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Benutzername: 
Patno
Wohnort: 
Bad Belzig

Bewertungen

Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 29.12.2020
Schicksalhafte Zeiten / Hebammen-Saga Bd.3
Winterberg, Linda

Schicksalhafte Zeiten / Hebammen-Saga Bd.3


sehr gut

„Schicksalhafte Zeiten“ brechen im dritten Band der Hebammen-Saga von Linda Winterberg an. Wie mag es den drei jungen Frauen Luise, Margot und Edith inzwischen ergangen sein? Wir schreiben das Jahr 1942. In Berlin sind die Spuren des Krieges überall sichtbar. Glücklicherweise hat sich Edith aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln rechtzeitig in die Schweiz begeben. Somit steht sie leider nur in brieflichem Kontakt zu ihren Hebammen-Freundinnen.
Luise arbeitet in der Frauenklinik Neukölln. Was hier mit den Neugeborenen der Zwangsarbeiterinnen passiert ist ungeheuerlich. Luise versucht verzweifelt die Kleinen zu retten. Margot hat es auch nicht leicht. Sie hat eine Stelle im Frauengefängnis angenommen. Dort begegnet sie einer schwangeren Frau, die im Widerstand tätig war und für ihre Aktivitäten zum Tode verurteilt wurde. Margot will alles versuchen, das Leben der jungen Frau zu retten und bringt sich dabei selbst in Lebensgefahr.
Gespannt habe ich auf den dritten Teil der Hebammen-Saga gewartet.
Wieder fängt die Autorin die Stimmung der damaligen Zeit beeindruckend ein. Sie punktet mit interessanten historischen Fakten, die das Geschehen authentisch wirken lassen. Aufgrund der detaillierten örtlichen und zeitlichen Beschreibungen bin gedanklich mitten in Berlin der 1940er Jahre.
Linda Winterbergs Schreibstil ist angenehm flüssig zu lesen. Ihre Figuren sind lebendig ausgearbeitet. Inzwischen sind sie mir ans Herz gewachsen. Ich sehe sie vor mir, hoffe und bange mit ihnen.
Nur läuft der Berufsalltag einer Hebamme immer ähnlich ab. Sie hetzen von Geburt zu Geburt, manchmal geht alles ziemlich schnell, dann wieder zieht sich der Geburtsprozess in die Länge. Es stehen dramatische Geburten an, die die Hebammen an ihre Belastungsgrenze treiben. In diesem Band hatte ich das Gefühl, dass sich die Szenen in ähnlicher Weise abspielen. Oft benutzt die Autorin die gleiche Wortwahl. Daher wirkt das Geschichte mitunter langatmig. Mir fehlt der Pep. Es gab durchaus dramatische Augenblicke in der Handlung, aber für meinen Geschmack zu wenige.
Da ich ein großer Fan der „Winterberg-Romane“ bin, habe ich eventuell hier eine zu hohe Erwartungshaltung.
„Schicksalhafte Zeiten“ komplettiert die Hebammen-Saga - eine unterhaltsame historische Trilogie mit Zeit und Lokalkolorit. Anspruchsvolle Frauenlektüre mit liebevoll inszenierten Charakteren. Meine 4 Sterne Leseempfehlung!

Bewertung vom 23.12.2020
Schirach
Rathkolb, Oliver

Schirach


ausgezeichnet

Viele von Euch werden Ferdinand von Schirachs Bücher kennen. Ich bin ein großer Fan seiner Schreibkunst und weiß, dass er nur ungern auf seinen Großvater Baldur von Schirach angesprochen werden möchte. Das kann ich gut nachvollziehen.

Wer war dieser Mann, der als Kronprinz des „Führers“ bezeichnet wurde?


Er verehrte Adolf Hitler, sprach von Blut und Ehre, vom Wunder der Kameradschaft und von der Kraft der Fahne. Er wollte die größte Jugendbewegung der Welt schaffen, Soldaten von morgen rekrutieren, die sich unerschütterlich für Volk und Vaterland einsetzen und dem „Führer“ treu zur Seite stehen.

In seinem Werk „Schirach - Eine Generation zwischen Goethe und Hitler“, welches am 01.10.2020 beim Molden Verlag erschienen ist, hat sich Buchautor Oliver Rathkolb mit dem Lebenslauf dieser schillernden Persönlichkeit des „Deutschen Reiches“ auseinandergesetzt.

Das Buch überzeugt durch ein ansprechendes Cover und eine hochwertige Verarbeitung. Es wirkt sehr edel und ist zudem reich illustriert.
Baldur von Schirach entstammt einer angesehenen aristokratischen Familie mit US-amerikanischen Wurzeln. Er wächst in Weimar auf, besitzt ein musisch-literarisches Talent.
Mit 24 Jahren wird Baldur zum „Reichsjugendführer“ ernannt und startet seine steile Karriere in Hitlers Reihen. Später wird er als Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien die jüdische Bevölkerung in Gettos und Todeslager deportieren und sich am Vermögen seiner Opfer bereichern. Er träumt von einem faschistischen Europa unter deutscher Führung.
Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wird Baldur von Schirach 1946 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwanzig Jahren Haft verurteilt.
Dieser Mann setzt sich perfekt in Szene. Er ist ein Karrierist, ein Blender und Selbstdarsteller, der es versteht, die Menschen zu motivieren und seine Ideale zu vermarkten.
Selbst im Prozess vermag er es, sich ins rechte Licht zu rücken, windet er sich wie ein Aal und entkommt damit der Todesstrafe.
Heutzutage würde ihm vermutlich ein Platz in irgendeiner Chefetage sicher sein. Für mich ist Schirach eine zwielichtige Persönlichkeit, einerseits skrupellos und kalt, andererseits ein stattlicher Mann, von dem ein gewisser Charme ausgeht.
Oliver Rathkolb hat excellent recherchiert. Das Ergebnis ist ein eindrucksvolles und tiefgründiges Psychogramm des Baldur von Schirach, untermalt mit vielen interessanten historischen Fakten. Damit lässt der Autor ein Stück Zeitgeschichte lebendig werden. Sein Buch ist nicht hochwissenschaftlich, sondern gut verständlich geschrieben. Es ist spannend zu lesen und fesselt.
Lesenswert!

Bewertung vom 17.12.2020
Vergeltung
Harris, Robert

Vergeltung


ausgezeichnet

„ Der Großteil des Romans wurde während der Covid-19-Pandemie geschrieben. Vier Stunden jeden Vormittag, sieben Tage die Woche, vierzehn Wochen lang zog ich mich in mein Arbeitszimmer zurück und schloss die Tür - ein Lockdown innerhalb des Lockdowns.“ (Robert Harris aus Danksagungen zu „Vergeltung“ )

Herausgekommen ist ein temporeicher und fesselnder historischer Roman der Spitzenklasse, eben ein echter Harris!

Die Geschichte beginnt im November 1944, als das Deutsche Reich vor der Niederlage steht. Verzweifelt versuchen die Deutschen das Blatt durch den Einsatz einer neuen tödlichen Wunderwaffe noch zu wenden. Tausende V2 Raketen mit tonnenschweren Sprengstoff sollen auf England niedergehen. Die Flugkörper, die mit einer Geschwindigkeit von über 5000 Stundenkilometern unterwegs sind, benötigen nur 320 Sekunden bis London. Sie sind vom Radar nicht zu orten, schlagen lautlos und ohne Vorwarnung ein.
Der Herr über die V2 Raketen ist Ingenieur Rudi Graf, der mit seinem Freund Wernher von Braun davon träumte, eines Tages eine Rakete zum Mond zu schießen. Längst sind die einstigen Illusionen in weite Ferne gerückt. Rudi koordiniert von Holland aus die Technik über die Abschüsse der V2 Raketen.
Bezüglich eines Sabotageverdachtes erscheint ein Führungsoffizier der SS und schaut Graf genauer auf die Finger.
In einem zweiten Handlungsstrang kommt Kay Caton-Walsh ins Geschehen. Sie ist Offizierin im Frauenhilfsdienst der britischen Luftwaffe und wird mit einigen anderen Frauen von Belgien aus die mobilen Startplätze der V2 Raketen ausfindig machen und zerstören.
Wie das Schicksal so will, werden Kay und Rudi eines Tages aufeinandertreffen.

Das Buchcover fällt ins Auge und vermittelt einen ersten Eindruck von der Lektüre.
Schon nach wenigen gelesenen Seiten kann ich mich dem Geschehen kaum noch entziehen. Wieder hat mich Harris in Nullkommanix geködert. Mit seinem intelligenten, lebendigen Schreibstil schafft er eine atemberaubende Atmosphäre.
Ich bin begeistert, wie detailliert der Autor reale historische Fakten und Örtlichkeiten in seine fiktive Story einbettet. Bilder entstehen im Kopf und werden gedanklich zu einem Film.
Die Charaktere sind mit Fingerspitzengefühl ausgearbeitet. Sie gewähren Einblicke in ihr Privatleben und lassen den Leser an ihren Gefühlen und Gedanken teilhaben.
Rudi ist fachlich eine Koryphäe, doch es fällt ihm immer schwerer, seinem Land zu dienen. Er weiß, dass der Krieg verloren ist und möchte dem Wahnsinn ein Ende setzen.
Ihm gegenüber steht Kay, eine junge intelligente Frau, die einen Raketeneinschlag live miterlebt hat. Auch sie arbeitet mit großem Ehrgeiz daran, den Feind zu entwaffnen.
Neben den fiktiven Figuren lässt Harris auch bekannte historische Personen, wie SS General Hans Kammler oder Wernher von Braun, in seiner Geschichte agieren. Damit schafft er Realitätsnähe.
Seine exzellent recherchierte Rahmenhandlung rund um die V2 Rakete finde ich megainteressant. Wieder etwas dazugelernt.
Zudem überzeugt der Roman durch einen hohen Unterhaltungswert und dürfte damit die breite Thriller-Leserschaft erreichen.
Ich mag diesen britischen Autor, der die Kunst des Schreibens meisterlich beherrscht und empfehle sowohl „Vergeltung“, als auch seine anderen Bücher wie z.B. „Vaterland“ „München“ oder „Konklave“ gern weiter.

Bewertung vom 17.12.2020
Das Unrecht der Väter
Carsta, Ellin

Das Unrecht der Väter


sehr gut

Ein Lesefreund hat mir die Buchautorin empfohlen.
Mit dem Start der Falkenbach-Saga ergab sich nun die Möglichkeit, die Autorin und ihre Art zu schreiben kennenzulernen.
„Das Unrecht der Väter“ ist am 17.11.2020 bei Tinte & Feder erschienen. Ich mag das atmosphärische Buchcover.
Schauplatz Bernried am Starnberger See. Wir schreiben das Jahr 1936. Drei Männer scheinen auf der Erfolgswelle zu schwimmen. Sie haben zusammen im ersten Weltkrieg gedient. Die drei Freunde legen ihre Firmensitze zusammen, werden Geschäftspartner. Das Konzept scheint aufzugehen. Doch Schatten der Vergangenheit schweben wie das Schwert des Damokles über ihnen. Dann taucht plötzlich die Tochter eines Kriegskameraden auf und stellt unbequeme Fragen zum rätselhaften Tod ihres Vaters. Paul-Friedrich von Falkenbach und die beiden Lehmann Brüder versuchen daraufhin mit allen Mitteln zu verhindern, dass ein altes Geheimnis gelüftet wird.

Neben den Vätern lerne ich auch die nachfolgende Generation kennen. Während die Söhne der Lehmanns kräftig im Unternehmen mitmischen, hat Gustav von Falkenbach andere Pläne. Er möchte sein Medizinstudium abschließen. Auch seine Schwester Wilhelmine versucht sich aus den Familienzwängen zu befreien und ihren eigenen Weg zu finden.
Die Geschichte spielt in einer Zeit, in der die Nazis immer mehr Einfluss gewinnen. Es bleibt nicht aus, dass sich die Unternehmer mit dem nationalsozialistischen Gedankengut anfreunden. Doch nicht alle Familienmitglieder verbünden sich mit den neuen Machtinhabern.
Überhaupt scheint hier jeder sein kleines Geheimnis mit sich umherzuschleppen. Das bringt Spannung ins Geschehen.
Ellin Carsta schreibt locker und lebendig. Das liest sich gut. Obwohl sie historische Eckdaten einfließen lässt, liegt der Fokus auf der Familiengeschichte.
Am Ende der Kapitel sind kleine Cliffhanger eingebaut, die bei mir eine gewisse Sogwirkung erzielen. Ich möchte hinter des Rätsels Lösung kommen, was mir leider bis zum Ende des Romans nicht gelingt.
Wie üblich bei Buchreihen bleiben viele offenen Fragen zurück, die zu Mutmaßungen animieren und Neugier erzeugen.
Nun bin ich gespannt, wie sich die Geschichte um Gut Falkenbach weiterentwickelt. Am liebsten würde ich sofort in den nächsten Band einsteigen.

Bewertung vom 02.12.2020
Nur Heringe haben eine Seele
Sellin, Fred

Nur Heringe haben eine Seele


sehr gut

Was treibt einen Serienmörder an? Um dies herauszufinden, muss man abgrundtief in die Seelen dieser Menschen blicken.
Nun sagt Buchautor Fred Sellin : „Nur Heringe haben eine Seele“ und kündigt damit das Geständnis des Serienmörders Rudolf Pleil an. Das Buchcover gefällt mir. Ich möchte den Mann kennenlernen, der von sich behauptet: „Ich bin der beste Totmacher.“
Seine Geschichte ist am 02.11.2020 beim Droemer Verlag erschienen.

Rudolf Pleil ist gerade 23 Jahre alt, als er zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Man konnte ihm nachweisen, dass er einen Kaufmann getötet hat.
Doch schnell wird klar, dass dies nur die Spitze des Eisberges ist. Pleil brüstet sich im Gefängnis damit, mindestens 25 Frauen getötet zu haben.
Schließlich können ihm die Ermittler elf Morde zuordnen.
In einem der spektakulärsten Prozesse der Nachkriegsgeschichte wird Rudolf Pleil zu lebenslanger Haft verurteilt.

Fred Sellin hat sich intensiv mit dem Fall beschäftigt. Er hat seitenweise Ermittlungs- und Gerichtsakten durchforstet und viele Aufzeichnungen von Rudolf Pleil gelesen.
In seinem, auf Tatsachen beruhenden Roman, gelingt es ihm vortrefflich, sich in die Psyche und die Gedankenwelt dieses Serientäters hineinzuversetzen. Der Buchautor verleiht Pleil seine Stimme, imitiert sogar die primitive und derbe Sprache.
Auf mich wirkt das authentisch. Eine solche Erzählweise ist einzigartig, zumindest kenne ich nichts Vergleichbares.
Rudolf Pleils Schilderungen sind widerwärtig und zutiefst erschreckend. Er beschreibt seine Taten laut Staatsanwalt „mit fast zynisch zu nennenden Offenheit.“
Wie die meisten Serientäter kommt auch Pleil aus schwierigen Familienverhältnissen. Schon früh driftet er ins kriminelle Milieu ab, schmuggelt Waren über die Grenze und baut sich einen florieren Schwarzmarkt auf. Der Vater trinkt viel und schlägt gern zu. Bereits mit dreizehn hat Rudolf seinen ersten sexuellen Kontakt mit einer Prostituierten. Seine Befriedigung findet er nur in abnormalen Handlungen.
Für mich ist das Geschichte nur schwer zu verdauen.
Je länger ich Pleils Ausführungen folge, um so abstoßender finde das Gelesene. Immer öfter lege ich das Buch zur Seite. Irgendwann nervt mich dieser widerliche Kerl mit seiner gestörten Persönlichkeit und seinem Sexualtrieb so sehr, dass ich mich durch die Seiten quäle. Ich mag das niveauloses „Gequatsche“ nicht mehr hören.
Interessant finde ich die Originaltexte wie gutachterliche Aufzeichnungen, Vernehmungsprotokolle, Zeugenaussagen und Auszüge aus dem Urteil, die der Buchautor zwischendurch einfließen lässt.

Es fällt mir enorm schwer, dieses Buch zu bewerten. Zweifellos ein beeindruckender Roman mit viel Zeitkolorit, an Brutalität und Kälte kaum zu überbieten.
Trotzdem bin ich nicht sicher, ob ich den Roman weiterempfehlen sollte, denn die ungebührliche Ausdrucksweise des Rudolf Pleil ist enorm schwer zu lesen.
Ich denke, eine Leseprobe vorab wäre hier hilfreich.

Bewertung vom 27.11.2020
Die Richterin
Mischkulnig, Lydia

Die Richterin


gut

Buchautorin Lydia Mischkulnig erzählt in ihrem neuen Roman die Geschichte der Richterin Gabrielle, die tagtäglich darüber entscheidet, ob Asylbewerberinnen im Land bleiben dürfen oder ob sie es wieder verlassen müssen.
Die Thematik interessiert mich. Ich möchte erfahren, wie Gabrielle ihre Entscheidungen trifft und welche Beweggründe sie veranlassen, Asyl zu gewähren. Darf sich eine Richterin von persönlichen Sympathien leiten lassen? Wie sieht der Arbeitsalltag einer Asylrichterin aus?
Das Buchcover gefällt mir, der Klappentext klingt vielversprechend.

Ich muss gestehen, dass ich hinter diesem Roman eine andere Geschichte erwartet habe.
Die sprunghafte Erzählweise erschwert es mir, ins Geschehen zu finden.
Durch meine Schöffentätigkeit habe ich viele RichterInnen persönlich kennengelernt. Für mich sind es charismatische Menschen mit Vorbildfunktion, die verantwortungsbewusst und besonnen agieren.
Gabrielle hingegen wirkt auf mich konfus und unsicher. Ihren verworrenen Gedankengänge kann ich nur schwer folgen.
Durch die vielen „Nebenkriegsschauplätze“ im Privatleben fällt es Gabrielle schwer, sich auf den Berufsalltag zu konzentrieren.
Lydia Mischkulnig berichtet ausschweifend über die Drogensucht des Bruders, der in kleinkriminelle Machenschaften verstrickt ist, über eine mögliche Erblindung der Richterin, über Gabrielles Eheproblemen usw. Das wirkt zunehmend ermüdend und langatmig. Leider gerät somit das eigentliche Thema des Romans ins Hintertreffen.
Wenn die Autorin auf die Flüchtlingsproblematik und Afghanistan zu sprechen kommt, verfolge ich gespannt das Geschehen. Diese Romanteile finde ich klasse. Sie regen zum Nachdenken an. Davon möchte ich mehr lesen, statt der ganzen Litanei familiärer Probleme.
Unterm Strich hat mich die Geschichte nicht vom Hocker gerissen. Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig.
Obwohl Gabrielle ihre Gefühlswelt offenbart, finde ich keinen Draht zu ihr. Ihre Charakterdarstellung wirkt auf mich nicht realitätsnah.
Vermutlich war meine Erwartungshaltung an dieses als „anspruchsvolle Literatur“ und „feinsinniger Roman“ beworbene Buch zu hoch.

Bewertung vom 27.11.2020
Vier Tage im Juni
Nüse, Jan-Christoph

Vier Tage im Juni


sehr gut

Jan-Christoph Nüse konnte mich bereits mit seinem zeitgeschichtlicher Roman „Operation Bird Dog“ begeistern. Dementsprechend gespannt war ich auf seinen neuen Politthriller „Vier Tage im Juni“, der am 09.09.2020 beim Gmeiner Verlag erschienen ist.

Die Geschichte beginnt knapp zwei Wochen vor der geplanten Europa-Reise von John F. Kennedy.
Für die Deutschen ist der Besuch des amerikanischen Präsidenten ein großes Ereignis. Millionen Menschen stehen am Straßenrand und jubeln Kennedy zu. Währenddessen sind die Sicherheitsbehörden in höchster Alarmbereitschaft. Obwohl weder deutsche noch amerikanische Geheimdienste Hinweise auf mögliche Anschlagspläne haben, bildet die Polizei vorsorglich Mordkommissionen.
Die Ereignisse geben ihnen Recht, denn schon am ersten Tag des Deutschlandbesuches versucht ein Mann auf John F. Kennedy zu schießen.
Der Buchautor schickt Thomas Malgo ins Rennen, der als Ermittler des deutschen Secret Service in der Sicherheitsgruppe Bonn agiert. Warum verschwindet gerade jetzt sein Chef Paul Dickopf von der Bildfläche?
Thomas Malgo wird schnell klar, dass Kennedy in Deutschland mächtige Feinde hat, die ihn für zu weich und zu nachgiebig gegenüber der Sowjetunion halten.
Wird es dem Ermittler gelingen, den Attentäter zu stoppen?

Obwohl die handelnden Personen im Vorfeld vorgestellt werden, fällt es mir schwer in die Geschichte zu finden. Es dauert eine Weile, bis ich die Akteure ihren Positionen zuordnen kann. Die Schauplätze wechseln ständig, so dass man sich beim Lesen sehr konzentrieren muss, um den Überblick zu behalten.
Wieder gelingt es dem Autor vortrefflich, historische Fakten in seine fiktive Geschichte einzubetten. Hervorzuheben sind die Originaldokumente und Zitate, die zwischendurch einfließen. Das verleiht der Story Authentizität.
Dabei fängt Nüse die Stimmung der 60er Jahre und die örtlichen Gegebenheiten bilderreich ein. Mein Kopfkino läuft auf Hochtouren.
Besonders interessant finde ich die politischen Hintergründe, die mir bislang so nicht bekannt waren. Man spürt beim Lesen, dass der Autor in der Welt der Politik zuhause ist.
Er schreibt flüssig und gut verständlich. Einige Charakterdarstellungen wirken auf mich eine Spur überzeichnet und klischeehaft, aber das ist eine Frage des persönlichen Lesegeschmacks. Gelegentlich scheint mir die Handlung konfus, was bei leichte Spannungsabfälle zur Folge hat.

Insgesamt ist dieses politische Actionspektakel rund um den Kennedy- Besuch lesenswert. Ich nehme viele neue interessante Informationen mit und bin gespannt, welchem politischen Theme sich Jan-Christoph Nüse in seinem nächsten Thriller widmet.

Bewertung vom 27.11.2020
Die Schweigende
Sandberg, Ellen

Die Schweigende


ausgezeichnet

Ihr lest gern unvorhersehbare, spannend inszenierte Geschichten mit interessanten Hintergründen und Sogwirkung?
Dann dürftet Ihr bei Buchautorin Ellen Sandberg fündig werden, deren neustes Werk „Die Schweigende“ am 20.10.2020 beim Penguin Verlag erschienen ist.

Der Handlung wird aus zwei Zeitperspektiven heraus erzählt. Die eine blickt in die Gegenwart, die andere geht zurück ins Jahr 1956.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht Karin, die im Hier und Jetzt ihren geliebten Mann verloren hat und seither antriebslos in den Tag hinein lebt. In ihrem Garten verdorren die Rosen, die das Ehepaar einst zur Geburt ihrer Töchter Angelika, Imke und Anne gepflanzt haben. Die Mädchen sind inzwischen erwachsen, gehen ihre eigenen Wege. Während sie ihren Vater abgöttisch geliebt haben, gestaltete sich die Beziehung zur Mutter immer schwierig, denn Karin hat nie viel über ihre Kindheit und ihre Familie erzählt. Sie konnte nur schwer Gefühle zeigen und hat sich damit bei ihren Kindern ins Abseits manövriert. Als Imke ihrem Vater am Sterbebett verspricht, nach Peter zu suchen, holen Karin die Schatten der Vergangenheit ein, die sie all die Jahre erfolgreich verdrängt hat.
1956 ist Karin ein lebenslustiger Teenager, der gern Jeans trägt, Elvis Presley hört und davon träumt, Ärztin zu werden. Sie genießt das Leben mit vollen Zügen. Doch eines Tages wird ihr der jugendliche Leichtsinn zum Verhängnis mit fatalen Folgen für sie und ihre Familie.
Von all den schlimmen Dingen ahnen Karins Töchter nichts. Erst als sich Imke auf die Suche nach Peter begibt, bröckelt Karins eiserner Vorhang langsam.

Auf der Umschlagseite stellt Ellen Sandberg die Frauen der Familie Remy zunächst vor. Sie bleibt ihrem Stil der vorangegangenen Romane treu und lässt die Akteure kapitelweise zu Wort kommen und ihre Sicht der Dinge schildern. Am Ende der Kapitel baut die Autorin kleine Cliffhanger ein, die Neugier erzeugen und den Leser an die Geschichte fesseln.
Stück für Stück lerne ich die Figuren mit ihren Eigenheiten kennen. Sie haben Ecken und Kanten und wirken daher auf mich realitätsnah. Die jahrelange emotionale Kälte der Mutter hat bei den Töchtern Spuren hinterlassen. Manchmal könnte ich diese jungen egoistischen Frauen beim Lesen schütteln. Einziger Lichtblick ist Imke, die sich selbstlos um ihre Mutter kümmert. Meiner Meinung nach kommen die Frauen in ihren Charakterdarstellungen deutlich schlechter weg, als ihre Männer. Die sind sympathischer und verständnisvoller inszeniert. Es ist bewundernswert, wie ruhig und besonnen sie auf die Kratzbürstigkeiten ihrer Frauen reagieren.

Ich fliege durchs Geschehen. Mit jeder Seite komme ich Karins Schatten der Vergangenheit näher. Was ich hier lese ist ungeheuerlich, es berührt und schockiert mich.
Ellen Sandberg greift ein brisantes Thema der 50er Jahre auf und bindet es gekonnt in ihre fiktive Story ein. Das Gelesene regt mich zum Nachdenken an und animiert mich zu einer vertiefenden Internetrecherche.
Die Schauplätze sind detailliert beschrieben, sodass ich mir die örtlichen Gegebenheiten gut vorstellen kann.

Insgesamt ist dieser Roman eine Leseerlebnis der Spitzenklasse - spannungsvoll, dramatisch und mitreißend! Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.11.2020
Weihnachten am Ku'damm
Riebe, Brigitte

Weihnachten am Ku'damm


sehr gut

Bald nun ist Weihnachtszeit...

Überall duftet es nach leckerem Essen und Glühwein. Der Run auf den schönsten Weihnachtsbaum hat längst begonnen.

Was jetzt noch fehlt, ist eine herzerwärmende Weihnachtsgeschichte.

Wie wäre es mit „Weihnachten am Ku‘damm“?
Während wir es warm und gemütlich haben, blickt Buchautorin Brigitte Riebe in den Jahrhundertwinter 1946 zurück.
Berlin liegt in Trümmern und leidet unter der Eiseskälte. Von einem üppigen Fest kann selbst die wohlhabende Familie Thalheim nur träumen. Die drei Schwestern Rike, Silvie und Florentine können sich Weihnachten ohne Baum nicht vorstellen. Doch sämtliches Holz wird zum Heizen benötigt.
Da ihr prächtiges Kaufhaus in Schutt und Asche liegt, muss sich die Familie vorläufig mit einem kleinen Modegeschäft am Savignyplatz begnügen. Eines Abend finden sie dort einen kleinen, halb verhungerten Jungen und Rike entschließt sich kurzerhand ihn mit nach Hause zu nehmen.
Wird es trotz aller Widrigkeiten ein schönes Weihnachtsfest?

Äußerlich ist das Buch hochwertig verarbeitet. Das Cover ist ein Hingucker.
Brigitte Riebe fängt die Stimmung der damaligen Zeit lebendig ein. Sie schreibt emotional berührend und integriert interessante historische Fakten in ihre fiktive Story. Die Buchautorin erzählt von schweren Zeiten, in denen die Menschen nichts hatten und improvisieren mussten, vom Zusammenhalt der Familie und von Nächstenliebe - Eigenschaften also, auf die wir uns heute, mehr denn je besinnen sollten.
Die Charaktere sind liebevoll inszeniert und wirken in ihren Handlungen glaubhaft. Besonders gern mag ich den kleinen Erich.
Das Buch ist kurzweilig und unterhaltsam.
Ich freue ich mich über dieses kleine Revival der Trilogie „Die Schwestern vom Ku‘damm“. Viele Details sind mir aus dem vorangegangenen Dreiteiler bereits bekannt. Erinnerungen werden wach und formen sich zu Bildern im Kopf.
Für all diejenigen, die die Thalheim-Schwestern noch nicht kennen, ist diese Geschichte das perfekte Warm-up.
Da ich zuvor alle drei Bände gelesen habe, fand ich es schade, der Geschichte vom Wissensstand her voraus zu sein.
Eine tolle Geschenkidee für liebe Freunde.

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Bewertung vom 08.11.2020
Die Knochennadel / Peter Hogart Bd.3
Gruber, Andreas

Die Knochennadel / Peter Hogart Bd.3


ausgezeichnet

Wenn Andreas Gruber seinen Wiener Privatdetektiv Peter Hogart in den Kurzurlaub nach Paris schickt, wird es ganz sicher keine Vergnügungsreise.
„Die Knochennadel“ - ein mittelalterliches Kunstwerk von unschätzbarem Wert soll unter den Hammer kommen. Hogarts Freundin Elisabeth ist Kunsthistorikerin und leitet die Versteigerung, die in der Opéra Garnier stattfindet.
Trotz sämtlicher Vorsichtsmaßnahmen, ist plötzlich Elisabeth samt Knochennadel verschwunden. Kurz darauf werden zwei Kunstsammler ermordet. Die Polizei hat Elisabeth im Verdacht, weil ihre Spuren am Tatort gefunden wurden. Urlaub ade! Peter Hogart schlittert direkt in seinen dritten Fall. Er beginnt fieberhaft nach seiner Freundin und der Knochennadel zu suchen. Als auch noch Hogarts Nichte Tatjana verschwindet, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.
Wird er es schaffen, das Rätsel um das Kunstwerk lösen und das Leben der beiden Frauen zu retten?

Die „Gruberschen Thriller“ lese ich seit einigen Jahren mit großer Begeisterung. Meistens sind es „dicke Dinger“, sowohl hinsichtlich der Story, als auch der Buchlänge.
Schon der Einstieg in die Geschichte ist an Spannung kaum zu überbieten. Schnell bin ich mittendrin. Andreas Gruber legt ein enormes Tempo vor, sodass die mehr als 600 Seiten leicht zu bewerkstelligen sind.
Das Setting des Buches ist klasse - Paris als Schauplatz des Geschehens, dazu ein unheimlicher Mörder und ein verschwundener Kunstgegenstand aus dem Mittelalter.
Dass der oder die Mörder ziemlich durchgeknallt sind, wird schnell klar. Die Gründe hierfür sind schockierend und offenbaren sich Stück für Stück. Sie sind intelligent, verfügen über exzellentes Insiderwissen und scheinen den Ermittlern immer eine Nasenlänge voraus zu sein.
Peter Hogart ist ein sympathischer Kerl, der selbst in scheinbar ausweglosen Situationen seinen Humor behält. Ich mag ihn.
Von Seite zu Seite spitzt sich die Lage zu und mündet in einem turbulenten Finale.
Wow, das ist ein Thriller nach meinem Geschmack, interessanter Plot, spannungsreich ausgearbeitet, unterhaltsam und rasant umgesetzt. Wieder ein „Gruber“, mit Sogwirkung! Lesen!!!