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Benutzername: 
Marie
Wohnort: 
Falkensee

Bewertungen

Insgesamt 28 Bewertungen
Bewertung vom 29.10.2022
Das Leuchten der Rentiere
Laestadius, Ann-Helén

Das Leuchten der Rentiere


gut

Nördlich des Polarkreises, im klirrend kalten und tiefverschneiten Winter Schwedens, wo hier und dort Rentiere die Straßen kreuzen, wächst Elsa auf. Ihre Familie gehört den Samen an, einer indigenen Bevölkerungsgruppe Skandinaviens, in welcher die Rentierzucht bis heute die Lebensgrundlage vieler Familien bildet - so auch der Elsas. Im zarten Alter von 9 Jahren sieht Elsa am Rentiergehege ihrer Eltern, wie ihr eigenes Rentierkalb von einem Mann ermordet wird. Ein Ereignis, das sich noch über viele Jahrzehnte fest in ihrem Gedächtnis hält. Elsa hat den Täter erkannt, doch fühlt sich durch Drohgebärden zum Stillschweigen verpflichtet. Über die Jahre hinweg muss sie jedoch zusehen, wie mehr und mehr Rentiere durch Tierquälerei leiden und durch Wilderei sterben müssen. Die Polizei zeigt sich machtlos und wenig interessiert an den "Haustieren" und Problemen der Samen, und alle Anzeigen verlaufen ins Leere. Doch mit steigendem Alter beginnt Elsa Gerechtigkeit einzufordern, für ihre Familie, ihr Volk, und ihr ermodetes Rentier.

Obwohl das Cover allein schon ein Highlight in meinem Bücherregal ist, war der Einstieg ins Buch für mich ziemlich schwierig. Mehrfach konnte ich den Zeitsprüngen nicht richtig holperfrei folgen und habe immer wieder den Faden verloren. Hinzu bin ich leider auch mehrfach über den etwas unsauberen Schreibstil bzw. die Übersetzung gestolpert, und leider war meine Lesebegeisterung daher vor allem zu Beginn noch sehr zurückhaltend. Ab der Mitte wurde es aber viel besser! Mit der Sprache wuchs auch die Protagonistin zu einer starken Figur heran - vom stillen Kind zur lautstarken Erwachsenen, die Gerechtigkeit einfordert und für ihre Interessen kämpft. Die Sprache ist ruhig, jedoch nicht allzu ausgeschmückt, was aber auch nicht weiter tragisch ist; die Szenerie konnte ich mir trotzdem sehr gut vorstellen.

Der Eindruck, welchen die Autorin in die Lebenswelt der Samen gibt, ist interessant, aber auch erschreckend, denn auch sie spüren die Gefahren des Klimawandels und erleben Rassismus.

Trotz des schwerfälligen Einstiegs konnte mich das Buch letztendlich doch noch gut unterhalten, und hat einen sowie erschütternden als auch spannenden Eindruck in den Alltag und die Traditionen der Samen gegeben - doch ganz überzeugen konnte es mich nicht.

Bewertung vom 02.06.2022
Der große Fehler
Lee, Jonathan

Der große Fehler


weniger gut

Andrew Haswell Green entstammt eigentlich eher ärmlichen Verhältnissen, hat sich jedoch in seinem späteren Leben als Stadtplaner einen Namen gemacht, der bis heute unmittelbar mit der Metropole New York in Verbindung gebracht wird - zumindest wenn man sich etwas mit dem Thema beschäftigt. So verdankt die Stadt ihm heute unter anderem weltbekannte Sehenswürdigkeiten wie den Central Park oder das MoMA, und die durch ihn vorangetriebene Zusammenschluss von Manhattan und Brooklin ließ ihm den Spitznamen „Vater von Greater New York“ zuteilkommen. Im Buch begleiten wir den Sohn der Stadt durch seine Lebensstationen. Auf mühsame Lehrjahre im Handel folgt eine Reise nach Trinidad, wo er zum Verwalter einer Zuckerrohrplantage wird, bis es ihn schließlich nach New York treibt. Im Jahr 1903 wird Green am hellichten Tag vor seiner Haustür erschossen - an einem Freitag den 13. Die Gerüchteküche brodelt natürlich bei solch einem Attentat auf einen stadtbekannten Mann, sogar der Präsident erpicht auf eine schnelle Aufklärug. Und so versucht der ermittelnde Inspektor diesen Mordfall mit Rückblenden in Bezug auf Andrew Greens Lebenslauf zu lösen.

Jonathan Lee hat hierbei also eine Detektivgeschichte in eine Biographie eingebaut, die es natürlich durchaus wert ist erzählt zu werden, wenn man sich nur mal vor Augen führt, wie New York heute ohne das Mitwirken eines gewissen Andrew Greens aussehen würde. Doch die Handlung zog sich leider sehr schleppend dahin und war mir nicht stringent genug, als dass ich mich richtig auf die Geschichte einlassen konnte. Der Zugang war ziemlich schwerfällig, weder zum Plot noch zu den Charakteren konnte ich eine nennenswerte Verbindung aufbauen. Die eher unscheinbar und unnahbar bleibenden Protagonisten und Nebenfiguten konnten mich einfach nicht unterhalten, da über sie schlichtweg zu monoton berichtet wurde. Relativ mühsam war es vor allem, dem Werdegang von Andrew Green zu folgen, da zu viel zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her gesprungen wurde und mir der Rote Faden bzw. die Struktur der Ezählung immer wieder entglitten ist.

Der Klappentext rühmt den Roman als „besten amerikanische[n] Roman des Jahres“, und dem kann ich leider wenig zustimmen. Zu verworren und emotionslos erzählt Jonathan Lee die Geschichte dieses eigentlich wirklich interessanten Visionärs des alten New Yorks, dem heute lediglich eine Bank im Central Park gewidmet ist und dessen Name scheinbar längst vergessen ist. Die Sprache bewirkt ein tolles sprachliches Abbild der vergangenen Zeit, aber die Plotgestaltung hat mich leider nicht umgehauen und war mir für eine eigentlich recht spannende (fiktionalisierte) Biographie insgesamt zu lieblos gestaltet.

Bewertung vom 29.01.2022
Zum Paradies
Yanagihara, Hanya

Zum Paradies


weniger gut

So, nun habe ich satte 48 Tage an diesem Schinken gelesen, und ich denke das spricht bereits für sich. Mir hat "Zum Paradies" nämlich überhaupt nicht gefallen.
Ich fand es vor allem ziemlich leblos erzählt. Nicht unbedingt lieblos, denn die Handlung ist wirklich sehr fein bis ins Detail ausgeschmückt (was aber zeitgleich der Spannung leider enooooorm Abbruch getan hat). Die Protagonisten haben mich allesamt einfach nicht berührt und obwohl der Klappentext thematisch so ansprechend war, hat die eigentliche Handlung dann kaum mein Interesse geweckt, mich voll und ganz auf die Geschichte einlassen zu wollen.

Ich bin natürlich nicht ganz unvoreingenommen an die Geschichte herangetreten, nachdem "Ein wenig Leben" eines meiner Highlights im letzten Jahr war. Dass mich der neue Roman von Yanagihara in eine wochenlange Leseflaute versetzen wird, hätte ich niemals erwartet. Ich hab mich auf eine lange Geschichte zum mitfiebern und eintauchen gefreut, fand aber das stilistische Konzept, welches dem Buch zugrunde liegt, schwierig durchdringbar, sodass die vielen Davids und Wiederholungen irgendwie mehr verwirrend als erhellend waren.

Long story short: ziemlich langweilig, verwirrend, langatmig und absolut gar nicht mein Buch.

Bewertung vom 23.08.2021
Harlem Shuffle
Whitehead, Colson

Harlem Shuffle


weniger gut

Manchmal gibt es Bücher, mit denen man leider gar nicht warm wird, und so ging es mir mit Whiteheads neuem Roman.
Die neueste Geschichte des immerhin zweifachen Pulitzpreisträgers thematisiert den Alltag von Ray Carney, einem aufstrebenden Möbelhändler im New Yorker Harlem der 60er-Jahre. Als aufstrebender Geschäftsmann handelt er in seinem eigenem, hart erwirtschafteten Geschäft unter dem Tresen mit Hehlerware, das ihm vorwiegend von seinem Cousin Freddy angedreht wird.

Whitehead kann schreiben, das merkt man. Er schreibt vorwiegend im Gauner-Slang über das alte New York, erfasst die pulsierende Atmosphäre der Metropole im Kern und ist wohl einer der Meister des Kopfkinos. Aber das Buch zieht sich echt wie Kaugummi. Die Sprache war unglaublich komplex, detailreich, ausschweifend - und nach der zigsten Lebensgeschichte irgendeiner Randfigur und der gefühlt hundertsten Beschreibung irgendwelcher Einrichtungsgegenstände hatte ich leider keinen Nerv mehr. Das Buch ist merkbar atmosphärisch konstruiert, aber was es in der Detailverliebtheit im Übermaß gab, fehlte für mich in der Handlung, deren Fokus ich nicht wirklich rauslesen konnte - und der unter anderem durch einen Zweijahreszeitsprung zwischendurch noch mehr gebrochen wurde. Das Lesen war unglaublich anstrengend, ständig wurden neue Personen und deren Geschichten eingestreut, die Handlung verkomplizierte sich immer mehr zu einem für mich undurchschaubaren Knoten. Ab der Hälfte wurde in so viele Belanglosigkeiten abgedriftet, dass ich nichtmal mehr begriffen habe, worauf ich mich vordergründig noch konzentrieren sollte und was ich so ungefähr noch erwarten kann. Mein Gehirn hat leider schlapp gemacht.

Insgesamt also ein wirklich sehr zähes Buch, bei dem sich auf etwa 300 Seiten bei mir nicht mal ein Ansatz eines Leseflusses eingestellt hat - noch konnte der Roman mich in irgendeiner Art zum Weiterlesen motivieren. Ich hab mich also schweren Herzens im letzten Viertel dazu überwinden können, das Buch abzubrechen. Leider keine Leseempfehlung von mir, aber wer wirklich super ausführliche, dichte Beschreibungen mag (und sich im Idealfall für ältere Möbelstile interessiert), dem könnte das Buch vielleicht gefallen.

Bewertung vom 13.08.2021
Ein erhabenes Königreich
Gyasi, Yaa

Ein erhabenes Königreich


gut

Die Familie um Protagonistin Gifty ist aus Ghana in die USA ausgewandert, um sich ein neues Leben aufzubauen. Doch recht schnell kommt Sehnsucht nach der Heimat auf, und der Vater verlässt die Familie sowie Amerika. Bereits hier beginnt das fragile Familiengefüge um Gifty, ihren älteren Bruder Nana und ihre Mutter zu wanken. Mutter und Tochter suchen im Glauben an Gott und innerhalb ihrer Gemeinde nach Trost, Nana findet seinen Zufluchtsort in den Drogen und stirbt schon bald an den Folgen seines Heroinkonsums.
Durch den befremdlichen Umgang der Gemeindemitglieder und des Pastors mit dem Tod ihres suchtkranken Bruders, versucht Gifty ihrer Religion den Rücken zu kehren und wendet sich Jahre später in beruflicher Sicht den Wissenschaften zu. Während ihre Mutter immer mehr einer lähmenden Depression verfällt, erforscht Gifty anhand von Mäusen Suchtverhalten, sucht nach Gründen und Auswegen aus der Abhängigkeit und versucht gleichzeitig, ihrer Mutter eine Stütze zu sein.

Ein Buch über eine Familie, die in der Fremde vom rechten Weg abgekommen ist. Die zentralen Themen liegen auf Verlust und Trauer, psychischer Gesundheit, sowie dem Urzwist zwischen Religion und Wissenschaft. Zu viele Themen, die dann leider nicht so komplex ausgearbeitet sind wie erwartet. Gifty, recht konservativ aufgewachsen und im christlichen Glauben sozialisiert, wendet sich beruflich der Wissenschaft zu, sucht Antworten in der Wissenschaft, die ihr die Religion schuldig bleibt. Ich verstehe zwar Giftys Gefühlschaos und ihr Handeln, aber sie bleibt charakterlich recht flach. Somit hat das Buch bei mir auf emotionaler Ebene leider kaum etwas ausgelöst. Zwischendurch mit vielen Längen versehen, wirkte das Buch auf mich relativ zäh und es fiel mir manchmal schwer, dranzubleiben. Mein Fall war es leider nicht ganz, auch wenn ich ein paar durchschnittlich gute Lesestunden damit hatte.

Bewertung vom 31.07.2021
Junge mit schwarzem Hahn
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


ausgezeichnet

Martin wächst in einem unscheinbaren Dorf auf, Eltern und Geschwister längst durch die Hand seines scheinbar wahnsinnigen Vaters getötet. Doch er ist nicht allein, trägt immerzu einen schwarzen Hahn bei sich auf der Schulter, sein einziger Besitz. Während die Dorfbewohner im Hahn die Inkarnation des Teufels sehen und den Jungen verachten, ist der Hahn stets treuer Gefährte und Beschützer Martins. Auch, als sich der Junge mit einem Wandermaler auf Reisen begibt, um der Bedeutung eines jährlichen Unheils nachzuspüren. So werden einer alten Überlieferung nach jedes Jahr zwei Kinder durch den Schwarzen Reiter entführt, doch wohin genau weiß niemand. Als der Junge und sein Hahn dabei anwesend sind, wie dieses Mal ein Mädchen ihres Dorfes mitgenommen wird, fühlt Martin sich wie vom Schicksal dazu berufen, die entführten Kinder zu finden.

Eigentlich wollte ich nur mal kurz reinlesen und habe das Buch dann an einem Tag verschlungen, die Geschichte von Martin und seinem Hahn hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Vieles deutet auf eine mittelalterliche Szenerie hin, aber weder Zeit noch Ort sind klar ausgewiesen. Die Sprache ist fast schon sachlich, der Unterton ein wenig naiv - aber da Martin noch ein Kind ist, passt das gut. Auf der Reise erlebt Martin eine karge Welt zwischen Hunger, Krankheit und Elend. Seine Gabe ist die Kraft der Worte und seine kindliche Unschuld, mit der er oft aneckt, aber auch angehört wird. Die Autorin zeichnet außergewöhnliche Charaktere, thematisiert Aberglaube und Tyrannei, teilweise auch sehr düster, aber oftmals gespickt mit einer großen Portion Witz.
Ein bisschen märchenhaft, ein bisschen pikaresk, teilweise mit gesellschaftskritischem Unterton und viel Interpretationsraum. Ein richtig gutes Debüt, das vom Setting ein bisschen an Kehlmanns Tyll erinnert und mich total gut unterhalten konnte.

Bewertung vom 31.07.2021
Die Überlebenden
Schulman, Alex

Die Überlebenden


ausgezeichnet

,Was ist passiert?', fragt sich Schulmann zu Beginn seines Debütromans und nimmt dabei Bezug auf sein eigenes Leben. Das Auseinanderleben zu seinen beiden Brüdern als autofiktionales Motiv in die Handlung eingespannt, legt er mit "Die Überlebenden" einen berührenden und aufwühlenden Roman vor, den ich sehr, sehr, sehr empfehlen kann.

Einen Tag vor der Beerdigung ihrer Mutter entdecken die erwachsenen Brüder Benjamin, Pierre und Nils beim Durchstöbern der Wohung nach letzten Erinnerungsstücken einen an sie adressierten Brief. Die Bitte, ihre Asche im angrenzenden See des alten Sommerhauses der Familie zu verstreuen, lässt die Brüder kurzerhand mit einer gestohlenen Urne durch Schweden fahren und dabei bemerken, wie fremd sie einander über die Jahre geworden sind.
In jenem abgelegenen Sommerhaus am See durchbricht ein Erzählstrang aus der Kindheit der Brüder die gegenwärtige Handlung. Ohne Freunde oder Nachbarn verbringen die Drei allein mit ihren Eltern einen Sommer fern der Zivilisation, dessen tragischer Ausgang die Familie für viele Jahre auseinandertreibt. Was ist also passiert?

Die jungen Brüder durchlaufen eine Kindheit voller seelischen und körperlichen Schmerz, der insbesondere dem erhöhten Alkoholkonsum der Eltern geschuldet ist. Alle drei buhlen fortlaufend um die Liebe und Zuneigung der Eltern, werden aber immer wieder zurückgewiesen und sich selbst überlassen. Ein Buch voller ungesagter Worte, mangelnder elterlicher Zuneigung und über ein niemals überwundenes Trauma, das viele Jahre später aufgearbeitet werden soll. Recht einfach und flüssig geschrieben, aber dafür ans Herz gehend und mit ergreifender Auflösung.

Bewertung vom 17.07.2021
Dreieinhalb Stunden
Krause, Robert

Dreieinhalb Stunden


ausgezeichnet

Am 13. August 1961 verlässt der Interzonenzug D-151 ein letztes Mal regulär den Münchener Bahnhof in Richtung Ost-Berlin. Währenddessen durchschneidet bereits der Klang von Presslufthammern die Berliner Luft, Pfähle werden in die Erde geschlagen - die Abriegelung der Stadt beginnt, die Mauer steht in den Startlöchern. Die Menschen im Zug erreicht diese Nachricht erst dreieinhalb Stunden vor Ankunft an der neuen Grenze - und die Passagiere müssen sich der Frage stellen: weiterfahren oder aussteigen? Doch wie kann man innerhalb weniger Stunden die Entscheidung über den weiteren Fortgang seines Lebens treffen, wenn die Wahl zwischen dem Aufgeben der Freiheit oder dem Aufgeben des eigenen Zuhauses liegt?

Der Tag des Mauerbaus, hier abgehandelt anhand einer dramatischen Zugfahrt. Das Buch begleitet einen bunten Haufen verschiedener, durchweg interessanter Charaktere auf ihrer womöglich letzten Zugreise durch den Westen in die DDR. Unter ihnen Familien, eine Band, ein Kommissar bei der Arbeit und eine Ostdeutsche Lokführerin. Bis zum letzten Durchgangsbahnhof vor der innerdeutschen Grenze begleiten wir den Zug und seine Passagiere, werden Zeuge davon, wie zukünftige Lebensentwürfe verhandelt werden und Familien auf die Zerreißprobe gestellt werden. Wie auch immer jene Entscheidungen ausfallen werden, wird letztendlich jeder seinen Preis zahlen müssen. Ein ständiges Abwägen sowie ein ständiger Perspektivwechsel zwischen den Beteiligten schaffen eine sehr spannende Atmosphäre. Ein wahnsinnig interessantes Buch, toll erzählt und super zum mitfiebern.

Bewertung vom 16.07.2021
In diesen Sommern
Hecht, Janina

In diesen Sommern


ausgezeichnet

In ungewöhnlich kurzen Abschnitten erzählt Teresa, die Tochter eines alkoholkranken Vaters, von ihrer Kindheit und Jugend und besinnt sich dabei vor allem auf die gemeinsam verbrachte Zeit mit den Eltern und ihrem Bruder zurück.

Der Schreibstil ist ungewöhnlich knapp und nüchtern, die Kapitel bauen nicht wie gewohnt aufeinander auf, sondern erzählen fragmentarisch von Teresas Erinnerungen an frühere Sommer, springen ungeordnet in der Zeit umher und sind manchmal auch nur eine halbe Seite lang. Auf den ersten Blick gibt es somit keinen klar definierten Handlungsstrang, eher ist der Roman wie ein Album an Erinnerungen aufgebaut, stellt schöne und unschöne Erlebnisse Teresas mit ihrer Familie vor. Und doch es ist die Suche der Familie nach Frieden und Glück, zwischen guten und weniger guten Tagen des gewalttätigen, suchtkranken Vaters - an den sich die Tochter aber nach allem Schlechten auch auf die schönen Zeiten zurückbesinnt.

Ein schönes Debüt, ganz unaufgeregt und leise erzählt. Sehr angenehm zu lesen, und obwohl Teresa ihre Erlebnisse so sachlich und neutral erzählt, habe ich mich ihr ganz nah gefühlt. Ein kurzes Buch mit klarer Leseempfehlung.

Bewertung vom 07.07.2021
Wildtriebe
Mank, Ute

Wildtriebe


ausgezeichnet

Drei Generationen unter einem Dach und ein gemeinschaftliches Leben auf dem Bauernhof. Was für die einen nach einer romantischen Art des Lebens klingt, ist hier Austrageort für Reibereien über Tradition, Sitten und Tabus.

Oma Lisbeth stammt aus einer Generation, welche die Frauen in den Häusern hielt und die Männer zur Arbeit draußen auf dem Hof zwang. Nie würde sie diese Rollenbilder anzweifeln, der Hof ist ihre Lebensgrundlage, ihr ganzer Stolz und das große, wohlverdiente Erbe ihrer Vorfahren. Ihre Schwiegertochter Marlies eckt bei ihr bereits an, indem sie in einem Kaufhaus in der nächsten Stadt eine Teilzeitstelle annimmt und außerdem als Frau den Jagdschein macht. Und dann ist da noch Enkelin Joanna, die sogar noch größere Ziele im Leben hat. Denn sie will die Traditionen aus Lisbeths Sicht ganz über Bord werfen, ein Jahr nach Afrika gehen und danach Studieren.

Ute Mank lässt in ihrem Debütroman die verschiedenen Lebensvorstellungen dreier Generationen aufeinandertreffen und schneidet dabei allerlei Themen an, die von der Überwindung gefestigter Frauenbilder des letzten Jahrhunderts erzählen. Das Buch beschreibt die Verpflichtung des Zusammenhalts und die Angst des Auseinanderbruchs, eine schöne, sentimentale Geschichte über das Erfüllen von Erwartungen und dem Bruch mit alten Gewohnheiten. Und über die Sehnsucht, das Leben selbst in die Hand zu nehmen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.