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solveig

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Insgesamt 471 Bewertungen
Bewertung vom 06.04.2018
Couchsurfing in Russland
Orth, Stephan

Couchsurfing in Russland


sehr gut

Mehr als nur Reisebericht

Putin - ein Präsident von enormer Beliebtheit bei seinem Volk? Was steckt dahinter, was denken die Leute?
Information durch Medien ist gut, sagt sich Stephan Orth, aber sich selbst ein Bild machen ist besser. Und so macht er sich auf den Weg in den Osten, um zehn Wochen lang durch das riesige Russland zu reisen und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Als „Couchsurfer“ ist er unterwegs; er steigt nicht in Hotels ab, sondern ist zu Gast bei Leuten, die ihm für einige Tage eine Couch, ein Bett oder auch nur eine Matratze zum Übernachten anbieten. Auf diese Weise kommt er mit einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen in Kontakt, die - mehr oder weniger hilfsbereit, doch stets aufgeschlossen - ihm Eindrücke in ihre Heimat vermitteln und Einsichten in ihre Lebensart und -ansichten gewähren. Auf einer Landkarte kann der Leser verfolgen, welche unglaubliche Strecke von mehr als 21.000 Kilometern Orth per Flugzeug, Bahn und Bus zurücklegt; von Moskau ausgehend über Tschetschenien und Sibirien gelangt er bis in den Fernen Osten des Landes und beendet seine Reise in Wladiwostock. Zahlreiche Fotos illustrieren seine Begegnungen und halten Landschaft und Stimmung fest.
Ohne eine gute Portion an Optimismus und Humor ist eine solch beschwerliche Reise kaum vorstellbar; denn ein Erholungsurlaub ist das wahrlich nicht. Und so ist Orths Reisebericht, den er in flottem Schreibstil verfasst, auch mit reichlich Humor und (Selbst-)Ironie gewürzt. Mit viel Empathie schildert er seine Gastgeber und ihre Eigenheiten. Es sind „normale“ wie auch recht skurrile Typen darunter; die meisten sind neugierig auf andere Länder und offen für neue Erkenntnisse. Doch es gibt auch Menschen wie Igor, der sich seine Meinung über die Welt vom Wohnzimmer aus „ergoogelt“ und auf die Berichterstattung der Medien verlässt - solche kann man in jedem Land der Erde finden. Vielleicht wäre es nicht die schlechteste Ide
e, wenn sich mehr Menschen auf der ganzen Welt aufmachten, um andere Nationen tatsächlich aus „erster Hand“ kennenzulernen und so Vorurteile abzubauen.
Eine informative, launig geschriebene Reiselektüre!

Bewertung vom 04.04.2018
Berühmte Kinderbuchautorinnen und ihre Heldinnen und Helden
Berg-Ehlers, Luise

Berühmte Kinderbuchautorinnen und ihre Heldinnen und Helden


ausgezeichnet

Ein Schatzkästchen

Einen überaus unterhaltsamen Einblick in Leben und Werk einiger Kinder- und Jugendbuchautorinnen bietet Luise Berg-Ehlers in dem vorliegenden Buch. Hier sind die berühmtesten von ihnen in einem liebevoll gearbeiteten und reich mit Fotos illustrierten Band versammelt, der dazu einlädt, immer wieder einmal nachzuschlagen.
In fünf Kapitel unterteilt - je nach Art der Bücher - bringt sie Literaturbeispiele. Die Bandbreite reicht vom „Trotzkopf“ über die „Fünf Freunde“ und „Pippi Langstrumpf“ bis hin zu „Harry Potter“. Aber auch heute eher unbekanntere Werke finden Erwähnung, so Enid Bagnolds „National Velvet“ oder Edith Nesbits „Die Eisenbahnkinder“. In Kurzfassung schildert Berg-Ehlers die Biografie der jeweiligen Schriftstellerin, wobei sie kurz auf das Hauptwerk eingeht und die Frage aufwirft, inwieweit es von den (Lebens-)Erfahrungen der entsprechenden Autorin beeinflusst ist.
Mehr als einen Überblick kann so eine Sammlung natürlich nicht darstellen; für den, der sich weiter informieren möchte, gibt es jedoch ein ausführliches Quellenverzeichnis im Anhang.
„Große Menschen haben nie etwas Lustiges“, sagt Pippi Langstrumpf in „Pippi in Taka-Tuka-Land“. O doch, dieses Buch von Luise Berg-Ehlers gibt erwachsenen Kinderbuchliebhabern Gelegenheit, eine Zeitlang wieder einzutauchen in die Welt der Kinderliteratur - und ihrer Schöpferinnen!

Bewertung vom 31.03.2018
Die Affäre Carambol (Goethe und Schiller ermitteln)
Lehnberg, Stefan

Die Affäre Carambol (Goethe und Schiller ermitteln)


sehr gut

Wenn der Schiller mit dem Goethe...

Wieder einmal wandeln zwei berühmte Literaten auf fremden Pfaden: Geheimrat von Goethe und sein Freund Hofrat Schiller ermitteln in einem äußerst delikaten Fall in Goethes Geburtsstadt Frankfurt. Jemand scheint ein großes Interesse an einem Krieg zwischen der Stadt und Frankreich zu haben; denn er provoziert Bonaparte auf vielerlei Art. Der Stadtrat jedoch will eine kriegerische Auseinandersetzung auf jeden Fall verhindern - mit Goethes Hilfe. Und so geraten die zwei Poeten, die eigentlich nur Goethes Mutter besuchen wollten, unversehens mitten hinein in ein turbulentes Abenteuer - und mehr als einmal in Lebensgefahr.
Goethe als studierter Advokat und Schiller als ehemaliger Militärarzt ergänzen sich bestens als Ermittlerteam. Erfindungsreich, aber manchmal auch tollkühn, stürzen sie sich in das Unternehmen, die Stadt Frankfurt vor einer drohenden Belagerung Napoleons zu bewahren.
Wie bereits im ersten Teil seiner Goethe-Schiller-Krimis mischt Lehnberg mit größtem Vergnügen geschichtliche Fakten und Fiktion, historische Personen und Fantasiefiguren. Er lässt das „Franckfurth“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts auferstehen und sorgt für Lokalkolorit, mit der unvollendeten Paulskirche, dem Carambolspiel (eine Art Billard mit nur drei Kugeln in rot, weiß und gelb) in der Taverne „Zum schwarzen Eber“ oder einer wilden Verfolgungsjagd durch die alten Gassen.
Augenzwinkernd gibt der Autor menschliche Schwächen der Dichter preis; das Geplänkel der beiden Großen untereinander und Schillers spitze Bemerkungen über Goethes Amouren geben dem Roman zusätzlich Würze. Flott geschrieben und - so finde ich - spannender als im ersten Band entrollt sich der Plot, immer wieder ironisch untermalt von kleinen Indiskretionen und Respektlosigkeiten. Eine sehr amüsante Freizeitlektüre!

Bewertung vom 30.03.2018
Durch Nacht und Wind (Goethe und Schiller ermitteln)
Lehnberg, Stefan

Durch Nacht und Wind (Goethe und Schiller ermitteln)


sehr gut

Genial im Duett

„Mag die Nachwelt uns verdammen - jedoch hätten wir erneut die Wahl, wir würden ein 2tes Mal genauso handeln.“ Ein kryptischer Satz, mit dem Friedrich Schiller sein Vorwort zu seiner im Jahr 1799 verfassten Niederschrift beendet! Was mag wohl dahinter stecken?
Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe wird beauftragt, den äußerst mysteriösen Mord an Großherzog N., der sich mit seiner Familie im Schloss Belvedere nahe Weimar aufhält, zu klären. Sein Freund Schiller, der später die Ereignisse aufzeichnet, begleitet und unterstützt ihn bei den Nachforschungen. Dabei scheint ein kostbarer, jedoch mit einem schrecklichen Fluch beladener Ring eine entscheidende Rolle zu spielen.
In nostalgischer Aufmachung präsentiert sich Stefan Lehnbergs Buch über „die criminalistischen Werke des Johann Wolfgang von Goethe“ ; das Cover zeigt die Silhouetten des Ermittler-Duos, und der Titel ist in alter Frakturschrift wiedergegeben. Einen kleinen Touch Altertümlichkeit verleiht Lehnberg auch seinem Stil: In seinen flüssigen und gut verständlichen Schreibstil mischt er eine Andeutung an historische Schreibweise. Humorvoll-ironisch nähert sich Lehnberg den großen Literaten, holt sie von ihrem Dichterpodest und stellt sie mit ihren menschlichen Vorzügen und Schwächen dar. Schillers Kommentare, die kleinen Sticheleien und Zwistigkeiten zwischen den Poeten sowie die bunte Mixtur aus historischen und fiktiven Personen beleben den Kriminalfall und machen ihn „anders“. Und wer schon immer einmal wissen wollte, woher Goethes Roman „Hermann und Dorothea“ seinen Namen hat, erhält hier eine Erklärung.
Ein wirklich sehr unterhaltsames Büchlein!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.03.2018
Der Lügenpresser
Klingl, Livia

Der Lügenpresser


ausgezeichnet

Fünf Tage im Leben des Dr. Schmied

"Man glaubt gar nicht, wie naiv Politiker oft sind, wie die sich ihre Welt basteln in ihren Köpfen und die Wirklichkeit nicht sehen!"
Ob Dr. Karl Schmied, tätig als Journalist für den Lokalteil eines Wiener Boulevardblattes, mit seinem Statement recht hat? Wir Leser bekommen an fünf Werktagen des Reporters Einblick in die fantasiereichen Überlegungen des promovierten Historikers und erleben seine „…Gedankenwelt, in der es zugeht wie in der großen.“ Da mischt sich Privates - der 62jährige ist frisch verliebt in Sonja aus Moldawien - mit Beruflichem, Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunftsplänen. Die Autorin Livia Klingl, selbst im Journalismusbereich tätig, versteht es wunderbar, einen vielfältigen Strauß an Themen nahtlos miteinander zu verknüpfen. Auf hintergründig witzige, ironische Weise lässt sie Schmieds Ansichten zu aktueller Politik unbekümmert in seine ganz intimen Gedanken über seine Geliebte Sonja übergehen; Alltagsthemen reihen sich assoziativ an seine Kindheitserinnerungen.
Dass er vor einiger Zeit aus seinem Ressort Außenpolitik in den Lokalbereich wechseln musste, schmerzt ihn noch immer, und so spart er nicht mit Kommentaren über die Themenwahl der Medien, das Sortieren von Nachrichten, besonders in der Online-Redaktion: „Und irgendwann sind dann die Realität und die öffentliche Meinung durch die veröffentlichte Meinung zwei vollkommen verschiedene Angelegenheiten.“
Dr. Karl Schmieds Arbeitswoche scheint ganz normal zu verlaufen, bis zwei völlig unerwartete Ereignisse ihn aus dem Konzept bringen.
In gepflegter Umgangssprache und mit lebendigen Elementen Wiener Mundart schafft Klingl es, Schmieds innere Monologe spannend und immer wieder überraschend zu gestalten. Augenzwinkernd gelingt ihr ein sehr unterhaltsamer Roman, in dem sie - wie nebenbei - reichlich Kritik unterbringt. Porträtiert sie hier wirklich nur die österreichische Seele? Wir erkennen: Auch wer zur Bildungsschicht gehört, ist nicht vor Vorurteilen gefeit.

Bewertung vom 04.03.2018
Von Zuhause wird nichts erzählt
Waco, Laura

Von Zuhause wird nichts erzählt


ausgezeichnet

Von Zuhause wird nichts erzählt

Eine Autobiografie zu schreiben, ist meist kein leichtes Unterfangen. Und so schrieb Laura Waco die Geschichte ihrer Kindheit „…mit einem ´Kloß im Hals´ und mit vielen Unterbrechungen…“
Strenge und Schläge als Erziehungsmittel waren zwar während der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts durchaus an der Tagesordnung und wurden sowohl im Elternhaus als auch in der Schule als normal angesehen, doch Lauras Vater scheint besonders schnell „Watschn“ verteilt zu haben. Seine Töchter erleben ihn oft strafend und voller Wut und sind erleichtert, wenn er eine Weile nicht zu Hause ist. Die Mutter kränkelt, ist aber auch nicht fähig, ihren Töchtern die Liebe und Nähe zu schenken, die sie nötig haben. Ein Erbe der schrecklichen Zeit, in der beide Eltern Insassen von Vernichtungslagern der Nazis waren? Es ist nicht einfach für Majer Steger und seine Frau Hela, sich nach ihrer Befreiung aus den Kzs Dachau und Bergen Belsen ein bürgerliches Leben zu erarbeiten. Als Überlebende des Holocaust widmen sie sich ihrem Glauben, für den sie interniert wurden. Doch das bleibt eher halbherzig; denn Majer nennt sich um in das deutscher klingende Max Stöger, und auch seine Töchter erhalten Namen, über die andere nicht stolpern. Noch schwieriger aber ist es für ihre älteste Tochter Laura (geb. 1947), sich zwischen den unterschiedlichen Welten ihres Elterhauses und ihrer schulischen Umgebung zurechtzufinden. Außerhalb der eigenen vier Wände ist das Thema Judenverfolgung und Naziverbrechen tabu, darüber herrscht Schweigen. So reichen die Folgen der Ereignisse im Dritten Reich weit, bis in die nächste Nachkriegsgeneration, ein Trauma. Wie kann so ein unbeschwertes Leben möglich sein?
„Das Buch war schon lange in mir drin. Ich wußte nur nicht wie ich das Thema anpacken sollte. Als ich durch meine eigenen Kinder einen so deutlichen Einblick in die Seele und das Wesen junger Menschen bekam, und als mir die Unschuld eines Kindes so sehr bewußt wurde, beschloß ich, mein Buch in der Stimme des Kindes zu schreiben. Dazu mußte ich mich in die Zeit und jede Stufe meiner eigenen Kindheit hineinversetzen und sozusagen darin leben“ berichtet Laura Waco in einem Interview.
Genauso liest sich ihr Buch, die Klarheit und Ehrlichkeit nimmt gefangen. Eine Schilderung ihrer Kindheit, sehr offen und ohne Schuldzuweisungen.

Bewertung vom 24.02.2018
Quatsch mit Soße / Ziemlich beste Schwestern Bd.1
Welk, Sarah

Quatsch mit Soße / Ziemlich beste Schwestern Bd.1


sehr gut

Liebenswert und einfallsreich


Ob sie Mäuse als Untermieter in ihr Puppenhaus einquartieren oder gar mit Cousin Mats einen Gartenteich für ein Babynilpferd ausbuddeln - Mimi und Flo stecken voller originelle oder gar verrückte Einfälle. Da brauchen die Eltern der beiden 7 und 5 Jahre alten Mädchen schon eine gehörige Portion Verständnis und Humor!
In kleinen abgeschlossenen Geschichten, die sich wegen ihrer Kürze gut zum Vorlesen vor dem Zubettgehen eignen, stellt Sarah Welk ihren jungen Lesern die einfallsreichen Schwestern Mimi und Florentine vor. Sie lässt die siebenjährige Mimi selbst zu Wort kommen und ihre Sicht der Dinge schildern, die sich in der Familie im Haus am Brückenweg zutragen. Natürlich geht es nicht immer friedlich zu bei den Geschwistern, doch wenn eine von ihnen eine spannende Idee hat, sind beide mit Eifer dabei, sie spontan in die Tat umzusetzen. Was dabei herauskommt, erzählt die Autorin in klaren, deutlichen Sätzen und altersgerechter Sprache, augenzwinkernd und mit viel Empathie für die Kinder.
Mimis und Flos „Abenteuer“ sind in einer großen klaren Schrift gedruckt, von der besonders Estleser profitieren.
Zahlreiche liebevolle, teils ganzseitige Bilder ergänzen den Text und vervollständigen das Buch auf farbig-fröhliche Weise. Die englische Kinderbuchillustratorin Sharon Harmer übernimmt dabei den liebevollen, humorigen Stil der Autorin in ihre Zeichnungen. Mein Fazit: ein lustiges, lesenswertes, nicht allzu braves Buch zum Vor- und Selberlesen ab 7 Jahren.

Bewertung vom 20.02.2018
Die Geschichte des verlorenen Kindes / Neapolitanische Saga Bd.4
Ferrante, Elena

Die Geschichte des verlorenen Kindes / Neapolitanische Saga Bd.4


gut

Das Ende?

Von vielen sehnlichst erwartet, liegt nun der vierte und letzte Teil der „Neapel-Saga“ vor.
Aus den beiden kleinen Mädchen Lenù und Lila, die in dem neapolitanischen Arbeiterviertel Rione aufwuchsen, sind nun selbstbewusste Frauen und Mütter geworden, die sich im Berufsleben durchsetzen und als recht erfolgreich erweisen. Elena Ferrante erzählt aus der Sicht ihres Alter Ego Lenù von wichtigen Ereignissen und dramatischen Situationen aus weiteren dreißig Lebensjahren der Freundinnen, deren Verhältnis zueinander sehr schwierig und widersprüchlich ist.
Damit bringt Elena zu einem Abschluss, was sie im ersten Teil ihrer Tetralogie bereits angekündigt hat: sie will die Geschichte ihrer komplizierten Freundschaft mit Raffaela, genannt Lila, für die Nachwelt festhalten. Lila, die angekündigt hatte, sie wolle „sich in Luft auflösen … nichts von ihr sollte mehr zu finden sein“, ist im Alter von 60 Jahren tatsächlich spurlos verschwunden - genauso, wie viele Jahre zuvor ihre kleine Tochter Tina. Was ist mit Tina passiert? Wird jetzt vielleicht das Geheimnis um Lilas Verschwinden gelüftet?
In ihrem bildhaften, leicht lesbaren Stil thematisiert Ferrante den Prozess des Sich-Lösens ihrer Protagonistinnen von einem traditionellen, aber überkommenen Frauenbild. Sehr realistisch und intensiv schildert sie ihre Emanzipationsbestrebungen und die damit verbundenen Probleme.
Während jedoch in den ersten Teilen der „Neapel-Saga“ die historischen Gegebenheiten und politischen Bedingungen einen hohen Anteil in Ferrantes Roman ausmachen, wird der geschichtliche Hintergrund in diesem letzten Band leider etwas vernachlässigt. Hier nimmt Lenùs persönliches Schicksal, verbunden mit dem ihrer Freundin Lila, den größten Raum ein. Auch die südlich-turbulente Atmosphäre Neapels wirkte meines Erachtens in den ersten Büchern der Serie viel lebendiger und unmittelbarer. Dennoch: mit der „Geschichte des verlorenen Kindes“ ist Ferrante wiederum ein sehr unterhaltsames und interessantes Buch gelungen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.02.2018
Wiesenstein
Pleschinski, Hans

Wiesenstein


sehr gut

Die letzten Monate eines Dramatikers

„Bewunderung, die man erfährt, macht klein, Geringschätzung groß.“
Der Dramatiker Gerhart Hauptmann war allerdings der Bewunderung durchaus nicht abgeneigt, auch wenn sein Zitat anderes vermuten lässt. Hans Pleschinski holt den umstrittenen Literaturnobelpreisträger (1912) von seinem „Dichtersockel“ und zeigt ihn mit all seinen menschlichen Vorzügen, aber auch Schwächen.
Sehr ausführlich schildert er Hauptmanns letztes Lebensjahr vor dem historischen Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und seinem Ende. Nach dem furchtbaren Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945 kehrt Hauptmann schwer krank in seine geliebte Villa Wiesenstein im schlesischen Riesengebirge zurück und verbringt hier, liebevoll umsorgt von seiner Frau Margarete und etlichen treuen Bediensteten, die ihm noch verbleibenden Monate.
In literarisch anspruchsvollem Schreibstil erzählt Pleschinski recht eindrücklich von den Bemühungen des alten Ehepaares, inmitten von Chaos und Zusammenbruch seinen gewohnten Lebensstil so gut wie möglich aufrecht zu erhalten, und zeigt gleichzeitig die schreckliche Realität von Vertreibung und Mord außerhalb des noch immer privilegierten Wiesenstein.
Aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet der Autor die Person Gerhart Hauptmanns, erwähnt Erinnerungen und flicht Tagebucheinträge Margarete Hauptmanns ebenso in seinen Roman ein wie Zitate von Biographen und Auszüge aus Werken des Dramatikers. Eine recht umfangreiche Recherchearbeit, die Pleschinski geleistet hat!
Ob und inwieweit Hauptmann eine Mitschuld am Regime trifft, mag der Leser selbst entscheiden. Hat er mit den Mächtigen des Dritten Reiches kollaboriert oder sich nur in eine sichere Nische geflüchtet und aller offenen Kritik enthalten?
Ein sehr anspruchsvoller, vielschichtiger Roman!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.02.2018
Nachsommer
Bargum, Johan

Nachsommer


ausgezeichnet

Beeindruckende Familiengeschichte

Ein schlichter Titel, ein schlichtes Buchcover - nichts lässt erahnen, welch eine dramatische Familiengeschichte sich dahinter verbirgt! Die Brüder Olof und Carl, rein äußerlich und auch charakterlich grundverschieden, sehen sich nach vielen Jahren der Trennung erst am Bett der todkranken Mutter wieder. Verdrängte Erinnerungen kommen an die Oberfläche und altes Konkurrenzdenken bricht zwischen den Geschwistern wieder auf. Während Carl sein Leben erfolgreich meistert, hadert Olof mit vertanen Chancen.
In sachlichem Ton und knappen Sätzen schildert Johan Bargum in der Rolle seines Alter Ego Olof eindrucksvoll die aufgeladene Atmosphäre im Elternhaus der Brüder. Überzeugend veranschaulicht er die Melancholie, die nicht nur über diesem Spätsommer schwebt, sondern auch Olofs Gemüt verdüstert. Erinnerungen und Ereignisse bleiben vage; Bargum macht Andeutungen und überlässt es dem Leser, seine Schlüsse zu ziehen. Mit dem Satz „Weiß man eigentlich jemals, was vor sich geht?“ beginnt Bargum/Olof seinen Roman. Diese Frage stellt sich der Leser während der Lektüre immer wieder, und sie lässt ihn auch später nicht los.
Ob Olof es schafft, „sich noch einmal an die Startlinie zu stellen“ , einen Neuanfang zu wagen?
Eine dicht und eng gewobene Erzählung über das komplizierte Geflecht familiärer Beziehungen und seine weitreichenden Folgen, geschrieben von einem der renommiertesten finnland-schwedischen Schriftsteller!