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Benutzername: 
violetta1961
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 27.10.2023
Welt in Aufruhr
Münkler, Herfried

Welt in Aufruhr


sehr gut

Der emeritierte Professor für Politikwissenschaft Herfried Münkler legt mit seinem umfangreichen Buch eine scharfsinnige Analyse der sich schnell verändernden Weltlage und der globalen Machtstrukturen vor.
Er stellt sowohl Theorien des antiken griechischen Geschichtsschreibers Thukydides oder des Philosophen Macchiavellis, als auch neuere wie die von Clausewitz dar. Hochaktuell und lohnenswert zu lesen vor allem auch die Hintergründe zum russisch-ukrainischen Krieg.
Sehr informativ zeigt der Autor die Vorgehensweisen der größten Machthaber und Länder auf und beendet das Buch mit einem Ausblick auf eine mögliche Weltordnung der großen Fünf. Der sehr anspruchsvoll bis kompliziert geschriebene Stil erschwert es meiner Meinung nach leider der breiten Mitte der Gesellschaft, dieses Werk entsprechend nachzuvollziehen und zu goutieren. Für universitär Vorgebildete und politisch Interessierte aber ein wertvolles Buch.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.10.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Ein großer Wurf
Der neue Roman von Daniel Kehlmann beschreibt eine Zeitspanne im Leben und im Werk des österreichischen Regisseurs Georg Wilhelm Pabst.
Vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten waren seine Filme eher dem linken Spektrum zugeordnet. Er versucht u.a. in den USA Fuß zu fassen, muss aber während eines Familienbesuchs in Österreich bleiben, da just in diesem Moment der 2. Weltkrieg beginnt und die Nationalsozialisten niemanden mehr aus dem Land lassen. Trotz aller Schwierigkeiten entscheidet er sich, hier Filme zu drehen. Mit welchen politischen Bedingungen er sich arrangieren muss, wird gut recherchiert und vielschichtig beschrieben.
Sehr gelungen finde ich auch die Kaptel, in denen Dreharbeiten und die Vorbereitungen dazu beschrieben werde. Ich fühlte mich wie am Filmset!
Die Verbindung zur Gegenwart stellt der ehemalige Assistent von Pabst dar. Etwas dement und barsch, wird er in eine TV-Show eingeladen, in der es um den Regisseur Pabst geht. Kehlmann hat einen phantastischen Stil, mit dem er sowohl Menschen als auch gesellschaftliche und künstlerische Prozesse beschreibt. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 01.10.2023
Ich, Sperling
Hynes, James

Ich, Sperling


ausgezeichnet

Informativ, mitreißend, erschütternd
Das neue Buch von James Hynes führt uns ins 4. Jahrhundert n.Chr. in eine Welt, die in einem Bordell im spanischen Carthago Nova, dem heutigen Cartagena spielt, vor allem aber über die Sklaverei in dieser Zeit anschaulich und erschütternd Auskunft gibt. Im Mittelpunkt steht ein Junge, dessen Schicksal im Bordell beschlossen zu sein scheint. Seine Herkunft, sowie auch die Herkunft der anderen sogenannten Wölfinnen, die dort unter ärmsten Bedingungen arbeiten müssen, da sie Sklaven, also gekauft sind, wird mitfühlend und spannend erzählt. Die Figuren auch der umgebenden Bevölkerung oder der herrschenden Schicht (der Römer) sind sehr gut getroffen. Ich habe vieles über das Leben und den Handel mit Sklaven gelernt.
Ebenso ist das Alltagsleben, dass ohne heutige Technik, Medikamente usw. auskommen musste, gut recherchiert dargestellt.
Ein faszinierender Roman, unbedingt empfehlenswert.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.08.2023
Tasmanien
Giordano, Paolo

Tasmanien


sehr gut

Sinnsuche - innen und außen
Paolo Giordanos neues Werk führt uns vor allem in die Denk- und Empfindungswelt des Autors. In seinem Roman verfolgt der Journalist Paolo, der sicher auch autobiografische Züge trägt, ein Buchprojekt, in dem es um Geschichte und Hintergründe der beiden Atombomben geht, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Ein anderer Strang sind Artikel, die Paolo im Bereich Klimawandel für Zeitungen schreibt. Er ist eher ein Charakter, der sich treiben lässt, einfühlsam Dynamiken seiner Freundschaften und seiner Ehe beschreibt. Es gelingt ihm sehr gut, die feinen Nuancen in menschlichen Begegnungen zu erfassen. Verwoben damit sind neue Entwicklungen im Bereich der Physik, die hier in Form von Hochschulszenen und Fachkongressen integriert sind, aber nie langweilig für Fachfremde. Ein vielschichtiges Buch, in sensibler schöner Sprache geschrieben. Empfehlenswert.

Bewertung vom 25.07.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


ausgezeichnet

Seine vielen Kriminalromane sind in Japan sehr bekannt. Seishi Yokomizos "Mord auf der Insel Gokumon" ist erst das zweite, ins Deutsche übersetzte Werk. Leider! Der Detektiv Kosuke Kindaichi, der auch hier einen sehr komplizierten Fall aufklären soll, ist herrlich charakterisiert.
Durch persönliche Eigenarten, eigenwilligen Humor und detailliertes Nachfragen a la Columbo begleitet er uns Lesende durch den Roman und legt unterschiedliche Lösungsansätze für die Untaten vor. So bleibt es immer spannend bis zum sehr überraschenden Schluss.
Neben der authentischen Beschreibung der anderen Hauptfiguren gelingt Seishi Yokomizo ebenfalls eine erfrischende Beschreibung der Inselbewohner und ihrer Gesellschaftsstruktur. Ebenfalls entwirft er atemberaubende Landschafts- und Stimmungsbilder. Nicht zuletzt ist dies auch ein Verdienst der Übersetzerin Ursula Gräfe, die es durch ihre Sprachkunst wunderbar versteht, uns die japanische Lebens- und Denkweise auf einer kleinen Insel in der Nachkriegszeit zu vermitteln.

Bewertung vom 07.05.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


sehr gut

Robert Simon, die Hauptperson in diesem sehr lesenswerten Roman, wächst als Kriegswaise ohne Ausbildung auf und verdient sein Geld mit Gelegenheitsarbeiten auf dem Karmelitermarkt in Wien. Als er wagt, ein altes verlassenes Café zu pachten, beginnt die Geschichte des Romans. Mit viel Tatkraft verwirklicht er seinen Traum. Die Gäste des Cafés sind Menschen aus dem Arbeitermilieu, deren Charakter und Lebenssituation einfühlsam beschrieben werden. Das Café ohne Namen wird Ort ihrer Geschichten, ihrer alltäglichen Probleme und Freuden. Wir begleiten das Café von Anfang bis Ende, eine abgeschlossene Ära. Was bestimmt das Leben der Menschen, wozu haben sie keine Zeit oder Kraft, weil sie ihr Leben bestreiten müssen? Ein gelungenes Buch, eher leise und unaufgeregt, dafür aber fein, leicht melancholisch und einfühlsam geschrieben.

Bewertung vom 05.04.2023
3000 Yen fürs Glück
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


gut

Als ich heute zu einer bekannten Buchladenkette ging, sah ich sie zum ersten Mal: Kakeibo-Haushaltsbücher auf Deutsch! Die Autorin Hika Harada nimmt immer wieder Bezug auf diese schon sehr lange existierenden japanischen Hilfen, um Ausgaben im Haushalt zu kontrollieren und für ein großes Ziel zu sparen. Nach dem ersten Drittel des Buches stellte sich bei mir eine gewisse Unzufriedenheit ein: es werden viele Möglichkeiten des Sparens beschrieben, wie sie im Grunde auch auf Deutschland übertragbar wären, aber die Figuren in dem Roman scheinen sich in einem Ausmaß mit dem Sparen zu beschäftigen, dass man als Leser vorsichtig sein muss, diese Eigenschaft nicht grundsätzlich auf Japaner zu übertragen und sie als materiell einzustufen. Die Personen finde ich zum großen Teil nachvollziehbar beschrieben und habe neugierig verfolgt, wie es mit ihrem Schicksal weitergeht. Besonders Großmutter Kotoko hat mir sehr gut gefallen.
Leider unterlaufen der Übersetzerin nicht nur einzelne kleine Fehler,
sondern auch unverständliche Zuordnungen. Zum Teil sind die Sätze sehr einfach strukturiert, so dass ich als Leserin japanischer Literatur, die Übersetzung eher schwächer finde. Ich finde das Buch lesenswert, um Lebensbedingungen und unterschiedliche Familienstrukturen in Japan kennenzulernen.

Bewertung vom 17.03.2023
Wir hätten uns alles gesagt
Hermann, Judith

Wir hätten uns alles gesagt


gut

Judith Hermann schreibt hier hauptsächlich Autobiographisches. Aufgrund ihrer familiären Vorgeschichte, besonders der seelischen Verfasstheit ihres Vaters, kann man erahnen, wie das emotionale Klima in ihrer Kindheit und Jugend war. Sicher ist ihr das Schreiben zu einer inneren Heimat geworden.
So mutig aufschlussreich auch diese familiären Enthüllungen sind, so lose aneinandergereiht wirkt leider das Buch. Erlebtes, Vorgefundenes, Beziehungen springen hin und her - wenig Anknüpfungspunkte bleiben. Einerseits entspricht das dem tatsächlichen Naturell der Gedankenwelt, andererseits bleiben für mich viele Unklarheiten, besonders über Beziehungen zu den Mitmenschen der Autorin. Ist Jon z.B. ein Freund oder (Ex)Partner? Aus Sicht der Schreibenden ist das kein Thema, aber für mich als Leserin hätte ich gern ein bisschen mehr Klarheit und Struktur gehabt.
Die Gedanken über das Schreiben hingegen finde ich sehr informativ und inspirierend.

Bewertung vom 08.03.2023
Fatmanurs fabelhafte Backwelt
Kilic, Fatmanur

Fatmanurs fabelhafte Backwelt


ausgezeichnet

Obwohl sie auf Instagram- und Tiktok-Kanälen ein Star ist,
kannte ich Fatmanur Kilic nicht (weil ich die Kanäle nicht nutze).
Dennoch war ich von ihren Rezepten gleich begeistert, weil sie nicht schwer nachzubacken sind und köstlich aussehen. Fatmanur gibt auch einige Tipps weiter, die sie als Konditorin gelernt hat. Das Buch ist schön gestaltet und auch für AnfängerInnen geeignet. Am Anfang stellt die Autorin sich sympathisch vor und zeigt Basisgegenstände und Lebensmittel, die man für ihre Rezepte im Haus haben sollte. Mir hat gut gefallen, dass es einfache Grundrezepte für Teige und Cremes (als Füllungen) gibt, die man variieren kann. Für die meisten Rezepte gibt es Videoanleitungen, wunderbar.
Der überwiegende Teil der Rezepte sind "süß", einen kleineren Teil bilden herzhafte Backwaren, die zum Teil aus der türkischen Heimat der Familie stammen wie Pide, Börek oder Fladenbrot.
Fazit: ein schön gestaltetes Buch mit tollen, leicht nachzubackenden köstlichen Rezepten!

Bewertung vom 26.02.2023
Als Großmutter im Regen tanzte
Teige, Trude

Als Großmutter im Regen tanzte


ausgezeichnet

Aufdecken norwegisch-deutscher Familiengeheimnisse nach dem 2. Weltkrieg
Das Cover zeigt ein Foto, auf dem eine jüngere Frau nachdenklich im Schatten eines Baumes auf einem Felsen am Meer sitzt. Dieses Bild drückt schon viel über den Roman aus. Die Geschichte wird in zwei sich häufig abwechselnden Zeitebenen erzählt, die auch mit unterschiedlichen Schrifttypen leicht zu erkennen sind. In der Gegenwart flüchtet die Protagonistin Juni vor ihrem gewalttätigen Ehemann auf die Insel ihrer Großeltern. Sie räumt das Haus ihrer verstorbenen Großeltern und ihrer ebenfalls verstorbenen Mutter Lilla auf und stößt so auf die Familiengeschichte, die vor ihr geheim gehalten wurde.
Ihre Großmutter Tekla, in Norwegen als "Deutschmädchen" diskriminiert, verlässt mit ihrem Ehemann, dem deutschen Soldaten Otto, Norwegen.
Sie wollen ein neues Leben im von Russen besetzten, völlig zerstörten Demmin beginnen. Dieser Erzählstrang beginnt Ende des 2. Weltkriegs und stellt die Situation norwegischer Frauen dar, die sich in deutsche Soldaten verliebt hatten. Sehr berührend wird das damalige Leben mit Angst und brutalen Übergriffen von der sowjetischen Besatzungsmacht geschildert. Einiges war mir schon darüber bekannt, der Massensuizid in der kleinen ostdeutschen Stadt Demmin jedoch war mir neu; eine gelungene Bewusstmachung, diese historische Tatsache im Roman zu beschreiben.
In der Gegenwart lesen wir von der Suche der Enkelin Juni, die Fotos, Briefe u.a. findet, die nach und nach ihr Familiengeheimnis lüftet. Dadurch kann sie nachträglich ein Verständnis der Konflikte ihrer Mutter Lilla mit der Großmutter Tekla sowie ihrer eigenen gewinnen. Bei der Suche wird sie von Georg, einem neuen Nachbarn auf der Insel, unterstützt. Mein einziger Kritikpunkt ist die Figur Georg. Als attraktiver, nahezu traumhafter Mann in Junis Alter, der sich auch noch beruflich mit Historie beschäftigt, finde ich ihn etwas zu konstruiert. Ein großes Thema dieses Romans sind unbekannte Väter und die Spurensuche nach ihnen. Das Buch ist wunderbar geschrieben, die Charaktere plastisch. Ich konnte von Anfang bis Ende in den Sog der Geschichte eintauchen. Ein sehr zu empfehlendes Buch!

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