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easymarkt3
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Insgesamt 748 Bewertungen
Bewertung vom 08.12.2023
Südstern
Staffel, Tim

Südstern


weniger gut

Einblicke in ein besonderes Stadtviertel Berlins.
Der Roman Südstern handelt von einem Vorort Berlins, nämlich Friedrichshain – Kreuzberg, handelt von alltäglichen Problemen fernab von der Wohlfühlidylle dieser Hauptstadt. Die Hauptfiguren Vanessa Paschke, Mitte 20, ausgebildete Pharmakologin, aber tätig vor allem als Drogenkurierin und Deniz Aziz, Streifenpolizist in einem turbulenten multikulturellen Viertel, versorgt seinen dementen Vater - beide berichten als Ich-Erzähler von ihrem stressigen Alltag. Der in mehrerer Hinsicht nun doch ungewöhnliche Schreibstil lässt die Zeichensetzung wörtlicher Rede vermissen. Kurze, emotionslose Sätze, wenige Dialoge, eingeflochtene türkische Wörter, der unangekündigte Wechsel des Ich-Erzählers zügeln den Lesegenuss. Die knallharte Realität mit eindeutiger Überforderung auch einiger Nebenfiguren trifft auf ein wenig Romantik zwischen Vanessa und Deniz. In diesem sozialkritischen Roman erfährt man viel über großstädtische Probleme: häusliche Gewalt, Übergriffe in der Justizanstalt, Geldmangel, Ausländerhass, Mangel an Pflegekräften, Überstunden bis zu drei Schichten hintereinander im Polizeidienst und in der Psychiatrie etc.. Die vielen Schattenseiten Berlins wirken sehr bedrückend und chaotisch. Es ist keine leichtgängige Lektüre, die jedem Leser gefallen mag.

Bewertung vom 06.12.2023
Zwischen zwei Monden
Gawad, Aisha Abdel

Zwischen zwei Monden


sehr gut

Erwachsen werden als Muslimin in NY
Die Szenerie spielt in New York City, im muslimischen Emigrantenviertel Bay Ridge. Gezeichnet wird das Porträt einer ägyptischen Familie während des Monats Ramadan mit den 17-jährigen Zwillingen Amira und Lina, Sie verbringen einen heißen Sommer zusammen mit ihrem älteren Bruder Sami, der unerwartet vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen, wieder in der warmherzigen Familie sichere Aufnahme findet. Thematisiert wird das Leben als unternehmungslustiger Teenager in Amerika und gleichzeitig als gläubige Muslimin voller Traditionen und Zwänge. Sehr interessant sind die vielen Details zum Ramadan mit Zeremonien wie z.B. Waschungen, Pflichtgebeten, Fasten, Speisen. Ebenso aufschlussreich sind auch die Überwachungsmechanismen und Arbeitsweisen des New York Police Departments, dokumentiert anhand der Reportagen im Roman: Ständig unter Beobachtung und ohne Haftbefehl werden amerikanische Muslime verhaftet. Der ehrliche Blick auf Rassismus, auf das feste Band der Schwestern und ihren Ängsten und ihrem Misstrauen innerhalb ihrer Community wird ergänzt durch Rückblenden der Eltern zu deren Auswanderungsgründen aus Ägypten. Die Hauptperson Amira Emam fühlt sich eingeengt zwischen zwei Monden: mit dem linken Arm zu dem blutigen Mond Samis, mit ihrem rechten Arm zum helleren Mond ihrer Zwillingsschwester Lina. Geschichten über Propheten wie Suleiman erinnern an 1001-Nacht. Insgesamt ein lebendiger, warmherziger, aber auch aufrüttelnder Roman über das Zusammenleben von Muslimen in NY nach 9/11.

Bewertung vom 05.12.2023
Das Glück hat seine Zeit
Adebayo, Ayobami

Das Glück hat seine Zeit


sehr gut

Gibt es Glück in diesem zerrissenen Land?

Der Originaltitel lautet A spell of good things - Ein Zauber oder Bann der guten Dinge. Das Cover zeigt die Hauptfiguren in starken lebensfrohen Farben, in gegensätzliche Richtungen blickend – das Glück suchend? Die Gliederung in vier Teilen beschreibt zunächst etwas langatmig die Lebensbedingungen der Hauptfiguren, des 17-jährigen Schülers Eniola und der 28jährigen Assistenzärztin Wuraola. Mit ihren Familien leben sie in sehr verschiedenen Welten: hier äußerste finanzielle Not, Hunger, Betteln, dort ein privilegiertes Leben im korrupten Nigeria rund um Ibadan. Ist zunächst der Zusammenhalt innerhalb beider Familien trotz aller Probleme noch ein positives, taktvolles Miteinander, entwickelt sich die Szenerie zu einem zerstörerischen, machtvollen Strudel, dem beide Familien nicht entkommen – ohne Gnade und Erlösung. Thematisiert werden Depression und Selbstmord durch Arbeitslosigkeit, fehlende Sozialdienste, schlechte gesellschaftliche Zustände nicht nur im Schulsystem, Misshandlung und häusliche Gewalt bei Frauen, Druck auf Frauen durch starre, traditionelle Normen, Mord und Korruption in der Politik. Besonders die weiblichen Charaktere treten als starke, weise Figuren hervor. Beide unterschiedlichen Welten der tragischen Hauptfiguren treffen sich schließlich, Zusammenhänge klar einfühlsam beschreibend. Zahlreiche typisch nigerianische Begriffe wie Wax Prints, Agbalumo, Aso-Oke, Harmattan, Gari etc. lassen die Kultur der Yoruba lebendig werden. Die Botschaft der Kritik am dortigen gesellschaftlichen und politischen System ist klar verständlich, eine ganz andere Welt als unsere westeuropäische.

Bewertung vom 03.12.2023
Milchbar
Molnar, Szilvia

Milchbar


gut

Du weißt erst zu schätzen, was du hast, wenn du es verlierst.
Das Cover zeigt in großer Unschärfe eine weibliche Brust, die Milchbar – passend zum Thema gewählt. Zwischen Stillen, Herumtragen und Wickeln des Neugeborenen enthält der Roman wenig Handlung. Die Realität von Mutterschaft wird realistisch eingefangen, denn eben noch frei und selbstbestimmt, muss die junge Frau, die Ich-Erzählerin, nun nach der Geburt den endlosen Bedürfnissen des Babys gerecht werden. Im neuen Leben mit postnataler Depression, mit Milchpumpe, Wochenbett-Netzhosen, riesigen Binden für ihren wunden Körper, springt die Autorin etwas gedanklich wirr in ihr vorheriges Leben, beschreibt daneben ihre völlige Selbstaufgabe in großer Einsamkeit, auch ihre teils perversen Gedanken John und das Baby betreffend. Ihre partnerschaftlichen Veränderungen werden ebenso angesprochen. Reflektionen über das Übersetzen von Texten und über Bryologie als der Wissenschaft von den Moosen spielen in diesem ehrlichen Mutterporträt eine nachrangige Rolle. Der Schreibstil ist teilweise brutal, sprüht nicht voller Begeisterung und Liebe für das Baby, sondern kämpft ich-bezogen mit der noch neuen Mutterschaft und ihrer körperlichen und seelischen Überforderung.

Bewertung vom 02.12.2023
Auf dem Nullmeridian
Lewis, Shady

Auf dem Nullmeridian


gut

Wo einmal deine Wiege stand, nur dort ist auch dein Heimatland.
Der Erzähler ist ein in Kairo ausgegrenzter koptisch-christlicher Ägypter, der vor ca. 10 Jahren als Immigrant in London anerkannt wurde und als frustrierter Sozialarbeiter und Dolmetscher im sozialen Dienst der Stadtverwaltung seines Bezirks die Zuteilung von viel zu wenigen Sozialwohnungen bearbeitet, hier gesellschaftliche Missstände und zu viel Bürokratie aufführend. Seine Rückbesinnung an eine Kindheit und die wenigen Kontakte über soziale Medien machen sein starkes Heimweh nach Kairo spürbar. Doch jetzt wäre er dort ein Fremder wie jetzt noch immer in London, oft behandelt wie als Muslim. Thematisiert werden weiterhin seine Ohnmacht über die schlechten Lebensverhältnisse von Flüchtlingen und Demütigungen ihm gegenüber in dieser Demokratie voller Entrechteter, mit Speakers’ Corner im Hyde Park und dem Nullmeridian, einer Linie am Observatorium in Greenwich, die die Welt in Osten und Westen teilt. Anlässlich der Beerdigung eines jungen Syrers reflektiert der Autor über respektvolle heimatliche Beerdigungsriten mit Kondolenzfeier etc., über das gesellschaftliche Interesse hier an möglichst schnellen, kostensparenden Bestattungen. Voller Ohnmachtsgefühle und Gewissensbisse den Lebenden gegenüber möchte er wenigstens den Toten zu Nutzen sein und einen würdigen letzten Abschied bieten. Weitere Figuren wie Patrick der Baumwollmann, seine Arbeitskollegen, Frau A., Leute vor der ägyptischen Botschaft bei Solidaritätsdemonstrationen und seine ägyptischen Kontakte beleben den ansonsten tristen Arbeitsalltag des Erzählers. Sein Exkurs, wie man Freiheit und Meinungsfreiheit hier und in Ägypten praktiziert, strotzt vor Sarkasmus. Insgesamt die nachvollziehbare Beschreibung eines unbefriedigenden Lebens, vom National Health Service ausgegebene Fragebogen abzuarbeiten mit gelegentlichen Außenterminen, in der ungeliebten Fremde voller Rassismus und Missständen – ein trauriges, besinnliches Buch.

Bewertung vom 01.12.2023
All die ungesagten Dinge
Lien, Tracey

All die ungesagten Dinge


sehr gut

Tuổi trẻ thiếu tinh thurong. Kindheit ohne Liebe.
Das Cover spiegelt die Zerrissenheit der Gefühle und die bruchstückhafte Mordaufklärung ideal bildlich wider. Cabramatta, ein Vorort von Sydney, hat tatsächlich in den 1990er-Jahren eine Heroin-Epidemie erlebt. Dort wohnen vorwiegend asiatische Flüchtlingsfamilien wie Familie Tran mit den Kindern Ky und Denny, deren Werte und Verhaltensweisen typisch sind für Immigranten aus Vietnam. Vieles wird nicht ausgesprochen, weder Gefühle noch die Wahrheit, wie hier zu Denny Trans Tod. Rund um sein schockierendes Schicksal ergreift seine große Schwester Ky die Initiative, um mehr über den Tathergang zu erfahren. Die Polizei zeigt großes Desinteresse an Problem-Migranten wie sie und ihren Migrantenproblemen, Zeugenbefragungen enden in mageren Stellungnahmen, meist in Lügerei. Deutlich werden dabei der Rassismus und die Ungerechtigkeiten, denen Asiaten in Australien damals ausgesetzt sind. Die tiefe Freundschaft Kys zu Minnie mit ihren bedrohlichen familiären Verhältnissen ohne Liebe überlebt trotz sehr verschiedener Lebenswege. Der schmerzhafte Verlust von Heimat, von Zugehörigkeit, von Selbstvertrauen spiegelt sich im Trauerverhalten von Kys Eltern wider, wohl übertragbar auf alle Flüchtlinge weltweit. Ihre Religion, der Buddhismus, und ihre Trauerrituale nach den Konfuzius-Regeln besonders in Tempeln werden ebenso wie die Mondneujahrsfeierlichkeiten mit den Löwentanzgruppen thematisiert. Insgesamt wird ein authentisches Bild über das Leben asiatischer Einwanderer in Australien gezeichnet.

Bewertung vom 30.11.2023
Warum wir noch hier sind
Pelny, Marlen

Warum wir noch hier sind


ausgezeichnet

Trauerbewältigung und der Umgang mit dem Tod – sehr berührende Momente.
Das eher farblich schreiend poppig gestaltete Cover zeigt stilisiert drei nebeneinander stehende Frauen zwischen zwei hohen, schmucklosen Gebäuden, deren Blick in die Höhe gerichtet ist. Es wirkt insgesamt erfrischend jung und modern – so hätte Etty, das 14-jährige Mordopfer, ihre Beerdigung gewünscht. Der Buchtitel erinnert an die vielen quälenden Augenblicke für die Zurückgebliebenen nach dem sinnlosen, gewaltsamen Tod eines geliebten Menschen. Die Szenerien spielen in Berlin und Halle an der Saale.
Im ersten Erzählstrang geht es um die emotionale Erschütterung der Hinterbliebenen in Berlin, um ihre beste Freundin, die Mutter von Etty. Sie ist total überfordert mit der notwendigen Bürokratie bei einem Todesfall, seelisch erschlagen in enormer Hilflosigkeit an einem Ort, der sich eigentlich für die Erzählerin wie ein Zuhause anfühlte, nun aber zur Gefahrenzone mutiert,
Die zweite Erzählebene spielt in einem Plattenbau von Halle, der Wohnort der geliebten 84-jährigen Großmutter. Die bildhafte Schilderung am Grab des Großvaters, im Restaurant, in der Wohnung im 7. Stock spiegelt ein liebevolles, respektvolles Miteinander wieder. Bei all den fürsorglichen Besuchen der Hauptfigur, ihrer Enkelin, findet sich neben ihrer Liebe auch sehr viel Trost.
Der kraftvolle, klare Sprachstil geht nicht brutal, sondern sehr fein und einfühlsam um mit Emotionen der Trauer, des Verlusts und Trostes. Gleichzeitig lehnt sich die Hauptprotagonistin auf gegen Gewalt gegenüber Frauen.
Ein Lesehighlight!

Bewertung vom 29.11.2023
Die Möglichkeit von Glück
Rabe, Anne

Die Möglichkeit von Glück


gut

Ein intensiver Einblick in ostdeutsche Lebensweise.
Das Cover zeigt ein dem Leser abgewendetes Mädchen in sommerlicher Bekleidung auf einer Schaukel sitzend, hineingeboren in eine Zeit voller Lügen und Verdrängung. Stine ist im vereinten Deutschland nach der Wende auf intensiver Spurensuche besonders in der eigenen Familiengeschichte. In ihren Reflektionen und Nachforschungen geht es um die Aufarbeitung in dem totalitären, autoritären System der ehemaligen DDR mit ihrer systemtreuen Familie, insbesondere mit ihrem Großvater Dr. Paul Bahrlow. Mit dem Fall der Mauer vollzieht sich eine historische Zäsur mit der Möglichkeit von Glück, wie der Buchtitel verrät. Durch die Wende wird hier vieles hinterfragt und gerät im eigenen Wertesystem des bisherigen Zusammenlebens durcheinander. Ihre Vergangenheitsbewältigung ist auch sprachlich verständlich aufgearbeitet. Thematisiert wird die physische, psychische und strukturelle Gewalt in den Familien, in Schulen, auf der Straße, auch mit Neonazis im Osten Deutschlands, selbst nach etlichen Jahrzehnten der Wiedervereinigung. Begriffe wie Jugendwerkhof, Torgau, Hohenschönhausen, Namensweihe, Blockwartmentalität, Jugendweihe, sozialistischen Planwirtschaft, Hakeburg, Junge Gemeinde, staatsnah, Wochenkrippe, Waldsiedlung, Bertolt Brecht etc. werden im Geschichtsunterricht an westdeutschen Schulen sicher nicht so bildlich im ostdeutschen Kontext vorgestellt. Selbst wenn keine Familienbande zu Ostdeutschland vorhanden sind, könnte politisches und geschichtliches Interesse hier geweckt worden.

Bewertung vom 28.11.2023
Risse
Klüssendorf, Angelika

Risse


gut

Kindheitserinnerungen mal anders dokumentiert.
Das Cover zeigt wohl eines der wenigen Fotos, die es von der Autorin gibt, aufgenommen kurz nach ihrer Ankunft in Usedom bei ihrem Vater und der Stiefmutter, mit einem sanften Lächelns voller sommerlicher Erwartungen. Der sicherlich bewusst gewählte Titel RISSE deutet auf eine alptraumhafte Kindheit in der DDR mit unverantwortlich handelnden Eltern hin, vernachlässigt in ihrer Kindheit durch Alkoholismus, Mangelernährung, Gewalt und Sadismus, Suizid-Versuchen des Vaters, gefolgt durch Diebstahl, Lügerei, Heimaufenthalten, Streunen und Verwahrlosung. In der Ich-Form erzählt die Autorin als misshandeltes Wesen von der üblen Macht der Eltern, der Heimmitarbeiter, der Polizei in einem kargen, emotionslosen Schreibstil, nicht anklagend, eher das soziale, kalte Umfeld schnörkellos beschreibend in 10 Geschichten. Kursiv gesetzte Zwischentexte korrigieren diesen autofiktionalen Text in Richtung Autobiografie oder kommentieren das eben Erzählte. Nur die kindliche Verbundenheit zu ihrer kleinen Schwester und die Liebe zu Büchern scheinen die Risse in ihrem traumatischen jungen Leben zu kitten.
Insgesamt bruchstückhafte, berührende Kindheitserinnerungen in asketisch gewählter Schreibweise dokumentiert.