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Top-Rezensenten Übersicht

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Lu
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 189 Bewertungen
Bewertung vom 07.10.2023
Mattanza
Fabiano, Germana

Mattanza


ausgezeichnet

Als auf der Insel Katria Nora Greco geboren wird, bricht eine neue Zeit an: Die Tunfischjagd wird, wenn ihr Großvater zurücktritt, erstmals von einer Frau angeführt werden. Ihr Leben lang wird Nora darauf vorbereitet, dann übernimmt sie, als sie gerade volljährig geworden ist. Aber die Zeiten auf Katria ändern sich auch in anderer Hinsicht: Tourismus, moderne Tunfischjagd und schließlich auch die Ankunft vieler Geflüchteter über das Mittelmeer bedrohen die traditionelle Lebensweise und Tunfischjagd auf Katria, was Nora als Anführerin vor große Herausforderungen stellt.
Der Roman ist einfühlsam geschrieben, die poetischen Beschreibungen des Meeres passen wunderbar zum Mare Verlag, die Menschen im Dorf werden liebenswert aber komplex dargestellt. Ich habe die fiktive Geschichte der kleinen Insel gerne mitverfolgt. Nur das Titelbild passt für mich nicht gut - Noras Augen werden ganz anders beschrieben und die gesamte Insel spielt eine viel größere Rolle im Roman. Nur aufgrund des Titelbilds wäre ich am Roman vorbeigegangen.

Bewertung vom 07.10.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


sehr gut

Max Richard Leßmann erzählt von einem Besuch bei seinen Großeltern auf Sylt, bei dem er sich immer wieder an Geschichten aus seiner Großfamilie erinnert. Diese humoristisch erzählten Anekdoten erinnern an den Stil des beliebten Autors Horst Evers, wobei Leßmann viel tiefgründiger erzählt und seine Charaktere liebevoller zeichnet. Der Schreibstil überzeugt mich auch mehr - feiner Humor, schöne Satzkonstruktionen, lebendige Dialoge. Während ich Horst Evers gar nicht gut ertragen kann, weil eine Pointe die andere jagt, konnte ich Leßmann gut weglesen, auch wenn ich sogar gern noch mehr von dem Blick hinter die Fassaden der stoischen Großeltern gehabt hätte. Gerade die traurigen und leisen Momente im Roman haben mich nämlich sehr berührt. Einen zweiten Band der witzigen und abstrusen Familienanekdoten bräuchte ich dagegen nicht, auch wenn ich sie gerne gelesen habe.

Insgesamt ist "Sylter Welle" ein Roman, der sich hervorragend als Sundowner Lektüre eignet - nicht zu schwermütig, nicht zu leichtfüßig, schnell weggelesen. "Sylter Welle" ist eine Empfehlung für alle, die eine berührende und gleichzeitig unterhaltsame Lektüre suchen.

Bewertung vom 07.10.2023
Vatermal
Öziri, Necati

Vatermal


ausgezeichnet

„Vatermal" von Necati Öziri ist ein Roman, der auf den ersten Seiten direkt eine Sogwirkung entfaltet. Der Autor versteht es, die Leserinnen und Leser unmittelbar in die Welt des Protagonisten Arda und seiner Freunde am Bahnhof zu versetzen. Man hat das Gefühl, selbst auf der Bank zu sitzen, während man mitverfolgt, wie Ardas Schwester Aylin von zu Hause wegläuft, weil sie mit der Mutter nicht mehr klarkommt.
Besonders beeindruckend ist, wie Öziri die Geschichten von Ardas Mutter und Schwester im Krankenhaus einfängt und vermittelt. Man spürt förmlich, wie Arda diese Erzählungen aufsaugt und dabei über die Auswirkungen der Abwesenheit seines Vaters auf seine eigene Geschichte nachdenkt. Die beiden Frauengeschichten bekommen dabei viel Raum.
Die knappe Erzählform des Autors ermöglicht es, die emotionalen Bindungen der Charaktere und die Tiefe ihrer Gedanken auf eindrucksvolle Weise zu erfassen, man ist immer ganz bei den Figuren. „Vatermal“ ist ein Roman, der den Leserinnen und Lesern ein intensives Leseerlebnis bietet. Necati Öziri hat hier eine beeindruckende Erzählung geschaffen, die sich mit Themen wie Familie, Verlust und Identität auseinandersetzt und dabei einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Bewertung vom 07.10.2023
Paradise Garden
Fischer, Elena

Paradise Garden


sehr gut

"Paradise Garden" von Elena Fischer ist eine bewegende Coming-of-Age-Geschichte, die das Leben von Billie, einer 14-jährigen Protagonistin, in den Mittelpunkt stellt. Der Roman fängt die emotionale Achterbahnfahrt ein, die Billie erlebt, nachdem sie ihre Mutter verloren hat. Die Beziehung zwischen Billie und ihrer Mutter erinnert sehr an die dynamische Bindung der Gilmore Girls - nicht zuletzt, weil die Mutter Cowboy Stiefel besitzt, selbst früh von zu Hause fort gegangen ist und ein schwieriges Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter hat.
Im zweiten Teil des Romans macht sich Billy im alten Auto ihrer Mutter auf die Suche nach ihrem Vater. Ab dort erinnert der Roman an den Roman Tschick, wobei Billies Geschichte insgesamt hoffnungsvoller und positiver erscheint.
Mir hat die Coming-of-age-Story insgesamt sehr viel Spaß gemacht, zu lesen, auch wenn ich mit den Bezügen zu Gott nichts anfangen konnte und mich Fehler in der Kontinuität der Geschichte teilweise gestört haben (plötzlich ist Milch im Kühlschrank, plötzlich kann die Protagonistin Autofahren, plötzlich ist die kaputte Autotür nicht mehr so kaputt, dass sie in Kurven festgehalten werden muss, Handys und Internet existieren in der Geschichte nicht).

Bewertung vom 07.10.2023
Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit
Schmidt, G.Z.

Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit


sehr gut

Der Roman „Adam und die Jagd nach der zerbrochenen Zeit“ von G.Z. Schmidt ist eine spannende Zeitreisengeschichte für junge Leser:innen. Der zwölfjährige Junge Adam findet auf seinen Reisen in die Vergangenheit Menschen, die zu Freunden werden, Unglücke, die er gerne verhindern würde und weitere Gegenstände, die mit Gegenwart und Zukunft magisch verbunden sind.
Mir hat besonders gut gefallen, dass Adams Geschichte eigentlich realistisch erzählt wird und auch die Zeitreisenthematik durchaus realitätsnah angegangen wird. Durch diesen Stil sowie die magischen Gegenstände und die Tatsache, das Adam früh seine Eltern verloren hat und bei seinem Onkel lebt, hat mich die Geschichte angenehm an Harry Potter erinnert. Insgesamt ist der Roman dabei aber deutlich kurzweiliger und schneller erzählt, auch wenn ich es durchaus auch schade finde, dass manche Charaktere wie z.B. die als Freunde von Adam in verschiedenen Zeiten auftauchenden Figuren Francine oder Daisy nur kurz auftauchen und ihr Schicksal nicht näher erzählt wird.
Dass der Roman recht kurz ist, motiviert aber bestimmt auch einige junge Leser:innen. Auch das Cover ist sehr ansprechend gestaltet. Den Titel finde ich allerdings nicht passend übersetzt - um „zerbrochene Zeit“ geht es nur, wenn man dies als Metapher sieht. Das werden nicht alle lesenden Kinder verstehen.

Bewertung vom 07.10.2023
Mord im Christmas Express
Benedict, Alexandra

Mord im Christmas Express


sehr gut

TW: sexuelle Gewalt
Die ehemalige Polizistin Roz ist auf dem Weg nach Hause in die Highlands, wo ihre Tochter in den Wehen liegt. Außerdem ist Weihnachten, auch wenn das für die Story eigentlich keine große Rolle spielt. Von London aus nimmt Roz den Nachtzug und trifft schon beim Warten auf den wegen Schneefalls verspäteten Zug auf die vielfältigen Persönlichkeiten der restlichen Reisegemeinschaft. Während der Zugfahrt wird schnell klar, dass zwischen den Reisenden einiges im Argen liegt, schließlich stirbt die bekannte Influencerin, die mit ihrem Freund mit an Bord ist. Roz kann in dieser Situation nicht anders: Sie muss ermitteln, einerseits, um möglichst schnell nach Hause zu ihrer Tochter zu kommen, andererseits, weil sie nicht anders kann, als sich einzumischen und sich für Schwächere stark zu machen. Währenddessen lernt man nicht nur die Verbindungen zwischen den Reisenden genauer kennen, sondern auch, was sich hinter Roz' starker Fassade für persönliche Traumata befinden.
Insgesamt hat mir der Roman gut gefallen, ich mochte die starke Protagonistin Roz, gerade im zweiten Teil wurde es dann auch richtig spannend, weil die Handlung sich mehr und mehr zuspitzt.
Nun die TW: Es gibt einen Stern Abzug für mich, weil ich bei einem Kriminalroman, der im Klappentext als "spannend, skurril und absolut zeitgemäß" beschrieben wird und der dort mit "Willkommen an Bord des Christmas Express!" beworben wird, nicht damit gerechnet hätte, direkt auf den ersten Seiten mit dem Vergewaltigungstrauma von Roz konfrontiert zu werden. Das wird dann auch immer wieder Thema. Hier hätte ich es sinnvoll gefunden, wenn der Verlag den Roman mit einer Triggerwarnung dazu versehen hätte. Dass es in einem Kriminalroman auch um Gewalt geht, ist zwar klar, aber mit dieser Thematik rechnet man nach dem Klappentext einfach nicht und da das Thema schon auf den ersten Seiten kommt, nimmt man durch eine TW auch keine Spannung weg.

Bewertung vom 07.10.2023
Kajzer
Kaiser, Menachem

Kajzer


ausgezeichnet

Der Autor begibt sich in diesem Sachbuch auf die Suche nach der Erinnerung an seinen verstorbenen Großvater, einen Überlebenden des Holocaust aus einer Stadt in Polen. Er will seinem Großvater näherkommen, indem er in dessen Heimatstadt reist und versucht, das Haus, das seine Urgroßeltern dort besessen hatten, zurückzufordern - ein bürokratisch fast aussichtsloses Unterfangen, an dem schon der Großvater gescheitert war.
Im Sachbuch wechseln sich spannende Kapitel zur verschlungenen Recherche der Familiengeschichte vor Ort ab mit reflektierenden Kapiteln über Erinnerung, die Faszination mit Nazis, die zum Vergessen ihrer Opfer führt, und den Umgang mit Orten des Holocausts in Polen ab. Dabei ist der Autor schonungslos ehrlich gegenüber sich selbst und den Lesern, indem er Leerstellen, Widersprüche und unbefriedigende Ergebnisse der Suche nicht glättet, sondern diese im Gegenteil zum Thema macht. Wie der Autor selbst schreibt: Ein Roman über seinen Großvater wäre leichter gewesen. Ich bin froh, dass er sich dennoch für dieses spannende und zugleich zum Nachdenken anregende Sachbuch entschieden hat.

Bewertung vom 07.10.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Der erfolgreiche deutsche Filmregisseur G.W. Pabst verlässt Nazi-Deutschland mit seiner Frau Trude und Sohn Jakob, um es in Hollywood zu versuchen und daran kläglich zu scheitern. Auf der Suche nach dem nächsten großen Film zieht es ihn mit seiner Familie zurück nach Europa und schließlich mitten hinein in die Propaganda-Filmindustrie der Nazis. Kann man zu der Zeit noch deutsche Filme machen, ohne selbst schuldig zu werden? Und wird Pabst damit zum Opfer der NS-Geschichte oder zum Täter? Und was ist eigentlich wirklich passiert?
Kehlmanns Roman über die deutsche Filmindustrie während der NS-Zeit ist selbst spannend, unterhaltsam und zum Nachdenken anregend wie ein guter Spielfilm. Auch die Charaktere scheinen wie Filmfiguren zu sein: Da ist Pabst als komplex gezeichneter Protagonist, daneben gibt es ihm zuspielende Nebenfiguren, deren eigene Geschichte ebenfalls angedeutet wird wie z.B. die seines Assistenten Franz, aber auch klare Antagonisten wie z.B. Riefenstahl. All dies wird in einer Vielfalt an verschiedenen Erzählperspektiven und -stilen vermittelt, dass man die Freude am Schreiben zwischen den Zeilen spüren kann. Große Empfehlung!

Bewertung vom 07.10.2023
Cleopatra und Frankenstein
Mellors, Coco

Cleopatra und Frankenstein


sehr gut

Der Roman wird als moderne Geschichte von Harry und Sally beschrieben, was ich durchaus zutreffend finde: Der Ton ist meistens plaudernd, obwohl harte Themen besprochen werden, und der Roman besteht hauptsächlich aus Dialogen, die immer wieder mit schlagfertigen Antworten aufgelockert werden. Deshalb konnte ich den Roman auch sehr zügig weglesen, auch wenn eine Welt beschrieben wurde, mit der ich eigentlich nicht wirklich etwas anfangen kann. Wer hätte gedacht, dass eine New Yorker Romanze im Stil von „(500) Days of summer“ Drogen auf fast jeder Seite enthält? An Eat Pray Love hat mich der Roman übrigens auch erinnert, nur mit weniger Essen. Kein Wunder, dass der Roman nun auch verfilmt werden soll! Mehr wird aber nicht verraten, wer Lust auf einen unterhaltsamen Roman mit Tiefgang und Witz hat, sollte ihn selbst lesen.