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SueWid

Bewertungen

Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 04.04.2024
Geordnete Verhältnisse
Lux, Lana

Geordnete Verhältnisse


ausgezeichnet

Titel: Perspektiven einer toxischen Beziehung

Kurzmeinung: Ein intensives Lesehighlight über eine obsessive Freundschaft, bei der Opfer und Täter ihre Geschichte erzählen.


Vorab möchte ich eine kurze Triggerwarnung aussprechen, in „Geordnete Verhältnisse“ geht es unter anderem um häusliche Gewalt, toxische Familienstrukturen und Gaslighting.

Lana Lux, die bereits Bekanntheit durch ihren Debütroman "Kukolka" und ihren zweiten Roman "Jägerin und Sammlerin“ erlangte, legt mit ihrem neusten Roman „Geordnete Verhältnisse“ intensiv nach.
Das fängt bereits mit der klugen Gestaltung des Covers an. Ein schief angeordneter Titeltext der im Kontrast zum Einbandtitel steht. Außerdem als Motiv grüne Blätter, welche einen ruhigen und sanften Eindruck vermitteln.

In „Geordnete Verhältnisse“ geht es um die Freundschaft zwischen Philipp und Faina. Beide kommen aus dysfunktionalen Familien und toxischen Verhältnissen, aus denen sie sich nie wirklich befreien konnten. Ihre Freundschaft wird schnell zu einer Obsession, was für mich an diesem Zitat von Faina sehr deutlich wird:
„Das Gefühl, ihm die Welt zu bedeuten. Dieses Gefühl macht süchtig. Es lässt einen alles andere erdulden. Weil es ja zum eigenen Besten ist, weil der Schmerz, den diese Person einem zufügt, seiner Liebe entspringt.“ S. 273

In ihrem Roman geht die Autorin dabei einen sehr spannenden und gewagten Schritt und erzählt die Geschichte nicht nur aus Sicht des Opfers oder des Täters, sondern lässt beide abwechselnd zu Wort kommen.
Der Roman unterteilt sich in drei Abschnitte.
Im Ersten erfahren wir viel über die Vergangenheit der beiden aus der Sicht von Philipp.
Im zweiten Abschnitt kommt Faina zu Wort, die einige Details ergänzt, ihre Sicht der Dinge widerspiegelt, und wir erfahren wie die Gegenwart für beide gerade weiter verläuft. Im dritten und letzten Abschnitt kommen beide wieder abwechselnd zu Wort.

Dabei habe ich es sehr genossen wie Frau Lux die Protagonisten mit den Lesenden kommunizieren lässt. Ich mochte es, wie man in die Gedanken- und Gefühlswelt hineingesogen wurde.

Die Geschichte wird niemals vordergründig voyeuristisch oder verliert sich in sinnlosen (Gewalt-)Details.
Die Autorin schafft den Spagat, keinen der Protagonisten als absolut unsympathisch oder übertrieben dazustellen. Sie sind dabei nahbar und besitzen eine ganz eigene Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit.
Man muss unwillkürlich mit allen handelnden Figuren mitfühlen und hinterfragt auch ständig woher diese Verhaltensmuster wohl kommen müssen.

Die an einigen Stellen schon fast poetische Sprache vermischt sich ganz leicht mit einem modernen Sprachstil, ohne dabei zu gewollt zu wirken.

Für mich war „Geordnete Verhältnisse“ definitiv ein Lesehighlight, welches mit seinem Inhalt noch lange bei mir nachklingen wird.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.04.2024
Die Vermesserin der Worte
Seck, Katharina

Die Vermesserin der Worte


sehr gut

Titel: Melancholisch, ruhiger Roman über die Macht der Worte und ihre Kraft zu heilen.

Aufgrund des schlichten Cover habe ich mich auf eine ruhige Geschichte eingestellt und wurde auch nicht enttäuscht.
Katharina Seck, eher bekannt für ihre Fantasy Romane, lässt mit „Die Vermesserin der Worte“ eine entspannte Geschichte der Gegenwartsliteratur entstehen.

„Die Vermesserin der Worte“ ist ein Roman über Sprachlosigkeit. Eine Sprachlosigkeit, die einem plötzlich im Griff hat, aber auch eine, die zwischen Menschen herrschen kann und tiefe Gräben schlägt.
Es geht um die Autorin Ida, die unter einer Schreibblockade leidet und sich lieber in ihrer kleinen Wohnung vor der Welt abschottet. Als das Geld langsam zur Neige geht, muss sie notgedrungen einen Job in der Provinz annehmen. Dabei lernt sie die ältere Hausherrin Ottilie kennen, die ebenfalls ihre Worte sucht, wobei Sie nach und nach den Bezug zur Welt verliert.
Die beiden Frauen finden durch ihre Liebe zu Büchern einen Weg zu einander. Es entsteht eine zarte Freundschaft, in der sich die beiden gegenseitig durch die Kraft der Worte retten und heilen.

Man spürt sehr schnell die Liebe der Autorin für Bücher. Es finden sich regelmäßig Anspielungen auf anderen Romane, Autorinnen und Autoren. Für mich persönlich hätte das an einigen Stellen einfach gestrafft werden können, da sie sich gerne wiederholt. Auch das übermäßige Wiedergeben von Floskeln und Wortpaarungen trübte für mich den Lesefluss etwas ein.

Der Roman hat mir in seiner unaufgeregten und ruhigen Lese-Art gut gefallen.

Wer einen leicht melancholischen und ruhigen Roman als kleine Auszeit im hektischen (Lese-)Alltag sucht, ist hier trotz einiger Kritikpunkte sehr gut aufgehoben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2024
Arctic Mirage
Kokkonen, Terhi

Arctic Mirage


weniger gut

Titel: Düsteres Psychogramm einer Ehe
Kurzmeinung: Spannende Thematik mit schwer greifbarer Handlung

Der Debüt-Roman „Arctic Mirage“ von Terhi Kokkonen wurde mit dem finnischen Literaturpreis Helsingin-Sanomat ausgezeichnet, was meine Erwartungshaltung direkt nach oben geschraubt hat.

Der Inhalt des recht schmalen Buches ist schnell zusammengefasst. Es geht um das Ehepaar Karo und Risto, die in der einsam verschneiten Gegend Lapplands Urlaub machen. Als es zu einem Autounfall kommt, suchen beide Unterkunft in dem Titelgeben Hotel namens Arctic Mirage. Doch das scheinbare Glück, den Unfall nur mit geringen Blessuren überstanden zu haben, schlägt schnell um und das Düstere in der Beziehung scheint beide zu übermannen.

Leider konnte mich dieser Roman nicht überzeugen, auch wenn das grundsätzlich düstere Setting mich sehr angezogen hat.
Hervorzuheben ist, dass die Autorin meiner Ansicht nach diesen schwierigen und psychologischen Themenkomplex gut recherchiert hat.
Allerdings verliert sie sich in Andeutungen in ihrer eigenen düsteren Geschichte etwas zu sehr, dadurch wirkt es für mich zu gewollt und nicht gänzlich rund.
Dem Lesenden wurde eine komplexe Geschichte einer Ehe versprochen, die sehr tragisch endet.
Erhalten habe ich allerdings nur sehr eigenwillige und unsympathische Hauptfiguren, deren Handlungen und Entscheidungen ich nur schwer nachvollziehen konnte.
Risto's Sicht wird immer nur im direkten Zusammenspiel mit Karo deutlich, beziehungsweise in Rückblenden. Aus meiner Sicht, verpasst da die Autorin eine Chance auch seine Perspektive aufzuzeigen.
Hinzukamen abrupt und scheinbar wahllos auftauchende Nebenfiguren, die für das Voranschreiten der Handlung nur wenig von Nöten waren.

Abschließend bleibt zu sagen, dass es eine interessante Thematik war, die in der Umsetzung leider hinter meinen Erwartungen zurückblieb.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.02.2024
Yellowface
Kuang, R. F.

Yellowface


sehr gut

Titel: Alles nur geklaut!?

Rebecca F. Kuang ist eine gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Fantasyautorin.
Mit ihrem Neusten Werk „Yellowface“ wagt sie sich nun auf ein ganz anderes Gebiet.

Bei „Yellowface“ fällt einem direkt das schreiend gelbe Cover auf. Davon sollte man sich allerdings nicht blenden lassen. ;-)
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die junge Autorin June Hayward. Wie viele aufstrebende Schreibende möchte Sie ein Werk erstellen, welches sichtbare Anerkennung erreicht.
Etwas, was ihrer unglaublich erfolgreichen Autorenfreundin Athena Liu bereits geglückt ist.
Ihre Erfolgsgeschichte, aber auch Athenas Schönheit und Exotik, rufen bei June nur Animositäten hervor.
Als durch einen tragischen Unfall Athena verstirbt, sieht June ihre Zeit gekommen und stiehlt das letzte literarische Schaffen ihrer Freundin. Nachdem sie begreift welches Potential in der Geschichte steckt, fängt sie an diese zu überarbeiten und zu veröffentlichten.
Mit dem Erfolg kommen schnell erste Fragen nach der Urheberschaft auf. Die sozialen Medien kennen keine Gnade bei ihrer Hexenjagd. Kann alles nur in einem Drama gipfeln?

„Yellowface“ schafft es sehr präzise den Finger in eine sehr offene und meines Erachtens eitrige Wunde unserer Zeit zu legen. Unter anderem wie groß der Einfluss moderner Medien wie Instagram oder X (ehemals Twitter) auf unsere Gesellschaft ist. Wie schnell es zu Abhängigkeiten von Usern beziehungsweise der Ausnutzung solcher Plattformen für anonyme Hetze und Hasskommentare kommen kann.
Der Roman schafft es gezielt die Fragen nach Kultureller Aneignung, Gatekeeping und Cancel Culture zu adressieren. Die Leserschaft wird fast beiläufig dazu gebracht sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und innerlich die eigenen Wertevorstellungen zu reflektieren.

Mir persönlich hat der ganz spezielle Schreibstil von Frau Kuang gefallen.
Insbesondere der Aspekt, dass ihre Protagonistin die Leserschaft immer wieder direkt anspricht und in ihre Gedankenwelt abholt. Damit versucht sich die Figur der June den Lesenden zu erklären. Sie bettelt fast um unsere Sympathien und Verständnis für ihr Verhalten.
Allerdings ist und bleibt sie von Anfang bis Ende eine tragische Antiheldin. Sie ist kein charmanter Underdog, den man die Daumen drückt und für die man auf ein Happy End hoffen möchte.
Leider lastet dadurch, aber auch die volle Last als Protagonistin auf ihr. Sämtliche Nebenfiguren verkommen zu Randnotizen, die nur wenig Raum bekommen. Das nimmt den Roman aus meiner Sicht etwas an Schwung.
Für mich war June in ihrer manischen Obsession völlig glaubhaft dargestellt, wenn sie auch zuweilen sehr anstrengend zu ertragen war.
Ich frage mich, wie realistisch das ganze Szenario ist? Lassen sich Verleger, Angehörige oder Freunde so lange täuschen? Was für rechtliche Schritte könnten auf sie zu kommen? Da hätte ich mir persönlich noch etwas ausgefeilte Tiefe gewünscht.

Zusammenfassend würde ich sagen, hat Frau Kuang einen zeitgenössischen Roman abgeliefert, der hier und da sicherlich noch etwas Potential nach oben hätte, Lesenden dennoch die Möglichkeit bietet sich mit aktuellen Thematiken (wie Rassismus, Online-Hetze) eingebunden in einer spannenden Storyline, auseinanderzusetzen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.05.2023
Idol in Flammen
Usami, Rin

Idol in Flammen


ausgezeichnet

Was neben dem poppig-knalligem Cover als Erstes bei „Idol in Flammen“ auffällt, ist die junge Autorin Rin Usami. Für ihren Debüt-Roman erhielt Sie mit nur 21 Jahren bereits den Akutagawa-Preis.
Der Akutagawa-Preis ist in Japan die bedeutendste Auszeichnung für Literaturschaffende. Somit liegt die Erwartungshaltung recht hoch, noch bevor man in diesen Roman eintaucht.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Schülerin Akari Yamashita und ihre Leidenschaft für das Idol Masaki Ueno, welches ein Mitglied einer Popband namens Mazamaza ist.
Akari ist sie kein „normaler“ Fan, wie man ihn landläufig kennt, sie ist ein sogenannter „Otaku“, was bedeutet, dass sie ihre leidenschaftliche Fanliebe obsessiv ebenso rückhaltlos auslebt.
Das äußert sich vor allem darin, dass sie keinerlei Interessen oder andere Freizeitaktivitäten hat.
In ihrem realen Leben findet sie keinen Halt, weder in ihrer Familie, noch bei Freunden.
Alltägliche Dinge wie Körperhygiene, Hausaufgaben oder einem Nebenjob nachgehen fallen ihr schwer.
Alles was sie macht, dient ausschließlich dem Ziel ihr Idol zu unterstützen.
Für Akari ist dieses Verhalten aber völlig normal, denn nur ihr Idol erdet sie und lässt sie etwas empfinden, sie bezeichnet ihn auch liebevoll als ihre Körpermitte, ihre Wirbelsäule.
Nachdem der gefeierte Star in einen Skandal verwickelt wird, wenden sich die sozialen Medien, genauso wie viele Fans, gegen Masaki. Immer mehr verändert sich auch das Leben von Akari und am Ende muss auch sie eine Entscheidung treffen.


In diesem kurzen Roman schafft es die Autorin die zerbrechliche Psyche eines jungen Mädchen glaubhaft zu schildern, ohne dabei die verschiedenen psychischen Probleme je direkt zu benennen. Rin Usami legt den Finger in eine offene Wunde, die nicht nur japanische Teenager betrifft, sondern sicherlich auch anderenorts zu finden ist.
Ich habe dieses kurze Buch als eine kleine Abrechnung mit der Gesellschaft empfunden. Denn am Ende blieb für mich die Frage, wenn alles entgleist, warum sehen alle Außenstehende nur dabei zu wie Akari immer mehr den Abgrund entgegen rennt? Ihre verschiedenen Störungen und Auffälligkeiten werden entweder hingenommen oder ignoriert. Muss man in solch einer Gesellschaft perfekt funktionieren?
Die Kommerzialisierung am Beispiel der Idol-Industrie wurde sehr gut dargestellt. Sie zeigt auf wie die Vermarktung vor allem junge, noch stark beeinflussbare Menschen dazu bringt immer mehr von ihrem Geld in ihre Fankultur zu stecken. Viele Merchandise Artikel sind stark limitiert, sodass ein enormer Druck entsteht, welcher Fans in Panik versetzen soll, etwas zu verpassen und sie so in einen Kaufzwang bringt. Wenn man ehrlich ist, ist es ein genial diabolisches Konzept. Der Konsum wird direkt mit Glücksgefühlen belohnt und das vergötterte Idol hat auch noch etwas davon. Denn über den Verkauf regelt sich die Beliebtheit der Stars, die darin mündet wer als erstes auftreten darf, gegebenenfalls ein Solo hat, mehr Sendezeit und so weiter: Ein Teufelskreislauf für alle Parteien.


Welche Perspektive mir gefehlt hat, sicherlich auf Grund der Kürze des Romans, ist der Blickwinkel des Idols Masaki. Wie muss dieser den Trubel empfinden? Was ist mit seinem Privatleben? Wie haben die anderen Bandmitglieder den Skandal aufgenommen? Dies wird immer wieder angedeutet innerhalb der Recherchen von Akari, aber nie genau beschrieben. Auch der eigentliche Skandal wirkte eher wie Mittel zum Zweck, als das er die Geschichte vorangebracht hätte.


Natürlich kann man kritisieren, dass es es nur bei einem kurzem Eintauchen in eine so komplexe Struktur bleibt. Aber ich finde dieses Buch hat einen Nachhall. Er bringt den Lesenden zum nachdenken und eventuell zum selber recherchieren.


Mir hat der Debütroman von Rin Usami sehr gefallen. So bin ich gespannt welches Thema sie in ihren nächsten Werken aufnimmt und verarbeitet.

Bewertung vom 17.05.2023
Der Morgen / Art Mayer-Serie Bd.1 (eBook, ePUB)
Raabe, Marc

Der Morgen / Art Mayer-Serie Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Marc Raabe ist wieder in Bestform! Nach seiner sehr beliebten Tom-Babylon-Reihe, zeigt er erneut sein Können mit dem Start seiner neusten Thriller-Reihe.

Im Mittelpunkt von „Der Morgen“ steht der erfahrene, allerdings etwas eigenwillige Ermittler Art Mayer. Ihm zur Seite wird die noch unerfahrene, aber sehr ehrgeizige Kommissar-Anwärterin Nele Tschaikowski gestellt.
Gemeinsam versuchen sie eine Reihe von Morden aufzuklären, die alle auf den Bundeskanzler hinweisen. Die Ermittlungen in diesen Kreisen zeigen sich als besonders komplex, wie sensibel. Hierbei drückt die Zeit, die Medien, ebenso wie der ein oder andere persönliche Konflikt der Hauptfiguren. So muss sich Art alten Verbindungen aus seiner Vergangenheit stellen und Nele den aktuellen Problemen ihres Privatlebens.
Innerhalb der Geschichte versucht der Autor auch eher unsympathischen (Rand-) Figuren weitere Facetten zu geben, damit eben nicht alles immer nur schwarz/weiß ist.
Er geht geschickt auf den Widerspruch zwischen Loyalität und Integrität ein. Lässt hierbei seine Figuren hadern, was sie umso glaubhafter macht.
Es wird immer wieder die Frage nach den Berufsethos aufgeworfen: Wie weit sollte man gehen oder vielmehr, was darf man tun um seine Werte oder Freunde zu schützen?

Die Geschichte springt Kapitelweise immer wieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Marc Raabe schafft es scheinbar mühelos die verschiedenen Geschichtsstränge miteinander zu verweben, ferner die Spannung konstant hochzuhalten, sodass man jeden Strang gerne weiterverfolgt.

Als kleiner Wermutstropfen bleibt, dass trotz allen genderns und sicherlich gut gemeinten aktuellem Zeitgeist, der Autor in der typischen Komfortzone verharrt.
Art Mayer, ist als Figur der klassische, eher wortkarge, einsame Wolf, der nicht immer nach den gängigen Regeln spielt.
Sein Gegengewicht soll, seine übereifrige Kollegin Nele Tschaikowski sein, die sich zu Anfang ganz auf ihre Ausbildung verlässt, dabei aber auch über ihren eigenen Enthusiasmus stolpert und erst ihren Weg finden muss.
Das mildert das Lesevergnügen keineswegs, das Rad erfindet er jedoch damit auch nicht neu.

Sprachlich und Stil technisch bedient sich der Autor einer sehr modernen ebenso zeitgenössischen Sprache. Gleichermaßen nutzt er ein Setting, welches elegant Themen wie Corona, Klimakrise, Fake News oder das Gendern einbindet, ohne dabei gestellt zu wirken.
Die Erzähltechnik ist wie gewohnt sehr gut. Es ist ein rasanter, im gleichem Maßen psychologischer Thriller, bei welchem man fast unweigerlich ein Kopfkino entwickelt.
Dadurch gleiten, die doch nicht unerheblichen 588 Seiten nur so dahin.
Ich freue mich jetzt schon auf die Fortsetzung der Reihe und kann es kaum erwarten die Ermittlungen mit Art & Nele wieder aufzunehmen!

Bewertung vom 25.04.2023
Seemann vom Siebener
Frank, Arno

Seemann vom Siebener


sehr gut

Mit „Seemann vom Siebener“ lässt Arno Frank einen flirrend heißen Sommertag für uns entstehen, der alles enthält was ein Besuch im Schwimmbad zu bieten hat – die große Liebe, Eifersucht, unerfüllte Hoffnungen, Leben und Tod. Das Ganze garniert mit Gerüchen nach Chlor, Sonnenmilch, Pommes und Eiscreme.

In diesem Setting treten abwechselnd verschiedene Protagonisten auf, die die Geschichte aus ihrer Sicht erzählen und vorantreiben. Da ist zum Beispiel der alternde Bademeister Kiontke, der sich einem vergangenen Trauma nicht stellen will. Isobel, die Witwe des Begründers des Schwimmbades, welche immer mehr Realität und Erinnerungen vermischt.
Josefine, die lieber diesen heißen Tag im Schwimmbad aussitzt, als sich mit der nahenden Beerdigung ihres Mannes zu beschäftigen, Lennart, der in sein altes Heimatdorf zurückkehrt, vielleicht auch um zu sich selbst wieder zu finden. Melanie, eine lebensfrohe Kindergärtnerin, die mit ihrer Gruppe das Seepferdchen absolvieren will. Dabei sind allein in ihrer kleinen Rasselbande einige schon sehr interessante Charaktere. Aber am Mysteriösesten ist sicherlich das Mädchen ohne Namen und ihr Bruder. Warum will sie unbedingt den Seemann vom Siebener Sprungturm wagen? Welches Schicksal treibt sie um?

Der Autor lässt allmählich die Akteure auftreten und entfaltet langsam ihre Geschichten. Dadurch entsteht aus den einzelnen Fragmenten, ein gemeinsamer, überschneidender Handlungsstrang, der alles miteinander verbindet.
Jeder trägt sein eigenes Päckchen, mal unsichtbar, mal sichtbarer vor sich her.
An diesen letzten, heißen Sommertag scheinen viele Stränge endlich zu einen Abschluss kommen zu können. Vieles bleibt am Ende aber auch sehr vage und den Lesenden überlassen es zu interpretieren.
Die Handlung schlägt immer wieder Bögen, indem sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart oder den Akteuren wechselt. Dabei kann sich der Plot schnell in kleineren Nebenschauplätzen vergehen. Das kann zuweilen etwas anstrengend sein, weil so leicht die einzelnen Charaktere durcheinander gebracht werden und ein stringenter Lesefluss etwas eingetrübt ist. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, darüber hinaus aufmerksam liest, findet immer wieder kleine, wiederkehrende Anspielungen, die das Lesen interessanter machen.

Der „Seemann vom Siebener“ ist ein netter Einstieg für die kommende Sommerzeit und ein Loblied für diese Art Freizeitgestaltung. Die wirklich sympathischen Figuren sowie die leichte Sprache machen es zu einer tollen Sommerlektüre.

Bewertung vom 03.01.2023
Fang jetzt bloß nicht an zu lieben
McFarlane, Mhairi

Fang jetzt bloß nicht an zu lieben


sehr gut

Die bekannte Liebesromanautorin Mhairi McFarlane bringt mit „Fang jetzt bloß nicht an zu lieben“ ihr neuestes Werk heraus.
Im Vordergrund der Geschichte steht Harriet, eine Hochzeitsfotografin, die Romantik und der Liebe eher skeptisch gegenübersteht. Als ihr Leben aus den Fugen gerät, muss sie sich entscheiden, ob sie vor ihrer Vergangenheit weiter davonlaufen möchte oder sich ihr mutig entgegenstellt. Ihr zur Seite stehen sehr sympathische Freunde, Neue wie Alte.
Das macht eine typische Liebesroman Mischung aus, aber Frau McFarlane geht einen Schritt weiter.
Sie wählt ein eher düsteres Unterthema. Sie nimmt nicht nur verletzte Gefühle oder gescheiterte Beziehungen mit auf, sondern auch Psychische Probleme, Gaslighting, ebenso wie toxische Beziehungen. Das Ganze erzählt sie in einem modernen Gewand.
Die Autorin hat meiner Ansicht nach diese schwierigen Themenkomplexe gut recherchiert und dargestellt, soweit das in der Kürze eben möglich ist.
Dabei verliert die Story nicht den spritzigen Humor und Leichtigkeit, für die Mhairi McFarlane bekannt ist. Der Schreibstil ist wie gewohnt leicht zu lesen.

Was mich persönlich etwas gestört hat, waren wieder die übertrieben attraktiven und ausschließlich sympathischen Freunde von Harriet. Klar haben sie Fehler, aber diese machen sie wiederum auch nur noch liebenswürdiger. Dafür bleiben die Figuren, die negativ intoniert sind, es leider auch durchgehend. Es bleibt ihnen kein Raum eine Entwicklung durchzumachen oder gar den Lesenden ans Herz zuwachsen.

Für alle die gerne einen spritzigen Feel- Good- Roman lesen und sich dabei das Quäntchen Mehr wünschen, werden hier sehr gut ankommen. Das Rad wird hier sicherlich nicht neu erfunden, aber es macht Spaß sich für eine kurze Zeit in diese Welt fallen zu lassen.

Bewertung vom 30.11.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


sehr gut

Die gefeierte Autorin Celeste Ng der Bücher „Was ich euch nicht erzählte“ und „Kleine Feuer, überall“ zeigt mit ihrem neuesten Roman „Unsre verschwundenen Herzen“ eine dystopische Zukunft auf, welche sich nur allzu realistisch anfühlt.

In den USA kommt es zu einer schleichenden und immer schlimmer werdenden Inflation, bis sie schließlich in einer Wirtschaftskrise gipfelt, die das ganze Land betrifft.
Ein Verursacher für diese Krise wird zunächst unterschwellig, später dann immer rasanter und klarer benannt: China, ferner alle asiatisch aussehenden Menschen werden als Bedrohung und Saboteure wahrgenommen.
Als Gegenmittel wird das Gesetz „PACT“ (Preserving American Culture and Tradition) eingeführt. Ein Gesetz, welches die amerikanischen Ideale und Werte schützen soll.
Dadurch kommt es erst schleichend, aber unvermeidlich zu einem autoritären Überwachungsstaat, der die Bevölkerung ermutigt sich gegenseitig auszuspionieren.
Die anti-asiatische Stimmung wird schnell aggressiver. Dabei ist es völlig gleich ob diese Menschen sich nach dem „PACT“ richten oder nicht. Die Bevölkerung darf zur Lynchjustiz greifen und muss mit keiner konkreten Bestrafung rechnen.
Nichtsdestotrotz gibt es auch Widerstände gegen das neue Gesetz in der Bevölkerung. Allerdings werden Proteste mit Polizeigewalt niedergerungen sowie Aufklärung durch Medienschaffende und Andersdenkende im Keim erstickt. Als beliebtes Mittel wird unter anderem das gewaltsame Entreißen von Kindern aus ihren Familien genommen.

Mitten in dieser düsteren Zeit wächst Bird auf.
Sein Vater ein Amerikaner, seine Mutter ebenfalls Amerikanerin, allerdings chinesischer Abstammung. Sie verlässt eines Tages die Familie und für Bird bleibt nur die Sehnsucht nach ihr und viele ungeklärte Fragen.
Anfänglich ist er bereit alle gegebene Regeln zu hinzunehmen. Als Bird allerdings eines Tages einen Brief mit den Zeichnungen seiner Mutter erhält, ist sein Wunsch geweckt sie zu finden und endlich zu erfahren warum sie ihn verlassen hat.

Eine dystopische Geschichte aus dem Blickwinkel eines 12 jährigen Kindes zu schreiben ist spannend und zu gleich nicht einfach. Schafft die Autorin es glaubhaft das Geschehene zu vermitteln ohne ihren jungen Protagonisten zum Helden zu stilisieren? Ich finde, sie hat es geschafft.
Bird ist ein empfindsamer Junge, der sich sehr glaubhaft verhält. Oft war ich sogar erschrocken über seine Handlungen, die er ohne an die weitreichenden Konsequenzen abzuschätzen durchzieht.
Allerdings fehlten für mich eindeutig in paar weitere Figuren, die die Geschichte hätten weitertragen können. Bird und seine Mutter Margaret erzählen ihren Part sehr interessant. Allerdings blieben die Nebenfiguren und deren Wege einfach nur angerissene Geschichtsstränge, aus denen man gut und gerne mehr herausholen hätte können. Potential war dafür definitiv vorhanden gewesen.
Dadurch blieb das Buch etwas zu oberflächlich, eröffnet allerdings einen gut zugänglichen und leichten Einstieg in die Thematik über Rassismus.

Die Verfolgung von verschiedenen Minderheiten, die Angst vor dem Fremden und Andersartigen greift immer weiter um sich. Meldungen dieser Art gibt es heutzutage regelmäßig.
Es ist wichtig, dass wir uns damit auseinandersetzen und nicht wegsehen wenn Unrecht passiert.
Mit ihrem Werk „Unsre verschwundenen Herzen“ bringt uns die Autorin noch einmal nah, wie leicht ein System entarten kann, welches doch so modern und funktional anmutet, im Grunde aber auch sehr fragil ist.

Bewertung vom 12.10.2022
Euphorie
Cullhed, Elin

Euphorie


ausgezeichnet

Die Autorin Elin Cullhed hat in ihrer Heimat Schweden den wohl wichtigsten Literaturpreis, den Augustris, für ihr Werk „Euphorie. Ein Sylvia-Plath-Roman“, gewonnen.
In „Euphorie“ verbindet Elin Cullhed geschickt reale Inhalte mit fiktiven Darstellungen über das Handeln und der Gefühlswelt von Sylvia Plath.
Sylvia war eine Frau, die zerrissen war zwischen Mutterschaft, Eigenständigkeit, Autorenschaft und ihrer eigenen Dunkelheit. Ihre Ehe mit dem Dichter Ted Hughes war ein tragisches auf und ab.
Vermutlich dadurch wurde sie ein Opfer ihrer Zeit, gezwungen in Normen und Rollen, die sie nicht erfüllen konnte oder wollte. Die unglücklichen Umstände, ihre immer wieder bewunderte Dichtkunst sowie der bis heute andauernde Erfolg über ihr einziges Buch „die Glasglocke“, welches sie zu einer Ikone der Feministischen Bewegung machte und sie daher immer wieder Erwähnung findet.

Schon die ersten Seiten machen klar, dass die inhaltliche Thematik alles andere als leichtgängig sein wird.
Ich möchte hier eine deutliche Trigger Warnung aussprechen!
Es geht um die letzten intensiven Lebensmonate von Sylvia Plath, welche gekennzeichnet sind von zwanghaften Gedankenstrukturen, mannigfaltigen psychischen Problemen, Selbstmordgedanken, dem letztlichen Scheitern der zerrüttenden Ehe und anderen toxischen Beziehungen.

Auf der emotionalen Ebene ist das Werk sehr fordernd, inhaltlich allerdings etwas Handlungsarm. Vorwiegend geht es immer wiederkehrend um das Zusammenleben des Ehepaares, ihre Schwangerschaft und das Kämpfen um Zeit zur freien Entfaltung. Dies ist nicht weiter störend, es wird vielmehr Wert auf den stetigen Zerfall der Ehe, ihre Ängste, das innere Ringen um Glück, Erfolg und Liebe gelegt.
Die Autorin schafft es Sylvia wirklich glaubhaft zu transportieren. Jeder Gedanke, jede zwiegespaltene Gefühlsebene bringt sie einem näher.
Durch die Perspektive der Ich-Erzählung kommt es zu einem sehr nahen, fast schon schmerzhaften Kontakt zur Hauptfigur. Die schonungslose Innensicht, die hier sehr glaubhaft und authentisch präsentiert wird, lässt den Lesenden sich in Sylvia einfühlen, wenn sie uns doch gleichermaßen abstößt mit ihrem Verhalten.
Diese Sylvia zerfleischt sich fast. Wird von einer manisch euphorischen Phase fließend in eine tiefe Depression und Selbstzweifel geworfen. Sie sieht sich immer wieder in selbstgewählten Konkurrenzkämpfen, ist leidend und unerträglich. Ihre Gefühlswelt ist so wandelbar, sie wird reumütig, übertrieben freundlich, nur um zugleich fordernd zu sein. Diese verschiedenen Verhaltensweisen lassen sie als Person wiederum sehr glaubhaft agieren.
Keine der handelnden Figuren wirkt dabei durchgehend sympathisch. Aber genau das macht dieser Roman richtig. Er verherrlicht nicht die leidende Sylvia Plath. Es fordert vielmehr den Lesenden auf nachzudenken beziehungsweise darüber hinaus Nachforschungen anzustellen. Nur so kann man, meiner Meinung nach, dass volle Potential erleben. Mit einem schnellen durchlesen würde man ihm unrecht tun.

Sprachlich ist dieses Buch wunderschön. Ich habe so viele Stellen markieren müssen, weil sie so kunstvoll und prosaisch sind. Sicherlich liegt das auch an der herausragenden Übersetzung von Franziska Hüther.
Vielleicht macht gerade das diese starke Sogwirkung aus.