täter schließlich auf die Spur kommt, scheint es bereits zu spät zu sein…

Catherine Shepherd spielt wieder gekonnt mit dem Leser. Die Reihe der Verdächtigen, die die Autorin in die Handlung einbringt, ist lang. Viele Spuren werden verfolgt, verlaufen im Sande, rücken durch neue Ermittlungsergebnisse erneut in den Fokus, und der Leser wird immer verwirrter. Catherine Shepherd schreibt so bildhaft, so kurzweilig und ideenreich, so überaus spannend, dass man ohne Pause durch die Seiten jagt. Die gemeinen Cliffhanger, mit denen die Kapitel abschließen, geben noch ihren Teil dazu. Und der Autorin gelingt es auf verblüffende Weise, zum Schluss die Handlung zu einer Auflösung zu führen, mit der man ganz und gar nicht gerechnet hatte. Die von ihr beschriebenen Personen wirken authentisch, vielschichtig, psychologisch stimmig, in ihren Handlungen nachvollziehbar. Das Privatleben rund um Laura Kern kommt genau im rechten Maß zur Sprache, ohne von der eigentlichen Handlung abzulenken.

Fazit: Wieder ein überaus spannender und wendungsreicher Thriller von Catherine Shepherd, gekonnt geschrieben. Ein Muss für alle Thriller-Fans!

Bewertung vom 12.07.2021
Unter Freunden
Sweeney, Cynthia D'Aprix

Unter Freunden


gut

Das Leben ein einziges Theaterstück

Wenn man mehrere euphorische Lobeshymnen über ein Buch liest, schraubt das die Erwartungen ziemlich hoch. Aber was ist, wenn man nach eigener Lektüre die Lobeshymnen nicht nachvollziehen kann? Liegt es an mir? Verstehe ich das Buch nicht richtig? Habe ich eine völlig andere Vorstellung von „glänzender Unterhaltung“, von „mitreißenden Charakteren“? Fragen, die mich bewegen und die es mir schwer machen, eine Rezension zu schreiben.
Den Inhalt kann man sehr kurz zusammenfassen. Zwei eng befreundete Ehepaare, mehrheitlich Schauspieler, über viele Jahre vertraut miteinander, werden durch eine seit langen Jahren bestehende, bestgehütete, aber schließlich doch ans Licht kommende Lüge an ihre Grenzen gebracht, ihre Beziehungen zueinander (und zu sich selbst) in Frage gestellt.
Keine Frage, Cynthia d’Aprix Sweeney schreibt gut. Sie hat die Gabe, seismographisch in Beziehungsgeflechte hineinzuschauen, vielleicht sogar durch sie hindurch und damit sie zu durchschauen. Und diese Gabe des sezierenden Blicks verpackt sie nicht in analysierende Worte, sondern in viele, viele kleine Szenen, alltägliche Szenen, im Grunde nichtssagende Szenen, die erst in der Summe ein Bild aller unausgesprochenen Wahrheiten ergeben. Und genau diese unendlich vielen puzzleartigen Einzelteile, realistisch erscheinend, unbedeutend wirkend, amerikanisch-oberflächlich, sind es, die mich beim Lesen so ermüden ließen. Zu viele amerikanische Labels, zu viele Namen von Personen, Songs, Orten, Künstlern, Gerichten, Getränken, die Amerikanern vertraut sein mögen, mir allerdings nicht, und damit in mir nichts auslösen außer gelangweiltes Darüberlesen. Aus den verschiedenen Perspektiven der Hauptpersonen wird geschildert, wie sich vertrautes Leben, in dem man es sich miteinander heimelig gemacht hatte, von einer Minute zur anderen in Nichts auflöst. Ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, eine alte Lüge, alles wird überlebt und dennoch beginnt in der Folge ein neues, ein wankendes, ein unsicheres Leben ohne doppelten Boden, ohne Sicherheitsnetz. Ein Thema, das man emotional spürbar, psychologisch tiefgehend hätte beschreiben können. Mir kommt das Buch jedoch vor wie ein zu detailreich inszeniertes Theaterstück, das sich um nichts als um sich selbst dreht.

Bewertung vom 09.07.2021
Alles, was das Herz begehrt / Wunderfrauen-Trilogie Bd.1
Schuster, Stephanie

Alles, was das Herz begehrt / Wunderfrauen-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Farblos-flacher Schreibstil

Lange blieb Band 1 der Trilogie auf meinem Stapel der zu lesenden Bücher liegen. Immer wieder legten sich andere Bücher obenauf, bis die Wunderfrauen fast ganz aus meiner Aufmerksamkeit verschwanden. Bei einem Akt der Selbstdisziplinierung fiel mir das Buch wieder in die Hände. Doch wie ich beim Lesen zunehmend feststellen musste: Das Buch war offensichtlich nicht zufällig in den Hintergrund gerutscht.
Es geht um vier recht unterschiedliche Frauen mit recht unterschiedlichen Lebensträumen in der Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders, einer Zeit, die voller Hoffnungen steckte, aber auch voller gesellschaftlicher Zwänge. Luise Dahlmann träumt von ihrem eigenen Tante-Emma-Laden, denn sie möchte endlich zur Eigenständigkeit finden. Lernschwester Helga Knaup, Marie Wagner, aus Schlesien geflohen, und die betuchte Arztgattin Annabel von Thaler – allen gemeinsam ist der Wunsch nach Glück.
In den fünfziger Jahren wurde ich eingeschult, deshalb gab es so einige Flashbacks beim Lesen. Doch diese Erinnerungsfetzen genügten leider nicht, dass ich mich tatsächlich für das Buch erwärmen konnte. Jede Frau erzählt aus ihrer individuellen Sicht, aus ihrem ganz eigenen Erleben und Denken heraus, sowohl zurückblickend als auch die Gegenwart beschreibend. Eigentlich wäre dieses schriftstellerische Vorgehen der perfekte Weg gewesen, dem Leser die vier Frauen ans Herz wachsen zu lassen, Sympathien zu wecken, Verständnis oder vielleicht auch Unverständnis, auf jeden Fall Gefühl. Doch leider bleiben die Personen absolut flach. Wir erfahren zwar einiges über ihre jeweiligen Stärken und Schwächen, aber das war‘s dann auch schon. Emotional blieben mir die Frauen fern. Sie wirken auf mich grau, fast möchte ich sagen unbedeutend, was jedoch an dem allzu einfachen Schreibstil liegt, der nicht in die Tiefe geht. Die Sprache ist insgesamt gesehen recht farblos und uninspiriert, und so bleibt das Erzählte für den Leser ebenso farblos und unbedeutend. Schade.

Bewertung vom 06.07.2021
Der Greif erwacht / Die Chroniken von Mistle End Bd.1
Mirow, Benedict

Der Greif erwacht / Die Chroniken von Mistle End Bd.1


ausgezeichnet

Grandios gut geschriebene fantasiereiche Abenteuergeschichte

Eigentlich lese ich Fantasy nicht besonders gerne. Aber die großartige zeichnerische Gestaltung des Schutzumschlages mit „Durchsicht“ fing meine Aufmerksamkeit ein. Und kaum hatte ich zu lesen begonnen, befand ich mich schon auf der Reise in die schottischen Highlands und verfiel zunehmend dem besonderen Zauber von Mistle End.

Cedrik reist mit seinem Vater, einem angesehenen Experten für Mythologie, nach Mistle End, einem sehr entlegenen kleinen Ort in den schottischen Highlands, um dort eine Lehrer-Stelle anzutreten. Der Junge ist nicht begeistert von diesem Umzug, aber er fügt sich. Mistle End erweist sich als ein sehr seltsamer Ort. Bereits in der ersten Nacht wird Cedrik von einem Albtraum heimgesucht, in dem ihm ein Greif seltsame Fragen stellt. Cedrik lernt die Geschwister Emily und Elliot kennen, die ihm nach und nach die Geheimnisse von Mistle End offenbaren, denn der Ort ist die Heimat vieler Hexen und anderer magischer Geschöpfe, die sich auf der Flucht vor den gefährlichen Menschen dorthin zurückgezogen haben. Jeder Neuankömmling muss deshalb eine Greifenprüfung bestehen. Dabei stellt sich heraus, dass Cedrik auf wunderbare Weise über die seltene Kraft verfügt, Erde und Pflanzen kontrollieren zu können. Er ist ein Druide! Davon ist die Dorfgemeinschaft nicht sehr erfreut, denn Druiden brachten bisher stets Unfrieden. Und was dann noch alles an unglaublichen Geschehnissen passiert, muss man einfach selber lesen.

Benedict Mirow schreibt so detailreich, so farbig, so eindrücklich, dass das Kopfkino einen Bilderbogen nach dem anderen produziert. Erzählt wird fesselnd-spannend und humorvoll, dabei gefühlvoll und facettenreich. Ich bin absolut beeindruckt von der schier unerschöpflichen Fülle an fantastischen Ideen des Autors. Zwar ist Cedric der eigentliche Held, aber auch all die anderen teils sehr eigenwilligen mystischen Wesen, die durch die Seiten tanzen, nehmen den Leser gefangen. So ganz nebenbei gibt es auch durchaus Wissenswertes zu erfahren, abgesehen von der ganz großen Botschaft, die Natur in ihrer Einmaligkeit zu achten und zu bewahren. Gekonnt nimmt die aufregende Spannung im Verlauf der Geschichte mehr und mehr zu und erfährt gegen Ende eine überraschende Wendung. Und so macht das Buch ganz große Lust auf eine Fortsetzung.

Fazit: Eine grandios gut geschriebene faszinierend-fantastische Geschichte, die den Leser im wahrsten Sinne des Wortes auf magische Weise verzaubert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.07.2021
Das Universum ist verdammt groß und supermystisch
Krusche, Lisa

Das Universum ist verdammt groß und supermystisch


ausgezeichnet

Sehr schräg, sehr traurig, sehr klug

Dass sich ein ganz besonderes und absolut lesenswertes Buch hinter dem Cover versteckt, glaubt man nicht. Das Titelbild zeigt einfallslos und platt-altmodisch die handelnden Personen und verrät dadurch nicht im Geringsten die kluge Sensibilität der Geschichte. Das ist schade, denn aufgrund der äußeren Gestaltung wird es das Buch schwer haben, seine passenden Leser zu finden. Es braucht also die persönliche Empfehlung.

Ganz kurz der Inhalt zusammengefasst: Da seine Mutter wieder mit einem neuen Mann zusammenlebt, spricht Gustav nicht mehr, solange bis „der Mann“ wieder weg ist. Gustavs innigster Wunsch ist, seinen echten Vater zu finden. Der könnte alles sein, vielleicht auch ein Binnenschifffahrtskapitän. Charles, das Mädchen mit dem riesigen bunt gestreiften Schal, findet nichts dabei, dass Gustav nicht spricht und immer seine Wasserpflanze Agatha mit sich trägt. „Wir finden deinen Vater“, sagt sie. Ganz einfach. Und Gustavs Opa, der traurige Clown im Altersheim, wird wieder jung bei der Suche nach Gustavs Vater, bei der Reise von Berlin bis Istanbul. Gustav zweifelt immer wieder, doch Charles weiß, wie man die Kraft des Universums aktiviert.

Eine absolut schräge Geschichte, keine Frage. Und eine schöne dazu. Eine, die Mut macht. Nie aufzugeben zum Beispiel. Oder es zu wagen, der eigenen Sehnsucht zu folgen. Oder Fremdem mit Offenheit zu begegnen. Aber auch treu zu sich selbst zu sein. Das und noch viel mehr steckt in diesem Buch, das es verdient, mehrfach gelesen zu werden, um weitere Feinheiten zu entdecken. Lisa Krusche erzählt kindgerecht lustig und aufregend, doch wer aufmerksam liest, spürt einen riesengroßen Berg an Traurigkeit hinter dem Vordergründigen. Ein Satz ist mir besonders hängen geblieben, der die Zaghaftigkeit, das Ängstlich-Sein, sich auf den Weg zu machen, so ausdrückt: „Besser nicht wegfahren, sonst passt man am Ende nicht mehr in seine Welt.“ Die Autorin schildert mit ganz feiner Beobachtungsgabe das, was Menschen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, ausmacht. Sie spielt mühelos mit den Sätzen wie eine Jongleurin, dadurch macht sie das Lesen leicht. Und genau darin liegt ihre besondere Schreibekunst. Denn „manchmal braucht man jemanden, der für einen träumt, wenn einem selbst die Fantasie fehlt“.

Fazit: Ein sensibles und lustig-kluges Buch für aufmerksame Leser.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.07.2021
Leono - Wie ein kleines Chamäleon Freunde findet
Bram, Anahita-Valia

Leono - Wie ein kleines Chamäleon Freunde findet


ausgezeichnet

Wie man ist, ist man richtig

Ein Feuerwerk an Farben lacht uns mit diesem Bilderbuch an, wunderschön in Szene gesetzt von Lena Lackmann. Schon das Cover allein mit dem kunterbunten kleinen Chamäleon verlockt dazu, das Bilderbuch in die Hand zu nehmen. Und die anrührende und kluge Geschichte bringt den Kindern Wichtiges auf kindgerechte und bunte Weise näher. .

Leono findet einfach keine Freunde, so sehr er sich auch anstrengt. Denn wenn er auf seinem braunen Knorzelbaum sitzt, wird auch er ganz braun und damit unsichtbar für andere. Und wenn Leono, der sich seiner Unsichtbarkeit nicht bewusst ist, hoffnungsfroh fragt, ob man etwas zusammen spielen könnte, machen sich Schrecken und Entsetzen breit, weil die Tiere glauben, der Baum hätte gesprochen. Und so wird Leono immer trauriger – denn ohne Freunde ist das Leben traurig-maus-grau. Doch als er dem Papagei Krawatte begegnet, werden die Tage plötzlich aufregend – und kunterbunt, nicht nur für Leono…

Die Geschichte, die Anahita-Valia Barn erzählt, hat so viele Facetten wie es Farben hat. Wer sich anpasst, wird nicht gesehen. Das ist so eine Botschaft, die darin steckt. Oder auch, dass man Farbe bekennen sollte. Denn wie man ist, ist man richtig. Ob mit Farbe oder ohne – alles ist wichtig und richtig. Diese Lektion Selbstwertgefühl muss Leono auf aufregende Weise lernen. Bald zeigt er, dass er das Herz auf dem rechten Fleck hat, Mitgefühl für die eingesperrten Tiere aufbringt und Mut beweist, indem er ihnen hilft. Und dass Freunde das Leben reicher machen, bunter, fröhlicher und erfolgreicher, auch das wird witzig und spannend zugleich erzählt. Genau hinschauen muss man außerdem, denn auf manchen Seiten geht es zu wie in einem kunterbunten Wimmelbuch. Wie das kleine Chamäleon Leono lernt, seine eigene Besonderheit als Kostbarkeit zu verstehen, das wird so fröhlich-humorvoll erzählt, so genial in Farben gemalt, dass man gar nicht aufhören mag, die Seiten immer wieder aus Neue anzuschauen, die Geschichte mit den vielen klugen und kreativen Ideen immer wieder und wieder zu lesen.

Fazit: Ein wunderbar geglücktes Bilderbuch, das ideenreich von traurig-maus-grau bis bunt-fröhlich Mut für die eigene Besonderheit macht.

Bewertung vom 29.06.2021
Tiefer Fjord
Lillegraven, Ruth

Tiefer Fjord


ausgezeichnet

Ein starker Spannungsroman, überraschend und beeindruckend

Ein Spannungsroman ist „Tiefer Fjord“, ein Debütroman und der erste Band einer Trilogie. Drei Gründe, um das Buch mit besonderer Neugier zu lesen. Und in der Tat, die Autorin bietet überraschendes und durchweg spannendes Lesefutter.

Haavard ist Klinikarzt und muss miterleben, wie ein kleiner pakistanischer Junge, offensichtlich schwer misshandelt, kurz nach Einlieferung stirbt. In der Nacht darauf wird der Vater des Jungen erschossen aufgefunden. Clara, Haavards Frau, versucht mit größtem Engagement, als Ministerin einen Gesetzesentwurf durchzubringen, der misshandelten Kindern früher als bisher Hilfe ermöglichen soll. Doch der Gesetzentwurf wird abgelehnt. In der Ehe von Haavard und Clara gibt es viele Unstimmigkeiten. Als kurz darauf eine iranische Frau ermordet wird, gerät Haavard unter Verdacht. Clara, deren politische Karriere damit in Gefahr gerät, muss Haavard entlasten, ohne zu wissen, ob er wirklich unschuldig ist.

Im Präsens erzählt Ruth Lillegraven und rückt damit die Geschehnisse besonders nah an den Leser heran. Die fast bedrohlich wirkende Kulisse der norwegischen Landschaft, insbesondere rund um einen unergründlichen Fjord, beeindruckte mich sehr. In wechselnden Perspektiven erfahren wir aus der Sicht von Haavard, Clara und weiteren Personen hautnah von deren Erleben, deren Gedanken und Gefühlen. Aber auch, wie Vergangenes ihr weiteres Leben bestimmen sollte. Mir ist besonders eindrücklich gewesen, wie ein winziger Moment einer falschen oder zumindest unbedachten Entscheidung zur Lawine führt, die alles Unschuldige mitreisst, das im Weg steht, und nichts als Verderben bringt. In angenehm kurzen Kapiteln schwirren wir in der ersten Hälfte des Buches um die einzelnen Personen herum wie Fliegen um eine Lichtquelle in der Dämmerung. Erst in der zweiten Hälfte des Romans beginnt das aktive Rätselraten und eine kontinuierliche Zunahme der Spannung, denn Überraschendes, Unerwartetes kommt auf den Leser zu. Und wer ist eigentlich Täter und wer Opfer? Und wem gilt unsere Sympathie? Verwirrend und überraschend!

Fazit: Ein starker Roman mit einer starken Geschichte, die noch lange nachwirkt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.06.2021
Kung-Fu Mama
Liebkind, Petra

Kung-Fu Mama


ausgezeichnet

Ein intelligentes Drachenmärchen

Bislang kannte und schätzte ich die Autorin als Krimi-Autorin. Nun unternimmt sie unter neuem Namen ein Ausflug in das locker-leichte Genre der Frauenromane. Deshalb näherte ich mich nur sehr vorsichtig dem Roman, schon allein weil ich altersmäßig sehr weit entfernt bin von der eigentlichen Zielgruppe der jungen Frauen und Mütter. Aber auch, weil ich dem Genre „Frauenromane“ grundsätzlich nur selten etwas abgewinnen kann. Dabei hätte ich es besser wissen müssen, denn warum sollte die Autorin unter neuem Namen plötzlich weniger gekonnt und weniger intelligent schreiben?

Marlene ist alleinerziehende Mutter von Stephan, das Geld ist knapp, die Klassenlehrerin unzufrieden und der Ex glänzt mit Unzuverlässigkeit. Marlene versucht jeden Tag den Spagat zwischen Kinderbetreuung, Job in der Filiale einer Modekette und einem Minimum an Geldausgaben. Als sie zufällig von kostenlosen Schnupperstunden für einen Kinderkurs in Kung-Fu (mit Erwachsenenbegleitung) erfährt und Stephan begeistert teilnehmen möchte, meldet sie sich und ihren Sohn an. Der chinesische Kursleiter, der Shifu Liwei, ist ein besonderer Mensch, ernst, undurchsichtig, mit dunklen Mandelaugen und einem umwerfenden Duft…

Um es kurz zu machen: Ich habe das Buch sehr, sehr gern gelesen und fühlte mich richtig gut unterhalten. So manche Szenen ließen mich laut auflachen. Wenn zum Beispiel das Kung-Fu-Training zu einer hochexplosiven Situation führt, wenn man vorher Brokkoli gegessen hat. Der Schreibstil der Autorin ist plastisch-farbig und enthält eine Fülle von großartig geglückten bildhaften Schilderungen. Die Mischung aus gefühlvollen Szenen, aus romantischen Gefühlen, aus verzweifelten Situationen und chaotischen Verwirrungen, das alles mit mehreren Prisen Humor verbunden, macht das Buch so wunderbar leicht und unterhaltsam lesbar. Aber der Roman beinhaltet auch Ernstes, die Problematik Alleinerziehender zum Beispiel, deren Alltag oftmals härter ist als das Kung-Fu-Training. Oder die Lebensfrage, wie man wird, was man wirklich ist. Es ist schon eine besondere Autorenkunst, diese Bandbreite zwischen leicht und schwer so aufs Papier zu bringen, dass das Buch süß wie ein Sahnebonbon zu konsumieren ist, hinterrücks jedoch beim Leser durchaus existentielle Fragen im Gedächtnis bleiben.
Fazit: Ein chinesisch-österreichisches Drachenmärchen, kurzweilig, intelligent und humorig.

Bewertung vom 24.06.2021
Khalil Gibrans kleines Buch der unvergänglichen Liebe
Gibran, Khalil

Khalil Gibrans kleines Buch der unvergänglichen Liebe


ausgezeichnet

Ein Wegbegleiter für Jahre

Dieses kleine Büchlein besticht schon allein durch seine sorgfältige Gesamtgestaltung. Das Cover mit dem Motiv „The Peacock“ und dazu passend auf bordeauxfarbenem Untergrund Titel und Untertitel abgesetzt, dazu ein Lesebändchen – alles wirkt fein und liebevoll. Ein Geschenkbändchen, in das man in stillen Momenten immer wieder hineinschauen kann.

Das Buch beleuchtet das unermessliche, unausschöpfbare Thema Liebe aus vielen verschiedenen Richtungen und Aspekten, in erzählender und in Versform. „Die Liebe hat vielerlei Gesichter, mannigfache Möglichkeiten, Verstecken zu spielen.“
Der Lyriker Jochen Winter hat die ausgewählten Worte von Khalil Gibran mehr als 80 Jahre nach dessen Tod neu übersetzt und für unser heutiges Sprachempfinden eingängiger gemacht. Ich bin literarisch und fremdsprachlich nicht bewandert genug, um die Qualität der Neuübersetzung beurteilen zu können. Mir bleibt nur der Ausdruck meines ganz persönlichen Empfindens. Man wird dem Buch sicher nicht gerecht, wenn man es durchlesen möchte wie einen Roman. Vielmehr glaube ich, dass es Aufmerksamkeit und Stille und Sorgfalt vom Leser fordert, um die Schätze, die sich in den Seiten verbergen, wirklich auffinden zu können. Es handelt sich um keine oberflächlichen Postkartenweisheiten, sondern um kleine wortfunkelnde Edelsteine, deren Wert sich nur dem erschließen mag, der poetische Sprache und ihre Bilder zu übersetzen versteht hinein ins persönliche Leben. Khalil Gibran verbindet in seinen Wortbildern, Parabeln und Geschichten auf unvergleichliche Weise Strömungen des Orient mit westlicher Philosophie, was den Anspruch, aber auch den Reichtum ausmacht.
Ich werde noch viele Jahre in diesem Buch lesen…

Bewertung vom 23.06.2021
Du wirst es mir niemals sagen
Kerninon, Julia

Du wirst es mir niemals sagen


sehr gut

Ein kleines literarisches Juwel

Diese Rezension fällt mir sehr schwer. Wie werde ich nur diesem Roman gerecht? Einerseits ist er literarisch faszinierend, andererseits handelt es sich um eine Geschichte über eine Hauptperson, mit der ich nichts, aber auch gar nichts anfangen konnte.

Liv Maria ist ein verwöhntes Einzelkind, gefangen in einem allzu liebevoll-behütenden Elternhaus. Nach einem Vorfall muss Liv Maria 17-jährig von jetzt auf gleich ihre bretonische Heimat verlassen und bei ihrer Tante in Berlin Unterschlupf finden. Dort lernt sie einen um viele Jahre älteren und verheirateten Professor kennen. Fergus ist Ire und hat in Berlin eine befristete Gastprofessur. Liv Maria wird seine Geliebte und erlebt diese Liebe in einer Intensität, dass sie diese Erfahrung nie mehr vergessen wird. Nach dem abrupten Ende der Beziehung wird Liv Maria zu einer Globetrotterin, schlägt sich in fernen Ländern durch, wird erfolgreiche Geschäftsfrau. Als sie in Chile den jüngeren Flynn kennen lernt, kehrt sie mit ihm nach Irland zurück, wird Ehefrau und Mutter zweier Kinder. Man glaubt, jetzt sei Ruhe in Liv’s Leben eingekehrt, doch das ist ein gewaltiger Irrtum….

Der Roman ist ein kleines literarisches Juwel , denn auf recht unerklärliche Weise hat er etwas magisch Betörendes, ohne dass ich in Worte fassen könnte, woran das liegt. Vielleicht ist es die Feinfühligkeit, in der erzählt wird. Schon allein die Schilderung der Anziehung zwischen Professor und Liv, wie Liv geködert wird durch Etymologie, durch die blinkende Kraft der Wörter, ist besonders. Auch der außergewöhnlich ausgeprägte Geruchssinn der Autorin fällt auf. Dessen Beschreibungen erzählen beeindruckend fast eigene Geschichten. Fein, still und doch immens schlagkräftig schreibt Julia Kerninon. Schade nur, dass ich mit der Protagonistin Liv Maria als Person nichts anfangen kann. Sie war und blieb mir über das ganze Buch hinweg völlig fremd in ihrem Denken und Handeln. Und am wenigsten konnte ich die unerwartete Wendung am Ende nachvollziehen. Allerlei Zitate und Verweise führen in das weite Universum der Literatur, was mir jeweils sehr gut gefiel.
Zusammengefasst würde ich sagen, es handelt sich um einen Roman über die Liebe: Über die körperliche, unverbindliche Liebe, über eine Liebe im Vorübergehen, über eine Liebe der Treue und Verantwortlichkeit, der Wurzeln schlagenden Liebe und über eine geheime Liebe, nicht erzählbar und damit letztlich alles bestimmend. Magisch eben.