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Benutzername: 
julemaus94
Wohnort: 
Jena

Bewertungen

Insgesamt 442 Bewertungen
Bewertung vom 22.11.2021
Harlem Shuffle
Whitehead, Colson

Harlem Shuffle


sehr gut

Kriminalistische Sozialkritik

Es sind die 1960er in New York, Ray Carney führt ein Möbelgeschäft in Harlem. Doch die Geschäfte laufen nicht besonders gut, weshalb er des Öfteren Sachen verkauft, die sein Cousin Freddy im Laden vorbei bringt. Diese kaum legalen Geschäfte ufern irgendwann immer mehr aus, bis er bis zum Hals im Mist steckt.

Colson Whitehead hat eine ganz besondere Art zu erzählen. Er bietet seinen Figuren sehr viel Raum zum Entfalten und Entwickeln, bezieht eine manchmal etwas überfordernde Anzahl an Figuren in seine Geschichte ein. Diesen Blick fürs Detail muss man mögen und genießen können.

Genauso schafft er es aber auch unheimlich gut, die Atmosphäre dieses turbulenten Kessel der Kulturen, das Harlem 1960 einzufangen und dieses Viertel im Kopf lebendig werden zu lassen.

Nicht zuletzt aber ist es immer wieder beeindruckend wie er Themen wie Alltagsrassismus und Sozialkritik einzubinden, das Bewusstsein des Lesers für diese Themen zu erregen.

Neu für den Autor (und auch für mich) war der kriminalistische Aspekt der Geschichte. Der ist ihm leider nicht ganz so gut gelungen, die Spannung lässt ab und zu etwas auf sich warten. Aber ich denke, dass dies auch nicht sein Hauptanliegen war, einen reißerischen Roman zu schreiben. Tatsächlich hat mir die Mischung letztlich wirklich gut gefallen.

Bewertung vom 11.11.2021
Auf Basidis Dach
Ameziane, Mona

Auf Basidis Dach


ausgezeichnet

Interessante Einblicke

Mona ist das Kind zweier Länder, in ihr vereinen sich Deutschland und Marokko. Und auch wenn sie den Großteil ihrer Kindheit in Deutschland verbracht hat, so kann sie doch viel über ihr zweites Heimatland berichten.

Für mich war Marokko bis jetzt ein sehr fernes Land auf dem afrikanischen Kontinent, über das ich bis auf seine geografische Lage nicht viel wusste. Allein für die Einblicke in die Kultur und den Alltag Marokkos bin ich diesem Buch sehr dankbar. Ohne den Leser zu langweilen, erzählt Mona auf eine sehr persönliche Art von ihren Erlebnissen und Eindrücken. Man lernt die (Tee-)Kultur ebenso kennen wie die gesellschaftliche Schere, die sich zwischen Arm und Reich, Mann und Frau, Einheimischen und Touristen teils sehr stark öffnet.

Aber auch von Erfahrungen, die sie als Deutsche mit Migrationshintergrund erzählt sie. Erfahrungen, die ich nie gemacht habe und auch nie machen werde; die ich aber dank ihrer Erzählungen nun umso besser nachfühlen kann.

Das Buch ist leider relativ kurz ausgefallen, ich hätte ihr noch seitenlang folgen können. Letzten Endes bin ich aber einfach nur dankbar, dass sie mich an ihrer Kultur hat teilhaben lassen, dass sie mich in die ferne Welt Marokkos entführt hat und mir Seiten dieses Landes gezeigt hat, die ich als Touristin wohl nie entdecken können werde.

Bewertung vom 11.11.2021
Unsichtbar im hellen Licht
Gardner, Sally

Unsichtbar im hellen Licht


ausgezeichnet

Mystisches Märchen

Manche Märchen packen dich und fesseln, ohne dass man genau sagen könnte, woran das liegt.

Gemeinsam mit Celeste tauchen wir ein in die Geschichte, erwachen ohne Erinnerungen im Opernaus und verstehen die Welt nicht mehr. Wer sind diese ganzen Menschen und warum nennt sie jeder Maria? Was hat es mit dem Mann im smaragdgrünen Anzug auf sich, der mit ihr ein Spiel spielen will?

Um ehrlich zu sein: die Geschichte macht es einem anfangs nicht leicht, es dauert einige Zeit um sich zurecht zu finden. Mir standen anfangs mehr Fragezeichen vor Augen als Celeste selbst. Doch schnell packt mich dieser seltsame Schreibstil, der eine mystische Stimmung heraufbeschwört.

Das Märchen ist spannend, wendungsreich. Lange Zeit ist nicht klar, ob Celeste am Ende ihr Ziel erreichen wird. Zum Glück findet sie im Laufe der Geschichte einige Verbündete.

Wie es typisch für Märchen ist, versteckt die Autorin in ihrer Erzählung einiges an Moral, ohne dass es zu belehrend wirkt. Doch ich bin mir nicht sicher, ob das Buch als Kinderbuch bezeichnet werden kann. Es ist ein sehr ernstes, düsteres Märchen, das mit seinen Winkelzügen einiges an Hirnschmalz bzw Aufmerksamkeit vom Leser verlangt. Und doch lohnt es sich auf jeden Fall.

Bewertung vom 11.11.2021
Wenn ich wiederkomme
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


sehr gut

Verschiedene Blickwinkel

Marco Balzano schafft es irgendwie immer wieder, Themen aufzugreifen, über die ich mir bisher noch überhaupt keine Gedanken gemacht habe; sei es, weil ich keine Berührungspunkte damit hatte oder weil ich sie verdrängt habe. Die Geschichte der Pflegekräfte aus dem Osten, die ins Ausland auswandern um mit der Knochenarbeit, die bei uns niemand übernehmen möchte, ihre Familien zuhause versorgen, ist ein solches Thema.

Daniela lässt eines Nachts ihre Familie und ihre rumänische Heimat hinter sich, um in Italien als Pflegerin Geld zu verdienen und damit ihre Lieben daheim zu ernähren. Was diese Entscheidung sowohl für sie als Zurücklassende als auch für ihren Sohn und ihre Tochter als Zurückgelassene bedeutet, beleuchtet der Roman in drei Teilen.

Durch die wechselnde Perspektive wird die Erzählung besonders eindrücklich. Man erhält Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt aller Beteiligten, entwickelt sowohl Verständnis für Manuels jugendlichen Trotz als auch für die Hilfslosigkeit und Verlorenheit Danielas, die sich in der neuen Stadt mit schwierigen Patienten und Verständnisbarrieren auseinandersetzen muss und dafür Verständnis und Anerkennung von der Familie erhofft, die ihr verwehrt bleibt.

Die Figuren bleiben für mich, obwohl die Einblicke teilweise sehr tiefgreifend sind, etwas unnahbar. Manchmal fehlen mir ein wenig die Emotionen. Und doch schafft es das Buch, eine gewisse Verbindung aufzubauen. Das Verständnis, das Daniela bei ihren Kindern sucht, findet sie zumindest bei mir.

Fazit:
Ein interessantes und wichtiges Thema, aus allen Blickwinkeln betrachtet.

Bewertung vom 11.11.2021
Die Rückkehr der Zwerge 1 (MP3-Download)
Heitz, Markus

Die Rückkehr der Zwerge 1 (MP3-Download)


sehr gut

Neueinstieg geglückt

Markus Heitz hat mit seiner fünfbändigen Reihe rund um die Zwerge vor Jahren einen riesigen Erfolg gefeiert, der leider komplett an mir vorbei gegangen ist. Mit seinem Buch "Die Rückkehr der Zwerge" knüpft er nun hunderte Jahre (oder Zyklen) später an seine Erfolgsgeschichte an.

In mehreren Erzählsträngen begleitet er Zwerge der verschiedenen Stämme in ihren Bestrebungen, ihr Heimatland zurückzuerobern. Im Mittelpunkt steht dabei Goimron, der auf der Suche nach Zwergenartefakten auf das Tagebuch seines berühmtesten Vorfahren Tungdil Goldhand stößt und damit eine riesige Suche anleiert, die auch die Feinde der Zwerge auf den Plan ruft.

Man merkt schnell, dass dieses Buch eine klassische High Fantasy-Geschichte ist: Zwerge, Orks, Albae und Elben, sowie Drachen und Menschen befinden sich in einem ständigen Gerangel um Macht und Edelsteine. Es gibt Magie und Intrigen, jedes Volk ist sich selbst das nächste und sich nicht zu fein dafür, den Verbündeten in den Rücken zu fallen. Es wird gereist und gekämpft.

Die Geschichte ist komplex, die Figuren vielzählig. und trotzdem fiel es mir nicht schwer, den Überblick zu behalten (und das, obwohl das Hörbuch kein Glossar oder eine Karte enthält). Der Autor hat einen überzeugend flüssigen Stil, die teilweise sehr skurrilen Namen wirken trotz allem authentisch (auch wenn ich für die Rezension zehnmal nachschlagen muss, wie sie sich denn nun schreiben).

Einen großen Beitrag zum Erfolg dieses Buches leistet für mich vor allem Johannes Steck mit der Vertonung. Er verleiht den Zwergen und anderen Figuren eine wirklich mächtige und eindringliche Stimme und schafft es auch, Emotionen gekonnt zu vermitteln.

Fazit:
Auch wenn dies mein erster Ausflug ins Reich Tungdil Goldhands war, so wird es mit Sicherheit nicht mein letzter gewesen sein.

Bewertung vom 11.11.2021
Junge mit schwarzem Hahn
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


ausgezeichnet

Düsteres Märchen

Stefanie vor Schulte hat mit ihrem Debut wirklich den Urtypus des Märchens herauf beschworen.

Die Geschichte des 11-jährigen Martin, der schon früh seine Familie verloren hat und sich seitdem aus eigener Kraft am Leben erhält hat nichts beschönigendes. Liebe und Zuwendung fehlt in seinem Leben, die Bewohner seines Dorfes begegnen sich mit Argwohn und Neid, im besten Falle noch mit Gleichmut. Jeder ist sich selbst der nächste. Einziger Lichtblick ist sein schwarzer Hahn, zu dem er eine ganz besondere Beziehung hat, der ihn aber gleichzeitig auch zum Außenseiter in der Gesellschaft anderer Menschen macht.

Die Erzählung ist düster und sprunghaft. Das Geschehen wird etwas episodenhaft betrachtet, die einzelnen Ereignisse scheinen anfangs in keinerlei Zusammenhang zu stehen. Und doch ergibt alles am Ende einen Sinn und gipfelt in der ersehnten "Moral von der Geschicht'".

Auch wenn die Erzählung inhaltlich eher trist und hoffnungslos erscheint, überzeugt die Autorin doch mit einem sehr bildhaften, manchmal fast schon poetischen Schreibstil, der dadurch einen krassen Gegensatz bildet. Und auch wenn das Buch recht kurz ausfällt, überzeugt es mich doch in seiner Komplexität.

Bewertung vom 15.10.2021
Das Schwarze Lied / Rabenklinge Bd.2
Ryan, Anthony

Das Schwarze Lied / Rabenklinge Bd.2


sehr gut

Würdiger Abschluss

Vaelin al Sornas Abenteuer in den Westreichen finden nun mit "Das schwarze Lied" ein würdiges Ende.

Viele kennen die Dunkelklinge bereits aus der Rabenschatten-Reihe. Nun hat der Erfolgsautor mit der Rabenklingen-Dilogie eine neue Geschichte um den Helden geschrieben, die man getrost auch ohne Vorkenntnisse lesen und genießen kann.

Die große Schlacht gegen Kehlbrand und seine Stahlhast ist verloren. Während sich Vaelin und seine Verbündeten zurückziehen, um ihre Kräfte zu sammeln und sich neu aufzustellen, breitet sich die Macht des selbsternannten Gottes immer weiter aus. Zudem kämpft unser Titelheld gegen die Kräfte, die ihm sein neu erlangtes, dunkles Lied verleiht.

Anthony Ryan hat einen ganz eigenen Schreibistil, der selbst eher ruhigere Abschnitte in epische Betrachtungen verwandelt. Seine Erzählung ist dabei so bildhaft, dass selbst die größten, verwirrendsten Schlachten im Kopf eine klar erkennbare Gestalt annehmen.

Dabei verliert er nie seine (zugegebenermaßen unzähligen) Figuren aus den Augen und schafft es trotz des Schlachtengetümmels, ihnen Tiefe und Charakter zu verleihen. Niemand wirkt blass oder austauschbar, zu jeder kann man eine Verbindung aufbauen.

Da sich die Geschichte ihrem fulminanten Ende nähert, nehmen natürlich die blutigen Auseinandersetzungen immer mehr zu, werden immer ausschweifender. Manches mal fragt man sich, ob es nicht einige blutige Details weniger hätten sein dürfen. Und trotzdem bleibt man gefesselt an die Seiten und fiebert dem letzten, endgültigen Showdown entgegen.

Anthony Ryan weiß eben, wie man epische Fantasy schreibt, und dieses Ende lässt darauf hoffen, dass wir bald mehr von ihm lesen können werden.

Bewertung vom 15.10.2021
Barbara stirbt nicht
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


sehr gut

Loriot lässt grüßen

Alina Bronsky hat ein großes Talent, ähnlich wie Loriot, den Finger auf die kleinen Alltagsprobleme der Menschen zu legen. Anders als beim Loriotschen typisch deutschen Mittelständler haben es Frau Bronsky die eingebürgerten Osteuropäer angetan. Mit schwarzem Humor und Feingefühl widmet sie sich auch in ihrem neuesten Buch wieder einer solchen Bilderbuchfamilie.

Herr Schmidt wacht eines Morgens auf und muss plötzlich feststellen, dass seine Frau Barbara krank ist. Nun muss er die vielen kleinen Handgriffe übernehmen, die sie sonst, kaum sichtbar und vollkommen selbstverständlich für ihn, jahrezehntelang übernommen hat. Wie kocht man eigentlich Kaffee? Und was muss sonst noch erledigt werden, um den Haushalt am Laufen zu halten? Nach und nach beginnt so sein ganzes Weltbild zu wackeln.

Auf welchen Vorurteilen genau dieses Weltbild eigentlich aufgebaut ist und wie schnell es ins Wanken gerät, wenn man die Augen nicht mehr verschließen kann, zeigt dieser kurze, aber intensive Einblick in das Leben der Familie.

Es hat seine Vorteile, wenn man dieses Buch als Hörbuch genießt. Thomas Anzenhofer leistet ganze Arbeit, diesem Walter und seiner Familie eine Stimme zu verleihen. Allein Barbaras Ausruf "Ach, Walter!" löst bei mir ganze Bilderserien im Kopf aus (und sie alle tragen einen Hauch Loriot in sich).

Dabei ist die Geschichte nicht vordergründig humorvoll. Vielmehr schwankt man permanent zwischen Mitleid und Wut, je nachdem wie antiquiert Walters Ansichten gerade mal wieder sind. Und doch ruft Walter auch ein starkes Gefühl von Wiedererkennen hervor: Er wirkt wie ein älterer Verwandter auf einer unbequemen Familienfeier, dessen rassistische, unsoziale Ansichten man mit einem Lächeln versucht zu übergehen. er ist halt in einer anderen Zeit aufgewachsen, man ändert ihn doch eh nicht mehr.

Dass aber auch ein Rentner seine Einstellungen noch einmal ändern und überdenken kann, sich auf die wirklich wichtigen Dinge wie Familie und seine Frau besinnen kann, das beweist Walter einem letzten Endes doch. Und allein dafür hat dieses Buch Applaus verdient, denn es ist der Beweis, dass sich manchmal die Mühe auch lohnt, einem älteren Menschen noch etwas beibringen zu wollen. Unter dem richtigen Druck entstehen eben doch Diamanten (oder doch zumindest Katzengold).

Bewertung vom 15.10.2021
SCHWEIG!
Merchant, Judith

SCHWEIG!


ausgezeichnet

Familie ist (nicht) alles

Wie wichtig Familie und Zusammenhalt ist, zeigt sich immer wieder an Weihnachten. Alle kommen zusammen, sitzen um den Baum und verbringen die besinnliche Zeit gemeinsam.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt die Geschichte um die beiden Schwestern Esther und Sue. Die beiden haben sich seit einem Jahr nicht mehr gesehen, als Esther einen Tag vor Heiligabend plötzlich vor Sues Haustür steht und ein Geschenk vorbei bringen möchte. Schnell wird klar, dass es in ihrer Welt nicht ganz so heiter aussieht, wie man aus den Schilderungen der beiden Schwestern schließen kann.

Dass sich die Schwestern beim Erzählen immer wieder abwechseln und teilweise auch die gleichen Szenen aus ihrer jeweiligen Perspektive betrachten, ist ein ebenso einfaches wie geniales Stilmittel. So baut sich extrem schnell eine beklemmende und gleichzeitig fesselnde Stimmung auf, die einen an die Seiten bindet und einen das Buch förmlich verschlingen lassen. Auch wenn anfangs nicht wirklich viel geschieht, denn die eigentliche Entwicklung läuft in den Köpfen der Figuren ab. Manch einer könnte bemängeln, dass dieses Buch nicht viel mit einem Thriller gemein hat, für mich ist es ein Kammerspiel par excellence, dass die Psychospielchen perfektioniert hat und mit dem Leser spielt, wie es ihm gefällt.

Die Figuren und ihre Enthüllungen lassen einen kapitelweise die Sympathien wechseln, mal hat man Mitleid mit der einen, ebenso schnell ist man aber auch wieder wütend oder entsetzt. es ist ein Wechselbad der Gefühle, das auf einen Gipfel zusteuert, den man so nicht erwartet.

Fazit: Ich bin kein typischer Thrillerleser, aber dieses Kammerspiel hat mich komplett gecatcht.