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Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 828 Bewertungen
Bewertung vom 17.03.2024
Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2
Stern, Anne

Das Opernhaus: Rot das Feuer / Die Dresden Reihe Bd.2


ausgezeichnet

Nach dem gelungenen Auftakt der Reihe rund um die Dresdner Oper mit „Das Opernhaus: Dunkel der Himmel, goldhell die Melodie“ liegt nun die fesselnde Fortsetzung mit dem Titel „Das Opernhaus: Rot das Feuer“vor.
Das Cover ist ähnlich gestaltet wie beim erste Band und hat daher einen hohen Wiedererkennungswert, auch wenn es mir nicht so ganz gefällt.

Wir schreiben inzwischen das Jahr 1849. In Dresden brodelt es. Viele sind mit den halbherzigen Reformen nach den Aufständen von 1848 nicht zufrieden.

Am Dirigentenpult der Semperoper steht seit einiger Zeit Richard Wagner. Zu seinem Leidwesen spielt man vor allem die Opern von Mozart. Dabei würde er gerne seine eigenen Ideen auf das Notenpapier bannen, was er in illustrer Runde auch dem Revolutionär Michael Bakunin, der unter falschem Namen in Dresden weilt, auch kundtut.

„...Alter Freund, ich arbeite gerade an einem neuen Stoff, den Nibelungen – die Komposition ist für mich das Wichtigste! Aber ich will die ganze Welt revolutionieren, die der Politik und die der Musik!...“

Daneben versuchen die Frauenvereine unter der Führung von Luise Otto, Rechte für sich einzufordern. Dazu ruft sie unzufriedene Frauen auf, Artikel für ihre Zeitung zu schreiben. Elises jüngste Schwester Barbara ist Feuer und Flamme für die Frauenbewegung und scheint sich auch nicht für Männer zu interessieren.

Elise hingegen ist in einer lieblosen Ehe mit Adam Jacobi gefangen. Zwar kann sie bei Konzerten auftreten und ist als Geigerin anerkannt, aber die Bewunderung der Zuhörer kann die fehlende Zuneigung in ihrer Ehe nicht ersetzen. Da die Ehe kinderlos bleibt, haben sie ein kleines Waisenmädchen adoptiert, dem sie ihre Liebe schenkt.

Als sie dann eines Tages Christian, der nun ein geachteter Kulissenmaler ist, wiedersieht, brechen bei beiden die alten Gefühle wieder auf. Als in der Stadt gekämpft und gestorben wird, überschattet die Sorge um Barbara, die sich mitten unter die Aufständischen mischt, Elises persönliche Gefühle.

Doch dann entdeckt Adam eine Nachricht von Christian, will seine Frau züchtigen und erleidet dabei einen Schlaganfall, den er als Pflegefall nur ganz knapp überlebt.

Elise übernimmt nun die Verantwortung für ihren Haushalt. Ihre Gedanken sind bei Christian, der aus Dresden, wie so viele andere, darunter Gottfried Semper und Richard Wagner, fliehen muss. Als dann Elise wenige Monate nach der Revolution ein Kind bekommt, darf der geneigte Leser über den Vater spekulieren.

Meine Meinung:

Die politische angespannte Situation, die nach der Niederschlagung der Kämpfen vom Frühjahr 1848 vor sich hingeköchelt hat, eskaliert, nachdem der König den Landtag überraschend aufgelöst hat. Der Volkszorn entfacht sich vor allem an den hohen Lebensmittelpreisen, während der Adel es sich an nichts fehlen lässt. Auch die abwartende und zögernde Haltung Preußens, dessen König man die Kaiserkrone für ein geeintes Deutschland angetragen hat, erzürnt die monarchistischen Aufständischen, während die anderen lieber gleich eine Republik ganz nach dem französischen Vorbild hätten.

Um die Situation für die Leser deutlich zu machen, bindet Anne Stern zeitgenössische Briefe und Dokumente in diesen zweiten Band ein. Daneben finden wir eine Karte von Dresden. Geschickt werden historische Fakten und Fiktion miteinander verquickt.

Im Nachwort erklärt die Autorin einiges zu den Ereignissen und bereitet die Leser auf einen dritten Band, der bereits in Arbeit ist, vor.

Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, die die Ereignisse während der Revolution von 1849 fesselnd erzählt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 17.03.2024
Wendepunkt
Meinl-Reisinger, Beate

Wendepunkt


sehr gut

2024 ist für Österreich ein Superwahljahr mit Gemeinderatswahlen in Salzburg und Innsbruck, Landtagswahlen in der Steiermark und Vorarlberg, der Nationalratswahl sowie der EU-Wahl, die beiden letzteren jeweils im ganzen Land. Deshalb starten nun alle Parteien in den Wahlkampf. Weshalb die Präsentation dieses Buches auch diesem zugerechnet werden kann.

Grundsätzlich bringen die NEOS mit ihrer Parteichefin und nunmehrigen Buchautorin frischen Wind in die von Männern dominierte österreichische Parteienlandschaft. Manchmal scheinen die Analysen und Forderungen berechtigt, klug durchdacht oder aber auch ein wenig überzogen.

Beate Meinl-Reisinger geht unter anderem der Frage nach, warum sich so viele Menschen enttäuscht von der aktuellen Politik abwenden und dadurch den Populisten eine Bühne bieten. Einfache Antworten gibt es darauf nicht, schnelle Lösungen auch nicht. Der Populismus in der Politik hat sich langsam, aber sicher eingeschlichen. Damit verhält es sich wie mit dem Übergewicht: Über viele Jahre aufgebaut, gelingt es den wenigsten, die überschüssigen Kilos schnell wieder loszuwerden. In einer Zeit, in der es üblich ist, Parteifreunden mit Subventionen unter die Arme zu greifen, während an anderen Stellen (z.B. Bildung und Pflege) das Geld fehlt, ist es kein Wunder, dass sich nun auch der sogenannte Mittelstand, der durch seine Abgaben und Steuer, die Hauptlast der Ausgaben trägt, von den aktuellen Politikern abwendet und laut tönenden Heilsbringern ihre Ohren leiht.

Getreulich ihrem Motto „Es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“ zieht sie im ersten Teil des Buches Bilanz über die Politik der letzten Jahre, um im zweiten Teil ihre Ideen, „wie wir das wieder hinkriegen“ präsentiert. Hierzu hat sie einen „Pakt des Vertrauens“ skizziert, der Folgendes umfasst:

Ein neues Regieren auf Basis von Vertrauen durch Transparenz, Augenhöhe und Nachvollziehbarkeit
Bereitschaft, auch mit Unklarheit umzugehen
Auf konstruktiven Dialog setzen und sich mit ehrlicher Neugier auf Beteiligung einlassen
Das Verbindende suchen und nicht das Trennende
Vergesst nicht auf die Jungen!
Unser Glaube heißt Demokratie
Demokratie muss wehrhaft sein
Auch Heilige Kühe sind schlachtbar
Die Mitte stärken, politisch wie wirtschaftlich
Bei uns selbst anfangen

Die Autorin beschwört die Eigenverantwortlichkeit und widerspricht sich sogleich, wenn sie für alle 18-jährigen die Einrichtung eines „Chancenkontos“ in der Höhe von 25.000 Euro fordert. Mit der Eigenverantwortlichkeit der Jugendlichen ist es leider nicht (mehr) weit her. Viele Angehörige der Generation Z haben eine etwas eigenwillige Einstellung zu Arbeit und Leistung, weshalb es für Arbeitgeber derzeit recht schwer ist, ausreichend Personal zu finden.
Viele sind gewöhnt, vom Staat und/oder den Eltern umsorgt zu werden, ohne darüber nachzudenken, wer dies bezahlt. Aber, das ist eine andere Geschichte.

Einigen Ideen dieses „Pakt des Vertrauens“ kann mit „Ja, eh“ zugestimmt werden, andere sollten präzisiert werden. Am besten davon gefällt mir „Das Verbindende suchen und nicht das Trennende“, denn gemeinsam sind wir stärker.

„Statt jammernder Selbstanklage sollten wir also stolz sein, gerade auf Österreich. Um unsere Freiheit und unsere Demokratie müssen wir ringen, aber sie nicht abschreiben. Gerade dann, wenn die Zeiten schwer sind und die Nachrichten aus aller Welt kaum zu ertragen, müssen wir alle aktiv werden. Ein Neo-Biedermeier, in dem wir es uns vor Streaming-Diensten gemütlich machen und uns ins Private zurückziehen, hilft genau denen, die unsere Freiheit und unsere Demokratie unterwandern wollen. Die Zukunft geht uns alle an. Und Politik braucht Öffentlichkeit.“

Fazit:

Diesem Plädoyer für eine lebendige Demokratie, die wir alle mitgestalten können und müssen, gebe ich gerne 4 Sterne.

Bewertung vom 17.03.2024
Sehnsucht Weitwandern
Schallauer, Claudia

Sehnsucht Weitwandern


ausgezeichnet

Claudia Schallauer stellt uns in diesem Buch das Weitwandern vor. Dazu begeben wir uns mit ihr auf die vier folgenden Weitwanderwege:

Johannesweg (ca. 84 km/3-5 Tagesetappen)
Luchstrail (Ca. 220 km/11-12 Tagesetappen)
Lebensweg (Ca. 270 km/13-14 Tagesetappen)
Hohe Tauern Panorama Trail (Ca. 275 km/17 Tagesetappen)

Wir erwachen mit der Sonne, laben uns an einem stärkenden Frühstück und gehen einfach los! Doch bevor wir uns auf diese Mehrtages- und Weitwandertouren begeben können, ist exakte Planung nötig.

Keine Angst davor! Die erfahrene Wanderführerin und Buchautorin erzählt alles über Planung und Organisation.
Die ersten dreißig Seiten beschäftigen sich mit wertvollen Tipps zur Streckenplanung sowie Packliste, Etappenziele usw..

Anschließend wird jede Weitwanderung beschrieben: Länge, Höhenunterschiede, Schwierigkeiten, Wegbeschaffenheit, beste Jahreszeit und besondere Highlights. Danach werden die täglichen Etappen im Detail beschrieben.

Zahlreiche tolle Fotos ergänzen dieses Buch zum Entschleunigen. Es ist möglich, einzelne Teile eines Weitwanderweges auch als Tagesausflug zu absolvieren. wer will, kann auch den einen oder anderen Package-Service in Anspruch nehmen. Die örtlichen Gasthäuser haben sich auf Weitwandergäste eingestellt. Hier ist es besonders wichtig, die Tour genau zu planen und vorab Zimmer zu reservieren.

„Weitwandern ist für mich die erfüllendste und auch ehrlichste Art, eine Region, ihre Natur und Menschen kennenzulernen. Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern, dass sie die Magie dieser besonderen Form des Wanderns für sich entdecken - als wertvolle Ich-Zeit oder in vertrauter Begleitung!“

Statt den überfüllten Jakobsweg zu gehen, kann hier Ruhe und Entschleunigung gefunden werden.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Wanderführer, der einlädt das hektische Alltagsleben für ein paar Tage hinter sich zu lassen, 5 Sterne.

Bewertung vom 14.03.2024
Eine Fingerkuppe Freiheit (eBook, ePUB)
Zwerina, Thomas

Eine Fingerkuppe Freiheit (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieser historische Roman, der sich mit Louis Braille und seiner Erfindung der 6-Punkt-Blindenschrift beschäftigt, hat mir sehr gut gefallen. Zum einem, weil Thomas Zwerina als Späterblindeter quasi ein Vermittler zwischen den beiden Welten ist und zum anderen, weil er Louis Brailles Verdienst würdigt.

Louis Braille ist 1809 in der Zeit der Napoleonischen Kriege als jüngster Sohn eines Sattler geboren. Der neugierige Dreijährige sticht sich mit einer Ahle in sein rechtes Auge und die darauffolgende Infektion lässt sowohl das verletzte rechte als auch das linke Auge erblinden. Das hält ihn aber nicht auf, weiter wissbegierig zu sein. Er besucht zunächst die Dorfschule, wo er durch seine Intelligenz und sein phänomenales Gedächtnis auffällt. Von seinem Lehrer und den Eltern gefördert, wechselt er 1819 nach Paris in das Blindeninstitut in der Rue Saint-Victor Nr. 68.

Gemeinsam mit zwei weiteren blinden Zöglingen, Philippe Coltant und Gabriel Gauthier, treibt Louis neben ernsthaften Studien auch allerlei Unfug, und wird von so mancher sehenden Lehrkraft nahezu gehasst, weil er mehr weiß und wesentlich schneller Zusammenhänge begreift.

Als der ehemalige Artilleriehauptmann Charles Barbier, seine eigentlich für das Militär entwickelte Geheimschrift in der vorstellt, ist Louis Braille fasziniert. Allerdings ist diese „Nachtschrift“ genannt, zu kompliziert für den täglichen Gebrauch der Blinden. Louis erstellt ein vereinfachtes System aus sechs Punkten, das zu der später bekannten Brailleschrift führen wird. Er entwickelt auch eine Notenschrift für blinde Musiker.

„Ich lese, ich schreibe, also bin ich.“ wird bis an das Lebensende, Louis Brailles Credo sein.

Doch bis diese, mit den Fingerkuppen tastbare Schrift den Blinden ihre Freiheit beim Lesen und Schreiben bringen wird, vergeht noch geraume Zeit, in der Louis Braille allerlei Anfechtungen durch Mitarbeiter des Blindeninstituts ausgesetzt ist. Vor allem die sehenden Lehrkräfte sind eifrig bemüht, Louis Brailles Errungenschaft zu desavouieren.
Sie fürchten um ihre Anstellung in der Blindenschule. Vor allem sein messerscharfer Verstand ist einigen Lehrkräften ein Dorn im Auge. So sieht er das Scheitern des Experiment mit Barbiers Nachtschrift voraus, weil der Schüler, der dafür ausersehen ist, Chello spielt und deswegen Hornhaut auf den Fingerkuppen hat, und die feinen Erhebungen nicht spüren kann.

Louis Braille wird den weltweiten Siegeszug seiner Erfindung nicht mehr erleben. Er stirbt 1852 an Tuberkulose.

Meine Meinung:

Beim Lesen dieses historischen Romans habe ich das Gefühl, ein Déjà-vu-Erlebnis zu haben. Einige Passagen sind mir sehr bekannt vorgekommen, als ob ich das oder ein ähnliches Buch schon vor Jahren gelesen hätte. Leider habe ich keine Ahnung mehr, welches das gewesen sein könnte.

Der Schreibstil ist fast schon poetisch zu nennen, passt er sich doch dem 19. Jahrhundert an. Das kann viele Leser verwirren oder sogar abschrecken. Mir hat diese Art zu formulieren sehr gut gefallen, lese ich doch manchmal auch Schriften aus dieser Zeit, die gar nicht an die heutige Schreibweise angeglichen sind. Der Autor springt ein wenig in der Zeit, so dass hier achtsam gelesen werden sollte.

Die Nebenhandlungen wie die Eifersüchteleien um die Führung des Institutes werden ausführlich behandelt. Da tritt manchmal das Leben von Louis Braille in den Hintergrund. Allerdings scheint es auch nur wenige Quellen über ihn zu geben.

Autor und Musiker Thomas Zwerina beschreibt die Schwierigkeiten, denen Blinde im 19. Jahrhundert ausgesetzt waren anhand des Pariser Blindeninstituts. Doch gleichzeitig zaubert der Autor mit seiner außergewöhnlichen Sprache stimmungsvolle Bilder von Louis Umgebung. Louis, dessen andere Sinne in einem einzigartigen Spektrum geschärft sind, erlebt die Welt für sich viel intensiver, so als wüsste er, dass ihm nicht viel Lebenszeit bleibt.

Die Zöglinge erhielten eine rudimentäre Ausbildung als Korbflechter oder ähnliches. Viel besser geht es den Kriegsinvaliden aus den beiden Weltkriegen auch nicht. Erst zahlreiche technische Hilfsmittel können den Alltag von Blinden und Sehbehinderten erleichtern. Ich habe anlässlich eines Schulprojektes unserer Sohnes mit dem Bundesblindeninstitutes in Wien Kontakt gehabt. Beeindruckend, wie hier der Alltag gemeistert wird. Inzwischen gibt es „begreifbare“ also taktile Stadtpläne, die ihren Ursprung in der Neugier und dem Wissensdurst von Louis Braille haben.

Autor und Musiker Thomas Zwerina schreibt in seinem Nachwort:

»Eine Fingerkuppe Freiheit« habe ich mit tiefer Verneigung vor der Leistung Louis Brailles verfasst, der bereits im Alter von 12 Jahren mit seinen ersten Überlegungen für seine Schrift begann. Möge sein ungebrochener Erfindergeist der Welt Zuversicht und Hoffnung geben.“

Dem ist wohl wenig hinzuzufügen.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser literarischen Hommage an Louis Braille 5 Sterne.

Bewertung vom 14.03.2024
Dickschädels Reisen
Sedmak, Florian

Dickschädels Reisen


ausgezeichnet

Anton Bruckner, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr vor allem im „Oberderennsischen“ ausgiebig gefeiert wird, war dem Vernehmen nach ein Dickschädel und viel auf Reisen. In wie weit die Bezeichnung Dickschädel passt, kann nicht so eindeutig festgestellt werden, denn Oberösterreicherinnen und Oberösterreichern sagt man im Allgemeinen ein Festhalten an einer vorgefassten Meinung und eine gewisse Beharrlichkeit nach. Viel herumgereist ist er definitiv und das in einer Zeit, als das Reisen ziemlich mühsam war und die Mehrzahl der Menschen in ihrem ganzen Leben nicht aus dem Wohnort herausgekommen sind.

Wir begeben uns mit Autor Florian Sedmark auf Spurensuche in 37 oberösterreichische Orte, von Ansfelden bis Wolfern, von denen der große Komponist Ansfelden und St. Florian mehrfach besucht hat. Wie der Autor im Vorwort anmerkt, sind die Orte nicht alphabetisch aufgelistet, sondern in der ungefähren chronologischen Reihenfolge des Besuchs. Natürlich ist Anton Bruckner nicht ausschließlich innerhalb Oberösterreichs oder im „Land ober der Enns“, wie das Gebiet damals hieß, herumgefahren oder viel mehr gewandert. Seine Reisen führen in nach Wien, wo er sich nicht recht heimisch gefühlt hat, oder nach Deutschland, der Schweiz und Frankreich. In diesem Buch sollen nur die oberderennsischen Reisen betrachtet werden.

Wir erfahren einiges zu Anton Bruckner himself, seinen Werken und zur historischen Stadtgeschichte (z.B. Steyr) sowie zu den gesellschaftspolitischen Ereignissen jener Zeit.

Die Stadt Linz hat ist in diesem Buch gleich zweimal vertreten: Ab S. 53 zieht Florian Sedmark Vergleiche zwischen Adolf Hitler und Anton Bruckner, die sich auf Grund ihrer Lebensdaten niemals begegnet sind. Beide haben ähnliche Vorlieben (Kunst und Richard Wagner) und Schwächen wie den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht sowie eine schlechte Erfahrung mit der Hauptstadt Wien.

Während seines zweiten Linz-Aufenthalts wird er am 5. Mai 1868 Zeuge eines Unglücks, bei dem ein Schiff einen Pfeiler der hölzernen Brücke über die Donau rammt und diese einstürzt.

Meine Meinung:

Mir als gelernter Vermesserin gefällt besonders gut, dass jedem Ort eine Koordinate (also die geografische Länge bzw. Breite) zugeordnet ist und 37 Orte gleich einem Schnittmuster aufgezeichnet sind. Auch die oberösterreichische Aussprache des Ortsnamen wie Öwisbeag (für Ebelsberg) klingen in meinen Ohren vertraut.

Interessant sind die Bemerkungen zu Bruckners Werken, die man mittels angegebenen QR-Code auch nachhören kann.

Das Buch ist in gediegener Aufmachung in ungewöhnlichem Format und mit einem Lesebändchen versehen, im Verlag Anton Pustet erschienen. Es eignet sich als Präsent für Bruckner-Fans, die mit dem Komponisten durch das Oberderennsische reisen wollen und dabei auf diversen Orgelbänken Platz nehmen, sich in Gastwirtschaften den Bauch vollschlagen und Bruckner nahe sein wollen. Wahrscheinlich will man Bruckners Aufenthalt im Kerker oder der Nervenheilanstalt nicht teilen.

Fazit:

Eine kurzweilige Geschichte von Anton Bruckners Reisetätigkeiten im Oberderennsischen. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 13.03.2024
Im Schatten des Thronfolgers
Neumeyer, Christine

Im Schatten des Thronfolgers


gut

Dieser historische Krimi, der 1909 angesiedelt ist, ist der dritte in der Reihe rund um den sympathische Polizeiagenten Johann Pospischil und seinem technikaffinen Assistenten Dr. Leopold Frisch, Entomologe und Pathologe.

Wie schon im Krimi zuvor, wird im Umfeld des Thronfolgerpaares Erzherzog Franz Ferdinand und Herzogin Sophie ermittelt. Schauplatz ist diesmal das Schloss Artstetten in dessen Gärten der intrigante Baron von Wald, zum Vergnügen frisch nobilitierter Herren, aber auf Kosten von jungen Mädchen aus dem Dorf spezielle Jagden veranstaltet. Paradiesvögel werden die Mädchen genannt, die zur Belustigung leicht geschürzt durch Hecken laufen. Was die adeligen Herren erst später schmerzhaft erfahren werden: Sie werden mit Fotos, die sie in verfänglichen Situationen zeigen erpresst. Keiner traut sich gegen einen, im Schatten des Thronfolgers stehenden Hofschranzen Anzeige zu erstatten.

Doch das ist Pospischil und Frisch zunächst einmal unbekannt. Sie sollen mit der gebotenen Diskretion, aufklären, wie neugeborene Säugling in die Kypta der Habsburger gekommen ist. Recht schnell ist klar, dass das Baby lebensfähig war und man ihm, wie einem unerwünschten Kätzchen, das Genick gebrochen hat. Aus diskreten Ermittlungen wird nichts, denn die geschwätzige Pfarrersköchin Anna lauscht nicht nur an der Türe, sondern tratscht alles weiter. Annas einziger Pluspunkt ist ihre gute Küche, denn die beiden Polizeiagenten sind in den Gästezimmern des Pfarrhofes untergebracht.

Noch während sie den Spuren des toten Säuglings nachgehen, wird Pospischil nach Wien beordert, weil es eine Anzeige mit anschließendem Selbstmord gegen Baron von Wald wegen delikater Fotos gegeben hat. Gleichzeitig wird nahe des Schlosses die junge Hebamme des Dorfes, die sich geweigert hat, an der Paradiesvogeljagd teilzunehmen, erschlagen aufgefunden. Nun müssen sich Frisch und Pospischil mit drei Verbrechen, die vor dem Thronfolgerpaar geheim gehalten werden sollen, herumschlagen.

Dank der langjährigen Erfahrung Pospischils und dem Interesse Frischs für die neueste Technik wie kleine tragbare Fotoapparate mit Rollfilm, können sie die Verbrechen aufklären.

Meine Meinung:

Wie schon in den beiden Vorgängern versucht die Autorin die Atmosphäre der langsam untergehenden Habsburgermonarchie darzustellen. Pospischil symbolisiert die alte (kaiserliche) und Frisch die neue, moderne Welt. So brausen sie in der privaten Kraftdroschke von Leopold Frisch von Wien nach Artstetten. Man begegnet diversem Personal auf Schloss Artstetten und lernt die einerseits verschwiegene aber gleichzeitig tratschsüchtige Dorfbevölkerung kennen. Da werden allerlei Theorien über die Herkunft des toten Säuglings und auch Hinweise auf mögliche Täter am Wirtshaustisch diskutiert.

Ein besonders zwielichtiger Charakter neben dem Baron von Wald, der sich wichtiger nimmt als er tatsächlich ist, ist die Pfarrersköchin Anna. Hat sie wirklich so viel Pech, dass überall dort wo sie hinkommt, Menschen sterben? Nun ja, vielleicht wird man in einem nächsten Fall etwas drüber lesen. Jedenfalls, so scheint es, hat sie unserem wackeren Pospispil auf seine alten Tage noch ein wenig den Kopf verdreht und durch das Geschwätz sowie die köstlichen Speisen Ermittler und Leser ein wenig vom Fall bzw. den Fällen ablenken. Das ist schade, denn der Kriminalfall um den toten Säugling selbst, der sich als tragische Familiengeschichte entpuppt, bei der es nur Verlierer gibt, hätte durchaus Potential zu weitaus mehr gehabt..

Ein wahrer Lichtblick ist diesmal der kurze Auftritt von Rosi, der jungen Gemahlin von Leopold Frisch. Die will nämlich mindestens die Handelsschule abschließen und arbeiten gehen. Lieber würde sie ja Jus studieren, was um 1909 noch nicht erlaubt ist. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, ab 1919 erhalten Frauen Zugang zur juridischen Fakultät. Die Vorstellung, ausschließlich Ehefrau und früher oder später Mutter zu sein, scheint sie etwas abzuschrecken. Na, schauen wir einmal, was daraus wird.

Fazit:

Ein netter Krimi, der trotz dreier Verbrechen wenig Spannung zu bieten hat, weil diese durch Brettljause, Schnitzel und Schweinsbraten sowie dem einen oder anderen Schnaps, ins Hintertreffen gerät. Das kostet den 4. Stern. Wer es sich gerne in der k. und k. Zeit gemütlich machen will, ist hier richtig. 3 Sterne.

Bewertung vom 13.03.2024
Orkantief / Himmel und Holle ermitteln Bd.2 (eBook, ePUB)
Bergstedt, Susanne

Orkantief / Himmel und Holle ermitteln Bd.2 (eBook, ePUB)


sehr gut

Als während einer Gewitternacht im Garten des leerstehenden Guthauses der Familie Holthusen eine uralte Eiche auseinander bricht, entdeckt die Nachbarin die mumifizierte Leiche des seit drei Jahren vermissten Kalli Holthusen. Das Kind ist damals verschwunden und trotz groß angelegter Suchaktionen nicht gefunden worden. Darüber ist die Ehe seine Eltern Anne und Clemens zerbrochen. Wenig später verreist Anne mit dem Familienhund, kommt in der neuen Wohnung nie an und niemand kennt ihren Aufenthaltsort. Für die Polizei in Kiel gilt, dass jeder erwachsene das Recht hat, seinen Wohnort (auch im Ausland) selbst zu bestimmen und den niemandem mitteilen muss.

Natürlich wittern Telse Himmel und Wanda Holle sofort Ungereimtheiten. Warum hat der Ehemann seine Frau nicht mittels Privatermittler suchen lassen, wenn er, wie behauptet wird so sehr an seinem Hund, wenn nicht an Anne, gehangen hat? Und warum hat man nach Kallis unerklärlichen Verschwinden keine Hundestaffel eingesetzt?

Nachdem Wandas Nachbar, KHK Olaf Wuttke sich hinter allerlei Vorschriften versteckt und untätig bleibt, beginnen die beiden Freundinnen eigenständig zu recherchieren. Da kommt ihnen die Gruppe Umweltschützer, die gegen das Bauvorhaben im Olympia-Hafen von 1972 demonstriert, in dem sie das Gelände besetzen, gerade recht. Telse schließt sich für kurze Zeit der Gruppe an, weil sich auch Anne für Naturschutz eingesetzt hat und dort bekannt gewesen ist.

Ein weiteres Ziel der Hobby-Detektivinnen ist das leerstehende Anwesen der Holthusen. Als sie dort unbefugt eindringen, machen sie die Bekanntschaft der Nachbarin Matilde Albers und deren Drohne. Matilde ist nicht mehr gut zu Fuß, aber als ehemalige Kartografin liebt sie es, ihre Drohen Aufnahmen der Umgebung zu lassen. In Matilde Wohnung, die mit Katasterplänen und Kartografischen Darstellungen aller Art gepflastert ist, haben Telse und Wanda eine zündende Idee.

Meine Meinung:

Dieser zweite Fall für Himmel & Hölle hat mir recht gut gefallen. Als gelernte Vermesserin liebe ich alte und neue Karten, Katasterpläne sowie Luftaufnahmen und Orthophotos. Da habe ich mich Matilde gleich tief verbunden gefühlt.

Neben den mehr oder wenig geschickt angestellten Nachforschungen der beiden Frauen, beschäftigt sich der Krimi mit gleich mehreren anderen Themen: Das eine ist Gewalt in der Familie, das auch in der Oberschicht anzutreffen ist. Ein weiteres sind Bauvorhaben auf den letzten naturbelassenen Grundstücken und die Aktivitäten dagegen. Telse, die sich den Umweltschützern anschließt, um Informationen rund um Annes Verschwinden zu erhalten, muss gleich mehrfach für ihr Engagement bezahlen: erstens, wird sie während der Nachtwache niedergeschlagen, zweitens wird sie zur Direktorin der Schule, in der sie als Aushilfslehrerin arbeitet zitiert und für ihren Protest gegen die Verbauung der Wiese gescholten und drittens entdeckt sie, dass die, ach so umweltbewussten Naturschützer die Wiese nach ihrem Abzug als Müllhalde hinterlassen haben.

Die Auflösung des Falles ist ziemlich aufgelegt und hat mich daher nicht wirklich überrascht. Zuerst streitet das Ehepaar Holthusen über den Verkauf des Anwesens. Anne will den Gutshof nicht hergeben und danach ist ein Verkauf für den charismatischen Arzt Clemens Holthusen kein Thema mehr. Da fällt es uns Lesern schwer, nicht doch einen Zusammenhang zu Annes Verschwinden zu vermuten.

Ein bisschen hat mich die Darstellung der Rolle der Polizei gestört. Kümmert es die sich wirklich so gar nicht, wenn eine erwachsene Person verschwindet? Also Olaf Wuttke hat noch ein wenig Potential zur Entwicklung.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser gelungenen Fortsetzung 4 Sterne.

Bewertung vom 13.03.2024
Im Jahr der Flut / Nord-Ostsee-Saga Bd.3 (eBook, ePUB)
Johannson, Lena

Im Jahr der Flut / Nord-Ostsee-Saga Bd.3 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieser historische Roman ist der Abschluss der Trilogie rund um den Nord-Ostsee-Kanal, der das Leben von vier Frauen über viele Jahre geprägt hat. Diese vier Frauen sind Sanne, Justine, Mimi und Regina.

Gerade erst fertig gestellt, entpuppt sich der Kanal als zu klein dimensioniert. Man hat aus Kostengründen die mahnenden Worte von Mimis Vater ignoriert und lediglich eine Sparvariante ausgeführt. Nun muss nachgebessert sprich gebaggert werden, was zahlreiche Anrainer in Bedrängnis bringt.

Justine hat mit ihren Geschäften Erfolg und Regina findet ihre Berufung in dem von ihr gegründeten Arbeiter-Wohlfahrtsverein. Sanne, die Zeit ihres Lebens um berufliche Anerkennung als Technikerin gekämpft hat, hat die nun zwar erreicht, aber ihr persönliches Glück scheint auf der Strecke zu bleiben.

Meine Meinung:

Ich bin (wieder einmal) beim letzten Band einer Reihe eingestiegen. Doch die eine oder andere Rückblende ermöglicht es, diesen historischen Roman auch ohne Vorkenntnisse folgen zu können. Trotzdem werde ich die beiden Vorgänger demnächst lesen.

Manche der aufgeworfenen Themen sind auch heute noch aktuell: Fremdarbeiter, die man braucht, aber nicht haben will, sie aber dafür jedes nur erdenklichen Verbrechens beschuldigt, große Bauprojekte, die aus finanziellen Gründen verkleinert werden und wenig später um viel Geld wieder nachgebessert werden müssen, Missgunst und Neid in der eigenen Familie, Armut, Naturkatastrophen sowie Großmannsucht der Regierung (hier des Kaisers liebstes Spielzeug - die Marine).

Die Handlung ist sehr gut strukturiert und der Schreibstil flüssig.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem gelungenen Abschluss der Trilogie rund um den Nord-Ostsee-Kanal, der das Leben zahlreicher Menschen geprägt hat, 5 Sterne.

Bewertung vom 13.03.2024
Geheimnisse, Lügen und andere Währungen (eBook, ePUB)
Ainetter, Wolfgang

Geheimnisse, Lügen und andere Währungen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieser Krimi hat mir mehrere Male ein Schmunzeln entlockt! Warum?

Nun, der Anlass ist zunächst nicht zum Lachen: Hans-Joachim Lörr, der wichtigste Beamte eines Ministers, verschwindet während eines Geschäftsessens. Nur wenige vermissen ihn wirklich, denn der als „Schattenminister“ bekannte Hans-Joachim Lörr hat sich während seiner Dienstzeit mehr Feinde geschaffen als Sterne am Himmel stehen. Als wenig später eine Nachricht eintrifft, das Lörr Opfer einer Entführung geworden ist, beauftragt man den charismatische Wiener André Heidergott, der vor Jahren der Liebe wegen nach Berlin gezogen ist, mit den Ermittlungen.

Die Liste jener, die mit Lörr eine ganze Hendlfarm zu rupfen haben, ist entsprechend lang. Selbst der Name des Ministers ist dort zu finden. Je tiefer Heidergott in die Intrigen und Machtspiele Lörrs eindringt, desto mehr liegen die Sympathien bei den Tätern. Denn jede und jeder, der das Missfallen Lörrs erregt hat, dessen Karriere wird systematisch und nachhaltig ruiniert, egal ob Reinigungskraft, Sekretärin oder sonstige Mitarbeiter.

Gemeinsam mit seiner Vorgesetzten Emily Schippmann ermittelt André Heidergott im Berliner Regierungsviertel, in dem gute Beziehungen alles sind, ein aus Wien wohl bekanntes Szenario.

Meine Meinung:

Dieser Krimi hat mir ausgezeichnet gefallen! Gäbe es solche Racheakte doch auch in Wirklichkeit! Da würde sich vielleicht der eine oder andere Politiker bei seinen Intrigen zurück halten.

Die Handlung ist fesselnd, denn wir erhalten auch Einblick in Lage des Opfers. Der Schattenminister ist nun völlig hilflos seinen Entführern ausgesetzt. Statt Macht nur Ohnmacht! Da kann ich nur sagen: Ätsch! Recht geschieht ihm! Lachen musste ich, dass der verfressene Beamte nun mit Sushi gefüttert wird, die er hasst. Natürlich liegt spätestens da der Verdacht nahe, dass es sich bei den Entführern um Insider handeln muss. Doch nur wer?

Herrlich auch die diversen Anspielungen auf politische Skandale und Skandälchen an denen die Alpenrepublik auch nicht gerade arm ist. Autor Wolfgang Ainetter kennt den Intrigantenstadel der österreichischen Innenpolitik ziemlich genau. Als er das eine oder andere unseriöse Angebot erhalten hat, lässt er sich nicht korrumpieren sondern zieht das Exil in Deutschland vor.

Der Krimi besticht durch Wortwitz und Ironie. Die Ermittlungen halten dann die eine oder andere Überraschung bereit. Am meisten musste ich lachen, als sich Hans-Joachim Lörr in seinem Lügengeflecht verheddert und ihm die Rechnung für den Polizeieinsatz präsentiert wird: rund 93.000 Euro. Das schmerzt den Geizkragen wohl am meisten.
Wie es dazu kommt? Das lest bitte selbst.

Fazit:

Diesem herrlichen Krimi, der aus Wortwitz und Ironie gestrickt ist und die eine oder andere Überraschung enthält, gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 13.03.2024
Mütter Europas (eBook, ePUB)
Bojs, Karin

Mütter Europas (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

In diesem Buch “Mütter Europas - Die letzten 43.000 Jahre” geht die schwedischen Wissenschaftsjournalistin Karin Bojs (Übersetzung Erik Gloßmann) unter anderem folgenden spannenden Fragen nach:

Wann und warum entstand das Patriarchat?
Wie lebten Frauen in der Stein- und Bronzezeit?
Wie waren die Geschlechterverhältnisse in der Zeit vor Erfindung der Schrift?

Die Antworten darauf beruh(t)en bislang mehr oder weniger auf Spekulationen, zumal die Wissenschaft männlich dominiert ist und die Funde aus der Vorzeit vorrangig aus Stein, Ton oder Wandmalereien bestehen. Organisches Material wie Stoffe oder Leder sind nur rudimentär vorhanden.

Erst seit den prähistorischen Forschungen die Möglichkeit aus Knochenfragmenten oder Zähnen mittels DNA-Analysen zu untersuchen, zur Verfügung steht, gibt es auf einige Fragen Antworten. Allerdings werfen genau diese Antworten dann neuerliche Fragen auf.

In 24 Kapiteln geht Karin Bojs auf die neuen Forschungsansätze ein, die von den DNA-Analysen bestätigt werden. Sie stützt sich vor allem auf die Theorie der Prähistorikerin Marija Gimbutas, die in den 1950-er Jahren eine Theorie entwickelt hat, nach der in «Alteuropa» eher friedliche, matrilineare Gesellschaften existiert hätten, die einem Kult der Muttergöttin huldigten und eher gleiche Geschlechterverhältnisse produzierten. Dieser Theorie zufolge, sind diese Gesellschaftsstrukturen durch patrilineare Reitervölker aus dem Osten verdrängt worden - und das nicht nur ein Mal.

Karin Bojs nimmt uns mit auf die verschlungenen Wanderungen, die die Menschen der Ur- und Frühgeschichte unternommen haben. Dabei spart sie Klimaveränderungen wie Eiszeiten nicht aus. Diese Änderungen in den Lebensbedingung zwingen die Menschen ihr angestammtes Territorium zu verlassen und sich einen neuen Lebensraum zu suchen. Dabei treffen sie auf Gegenden, die bereits bewohnt sind und gehen Beziehungen ein. Zahlreiche dieser Migrationen sind durch DNA-Analysen eindeutig belegt. So werden aus Jägern und Sammlern sesshafte Bauern, die wildlebende Tiere domestizieren und Pflanzen kultivieren.

Die Autorin geht dabei sehr detailliert auf die Rolle der Frauen ein. Leider sind ihre Spuren, weil sie ja eher mit organischem Material hantieren in der Dunkelheit der Vergangenheit verschwunden.

Schmunzeln musste über die Diskussionen, ob die, als „Venus von Willendorf“ bekannte Statuette eine Mütze oder geflochtene Haare auf ihrem Kopf trägt. Die Mütze, so die Autorin, lässt auf handwerkliche Fähigkeiten der Frauen schließen: Schafe halten, Wolle ernten, spinnen, färben und verarbeiten. Die geflochtenen Haare scheinen männliche Ansichten von Frauen zu entspringen.

Der Schreibstil ist für Leserinnen wie mich, die sich schon länger mit Ur- und Frühgeschichte beschäftigen sehr gut zu lesen. Für manch andere wird der Griff zur Internet-Recherche notwendig sein.

Besonders interessant finde ich die Anregung, das bisher gebräuchliche Dreiperiodensystem die Zeiten der Menschheitsgeschichte (also Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit) anders einzuteilen und entsprechend umzubenennen. (siehe Kapitel 2).

"Wir stehen noch am Anfang einer wissenschaftlichen Revolution, aber immerhin hat sie schon begonnen."

Zwei Landkarten, 19 Abbildungen der Artefakten sowie ein ausführliches Personen- und Ortsverzeichnis ergänzen das Buch, das im Verlag C.H.Beck erschienen ist. Ich empfehle, die Print-Ausgabe zu lesen, denn hier lassen sich interessante Stellen, zu denen vielleicht noch ergänzende Erklärungen notwendig sind, durch Lesezeichen oder Post-it leicht markieren.

Fazit:

Dieser spannende Entdeckungsreise in die Welt der Ur- und Frühgeschichte, die nun am Anfang einer wissenschaftlichen Revolution steht, gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.