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Klara

Bewertungen

Insgesamt 188 Bewertungen
Bewertung vom 11.08.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


sehr gut

Wer bin ich, und wer will ich sein?
Ich-Erzählerin Lou, eigentlich Ludmilla, ist Kunsthistorikerin und lebt mit ihrem Mann Sergej, einem erfolgreichen Pianisten, in Berlin. Ursprünglich stammt die Familie aus der ehemaligen Sowjetunion. In den 90er Jahren wanderte der größte Teil der Familie nach Israel aus, Lous Mutter mit ihrer Tochter jedoch als einzige nach Berlin. Lous Ehe ist nicht glücklich. Ihr Mann gibt ständig irgendwo Konzerte und verbringt wenig Zeit mit seiner Frau und der kleinen Tochter Rosa. Lou schreibt seit langer Zeit an einem Buch, mit dem sie nicht vorankommt. Auch ihr Mann durchlebt eine Krise. Dann bittet Lous Mutter sie eines Tages, die Einladung zu einer großen Familienfeier in einem All-Inclusive-Hotel auf Gran Canaria mit ihr zusammen anzunehmen, wo der 90. Geburtstag von Lous Großtante Maya, der jüngeren Schwester ihrer verstobenen Großmutter Rosa gefeiert werden soll. Nach einigem Zögern stimmt Lou zu. Man kennt sich kaum oder gar nicht, und es gibt bei diesem Treffen viele Spannungen und Missverständnisse. Lou hört sich Mayas Version der Vergangenheit an und staunt über die vielen Lügen von Maya und den anderen. Es scheint eine Menge zu geben, was sie nicht weiß, vor allem nicht die Ursache für das schlechte Verhältnis der Schwestern Rosa und Maya. Lou beschließt, nach Israel zu reisen, um endlich Antworten auf all ihre Fragen zu bekommen.
Die drei Monate des Titels spiegeln nicht nur die zeitliche, sondern auch die räumliche Abfolge: Berlin, Gran Canaria, Israel. Der Leser verfolgt, wie Lou sich mit ihren jüdischen Wurzeln auseinandersetzt, sich fragt, was genau ihre Identität ausmacht und welche Rolle jüdisches Leben und Religion bei der Erziehung ihrer Tochter spielen sollten. Das ist interessant und packend dargestellt und hat mir gut gefallen – allerdings nicht ganz so gut wie vor Jahren “Der Russe ist einer, der Birken liebt.“

Bewertung vom 11.08.2024
In den Farben des Dunkels
Whitaker, Chris

In den Farben des Dunkels


ausgezeichnet

So geht bedingungslose Liebe
Der 13jährige Joseph Macauley genannt Patch wächst im kleinen Ort Monta Clare im Mittleren Westen auf. Den Namen verdankt er der Augenklappe, die er immer schon trägt, denn er wurde mit nur einem Auge geboren. Deshalb spielt er auch den Piraten. Er ist ein Außenseiter, der von den anderen Jungen gemobbt und verprügelt wird. Seine Freundin Saint ist in ihn verliebt, aber er ist nur an der von allen umschwärmten Misty Meyer interessiert. Eines Tages sieht er im Wald, wie Misty von einem maskierten Mann angegriffen wird. Er attackiert den Mann und ermöglicht dem Mädchen so die Flucht. Er selbst wird von dem Angreifer entführt und 307 Tage lang an einem unbekannten Ort eingesperrt. In einem dunklen Raum hilft ihm ein unbekanntes Mädchen namens Grace zu überleben, indem sie ihm Geschichten erzählt und von Orten überall in der Welt berichtet, an denen sie gewesen ist. In all der Zeit gibt Saint – im Gegensatz zur Polizei - die Suche nach dem Freund nicht auf, bis sie eines Tages das Haus eines von ihr verdächtigten Mannes aufsucht und Patch befreit. Der Entführer kann entkommen, und auch von Grace gibt es keine Spur. Drei Jahrzehnte seines Lebens wird Patch damit verbringen, nach Grace und anderen verschwundenen Mädchen zu suchen. Er geht nie einer geregelten Tätigkeit nach, wird stattdessen Bankräuber, wobei er den größten Teil seiner Beute spendet. Außerdem stellt sich heraus, dass er ein begabter Maler ist, der vom Verkauf seiner Bilder leben könnte. Dreißig Jahre wird es schließlich dauern, den Serientäter zu stellen. Saint ist Polizistin geworden und hat genau diese Suche zu ihrem Lebensziel gemacht.

Die sehr intensive, aber nicht durchweg spannende Geschichte um Liebe und Freundschaft ist sehr berührend und liest sich gut. Es geschehen Verbrechen, aber das Buch ist viel mehr als ein Krimi. Vor allem überzeugt die Darstellung von bedingungsloser Liebe, die die Lebenswege der zentralen Figuren bestimmt. Auch der neue Roman von Chris Whitaker hat mir gut gefallen.

Bewertung vom 21.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


gut

Hollywood in den 30er Jahren
Im neuen Roman von Amor Towles steht eine attraktive junge Frau im Mittelpunkt: Evelyn Ross genannt Eve. Sie reist mit dem Zug von New York nach Los Angeles und wohnt in einem Hotel in Beverley Hills. Sie lernt eine Reihe von Männern kennen, wie zum Beispiel den älteren, nicht mehr aktiven Schauspieler Prentice Symmons und Charlie, den Polizisten im Ruhestand und freundet sich mit der Schauspielerin Olivia de Havilland an, die auf den Beginn der Dreharbeiten von “Vom Winde verweht“ wartet. Eve wird von einem Studio engagiert, um den jungen Star zu beschützen. Die beiden Frauen gehen oft zusammen aus, besuchen viele angesagte Lokale. Eines Tages erhält Olivia einen Erpresserbrief mit einer hohen Geldforderung. Wenn sie nicht zahlt, ist sie ruiniert. Unbekannte haben in einer Umkleidekabine eine versteckte Kamera eingebaut, die junge Frauen ohne ihr Wissen nackt fotografiert. Eve forscht nach, wer hinter der Sache steckt und davon profitiert. Auch Ex-Polizist Charlie ist informiert und beobachtet die Übergabe des Geldes, wird aber außer Gefecht gesetzt, bevor er aktiv werden kann.
Der Roman entwickelt erst in der zweiten Hälfte ein bisschen Spannung, wirkt aber insgesamt mit den Episoden um unterschiedliche Figuren und ihrer Sicht auf Eve ziemlich zusammenhanglos und beliebig aneinandergereiht. Manche Szenen sind ganz amüsant, aber das reicht mir nicht. Von “Ein Gentleman in Moskau“ war ich begeistert. “Eve“ hat mich enttäuscht.

Bewertung vom 21.07.2024
Die Sache mit Rachel
O'Donoghue, Caroline

Die Sache mit Rachel


ausgezeichnet

Lügen und Geheimnisse
Im Mittelpunkt von Caroline O´Donoghues Roman “Die Sache mit Rachel“ steht eine Frau namens Rachel Murray - als 21jährige Studentin und später in den 30ern als verheiratete Frau. Rachel studiert englische Literatur bei Dr. Fred Byrne, einem Spezialisten für viktorianische Literatur. Sie hat sich in den attraktiven verheirateten Mann verliebt und hofft, ihn bei einer Buchvorstellung in der Buchhandlung in Cork für sich zu gewinnen, wo sie einen Job angenommen hat, um ihr Studium zu finanzieren. Dort hat sie auch James Devlin kennengelernt, mit dem sie eine immer engere Freundschaft verbindet. James ist schwul, will es aber nicht zugeben. Fred Byrne stellt sein Buch über die irische Hungersnot im 19. Jahrhundert vor, aber die Dinge entwickeln sich nicht so, wie Rachel es sich gewünscht hätte. Sie lernt James Carey kennen und lieben, aber die Beziehung zerbricht bald wieder. Erst Jahre später werden sie sich in London wiederbegegnen.
Der Roman erzählt von Komplikationen und personellen Verflechtungen zwischen den zentralen Personen. Als zeitweilige Assistentin von Fred Byrnes Ehefrau muss Rachel mehrere Geheimnisse wahren und wird Opfer einer Verleumdung, die ihren Ruf ruiniert und sie zwingt, Cork zu verlassen. Niemand glaubt ihr, dass sie keine Affaire mit dem Professor hatte. Es geht in dieser Geschichte jedoch nicht nur um das ausschweifende Leben von jungen Studenten, sondern auch um Liebe und Freundschaft, Lügen und Verrat und nicht zuletzt um die Spätfolgen der großen Hungersnot, die Rezession von 2009/2010 und den langen Kampf irischer Frauen um das Recht auf Abtreibung. Es ist eine brillant erzählte Geschichte, die mich sehr beeindruckt und gefesselt hat. Eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 17.06.2024
Anna O.
Blake, Matthew

Anna O.


gut

Nicht jeder ist, der er zu sein vorgibt
In dem Roman “Anna O.“ geht es um die 29jährige Anna Ogilvy, die seit vier Jahren aus einem komaähnlichen Tiefschlaf nicht mehr aufwacht und in einer speziellen Einrichtung untergebracht ist. Sie soll bei einem nächtlichen Spiel von Jägern und Gejagten, an dem Mitglieder ihrer Familie und zwei Freunde teilnahmen, diese beiden Freunde ermordet haben. Der Fall spaltet die Menschen in zwei Gruppen: diejenigen, die die Freilassung von Anna fordern und denjenigen, die ihre Verurteilung wegen Mordes verlangen. Es geht außerdem um den Schlafforscher Dr. Benedict Prince, der Theorien entwickelt hat, wie man solche Patienten aufwecken kann. Seine Chefin Dr. Virginia Bloom und das Justizministerium beauftragen ihn, in einer Spezialklinik seine Theorien in die Praxis umzusetzen, damit man Anna Ogilvy endlich vor Gericht stellen kann und nicht freilassen muss. Bei seiner Therapie arbeitet er mit der Pflegerin Harriet Roberts zusammen, die Anna seit vier Jahren betreut. Der Psychologe begreift zu spät, dass er nicht nur seine Ehe mit der Polizistin, die damals in dem Fall ermittelte, ruiniert hat. Er bringt sich auch selbst in Lebensgefahr.
Die Geschichte enthält nicht nur zahlreiche überraschende Handlungsumschwünge, vor allem in der zweiten Hälfte, sondern immer wieder ausführliche Erörterungen von psychischen Störungen und diversen Behandlungsmöglichkeiten sowie juristische Fragen wie die Schuldfähigkeit von Tätern, denen gar nicht bewusst ist, was sie tun, zum Beispiel, weil sie schlafwandeln. Das ist zwar gut recherchiert und recht informativ für den Laien, macht den Roman aber nicht spannender, sondern sorgt für etliche Längen. Das ist kein Buch, das lange im Gedächtnis bleibt. Ich bin ziemlich enttäuscht.

Bewertung vom 26.05.2024
Mord stand nicht im Drehbuch
Horowitz, Anthony

Mord stand nicht im Drehbuch


sehr gut

Anthony Horowitz gerät unter Mordverdacht
Im neuen Roman beschließt die Romanfigur Anthony Horowitz die Zusammenarbeit mit Privatdetektiv Daniel Hawthorne nach den drei vertraglich vereinbarten Titeln zu beenden. Sie haben sich nie besonders gut verstanden, weil Hawthorne meist Informationen zurückgehalten hat und dem Autor lediglich die Aufgabe zukam, die Geschichten aufzuschreiben. Doch dann braucht er plötzlich Hawthornes Hilfe. Horowitz hat Mindgame, ein Theaterstück, geschrieben, das in der Provinz Erfolg hatte und nun im Londoner Westend Premiere hat. Bei der Premierenfeier taucht Harriet Throsby, eine gefürchtete Kritikerin auf und gibt ein vernichtendes Urteil über den Text, die Regie und die Leistung der Schauspieler ab. Am nächsten Morgen wird sie in ihrem Haus ermordet aufgefunden, erstochen mit einem der Dolche, die bei der Premierenfeier an das Team verteilt worden waren. Indizien deuten auf Horowitz als Täter hin. Detective Inspector Cara Grunshaw und DC Derek Mills verhaften ihn, und er verbringt eine Nacht im Gefängnis. Schon bald muss er sich bei Hawthorne verstecken, weil immer mehr Indizien gegen ihn sprechen und die Polizei ihn sucht, obwohl jeder der Anwesenden bei der Feier ein starkes Motiv hatte, die Kritikerin zu töten. Throsby ist auch die Autorin von drei Büchern, mit denen sie vor Jahren enormen Schaden angerichtet hatte. Auch hier könnte das Motiv für die Bluttat liegen.
Mir hat der spannende Roman sehr gut gefallen, und wieder war es mir nicht möglich, die Lösung zu erraten, denn es gibt so viele Wendungen und falsche Spuren. Ich freue mich jedenfalls schon auf die Fortsetzung der Serie.

Bewertung vom 06.05.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Jäger und Beute
Ein durch Spekulationen sehr reich gewordener Amerikaner namens Hunter White reist nach Afrika, um durch das Abschießen eines Spitzmaulnashorns die Big Five vollzumachen. Dafür hat er seinem Freund Van Heeren eine beträchtliche Summe bezahlt. Paradoxerweise dient der Abschuss eines solchen Tiers dem Artenschutz, denn der Jagdführer Van Heeren investiert in den Tierschutz und bietet indigenen Stämmen Lebensraum. Die Buschmänner wurden einst von den Kolonialmächten von ihrem Land vertrieben und sind noch immer entrechtet und gefährdet. Die Jagdgesellschaft verfolgt das ausgewählte Tier, nur um schließlich festzustellen, dass ihnen Wilderer zuvorgekommen sind. Hunter ist wütend und frustriert. Dann bietet ihm sein Freund die Big Six an, d.h. gegen Bezahlung darf er einen jungen Einheimischen jagen. Hunter akzeptiert das Angebot, denn der Wunsch zu töten ist übermächtig. Dann wird die Geschichte spannend wie ein Krimi, denn Hunter wird durch einen Skorpion verletzt und selbst mit der Möglichkeit eines baldigen Todes konfrontiert.
Schoeters Roman ist packend geschrieben und hat mich sehr angesprochen, obwohl ich eigentlich kein Fan von Jagen und Töten bin. Ihr Buch ermöglicht einen ganz neuen Blick auf Afrika, seine Geschichte und seine aktuelle Situation und zeigt, dass wir uns endlich von postkolonialem Denken lösen müssen. Obwohl „Trophäe“ teilweise finster und brutal ist, ein Blick in menschliche Abgründe eben, sind die Naturschilderungen sehr anschaulich und beeindruckend, und auch die Charakterisierung der Figuren, vor allem von Hunter White, ist sehr gelungen. Selten hat ein Roman auf mich einen solchen Sog ausgeübt. Ich empfehle das Buch ohne Einschränkung.

Bewertung vom 05.05.2024
Zuckerbrot
Balli, Kaur Jaswal

Zuckerbrot


ausgezeichnet

Eine Punjabi geht ihren Weg
In Balli Kaur Jaswals Roman “Zuckerbrot“ geht es um eine Sikh-Familie, die im Vielvölkerstaat Singapur lebt. Die 10jährige Pin besucht mit Hilfe eines Stipendiums eine christliche Schule, obwohl sie keine Christen sind. Pin liebt ihre Eltern und hat ein besonders gutes Verhältnis zum Vater, der in einem Hotel arbeitet. Sie müssen mit wenig Geld auskommen. Nur am Essen will die Mutter, eine hervorragende Köchin, nicht sparen. Die Einkäufe von Mutter und Tochter inklusive sorgfältiger Prüfung der Ware und Feilschen sind ein regelrechtes Ritual. Pins Mutter Jini leidet seit ihrer Jugend an einer rätselhaften Hautkrankheit, die sich unter Stress verschlechtert. Deshalb bezahlt sie als Vierzehnjährige einen Guru, den die Mutter verehrt und der sie heilen soll. Es kommt anders. Die Mutter spricht nie darüber, was damals geschah, aber hier scheint die Ursache für das schlechte Verhältnis zwischen der Mutter und der Großmutter zu liegen, die eines Tages bei der Familie einzieht. Von dem Tag an hat sie das Sagen, und mit dem häuslichen Frieden ist es vorbei. Auch das Verhältnis zum älteren Bruder der Mutter und seiner Frau, dem Fetten Tantchen, ist seit damals gestört. Er musste auf Vermittlung des Gurus eine unattraktive Frau heiraten, um die Familie zu entlasten. Auch die Schwägerin behandelt die Mutter ohne jeden Respekt. Pin will endlich erfahren, was zu diesem Familienzwist geführt hat.
Der Roman ist jedoch nicht nur eine Familiengeschichte über drei Generationen von Frauen, sondern zeigt auch, wie das Leben in Singapur 1967 und Anfang der 90er Jahre aussah. Da gab es allgegenwärtigen Rassismus, Ausgrenzungen durch das Kastensystem, ein dominantes Patriarchat und soziale Ungerechtigkeit. Auch Pin wird wegen ihrer dunklen Haut in der Schule gemobbt und schämt sich für ihre Armut. Sie zeigt jedoch trotz ihrer schwierigen Lebenssituation Stärke und ist entschlossen, ihren Weg zu gehen. Eine sehr lohnende Coming-of-Age-Geschichte mit einem exotischen Ambiente.

Bewertung vom 01.05.2024
Der Sommer, in dem alles begann (eBook, ePUB)
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Sehnsuchtsort Bretagne
In Claire Léosts Roman stehen drei Generationen von Frauen im Mittelpunkt, die in einem kleinen Dorf im Innern des Landes leben. Der Leser erfährt, was ihnen von 1944 bis in die Gegenwart widerfährt. Da ist die 16jährige Schülerin Hélène, gerade zum ersten Mal verliebt in Yannick, der sich schon in jungen Jahren als Aktivist für die Erhaltung der bretonischen Sprache und Kultur einsetzt. Ihre Mutter kümmert sich um ihren schwerkranken Mann. Die Großmutter hat noch die Zeit des Zweiten Weltkriegs miterlebt, als die Bretagne von deutschen Truppen besetzt war und viele Männer starben oder verschwanden. In der Gegenwart tritt eines Tages Marguerite, eine Lehrerin aus Paris, ihre Vertretungsstelle im Ort an. Sie ist mit einem bekannten Schriftsteller verheiratet, der gerade unter einer Schreibblockade leidet. Sie sucht heimlich nach ihrer unbekannten Mutter, von der sie annimmt, dass sie in der Gegend lebt. Auch eine Frau aus dem Ort, die Witwe Tanguy, hat ein Geheimnis, über das sie nicht spricht. Sie war in Paris als Dienstmädchen beschäftigt, als sie von ihrem Arbeitgeber vergewaltigt wurde. Sie bekam ein Kind, das man ihr sofort nach der Geburt wegnahm, weil es angeblich gestorben war. Die Autorin führt diese Handlungselemente zu einer Geschichte zusammen, die zeigt, dass die traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit für immer nachwirken.
Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen, vor allem, weil es eine Bretagne zeigt, die man als Tourist oder als Leser der Krimis von Jean-Luc Bannalec nicht kennenlernt, denn hier geht es nicht um die malerischen Küsten, sondern um die touristisch weniger erschlossenen Teile der Provinz. Auch mit der sorgfältigen Charakterzeichnung, der sprachlichen Qualität und der Einbeziehung der kulturellen Aspekte hat mich der Roman überzeugt. Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 24.04.2024
Notizen zu einer Hinrichtung
Kukafka, Danya

Notizen zu einer Hinrichtung


ausgezeichnet

Mit dem Fuchs fing alles an
Der Serienmörder Ansel Packer wurde wegen seiner Taten zum Tode verurteilt und wartet auf seine Hinrichtung. Der Leser erlebt die letzten zwölf Stunden seines Lebens mit und erfährt seine Geschichte, auch aus seiner Perspektive. Daneben kommen auch Frauen zu Wort, die in seinem Leben eine Rolle spielten, zum Beispiel seine Mutter, die ihren gewalttätigen Mann verließ und ihre beiden kleinen Söhne zurückließ. Die Brüder wurden getrennt und sahen sich nie wieder. Ansel lebte in einer Pflegefamilie auf dem Land, der kleine Bruder wurde adoptiert. Außerdem lernt der Leser seine Ehefrau Jenny und ihre Zwillingsschwester Hazel kennen sowie die Polizistin Saffy, die als Kind ebenfalls auf der Farm lebte und von seinen Tierquälereien in Angst und Schrecken versetzt wurde. Sie hat frühzeitig erkannt, dass er als 17jähriger drei junge Mädchen getötet hat, deren Leichen lange nicht gefunden wurden. 20 Jahre später begeht er einen weiteren Mord und wird schließlich aufgrund ihrer Informationen überführt.
Die Geschichte wird auf verschiedenen Zeitebenen und aus wechselnden Perspektiven erzählt. So erfahren wir auch, dass der Täter ein Manuskript hinterlässt, in dem er sich Gedanken über das Gute und das Böse und die Vielzahl von Entscheidungen macht, die bestimmen, wie unser Leben verläuft und die zugleich alternative Lebenswege unmöglich machen. Diesen Ausführungen folgt der Leser mit großem Interesse genauso wie der Kritik der Autorin an der Tatsache, dass wir diese Bücher über Serienmörder lesen und davon fasziniert sind. Kukafka kritisiert auch die Todesstrafe und die Art und Weise, wie sie vollzogen wird. Mir gefällt, dass die Autorin auf detaillierte Gewaltdarstellungen verzichtet und ihr Roman sich dennoch spannend liest. Ich möchte nicht versäumen darauf hinzuweisen, wie gelungen in diesem Fall das Cover mit dem Fuchs ist, denn mit der Tötung des Fuchses und anderer Tiere auf der Farm fing alles an. Ich empfehle “Notizen zu einer Hinrichtung“ ohne Einschränkung.