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Webervogel

Bewertungen

Insgesamt 68 Bewertungen
Bewertung vom 08.04.2024
Das Resort
Goodwin, Sarah

Das Resort


weniger gut

Starker Anfang, schwaches Ende

Sarah Goodwins Lieblingsthema scheinen Frauen in Extremsituationen zu sein – zumindest handeln ihre beiden auf Deutsch übersetzten Thriller „Das Resort“ und „Stranded“ davon. In beiden Geschichten ist eine Frau mehr oder weniger plötzlich auf sich alleine gestellt und muss zusehen, wie sie irgendwo im Nirgendwo klarkommt. Und obwohl ihre Bücher zu größeren Teilen One-Woman-Shows sind, sind sie trotzdem spannend und haben mich nachhaltig beschäftigt.

Und jetzt kommt das Aber.
Im Gegensatz zum Spannungsaufbau ist Logik keine große Stärke dieser Autorin. Wenn ein Thriller fesselnd ist, sehe ich gerne über kleinere Ungereimtheiten hinweg; hier war das jedoch beim besten Willen nicht möglich. „Das Resort“ ist auch noch ausgerechnet in Bayern angesiedelt – bei einem mir unbekannteren Schauplatz wie z.B. der kanadischen Wildnis wäre ich wohl noch etwas nachsichtiger gewesen. Kurz zum Inhalt: Hauptfigur Mila und ihr Ehemann Ethan wollen eigentlich die Hochzeit von Milas Schwester in einem bayerischen Luxusresort besuchen, finden sich nach einer Autopanne jedoch fernab der Zivilisation in der Nähe einer verlassenen Hüttenansammlung wieder. Nachdem Ethan in der ersten Nacht auf unerklärliche Art verschwindet, ist Mila auf sich gestellt und mit verstauchtem Knöchel sowie großer Angst vor Bären und Wölfen einem Schneesturm nach dem anderen ausgesetzt. Allerdings zweifelt sie bald daran, wirklich alleine zu sein, denn irgendjemand – oder irgendetwas – scheint ihr übel mitzuspielen …
Für Mila beginnt ein Überlebenskampf – gegen Kälte, Hunger, Angst. Hier kommt immer wieder Spannung auf und die Verzweiflung der Protagonistin ist durchaus nachvollziehbar und hat mich auch mitfiebern lassen. Doch ein Thriller steht und fällt mit seiner Auflösung und diese hier ist haarsträubend – sie macht einfach wenig Sinn. Das hat zumindest mir das gesamte Buch im Nachhinein verleidet. Wie schade!

Bewertung vom 16.03.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Ausnahmebuch

Bei diesem Roman lässt sich so vieles hervorheben; zum Beispiel die präzise, elegante Sprache und die eindrückliche Darstellung von Tieren und Natur. „Trophäe“ ist dicht erzählt und konzentriert sich auf wenige Protagonisten und Handlungsschauplätze. Hauptfigur ist der amerikanische Jäger Hunter White – der Name ein Klischee, der Mann dahinter jedoch nicht zu unterschätzen. Hunter ist ein Trophäenjäger mit Ethos, zumindest stellt er sich selbst so dar und seine Perspektive ist den Leserinnen und Lesern am nächsten. Nicht zum ersten Mal ist er mit einer teuer erkauften Jagdlizenz nach Afrika gekommen, doch diese hier war vermutlich die kostspieligste: Hunter will ein Nashorn erschießen und damit die Big Five vollmachen – Löwe, Büffel, Elefant und Leopard hat er also bereits erlegt. Kein Wunder, dass er mit seinem südafrikanischen Jagdtourenorganisator schon gut befreundet ist – van Heeren weiß genau, was Hunter White will. Eine halbwegs authentische Jagderfahrung, Übernachtungen im Zelt, keinen Firlefanz. Die Tage des ausgewählten Nashorns sind gezählt, doch erstmals läuft nicht alles nach Plan und es sieht ganz so aus, als müsste Hunter mit leeren Händen zurückreisen. Doch dann erzählt ihm van Heeren von den Big Six und plötzlich erscheinen alle moralischen und ethischen Fragen, mit denen Gaea Schoeters ihre Leser*innen bis dahin konfrontiert hat, wie leichte Aufwärmübungen …

Die flämische Autorin geht von Anfang an in die Vollen. Hunter Whites Respekt vor der Beute hat mir beim Lesen durchaus welchen abgenötigt, seine Argumentation, warum Trophäenjagd Artenschutz bedeutet, klingt erschreckend logisch. Nebenbei lässt Gaea Schoeters ihren passionierten Jäger immer wieder Erfahrungen machen, die ihm zeigen: Westliche Wertevorstellungen muss man sich erstmal leisten können. Vom amerikanischen oder auch deutschen Sofa aus mag Gut und Böse klar trennbar sein, in Afrika stellt sich aber einiges anders dar. Darf man urteilen, wenn man die Komplexität von Situationen interkulturell gar nicht erfassen kann? Und als sie mich als Leserin endlich soweit hatte, dass ich alte Gewissheiten mit neuer Demut in Frage stellte, trieb es die Autorin erbarmungslos auf die Spitze. Ein verstörender Roman, der fasziniert, herausfordert und erschreckt. Ungewöhnlich und absolut lesenswert.

Bewertung vom 18.02.2024
Arctic Mirage
Kokkonen, Terhi

Arctic Mirage


gut

Nachlassende Sogwirkung

Das Cover dieses Buchs wirkt sanft, fast verträumt. Eine Frauengestalt, klein in einer riesigen Schneelandschaft, im Hintergrund dunkle Berge und ein pastellfarbener Himmel. Terhis Kokkonens Roman ist allerdings eher das Gegenteil von sanft und verträumt; schon der kurze Prolog ist brutal, scheint außerdem das Ende vorwegzunehmen und lässt Leserinnen und Leser mit vielen Fragezeichen zurück.

Das titelgebende „Arctic Mirage“ ist ein Luxushotel in Lappland, in dem die Protagonisten Karo und Risto unfreiwillig landen. Eigentlich waren sie am Ende ihres Urlaubs schon auf dem Weg zum Flughafen, hatten dann jedoch einen Autounfall. Ins Krankenhaus muss das mittelalte Pärchen nicht, doch der sie untersuchende Arzt empfiehlt, eine Nacht vor Ort zu bleiben, die Hotelangestellte insistiert, dass ein Aufenthalt von zwei Nächten das Minimum ist und schlussendlich verbringen die beiden doch mehrere Tage im Arctic Mirage. Doch wirklich erholsam ist der Aufenthalt nicht – irgendwas liegt in der Luft, die Nerven sind angespannt, die Stimmung brüchig. Und die Situation spitzt sich zu …

Der mit 192 Seiten eher kurze Roman entwickelt in den ersten zwei Dritteln eine ziemliche Sogwirkung – obwohl gar nicht so viel passiert. Es gibt kleine Rückblicke, mehrere Nebenfiguren werden eingeführt, Karo und Risto scheinen in der Luxusanlage eher so vor sich hinzudümpeln. Trotzdem mochte ich das Buch nicht aus der Hand legen und wollte gerne ergründen, was da eigentlich vor sich geht. Doch das änderte sich irgendwann. Tatsächlich war es zunächst wohl einfach ein Nebenschauplatz zu viel, der mich nicht interessierte und auch im Nachhinein keine Relevanz für die Geschichte hatte. Dadurch, dass einigen Randfiguren relativ viele Seiten eingeräumt werden, hatte ich von ihnen vermutlich mehr erwartet. Außerdem hat mich die Tristesse irgendwann ermüdet – so unterschiedlich die Protagonisten dieses Buches sein mögen, niemand ist sympathisch, niemand scheint mit seinem Leben im Reinen. Wobei die Autorin dazu kein Wort zu viel verliert. Zum Teil bestätigt „Arctic Mirage“ die Klischees, die einem bei einem in Finnland spielenden Roman in den Sinn kommen: depressive, wortkarge Figuren, Einsamkeit und Kälte. Das Ende hat zwar manches aufgeklärt, mich aber auch deprimiert. Richtig rund ist dieses Buch auch im Rückblick nicht.

Bewertung vom 11.02.2024
Good Inside - Das Gute sehen
Kennedy, Becky

Good Inside - Das Gute sehen


sehr gut

Wohlwollend und empathisch

Der Grundgedanke von Dr. Becky Kennedys Erziehungsratgeber ist schon im Titel genannt: Unsere Kinder sind „good inside“. Ab und zu mögen sie sich so verhalten, dass wir sie am liebsten auf den Mond schießen würden, trotzig, bockig, „schwierig“ – aber das ändert nichts an dieser grundsätzlichen Tatsache. Ich habe erst überlegt, ob das eine Binsenweisheit ist; vermutlich wird es kaum Eltern geben, die in einer Krisensituation gleich den kompletten Charakter ihres Nachwuchses in Frage stellen. Aber tatsächlich macht es etwas mit einem, wenn man erstmal durchatmet und sich diesen Fakt in Erinnerung ruft. Er führt zu der Verdeutlichung, dass das Kind einen nicht vorrangig auf die Palme bringen will, sondern inneren Nöten folgt – und ist das erstmal erkannt, besteht auch die Chance, diese zu verstehen. Die Autorin geht außerdem wohlwollend davon aus, dass ihre Leser*innen „good inside“ sind – nicht fehlerlos, aber lernwillig. Mir hat das beim Lesen einen gewissen Trost gespendet.
Dr. Kennedy arbeitet mit vielen Fallbeispielen, die ihren Ratgeber lebendig und anschaulich machen. Ich habe mich dennoch etwas schwer damit getan, mehrere Kapitel am Stück zu lesen, aber das mag der Tatsache geschuldet sein, dass ich einfach keine große Ratgeberleserin bin. „Good Inside“ ist auf jeden Fall ein Buch, in dem ich immer mal wieder blättern werde und das viel Inspiration zum achtsamen Umgang innerhalb der Familie bietet.

Bewertung vom 02.02.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


sehr gut

Gute Spannungsunterhaltung trotz Logikschwächen

Thriller, in denen ein Mord passiert, wenn eine Gruppe von Menschen entweder geplant oder ungewollt von der Außenwelt abgeschnitten ist, gibt es viele. Sehr viele. Da es unendliche Möglichkeiten gibt, diese Ausgangssituation auszugestalten, ist das aber kein Problem. Tríona Walsh hat sie auf die abgelegene irische Insel Inishmore verlagert, auf der immerhin über 900 Leute leben. Die Clique, die sich nach zehn Jahren dort wiedersieht, ist also nicht wirklich unter sich. Das Cover grenzt die Identität des Mörders/der Mörderin allerdings trotzdem schon stark ein – wer es schafft, sollte also am besten drauflos lesen und sich das Buch nicht zu genau angucken. Ganz interessant ist allerdings die Karte in der hinteren Umschlagklappe – die hätte ich wiederum fast übersehen.

Hauptfigur Cara ist die (einzige) Inselpolizistin auf Inishmore und verwitwete Mutter von zwei Kindern. Nachdem ihr Mann Cillian bei einem tragischen Unglück vor 10 Jahren gestorben ist, hat sich die Clique um die beiden zerstreut – nur drei der Freunde wohnen noch auf der Insel, zwei leben in London und Cillians Bruder Seamus hat sogar in den USA Karriere gemacht. Doch zu diesem traurigen Jubiläum treffen sie sich zwischen den Jahren in Cillians‘ und Seamus‘ verwaistem Elternhaus. Draußen tobt ein Schneesturm, doch richtig kuschlig wird es drinnen auch nicht. Nähe und Vertrautheit lassen sich nicht auf Knopfdruck wieder herstellen – vor allem nicht, wenn mehrere Anwesende Geheimnisse hüten …

Das Cover von „Schneesturm“ wirkt durch die Farbgebung und die hinter den Bergen verschwindende Schrift ziemlich bedrohlich (der orange Farbschnitt passt perfekt dazu und ist ein toller Hingucker!). Der Thriller selbst kann da nicht ganz mithalten – tatsächlich geht „Schneesturm“ vielleicht eher in Richtung Krimi; ganz am Ende kam es sogar zu einer Situation, bei der ich an Hercule Poirot denken musste. Zweifellos gibt es spannende Passagen, aber atemlos mitgefiebert habe ich nicht. Teilweise verfranst sich die Geschichte auch etwas, doch am Ende schafft es Tríona Walsh erstaunlich gut, die losen Enden wieder zusammenzuführen. Bei näherem Nachdenken erschien mir längst nicht alles so richtig logisch, gut unterhalten habe ich mich jedoch trotzdem gefühlt.

Bewertung vom 09.01.2024
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Ford, Olivia

Der späte Ruhm der Mrs. Quinn


gut

Vorhersehbarer Wohlfühlroman

Das Cover dieses Romans macht nicht nur Lust auf Schokoladenkuchen, es passt auch perfekt zum Inhalt. Hauptfigur von „Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ ist eine 77-jährige Hobbybäckerin, wobei dieses Wort ihrer Leidenschaft kaum gerecht wird: Jenny Quinn backt täglich, für Freunde, Nachbarn und ihren Ehemann Bernard, hütet Familienrezepte ihrer Eltern und früherer Generationen und findet ihre Erfüllung darin. Passenderweise ist jedes Kapitel mit dem Namen einer darin vorkommenden Kreation überschrieben, von Brandy Snaps bis Yorkshire-Kuchen mit Trockenfrüchten. Viele der Backwaren sagten mir nichts, oft habe ich mir Bilder gewünscht – oder zumindest das ein oder andere Rezept am Buchende. Leider wurde hier nichts aufgenommen.

Auch in Jenny Quinns Lieblingsfernsehsendung geht es um das Thema Backen. Sie verpasst keine Folge von „Das Backduell – Backen auf der Insel“ und sieht schließlich einen Aufruf, dass neue Kandidat*innen für die Sendung gesucht werden. Mrs. Quinn kann sich nicht vorstellen, tatsächlich in eine Fernsehsendung eingeladen zu werden – ist sie nicht zu alt oder überhaupt gut genug? Doch die Sehnsucht ist geweckt und sie bewirbt sich; ohne Bernard, mit dem sie seit 59 Jahren glücklich verheiratet ist, etwas zu verraten. Denn vermutlich klappt es ja eh nicht – diese Begründung fand ich allerdings etwas dürftig, nachdem Bernard als herzensguter, sie immer unterstützender Ehemann geschildert wird. Leserinnen und Leser ahnen natürlich schon, dass Jenny Quinn Teilnehmerin des Backduells wird. Die Szenen rund um die Fernsehproduktion habe ich dann auch am liebsten gelesen.

Es gibt allerdings auch immer wieder Einschübe aus der Vergangenheit, die Mrs. Quinns Leben nacherzählen und schließlich ein großes, lange zurückreichendes Geheimnis lüften. Auch hier lässt sich bald erahnen, worum es sich handelt. Und das hat mich an „Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ generell gestört: Der Roman ist ziemlich vorhersehbar. Die Geschichte plätschert relativ glatt vor sich hin, kein Charakter schert aus der Rolle, alle benehmen sich so, wie man es von ihnen erwarten würde, keine Brüche, kaum Unvorhersehbares. Dabei hätten mehrere Figuren das Potential gehabt, neue Facetten oder etwas mehr Tiefgang hineinzubringen, sie bleiben aber stattdessen etwas eindimensionale, farblose Komparsen. Bernard ist liebend und verständnisvoll, die Großnichte einfach niedlich, Jennys junger Konkurrent Azeez ein richtiger Schatz und die Producerin Carys ihr größter Fan. Ich habe gar nichts gegen Wohlfühlromane, aber von dem hier hatte ich mir doch etwas mehr versprochen. Das Potential wäre durchaus dagewesen, es hätte einfach ein paar Ecken und Kanten gebraucht.

Bewertung vom 27.10.2023
Weihnachtszeit! Bald ist's so weit
Moser, Annette

Weihnachtszeit! Bald ist's so weit


ausgezeichnet

Niedliches Weihnachtsbilderbuch für kleine Entdecker

Dieses sehr süße Pappbilderbuch ist großformatig und enthält auf sechs Doppelseiten mehr als 30 Klappen – wow! Man entdeckt gar nicht alle auf den ersten Blick, weil sie sich auf jeder Seite an unterschiedlichen Stellen verstecken, teils sehr groß und teils klein sind. Jede Doppelseite ist einem Tier oder einer Tierfamilie und ihren Weihnachtsvorbereitungen gewidmet und immer fehlt irgendwas, was kleine Leserinnen und Leser hinter einigen der Klappen für die Tiere wiederfinden können. Auf der letzten Doppelseite versammeln sich dann alle Tiere mit vielen (aufklappbaren) Geschenken unterm leuchtenden Tannenbaum – und wer aufgepasst hat, kann zuordnen, welches Tier sich über welches Präsent freuen darf. Die singende Eule hat sich z.B. eine Flöte gewünscht, Doro Dachs ist begeisterte Handwerkerin …

Die Texte sind nicht zu lang und gut verständlich und die Illustrationen liebevoll und detailliert. Auch wenn es kein Wimmelbuch ist, gibt es viele Kleinigkeiten zu entdecken, so dass auch mehrmaliges Anschauen absolut nicht langweilig wird. Trotzdem werden Kleinkinder nicht überfordert – Spaß an den Klappen kann man sogar schon mit unter zwei Jahren haben; Texte und Bildersuche sind dann für etwas Ältere. Mit ihnen kann man spielerisch darüber ins Gespräch kommen, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, Dinge wiederzufinden, die man verlegt hat und was zur Weihnachtszeit alles dazu gehört.

Bewertung vom 09.10.2023
Eigentum
Haas, Wolf

Eigentum


ausgezeichnet

Hommage

Der österreichische Autor Wolf Haas erzählt in „Eigentum“ von seiner fast 95-jährigen Mutter. Er schildert die Gespräche mit der Hochbetagten an ihren letzten Lebenstagen im Altenheim, gibt ihre Erinnerungen wieder und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Diese springen zwischen der Situation, der Vergangenheit, einer anstehenden Poetikvorlesung und der zu planenden Beerdigung hin und her. Das Ganze liest sich keineswegs schwermütig, sondern ist eine feine Mischung nüchterner, anrührender und skurriler Betrachtungen – und eine Hommage an die Mutter.

Marianne Haas war offensichtlich kein einfacher Charakter und tickte ganz anders als der Autor selbst. Man war sich vermutlich fern, fremd und nah zugleich, wie das nur in engen familiären Beziehungen der Fall sein kann. 1923 in ärmlichen Verhältnissen geboren, hatte die Frau ein oft hartes und karges Leben und immer ein Ziel vor Augen, das der Autor auch als Titel seines Romans gewählt hat: Eigentum. Doch Marianne Haas konnte nie Eigentum erwerben, trotz „sparen, sparen, sparen“ (sie war eine Liebhaberin von dreifachen Wortwiederholungen). Die notwendige Anzahlung wurde immer erhöht, wenn das Sparziel in greifbarer Nähe schien, Inflation entwertete das Geld – im Jahr der Hyperinflation geboren, scheint sich dieses Motiv durch ihr Leben zu ziehen. Erst als ihr Mann beerdigt und auf dem Friedhofskreuz auch bereits ihr Name verewigt ist, ist dem Gefühl nach eigener Grund und Boden da – wenn auch anders als vom Leben erhofft.

Wolf Haas lässt seine Mutter selbst zu Wort kommen, wenn es um ihre Lebenserinnerungen geht. Familiengeschichte, Servierkurs, Arbeit im Grandhotel, Kriegserinnerungen werden aus ihrer Perspektive und in einem ihr eigenen, unemotionalen Erzählstil geschildert. Dazwischen hängt der Sohn seinen Gedanken nach. „Eigentum“ ist ein schmales Büchlein von 157 Seiten mit keinerlei Längen. Es betrachtet ein Leben und das Leben äußerst kurzweilig, liest sich mal tragisch, mal amüsant und hat mich so manches Mal wegen einer knapp geäußerten Lebensweisheit, einer scharfsinnigen Betrachtung, eines bittersüßen Einschubs oder ein paar unerwarteten Humorfunken innehalten lassen. Ein gutes Buch, eine gelungene Hommage. Lesen, lesen, lesen.

Bewertung vom 21.08.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


sehr gut

Anti-Pretty-Woman

Diesen Roman habe ich in kurzer Zeit verschlungen, obwohl die Handlung oft träge vor sich hin wabert. Er hat mir gefallen, aber wenn mich jemand nach einem Buchtipp fragt, werde ich ihn vermutlich nicht nennen. Die Autorin Emma Cline merke ich mir allerdings – von ihr würde ich gerne noch mehr lesen!

Die 22-jährige Alex arbeitet als Escort und scheint schon einiges hinter sich zu haben. Aber jetzt hat sie’s in ihren Augen geschafft: Sie lebt seit ein paar Wochen mit dem mehr als doppelt so alten Simon in seinem Haus in den Hamptons, passt sich perfekt an seine Bedürfnisse an und genießt dafür Komfort und Luxus. Kennengelernt haben sie sich in einer Bar – nicht ganz zufällig, obwohl er das vermutlich denkt. In New York lief es nicht mehr gut für sie: verärgerte Mitbewohner, ein sie stalkender Ex-Kunde, Schulden. Simon kann Alex das bieten, wonach sie sich sehnt: Zutritt zu der Welt der Reichen, Schönen, Sorglosen. Allerdings ist ihr Arrangement nicht so dauerhaft, wie sie gehofft hat. Alex hat jedoch schon eine Idee, wie sie wieder Teil seines Lebens werden will …

Wer hier auf eine Liebesgeschichte à la „Pretty Woman“ hofft, wird schwer enttäuscht werden (wobei weder Cover noch Klappentext irgendwelche Hoffnungen auf Romantik wecken). Alex ist eine Antiheldin, die schwer greifbar bleibt, obwohl man als Leser*in durchgehend dicht an ihr dran ist. Klar ist: Sie ist abgebrüht, nutzt aus und manipuliert, ist aber gleichzeitig verzweifelt, medikamentenabhängig und selbstzerstörerisch. „Die Einladung“ umfasst nur ein paar heiße Sommertage, in denen man sie in den Hamptons begleitet – erst mit Geld, dann ohne. Der Roman liest sich intensiv: Eine träge Atmosphäre überlagert alles; die Schilderungen von der Hitze, dem Meer, den Pools und dem Dreck hinter der Fassade brennen sich ein. Stellenweise wirkt „Die Einladung“ handlungsarm, gleichzeitig jedoch fesselnd und irritierend. Viele Fragen bleiben offen, trotzdem erscheint mir der Roman im Rückblick rund und stimmig. Das mag widersprüchlich klingen, passt aber wiederum bestens zu dieser Geschichte um Anti-Pretty-Woman Alex.

Bewertung vom 19.07.2023
Die Affäre Alaska Sanders
Dicker, Joël

Die Affäre Alaska Sanders


ausgezeichnet

Wiedersehen mit Marcus Goldman

Ich habe fast alle Romane von Joël Dicker gelesen – ach was, verschlungen; er ist einer der wenigen Autoren, dessen Hardcover ich mir sogar ohne Kenntnis der Inhaltsangabe kaufen würde. Sein neuestes Buch „Die Affäre Alaska Sanders“ ist die dritte Begegnung mit seinem Ich-Erzähler Marcus Goldman, auf die ich mich sehr gefreut habe. Als einziges bedauert habe ich bei der Lektüre, dass es schon eine ganze Weile (achteinhalb Jahre?) her ist, dass ich „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ gelesen habe – die Bezüge in „Die Affäre Alaska Sanders“ sind zahlreich, die Protagonisten zum Teil die gleichen und ich konnte mich an viele leider nur noch rudimentär erinnern. Dicker-Fans, die mehr Lesezeit als ich haben, würde ich daher empfehlen, den Marcus-Goldman-Erstling nochmal zu lesen. Man kann „Die Affäre Alaska Sanders“ aber auch sonst sehr genießen, und genau das habe ich getan.

Die titelgebende Alaska Sanders – 22 Jahre alt, bildhübsch, zielstrebig und immer freundlich – wird Anfang April 1999 in der Nähe der Kleinstand Mount Pleasant, New Hampshire, ermordet. Der Fall kann postwendend gelöst werden: Ihr Ex Walter gesteht nach seiner Festnahme den Mord und begeht noch auf der Polizeistation Suizid. Seinen besten Freund Eric hat er vorher als Mittäter verraten, worauf dieser zu lebenslanger Haft verurteilt wird.
Das alles ist elf Jahre her, als der Schriftsteller Marcus Goldman, beruflich erfolgreich, privat etwas verloren, durch seinen alten Bekannten Sergeant Perry Gahalowood auf den Fall stößt. Gahalowood war damals an den Ermittlungen beteiligt und bekommt nun den Hinweis, dass etwas faul ist. (Das ist die Kurzversion – hierbei spielen eine private Tragödie, Irrungen und Umwege eine Rolle, die fast eine eigene Geschichte in der Geschichte sind – typischer Dicker-Stil eben.) Und so ermitteln der Sergeant und der Schriftsteller wieder. Marcus Goldman versucht außerdem, seinen früheren Mentor Harry Quebert ausfindig zu machen, kommt dabei aber genauso wenig voran wie in der Affäre Alaska Sanders.

Der Roman hat 592 Seiten und dabei keinerlei Längen. Er wird zum Teil in Rückblenden und aus verschiedenen Perspektiven erzählt und hat mich nicht losgelassen. Auch wenn ein Mord im Zentrum steht, ist „Die Affäre Alaska Sanders“ von einem herkömmlichen Krimi weit entfernt mit den vielen Schleifen, die Dicker erzählt. Trotzdem ist der Roman spannend und hat mich keine Sekunde gelangweilt. Joël Dickers Erzählkunst begeistert mich einfach und ich hoffe auf ein baldiges Wiedersehen mit Marcus Goldman und Sergeant Gahalowood – das gelungene Ende macht Hoffnung, dass irgendwann vom Mordfall Gaby Robinson erzählt werden wird. Darauf freue ich mich jetzt schon!