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Benutzername: 
Andrea
Wohnort: 
München

Bewertungen

Insgesamt 15 Bewertungen
12
Bewertung vom 05.01.2024
Himmelfahrt
Binge, Nicholas

Himmelfahrt


ausgezeichnet

Das Buch beginnt anders als von mir angenommen nicht gleich mit dem geheimnisvollen Berg, der mitten im Pazifik aus dem Nichts auftaucht, sondern mit einem Pflegeheim, in dem ein älterer Brite seinen seit vielen Jahren verschollenen Bruder Harold wiederfindet.
Bei seinen Besuchen fällt ihm ein Stapel Briefe in die Hände, die merkwürdigerweise an seine Tochter Hattie adressiert sind. Natürlich liest er sie, da sein Bruder nie den Eindruck gemacht hatte, sich viel für den Rest der Familie zu interessieren und es erscheint nun merkwürdig, dass er ausgerechnet seiner Nichte schreiben würde.
Wie sich bald herausstellt, sind diese Briefe eigentlich ein Tagebuch und damit beginnt die eigentliche, sehr spannende Geschichte.

Harold war vor vielen Jahren Mitglied einer Expedition aus Wissenschaftlern und Geheimdienst/Militär, die zu einem plötzlich im Ozean aufgetauchten gigantisch großen Berg führte.
Er leidet neben der körperlichen Anstrengung insbesondere daran, dass seine Ex- Frau Naoko auf dieser Expedition dabei ist und der Leser erfährt erst nach und nach, warum ihr Verhältnis so zerrüttet und schwierig ist.
Durch die niedrige Sicherheitsfreigabe weiß anfangs keines der Mitglieder, worauf sie sich eingelassen haben, aber schnell wird klar, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht und die Expeditionsleiter mehr wissen, als sie zu sagen bereit sind. Das wirkt sich bald äußerst negativ auf die Gruppe aus, als sie von etwas Nichtmenschlichem attackiert wird.

Gleichzeitig nehmen Zeit- Anomalien zu und als Harold ein wichtiges Geheimnis entdeckt, das sie dem Gipfel näherbringen könnte, überschlagen sich die Ereignisse.

Mir hat das Thema von Anfang an gefallen, denn ein Berg, den niemand vorher je gesehen hat und der plötzlich auf dem Radar auftaucht, klingt spannend.
Ich war sofort im Lesefluss, der Stil ist eingängig und flüssig und für mich kam an keiner Stelle Langweile auf.
Durch die wiederkehrenden Rückblenden erfährt man nach und nach auch den Grund für Harolds besondere Art und seine Beziehung zu Naoko.
Die Charaktere werden tiefgründig dargestellt und ich habe jeden vermisst, der ein unschönes Ende fand- was im Lauf der Expedition nicht wenige waren.
Gegen Ende nimmt die Handlung rasant an Fahrt auf, aber die Action- Szenen passen gut in den Lesefluss und wirken nicht reißerisch oder überzeichnet.

Das Ende... ich werde es natürlich nicht verraten, aber es hat mich dennoch überrascht. Ich hatte mit etwas ganz anderem gerechnet und bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich damit glücklich bin.
Man kann es auf zwei Arten interpretieren und ich glaube, genau das ist die Absicht des Autors, aber hier habe ich auch meine einzigen Kritikpunkt anzubringen: es kam mir zu schnell und wirkte auf mich zu kurz und abrupt im Verhältnis zu der großen, spannenden Geschichte, durch die mich das Buch getragen hat.

Mein Fazit: ein wirklich lesenswerter Roman, der neue und spannende Ansätze hat, die ich so noch nicht gelesen habe und der mir viel Freude bereitet hat.
Vor allem die Geschehnisse rund um die Zeit- Anomalien fand ich sehr interessant, auch wenn bei mir noch einige Fragen offenbleiben.
Aber Nachdenken über ein Buch schadet ja nie und das ist dem Autor gelungen anzuregen!

Bewertung vom 04.10.2023
12 Gesetze der Dummheit
Beck, Henning

12 Gesetze der Dummheit


ausgezeichnet

Der Titel klingt auf den ersten Blick lustig, aber das Buch ist keineswegs eine witzige Ansammlung von menschlichen Dummheiten, sondern eine fundierte wissenschaftliche Lektüre.
Der Autor spricht direkt zum Leser und gibt auch einiges von sich selbst preis, was das Ganze auflockert und damit weit weg von einem trockenen Fachbuch ist.
Die Kapitel behandeln nicht nur Irrtümer, die Menschen weltweit begehen, sondern beleuchten auch die Eigenarten der verschiedenen Länder und Kulturen, zeigen Fallbeispiele, einiges an Statistiken und auch etliche interessante Lösungsmöglichkeiten.
Was man allgemein unter "Dummheit" zusammenfasst, ist wesentlich vielschichtiger und mir sind beim Lesen einige Zusammenhänge klargeworden, z.B. warum Menschen bestimmte Entscheidungen immer wieder treffen, obwohl sie es besser wissen oder warum man gegen manchen Fehler aus neurologischer Sicht einfach nicht ankommt, denn es ist so in uns angelegt.
Auch die Politik wird seziert und ich habe einiges besser verstanden, was vorher nur Kopfschütteln verursacht hat- denn auch hinter großen und wichtigen Dingen stehen Menschen, die manchmal einfach nicht aus ihrer Steinzeit- Haut können und wider besseren Wissens entscheiden.
Es hat mich erstaunt, wieviel in uns allen einfach als "Standardeinstellung" gesetzt ist, mich zum Teil selbst ertappt, dass mir dies oder jenes schon genau so durch den Kopf gegangen ist und ich nicht wusste, warum ich mich nicht dagegen wehren konnte.
Für mich ein sehr spannendes Sachbuch, das mit den Unterschied zwischen dummen und klugen Ansichten und Entscheidungen so gut gezeigt hat, dass ich in Zukunft öfters darin nachschlagen werde.

Bewertung vom 30.08.2023
So weit der Fluss uns trägt
Read, Shelley

So weit der Fluss uns trägt


ausgezeichnet

Das Buch hat mich von Anfang an gefesselt- zuerst war ich etwas skeptisch, da bereits auf den ersten Seiten einer wichtigen Wendung vorgegriffen wird, aber sobald man die Hauptheldin, Victoria Nash, näher kennelernt, möchte man unbedingt wissen, wie es weitergeht und warum es zu den angekündigten Ereignissen kommt.
Für einen in der heutigen Zeit lebenden Menschen scheinen einige Reaktionen oder Handlungen vielleicht seltsam, da wichtige Dinge oft unausgesprochen bleiben und manchmal wollte ich Victoria, den geheimnisvollen Wil oder ihren Vater direkt anschieben und rufen "Sag's doch!"
Im Lauf der Geschichte habe ich jedoch verstanden, dass diese teilweise enervierende Sprachlosigkeit der Härte des damaligen Lebens, den strengen Moralvorschriften und der sozialen Kontrolle einer Kleinstadt geschuldet sind und perfekt zu Zeit und Ort passen.

Sehr positiv aufgefallen ist mir auch die Sprache des Buches- schöne Sätze, die teils mit ungewöhnlichen Formulierungen etwas beschreiben und dadurch sehr kraftvoll wirken.
An der Stelle möchte ich die sehr gute Übersetzung loben, da ich das Buch ja auf Deutsch gelesen habe und das englische Original nicht beurteilen kann.
Man schmeckt die Pfirsiche, die eine immens wichtige Rolle spielen, man wähnt sich am Ufer des Flusses, der sich durch als wichtiger Anhaltspunkt durch das ganze Buch zieht, man hat das Gefühl, die Härte der Jahreszeiten und die täglichen Arbeiten auf der Farm hautnah mitzuerleben.

Obwohl streckenweise "nur" der Alltag in den späten 40er- Jahren des vorigen Jahrhunderts beschrieben wird, haben mich auch diese Stellen gefesselt und ließen mich den Leuten nahe fühlen und teils wirklich froh darüber sein, im Heute leben zu dürfen.
Umso mehr litt ich dann mit Victoria, als ihr Leben durch die Ankunft des fremden Jungen namens Wilson Moon gehörig auf den Kopf gestellt wird und sie Entscheidungen trifft, die ich zwar nicht alle nachvollziehen, aber durch die sehr anschaulich beschriebene Zeitperiode doch verstehen konnte, denn viele Dinge waren damals einfach anders und mussten so gemacht oder ertragen werden.

Knapp in der Hälfte des Romans gibt es einen Bruch, der Victorias Jugend von ihrem späteren Leben trennt und ich hatte zuerst wie sie ein Problem, mich in die neue Situation einzuleben.
Das hat die Autorin also hervorragend gelöst und ich wollte unbedingt wissen, wie es mit Victoria und der Farm weitergeht und habe mir für sie besonders gegen Ende des Buches wirklich von Herzen ein schönes Ende ohne Kitsch gewünscht.
Natürlich verrate ich nicht, was ihr im Detail passiert ist, um die Spannung nicht zu nehmen, aber ich kann versichern, dass einen das Buch mit schönen und auch grausamen, traurigen Ereignissen nicht verschont!

Für mich 5 von 5 wohlverdienten Pfirsichen für ein außergewöhnliches Debut!

Bewertung vom 30.08.2023
Der Laden der unerfüllten Träume
Cox, Amanda

Der Laden der unerfüllten Träume


gut

Ich liebe Geschichten aus amerikanischen Kleinstädten, die haben oft so viel Seele! Das habe ich mir auch von diesem Buch versprochen, das alles beinhaltet, was eine spannende und auch emotionale Geschichte verspricht: ein kleiner Laden, der seit zwei Generationen familiengeführt ein wichtiger Bestandteil des Städtchens Brighton ist, nun aber durch die Ausbreitung einer großen Kette vor der Pleite steht.
Die dritte Generation, Sarah, kommt nach dem Tod ihres Mannes wieder nach Hause und ist fassungslos angesichts der Pläne ihrer Mutter, den geliebten Laden gegen den Willen der Großmutter nun doch zu verkaufen.
Ebenso im Spiel: ein fescher Ex- Soldat, zu dem sich Sarah hingezogen fühlt, deren Ehe wohl doch nicht so perfekt war, wie alle glaubten, ein Geheimnis, das ich hier nicht spoilern will und eine lange vergangene tragische Liebe aus Zeiten des Vietnam- Krieges.
Alles perfekte Zutaten für Drama, Herz, Spannung, Verwicklungen und eine Milieustudie.
Obwohl das alles im Buch stattfindet, bleiben die Figuren für mich teilweise zu blaß. Jede der Heldinnen überlegt, grübelt, plant und denkt nach, aber keine redet mit den anderen und so entstehen seit 3 Generationen Mißverständnisse, Versäumisse, Trauer und Probleme, die relativ einfach hätten vermieden werden können.
Das will ich dem Roman nun nicht grundsätzlich vorwerfen, denn der Plot soll ja Spannung und Drama beinhalten, aber mir hat über längere Strecken Tiefe gefehlt- vieles wird nur angerissen und war mir im Verlauf merkwürdig erschienen. Handeln Leute wirklich so, denen Dinge wichtig sind?
Am Ende wird ziemlich schnell alles aufgelöst, plötzlich reden alle miteinander und eine ganze Reihen von Knoten platzen quasi binnen einiger Seiten.
Das ging mir zu schnell und fühlte mich fast aus der Geschichte hinauskatapultiert, nachdem über viele Seiten das Familiendrama aufgespannt wurde.
Für mich 3 von 5 Punkten, da die Geschichte an sich Basis für eine schöne, spannende und dramatische Familiengeschichte bietet, mich aber teils ratlos und manchmal auch genervt zurückläßt, wenn die Charaktere schwer nachvollziehbar agieren.
Etwas schade auch, daß das Cover aus einer austauschbaren Fotocollage besteht- drei lachende Frauen aus drei Generationen, okay, aber für mich ziemlich zusammenhanglos aus Stock- Medien gewählt, und auch das Foto des Ladens hat nichts mit dem im Buch beschriebenen Geschäft zu tun. Hier hätte eine Illustration vielleicht mehr bewirkt.

Bewertung vom 30.08.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


sehr gut

Nilufar ist Halb- Iranerin und hat noch niemals das Land ihres Vaters besucht.
Dieser war in ihrer Kindheit in sein Heimatland zurückgekehrt, um nach gescheiterten deutschen Geschäftsgründungen im Iran doch noch sein Glück zu finden.
Nun, als Rentner, drängt er seine Tochter, endlich ihn und die gesamte Verwandtschaft in Iran zu besuchen, was bisher sowohl die deutsche Mutter als auch politische Umstände verhindert haben.

Ich habe mit Nilufar mitgefiebert, ob es kompliziert sein würde, eine Einreisegenehmigung zu erhalten und wie sich die Zeit in Iran dann für sie gestalten würde.
Einen Teil der Verwandschaft kannte sie von einigen wenigen, schon länger zurückliegenden Besuchen mit dem Vater und so ist ihre Reise nicht nur ein Wiederfinden der familiären Beziehungen, sondern auch eine Suche nach sich selbst.
Die Zerrissenheit, mit der sich Nilufar offenbar herumschlägt, offenbart sich in selbstzerstörerischen Aktionen in den Berliner U-Bahnen, wenn sie Leute proviziert, um geschlagen zu werden. Diesen Aspekt ihrer Persönlichkeit konnte ich absolut nicht nachvollziehen, insbesondere da sie Psychologie studiert hat. (Oder gerade deswegen??)

In Iran angekommen findet sich Nilufar sofort in den engmaschigen und komplexen Verbindungen der Großfamilie und wird wochenlang weitergereicht, hingefahren, gebracht, geholt und begleitet. Man ist dort nie allein, man hat keinerlei Auszeiten, es herrscht irgendwie immer Aktionismus, obwohl gleichzeitig nicht wirklich etwas zustandegebracht wird.
Die Autorin schafft es, diese für westliche Europäer ziemlich komplizierte, fremde, intensive Welt anschaulich zu beschreiben und ich fühlte mich oft wie sie selbst im Netz der Familie gefangen, die es gut meint, aber es sich durch viele verworrene Streitereien, Abhängigkeiten und Lügen selbst schwer macht.
Anscheinend ist eine iranische Großfamilie nicht nur für Insider recht schwer greifbar!
Frustriert ist Nilufar durch die vielen Regeln für Frauen im öffentlichen Leben, befeuert durch teils falsche Informationen, die Sittenpolizei, die mal wegschaut und dann wieder streng durchgreift und teils widersprüchliche Vorgaben ihrer eigenen weiblichen Verwandten.
Gegen Ende der Reise gipfelt der mehrwöchige Besuch in einer Eskalation mit dem Vater und einer gefährlichen Aktion Nilufars, was ich hier nicht spoilern möchte.
Nach dem Lesen des Buches bleibt ein Beigeschmack von Verwirrung, Zerrissenheit und unbeantworteter Fragen, die sie wieder nach Berlin mit nach Hause nimmt.

Anstrengend fand ich anfangs die verschiedenen Zeitebenen: Nilufar im heutigen Berlin mit ihrer Partnerin, Nilufars Kindheit in Gießen, Erinnerungen des frisch eingewanderten Vaters in den Sechzigern als aufstrebender Ingenieursstudent und zwischendrin in schlechtem Deutsch verfasste sms, die ihr Vater ihr aus Iran schickt, um sie zum Besuchen zu bewegen.
Nach und nach fügten sich auch diese Schnipsel ins Bild, aber Nilufar scheint die Reise in den Iran nicht die Auflösung gebracht zu haben, die man sich für sie wünscht.

Der teils blumige, teils verwirrende Stil läßt manche Frage offen- ist dies wirklich passiert oder ist es nur ein Gedanke, der nicht in die Tat umgesetzt wurde?
Für mich waren diese Passagen manchmal verwirrend, haben aber letztendlich zum Thema des Buches gepasst: die Zerrissenheit der Protagonistin wird hier durch die Wortwahl ausgedrückt und lassen mich teilweise genauso verwirrt zurück, wie sich Nilufar über weite Stellen fühlt.

Fazit: ein durchaus lesenswertes Buch, das keinesfalls der leichte Reisebericht ist, den ich mir anfangs erwartet hatte, aber wenn man die manchmal (für mich zumindest) schwer nachvollziehbaren Passagen akzeptiert, ergibt sich ein ziemlich schlüssiges Gesamtbild, das mir zumindest im Ansatz einiges über diese fremde Kultur beigebracht hat.
Ich gebe 4 von 5 Sternen, ein kleiner Abzug wegen der teils verwirrenden und seltsam ausgedrückten Passagen, mit denen ich nicht sehr viel anfangen konnte, aber ein sehr spannender Bericht über den heutigen Iran und seine Probleme.

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