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Benutzername: 
minjo
Wohnort: 
Reutlingen

Bewertungen

Insgesamt 49 Bewertungen
Bewertung vom 20.02.2024
Sturmmädchen
Bernstein, Lilly

Sturmmädchen


sehr gut

Lilly Bernstein's Geschichten treffen mitten ins Herz

Elli, Käthe und Margot ... drei junge Frauen, die seit ihrer Kindheit fest miteinander befreundet sind, so unterschiedlich sie auch sein mögen.
1933, als das Unheil in Deutschland bereits seinen Lauf nimmt und noch niemand an den nächsten Krieg denken möchte ... schon gar nicht Elli, Käthe und Margot, die in einem etwas abgelegenen Dorf in der Eifel, nahe der belgischen Grenze, noch nichts von der Gefahr ahnen, die bald ihre Freundschaft zu zerreissen droht.
Käthe, in armen und schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen, spricht der neuen Ideologie zu, verspricht sie sich davon doch eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Aufgehetzt durch die Parolen der NS, passt ihre Freundin Margot, eine Jüdin aus gutem Hause, nicht mehr in ihre Welt und sie wendet sich von ihr ab. Elli, die körperlich gehandicapte Tochter einer Hebamme, steht zwischen ihnen und versucht, zwischen Käthe und Margot zu vermitteln. Doch als der Hass auf Juden sich immer mehr zuspitzt, muss sich Elli entscheiden. Wird die Freundschaft der drei Mädchen und ihr gegebenes Versprechen "Alle für eine, eine für alle" diese stürmischen Zeiten überstehen?

Zum Buch:
Dies ist bereits der dritte "Mädchen"-Roman aus der Feder von Lilly Bernstein aka Lioba Werrelmann. Während "Findelmädchen" noch Verbindungen zum "Trümmermädchen" hat und man erfährt, was aus den Protagonisten des ersten Romans wurde, ist "Sturmmädchen" eine ganz neue, eigenständige Geschichte. Einzig die Zeit des 2. Weltkriegs und jeweils eine starke junge Frau im Mittelpunkt des Geschehens haben alle drei Romane gemeinsam. An sich ist auch die vorliegende Geschichte nicht neu: Freundschaften, die unter dem NS-Regime zu zerbrechen drohen / Hilfe bei der Flucht befreundeter Juden ins nahe Ausland. Viele historische Romane gibt es hierzu schon, doch es kommt eben immer darauf an, WIE eine Geschichte geschrieben wird und Lilly Bernstein hat definitiv die Gabe, ihren Figuren und Geschichten so viel Warmherzigkeit und Leben einzuhauchen, dass man vom ersten Kapitel an am Haken hängt.

Persönliche Meinung:
Auch diese Geschichte hat mich von Beginn an berührt und in Atem gehalten. Die Entwicklung der drei Mädchen in der Zeit zwischen 1933 bis 1940 und wie unterschiedlich ihr Leben in jenen Tagen verlief, als das NS-Regime immer grausamer das tägliche Leben aller Menschen veränderte, wurde sehr gut herausgearbeitet. Die Figuren und das Setting sind unglaublich bildstark und authentisch beschrieben, man konnte sich das Leben in diesem Eifel-Dörfchen wirklich lebhaft vorstellen. Dabei spart die Autorin auch nicht grausame Details aus, die einem wirklich unter die Haut gehen und einem nur zu deutlich vor Augen führen, was die Menschen in dieser Zeit erlitten haben. Mich hat besonders die Entwicklung von Elli vom naiven Mädchen zur selbstbewussten starken jungen Frau beeindruckt, die in diesem Roman auch die Hauptprotagonistin darstellt. Zwar konnte ich nicht alle ihre Verhaltensweisen nachvollziehen, aber dies tat dem Leseerlebnis keinen Abbruch. Auch die Liebe kam hier nicht zu kurz und ich würde mir wünschen, dass ich im nächsten "Mädchen"-Roman erfahre, wie es mit Elli und ihrer wachsenden Familie weitergeht.

Fazit:
Ein absolut lesenswerter historischer Roman, der einem nicht nur diese grausame Zeit aus der Perspektive drei junger Frauen nahebringt, sondern auch aufzeigt, wie echte Freunde in schwierigen Zeiten bereit sind, große persönliche Opfer zu bringen und dabei über sich selbst hinauswachsen. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 06.02.2024
Die Hoffnung der Chani Kaufman
Harris, Eve

Die Hoffnung der Chani Kaufman


sehr gut

Bewegende und aufschlussreiche Einblicke in die jüdische Liebes- und Glaubenswelt

Das junge jüdische Ehepaar Chani und Baruch sind nach ihrer Hochzeit nach Jerusalem gezogen, wo Baruch für das Rabbinerdasein studiert und Chani in einem Blumenladen arbeitet. Nach der Hochzeit steigt die Erwartungshaltung an das junge Paar, bald Nachwuchs zu präsentieren, doch auch zehn Monate danach bleibt die erhoffte Schwangerschaft aus und der Druck von Außen nimmt immer mehr zu. Schließlich wissen sie sich nicht anders zu helfen, als Baruch's wohlhabende Eltern um finanzielle Unterstützung zu bitten, damit sie in London Hilfe in einer Kinderwunschklinik suchen können. Natürlich ist es für Frau Levy, Chani nicht gerade wohlgesonnener Schwiegermutter, sonnenklar, dass der "Fehler" nur an Chani liegen kann und versucht hinter dem Rücken des Paares ihre Strippen zu ziehen. Doch in London trifft Chani zufällig ihre Brauthelferin, die ehemalige Rebbetzin Rivka Zilberman wieder, die sich entgegen aller jüdischen Konventionen von ihrem Ehemann und ihren Kindern getrennt hat und versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Die Gespräche mit Rivka helfen Chani schließlich, eine für sie und Baruch mutige Entscheidung zu treffen...

Zum Buch:
"Die Hoffnung der Chani Kaufman" ist bereits der zweite Roman von Eve Harris nach "Die Hochzeit der Chani Kaufman". Man braucht jedoch den ersten Teil nicht gelesen zu haben, um sich beim Nachfolger zurechtzufinden. Die Erzählperspektiven wechseln hauptsächlich zwischen Chani, Baruch, Rivka und deren Mann und Kinder. So lernt man die Charaktere besser kennen, was das Verständnis für die jüdische Liebes- und Glaubenswelt stärkt, die voller Regeln und Rituale ist und für Leser der nicht-jüdischen Welt wahrscheinlich fremd und unverständlich wirkt. Im Anhang gibt es ein Glossar mit den im Buch vorkommenden jiddischen Begriffen.

Persönliche Meinung:
Dies ist mein erster Roman der Autorin und ich bin von ihrem Schreibstil wirklich beeindruckt: zart, feinfühlig und doch stark und bildgewaltig erzählt sie von diesen eh schon - für Juden sicher noch sensibleren - Themen unerfüllter Kinderwunsch, Unfruchtbarkeit, Abhandenkommen des Glaubens, Abwendung von der eigenen Familie und der Gemeinde. Mir hat es geholfen, einige Zusammenhänge und Hintergründe des jüdischen Lebens und Glaubens besser zu verstehen. Dennoch war ich auch schockiert über die Naivität und Unaufgeklärtheit der jungen Leute in Bezug auf ihren eigenen Körper oder darauf, wie z.B. ein Baby entsteht und ich fragte mich, ob das wirklich in der heutigen Zeit möglich sein kann. Auch die absolute Hingabe an HaSchem und das Nicht-Infragestellen der hauptsächlich von Rabbis festgelegten Gesetze und Regeln fielen mir schwer, nachzuvollziehen. Ich denke, man muss in diese Welt hineingeboren werden, um dies alles zu akzeptieren und danach zu leben. Am Beispiel von Rivka, die erst durch ihre Heirat mit Chaim in diese Welt aufgenommen wurde, kann man sehr gut nachvollziehen, wie schwierig es ist, sich zu 100 % und ein Leben lang darauf einzulassen.
Die Protagonisten sind mir schnell ans Herz gewachsen und ich habe mit ihnen mitgelitten. Auch Gemeinsamkeiten zum eigenen Glauben habe ich entdeckt, u.a. dass die größten Frömmler oft genauso heuchlerisch sind, egal, um welche Religion es sich handelt.
Allerdings fand ich es ziemlich mühsam, die vielen jiddischen Begriffe während des lesens im Anhang nachzuschlagen. Dies hat den Lesefluss doch sehr behindert und ich hätte mir gewünscht, dass die jeweilige Übersetzung in der Fusszeile derselben Seite zu lesen ist, was das Lesen wirklich vereinfacht hätte.

Fazit:
Wer einmal über den eigenen Tellerrand schauen und mehr dazu erfahren möchte, wie Themen wie unerfüllter Kinderwunsch in der jüdischen Kultur behandelt werden, bekommt hier eine einfühlsame Einführung in Form einer sehr eindrücklichen und berührenden Liebesgeschichte. Lesenswert!

Bewertung vom 17.01.2024
Die Zuckerbäckerin von Cold Creek Valley / Cold Creek Valley Bd.2
Jones, Mona

Die Zuckerbäckerin von Cold Creek Valley / Cold Creek Valley Bd.2


gut

Süße Lovestory in den Rocky Mountains mit viel Zuckerguss

Ganz ehrlich: hätte ich dieses Buch nicht versehentlich statt des gewonnenen Rezensionsexemplars zugeschickt bekommen, wäre es nie auf meinem Bücherstapel gelandet. Ich liebe nun einmal Krimis und Historische Romane, aber keine seichten Liebesromane - schon gar nicht mit so einem kitschigen Titel und Cover. ABER ... ich habe es gelesen, sogar bis zum obligatorischen Happy End und ich muss gestehen: die Story ist nett, das Setting in den Rocky Mountains macht Lust auf mehr und die Charaktere sind fast durchweg sympathisch.

Nervig fand ich allerdings das ständige Erwähnen, wie viel Stress Chiara und Gabriel doch hätten und sooo wenig Zeit füreinander. Als ob das bei anderen jungen Paaren, die am Anfang ihrer Karriere stehen, anders wäre... Zudem scheint es in der Familie eine übertriebene Dichte an Ärzten zu geben: Chiara's Schatzi Gabriel, ihr Bruder Giovanni und der Schwager-in-spe Manuel. Auf der Vorhersehbarkeit der Geschichte und häufig auftauchenden grammatischen Fehlern will ich gar nicht herumreiten.
Dennoch gelang es der Story und den Charakteren, dass ich drangeblieben bin und es doch recht unterhaltsam fand, auch wenn ich eine gewisse Tiefe schon vermisst habe.

Fazit:
Für alle, die Liebesgeschichten in stimmungsvollem Setting lieben, ist dies sicher ein süßes Leseerlebnis, ganz ohne kalorienreichen Zuckerschock.

Bewertung vom 06.01.2024
Monster / Oliver von Bodenstein Bd.11
Neuhaus, Nele

Monster / Oliver von Bodenstein Bd.11


ausgezeichnet

Zwischen Recht und Gerechtigkeit liegt für manche die Selbstjustiz

Neben den bekannten Ermittlern Oliver von Bodenstein und Pia Sander steht diesmal auch ihre Kollegin Kathrin Fachinger im Fokus der Geschichte. Während Pia auch private Sorgen umtreiben, erlebt Oliver nicht zum ersten Mal ein Trauma, als vor seinen Augen ein langjähriges Teammitglied getötet wird. Das ganze Team muss sich mit der schmerzhaften Frage auseinandersetzen, wie gut sie die Kollegen wirklich kennen, mit denen sie schon seit Jahren eng und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Die einzelnen Mitglieder des K11-Teams entwickeln sich in jedem der Taunus-Krimis kontinuierlich und plausibel weiter und zeigen durch die Einblicke in ihr privates Leben, dass auch sie nur Menschen mit Ecken und Kanten sind, was sie nur noch authentischer und sympathischer machen.
Wie bei Nele Neuhaus üblich, mangelt es auch in diesem Krimi nicht an einer stetig aufbauenden Spannung, wobei die Auflösung um den Mord an Lissy am Ende für meinen Geschmack zu kurz kommt und die Reaktion ihrer Eltern auf Täter und Motiv für mich nicht ganz schlüssig ist. Dennoch: die einzelnen Stränge der unterschiedlichen Fälle sowie die Ermittlungen des K11-Teams sind astrein ausgearbeitet und in sich stimmig. Falsche Fährten führen gekonnt in die Irre und zeigen auf, wie falsche Verdächtigungen das Leben der betroffenen unschuldigen Personen nachhaltig (zer)stören können.

Lobenswert:
Die Autorin thematisiert in ihrem neuesten Roman aktuelle Probleme des Justizsystems und der Politik sowie den damit verbundenen gesellschaftlichen Folgen. Themen wie Kriminalität unter und durch Asylbewerber und der manchmal folgenden Selbstjustiz werden hier brillant in einem hochbrisanten Krimi verarbeitet. Die Beschreibung exemplarischer Fälle, wie sie der Protagonist Richter Hawelka tagtäglich erlebt, haben mich wirklich schockiert und mich fragen lassen, wie viel davon um uns herum tatsächlich so oder in ähnlicher Weise geschieht. Da Nele Neuhaus immer gründlich zu einem Thema recherchiert, bevor sie darüber schreibt, habe ich keine Zweifel daran, dass es leider traurige, tagtäglich gelebte Realität an deutschen Gerichten ist (Quellen ihrer Recherchen sind im Anhang des Romans explizit aufgelistet).
Themen wie diese gehen unter die Haut und so war es auch für mich eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen Recht auf der einen Seite, Gerechtigkeit auf der anderen Seite und der Grauzone der Selbstjustiz dazwischen. Denn wenn man sich in die Situation der Angehörigen eines Mordopfers hineinversetzt, ist durchaus Verständnis dafür da, dass diese das Recht in die eigene Hand nehmen wollen. Wie man allerdings an den Beispielen im Buch auch sieht, gelingt es den meisten Menschen mit einem funktionierenden Gewissen auf Dauer nicht, mit so einer Schuld weiterzuleben - zumal es das geliebte Familienmitglied nicht wieder lebendig macht. Schwere Kost, für die ich sicher noch lange zum verdauen brauche. Deshalb finde ich es sehr hervorhebenswert, dass sich die Autorin dieses Themas angenommen hat - wahrlich nicht selbstverständlich in einer Zeit, wo sich viele Autoren nicht mehr an solche sensiblen Themen herantrauen aus Angst, in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden.

Einziger Wermutstropfen: zu viele Fehler im Text!
Was mich wirklich geärgert und den Lesefluss sehr gestört hat, waren die vielen Fehler (Zeitabstände, Nachlässigkeitsfehler, fehlende Wörter und auch grammatische Fehler). Beispiel: auf Seite 58 "überlegte Pia kurz, ob sie sich einen Dienstwagen holen sollte, und entschied sich dann, mit ihrem Privatauto zu fahren, das inzwischen angenehm geheizt war." Nur eine halbe Seite später, auf Seite 59 dann "... und schaffte es tätsächlich, den Dienstwagen um Viertel vor acht auf dem letzten freien Parkplatz..." Es ist doch erstaunlich, dass Fehler wie diese bei einem Manuskript, welches nicht nur durch die Hände der Lektorin als auch die von mindestens zwei namentlich genannten Korrekturleserinnen gegangen ist, nicht einer davon aufgefallen sind. Das steht weder einer Bestsellerautorin noch dem renommierten Ullstein-Verlag besonders gut. Bleibt zu hoffen, dass die meisten Fehler inzwischen erkannt und für die nächste Auflage korrigiert wurden.
Ganz ehrlich: bei jedem anderen Buch hätte ich bei dieser Anzahl von Fehlern mindestens einen Stern abgezogen. Allerdings ist das Gesamtwerk hier so überzeugend, dass ich es nicht übers Herz bringe, weniger als die vollen fünf Sterne zu vergeben, denn die hat "Monster" wahrlich verdient!

Fazit:
Ein spannender Krimi, den man nicht mehr aus der Hand legen kann und der einen noch lange beschäftigen wird zu Themen, die unter die Haut gehen und absolut aktuell sind! Absolute Spitzenklasse!!!

Bewertung vom 26.11.2023
Bevor die Welt sich weiterdreht
Brosch, Luca

Bevor die Welt sich weiterdreht


ausgezeichnet

Spannender Mix aus History, Spionage und Lovestory

Die hochschwangere Krankenschwester Johanna Gabathuler kehrt 1917 nach einem Jahr an der Front zurück in ihre Heimat Davos. Sie ist die Tochter des Curhaus-Direktors und musste ihm vor ihrer Abreise versprochen, sich bei ihrer Rückkehr mit einer guten Partie verheiraten zu lassen. Ein schwerer Fehler, denn ihre eigene Familie gibt ihre mit dem Soldaten Erich unehelich gezeugte Tochter sofort nach der Geburt weg, damit das "Balg" nicht die Heirat mit Großrat Thanner gefährdet, den Johanna bald heiraten und der für ihren Vater den wirtschaftliche Niedergang des Sanatoriums verhindern soll. Johanna ist verzweifelt, sie will ihre Tochter Elli wiederhaben und gerät so in die Fänge der Gräfin von Hauser, die ihr eine Zukunft mit Elli verspricht, wenn Johanna im Gegenzug ihre Position nutzt, um an Informationen für sie (und somit das deutsche Kaiserreich) zu kommen. Bald ist Johanna tiefer in die Spionage-Aktivitäten der verschiedenen Mächte, deren Agenten verdeckt in Davos und im Curhaus agieren, verstrickt, als ihr lieb ist und gut tut. Dennoch sieht sie darin ihre einzige Chance, schnell an genug Geld und einen Pass zu kommen, um mit Elli fliehen zu können. Sie stellt sich sehr geschickt an und wird bald auch für die Gegenseite interessant. Doch für Spione gibt es nur eine wichtige Regel: wer auffliegt, stirbt...

Zum Buch:
Gerne hätte ich etwas mehr Hintergrundwissen, wie es eigentlich genau zu diesem Buch kam. Es basiert wohl auf dem Drehbuch der Serie "Davos", die kommendes Weihnachten ausgestrahlt werden soll. Daher recht cleveres Timing, dieses Buch rechtzeitig vorher auf den Markt zu bringen und die Leser neugierig auf die filmische Umsetzung zu machen. Dieser Roman bedient gleich mehrere Genres: es ist sowohl ein historischer Roman mit intensiver Spionagehandlung und zugleich eine Liebesgeschichte. Man könnte meinen, das ist für ein Buch vielleicht etwas zu viel auf einmal gewollt, aber tatsächlich funktioniert es hier sehr gut. Die Hauptprotagonistin ist Johanna Gabathuler, aus deren Perspektive auch hauptsächlich erzählt wird. Dennoch wechselt die Perspektive auch häufig zu den nicht minder interessanten und oft komplexen Neben-Charakteren, die alle natürlich ihre eigene Geschichte mitbringen, wie sie zum Agenten geworden sind. Das lenkt streckenweise etwas von der Handlung ab und bremst die Dynamik und den Aufbau der Spannung. Die Kapitel haben eine angenehme Länge, jedes mit einer dem Inhalt entsprechenden Kapitel-Headline. Der Schreibstil ist flüssig und bildstark und schafft es, Stimmungen und Atmosphäre glaubhaft zu transportieren. Die Entwicklung von Johanna ist erstaunlich und nicht immer ganz nachvollziehbar, dennoch ergibt alles in allem eine runde Geschichte mit einer sich langsam, aber stetig aufbauenden Spannung.

Persönliche Meinung:
Ich kann normalerweise mit Spionageromanen nicht viel anfangen und bin nur wegen der Geschichte um Johanna schwach geworden. Aber ich habe es nicht bereut und es hat tatsächlich meine Neugier auf dieses Genre etwas geweckt. Ich fand die Grausamkeit des Krieges, sowohl draußen an an der Front als auch Undercover sehr eindrücklich und bildhaft beschrieben. Wer hier etwas sensibel auf grausame Kriegsszenen, auch an Frauen und Kindern, reagiert, sollte diese Passagen besser überspringen, denn sie sind schon schwer zu verdauen (leider aber Realität sowohl in der Vergangenheit als auch in heutiger Zeit überall auf der Welt). Selbst im beschaulichen, neutralen Davos ist die Idylle trügerisch und der Kampf im Verborgenen umso unerbittlicher. Nichts und vor allem niemand ist, was er/sie auf den ersten Blick scheint. Damit nicht alles so historisch-trocken oder spionagemäßig-meuchlerisch daherkommt, gibt es noch eine große Portion Herzschmerz. Zum einen verliert Johanna ihr Herz ein zweites mal (doch ob sie ihm trauen kann, steht auf einem anderen Blatt) und natürlich hofft man bis zum Ende auf die Wiedervereinigung mit ihrem Baby. Ich habe mitgefiebert und mitgelitten und so soll es ja schließlich bei einem gelungenen Buch sein.

Zum Cover:
Etwas düster in seinem grau-roten Gewand, doch letztlich sehr passend zur Story. Auch der Titel ist stimmig.

Mein Fazit:
Geschichtliche Fakten gut-verdaulich verpackt in einer kurzweiligen, aber komplexen Story, die für unterhaltsame Lesestunden sorgt. Nichtsdestotrotz keine leichte Kost, die durchaus noch länger nachklingt, zumal man sich in diesen Tagen ja leider wieder mit dem Thema Krieg auseinandersetzen muss.
Man darf gespannt sein auf die filmische Umsetzung. Fünf Sterne und klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 22.10.2023
Der Trip - Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand.
Strobel, Arno

Der Trip - Du hast dich frei gefühlt. Bis er dich fand.


weniger gut

Die forensiche Psychologin Evelyn Jancke hilft der Oldenburger Polizei bei der Ermittlung in einer Mordserie auf Campingplätzen in Norddeutschland. Bisher entkam der Täter immer unerkannt, doch schließlich gibt es an einem Tatort einen Zeugen, mit dessen Hilfe ein Phantombild angefertigt wird. Als Evelyn Jancke dieses sieht, ist sie wie elektrisiert, denn sie glaubt, in dem Täter ihren seit zwei Jahren vermissten Bruder Fabian zu erkennen. Doch kann es sein, dass er - aus welchen Gründen auch immer - als kaltblütiger Mörder zurückgekehrt ist? Es gibt nur einen Weg, dies herauszufinden: sie muss ihn finden, bevor die Polizei es tut. Nicht gerade einfach, wenn der beste Freund ausgerechnet einer der ermittelnden Kommissare ist und selbst so einiges zu verbergen scheint ...

Zum Buch:
Arno Strobel hat sich als Thrillerautor in Deutschland einen Namen gemacht. Seine Geschichten sind natürlich so angelegt, zu schockieren und den Leser bis zum Ende bei der Stange zu halten. Um dies zu erreichen, werden im vorliegenden Buch neben einem sehr spannenden Prolog u.a. verschiedene Fährten ausgelegt und mysteriöse Anrufe und Nachrichten eingebaut. Ein manipulativer Psycho spielt ebenso seine Spielchen wie anscheinend Evelyns bester Freund und ehemaliger Lebensgefährte, der angeblich nur aus Sorge um sie so handelt. Die Spannung soll durch einen Perspektivwechsel zwischen der Hauptprotagonistin Evelyn und dem Täter noch erhöht werden. Die Kapitel sind angenehm kurz und enden häufig, wie das bei Thrillern eben üblich ist, mit einem Cliffhanger. Das Finale ist dann jedoch etwas unspektakulär und in der Nachfolge werden die drängensten Fragen aufgelöst.

Persönliche Meinung:
Selten hat mich die Hauptperson eines Romans von Anfang an so dermaßen genervt wie diese Evelyn Jancke. Ich weiß nicht, ob dies vom Autor so beabsichtigt war, aber zumindest hat er sich nicht gerade bemüht, sie mit sympathie- und empathiefördernden Eigenschaften auszustatten. Abgesehen von ihrer Art, das Verschwinden ihres Bruders mit regelmäßigen Abstürzen in den Oldenburger Bars inclusive Abschleppens diverser fragwürder Nachtgestalten zu kompensieren, hinterlässt sie auch beruflich keinen allzu guten Eindruck. Gerade als angeblich so profilierte und mit "messerscharfem Verstand gesegnete" erfahrene forensiche Psychologin springt sie über jedes noch so kleine Stöckchen, dass man ihr hinhält, was mich mit der Zeit immer mehr gegen sie aufgebracht hat. Sämtliche Charaktere sind so angelegt, dass man ihnen nicht trauen kann; das ist schon etwas zuviel des Guten und nicht gerade realistisch. Bei Evelyn selbst kann man sich irgendwann auch nicht mehr sicher sein, was man von ihr halten soll und ob die mysteriösen Dinge nicht doch nur in ihrer Vorstellung geschehen. Auch ihr guter Freund Gerhard Tillmann, ermittelnder Hauptkommissar in der Camper-SoKo, bleibt eine nebulöse Gestalt, der man weder trauen noch große Sympathie entgegenbringen kann. Dazu dann noch Jasper Kriebich, ein gutaussehender reicher Selfmademan mit Villa im besten Viertel, der wie der sprichwörtliche Ritter in weißer Rüstung (nur ohne Pferd) immer im richtigen Moment zur Stelle ist, todesmutig eingreift und nur auf jemanden wie Evelyn gewartet hat? Eine ordentliche Prise Märchen wurde der Mixtur somit also auch beigefügt. Eine große Überraschung war die Auflösung am Ende dann eigentlich nicht, es lief mehr oder weniger von Anfang an daraufhin zu. Ich fand die Motive sowohl von Tillmann aber auch die des Täters ziemlich plump und konstruiert, was mich letzten Endes doch ziemlich enttäuscht hat. Auch blieben nach wie vor einige Fragen offen, was ich persönlich nicht sehr schätze. Ich hätte von einem Bestsellerautor wie Arno Strobel doch etwas raffinierteres und ausgefeilteres erwartet, wenn ich ehrlich bin.

Fazit:
Nette Krimiunterhaltung mit der einen oder anderen Schwäche. Kann man durchaus zwischendurch einmal lesen. Man hat allerdings auch nicht viel verpasst, wenn man es nicht tut.

Bewertung vom 12.10.2023
Tief im Schatten / Hanna Ahlander Bd.2
Sten, Viveca

Tief im Schatten / Hanna Ahlander Bd.2


ausgezeichnet

Are/Nordschweden: Gerade haben im beliebten Skiort Are die Sportferien begonnen, als ein kleiner Junge und seine Mutter eines morgens einen grausigen Fund machen. Schnell ist das Opfer identifiziert, es handelt sich um den früheren Weltcup-Skifahrer Johan Anderson, der mit seiner Frau in der Umgebung lebt und inzwischen mit seinem Geschäftspartner einen kleinen Instrallateur-Betrieb führt. Fast zeitgleich verschwindet in einem Nachbarort die Kindergärtnerin Rebekka, die mit dem charismatischen Pastor Ole verheiratet ist. Für Hanna Ahlander und Daniel Lindskog ist es der zweite gemeinsame Fall, der sich schnell zum Wettlauf gegen die Zeit entwickelt, denn Rebecka ist in größter Gefahr...

Zum Buch:
"Tief im Schatten" ist der zweite Band einer neuen Krimi-Serie der beliebten Bestseller-Autorin Viveca Sten mit der Hauptprotagonistin Hanna Ahlander. Die Handlung spielt in Are, einem beliebten Skiort im Norden Schwedens, nahe der Grenze zu Norwegen. Die Spannung baut sich kontinuierlich bis zum fesselnden Ende hin auf. Wie es sich für einen guten Krimi gehört, legt die Autorin verschiedene Fährten aus und somit gibt es mehrere Verdächtige, die ein Motiv gehabt haben könnten, Johan zu töten. Wie im wahren Leben auch, entpuppt sich beim Blick hinter mancher Fassade entweder pure Verzweiflung oder gar die reinste Hölle und so manch vermeintlicher Gutmensch entpuppt sich als Wolf im Schafspelz und lässt den Leser erschaudern über das abgrundtief Böse, zu dem nur Menschen fähig sind.
Auch die atmosphärische Dichte kommt hier nicht zu kurz: die Schönheit der Natur und die Unbarmherzigkeit der eisigen, schneereichen Nächte im hohen Norden gibt der Story noch das gewisse Extra an Stimmung. Durch die Zeitform Präsens ist alles sehr direkt und unmittelbar und durch die kurzen Kapitel wird das Tempo der Geschichte deutlich forciert.
Themen dieses Buches sind u.a. Häusliche Gewalt, falsch verstandener/gelebter christlicher Glaube, Homosexualität in Institutionen wie der Polizei.

Persönliche Meinung:
Mit Hanna hat die Autorin eine sympathische Figur geschaffen: auf den ersten Blick wirkt sie etwas introvertiert, doch je besser man sie kennenlernt, umso mehr erwärmt man sich für sie, denn sie hat das Herz auf dem rechten Fleck und hat eine besondere Empathie für Frauen als Opfer von häuslicher Gewalt. Auch der Ermittlungsleiter Daniel Lindskog ist einer der Hauptfiguren und wie Hanna ein Charakter mit Ecken und Kanten. Man fühlt mit, wie er den Spagat zwischen junger Familie und der zügigen Auflösung dieses Falles hinzubekommen versucht. Hanna und Daniel sind schnell zu einem Team zusammengewachsen und ergänzen sich sehr gut. Auch die weiteren Figuren sind gut ausgearbeitet und besonders das Schicksal von Rebecka geht wirklich unter die Haut.
Das Privatleben von Hanna, Daniel und auch Anton nehmen recht viel Raum ein.
Das ist sicher nicht jedermanns Sache bei einem Krimi, bei dem es in erster Linie um Opfer, Täter und Motive geht. Dennoch mag ich persönlich gerade das sehr gerne, da auch Polizisten schließlich nur Menschen sind und somit menschlich (und nicht immer rational) handeln.
Mir hat der zweite Fall mit Hanna Ahlander sogar noch besser gefallen als der erste. Wer den ersten Band nicht gelesen hat, dürfte trotzdem problemlos mitkommen, da die wesentlichen Dinge, die das Verständnis erleichtern, im zweiten Band eingearbeitet wurden.
Ich habe mich wieder sehr gut unterhalten gefühlt und hoffe, die Forsetzung lässt nicht allzu lange auf sich warten. Auch kann ich mir eine Verfilmung dieser Serie jetzt schon gut vorstellen.

Fazit:
Fesselnder und komplexer Krimi von einer Autorin, die ihr Handwerk versteht. Spannende und unterhaltsame Lesestsunden sind garantiert.
Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 26.09.2023
Mord im Christmas Express
Benedict, Alexandra

Mord im Christmas Express


ausgezeichnet

Stimmungsvoller Zug-Krimi in moderner Agatha Christie-Manier

Zur Story:
Am Vorabend von Heiligabend verlässt der Christmas Express London, um seine überschaubare Anzahl an Passagieren ins schottische Fort William zu bringen. Bereits in London hat es zu schneien begonnen, doch als der Zug die rauen, schottischen Highlands erreicht, wird das Schneetreiben immer dichter und das Vorankommen gefährlicher. Ein auf die Gleise gestürzter Baum verursacht schließlich das Entgleisen des Zugs und die Insassen sitzen weitab der nächsten Stadt fest. Wäre das nicht schon schlimm genug, wird kurz darauf die erste Leiche entdeckt, der noch weitere folgen. Roz Parker, kürzlich pensionierte Detective Inspector bei der Metropolitan Police, ist auf dem Weg zu ihrer in den Wehen liegenden Tochter und sieht durch die Todesfälle ihre Chance auf eine baldige Ankunft in immer weitere Ferne rücken. Da die Rettungskräfte witterungsbedingt nicht in absehbarer Zeit am Unglücksort sein können, versucht sie den Fall zu lösen und kommt der Lösung Stück für Stück näher...

Zum Buch:
Der Klappentext hat hier nicht zuviel versprochen: "Ein Weihnachtskrimi, wie Agatha Christie ihn heute schreiben würde: spannend, originell und absolut zeitgemäß". Das kann ich wirklich bestätigen, denn dieser Krimi enthält alle Zutaten für unterhaltsame Lesestunden: mit den schottischen Highlands ein malerisches Setting, mit dem Schlafwagen-Express ein interessanter Tatort, genug Spannungsmomente, eine scharfsinnige und mit Ecken und Kanten versehende Ermittlerin und ein bunter Mix an Passagieren, von denen so einige bei näherer Betrachtung ein Tatmotiv hätten. Dazu noch eine große Portion Herzschmerz, ein dicker Klecks Trauma- und Vergangenheitsbewältigung und eine Messerspitze Insel-Humor - voilà, fertig ist der gelungene Weihnachtskrimi.
Übrigens ist dieser Krimi nicht sehr "blutig" geschrieben, also keine Gefahr für Alpträume oder verstörenden Bildern im Kopf.

Das Cover ist überaus liebevoll gestaltet und passt perfekt zu dieser Story. Ich hätte mir nur einen höherwertigen Einband statt die Kartonage gewünscht, zumal das Buch schon mit einem Eselsohr bei mir ankam und man nach Beenden des Buches trotz sorgsamer Handhabung sehen konnte, dass die oberen und unteren Kanten Gebrauchsspuren aufweisen, was bei Karton leider sehr schnell der Fall ist.

Persönliche Meinung:
Mir hat neben der Story auch der bildstarke Schreibstil sehr gut gefallen. Man ist sehr schnell in der Geschichte und lernt die unterschiedlichen Protagonisten kennen, wobei sich schnell Sympathien und Antipathien einstellen, die - von der Autorin sicher so gewollt - einen auf die falsche Fährte führen können, denn natürlich traut man eine Greueltat eher denen zu, die von Anfang an unangenehm auffallen und etwas zu verbergen scheinen. Dabei sind es meistens die stillen Wasser, die am tiefsten gründen. So nimmt auch hier die traumatische Vergangenheit von Roz viel Raum ein und man versteht erst im Laufe der Geschichte, warum dies so wichtig zu verstehen ist. Auch Liebe, Familie und Zugehörigkeit spielen eine tragende Rolle und gibt der Geschichte mehr Tiefe. Die Autorin hat recht clevere Ablenkungs- und Täuschungselemente eingebaut, so dass man immer wieder ins grübeln kommt, ob man die richtige Person verdächtigt und hat am Ende doch noch für eine unerwartete Überraschung gesorgt. Ich konnte zwar nicht alle Verhaltensweisen der Akteure nachvollziehen, dennoch wurden die grundlegenden Fragen beantwortet und die Geschichte hat - trotz der Todesfälle - ein rundes, schönes Weihnachts-Happyend gefunden.

Spoiler gefällig? Die mitreisende Katze war's nicht! ;-)

Fazit:
Sehr unterhaltsamer, stimmungsvoller und auch tiefgründiger Christmas Krimi, welcher perfekt in die Vorweihnachtszeit passt. Dazu noch eine Tasse heiße Schokolade und feines schottisches Shortbread oder das im Buch so lecker beschriebene Whisky-Taiblet - mehr braucht es wirklich nicht! Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 17.08.2023
Mattanza
Fabiano, Germana

Mattanza


ausgezeichnet

Nora, der letzte Raìs - Dieses Buch ist ein kleines Juwel!

"Dies erzählt meine Geschichte. Sie erzählt, dass ich einen Fluch mitbrachte, der trotz aller Anstrengungen schließlich über die Insel gekommen ist. Denn Legenden lassen sich nicht durch Tricksereien und Kniffe beeinflussen. Sie erzählt, dass ich in einer Winternacht anstelle eines anderen kam und dass man das Schicksal erzwingen wollte, indem man mir eine Aufgabe übertrug, die nicht meine sein durfte."
Nora, der letzte Raìs von Katria

Diese Geschichte von Germana Fabiano beruht sowohl auf Fakten und ist zugleich fiktiv. Die Mattanza (wörtl.: Abschlachten der Thunfische), mit allem was dazugehört, gehört dabei auf die Seite der Fakten: Diese wurde über Jahrhunderte auf den Inseln vor der sizilianischen Küste zelebriert, hauptsächlich in der Region um Trapani, wo auch die vermutlich fiktive Insel Katria verortet ist (es könnte sich dabei um die tatsächlich bestehende Insel Favignana handeln, eine der Ägadischen Inseln vor der Westküste Siziliens). Die Geschichte von Nora ist fiktiv, doch durch sie lernt man das Leben der Fischer und Dorfbewohner etwas kennen. Die Geschichte Nora's hat mich wirklich berührt: ein Mädchen im Kindesalter aus ihrer Familie zu nehmen und sie unter die Obhut des Großvaters zu geben, um in der Zukunft über Wohl oder Leid der Inselbewohner zu entscheiden - was für eine große Last und Verantwortung! Misstrauisch beäugt und von den Dorfbewohnern als "Fehler Gottes" betrachtet, die ihr Schicksal in ihren kleinen Händen sehen, sowie distanziert von ihren Eltern und Schwestern erlebt Nora eine einsame Kindheit und Jugend, die sie maßgeblich prägen. Die Autorin hat mit Nora eine Figur geschaffen, mit der man einfach mitfühlen muss. Dennoch bleibt sie flüchtig wie ein Geist: geheimnisvoll und irgendwie nicht ganz zu greifen. Ihre wahren Gefühle blieben mir als Leser weitestgehend verschlossen, was der Faszination aber in keinster Weise abträglich war. Übrigens finde ich das Coverfoto hier sehr stimmig zur Beschreibung von Nora: still und nachdenklich, aber auch kraftvoll, willensstark und geheimnisumwittert.

Was mich wirklich begeistert, ist der Schreibstil der Autorin! Ruhig, bildstark und sehr filigran passt diese wunderbar in die Zeit der 60-er Jahre, in der die Geschichte beginnt. Doch es ist auch eine sehr poetische Sprache und beschreibt Personen und Geschehnisse zwar etwas distanziert-verträumt, aber trotzdem stets mit wenigen Sätzen punktgenau. Einfache, aber wahre Lebensweisheiten sind wunderbar eingewoben und ließen mich immer wieder innehalten. Häufige Perspektivwechsel und ein paar mysteriöse Todesfälle verleihen der Geschichte eine weitere interessante Facette. Auch die starke Liebe zum Meer, der Respekt vor der Natur, den Elementen und der unzähmbaren Gewalt des Ozeans spürt man auf jeder Seite. Man schmeckt fast schon das Salzwasser auf den Lippen und hört die Möwen über sich kreischen...
Ein Namensverzeichnis sowie ein Glossar für die Fischerei-Begriffe und italienischen Bezeichnungen wäre hilfreich gewesen, aber mit der Zeit fiel es leichter, die Dorfbewohner namentlich auseinanderzuhalten. Auch hätte ich mir ein Nachwort der Autorin zu diesem Buch gewünscht, um mehr über ihre Motivation und Hintergründe für das Schreiben dieser Geschichte von ihr zu erfahren.

Diese Geschichte umspannt auf nicht einmal 200 Seiten über fünf Jahrzehnte und endet im Jahr 2012. Ganz klar, dass bei diesem Umfang vieles nur an der Oberfläche kratzt. Dennoch ist die Entwicklung sowohl der Insel als auch der Bewohner von den frühen 60er Jahren bis ins Jahr 2012 sehr gut dargestellt. Bereits in den 90er Jahren ist das Mittelmeer tlw. überfischt und es kommen kaum mehr Thunfischschwärme in Katria an. Stattdessen Flüchtlinge auf maroden Booten, sowohl tot als auch lebendig, die das Leben Katrias für immer verändern. Ihre Insel wird zum Auffanglager, Touristen bleiben fern und Thunfische sowieso ... die Lebensgrundlage der Inselbewohner ist zerstört, doch niemand in der Welt draußen interessiert sich wirklich für ihre Sicht, für ihr Schicksal und wie es für sie weitergehen soll. All das erinnert - sicher nicht ungewollt - auch an Lampedusa.

Fazit:
Für mich ein echtes Lese-Highlight, sowohl inhaltlich wie auch besonders wegen der wunderbaren Sprache. Ein sehr lesenswertes Buch mit vielen Facetten, welches noch lange nachklingt. Daher eine absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 09.08.2023
Die letzte Nacht / Georgia Bd.11
Slaughter, Karin

Die letzte Nacht / Georgia Bd.11


sehr gut

Die Kinderärztin und Gerichtsmedizinerin Sara Linton wird in einer dramatischen Nacht in der Notaufnahme des Grady Hospital in Atlanta an ihre schlimmsten Stunden vor fünfzehn Jahren erinnert, als die junge Dani Cooper schwerverletzt eingeliefert wird. Sie flüstert Sara mit ihren letzten Worten zu, was ihr angetan wurde und nimmt ihr das Versprechen ab, den Täter aufzuhalten und seiner gerechten Strafe zuzuführen. Als es drei Jahre später zum Prozess gegen Tommy McAllister kommt, könnte Sara's Zeugenaussage die entscheidende Wendung bringen, doch Tommys Eltern - ebenfalls angesehene Ärzte und Sara aus der gemeinsamen Vergangenheit wohlbekannt - sind reich und haben viel Einfluss. Da die Beweise nicht ausreichen, bleibt Sara nichts anderes übrig, als mit ihrem Verlobten - GBI Special Agent Will Trent und dessen Partnerin Faith Mitchell - tiefer zu graben und sich ihren finsteren Dämonen zu stellen, um ihr Versprechen an Dani Cooper einlösen zu können.

Was mir gut gefallen hat:
Für mich ist es der erste Roman von Karin Slaughter. Ich kenne daher die Vorgeschichte von Sara Linton und Will Trent nicht, die aus nun elf Bänden der "Georgia-Reihe" besteht. Trotzdem bin ich mühelos mitgekommen, da die Wissenslücken zur Vorgeschichte von Sara und Will im vorliegenden Buch clever geschlossen werden. Die Hauptprotagonisten haben interessante Ecken und Kanten (und davon nicht wenige) und waren mir schnell sympathisch,
so dass ich mich gut in sie einfühlen und mitfühlen konnte. Gerade die persönlichen Interaktionen und Verbindungen mit- und untereinander gefiel mir gut (wenngleich ich es tlw. etwas übertrieben fand, wenn es um Faith als kontrollliebende Löwenmutter ging).
Der Fall war gut aufgebaut und logisch strukturiert, ein Puzzle-Teil nach dem anderen wurde hinzugefügt, bis man das Gesamtbild erkennen konnte.

Was mir weniger gefallen hat:
Eins habe ich wirklich vermisst: SPANNUNG! Das vielversprechende Cover verspricht hier einen Thriller, doch ein Thriller lebt von Action, von dicht aufeinander folgenden nervenzerfetzenden Situationen. Das ist bei diesem Buch leider einfach nicht der Fall! Es ist ein (sehr guter) Krimi, der Stück für Stück in einer Aneinanderreihung endlos langer Diagloge bereits geschehene Taten und einen aktuellen Fall aufdröselt, um den Tätern das Handwerk zu legen. Will und Faith tun nichts anderes, als (hauptsächlich) miteinander und zwischendurch mit einem Angehörigen eines Opfers, einer weiteren Betroffenen und mehreren Verdächtigen zu reden. Mit Ausnahme der dramatischen Einstiegsszene in der Notaufnahme flackert erst wieder ab Seite 450 etwas Spannung auf, als Will und Jeremy in der Bar auf den V-Club treffen, doch auch hier: Spannung Fehlanzeige. Das Finale war durchaus smart und überraschend, doch auch hier hatte ich nicht das Gefühl, es vor Spannung kaum mehr auszuhalten.
Die Thematik Vergewaltigung, Gewalt gegenüber Frauen, Incel und Me-too ist natürlich aktuell wie nie und wird hier gut transportiert.

Fazit:
Ein solider Krimi - zweifellos sehr gut geschrieben incl. einem gewollt-hardboiled Touch sowie interessanten Charakteren - aber eben mit enormen Längen, teilweise ermüdenden Dialogen und kaum Action, welcher erst im letzten Fünftel langsam an Fahrt aufnimmt. Treue Fans der Autorin kommen auch hier sicher wieder voll auf ihre Kosten. Die Kriterien für einen Thriller erfüllt dieses Buch meiner Meinung nach aber nicht.