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Benutzername: 
Stanzick
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Ober-Ramstadt

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 22.10.2019
Der Wanderer
D'Andrea, Luca

Der Wanderer


gut

Luca D` Àndrea, Der Wanderer, Penguin 2019, ISBN 978-3-328-60025-1

Mit dem neuen Thriller des Südtiroler Erfolgsautors Luca D`Andrea habe ich mich schwer getan. Zu verworren scheint zunächst die Handlung, zu unklar die ab der Mitte des Buches eingeführte geheimnisvolle Figur des „Wanderers“, die dem Buch seinen Titel gab.

Das Buch spielt in Kreuzwirt, einem auf den ersten Blick beschaulichen kleinen Örtchen in Südtirol, an dem der Tourismus vor langer Zeit schon vorbeigegangen ist. Kreuzwirt entpuppt sich als ein Ort voller Geheimnisse und vielfältiger Seilschaften, in die der zunächst von der Handlung etwas verwirrte Leser im Laufe des Buches einen düsteren Einblick erhält.

Als die junge, motorradbegeisterte Sybille eines Tages einen Brief ohne Absender erhält, befindet sich in ihm ein Bild ihrer toten Mutter. Vor über zwanzig Jahren war sie bei einem mysteriösen Unfall am See ums Leben gekommen, ein Unfall, der damals schnell als Selbstmord zu den Akten gelegt wurde.

Irgendwer will Sybille mit diesem Hinweis zeigen, dass sich ihre Mutter damals eben nicht umgebracht hat, sondern dass sie ermordet wurde. Zusammen mit dem Schriftsteller Tony, der damals als junger Lokaljournalist über das Geschehen berichtete und der mit seinem riesigen Bernhardiner allein lebt, begibt sie sich auf eine spannende Reise in die Vergangenheit. Was ist da vor zwanzig Jahren wirklich geschehen, als man „die narrische Erika“, die anderen Menschen aus Tarotkarten die Zukunft gelesen hat und in Kreuzwirt keineswegs beliebt war, tot an dem abgelegenen Bergsee gefunden hat? Was hat es mit dem seltsamen Tarotzeichen auf sich, das vom Bösen kündet?

Die beiden, die im Laufe der Handlung durchaus Gefühle füreinander entwickeln, stoßen sehr schnell auf ein Geflecht aus Lügen, Eifersucht und Verrat. Da spielen Drogen eine Rolle, Okkultismus und immer wieder auch ein große Portion Wahnsinn, die der Leser erst einmal mehr oder weniger erfolgreich entwirren muss.

Es stellt sich bald heraus, dass das Sonderbare und abgrundtief Geheimnisvolle an der ganzen Geschichte, die der Autor da entwickelt, auf eine schwer zu entschlüsselnde Weise mit der Geschichte der ganzen Dorfgemeinschaft selbst zusammenhängt. Die blockt alle Aufklärungsversuche rigoros ab und beginnt die beiden „Ermittler“ sogar zu bekämpfen.

Der Autor lässt den Leser auf weiten Strecken im Unklaren, wer da auf welcher Seite steht. Teils verworrene Handlungsstränge und Gedanken hängen miteinander zusammen, oder etwa doch nicht?

Mir ist es so gegangen, dass ich besonders nach langen Leseabschnitten stellenweise dachte, einen Faden der Lösung gefunden zu haben, nur um ihn bald nach einer längeren Lesepause wieder zu verlieren.

Dennoch gelingt es dem Autor, seinen Leser bei der Stange zu halten, der unbedingt wissen will, was sich nun genau hinter all den Geheimnissen des Ortes verbirgt und vor allem, wie die bald eingeführte Figur des „Wanderers“ zu interpretieren ist.

Die Lösung soll hier natürlich offen bleiben. Doch wenn man trotz der erwähnte Wirrungen tapfer am Buch bleibt, stellt sich ein ungewöhnlicher Leseeffekt ein, der den Leser nicht mehr loslassen will und der sehr viel mit der Sprache und dem Gesamtarrangement des Autors zu tun hat.

Dennoch: seine beiden ersten Bücher haben mir besser gefallen. Den für die Lektüre des neuen Buches nötigen Sinn für Esoterik besitze ich nicht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.10.2019
Ole Winterwicht
Drescher, Daniela

Ole Winterwicht


ausgezeichnet

Daniela Drescher, Ole Winterwicht, Urachhaus 2019, ISBN 978-3-8251-5205-5

In kurzen zweizeiligen Reimen und mit zauberhaften Illustrationen erzählt die bekannte Bilderbuchautorin und Illustratorin Daniela Drescher (zuletzt hat sie das „Nebelmännle vom Bodensee“ illustriert) von dem kleinen Winterwichtel Ole.
Tagsüber stapft er durch den tiefen Schnee und bringt den hungernden Tieren etwas zu fressen. Moos und Beeren für das Reh, Nüsse für die Maus und feines Gras für den Hasen.

Wenn er fertig ist mit seiner segensreichen Arbeit geht Ole Winterwicht nach Hause in sein Wichtelhaus, kocht sich Brei und legt sich schlafen. Eine wunderbar bunte Patchworkdecke wärmt ihn dabei.

Daniela Drescher liebt die Welt der Feen, Nixen und Wichtel. In schon vielen kleinen Bilderbüchern aus dem Urachhaus Verlag hat sie sie Kindern nahe gebracht. Und noch viele andere Bücher hat sie auf ihre unvergleichliche Art bebildert und ihnen ihren besonderen Charakter gegeben

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.10.2019
Mio war da!
Székessy, Tanja

Mio war da!


ausgezeichnet

Tanja Szekessy, Mio war da, Klett Kinderbuch 2019, ISBN 978-3-95470-220-6

In ihrem neuen Kinderbuch für Kinder, die gerade in die Schule gekommen sind, lässt Tanja Szekessy ein kleines Kuscheltier namens Mio erzählen.

Mio ist ein kleiner Kuschelpinguin und gehört zur Klasse 1 d. Zur Klasse 1 d gehören 14 Kinder (eine wirklich kleine Klasse!), Frau Kippel, die Lehrerin, bei der die Kinder lesen, rechnen und schreiben lernen und Herr Macke, der die Lehrerin bei ihrer Arbeit unterstützt. Wären doch nur alle ersten Klassen so klein und so gut mit Personal ausgestattet!
Und natürlich gehört auch das Klassenkuscheltier Mio dazu. Seine Aufgabe ist es zuzuhören, zu kuscheln und einfach da zu sein, wenn man ihn braucht.

Alle Kinder sind seine Freunde. Und jedes von ihnen hat ihn schon einmal für eine Nacht mit nach Hause nehmen dürfen. Und von diesem vierzehn „Hausbesuchen“ erzählt Mio nun nacheinander. Zuerst ist er bei Helene. Sie hat zusammen mit ihrer kleineren Schwester den ganzen Nachmittag bis zum Abend mit ihm Musik gemacht und gesungen.

Der Besuch bei Hugo konfrontiert ihn mit lauten, streitenden Eltern und laufenden Fernsehgeräten in allen Zimmern.

Juli ist sehr schweigsam in der Schule und auch zu Hause, während ihre Mutter dauernd redet und Juli Hausaufgaben machen lässt, auch wenn sie gar keine aufhat.

Marlon kann sich schon allein Essen machen und bei der lustigen Maya geht es in der Wohnung sehr trubelig zu

Insgesamt 14 Kinder besucht Mio nacheinander zu Hause. Auf diese Weise lernt er und die das Buch betrachtenden Kinder ganz unterschiedliche Lebenswelten und Lebensschicksale von Kindern kennen. Mio erlebt fröhliche Abende, hat aber auch ganz andere, weniger schöne und angenehme Einblicke. Tanja Szekessy wertet und urteilt nicht bei ihrer Beschreibung der vielen Lebenswelten. Doch ihre Texte und Illustrationen lassen staunen und laden zum darüber reden ein.

Das empfehlenswerte Buch zeigt die Vielfalt der Lebensweisen um uns herum in eindrucksvollen Bildern voller Intimität verschiedener Famil

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.10.2019
Allmen und der Koi / Johann Friedrich Allmen Bd.6
Suter, Martin

Allmen und der Koi / Johann Friedrich Allmen Bd.6


sehr gut

Martin Suter, Allmen und der Koi, Diogenes 2019, ISBN 978-3-257-07075-0

Das hier vorliegende Buch „Allmen und der Koi“ ist der mittlerweile sechste Band einer Serie von Martin Suter, einem extrem vielseitigen Schriftsteller. Johann Friedrich von Allmen ist eigentlich kein richtiger Adliger. Im letzten Buch erzählte er an einigen Stellen von seiner Kindheit auf einem Bauernhof. Doch irgendwie hat er es zu großem Reichtum gebracht, der ihm aber durch seinen aufwendigen und verschwenderischen Lebensstil immer wieder unter den Fingern zerrinnt. So musste er vor längerer Zeit schon seine große Villa verkaufen und sich ein lebenslanges Wohnrecht in dem zur Villa gehörenden Gartenhaus sichern.

Dort lebt er auf relativ engem Raum zusammen mit seinem Diener Carlos, einem illegal in der Schweiz lebenden Guatemalteken und dessen Partnerin Maria. Carlos ist für Allmen unersetzbar und mittlerweile zum Teilhaber der Firma Allmen International Inquiries aufgestiegen, einer Agentur, deren Spezialität es ist, wertvolle Kunstgegenstände wieder zu beschaffen. Dass sie diese nicht selten vorher selbst auf unterschiedlich phantasievolle Weise entwendet und in ihren Besitz gebracht haben, ist unverzichtbarer Bestandteil des Geschäftsmodells der Firma.

Im neuen Buch bekommt Allmens Firma einen ungewöhnlichen Auftrag. Dieses Mal ist es nicht ein Kunstgegenstand, der wieder zu beschaffen ist, sondern ein wertvoller Fisch. Allmen wird von einem ihm zunächst unbekannten Auftraggeber nach Ibiza auf dessen exklusives Anwesen gerufen.

Garrett, so heißt der reiche Auftraggeber, hat in seinem früheren Leben viele Aufnahmen bekannter Pop-Musiker produziert und sich nun in Ibiza zur Ruhe gesetzt. Kaum dort angekommen, wird Allmen an einen riesigen Teich geführt, wo ihn Garret erwartet. Er zeigt Allmen seine Sammlung wertvoller Kois. Der teuerste, so Garrett, sei vor kurzem aus dem Teich gestohlen worden. Und nun soll Allmen den über eine Million teuren Fisch wieder finden.

Allmen und der schnell nachgereiste Carlos machen sich über Nacht kundig über alles, was man über Kois wissen kann und machen sich dann auf die Suche.

Während ihrer Ermittlungen finden sie schnell Zutritt zu einer extrem abgeschirmten Welt einer superreichen High Society Ibizas und bekommen immer mehr Einblicke in eine sehr skurrile und extrem teure Sammelleidenschaft.

Als Carlos während der Ermittlungen niedergeschlagen wird, dauert es nicht lange bis auch Maria auf der Insel erscheint. Zu dritt gelingt es ihnen, den Fisch wieder zu finden. Doch was sein Eigentümer Garrett dann am Ende mit diesem Fisch anstellt, ist nicht nur für Allmens Crew, sondern auch für den Leser, der bis dahin von Suters lockerem Sprachstil gut unterhalten wurde, absolut überraschend.

Zum ersten Mal seit Suters Allmen die literarische Szene betreten hat, macht er sich in diesem sechsten Band zum ersten Mal mehrfach ernsthafte Gedanken über sein Alter. Er fragt sich, wie es in den kommenden Jahren mit seiner Wirkung auf das andere Geschlecht bestellt sein wird (auch in „Allmen und der Koi“ klappt das noch hervorragend!) und wie es mit seiner Gesundheit und körperlich en Fitness weiter geht. Wir werden erfahren, ob Suter seinen Allmen in den nächsten Bänden tatsächlich älter werden lässt.

Suter gelingt es in jedem seiner bisherigen Allmen Bände, die Gesellschaft der Superreichen zu karikieren und immer mit einem Schluss aufzuwarten, der seine Leser gespannt auf den nächsten Band warten lässt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.10.2019
Großstadt Wildnis
Meurs, Sven

Großstadt Wildnis


ausgezeichnet

Sven Meurs, Großstadt Wildnis. Auf Tiersafari in unseren Städten, Knesebeck 2019, ISBN 978-3-95728-233-0

Schon lange liest man immer wieder Meldungen und Berichte, dass Tiere, die als Wildtiere früher ausnahmslos in Wald, Feld und Flur gelebt haben, sich in unseren Großstädten fast unbemerkt einen neuen Lebensraum erobert haben, in dem sie sich sehr wohl fühlen, der ihnen Nahrung und Schutz bietet und an den sie sich hervorragend adaptiert haben.

Wenn man genau darauf achtet und die Hinweise kennt, kann man heute zwischen Häuserschluchten, Parks und Straßen die unterschiedlichsten wilden Tiere antreffen und beobachten.
So ist Berlin zur Hauptstadt der Wildschweine geworden, in München hat der Biber die Isar wiederentdeckt, Frankfurt am Main gilt als die Stadt der Vögel und in Düsseldorf hat sich der Eisvogel inmitten der Stadtparks angesiedelt. Warum das so ist, und wie man das Verhältnis zwischen den neuen Wildtieren und den eingesessenen Menschen und Tieren beschrieben kann, damit beschäftigt sich das vorliegende Buch „Großstadt Wildnis“ neben vielen anderen Fragen.
Der Fotograf Sven Meurs hat sich auf Entdeckungssafari begeben, zunächst durch die fünf größten Städte des Landes. Er hat die unterschiedlichsten Tiere in ihrem neuen Lebensraum fotografiert. Er erklärt in informativen Texten jeweils, warum die Tiere in die Städte kommen, wie sie in einer von Menschen geprägten Umwelt leben und überleben und auch, wie man sie schützen kann. Faszinierende Fotos dokumentieren das eindrücklich.

Er selbst und viele Menschen, mit denen er gesprochen hat und die sich für den Schutz und Erhalt von Wildtieren in der Stadt einsetzen, ist er der Meinung, dass diese Tiere den städtischen Raum und die Natur in der Stadt bereichern und nicht etwa stören.

Jedes einzelne Kapitel wird eingeleitet durch eine Aufmacherseite, die Jörg Hülsmann bezaubernd illustriert hat. Seine Zeichnungen zeigen die Silhouette der jeweiligen Stadt und ein dort heimisch gewordenes Tier.

Ausflugstipps für die eigene Naturbeobachtung runden dieses modern gestaltete Naturbuch ab, in dem sich durch die beeindruckenden Fotos die urbane Natur aus nächster Nähe erleben lässt.

Bewertung vom 10.10.2019
Erst die Fakten, dann die Moral
Palmer, Boris

Erst die Fakten, dann die Moral


ausgezeichnet

Boris Palmer, Erst die Fakten, dann die Moral. Warum Politik mit der Wirklichkeit beginnen muss, Siedler 2019, ISBN 978-3-8275-0124-0

So wie sein Vater, den sie bei aller Gegnerschaft respektvoll den „Rebell vom Remstal“ nannten, ist sein Sohn Boris, seit 12 Jahren als Grüner Oberbürgermeister von Tübingen, nicht dafür bekannt, dass er jemals ein Blatt vor den Mund genommen hätte.

Sehr zum Ärger seiner Parteioberen, die ihm schon mehr als einmal nahegelegt haben die Partei zu verlassen. Besonders seine medialen Einlassen zur Flüchtlingspolitik seit 2015 haben immer wieder Widerspruch auf der einen und Zustimmung auf der anderen Seite erregt.

In seinem neuen bei Siedler erschienenen Buch zeigt sich der Kommunalpolitiker auch auf den Pfaden der großen Politik als sicherer und streitbarer Zeitgenosse. Sei es die Wohnungspolitik, die Debatte um die innerstädtischen Fahrverbote, die unsägliche Rolle der Bürgerinitiativen, die den Erfolg der Energiewende gefährden, Stuttgart 21 oder die semireligiöse Debatte um die Klimawandel, überall zeigt er auf, „warum Politik mit der Wirklichkeit beginnen muss“ legt Wert auf die Fakten, plädiert für Vernunft und im Kapitel über die Sicherheit allerdings auch über die Bedeutung der subjektiven Gefühle der Menschen.

Er unterstützt, dass sich immer mehr Menschen über Missstände in der Gesellschaft empören, mahnt aber gleichzeitig in Richtung der Klimaaktivisten und anderer nicht intolerant zu werden.

Frei heraus und ohne falsche Tabus spricht Palmer an, wo er Veränderungsbedarf im politischen und gesellschaftlichen Diskurs sieht. Seine Erkenntnisse zusammenfassend, formuliert er zum Abschluss seines lesenswerten und teilweise provozierenden Buches folgende zehn Thesen, die es wert sind, wahrgenommen und kritisch diskutiert zu werden:
These 1: Innerhalb gesellschaftlicher Bewegungen entstehen vermehrt radikalisierte Kerne
These 2: Die Staatsbürger entwickeln sich zu NIMBYS (not in my backyard)
These 3: Unbequeme Wahrheiten werden ausgeblendet
These 4: Komplexe Probleme werden an Experten delegiert
These 5: Risiken werden falsch bewertet
These 6: Großprojekte werden durchgesetzt, koste es, was es wolle
These 7: Die fortschreitende Spaltung der Gesellschaft reduziert das Gewicht der Fakten
These 8: Empörungskultur und Identitätspolitik lenken von den wichtigen Problemen ab
These 9: Für wirtschaftliche Interessen können Fakten ein Störfaktor sein
These 10: Die höheren Ebenen der Politik nutzen das Erfahrungswissen aus den Kommunen zu wenig

Es sei dringend Zeit für eine neue Aufklärung, sagt Boris Palmer. Ich wünsche seinem Buch und seinen Thesen dass sie im politischen Diskurs unserer Gesellschaft einen Widerhall finden. Wie schon in seinem Buch „Wir können nicht allen helfen“ schwimmt er auch hier oft gegen den Strom, kann sich aber durchaus bei fast allen seinen Themen der Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung sicher sein. Nur müsste diese Mehrheit die Wahrheit und die Fakten auch mutiger aussprechen und einfordern. Wenn sich über die Hälfte nach einer neuen Umfrage nicht mehr trauen, das zu sagen, was sie wirklich denken, ist es an der Zeit, dem entgegenzutreten und zum Engagement zu ermutigen. Boris Palmer tut das mit seinem neuen Buch auf vorbildliche Weise.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.10.2019
Du und die anderen
Stabile, Suzanne

Du und die anderen


ausgezeichnet

Suzanne Stabile, Du und die anderen, Adeo 2019, ISBN 978-3-86334-242-5

In diesem Buch der langjährigen Enneagramm-Trainerin Suzanne Stabile kann man nicht nur eine verständliche Einführung in das Prinzip des Enneagramms lesen, also die neun verschiedenen Persönlichkeitstypen und damit Zugänge, die Welt zu erleben, sondern sie zeigt anhand der neun Typen, wie diese ticken und wie sie mit Konflikten in ihrem Leben und mit anderen Menschen umgehen. Das seit vielen Jahren sich bewährende System des Enneagramms beschreibt nämlich sehr genau, wie die unterschiedlichen Persönlichkeitstypen von eins bis neun in ihrem Charakter gestrickt, was sie im Innersten antreibt, oft auch unbewusst.

Wer also die Typen des Enneagramms kennt und das System des Aufbaus dieser Typologie, kann nicht nur sich selbst und das eigene Verhalten in Beziehungen viel besser einschätzen und verstehen, sondern es gelingt ihm auch, die Welt mit den Augen des anderen, mit dem man vielleicht eine gestörte Beziehung hat zu betrachten und zu verstehen.

Wenn das gelingt, wird es möglich, auf Konflikte anders, gelassener zu reagieren. Weg von der schnellen Bewertung und Verurteilung des anderen und damit Zementierung des Konfliktes hin zu besserem Verständnis des anderen.

Suzanne Stabile versteht das Enneagramm als ein „Übersetzungstool“ für Beziehungen. Ein Modell, das hilft sich selbst und den anderen in seinen tiefsten Beweggründen zu verstehen. Ihr Buch ist voll von eindrücklichen Beispielen und nicht selten mit viel Humor gewürzt. Es will und kann zu gelingenden, liebevollen und von Verständnis geprägten Beziehungen helfen, Beziehungen, die gelingen, weil man den anderen besser verstehen kann in dem, was ihn im Innersten antreibt und bewegt.

Aus Selbsterkenntnis zum Verständnis des Mitmenschen kommen – ein vielversprechender Weg.

Bewertung vom 10.10.2019
Das Leben spielt hier
Hoffmann, Sandra

Das Leben spielt hier


ausgezeichnet

Sandra Hoffmann, Das Leben spielt hier, Hanser 2019, ISBN 978-3-446-26433-5

Die für Ihre Romane mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Sandra Hoffmann (zuletzt der Hans-Fallada-Preis für „Paula“) veröffentlicht mit „Das Leben spielt hier“ ihr erstes Jugendbuch.
In einem zunächst gewöhnungsbedürftigen sehr knappen Stil, der besonders die vielen Dialoge sehr eigenwillig darstellt, beschreibt sie im Vordergrund mit vielen Rückblicken versehen die zarte Liebesgeschichte von Ona und Peer, der nur Pe genannt wird. Als Ona Pe beim Surfen am Strand zum ersten Mal sieht, spürt sie gleich die Anziehung, die dieser Junge auf sie ausübt. Irgendetwas in seinen Augen trifft sie mitten ins Herz. Sie will diesen schweigsamen Jungen mit der Narbe am Kopf unbedingt kennenlernen.
Als sie sich einige Zeit später wieder begegnen, werden sie schnell ein Paar. Langsam und von Sandra Hoffmann mit intensiver erzählerischer Kraft beschrieben öffnen sie sich einander und es wird deutlich, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben, die sie verwundbar gemacht haben. Ona hat ihre Mutter verloren und Pe hat einen von seinem Bruder wohl verschuldeten Verkehrsunfall im Gegensatz zu ihm überlebt.

Eine wichtige Rolle bei der heilenden Öffnung des jungen Paares füreinander spielt Kriedel, ein alleinstehender Buchhändler, bei dem Pe viel Zeit verbringt beim Anschauen von Übertragungen von Surfwettbewerben aus aller Welt.
Beim Versuch, Ona und Pe nach einem schweren Missverständnis, das wie ein Block zwischen ihnen steht und mit Danis Tod zu tun hat, wieder zu versöhnen, sagt Kriedel die für das Buch zentralen Sätze über Schuldgefühle, unter denen alle drei leiden:
„Man kann einfach nur besser leben, wenn man verzeihen kann. Dann ist man wieder frei. Dann geht auch diese schlechte Gefühl, das einen richtig beißen kann, wieder weg.“

Denn auch Kriedel quält sich, weil er vor einiger Zeit seine Partnerin Matilda verloren hat. Sie ist einfach gegangen. Kriedel entschließt sich, sie zu suchen und Ona und Pe begleiten ihn in Kriedels altem Käfer auf dem Weg nach Spanien.

Auf diesem Weg nach Süden kommt vieles aus der Vergangenheit der drei ans Tageslicht. Pe erzählt zum ersten Mal (auch seinem Therapeuten Potasche hat er nie davon berichtet) wie es zu dem tragischen Unfall kam, bei dem sein Bruder ums Leben kam, Ona erinnert sich an ihre Mutter und Kriedel erzählt den wahren Grund; warum Matilda ihn sozusagen über Nacht verlassen hat.
Diese Öffnungen sind schmerzhaft, doch alle drei erleben in zunehmender menschlicher Nähe, wie durch sie die lange ersehnte Heilung beginnen kann.

„Das Leben spielt hier“, ein Satz den Kriedel einmal zu Pe sagt, bevor sie nach Spanien aufbrechen, ist ein Buch, das mit viel Herzenswärme von einer ersten großen Liebe erzählt und davon, dass auch nach großen Verlusten eine Heilung der von Schuldgefühlen und Schmerz zerfressenen Seele möglich ist. Das Geheimnis liegt darin, sich zu öffnen, sich verwundbar zu machen und die Liebe zuzulassen.

Es ist nie zu spät dafür.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.10.2019
Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough
Dautremer, Rébecca

Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough


ausgezeichnet

Rebecca Dautremer, Das Stundenbuch des Jacominus Gainsborough, Insel Verlag 2019, ISBN 978-3-458-17838-5

„Ich rate dir, dir Zeit zu nehmen und genau hinzuschauen, du wirst eine Menge entdecken.“ Das schreibt Rebecca Dautremer, die 1971 geborene Autorin und Illustratorin des vorliegenden Buches für kleine und große Leser diesen in einem Vorwort ins Stammbuch. Die große Übersetzerin Eva Moldenhauer hat dieses wunderbare und zauberhafte Buch aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, als eines ihrer letzten Arbeiten, bevor sie im April 2019 starb.

Das Buch erzählt wie in einem Stundenbuch vom Leben und den Erlebnissen und Erfahrungen von Jacominus Gainsborough. Klein ist er, sehr klein in dieser großen weiten und auch unübersichtlichen Welt. Rebecca Dautremer erzählt seine Geschichte, von seiner Geburt als geliebtes Kind mit durchaus schwierigen Eltern bis zu seinem letzten Atemzug. Es ist das Leben eines kleinen Kaninchens. Es ist zerbrechlich, verträumt, es kennt glückliche und unglückliche Zeiten, liebevolle und traurige Stunden.

Auf jeder zweiten Doppelseite, mit weißem Hintergrund, füllt er als einmaliges Individuum den Raum und verschmilzt dann wieder mit den großartigen Fresken voller Details und Figuren seiner Umwelt. Es ist schwer, dort seinen Platz zu finden, so klein wie er ist, mit dieser verletzten Pfote, die seit einem bösen Sturz sein Leben verlangsamt. Aber Schritt für Schritt geht er voran, bescheiden und tapfer, gestützt auf seine Krücke und von der Liebe, die er in sich trägt.

Die zauberhaften und prächtigen Illustrationen machen die vielen unterschiedlichen Emotionen von Jacominus deutlich sichtbar. Jede neue Seite begleitet ihn auf seinen Wegen, seinen Träumen, seinen Hoffnungen und Ängsten, vor allem aber seiner Liebe, die er in sich trägt von Anfang an.

In zwölf Szenen, von den Jahreszeiten bestimmt, unterstrichen durch drei Mehrfachbilderrahmen und etwa zehn Portraits der Titelfigur, ist dies die Geschichte eines Lebens.
Ein wunderbares Buch für Jung und Alt, das mit dem Europäischen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, und dem ich auch in Deutschland viele wache Leser und nachdenkliche Betrachter wünsche.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.09.2019
Der kleine Lord
Burnett, Frances Hodgson

Der kleine Lord


ausgezeichnet

Frances Hodgson Burnett, Der kleine Lord, Knesebeck 2019, ISBN 978-3-95728-303-0

Der Knesebeck Verlag hat mit dieser hochwertigen Geschenkausgabe des Kinderbuchklassikers „Der kleine Lord“ allen Eltern und Großeltern rechtzeitig vor dem diesjährigen Weihnachtsfest ein schönes Angebot für ein wertvolles Geschenk für ihre Kinder oder Enkel gemacht.

Er hat die Geschichte des kleinen Cedric Errol aus New York, der zum Earl of Dorincourt in England wird und dabei durch seine Herzenswärme sogar seinen kaltherzigen Großvater erweicht, von Gundula Müller-Wallraf neu übersetzen lassen.

Den in München lebenden freischaffenden Illustrator, Karikaturisten und Comiczeichner Jan Reiser hat der Verlag beauftragt, die den meisten Kindern vor allem aus dem Fernsehen bekannte Geschichte zu illustrieren.

Neben der schönen und bekannten Geschichte sind es vor allen Dingen Reisers Zeichnungen, die das Buch auszeichnen. Seine Bilder sind den durch mehrmaliges Sehen des Filmes bekannten Figuren nachempfunden, geben ihnen aber schärfere Konturen und drücken durchweg auf eindrückliche Weise die Emotionen der abgebildeten Personen aus.

Ein schönes Geschenk für die ganze Familie.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.