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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
SusanK
Wohnort: 
Osnabrück

Bewertungen

Insgesamt 191 Bewertungen
Bewertung vom 13.05.2024
Evas Rache / Paul Stainer Bd.4
Ziebula, Thomas

Evas Rache / Paul Stainer Bd.4


ausgezeichnet

Im Jahr 1922 herrscht in Leipzig Ausnahmezustand, denn die Technische Messe zieht Besucher aus aller Welt an. Der erfolgreiche Münchner Professor Armin Dorn will seine bahnbrechende Erfindung zur Lebensmittelkonservierung vorstellen. Doch genau jetzt geht in der Stadt der als "Bestie von Leipzig" titulierte Frauenmörder um und Kommissar Paul Steiner und seine Kollegen tappen im Dunklen; erst als die junge Frau Dorn verschwindet, scheint sich eine Spur aufzutun. Doch welches Motiv hat der vermeintliche Lustmörder wirklich? Und ist Eva-Maria Dorn wirklich nur unschuldiges Opfer? ....

In seiner Reihe um den durch den Ersten Weltkrieg schwer traumatisierten Kommissar Paul Stainer legt der freischaffende Autor Thomas Ziebula nun mit "Evas Rache" den vierten Band vor, der leider auch der letzte sein soll, was ich sehr bedauere. Man kann diesen vierten Band problemlos alleine lesen - wodurch dem Leser oder der Leserin nur der Genuss der tollen Charakterentwicklungen entgeht und weitere spannende Geschichte.

Im Mittelpunkt dieses außergewöhnlichen Kriminalromans, der auf ansprechende Weise in auktorialem Erzählstil verfasst ist, steht die junge Eva-Maria Dorn und nach ihrer Entwicklung sind auch die drei Teile des Buches benannt: Dornröschens Ende, Marias Höllenfahrt und Evas Auferstehung. Und wenn Ziebula auch regelmäßig den Blick wechselt zwischen Eva, Stainer und dem soeben aus der Kriegsgefangenschaft entlassenen Nakaski, gelang ständig eine sichere und kristallklare Zuordnung des Geschehens, das immer neue Wendungen aufnahm. Die Spannung blieb auf hohem Niveau und überzeugte mich durch einen raffiniert angelegten Plot, der alles andere als gewöhnlich ist.

Die Figuren sind mehrdimensional und entwickeln sich im Laufe der Handlung auf beeindruckende Art; dabei ist ihr Handeln absolut authentisch und immer nachvollziehbar und durch ihr Agieren wird die historische Zeit sehr deutlich und nahbar zum Ausdruck gebracht. Selbst die aus den vorhergehenden Büchern bereits bekannten Nebenfiguren sowie die hier neu auftretenden sind mit vielen Details ausgestattet.

Und gerade dies schätze ich bei Thomas Ziebula im besonderen: Er hat - nicht nur über die Polizeiarbeit in der Weimarer Republik - akribisch recherchiert und setzt seine Begeisterung für die Deutsche Zeitgeschichte großartig um. So lebensnah und anschaulich werden auch die zweifelhaften Seiten der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts, die uns meist nur als "die goldenen Zwanziger" präsentiert wird, selten geschildert. Die Nachwehen des Ersten Weltkrieges in ihrer Brutalität, der Wirtschaftsaufschwung, aber auch der immer stärker um sich greifende Nationalsozialismus mit seinen Fanatikern ist Geschichte pur und passt perfekt zu dem brisanten Kriminalfall. Dass Ziebula die Erfindung des Gefrieren von Lebensmitteln zur Haltbarmachung - eigentlich von einem kanadischen Wissenschaftler entdeckt - dem fiktiven Unternehmer und Forscher Armin Dorn andichtet, verzeihe ich gerne. Ergänzen möchte ich an dieser Stelle auch die vielen zeitgeschichtlichen Details, die in die Handlung einfließen wie natürlich die Technische Messe Leipzigs, eine der ältesten Messen der Welt, das Turn- und Sportfest 1922, die "Leipziger Lerchen", eine Zubereitung von Singvögeln, die schon im 19. Jahrhundert verboten wurde und aus denen das heute bekannte Gebäck hervorgegangen ist und vieles mehr. Und auch das aufgezeigte Frauenbild von vor über 100 Jahren ist erwähnenswert.

Deutsche Geschichte, ein spannender, gut konstruierter Krimi mit überraschenden Wendungen und nicht zuletzt Begeisterung für die sächsische Stadt Leipzig mit ihrer Vergangenheit sowie toll herausgearbeiteten Figuren - davon möchte ich noch viel mehr! Mit einem lachenden Auge (wegen des herausragenden Krimis) und einem weinenden (weil Paul Stainers Reise nun zu Ende geht) kann ich diesen Kriminalroman nur wärmstens empfehlen! Und ich hoffe, bald wieder Neues von Thomas Ziebula lesen zu dürfen.

Bewertung vom 28.04.2024
Die kleine Gärtnerei in den Highlands
Lucas, Rachael

Die kleine Gärtnerei in den Highlands


sehr gut

Jack MacDonald, selbst mit einer düsteren Vergangenheit belastet, soll im Dörfchen Applemore in den schottischen Highlands ein Outdoor-Camp für benachteiligte Jugendliche errichten, wovon die Einheimischen nicht gerade begeistert sind, allen voran Beth Fraser. Ihr ist es gelungen, nach ihrer Scheidung als alleinerziehende Mutter von Zwillingen erfolgreich eine Gärtnerei zu etablieren und fürchtet nun neue Probleme auf sich zuzukommen. Dennoch kommen die Beiden sich näher ...

Die britische Autorin Rachael Lucas legt mit "Die kleine Gärtnerei in den Highlands" den zweiten Band ihrer Familiensaga über die Erben des Herrenhauses "Appleton" vor. Dieser zweite Teil lässt sich auch ohne Kenntnis des ersten Bandes gut lesen, da alle Familienmitglieder und Wichtiges aus der Vorgeschichte harmonisch in die Story eingeflochten sind.

Die Autorin ist selbst in den schottischen Highlands aufgewachsen und ihre Liebe zu diesem Land und seinen charismatischen Bewohnern spricht aus jeder Zeile. Ein besonderer Genuss für alle "Alba"-Fans und solche, die es werden wollen!

In locker-leichtem Schreibstil schafft Lucas eine absolute Wohlfühlatmosphäre und nimmt ihre Leser*Innen mit zu einer gemütlichen Romanze. Wirklich Spannung kommt nicht auf und das Ende ist vorhersehbar, dennoch wurde mir die Lektüre nie langweilig, sondern ich fühlte mich angenehm unterhalten.

Positiv empfand ich den Familienzusammenhalt der Erben von Appleton und dass mit Beth Fraser eine starke Frau im Mittelpunkt der Erzählung steht, die trotz aller Rückschläge mutig ihren Weg geht und dabei auch anderen weiblichen Figuren Mentorin und Vorbild ist. Rachael Lucas scheut auch nicht davor, brisante Themen anzusprechen wie zum Beispiel das der Jugendkriminalität und Wege dorthin.

Die Figuren sind authentisch geschildert und sehr sympathisch, was mich mit ihnen mitfiebern und mitleiden ließ.
Die einzelnen Kapitel sind aus einer personalen Erzählperspektive abwechselnd aus der Sicht von Beth und Jack geschrieben, so dass sich ihre Wahrnehmungen und Annäherungen gut nachvollziehen lassen.

Insgesamt ist "Die kleine Gärtnerei in den Highlands" eine charmante Geschichte, die ohne großen Anspruch das tut, was sie soll: einfach gut unterhalten und mit einem schönen Setting überzeugen.

Bewertung vom 28.04.2024
Nachspielzeiten
Vogelsang, Lucas

Nachspielzeiten


gut

Wer kennt Ioannis Topalidis, die Stimme von Otto Rehhagel bei den Griechen?
Wer erinnert sich noch an den witzigen Mehmet Scholl als Kommentator in den Öffentlich Rechtlichen Medien und seinen wenig glanzvollen Untergang? Welcher Fußballfans möchte seine Stars im Dschungelcamp sehen? War Tim Wiese immer schon mehr Maschine als Fußballtorwart? Wer kennt Christians Fährmann Karriere als DJ nach seiner aktiven Zeit? Wem ist Gasgoignes Alkoholproblem bekannt? Und was wissen Fußballfans über Pélé und Beckenbauer in den USA?

Der Autor und Journalist Lucas Vogelsang, Fußballfans nicht nur aus dem Magazin für Fußballkultur "11 Freunde" bekannt, widmet sich in seinem neuesten Buch "Nachspielzeiten" wieder einmal besonderen Legenden des Lieblingssport. Dabei beleuchtet er die Geschichte hinter den Geschichten, hat gut recherchiert und erzählt seinen Leser*Innen von den Storys abseits des Fußballplatzes und nach den Karrieren der großen Spieler. Für mich als Fan wurden so nicht nur viele Erinnerungen wach, sondern diese wurden ergänzt durch in Vergessenheit geratene und viele neue Informationen.

Die kleinen und großen Dramen sorgen dabei von selbst für Spannung und meine Neugier konnte durchaus befriedigt werden.

Enttäuscht hat mich allerdings der Schreibstil, der an die Boulevardpresse erinnert und bei jedem Deutschlehrer den Rotstift zum Glühen gebracht hätte. Da habe ich tatsächlich mehr erwartet, denn die "11 Freunde" lese ich gerne.

Dennoch sind die "Nachspielzeiten" ein Muss für jeden Fußballfan - und zeigen eben auch die Krisen neben den schillernden Stars des König Fußballs.

Bewertung vom 22.04.2024
Das Mädchen mit dem Porzellangesicht
Keil, Simone

Das Mädchen mit dem Porzellangesicht


weniger gut

1888. Der Puppenmacher Kazuki Kobayashi hat einst einen Vertrag mit einem dubiosen Advokaten geschlossen, der ihm Ruhm und Ansehen bringen sollte - doch nun muss er seine Tochter Miyo verstecken und fertig für sie eine Porzellanmaske an. Obwohl Miyo dadruch zu einer Außenseiterin wird, geht sie mutig und entschlossen ihren Weg auf der Flucht vor dem Bösen.

Die deutsche Autorin Simone Keil hat mit ihrem Fantasy-Roman "Das Mädchen mit dem Porzellangesicht" eine Geschichte erschaffen, die sich sicherlich in die Untergruppe des "Steam Punk" einordnen lässt durch die Robotermenschen mit Künstlicher Intelligenz, die sich im England des 19. Jahrhunderts herumtreiben.

Angezogen von dem wirklich wunderschönen Cover habe ich mich an ein für mich nicht gerade im Zentrum stehendes Genre herangewagt - und muss zugeben, dass ich von dem Buch hin- und hergerissen bin und ich mich schwer tue mit einer Bewertung.

Simone Keil hat einen sehr düsteren und melancholischen Roman erschaffen. Sie spricht unglaublich viele Themen und Gedanken an, die es wert sind, darüber nachzudenken. Insbesondere die Außenseiterrolle von Miyo, die durch ihren Vater in ein (zu) schweres Leben entlassen wird, rührte mich. Allerdings musste ich feststellen, dass im Laufe der Zeit viele und immer neue Fragen für mich aufgeworfen wurden, für die ich keine Antworten fand. Viele Ansätze blieben in ihren Anfängen und so fehlte mir insgesamt die Tiefe.

Die Figuren sind mehrdimensional angelegt und bleiben oft geheimnisvoll und wie hinter einer Maske schwer durchschaubar.
Der Spannungsbogen, ob bzw. wie Miyo dem Vertrag mit dem Advokaten entgehen kann, tritt zurück hinter viele Details und Metaphern; findet jedoch einen sehr schönen Schluss.

Während die Schwerpunktthemen eine starke Frau, eine Außenseiterrolle, Freunde, Schicksal und das Böse sind, spielen auch Liebe und Sex eine Rolle.

Für mich blieb beim Lesen der Eindruck an meine Schulzeit zurück, in der Kurzgeschichten (und als solche ist ein Fantasyroman mit nur 224 Seiten ja schon fast zu werten) interpretiert werden mussten, denn viele der von der Autorin erschaffenen Figuren und ihre Verhalten verlangen nach Deutung und Auslegungen und weichen darum vom puren Lesevergnügen ab.
Ich wurde so mit dem "Mädchen mit dem Porzellangesicht" nicht wirklich warm, aber sicher finden sich andere Fans für dieses Buch.

Bewertung vom 13.04.2024
Der Sommer, in dem alles begann
Léost, Claire

Der Sommer, in dem alles begann


gut

Im kleinen Örtchen Le Bois d'en Haut im Landesinneren der Bretagne treffen drei Frauen aufeinander: Die 16jährige Hélène, die die Weichen für ihr späteres Leben stellt, Marguerite, die elegante Französischlehrerin aus Paris, die heimlich nach ihrer Mutter sucht und die Witwe und Ladenbesitzerin Odette, die in den 40er Jahren als Hausmädchen nach Paris geschickt wurde und von ihrem Dienstherrn vergewaltigt. Zahlreiche Vorurteile und Vermutungen führen schließlich zu einem Todesfall ....

Die französische Autorin Claire Léost, die bretonische Wurzeln hat, hat für ihren zweiten Roman "Der Sommer, in dem alles begann" 2021 den Literaturpreis der Bretagne erhalten und nun ist dieses Werk auch in der Deutschen Übersetzung erhältlich.

Mit dem gewählten Setting zeigt die Autorin ihre Verbundenheit zur Bretagne und bringt ihren Leser*Innen mit dem für das Inland des Finistère typischen Ortes Le Bois d'en Haut die Landschaft und die dort lebenden Menschen näher, sowie einen kleinen Teil der Geschichte u. a. mit der Deutschen Besatzung 1940. Die Bezüge zu den Bretonisch-Französischen Spannungen, die alte Sprache usw. waren gut eingebettet.

Claire Léost schreibt in wunderschöner Sprache und prägnanten Formulierungen, doch seltsam rational, die ständigen Sprünge in der Zeit und zwischen den Figuren erfordern größte Aufmerksamkeit. Nachdem ich anfangs große Schwierigkeiten hatte, mich in die Erzählung einzufinden, war ich jedoch immer mehr gefesselt vom Geschehen.

Titel und die zu Beginn stattfindenden Beerdigungen bauen eine Erwartungshaltung auf; die Spannungskurve bleibt jedoch relativ flach.

Die Figuren sind interessant gewählt, leider fehlt ihrer Charakterisierung die Tiefe und ihre Entwicklungen sind nicht nachvollziehbar; die Stimmung ist durchgehend melancholisch bis düster. Teilweise war ich geneigt, Verbindungen zum Expressionismus und Film Noir zu ziehen.

Alles in allem war das Buch in Ordnung, ich hätte mir jedoch "mehr" gewünscht, als dass zahlreiche Themen nur angedeutet waren.
Bzgl. der Themen "Vergewaltigung", "Hirntumor", "Ermordungen" möchte ich eine Triggerwarnung aussprechen.

Bewertung vom 07.04.2024
Die Frau am Fluss / Loreley Bd.1 (eBook, ePUB)
Popp, Susanne

Die Frau am Fluss / Loreley Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

In Bacharach am Rhein wachsen zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ungleichen Zwillinge Ruth und Juliane (genannt Julie) König auf. Als ihre Mutter, Kräuterfrau und Hebamme, verstirbt, bleibt die blinde Ruth alleine in der verfallenden Burg, Julie muss als Magd in der Wirtschaft ihres Vormunds schuften, wo sie sich mit der durchreisenden Elisabeth Merkens anfreundet. Aufgrund ihrer sagenhaften Schönheit schlägt Julie viel Neid und Missgunst entgegen, auch der örtliche Pfarrer hegt große Abneigung, und so wird sie mit einem älteren Mann verheiratet und muss Bacharach verlassen. Auch der junge Rheinschiffer Johann hat seine Familie verloren, als er Julie kennen- und lieben lernt ....

Nach ihrer erfolgreichen Ronnefeldt-Saga um die deutsche Tee-Dynastie entführt die Autorin Susanne Popp ihre Leser*Innen an die Ufer des Rheins, den sagenumwobenen Felsen und in die Zeit der Romantik mit ihrer Dilogie der "Loreley", hier "DIe Frau am Fluss".

Susanne Popp hat sorgfältig recherchiert und so findet sich viel Spannendes und Wissenswertes in einer mitreißenden, fiktiven Handlung. Die historisch bedeutsame Begradigung des Rheins, die mühsame Rhein- und Fähr-Schifffahrt, das Treideln, die Anfänge der Dampfschifffahrt, der beginnende Rhein-Tourismus sowie spannende historische Persönlichkeiten wie Clemens Brentano und Bettine von Arnim sind harmonisch in die Story eingearbeitet und echte Geschichte lässt sich hautnah nacherleben. Die Landschaft des Mittelrheins und das Leben der Menschen vor 200 Jahren sind anschaulich erzählt und bringen den Leser*Innen die Epoche der Romantik näher; passend dazu entwickelt sich eine romantische Liebesgeschichte zwischen Julie und Johann, die ihren dramatischen Höhepunkt ausgerechnet am Felsen der Loreley erlebt.

Bereits mit dem ersten Kapitel schafft die Autorin ein Rätsel, und viele weitere Geheimnisse sorgen geschickt für Spannung. Leider wird keines in diesem ersten Band gelöst und zusammen mit einem Cliffhänger lässt uns Susanne Popp recht unbefriedigt zurück und in dringender Erwartung des zweitens Teils, der für den Herbst diesen Jahres unter dem Titel "Strom der Zeit" angekündigt ist.

Susanne Popp erzählt gewohnt flüssig und anschaulich und schafft verschiedene Erzählstränge, die zwischen den Figuren, Ort und Zeit wechseln und gut unterhalten.

Popp konzentriert sich auf die (emanzipierten) Frauenschicksale im Konflikt mit der vergangenen Zeit und wählt entsprechend ihre Hauptfiguren in den geheimnisvollen Schwestern Ruth und Julie sowie der dieser in Freundschaft verbundenen Elisabeth. (Nicht nur) diese Figuren sind mehrdimensional angelegt und entwickeln sich nachvollziehbar; dabei fühlte ich mich jedoch der stillen Schwester Ruth und dem fleißigen Schiffer Johann stets näher als der schillernden "Frau am Fluss" Julie. Vielen Leserinnen wird die Liebesgeschichte zwischen den Hauptfiguren gefallen.

Eine Karte des Rheins und ein ausführliches Nachwort der Autorin, in der sie auf wichtige Fragen eingeht, runden das Buch ab.

Um keine falsche Erwartungshaltung aufkommen zu lassen, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass dieses Buch keinesfalls vom Mythos der Loreley handelt und auf seine Entstehung nicht eingegangen wird.

Einmal mehr hat die Autorin Susanne Popp mich in eine vergangene Zeit abtauchen lassen; ich habe die wunderschöne Landschaft des Mittelrheins vor meinem inneren Auge abgebildet (da ich lange am Hochrhein zuhause war, wo der Rhein noch ganz anders aussieht) und fühlte mich den Menschen der Zeit nahe. So geht Unterhaltung.

Bewertung vom 07.04.2024
Caffè sospeso
Sthers, Amanda

Caffè sospeso


ausgezeichnet

Der Franzose Jacques ist seiner großen Liebe nach Italien nachgereist; von ihr enttäuscht, bleibt er in Neapel hängen, bezieht Quartier über dem Café Nube, wo er fortan täglich an einem Tisch sitzend schreibt und zeichnet und das Leben um ihn herum verfolgt. Verbunden sind die unterschiedlichsten Episoden durch eine lokale Besonderheit der neapolitanischen Kultur, dem "caffé sospeso", dem Brauch, außer dem eigenen Kaffee auch einen weiteren Kaffee zu bezahlen. Dieser Kaffee wird vom Barista notiert und auf Nachfrage an einen Bedürftigen ausgeschenkt. Und so sind es Geschichten über Gebende und Nehmende, Aufbrechende und Ankommende, Glücklich und Enttäuschte - und immer Liebende.

Die französische Roman-, Theater- und Drehbuchautorin Amanda Sthers erzählt in ihrem warmherzigen Roman aus der Sicht eines Mannes von dessen Beobachtungen, wobei man ihr die "männliche Sichtweise" in jeder Beziehung abnimmt. Wie auf einer Theaterbühne erscheinen vor dem Zuschauer Jacques all die Schauspieler im neapolitanischen Café Nube und führen ihre Episoden vor. Es versteht sich von selbst, dass dem Leser dabei einige Erzählungen näher sind als andere, doch jede ergibt ein Teil des Ganzen und keine ist zu viel. Durch Jacques Augen lernen wir Neapel und seine Bewohner immer besser kennen und im Verlauf wächst auch der Erzähler immer mehr ans Herz. Über allem liegt ein Hauch von Nostalgie und Wärme und die verschiedensten Figuren werden voller Liebe beschrieben, oft auch mit einem gewissen Augenzwinkern.

Dieses unglaublich charmante Buch muss man einfach lieben!

Bewertung vom 03.04.2024
Die Vermesserin der Worte
Seck, Katharina

Die Vermesserin der Worte


ausgezeichnet

Die junge Autorin Ida Hermann leidet unter einer Schreibblockade. An sich und ihren Fähigkeiten zweifelnd, nimmt sie auf der Suche "nach ihren Worten" - und weil ihr das Geld ausgeht - eine Stelle als Haushaltshilfe bei der wortkargen und harschen Ottilie Selig an. Die beiden vordergründig so verschiedenen Frauen verbindet allerdings die Liebe zu Worten und zur Literatur, und Ida stellt sich die Frage, ob man Fantasie und Worte messen kann? Beim Putzen des "papiernen Anwesens" stößt sie auf immer mehr persönliche Dinge der alten Dame und erzählt dieser sodann ihre eigene Geschichte, um die Lücken zwischen den Worten zu füllen und gegen das Vergessen anzukämpfen.....

Die deutsche Autorin Katharina Seck ist ihren Lesern bekannt als Autorin von Fantasy-Romanen, insbesondere durch die ab 2022 erscheinenden "Dunkeldorn-Chroniken". Ihre Leidenschaft nach Büchern und Worten bringt sie nun mit "Der Vermesserin der Worte" zum Ausdruck und es verwundert kaum, dass auch dieser Roman durchaus ein phantastisches Element enthält: die Waage, mit der sich Worte vermessen lassen, "um nicht Greifbares greifbar" zu machen.

Katharina Seck erzählt sanft und warmherzig die Geschichte zweier starker Frauen, die - entgegen aller Widerstände - mutig ihren Weg gehen und die die Liebe zur Literatur verbindet, ohne dabei auch nur in die Nähe von Kitsch zu geraten. Mit sanftem, poetischem Schreibstil und den philosophischen Fragen hat mich dieses Buch vollumfänglich in seinen Bann gezogen, und zwar trotz oder gerade weil die Entwicklung der Figuren und der Handlung vorhersehbar waren und die Erzählweise dadurch in den Vordergrund rückte.

Das Thema "Demenz" mit seinen furchtbaren Auswirkungen wird realistisch, aber behutsam dargestellt; und auch andere schwierige Angelegenheiten wie Einsamkeit, enttäuschte Erwartungen, Misstrauen und weitere werden empowernd behandelt.

Die Hauptfiguren Ida und Ottilie, aber auch die Postboten Theobald und Matthias sind so liebevoll beschrieben, dass man sie einfach ins Herz schließen muss. Sie sind greifbar mit ihren Problemen und Sorgen und entwickeln sich im Laufe der Geschichte immer weiter.

Die zahlreich verwendeten Metaphern, die aussagekräftigen Kapitelüberschriften ("Die Reise zu einem papiernen Anwesen", "Eine Frau aus Lavendel und Staub" usw.) verbunden mit hübschen Vignetten tragen ebenfalls zum Lese-Genuss bei.

"Die Vermesserin der Worte" hat mich tief berührt und hallt noch lange nach. Meine Empfehlung (nicht nur für Buchmenschen):
Unbedingt lesen!

Bewertung vom 19.03.2024
Wort für Wort zurück ins Leben
Miller, Beth

Wort für Wort zurück ins Leben


sehr gut

Pearl lebt mit ihrem Ehemann Denny in einem Cottage mit Privatwald in Frankreich, fernab der Familie. Als ihr Vater, der die Familie früh verlassen hat um mit einer anderen Frau zusammenzuleben und den Kontakt komplett abgebrochen hat, verstirbt, reist Pearl zu seiner Beerdigung, wo sie seine Tagebücher erhält. Da diese in Steno geschrieben sind, macht Pearl sich an ihre Übersetzung und wird gezwungen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen ...

Die britische Autorin Beth Miller ist Doktorin der Psychologie und und legt mit "Wort für Wort zurück ins Leben" einen Familienroman vor, der zwar fiktiv ist, in dem sie aber durchaus auch Vorkommnisse aus dem echten Leben einfließen lässt. Ihre Profession kommt zum AUsdruck, als ihre Figuren psychologische Hilfe erhalten und ihre Botschaft ist deutlich: Man muss miteinander reden!

Millers Schreibstil ist leicht und flüssig und das Buch lässt sich als Wohlfühlroman beschreiben. Die personale Erzählperspektive aus Pearls Sicht mit intensiv psychischen Prozessen wird unterbrochen von Kapiteln aus Carries Perspektive und Tagebucheinträgen von Pearls Vater, die teilweise etwas kryptisch anmuten. Im Laufe der Zeit fügen sich die einzelnen Puzzlestücke - und auch die Verbindung von Pearl und Carrie - immer mehr zusammen, bis sich dem Leser ein klares Bild der Geschehnisse in der Vergangenheit darstellt.

Die Geschichte ist bestimmt durch Enttäuschungen und Verletzungen, Verlassen-Werden, Krankheit, Tod, Traumata und könnte für einige Schicksalsschläge durchaus eine Triggerwarnung gebrauchen, aber letztlich versöhnen Freundschaften, Liebe, Mut und Hoffnung.

Die Figuren sind authentisch und ihre Probleme und Gedanken nachvollziehbar gezeichnet. Gerade die Mehrdimensionalität und ihre Entwicklungen empfand ich als absolut wohltuend. Gerade Pearl durchlebt eine wahre Heldenreise; sie muss Probleme bewältigen, innere und äußere Schlachten schlagen, auf unerwartete Wendungen reagieren. Und auch, wenn sie vieles dazulernt und sich mit ihrer Vergangenheit und ihrem Vater post mortem aussöhnt, ist das Ende nicht uneingeschränkt ein Happy-End - wahrscheinlich kam da dann noch einmal der psychologische Ansatz zu Tage.

Mich hat der Roman gut unterhalten und die Figuren und ihre Entwicklungen klingen noch lange nach.

Bewertung vom 18.03.2024
Liebesmühe
Wessely, Christina

Liebesmühe


sehr gut

Sie hat ein Kind geboren, doch anstatt vor Mutterliebe zu zerfließen und voller Glück ihre neue Rolle anzunehmen, fällt sie in eine postpartale Depression und fühlt sie sich verloren, radikal fremdbestimmt und abgeschnitten von der Welt und ihrem alten Leben. Die emanzipierte Frau und Wissenschaftlerin verschwindet zugunsten überholter Vorstellungen von Mutterschaft und sucht den Fehler immer nur bei sich selbst.

Christina Wessely ist Historikerin, Essayistin und Professorin für Kulturgeschichte des Wissens und widmet sich in "Liebesmühe" den Aporien zeitgenössischer Mutterschaft. Dabei erzählt sie schonungslos und ehrlich von den Problemen, dem Leiden, den zermürbenden Gedanken sowie der Differenz zwischen dem, was sein sollte und der Realität und bringt dem Leser / der Leserin die Erkrankung der postpartalen Depression näher.

In "Liebesmühe" hat die Autorin auch eigene Erfahrungen verarbeitet, dennoch schreibt sie nicht in der Ich-Form, sondern in der 3. Person. Es gibt überhaupt keine Namen, sondern wird nur von "ihr" gesprochen, dem "Vater des Kindes", "der Freundin". Dieser Erzählstil schafft eine gewisse Distanz zu den Figuren und schafft gleichzeitig eine Verallgemeinerung.
Insgesamt ist der Stil sehr sachlich, knapp und reflektiert und liest sich - auch durch die wissenschaftlichen Bezüge wie der Geschichte der Mutterschaft im allgemeinen - teilweise wie ein Sachbuch. Trotzdem empfand ich die Lektüre als ungemein fesselnd. hochemotional und zum Nachdenken anregend. Viele Abschnitte wollte ich am liebsten kopieren und weitergeben, um die zahlreichen Widersprüche im modernen Muttersein aufzudecken.

Das offenbare Zerbrechen an der veränderten Situation bis hin zu Gedanken an (erweiterten) Suizid sind teilweise nur schwer zu ertragen; immerhin bietet die Überwindung der Depression ein versöhnliches Happy-End.

Die wichtigste Aussage dieses Essays liegt darin, dass die sozialen Erwartungen, auf die eine Mutter überall trifft, eben nicht naturgegeben sind und von Müttern erduldet werden müssen, sondern dass Hilfe und Lösungen möglich sind.

Wessely hat ein ganz wichtiges Buch geschrieben, dass ich gerne jedem, egal ob Mann oder Frau, ans Herz legen möchte, Mutterschaft geht uns letztlich ALLE an!