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lustaufbuch

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Insgesamt 177 Bewertungen
Bewertung vom 27.12.2024
Was gut ist und was böse
Sina, Kai

Was gut ist und was böse


ausgezeichnet

»[E]s tut doch wohl, Hitler so recht ins Gesicht einen blödsinnigen Wüterich zu nennen.«

Kai Sina nimmt in diesem Essay Thomas Manns komplexe Beziehung zum Judentum als Ausgangspunkt, um dessen bisher kaum erforschte Stellung zum Zionismus sowie sein gesamtes politisches Engagement genauer zu betrachten und nicht zuletzt längst etablierte Annahmen richtigzustellen.

Insbesondere das politische, essayistische Frühwerk, bis etwa 1910, das meist vollkommen ignoriert wird, beleuchtet der Autor eingehend und zeigt, wie progressiv, liberal und offen Mann eingestellt war, bevor er zur Zeit des Ersten Weltkriegs eine politische Wende vollzog und den nationalistischen, militaristischen und antidemokratischen Groß-Essay „Betrachtungen eines Unpolitischen“ schrieb.
Der allbekannte Trugschluss, dass Mann bis 1936/37 zur damaligen Lage vollkommen geschwiegen hätte, wird ebenfalls anhand zahlreicher hauptsächlich essayistischer Belege Manns entkräftet.
Schließlich begann Mann schon ab 1921 sich von der politischen Rechten, insbesondere dem „Hakenkreuz-Unfug“, abzugrenzen. Zeitgleich solidarisierte er sich mit den Juden, die einer immer größeren Verleumdung und regelrechtem Hass ausgesetzt waren.
Spätestens während des amerikanischen Exil wurde er gar als politischer Aktivist für die Demokratie wahrgenommen, warnte über Radioansprachen des BBC und klärte über deutsche Kriegsverbrechen sowie die Massenmorde auf.
Über die Jahre des Nationalsozialismus bis zur Gründung Israels, blieb er ein genauer Beobachter des Tagesgeschehens und mischte sich, seine Meinung offen äußernd, konkret ein – immer mit dem Ziel, sich selbst für demokratische Werte verantwortlich zu zeigen.

Auch wenn Thomas Manns Ansichten mehrmals die Seiten wechselten und sein demokratischen Verständnis nicht stringent verlief, war er jedoch nie unpolitisch!

In eher akademischer Sprache und kurzen, prägnant geschilderten Kapiteln gelingt es Kai Sina einen annähernd umfänglichen Abriss über Thomas Manns politische Betrachtungen mit mehr als nur einigen neuen Fakten zu geben!

Bewertung vom 27.12.2024
'Man kann die Liebe nicht stärker erleben'
Fischer, Oliver

'Man kann die Liebe nicht stärker erleben'


ausgezeichnet

»Hier ist mein Herz, und hier ist meine Hand. Ich liebe Dich! Mein Gott ... Ich liebe Dich!«

Wer sich bereits intensiver mit dem Leben Thomas Manns beschäftigt hat, wird früher oder später auf seine fünf großen homosexuellen Lieben – Armin Martens, Williram Timpe, Paul Ehrenberg, Klaus Heuser, Franz Westermeier – gestoßen sein. Vergleicht man zudem das Werk und Leben Manns miteinander, lassen sich unendlich viele biografische Details herauszulesen. So begegnen wir dem nur ein Jahr jüngeren Tiermaler Paul Ehrenberg besonders in folgenden drei Werken: In Gestalt Hans Hansens in der Novelle „Tonio Kröger“, als Rudi Schwerdtfeger im „Doktor Faustus“ und zuletzt als Joseph in der umfassenden Roman-Tetralogie. Dabei werden seine Schönheit, sein Auftreten und Episoden seines Lebens gleichermaßen literarisch verwertet.

Inwiefern und wann sich die Wege von Thomas Mann und Paul Ehrenberg kreuzten, was sie verband und deutlich trennte, all dem geht der Autor gleichermaßen auf die Spur sowie Manns Gefühlen für den wahrhaften Frauenschwarm, die jedoch unerwidert blieben und seinen Gedanken, welche trotzdem bis zu seinem Lebensende nicht von ihm lassen konnten.

Somit ist das Buch eine Art Doppelbiografie mit Schwerpunkt auf das Leben Paul Ehrenbergs, schließlich ist das Leben Thomas Manns den meisten Lesenden sowieso, zumindest in groben Zügen, bekannt. Zugleich ist es flüssig zu lesen und gut recherchiert, was man alleine an der Menge der Fußnoten sehen kann und überrascht mit teils neuen Erkenntnissen. Zugleich bietet es einen kultur- und zeitgeschichtlichen Abriss.

Auch wenn ich so gut wie jede Neuerscheinung über die „Manns“ mit Begeisterung lese, hat mir dieses Buch besonders viel Freude bereitet, da es verschiedene Werke anschneidet und diese bezogen auf die Beziehung von Thomas Mann und Paul Ehrenberg deutet. Dementsprechend würde ich am liebsten sofort den „Doktor Faustus“ zur Hand nehmen und ihn zum dritten Mal lesen!

Eine ganz große Leseempfehlung!!!

Bewertung vom 17.12.2024
Kaltes Krematorium
Debreczeni, József

Kaltes Krematorium


ausgezeichnet

»Es ist zweifellos wahr und doch unfassbar.«

József Debreczeni schildert in diesem Bericht den Weg seiner Deportation nach Auschwitz und nachfolgend in weitere Konzentrationslager. Er erzählt vom immer gegenwärtigen Hunger, der alltäglichen Gewalt, dem Nachlassen der eigenen Kräfte durch Erschöpfung, Krankheiten sowie sog. Arbeit unter unwidrigsten Bedingungen – eher Versklavung – , Hinterlistigkeiten anderer Häftlinge, aber auch dem Zusammenhalt und endet mit der Befreiung sowie dem Wunsch einfach nur zu überleben.
Besonders deutlich wird die Hierarchie der Kapos, Lagerältesten, etc. beschrieben, welche selbst Häftlinge waren, wenn auch privilegiert. Diese demonstrierten ihre Macht den anderen gegenüber deutlich, anderenfalls hätten sie selbst ihre Sonderrechte verloren.

Ursprünglich wurde das Buch bereits 1950 veröffentlicht, doch erst jetzt, über 70 Jahre später, liegt es in deutscher Übersetzung vor – ehrlich gesagt viel zu spät, aber nicht zu spät.
Ohne Zweifel – es ist kein schönes Buch, aber es ist wichtig und zeigt in aller Ausführlichkeit, noch dazu schonungslos, den Alltag in Konzentrationslagern. Dagegen wirkt die glatte und geradezu schöne Sprache des Autors, der man das journalistische Können des Autors anmerkt, fast ein wenig fehl am Platz.
Debreczeni wertet weniger, als er beobachtend schildert und man fühlt sich nicht nur betroffen, sondern durch die detaillierten Beschreibungen einfach nur fassungslos!

Wofür mir selbst die passenden Worte fehlten, hat Carolin Emcke sie gefunden und zwar in ihrem angehängten Nachwort, welches man nicht treffender hätte schreiben können! Darin spannt sie auch den Bogen zur Gegenwart und macht deutlich, wieso dieses Buch so wichtig ist:
»Es ist nicht auszuhalten, und es gehört doch ausgehalten.«

Bitte überlegt nicht, dieses Buch zu lesen, sondern lest es einfach!
Wer sich mit der Thematik beschäftigt, wird an diesem Bericht nicht mehr vorbeikommen, da dieser eines der eindrucksvollsten Zeugnisse über den Holocaust ist und unbedingt gelesen werden muss!

Bewertung vom 17.12.2024
Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Hefter, Martina

Hey guten Morgen, wie geht es dir?


sehr gut

»Denn Schönheit war es, die am Ende im Gedächtnis blieb, nicht äußere Schönheit, sondern die Schönheit eines Moments, der völlig unerheblich war.«

Juno Isabella Flock kannte mehrere Dokumentationen über sog. Love-Scammer und wunderte sich, wie man auf solche Leute hereinfallen kann. Immerhin hatte sie selbst Erfahrung damit, spielte gar mit diesen Betrügern, in dem sie immer nachts, wenn sie nicht schlafen konnte – das war leider häufig bei ihr der Fall –, ominösen Chatanfragen auf Instagram antwortete und von ihrem Tag erzählte, bis die ansonsten so hartnäckigen Accounts aufhörten ihr zu antworten. Juno gefiel dieses Spiel. Es brachte ihr Abwechslung vom Alltag, mit ihrem pflegebedürftigen Mann Jupiter und ihren Schlafstörungen.
Als sie eine Nachricht von Owen_Wilson223 bekommt, geht sie wie gewöhnlich vor, schreibt ihm zurück und doch ist diesmal alles anders. Der Besitzer des Account offenbart sich immer mehr, gibt gar seinen Namen, Benu, preis und anstelle über Geld zu schreiben, zeigt er wirkliches Interesse am Alltag Junos.
Doch ist das von Dauer?!

Martina Hefters Roman ist eine besondere Lektüre. Auf eindrückliche Weise schildert er den Alltag Junos hinsichtlich ihres Jobs, des Zusammenlebens mit ihrem pflegebedürftigen Mann sowie ihrer eigenen Bedürfnisse. Dies gelingt besonders gut durch die Chats, in denen sich Juno ihrem Gegenüber voll und ganz offenbaren und sie selbst sein kann.
Aufgrund der leisen, bewussten und schlichtweg schöne Sprache der Autorin verliert man sich mitten in den Schilderungen. Gegen Mitte des Romans wurde mir die Handlung jedoch zu abschweifend und ich wusste nicht, in welche Richtung der Text weiterhin gehen würde. Auch blieb die Symbolik der Namen für mich rätselhaft. Dennoch war ich gegen Ende hin wieder gefangen!

Zur Causa des Buchpreises: Tatsache ist, es hätte wirklich schlechtere Bücher treffen können und dieses Buch ist kein schlechtes. Zudem erfreut es sich durchweg einer allgemeinen Begeisterung. Somit ist die Wahl für mich eindeutig nachvollziehbar!

Bewertung vom 16.12.2024
Gefährliche Betrachtungen
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


ausgezeichnet

»Wie oft im Leben fliegt einem im wahrsten Sinne des Wortes die Möglichkeit zu, etwas Unveröffentlichtes von Thomas Mann zu lesen?«

Als Thomas Mann mit seiner Familie im Sommer 1930 im Kurort Nidden weilt, um dort seine Sommerfrische zu verbringen, läuft diese nicht wie erhofft und schon gar nicht ohne Zwischenfälle ab.
Der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris befindet sich ebenfalls dort und sucht die Nähe des Dichters, schließlich verfolgt er die Absicht ihn zu bitten, seinen ersten Roman „Buddenbrooks“ ins Litauische zu übersetzen.
Wie es der Zufall so will, treffen beide unverhofft aufeinander. Thomas Mann beschreibt eben lose Blätter am Strand, als der Wind sie ihm aus der Hand weht. Miuleris, die Szenerie beobachtend, überlegt nicht lange und greift ein – er rettet die Seiten und händigt sie seinem Besitzer wieder aus.
Damit wäre die Sache gegessen, aber der Übersetzer verfügt über ein fotografisches Gedächtnis und macht sich in seiner Pension umgehend daran, das Gesehene abzuschreiben. Wobei er darauf stoßen würde, war ihm selbst nicht klar. Die Seiten sind Teil einer Rede, mit der sich Mann von Hitler und den Gedanken des Nationalsozialismus abgrenzen möchte.
Als diese abgeschrieben Blätter verschwinden, beginnen die beiden gemeinsam dem auf die Schliche zu kommen.

Auch wenn es befremdlich ist, sich Thomas Mann als Teil eines Ermittler-Duos vorzustellen, ist es ein lesenswerter Krimi – wenn auch nicht von der spannenden Art –, der einen ganz neuen Blick auf den Nobelpreisträger wirft und dessen Aufenthalt in Nidden eine fiktive Geschichte anstößt. Trotz des merkwürdigen Settings, bezieht sich Tilo Eckardt auf reale Begebenheiten.
So beruht auch die erwähnte Rede auf Thomas Manns noch im selben Jahr gehaltener Rede „Deutsche Ansprache – Ein Appell an die Vernunft“.
Dabei kommt dieser Kriminalroman der anderen Art in oftmals rhetorischer sowie mit dem Lesenden spielenden, stets kurzweiligen Manier daher!

Ich bin schon auf den zweiten Teil gespannt!

Bewertung vom 05.12.2024
Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer
Campino

Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer


ausgezeichnet

»Keine weiße Fahne, kein fauler Kompromiss. Es gibt nur eine Regel: Sie heißt alles oder nichts!«

Nachdem Campino es vierzig Jahre zuvor nur bis in die Mensa des Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität verschlug, wurde er diesen Frühjahrs eingeladen, um dort zwei Gastprofessur-Vorträge zu halten.
Schnell entschied er sich für die übergeordneten Themen Texte und Kommunikation. Daraus entstanden ist eine autobiografische Zeitreise über Musik und Literatur, die seine Entwicklung, sein gesamtes Leben und natürlich auch die 1982 gegründete Band „Die Toten Hosen“ beeinflussten. Nicht nur negative Erinnerungen aus seiner Schulzeit zu „Herr von Ribbeck“ und „Die Bürgschaft“, sondern viel mehr die Rockmusik aus England und Amerika weckten sein Interesse für die Beschäftigung mit Musik. Besonders der aufkommenden Punkbewegung fühlte er sich zugehörig und wurde von ihr geprägt, sodass er selbst anfing Songtexte zu verfassen, die seiner Ansicht nach sowohl dem Punk zuzuordnen sind als auch der sog. Gebrauchslyrik – durchaus provokative und kritische Texte, die für jeden verständlich sind. Außerdem geht er im weiteren Verlauf ausführlich auf das politisches Engagement der Band ein.
In der zweiten Vorlesung reflektiert Campino u.a. seine eigenen Texte kritisch und endet mit einem Abriss über die Gefahren und Chancen von KI.
Stets versieht er dabei seine Gedanken mit einigen seiner literarischen oder musikalischen Vorbildern.

Über beide Vorlesungen hinweg spürt man Campinos Leidenschaft, nicht nur selbst Texte zu verfassen, sondern ebenfalls sich mit den verschiedensten Texten, insbesondere (Gebrauchs)Lyrik, auseinanderzusetzen. Ich bin froh, dass diese zwei Vorlesungen nun in Buchform vorliegen, schließlich muss man sie bestenfalls mehrmals lesen!

Wenn ihr euch für die Toten Hosen, für Gebrauchslyrik oder bestenfalls für beides interessiert, ist dieses Buch mehr als nur eine gewinnbringende Lektüre!

Bewertung vom 05.12.2024
Clarissa
Zweig, Stefan

Clarissa


ausgezeichnet

»Wesentlich ist nur, dass man die Sache liebt, die man tut, und sie ehrlich und anständig zu Ende tut.«

Wie es der Titel bereits verlauten lässt, liegt der Fokus des Romans auf Clarissa, einer Offizierstochter. Als Lesende begleiten wir sie, ausgehend von ihrer Schulzeit, auf ihrem Weg des Erwachsenwerdens in einer schwierigen Zeit.
Sie entwickelt sich zu einer selbstbewussten, selbstständigen und modernen Frau, die dennoch von Zweifeln geplagt wird.
Als junge Frau litt sie unter ihrem Verhältnis zu ihrem Vater, von dem sie sich kaum beachtet fühlte und später unter ihrem eigenen Kind, das aus einer Affäre mit dem Franzosen Léonard, kurz vor dem ersten Weltkrieg, entstammt.
Dabei ist die Handlung von Beginn des 20. Jahrhunderts über die Jahre des Ersten Weltkriegs hinweg angesetzt und nimmt Bezug auf das politische Geschehen sowie die dadurch entstandenen Veränderungen der Gesellschaft.

Während Stefan Zweigs letzten Monate im brasilianischen Exil, bevor er sich, zusammen mit seiner zweiten Ehefrau, am 23. Februar 1942, das Leben nahm, arbeitete er an diesem Romanfragment.
So bleibt dieser erst 1981 entdeckte Roman nur ein Fragment und ist dennoch lesenswert, da Zweig – wenn auch in diesem Fall mit nur wenigen Worten – großartige, bleibende Bilder erschafft.
Sein sonst so schöner Stil war diesmal dementsprechend oftmals abgehackt oder es handelte sich nur um skizzenhafte Bruchstücke, nicht selten ausschließlich um vereinzelte Wörter oder grammatikalisch unkorrekte Sätze, die er in einer späteren Ausarbeitung selbstverständlich noch miteinander verbunden hätte.
Darüberhinaus handelt es sich gemäß seiner Aussage bei dem Fragment ausschließlich um handschriftliche Skizzen zum ersten Teil. Folglich hatte Zweig ein größeres Projekt geplant, doch leider wurde es nicht mehr umgesetzt.
Sicherlich bin ich nicht der Einzige, der „Clarissa“ gerne in einer von Zweig ausgearbeiteten Version gelesen hätte, doch leider wird uns das für immer verwehrt bleiben. Schade!

Bewertung vom 05.12.2024
B.M. - der unbekannte Fussgänger
Hermann, Georg

B.M. - der unbekannte Fussgänger


gut

»Ich glaube, es wird Zeit, dass man hier geht.«

Eigentlich ist B.M., mit vollem Namen Benno Meyer, ein ganz und gar durchschnittlicher Mensch. Von Berufswegen Journalist, schlägt er sich so durch, bis die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen und ihm – als Juden – nun jegliche Arbeit fehlt.
Kurz entschlossen entschließt er sich, vom Romanischen Café zum Café de Dome zu wechseln – er emigriert von Berlin nach Paris und trägt die Hoffnung in sich, dass dort Literatur noch geschätzt wird.
Auf dem Weg dorthin fällt ihm immer wieder ein Sportwagen ins Auge und ist sich sicher, dass ihm eine der Frauen bekannt vorkommt, doch das ist sicherlich ein Hirngespinst oder?!
So dachte er, bis ihn doch noch Djoi, die sich später Madame Estelle nennt, gleichsam mit der gemeinsam erlebten Vergangenheit einholt…

Zuerst lauschen wir einer übergeordnete Erzählinstanz, bis die Perspektive großteils direkt auf B.M. übergeht. Wir folgen seinen Aneinanderreihungen loser Gedanken und Beschreibungen des Geschehens sowie imaginären Gesprächen, die nicht selten mit Kommentaren versehen werden. Dadurch erleben wir seine Flucht, besonders das Ungewohnte und das Fremde, direkt durch ihn hindurch und fühlen uns ebenso verloren. Untermauert wird das durch Hermanns ironische Sprache.
Auch wenn das Buch nicht ganz leicht zu lesen und zu verstehen war, sondern vielmehr chaotische Züge hatte, gefiel es mir dennoch mehr oder weniger, da es zwar an Inhalt schwach, eindrücklich die Gefühlslage von B.M. wiedergibt, dessen Schicksal durch den Autor beeinflusst wurde. Darüber hinaus greift der Text literarische Zitate anderer Schriftsteller auf und verwebt diese in seine Gedanken.

Ansonsten greift der Roman häufig auf rassistische Stereotype und Beschreibungen zurück, die zur damaligen Zeit üblich, aus heutiger Sicht jedoch unbedingt kritisch zu sehen sind.

Ein Nachwort von Christian Klein gibt für Laien – wie ich einer bin – in knapper Form Auskunft über Hermanns Exil bis hin zur Publikation des Romans und widmet sich im zweiten Teil diesem an sich.

Bewertung vom 05.12.2024
Adler und Engel
Zeh, Juli

Adler und Engel


weniger gut

»Du wolltest wissen, wie es passiert ist.«

Stell dir vor, du rufst bei einer Radiosendung an, die sich um verzweifelte Seelen kümmert, erzählst von den mysteriösen Umständen, wie du vor einigen Wochen mit Jessie telefoniert und plötzlich nur noch einen Knall gehört hast. Als du nach Hause gekommen bist, haben sich alle Befürchtungen bestätigt – sie hat sich selbst in den Kopf geschossen. Du weißt nicht mehr weiter, stürzt dich noch mehr in deine Kokain-Abhängigkeit und versuchst der Realität zu entfliehen, bis es plötzlich klingelt.
Vorsichtig schaust durch den Türspion. Vor der Tür steht niemand anderes als die Radiomoderatorin Clara. Sie möchte, dass du ihr mehr davon erzählst. Du weigerst dich, schlägst sie gar und trotzdem lässt sie weiterhin nicht locker.
Als dich dein Chef anruft und fragt, ob du nach einigen Wochen Auszeit nicht wieder arbeiten könntest, schließlich bist du Jurist in einer Leipziger Kanzlei, kündigst du einfach, ohne lange zu überlegen.
Mit der Zeit merkst du, dass du der Vergangenheit nicht entkommen kannst und dich ihr stellen musst. Also beginnst du Clara deine Vergangenheit zu erzählen, indem du sie auf Band aufnimmst.

Ich habe mich sehr gefreut, Juli Zehs Debütroman – 2001 im Schöffling Verlag erschienen – zu lesen, doch wider Erwarten konnte ich mit dem Buch leider nicht warm werden. Das hat mehrere Gründe: Grundsätzlich ist der Inhalt des Romans spannend, doch wird die Handlung zu bruchstückhaft und zu sprunghaft, mit schnellen Wechseln, geschildert. Insgesamt war mir der Text großteils zu langatmig und zu chaotisch, was dazu führte, dass ich beim Weiterlesen mehrmals nicht wusste, wo ich denn stehengeblieben war. Außerdem waren mir dir Figuren leider (!) allesamt unsympathisch. Dazu kam viel Fäkalsprache und direkte, rohe sowie abstoßende Ausdrucksweisen.
Schade! Wie gern hätte ich den Roman gemocht!!!

Obwohl ich die neueren Bücher von Juli Zeh gerne lese, kann ich den Erfolg ihres Debütromans nicht nachvollziehen.

Bewertung vom 26.11.2024
Das Geheimnis der See
Stoker, Bram

Das Geheimnis der See


ausgezeichnet

»Ein goldner Mond, wenn die Flut steigt an,
Und Lammas-Fluten, zu brechen den Bann;
Mit dem Tod vermählt, ein goldener Mann.«

Als sich Archibald Hunter wie jedes Jahr nach Cruden Bay begibt, um dort seinen Urlaub zu verbringen, weiß er noch nichts von den vielen Überraschungen jedweder Art, die ihm das Leben in der kommenden Zeit bereithält. Alles fängt damit an, dass er auf die mysteriöse Frau Gormala trifft. Sie offenbart ihm, dass nicht nur sie selbst, sondern auch er über das sog. Zweite Gesicht verfügt. Bereits am nächsten Tag ereignet sich ein Unglück, welches Archibald tags zuvor voraus gesehen hat.
Bei einer weiteren, sich androhenden Tragödie schreitet er ein und rettet die zwei Frauen Mrs Jack und Miss Anita. Beide sind ihm äußerst dankbar und zwischen Miss Anita und dem Protagonisten bahnt sich sogleich eine Liebesgeschichte an. Jedoch weiß er nicht, dass sie ein Geheimnis mit sich trägt.
Ein anderes Rätsel – ein 300 Jahre alter Schatz – verbirgt sich dagegen direkt unter ihnen, in einer Höhle. Allerdings sind sie nicht die Einzigen, die danach trachten.

Dieses Buch verbindet Elemente des Schauer-, Abenteuer- und Liebesromans gleichermaßen. Zudem beruht es nicht ausschließlich auf einer Fiktion, sondern reale Ereignisse, besonders der Spanisch-Amerikanische Krieg von 1898 – immerhin wäre Spanien mit dem Schatz in diesem Kriegsgefecht gut geholfen –, lassen sich erkennen.
Aber auch verschiedenste Geheimcodes, welche häufig Erwähnung finden, sind teilweise auf die Binärcodes von Francis Bacons zurückzuführen.
Währenddessen konkurrieren konservative Schilderungen mit modernen Aspekten, bspw. dem Spiel mit Geschlechterrollen oder mit für damalige Zeiten höchst modernen Aktivitäten, wie dem Fahrradfahren.

Ein Roman, der sich flüssig lesen lässt und trotz seiner über hundert Jahre mit gegenwärtiger Spannungsliteratur problemlos mithalten kann. Noch dazu diese wunderschöne Ausgabe!