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bedard

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Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 12.03.2024
Geordnete Verhältnisse
Lux, Lana

Geordnete Verhältnisse


ausgezeichnet

Eskalation einer toxischen Beziehung
Philipp ist in der dritten Klasse und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich einen Freund zu haben. Er ist wegen seiner roten Haare, seiner Inkontinenz und seiner alkoholkranken Mutter ausgegrenzt. Sein Wunsch geht in Erfüllung, als Faina in seine Klasse kommt. Sie stammt aus der Ukraine, beherrscht die deutsche Sprache noch nicht gut und hat ebenso wie er rote Haare. Als Faina richtig in Deutschland angekommen ist, reicht ihr die ausschließliche Beziehung zu Philipp nicht mehr und sie sucht Kontakt zu anderen Gleichaltrigen. Philipp kommt damit nicht zurecht und ihm zuliebe schränkt sie ihre Kontakte ein. Schließlich wohnen beide sogar zusammen, sind aber kein Liebespaar. Dann geschieht etwas und es kommt zum Bruch.
Als Faina schwanger und mittellos bei Philipp vor der Tür steht, bietet er ihr sofort seine Hilfe an.

Der Roman ist in drei Teile gegliedert: Philipp, Faina und Faina und Philipp. Zu Beginn lernt man daher nur Philipp kennen, zunächst als ausgegrenztes Kind, das verzweifelt einen Freund sucht und später als wohlhabender Mittzwanziger, der erneut eher isoliert zu sein scheint. Obwohl man zumindest mit dem Kind Mitleid empfindet, wirklich sympathisch ist der Charakter auch in dieser Phase nicht.
Faina bleibt noch unscharf, aber interessant. Sie ist das Flüchtlingskind, das sich in einem fremden Land neu orientiert und einlebt. Anfangs unsicher, dann zunehmend selbstbewusst und offen für neue Erfahrungen. Ihr familiärer Hintergrund ist ebenfalls schwierig, und tatsächlich trifft sie nicht immer die besten Entscheidungen.
Im dritten Teil geht es dann um die gemeinsame Zeit in Berlin, beginnend in der letzten Hälfte der Schwangerschaft. Die Gegensätze und unterschiedlichen Erwartungen werden immer deutlicher, die Konflikte nehmen zu.
Spätestens jetzt zeichnet sich ab, dass die Beziehung zwischen den Beiden auf eine Katastrophe zusteuert. Als Leser*in hofft man, dass der Absprung noch rechtzeitig geschieht, auch wenn die Eskalation das nicht erwarten lässt.

Mich hat dieser Roman nachhaltig beeindruckt, auch wenn er vielleicht ein wenig überfrachtet ist. Es werden so viele verschiedene Themen bearbeitet, die deutlich mehr Raum verdient hätten. Insbesondere das Ende empfand ich als zu komprimiert. Trotz dieser Einschränkung ist „Geordnete Verhältnisse“ sowohl sprachlich als auch inhaltlich absolut empfehlenswert.

Bewertung vom 20.02.2024
Die Spiele
Schmidt, Stephan

Die Spiele


ausgezeichnet

Informativer und anspruchsvoller Politkrimi
Der Journalist Thomas Gärtner steht noch am Anfang seiner Karriere, als er in Mosambik zufällig auf eine Demonstration ehemaliger Vertragsarbeiter aus der DDR trifft. Dabei lernt er den charismatischen Charles Murandi kennen, der ihn über die Hintergründe aufklärt. Diese Begegnung bedeutet einen Wendepunkt im Leben des Journalisten. Immer wieder trifft er im Laufe der Zeit auf Murandi, der von einem um seinen Lohn betrogenen Vertragsarbeiter zum einflussreichen IOC Funktionär wird und knapp 30 Jahre später in Shanghai dabei ist, als das Olympische Komitee über die Vergabe der olympischen Spiele entscheiden wird. Doch Murandi wird ermordet und Thomas Gärtner, der sich sein Visum erschlichen hat, ist der Hauptverdächtige.
Sehr schnell schaltet sich das deutsche Konsulat ein und auch die Kanzlerin wird involviert, für die die Bewerbung um die olympischen Spiele ein unspektakulärer Routinetermin am Ende ihrer Karriere sein sollte.
Obwohl der Autor ausdrücklich darauf hin weist, dass der Roman und alle darin vorkommenden Personen Fiktion ist, lassen sich einzelne Personen und auch Geschehnisse unschwer identifizieren.

Shanghai, das politische System und die Strukturen innerhalb der Behörden sind sehr detailliert und nachvollziehbar beschrieben. Überwachung und Kontrolle, Rücksichten, die genommen werden müssen, das Taktieren im diplomatischen Umgang – diese Beschreibungen zeugen von sehr guter Kenntnis der aktuellen politischen Situation und hinterlassen ein beklemmendes Gefühl. Auch die Ein-Kind-Politik Chinas in der Vergangenheit und die heutige Bedeutung Chinas in der Welt spielen eine Rolle, ohne das der Roman überfrachtet wird.

Die Zeitsprünge umfassen manchmal Jahrzehnte, dann 1 oder 2 Tage vor oder nach dem Mord oder auch nur wenige Stunden innerhalb eines Tages. Auch die Ortswechsel sind sprunghaft angelegt. Dies erfordert schon etwas Aufmerksamkeit, trägt aber zur Erhaltung des Spannungsbogens bis zum Ende des Romans bei. Das ist sicher auch dem wirklich gut lesbaren Schreibstil geschuldet und den gut herausgearbeiteten Charakteren. Wirkliche Sympathieträger oder Identifikationsfiguren gibt es allerdings nicht.

Wer einen spannenden, gut geschriebenen Krimi mit fundiertem politischem Hintergrundwissen lesen möchte, dem ist dieser Roman absolut zu empfehlen.

Bewertung vom 11.02.2024
OUTLIVE
Attia , Peter

OUTLIVE


sehr gut

Gesund alt werden - ein unterhaltsam geschriebenes Sachbuch

Outlive von Peter Attia ist mit 640 Seiten ein echtes Schwergewicht. Obwohl es sich um ein Sachbuch handelt, ist es durch viele persönliche Erfahrungsberichte und Beispiele aufgelockert und überwiegend leicht lesbar. Lediglich in den Teilen, die sich explizit mit Krankheitsbildern, Forschungsergebnissen und daraus resultierenden Schlussfolgerungen befassen, ist das Buch für medizinische Laien möglicherweise etwas trocken zu lesen.

In der sehr ausführlichen Einführung schildert Dr. Attia seinen Werdegang und die daraus resultierende Motivation, Krankheiten durch frühzeitige Intervention und Verhaltensänderungen möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. In erster Linie geht es dabei um Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs und Demenz. Er zeigt die bekannten Zusammenhänge von ungesundem Lebensstil und dem Entstehen dieser Krankheiten auf. Gesunde Ernährung und Bewegung, aber auch das Einbeziehen der seelischen Gesundheit werden als die Grundpfeiler eines langen, gesunden Lebens genannt.
Mit einigen Einschränkungen lassen sich die grundsätzlichen Informationen auch auf die deutsche Bevölkerung und das deutsche Gesundheitswesen übertragen. Allerdings sind etliche Vorsorgeuntersuchungen schon seit vielen Jahren Standard und längst nicht mehr unumstritten. Kritisch ist auch die Empfehlung zu betrachten, Medikamente wie Metformin oder Rapamycin einzunehmen, da diese nicht unerhebliche Nebenwirkungen haben können.

Trotzdem ist Outlive ein empfehlenswertes Buch, da es die Zusammenhänge gut erklärt und damit eher Verhaltensänderungen anregt als die bloße Aufforderung, sich gesünder zu ernähren und mehr zu bewegen.

Bewertung vom 28.01.2024
Zero Days
Ware, Ruth

Zero Days


sehr gut

Etwas vorhersehbar, aber trotzdem unterhaltsam

Jack und Gabe Cross sind nicht nur miteinander verheiratet, sie sind auch beruflich Partner. Gemeinsam spüren sie Sicherheitslücken in Unternehmen auf. Während sie physisch in die Gebäude und Sicherheitssysteme eindringt, hackt er sich ganz legal in die Datenbanken ein. Doch dann wird er ermordet und sie gilt als Hauptverdächtige. Um sich zu entlasten, muss sie untertauchen und den Mörder ihres Mannes finden.

Der Roman erfindet das Thrillergenre nicht neu, ist aber durchaus unterhaltsam und spannend zu lesen. Jack ist zwar eher eine Superheldin und damit etwas übertrieben charakterisiert, trotzdem ist es interessant, etwas mehr über das Arbeitsfeld der Pentester zu erfahren. Gleichzeitig macht es auch nachdenklich, wie viele Daten und Informationen wir unabsichtlich ständig preisgeben und welche Gefahren damit verbunden sind.

Und auch wenn es sich relativ früh abzeichnet, warum Gabe ermordet wurde und wer damit zu tun hat, man sollte trotzdem bis zum Ende weiterlesen.

Mein Fazit: ein unterhaltsamer, leicht lesbarer Thriller mit aktuellem Bezug und etwas zu eindimensionalen Charakteren. Ideal für ein verregnetes Wochenende. Kann man, muss man aber nicht lesen.

Bewertung vom 12.01.2024
Stille Falle / Leo Asker Bd.1
Motte, Anders de la

Stille Falle / Leo Asker Bd.1


ausgezeichnet

Gelungener Beginn einer neuen skandinavische Krimireihe

Smilla und Mansur sind Urban Explorer, Lost Places faszinieren sie. Jetzt haben sie einen Tipp für eine ganz besondere Höhle bekommen, die sie erkunden wollen. Ein letztes Foto auf Instagram, und dann verliert sich ihre Spur.

Da Smilla aus einer wohlhabenden, einflussreichen Familie stammt, wird sofort die Abteilung für Schwerverbrechen in Malmö eingeschaltet. Kriminalinspektorin Leonore Asker rechnet fest damit, nicht nur diese Ermittlung zu leiten, sondern auch zur Leiterin der Abteilung befördert zu werden. Doch es kommt anders. Sie wird zwar befördert, aber ihr wird die Ermittlung entzogen und sie landet im Keller als Leiterin der völlig unbekannten Abteilung für besondere Fälle. Dort arbeiten höchst exzentrische Kolleg*innen, die wenig miteinander zu tun haben und nur schwer einzuschätzen sind. Zutiefst verletzt und wütend stößt Leo durch Zufall auf Informationen, die mit dem Verschwinden der beiden jungen Leute zu tun haben. Obwohl ihr jegliche Einmischung in den Fall untersagt wurde, beginnt sie eigenständig zu ermitteln.

Mit Leonore Asker hat der Autor eine Figur geschaffen, die sehr facettenreich ist. Sie hat eine extrem ungewöhnliche Jugend erlebt, ist clever und eigenwillig. Gleichzeitig ist sie unsicher und verletzlich. Die anderen Kolleg*innen der neuen Abteilung sind skurril oder zumindest schwer einzuordnen. Die Grundidee erinnert zwar an eine bekannte andere Krimireihe, aber die Ausgestaltung drückt der Geschichte einen eigenen Stempel auf.

Auch wenn Anders de la Motte viele Ideen und Stilmittel einsetzt, die versierte Krimileser*innen bereits kennen, die Mischung macht diesen Roman trotzdem lesenswert. Rückblenden werden genau richtig platziert, um den Lesefluss nicht zu stören, im Gegenteil, die Spannung wird dadurch nur noch gesteigert. Und auch wenn man sich nicht für Urban Exploring interessiert, die Art wie das Thema beschrieben ist, macht die Faszination für diese verlassenen Orte nachvollziehbar.

Insgesamt gehört dieser Krimi zum Besten, was ich in letzter Zeit in diesem Genre gelesen habe. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 13.12.2023
Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1
Skybäck, Frida

Schwarzvogel / Fredrika Storm Bd.1


gut

Serienauftakt mit interessantem Ermittlerduo, aber zu wenig Krimispannung

Im Auftakt der Krimireihe um Fredrika Storm muss diese gleich am ersten Arbeitstag in ihrer neuen Dienststelle in ihrem Heimatdorf ermitteln. Eine junge Frau ist anscheinend auf den zugefrorenen See geflüchtet, ins Eis eingebrochen und ertrunken.
Fredrika wird der Fall vor allem deshalb übertragen, weil sie über Ortskenntnisse verfügt. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Henry Calment muss Fredrika auch innerhalb ihrer eigenen Familie unangenehme Fragen stellen. Dabei rücken Themen aus der Vergangenheit in den Vordergrund, die eine objektive Ermittlung zusätzlich erschweren.

Die Vielzahl an Personen und familiären Verflechtungen erfordern gerade zu Beginn viel Aufmerksamkeit und stören sowohl den Lesefluss als auch den Spannungsaufbau etwas. Trotzdem lässt sich der Roman auch aufgrund der kurzen Kapitel gut lesen.
Die Annäherung des sehr gegensätzlichen Ermittlerteams ist gut herausgearbeitet und glaubwürdig beschrieben. Insbesondere Henry Calment ist ein sehr interessanter, vielschichtiger Charakter. Im Zusammenspiel mit Fredrika Storm hat das für den nächsten Band wirklich Potential.
Aber auch die meisten anderen Charaktere haben im Laufe des Romans an Kontur gewonnen.

Ein Fazit fällt mir tatsächlich schwer, weil der Krimi ein typischer Serienauftakt ist, in dem Charaktere eingeführt werden. Hilfreich wäre in diesem Fall aber tatsächlich ein vorangestelltes Personenregister gewesen. So musste ich mehrfach Personen neu zuordnen.
Die familiären Verstrickungen der Hauptperson waren mir zu bestimmend für einen Krimi. Empfehlen würde ich Schwarzvogel Leser*innen, die persönliche Verwicklungen der Ermittler*innen in Krimis mögen und die einen langsamen Spannungsaufbau schätzen.

Bewertung vom 16.11.2023
Herzsprechstunde
Eifert, Sandra;Kirschner-Brouns, Suzann

Herzsprechstunde


ausgezeichnet

Gute Einführung für interessierte medizinische Laien

Gendermedizin ist in letzter Zeit zunehmend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten und hat hoffentlich besonders auch in Arztpraxen Einzug gehalten. Die beiden Autorinnen der „Herzsprechstunde“ geben ihr medizinisches Wissen in gut verständlicher und weitestgehend leicht lesbarer Sprache an interessierte Laien weiter.

Auf knapp dreihundert Seiten erfährt man zunächst grundsätzliches über das Organ und seine Funktionsweise, den Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Herz sowie die Diagnostik von Herzerkrankungen. Danach wird dezidiert auf den Einfluss von Hormonen und die besonderen Belastungen für das weibliche Herz in Schwangerschaft und Menopause eingegangen. Auch die große Bedeutung von emotionalen Stressfaktoren werden genauer benannt. Nach der Behandlung von weiblichen Herzerkrankungen widmen sich die Autorinnen ausführlich dem Thema Erhaltung der Herzgesundheit bei Frauen.

Neben eher trockenen Definitionen, Tabellen, Diagrammen und einigen Abbildungen gibt es auflockernde Einschübe (my take), die das Lesen sehr angenehm machen.

Aus familiären Gründen habe ich mich recht ausführlich mit dem Thema Herzkrankheit und Medikation befasst und trotzdem habe ich einige überraschende Dinge gelernt. Besonders beeindruckt haben mich ausschließlich weibliche Risikofaktoren für Herzerkrankungen, die ich nie in Zusammenhang gebracht hätte. Viele Tipps sind auch allgemein nützlich, z.B. die Vorbereitung auf Arztgespräche, um eine gute Diagnose und Behandlung zu bekommen.

Empfehlen würde ich das Buch eher Laien mit einem Grundwissen und Interesse an Humanbiologie und dem Zusammenspiel von Körper und Seele. Einzelne Kapitel kann man sicher auch als Nachschlagewerk immer wieder nutzen.

Bewertung vom 12.11.2023
Und wir tanzen, und wir fallen
Newman, Catherine

Und wir tanzen, und wir fallen


ausgezeichnet

Viel zu früher endgültiger Abschied
Bereits im Kindergarten hat die Freundschaft zwischen Edi und Ash begonnen. Jetzt sind die beiden Freundinnen Mitte vierzig und Edi ist unheilbar krank. Die letzte Phase ihres Lebens verbringt sie im Hospiz, ganz in der Nähe von Ashs Zuhause und weit entfernt von ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn, zu denen sie aber digital soviel wie möglich Kontakt hält. Dafür verbringt Ash täglich viel Zeit bei Edi im Hospiz.

Die Ich-Erzählerin Ash gibt Einblicke in die gemeinsame Geschichte der Freundschaft und die Höhen und Tiefen, durch die die Freundinnen in ihrem Leben gemeinsam gegangen sind. Sie beschreibt das Leben und Sterben im Hospiz in all seinen Facetten: Lachen, Freude, Leid, Schmerzen und Trauer. Besonders berührend sind die vielen kleinen Momente, in denen es den engagierten Helfer*innen und Angehörigen gelingt, den sterbenden Menschen eine Freude zu bereiten. Aber die Autorin beschönigt auch nicht.

Ashs Leben außerhalb des Hospizes wird zunehmend komplizierter, sie ist sichtlich mit der Situation überfordert. Dabei erfährt sie ausgesprochen viel Unterstützung, nicht nur durch ihre fast erwachsene Tochter, die viel Verständnis für die emotionale Schieflage ihrer Mutter aufbringt.
Ein bisschen zu kurz kommt dabei vielleicht Edis Geschichte, die hier aufgrund der Erzählperspektive im Hintergrund bleibt.

Trotz des ernsten Themas lässt sich der Roman eher leicht lesen und er ist auch nicht übermäßig emotional. Die Atmosphäre im Hospiz und die Ausnahmesituation, in der sich Angehörige befinden,
ist sehr realistisch dargestellt. Auch das Ende konnte mich im Großen und Ganzen überzeugen.

Empfehlenswert ist Catherine Newmans Roman für Leser*innen, die eine gewisse Distanz zum Thema haben und auch unkonventionelle Reaktionen in belastenden Lebensphasen akzeptieren können. Abraten würde ich all jenen, denen das Thema zu nahe geht und die aufgrund des Klappentextes ein stärkeres Gewicht auf Edis Lebensgeschichte erwarten.

Bewertung vom 23.07.2023
Die Affäre Alaska Sanders
Dicker, Joël

Die Affäre Alaska Sanders


ausgezeichnet

Gelungener Schmöker
Der Ich-Erzähler Marcus Goldman, erfolgreicher Schriftsteller und fiktiver Autor von „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, trifft 2010 erneut auf den damals ermittelnden Sergeant Perry Gahalowood. Beide verbindet tatsächlich so etwas wie Freundschaft, auch wenn der Polizist das so nicht formulieren würde.
Marcus Goldman hat seinen Platz im Leben trotz des Erfolges noch nicht gefunden. Als Gahalowood berechtigte Zweifel an der Korrektheit einer Ermittlung im Jahr 1999 kommen, lässt Goldman sich bereitwillig auf die erneute Zusammenarbeit mit dem Sergeant ein.
Damals wurde Alaska Sanders in der Kleinstadt Mount Pleasant ermordet aufgefunden und der Fall relativ schnell aufgeklärt. Doch je länger sich die beiden Männer mit dem Fall befassen, desto mehr Ungereimtheiten treten zu Tage.

Wie bereits in den früheren Romanen von Joel Dicker braucht man Geduld und muss sich auf die ausschweifende und wendungsreiche Erzählweise einlassen. Die Geschichte springt zwischen 1999 und 2010 hin und her. Durch entsprechende Kapitelüberschriften ist es aber kein Problem, dem zu folgen. Dazu kommen viele verschiedene Personen und Orte, die nicht nur mit dem eigentlichen Kriminalfall zu tun haben. Auch das Privatleben, insbesondere von Marcus Goldman, spielt immer wieder eine Rolle. In diesem Zusammenhang wird auch auf ein weiteres Buch von Joel Dicker angespielt, in dem Goldman vorkommt: „Die Geschichte der Baltimores“. Tatsächlich ist es aber nicht unbedingt erforderlich, die beiden anderen Romane zu kennen.

Die Affäre Alaska Sanders ist mit ca. 580 Seiten im positiven Sinne ein Schmöker. Es braucht seine Zeit und vielleicht ist nicht alles ganz logisch, aber man wird gut unterhalten. Und auch wenn man glaubt, die Auflösung zu kennen, gibt es immer noch eine neue Wendung.

Bewertung vom 23.07.2023
Elternhaus
Mank, Ute

Elternhaus


ausgezeichnet

Kompliziertes Geschwisterverhälnis und der endgültige Abschied von der Kindheit

Sanne ist die älteste von drei Schwestern. Als einzige ist sie in ihrem Geburtsort geblieben, hat dort geheiratet, ein Haus gebaut und zwei inzwischen erwachsene Kinder großgezogen. Sie kümmert sich um die Eltern, die in einem kleinen, aber selbstgebauten Haus in der Nähe wohnen. Und sie ist es auch, die sich um eine altersgerechte Wohnung und den Umzug der Eltern kümmert.
Petra ist die mittlere, weit entfernt alleinlebende Schwester, die nur sporadisch zu Besuch bei den Eltern ist. Sie hat als einzige studiert, der Beruf ist ihr Lebensmittelpunkt, seit Jahren hat sie eine Beziehung mit einem verheirateten Mann.
Und dann ist da noch Gitti, die Jüngste. Momentan hat sie einen Blumenladen und ist damit absolut zufrieden. Sie lebt seit Jahren mit ihrem Freund und ihrem Sohn in einem bescheidenen Haus, dem Elternhaus nicht unähnlich.

In Ute Manks Roman Elternhaus geht es zwar auch um die Sorge um die altgewordenen Eltern, die Umkehr der Rollen, wenn Kinder Entscheidungen für die Eltern treffen müssen. In erster Linie geht es aber um die Bedeutung des Elternhauses für die Kinder, unabhängig von deren Alter und die Rollenzuweisung innerhalb der Familie, die nur schwer abzustreifen ist.
Im Mittelpunkt steht dabei über weite Strecken Sanne, die Entscheidungen ohne Absprache trifft, wenig Zweifel an deren Richtigkeit zulässt. Sie handelt, packt zu, organisiert. Das entspricht ihrer Rolle und ihrem Selbstverständnis. Aber diese Fassade bröckelt, da ihr Verhalten zu Konflikten führt und immer mehr Bestandteile ihrer bisherigen Rolle wegfallen.
Petra hingegen weiß lange Zeit gar nichts vom Umzug der Eltern, da sie ein sehr distanziertes Verhältnis zu ihrer Familie hat. Sie ist die Außenseiterin, die gelegentlich zu Besuch kommt, fast wie eine Fremde. Über ihr recht einsames Privatleben weiß die Familie nichts. Niemand wäre auf die Idee gekommen, wie wichtig ihr ihr Elternhaus tatsächlich ist. Und auch Petra befindet sich in einer Zeit des Umbruchs, der vielleicht nicht nur zufällig mit dem Verlust des Elternhauses zusammenfällt.
Gitti fällt aus dieser Dreier-Konstellation ein bisschen raus, ist aber trotzdem wichtig. Und auch sie wehrt sich gegen die nur von ihr wahrgenommene zugewiesene Rolle.

Für mich hat sich im Laufe des Romans nicht nur die Rolle der Personen geändert, sondern auch meine Einstellung ihnen gegenüber. Sanne war mir zu Beginn eher unsympathisch, dann habe ich Mitleid empfunden.
Besonders gut gelungen fand ich auch die abweichenden Erinnerungen und Einordnungen an Begebenheiten als Stilmittel. Während die eine etwas als unproblematisch beschreibt, erinnert die andere sich an einen stillen Kampf.
Das Ende empfand ich in jeder Hinsicht als versöhnlich, auch wenn es kein klassisches Happy End ist. Ein positiv gestimmter Blick nach vorne.

Empfehlenswert ist dieser Roman für Menschen, die gerne Familiengeschichten mit ernsterem Hintergrund lesen. Am meisten können vermutlich Frauen damit anfangen, die mit Geschwistern aufgewachsen sind und deren Verhältnis zueinander nicht immer einfach war. Und natürlich auch Menschen, bei denen das Kümmern um die alten Eltern eine Rolle spielt. Vielleicht aber nicht gerade dann, wenn das Problem aktuell ist.