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Birkatpet
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Wesseling

Bewertungen

Insgesamt 90 Bewertungen
Bewertung vom 03.09.2020
Muldental
Krien, Daniela

Muldental


ausgezeichnet

"Wir lesen gerne vom Scheitern - wenn am Ende ein Sieg steht."

Daniela Krien nimmt Leser*innen mit auf die Reise nach Muldental, in die ehemalige DDR um die Zeit der Wende. In zehn Kurzgeschichten erzählt sie uns von "Wendeverlierern", Menschen, welche durch die neuen Strukturen, die neue Gesellschaftsordnung entkräftet und demoralisiert wurden, die scheiterten und für die es eher ein Ende, statt ein Anfang war, die strauchelten und ins Wanken gerieten.

Mir gefällt Daniela Krien's Sprache sehr. Ich habe mit Begeisterung ihren Debütroman gelesen und auch ihr Erzählband "Liebe im Ernstfall", ebenfalls bei Diogenes erschienen, hat mir gefallen. Das Leben ist nicht immer bunt und schön, und genau dies thematisiert die Autorin, sie gibt denen eine Stimme, die trotz stärkstem Gegenwind versuchen nicht aufzugeben, kämpfen um dem Wind zu trotzen, teils durch das Raster der Gesellschaft fallen. Authentische Personen, authentische Geschichten, die man sonst lieber nur am Rand wahrnimmt, weil sie unangenehm sind, schmerzhaft und aufwühlend.

Auch in "Muldental" bleibt Daniela Krien distanziert, aber stechend präzise, lässt die Personen lebendig werden und verleiht ihnen Platz und Raum.

Ein tolles Buch, tolle Geschichten einer talentierten und sprachlich großartigen Autorin über das Scheitern, das Kämpfen ums eigenes Leben, über Mut, Lebenswillen und Kraft zur Zeit der Wende.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.07.2020
Im Bauch der Königin
Taha, Karosh

Im Bauch der Königin


sehr gut

Formal ist dieser Roman schon außergewöhnlich, denn es ist ein Wendebuch. Ich kannte Wendedecken, Wendejacken und so einiges anderes, was man wenden kann, aber ein Buch in der Erwachsenenliteratur zum Wenden war mir noch nicht in die Hände gefallen. Es war ein Cover- und Titelkauf, ich zog mal wieder durch eine Buchhandlung und dieses Buch rief nach mir. Da es verschweißt war, wusste ich auch nicht was mich erwartet. Zuhause also Folie weg, Buch aufgeschlagen und ich dachte es sei kaputt oder vielmehr ein Fehldruck, aber dem war natürlich nicht so. Am Lesesbändchen orientiert habe ich also mit Amal angefangen. Amal erzählt als Ich-Erzählerin die Geschichte über ihr Familienleben, ihren schulischen Werdegang, von den Diskrepanzen der Kulturen, ihrer Kindheit und Jugend als Tochter irakischer Migranten, der Rolle als Frau zwischen den Kulturen und ihrer Suche nach sich und ihren Zielen. Amal ist stark, laut und voller Willen, ich habe ihren Teil als sehr ausdrucksvoll empfunden, nachvollziehbar ihre Gedanken, Überlegungen, ihr Hinterfragen, ihre Einsamkeit, Sinnsuche und die Beweggründe ihres Handelns. Die andere Hälfte gehört Raffiq und seiner Ich-Erzählung, die Themen sind ganz ähnlich, wenn auch er weniger sich selber hinterfragt, sein Leben, seine Ziele. Raffiq war für mich weniger greifbar und die ganze Erzählung reichte für mich nicht an Amal’s Hälfte heran. Die Geschichten sind unabhängig voneinander, können nacheinander oder parallel gelesen werden, die Personen und Zeiten decken sich in beiden Geschichten, sind jedoch in anderen Rollen und Funktionen, ausser Younes, von dem beide erzählen in ihrer jeweiligen Geschichte. Younes und sein Leben mit seiner Mutter, der Vater nicht präsent. Shahira, die die Regeln ihrer Kultur bricht, die Regeln der Frauen der kurdischen Kommune, die unabhängig und frei lebt, sich nichts und niemandem unterwirft, die alle zu verschlingen und in ihrem Bauch zu sammeln scheint, für die einen eine Göttin, für die anderen die personifizierte Schande.

Dieser Roman hat mir sehr gefallen, die Autorin gibt den Jugendlichen eine authentische und realistische Stimme, so oder so ähnlich wird es vielerorts sein. Die Charaktere sind mit ausreichend Tiefe versehen und ihre Gefühlswelt wird klar und laut sehr deutlich. Der Stil ist gut, ihre Art gefällt mir, einfach und flüssig zu lesen, immer wieder sind aber Sätze dabei über die man stolpert, Passagen, die sehr nachdenklich stimmen, mit viel Gefühl und teilweise Poesie. Ein guter Roman über Heimat, Freiheit, Autonomie, das Leben zwischen den Kulturen sowohl als Frau als auch als Mann, über Migration- und Fluchterfahrung, darüber wie weit die Kreise in die nächsten Generationen ziehen und wie schwierig und darum nachvollziehbar manch ein Verhalten ist.

Bewertung vom 13.07.2020
SoKo Heidefieber
Henschel, Gerhard

SoKo Heidefieber


gut

Die Idee fand ich sehr interessant, was der Grund war diesen Roman zu kaufen. Erhofft hatte ich mir gute Unterhaltung mit viel Ironie und gewisser Spannung, sodass es schon dem Genre Krimi gerecht wird, jedoch satirisch speziell die Regionalkrimis aufgreift. Anfangs empfand ich das Buch als wirklich gut, der Stil hat mir gefallen, die Ironie kam durch die Einfältigkeit in der Erzählweise und der Charaktere sehr gut zur Geltung. Die Klischees von Regionlakrimis wurden gänzlich bedient und auch der unkomplizierte Schreibstil denen angepasst. Ich habe gelacht und sehr oft die Augen verdreht, denn mit Anlauf geht es von einem Klischee zum nächsten und mit vollem Einsatz werden alle Merkmale aufs Korn genommen. Es geht durch ganz Deutschland, sämtliche Dialekte und Regionen. Als die SoKo nur noch im Dunkeln tappt wird der Verband der Krimiautoren tätig und baut Druck auf, ziehen die Polizeiarbeit durch den Kakao, Talkshows werden besucht und Unterstützung aus den USA geholt.
Ab einem gewissen Punkt war ich jedoch sehr genervt und zunehmend gelangweilt, was anfangs noch lustig war, wirklich eine gelungene Persiflage darstellte und mich gut unterhalten hat, wandelte sich in eine Überwindung dieses Buch zuende zu lesen. Es wurde zu viel, zu viel von allem, sich wiederholende Formulierungen, Antiwitze, zu viele Dialekte, zu wenig roter Faden, zu viele und überladene Klischees.
Gerold und Fischer waren zunächst die perfekte Satire eines Polizistenduos, Mann und Frau, gemeinsamer Einsatz, zunächst genervt vom neuen Partner, dann gemeinsame Nächte, aber auch das ließ mich irgendwann nur gähnen.

Eine tolle Idee, ein interessantes Konstrukt und es hatte wirklich Potential mich vom Hocker zu hauen. Leider wurde es einfach irgendwann viel zu viel und keine geniale Unterhaltung, sondern langatmig. Die Hoffnung, dass sich das Blatt wendet starb zwar langsam, aber auch sie war irgendwann mausetot, wie die zahlreichen Opfer auf den 283 Seiten.

Bewertung vom 09.05.2020
Narziss und Narzisse (eBook, ePUB)
Drumbl, Andrea

Narziss und Narzisse (eBook, ePUB)


sehr gut

Es war die große Liebe, Gisela und Jakob, und mit der Geburt ihrer zweiten Tochter, Nutrit, scheint ihr Familienglück komplett. Das Elternpaar ist glücklich und ihre fünfjährige Tochter Judith stolze große Schwester. Jakob ist ein bemühter Ehemann und Vater, Judith genießt die Abende, wenn Jakob aus Tausendundeiner Nacht vorliest. Mit einem Mal ziehen dunklen Wolken auf, Gisela wird kurz nach der Geburt förmlich von Depressionen überfallen und zwei Monate später findet sie Nutrit tot in ihrem rosenroten Babybett. Gisela distanziert sich immer mehr von Judith und Jakob und scheint nach der Beerdigung ihren Verstand zu verlieren. Es kommt schließlich zur Trennung des Ehepaares. Gisela benötigt professionelle Hilfe, Jakob zieht aus und Judith wird zu einem Ehepaar, entfernt verwandt mit Jakob, von ihm in Obhut gegeben, denn er fühlt sich gänzlich überfordert und ohnmächtig. Doch es folgen weitere Schicksalsschläge. Wie viel kann ein Mensch, ein Herz, eine Seele ertragen?
Schwere Themen auf 144 Seiten. Plötzlicher Kindstod, Leben und Sterben, Trauma, Depressionen,...und mittendrin ein fünfjähriges Mädchen. Mich hat der Roman magisch angezogen, zunächst wegen dem Titel, denn ‘Narziss’ ist eine Figur aus der griechischen Mythologie, ein schöner junger Mann, der sich nach seinem Tod in eine Narzisse verwandelt haben soll. Auf dem Buchrücken steht “Bezaubernd und grausam wie im Märchen” und das war für mich kaum vorstellbar in Anbetracht der Thematik. Der Roman ist vier Kapitel unterteilt, in die vier Jahreszeiten, beginnend mit dem Tag der Sommersonnenwende, Nutrit’s Geburt, und es folgen Herbst, Winter und Frühling. Ein Buch, ein Jahr. Die Autorin hat mich schnell mit ihrer Sprache eingehüllt, eine Kunst mit Worten zu jonglieren. Sanft und zugleich gewaltig, weich und doch stark, poetisch und kristallklar, tragend und bezaubernd, ganze Sätze in Kopf und Herz verankert. Die Geschichte und die Geschehnisse erzählt A. Drumbl sehr wertfrei, sowohl das Handeln als auch die Gefühle werden nicht seziert, die unfassbaren Tragödien nicht auseinandergepflückt. Der Fokus liegt auf den Personen, unnötig füllende Beschreibungen gibt es nicht, sondern gezielt beschreibt und artikuliert sie die Gefühlswelt aus der jeweiligen Sicht, denn hier ist jede*r mit ihrer/seiner Trauer alleine, jede*r muss für sich mit den Schicksalsschlägen umgehen. Die Hilflosigkeit, Ängste und Schuldgefühle sind spürbar, aber auch die Hoffnung und Wärme, sowie die Anpassungsfähigkeit und vermeintliche Leichtigkeit eines Vorschulkindes.
Albträume und die Märchen aus “1001 Nacht” sind wiederkehrende Themen. Alle Geschehnisse sind wie ein einziger Albtraum und als Leser*in erlebt man sie wie im Zeitraffer. Albträume und Märchen einen jedoch zwei Dinge, zum einen sind sie schrecklich grausam, aber sie enden hoffnungsvoll und gut, entweder weil man daraus aufwacht oder die letzten Sätze liest.
Die Themen sind schwer, jedoch alltäglich, Leben und Tod begleiten uns alle. Die Sprache bezaubernd und besonders, wunderschön. Eine klare Leseempfehlung für dieses außergewöhnliche Buch.

Bewertung vom 03.05.2020
Picknick im Dunkeln
Orths, Markus

Picknick im Dunkeln


ausgezeichnet

Arthur Stanley Jefferson, bekannt als Stan Laurel, der dünne Teil von ‘Dick und Doof’, befindet sich einem ihm unbekannten Tunnel und ist dort von absoluter Finsternis umgeben. Gespenstisch und makellos ist dieser mysteriöse, fremde Ort, denn weder sind Steinchen, noch Flusen zu ertasten und Wände, Boden und Decke bilden eine absolut glatte Oberfläche. Kein Licht, keine Geräusche bis er plötzlich leise Atemgeräusche wahrnimmt und denen folgt.
Stan trifft dort in der Schwärze auf Thomas von Aquin. Siebenhundert Jahre trennen sie in der weltlichen Geschichte und noch viel mehr Unterschiede gibt es...Anarchist trifft auf Dominikanermönch, Mittelalter auf das mittlere 20. Jahrhundert, Kirche auf Showbühne, tiefer Glaube auf Zweifel und Misstrauen, Ernsthaftigkeit auf Albernheit…
Die beiden beginnen, teils Arm in Arm, ihren gemeinsamen Weg, einen Spaziergang offenbar in der Station zwischen Paradies und Hölle. War es das jetzt? Beginnt so die Ewigkeit? Hat die Ewigkeit überhaupt einen Anfang?
Für ihr Miteinander stehen ihnen zunächst nur Tast- und Hörsinn zur Verfügung, denn sie riechen, schmecken und sehen nichts. Der gemeinsame Gang durch die Finsternis ist sehr unterhaltsam, interessant durch die vielen philosophischen Aspekte und Unterhaltungen der beiden. Die jeweiligen Biografien, die sie sich gegenseitig erzählen, und somit auch den Leser*innen, sind nebenbei toller Geschichtsunterricht und bringt einem diese beiden Persönlichkeiten sehr nah, denn die Erzählungen bestehen hauptsächlich aus den wichtigsten Stationen der beiden in ihrem Leben. Nach und nach kristallisiert sich dadurch heraus, warum sich gerade Stan und Thomas treffen.

Der Autor, studierte übrigens u.a. Philosophie, verwebt hier Geschichte und Fakten mit Fiktion und Philosophie, Weisheit und Tiefsinn mit Komik und Humor. Dies alles in den Gesprächen der Protagonisten über Gott, Glaube, Nichtglaube, Sein und Nichtsein, Sinn und Unsinn, Leben und Tod. Picknick im Dunkeln ist ein sehr unterhaltsames, kurzweiliges, interessantes, außergewöhnliches und tiefsinniges Buch. Spannend und zugleich entschleunigend, leicht zu lesen. Stellenweise sehr komisch und lustig, nämlich dann, wenn Stan in seiner Plauderlaune vom Film erzählt, von Impfungen, Amerika oder dass die Erde sich um die eigene Achse dreht und Thomas wie vor den Kopf geschlagen wirkt und sich von Stanley grob die 700 Jahre fehlende Weltgeschichte erklären lässt. Ebenso stimmt es traurig und nachdenklich, denn oft trügt der Schein und im Inneren eines Menschen sieht es ganz anders aus, als der äußere Eindruck wirkt.
Das Ende hat mir sehr gefallen und es schließt sich ein großartiger Kreis.
Ein besonders außergewöhnliches Buch, welches ich noch lange in Erinnerung haben werde. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 30.04.2020
Der Schmetterlingstrieb (eBook, ePUB)
Millesi, Hanno

Der Schmetterlingstrieb (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

“Der Schmetterlingstrieb” von Hanno Millesi erschien 2016 im Verlag Edition Atelier und ist mein Geheimtipp des Monats. Zu Beginn lässt der namenlose Ich-Erzähler seine Leser*innen an einer schlaflosen Nacht teilhaben, in der er feststellt, dass ihm keines seiner Fenster den Blick auf den Sternenhimmel ermöglicht und darum schafft er kurzerhand seinen eigenen Sternenhimmel. Seine Socken (gewaschen!) verteilt er auf seinem Bett und aus vier der Socken legt er ein ‘windschiefes Viereck’ und so entstehen der Große Wagen oder der Große Bär, so sicher ist er sich da nicht. Mit Schlaflosigkeit und Socken-Sternenhimmel-Bett beginnt die Reise des Erzählers mit seinen Leser*innen durch die eigene Wohnung und damit zugleich ein spannendes, skurriles, lustiges, außergewöhnliches und spezielles Abenteuer in den eigenen vier Wänden, denn die Wohnungsreise führt als nächstes in die Küche, wo der Blick auf eine tote Spinne trifft. Dieser Anblick löst beim Erzähler die Assoziation mit Mördern aus dem Fernsehen aus und unweigerlich stellt sich ihm die Frage: wie viele Leichen befinden sich noch in seinem Reich? Ein interessante Investigation in der eigenen Wohnung beginnt, vor allem die tote Sardine im Kühlschrank wirft eine Menge Frage auf. Man begegnet Two-Face, erfährt von der sehr eigenwilligen Konstruktion seiner Fernbeziehung, begleitet eine Séance, seine Verschwörungstheorien über die eigene Wohnung, außerdem seine Zeit im Kleiderschrank, dann als Schlange im Wäschekorb, eine Herzattacke und nicht zuletzt sein Unternehmen Herr über die Gezeiten zu sein... und das war noch lange nicht alles.
Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich nah beieinander und hier auf 136 Seiten sprüht es vor wahnsinniger, genialer und tiefsinniger Kreativität in einem sehr tollen Sprachstil. Manchmal liegen Lösungen und der Sinn für vieles direkt vor den Füßen, man muss es nur sehen und manchmal, wenn man auf dem Schrank oder Regal sitzt, sieht sowieso einiges ganz anders aus als zuvor. Das perfekte Quarantänebuch, denn das eigene Zuhause, jeder Raum, steckt voller Möglichkeiten und ungeahntem Potential alles zu sein, außer gewöhnlich und langweilig. Ganz ernst kann man den Herrn nicht immer nehmen und zuweilen darf man wohl auch an dem Verstand zweifeln, dies ändert jedoch nichts an der Genialität aus Alltäglichem und den vier Wänden einen Abenteuerpark zu machen. Großartige Sache.
Klare Leseempfehlung

Bewertung vom 26.04.2020
Dankbarkeiten
Vigan, Delphine

Dankbarkeiten


ausgezeichnet

Bereits mit dem ersten Satz war es um mich geschehen. Es war quasi Liebe auf den ersten Buchstaben. Intuitiv wusste ich, dass dieser Roman und ich zusammengehören und ich hatte den Wunsch, dass er niemals enden mögen. Die Themen des Buches sind wahrlich keine einfachen und prinzipiell oft leider noch tabuisiert. Es geht ums Altern mit all seinen Facetten, wie Krankheit, Tod, Verlust. Aber es geht auch um Menschlichkeit, Mitgefühl, Nähe, Vertrauen, (Nächsten-)Liebe, Herzensgüte, Herzlichkeit und vor allem um tiefe und ehrliche Dankbarkeit, die von Herzen kommt. Die Nähe und gemeinsame Geschichte von Mischka und Marie ist ein bereits sehr langer gemeinsamer Weg, Mischka eine Art Ersatzmutter für Marie, tief berührend und wunderschön. Mit Jérôme kommt ein neuer Mensch in Mischka’s Leben und beide purzeln gemeinsam in das Leben und Herz des anderen. Ein sehr einfühlsame und besondere Freundschaft entsteht. Die Kapitel sind fortlaufend abwechselnd aus den Perspektiven von Marie und Jérôme erzählt und so erfahren Leser*innen von Mischka, ihrem Leben und ihrem größten Wunsch. Die Charaktere sind alle nah und beinahe zärtlich gezeichnet.

Dieser Roman ist eine Bereicherung. Die klare, poetische, ruhige und zart bedachte Wortwahl der Autorin trägt durch die Seiten in denen es um den Verlust der Worte geht. Wie viel bleibt, wenn die Sprache geht? Sprache ist nicht nur bloß das wichtigste Kommunikationsmittel, sondern geht einher mit Kreativität und Freiheit. Die 165 Seiten haben eine große Bandbreite an Emotionen bei mir ausgelöst. Mit Tränen in den Augen und auf den Wangen habe ich teilweise geschmunzelt und gelacht. Für diesen zaubertollen Roman eine klare Leseempfehlung, für jung und alt mit einer gewissen Lebenserfahrung.

PS: Altern (selbst oder es begleitend zu erleben bei einem geliebten Menschen), Krankheit (in dem Fall Aphatie), Verlust (von Dingen und wie hier ein Stück weit vom eigenen Leben, durch den Verlust von Eigenständigkeit, Selbstbestimmung, Energie, Freiheit uvm.) und Tod sind keine leichten Themen, insbesondere für Menschen, die bereits einen oder mehrere Erfahrungen mit diesen Bereichen persönlich hatten. Ich selbst habe mit Krankheit und Folgen zu kämpfen und habe auch enge geliebte Menschen in den letzten Jahren verloren, begleitet bis zuletzt und ich hatte etwas Angst vor dem Roman. Gesetzt habe ich auf den Titel, dass die Dankbarkeit vordergründig ist und der größte Wunsch eines Menschen. So war es auch. Dennoch möchte ich je nach Vergangenheit dazu raten sich Zeit für diesen Roman bei Lesewunsch zu nehmen, da er Dinge aufwühlen kann, aber behutsam, vorsichtig, sanft, zart und nicht durch Formulierungen oder Stilmittel auf die Tränendrüse drückt und Gefühle erzwingt. Für Angehörige von Menschen in der Situation wie Mischka ist dieser Roman der ideale Ratgeber in Geschichtenform.

Bewertung vom 22.04.2020
Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst
Hornby, Nick

Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst


sehr gut

Louise und Tom haben ein neues Ritual, jede Woche trifft sich das Ehepaar in einem Pub in Kentish Town. Grund für diese wöchentlichen “Dates” ist, dass der Pub gegenüber der Praxis für Eheberatung ist, wo die beiden zehn Termine vereinbart haben. Denn sie stecken in einer andauernden Ehekrise und nun hat Louise sich einen “Fehltritt” geleistet und diesen viermal wiederholt. Verloren glauben sie ihre Ehe noch nicht, denn schließlich haben sie zwei Kinder, Game of Thrones und Kreuzworträtsel. Bei einem Pint und trockenem Weißwein diskutieren sie nun regelmäßig über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Hornby’s Roman über Liebe, Trennung, Neuanfang hat mir sehr gut gefallen und ich hatte eine unterhaltsame Lesezeit. Das Thema ist heikel, denn Eheprobleme, Differenzen in der Partnerschaft sind absolut intime Bereiche. Dennoch gehören sie dazu. Regen, Sonne und Gewitter im Herzen. Als Leser wohnt man den Treffen im Pub vor den Therapiesitzungen bei. Was die Protagonisten veranlasst eine Eheberatung aufzusuchen ist nicht ‘nur’ grauer Alltag, fehlende und mangelnde Kommunikation aus welcher Missverständnisse und Verletzungen rühren, sondern Untreue. Louises Fehltritt mit Wiederholungen. Louise und Tom sind authentisch und glaubwürdig dargestellt. Hornby hat die Charaktere lebhaft, ausdrucksstark, stechend, markant, bunt, berechenbar, mit Ecken, Kanten und Macken gezeichnet auf brillante, relativ neutrale Art und Weise. Die zwei sind sehr differente Charaktere und genau das macht die Unterhaltungen und das verbale Duellieren sehr interessant, lebendig, spritzig, wendig, amüsant und stellenweise liefern sich die beide Wortgefechte voller Witz, Ironie, Sarkasmus, schonungslos, realistisch und unbeschwert. Spannend, wenn auch absehbar ist die wöchentliche Entwicklung und die Dynamik des Miteinanders, in welche Richtung sich die beiden bewegen. Der Stil, fast ausschließlich in Dialogen zu schreiben fand ich passend und genial in dieser Situation. Es werden hier Themen aufgegriffen und sich darüber kritisch ausgetauscht, die für eine gute Beziehung fundamental sind. Stimmen Basis und Fundament nicht, sind Gestaltung und Bau eines Hauses mit tragenden Wänden des Miteinanders dauerhaft unmöglich.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen, vor allem natürlich Personen mit Beziehungs-/Eheerfahrung in allen Farben, Höhen und Tiefen. So oder ähnlich kennt man es dann. Die Problematik das Miteinander bunt zu gestalten und nicht in Grautönen zu versinken, dass eine Basis der gemeinsamen Kommunikation und sich selbst nicht zu vergessen von großer Bedeutung ist.
Auf unterhaltsame und amüsante Lesezeit!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.04.2020
How to say ich liebe dich

How to say ich liebe dich


sehr gut

Die Liebe ist eine seltsame Sache und jeder hat so seine Erfahrungen damit. Schöne, traurige, wundervolle und schmerzhafte. Doch das ist die eine Sache, oft stellt sich dann die Frage wann der richtige Zeitpunkt ist seine Gefühle zu offenbaren, es dem anderen verbal mitzuteilen. Wann, wie, wo diese wichtigen drei Worte “Ich liebe dich” mitteilen? Gibt es ein zu früh oder nur ein zu spät? Was wenn der andere mit ‘Dito’, ‘Danke’ oder ‘Okay’ reagiert…? Zurücknehmen kann man Gesagtes schließlich nicht.
Einfach nur diese drei Worte oder ganz groß zum Beispiel mit einem romantischen Abend verbringen? Vielleicht lieber vorsichtig rantasten mit Sätzen wie: ‘Du bist mir wichtig.’, “Schön, dass es dich gibt.’? So einfach es auch wirkt aus zwölf Buchstaben drei Worte zu bilden und schließlich daraus einen Satz zu formen, so schwer ist es manchmal dann doch. Anschließend gibt es nichts mehr von solch einer Tragweite, keine Steigerung mehr. Liebe ist das Ziel, Verliebtsein der Weg.
Über die Frage wann der richtig Zeitpunkt ist und wie man das Gefühl der Liebe dem anderen mitteilt haben sich hier in diesem Band Arno Geiger, Nick Hornby, Daniel Glattauer, F. Scott Fitzgerald, uvm Gedanken gemacht.
Anna von Planta und Silvia Zanovella haben mit How to say ich liebe dich einen tollen ‘Ratgeber’ in Geschichten zusammengetragen.
Daniela hat extra für dieses Buch eine Anweisung zu dem Thema geschrieben und ist die erste Kurzgeschichte und diesem Band und natürlich ist sie großartig.

Bewertung vom 19.04.2020
The Doll Factory
Macneal, Elizabeth

The Doll Factory


gut

Mit dem Buch geht die Reise nach London im Jahr 1850.
Iris und ihre Zwillingsschwester Rose arbeiten in einer kleinen Puppenmanufaktur in der Regent Street. Iris’ tägliche Arbeit besteht darin die Füße, Hände und Gesichter der Puppen zu gestalten. Die Arbeit erfüllt sie in keinster Weise, das ärmliche Leben mit ihrer Schwester im Zimmer hinterm Verkaufsraum ist nicht das was sie wirklich möchte, sie hat ganz andere Träume. Ihre Liebe gehört der Malerei und so schleicht sie nachts in der Keller der Puppenmanufaktur und geht ihrer Leidenschaft nach. Eines Tages eröffnet sich für Iris eine großartige und einmalige Gelegenheit ihrem tristen und düsteren Leben zu entkommen und ihren Träumen Leben zu schenken. Der berühmte Maler Louis Frost sucht eine neue Muse und Iris ist seine Auserwählte. Nicht nur dass sie auf ewig in seinem Gemälde festgehalten ist, ist lockend, auch die Tatsache, dass sie Unterricht von ihm erhält neben einer sehr guten Bezahlung für das Modellstehen. Bei Louis und Iris bleibt es nicht nur dabei, dass sie gemeinsam für die Kunst leben und schwärmen, sondern auch alsbald füreinander. Iris hat jedoch auch das Interesse eines anderen Mannes geweckt, und dieser wird bald zu ihrer größten Gefahr.

Der Roman ließ sich flüssig und einfach lesen. Personen, Orte, Handlungen gut dargestellt, jedoch alles etwas zu viel und zu gewollt. Ein historischer Roman, der alles auf einmal werden will: Liebesroman, Familiendrama, Thriller, Beleuchtung der Rolle der Frau Ende des 19. Jahrhunderts und Mischung aus Fiktion und Fakten, denn die Gruppe der “Präraffaeliten”, eine britische Künstlergruppe gab es wirklich. Eine arme junge Frau, die viele Stunden am Tag schuftet und mit ihrer Schwester die Eltern unterstützt, lernt einen wohlhabenden und einflussreichen älteren Mann kennen, sie teilen eine Leidenschaft - hier die Malerei -, meistern so einige Hürden und dann kommt ein Bösewicht und alles scheint mit einem Mal so fragil. Gab es so oder anders schon oft, aber besser. Ich war anfangs sehr angetan. Die Beschreibungen der Handlungsorte sehr bildhaft und Iris’ Denken und Fühlen, das Hin- und Hergerissensein zwischen Norm und Pflicht einerseits und andererseits Freiheit und Selbstbestimmung. Das alleine hätte genügt, wäre toll und interessant gewesen. Der gesamte Handlungsstrang um den heimlichen Verehrer und sein Vorhaben war mir zu konstruiert, bisweilen spannend, aber nicht rund und der Versuch zum Ende hin ein Thriller zu werden nicht passend.

Da mir grundsätzlich der Stil gefallen hat und die Geschichte zwischen Iris und Louis interessant war, der Konflikt zwischen Iris und ihrer Familie, weil sie ihren eigenen Weg geht viel Potential hatte und die Idee eines Bösewichts nicht uninteressant ist, würde ich es durchaus wagen ein weiteres Buch zukünftig von der Autorin zu lesen. Empfehlung spreche ich eingeschränkt aus, für junge Erwachsene auf der Suche nach spannender, kurzweiliger Unterhaltung ohne viel Anspruch, mit Liebe und Gefühl im alten England und Interesse an Kunst sicher eine gute Wahl. Die Geschichte wird mir im Kopf bleiben, zumal ich die Erwähnung der Bruderschaft der Präraffaeliten interessant fand, wird aber alles sehr bald verblassen. Ich wollte das Buch wirklich toll finden, weil mir das Cover so gefiel, aber hier hat sich wieder gezeigt, dass die Verpackung nicht den Inhalt bestimmt. Freiheit ist ein hohes und fragiles Gut, dieser Roman macht es sehr anschaulich, sowohl die innere als auch die äußere und ich glaube das ist es, was der Roman vermitteln möchte.