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Aischa

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Insgesamt 554 Bewertungen
Bewertung vom 23.12.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Mit Trophäe liefert Gaea Schoeters einen vielschichtigen, provokanten Roman, der durch Radikalität und moralische Tiefgründigkeit wie auch durch literarisches Können beeindruckt. Es ist ein Werk, das nicht nur die Dynamik zwischen Mensch und Natur, sondern auch die dunklen Facetten von Macht, Gewalt und Privilegien seziert – und dabei einen schonungslosen Blick auf den postkolonialen Umgang Europas mit Afrika wirft.

Die Handlung des Romans kreist um Hunter White, einen durch Börsenspekulationen reich gewordenen US-Amerikaner, der sich auf eine exklusive Jagdreise nach Afrika begibt. (Der übertrieben plakative sprechende Name sei verziehen, wird er doch im Verlauf der Story erklärt.) Doch was zunächst wie eine klassische Geschichte über archaische Rituale und Abenteuer wirkt, entpuppt sich bald als ein komplexes Netz aus Machtspielen und moralischen Dilemmata. Gaea Schoeters nutzt die Jagd als symbolisches und reales Setting, um die Beziehungen zwischen den Figuren, aber auch die postkolonialen Spannungen zwischen Europa und Afrika zu beleuchten.

Schoeters zeigt die tief verwurzelten eurozentrischen Vorstellungen auf, die unser Bild von Afrika immer noch prägen. Afrika wird in der westlichen Wahrnehmung oft entweder als romantisierte Wildnis oder als Ort der Not und Unterentwicklung dargestellt – beide Bilder verfehlen jedoch die Realität und entmündigen die Menschen vor Ort. Schoeters setzt sich entschieden gegen diese Klischees zur Wehr: Ihre Schilderungen der afrikanischen Landschaft und ihrer Bewohner sind von einer Klarheit und Authentizität, die weder idealisiert noch herabwürdigend wirken. Anders ist dies in den Gedanken Hunters: "... in einem Land wie diesem, wo die Anzahl der Schulterstreifen an der Uniform den Grad der Korruption kennzeichnet" sinniert er etwa. Und so betrügt er sich selbst, indem er wider besseres Wissen an die Trophäenjagd als funktionierende Form des Artenschutzes glaubt, statt darin ein perverses Reiche-Leute-Hobby zu sehen. Selbst dann noch, als die Jagd auf Menschen erweitert wird.

Die Dynamik zwischen den europäischen Jägern und den einheimischen Beteiligten ist ein zentraler Teil des Romans. Schoeters beschreibt subtil, wie tief die kolonialen Machtverhältnisse auch Jahrzehnte später noch in den Beziehungen zwischen den Kontinenten nachwirken. Die Europäer und US-Amerikaner kommen nach Afrika, um sich selbst zu beweisen – sei es durch die Jagd oder durch das Erleben von "Ursprünglichkeit", die ihnen in ihrer eigenen Welt verloren gegangen ist. Doch sie begegnen den Einheimischen oft nicht auf Augenhöhe, sondern betrachten sie mit exotisierenden oder herablassenden Blicken.

Was Trophäe so besonders macht, ist jedoch, dass Schoeters keine Klischees bedient. Ihre afrikanischen Figuren sind keine Stereotype, sondern werden mit ebenso viel Sorgfalt und Tiefe gezeichnet wie die europäischen Protagonisten. Sie sind komplexe Charaktere mit eigenen Motivationen, Gedanken und Widersprüchen, die den Leser dazu zwingen, Vorurteile zu hinterfragen.

Schoeters zeichnet alle ihre Figuren – Europäer wie Afrikaner – mit einer Genauigkeit und psychologischen Tiefe, die beeindruckt. Die Figuren sind weder reine Helden noch einfache Antagonisten. Ihre Ambivalenzen machen sie lebendig und glaubwürdig. Besonders stark ist, wie die Autorin die Machtstrukturen innerhalb der Gruppe der Jäger selbst aufzeigt: Es geht um Dominanz, Egos und die ständige Suche nach Rechtfertigung für ihre Taten, sei es in der Jagd oder im Umgang mit den Menschen vor Ort. Die inneren Konflikte der Figuren und die scharfen Dialoge schaffen eine Spannung, die den Leser bis zur letzten Seite in Atem hält. Gleichzeitig verweigert Schoeters einfache Antworten oder Urteile, sondern fordert den Leser auf, sich selbst ein Bild zu machen – eine Seltenheit in der heutigen Literatur.

Trophäe ist ein außergewöhnlicher Roman, der nicht nur durch seine literarische Qualität, sondern auch durch seinen moralischen und politischen Anspruch besticht. Gaea Schoeters dekonstruiert in ihrem Werk nicht nur den eurozentrischen Blick auf Afrika, sondern legt auch die Machtstrukturen und Privilegien offen, die diesen Blick prägen. Ihre Figuren sind keine eindimensionalen Stereotype, sondern komplexe Charaktere,. Es ist ein Roman, der sowohl verstört als auch inspiriert – eine Geschichte, die lange nachklingt. Trophäe ist ein literarisches Meisterwerk, das Mut beweist und genau deshalb so bedeutsam ist. Wer Literatur sucht, die an den Kern menschlicher Abgründe geht und dabei große Fragen aufwirft, wird in diesem Buch eine unvergleichliche Leseerfahrung finden.

Bewertung vom 23.12.2024
Die Tage des Wals
O'Connor, Elizabeth

Die Tage des Wals


sehr gut

Elizabeth O’Connors Debütroman "Die Tage des Wals" entführt in die karge und raue Welt einer (fiktiven) abgelegenen walisischen Insel Ende der 1930er Jahre. Der Roman besticht nicht nur durch seine präzise Schilderung von Natur und sozialer Realität, sondern auch durch die subtile Art, wie die Autorin tiefgründige Themen wie soziale Ungleichheit, Machtverhältnisse und Selbstfindung behandelt.

Im Zentrum der Geschichte steht die 18-jährige Halbwaise Manod, deren Leben eintönig und von Entbehrungen geprägt ist. Sie kümmert sich um ihre jüngere Schwester und führt den Haushalt, während ihr Vater als Fischer mehr schlecht als recht für das Überleben der kleinen Familie sorgt. Manods einziger Lichtblick ist ihr Traum, eines Tages das Inselleben hinter sich zu lassen und Lehrerin auf dem Festland zu werden.

Die Ereignisse nehmen eine unerwartete Wendung, als ein Wal auf der Insel strandet und zwei Forscher aus Oxford, Edward und Joan, eintreffen. Sie engagieren Manod als Übersetzerin und Assistentin für ihre wissenschaftlichen Studien. Was zunächst wie ein Abenteuer erscheint, wird für Manod zur Falle. In einer leidenschaftlichen Affäre mit Edward glaubt sie, eine neue Perspektive für ihr Leben zu finden. Doch je mehr Zeit sie mit den Forschern verbringt, desto deutlicher wird, dass sie von ihnen manipuliert wird.

Die Wissenschaftler, die eine Publikation über das Inselleben planen, interessieren sich nicht für die ungeschönte Wahrheit. Stattdessen stellen sie das Leben der Insulaner romantisiert dar und bedienen sich an Manods Wissen und Arbeit, ohne ihre Leistungen anzuerkennen. Die junge Frau realisiert schließlich, dass sie für die Zwecke der Forscher lediglich ausgebeutet wird.

O’Connor gelingt es, die soziale Kluft zwischen den armen Insulanern und den wohlhabenden Engländern darzustellen. Die Forscher Edward und Joan fühlen sich den Inselbewohnern intellektuell überlegen. Manods hohe Bildung überrascht sie, während sie zugleich herablassend darauf hinweisen, dass die meisten anderen Insulaner nur Walisisch sprechen. Diese subtilen Nuancen zeigen, wie tief verwurzelt die sozialen und kulturellen Unterschiede sind. Besonders beeindruckend ist die anschauliche und atmosphärische Beschreibung der Inselwelt. O’Connor schildert die peitschenden Wellen, den eisigen Wind und den allgegenwärtigen Geruch nach Fisch und Meer so lebendig, dass man sich beim Lesen fühlt, als sei man selbst auf der Insel gestrandet.

Manods Entwicklung steht im Mittelpunkt der Geschichte. Ihre anfängliche Bewunderung für das Forscherpaar weicht einer bitteren Erkenntnis über deren wahre Absichten. O’Connor zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie Machtmissbrauch und soziale Ungleichheit das Leben eines Menschen bestimmen können.

Dieses schmale Büchlein behandelt große Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Macht und persönliche Freiheit mit einer vielversprechenden Erzählkunst. Elizabeth O’Connor hat ein Debüt vorgelegt, das gleichzeitig bewegend und aufwühlend ist. Manods Schicksal hat mich berührt und nachdenklich gemacht. Es bleibt zu hoffen, dass Elizabeth O’Connor diese vielversprechende literarische Linie in zukünftigen Werken fortsetzt.

Bewertung vom 23.12.2024
Long Island
Tóibín, Colm

Long Island


ausgezeichnet

Der vielfach preisgekrönte Colm Tóibín ist ein Meister des Geschichtenerzählens, und "Long Island" beweist einmal mehr, warum er zu den größten Schriftstellern unserer Zeit gehört. Der irische Autor versteht es wie kaum ein anderer, die feinen Zwischentöne menschlicher Gefühle einzufangen und sie mit einer erzählerischen Klarheit und Eleganz in Worte zu fassen, die ihresgleichen sucht.

Der Roman spielt auf Long Island und im kleinen irischen Dorf Enniscorthy, wo verschiedene Lebenswege sich berühren und kollidieren. Im Mittelpunkt steht Eilis, die sich weigert, das Baby aufzuziehen, das aus einem Seitensprung ihres Mannes entstanden ist, und das dessen italienische Großfamilie nur zu gerne mit offenen Armen empfangen möchte. Eilis entzieht sich der Situation, indem sie zurück in ihre Heimat Irland geht, wo sie auf ihre Jugendliebe Jim trifft, der sich Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft macht.

Die Figuren kämpfen mit Verlust, Liebe, den unvorhersehbaren Wendungen des Lebens und der Frage danach, wie frei bestimmt man ein Leben gestalten kann. Tóibín zeigt, wie Begegnungen und Beziehungen das Leben prägen können – auf schmerzhafte wie heilende Weise. Mit unglaublichem Feingefühl zeichnet Tóibín Charaktere, die durch ihre Fehler und Schwächen ebenso glaubwürdig wirken wie durch ihre Hoffnungen und Träume. Selbst dann, wenn man ihre Entscheidungen nicht gutheißen kann, versteht man sie. Das ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen: Figuren zu schaffen, die so authentisch sind, dass man mit ihnen mitfühlt, mitfiebert und ihre Beweggründe nachvollzieht.

Tóibín lotet in diesem Roman die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen aus. Er zeigt, wie der Verlauf eines Lebens von Zufällen, Entscheidungen und unerwarteten Wendungen geprägt wird, und wie diese Umwege oder Abwege die Lebenslinie und das Wesen eines Menschen formen können. Dabei verzichtet er jedoch auf ein wertendes Urteil. Stattdessen begegnet er seinen Figuren mit einer bemerkenswerten Empathie, die die Leser*innen einlädt, dieselbe Großzügigkeit walten zu lassen. Die Schicksale in "Long Island" sind oft von Bitterkeit geprägt – Verluste, zerbrochene Beziehungen, enttäuschte Erwartungen –, aber der Autor erzählt davon mit einer bemerkenswerten Sanftheit und Ruhe. Seine Prosa wirkt nie verbittert oder zynisch, sondern strahlt eine stille Weisheit und Gelassenheit aus, die mir das Gefühl gibt, dass auch aus den dunkelsten Momenten Trost und Erkenntnis erwachsen können.

Besonders beeindruckend ist, wie Tóibín es schafft, die Lebenswege seiner Figuren so intensiv und nahbar zu gestalten, dass man beim Lesen das Gefühl hat, sie persönlich zu kennen. Ihre Kämpfe, ihre Zweifel und ihre leisen Triumphe begleiten einen noch lange nach der letzten Seite. Es ist ein Privileg, sie auf ihrem Weg zu begleiten – ein Weg, der nicht immer leicht ist, aber immer bedeutsam.

Fazit: Mit Long Island legt Colm Tóibín einen Roman vor, der die Tiefe und Komplexität des Lebens in einer Weise einfängt, die tief berührt und nachhaltig beeindruckt. Es ist eine Geschichte, die sich nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen verankert. Tóibíns Talent, selbst die tragischten Schicksale ohne Verbitterung und mit einem tiefen Verständnis zu erzählen, macht diesen Roman zu einem literarischen Erlebnis. Ich habe die Figuren liebgewonnen und hoffe, dass Tóibín ihre Geschichte in einem weiteren Roman fortführt.

Bewertung vom 23.12.2024
Die Ungelebten
Rosales, Caroline

Die Ungelebten


weniger gut

Caroline Rosales, Kolumnistin bei Die ZEIT und Autorin mehrerer gesellschaftskritischer Bücher, widmet sich in ihrem Roman "Die Ungelebten" brisanten Themen wie Machtmissbrauch, familiärer Loyalität und der Frage, wie persönliche Werte durch die Vergangenheit geprägt werden.

Im Zentrum der Handlung steht Jennifer, eine junge Frau, die aus einer prominenten Familie stammt. Ihr Vater Bernd, ein erfolgreicher Schlagermusikproduzent, sieht sich mit dem schwerwiegenden Vorwurf konfrontiert, eine aufstrebende Sängerin vergewaltigt zu haben. Die Geschichte entfaltet sich zwischen Jennifers Versuch, ihrem Vater beizustehen, und ihrer inneren Zerrissenheit, was sie überhaupt glauben kann. In dieser Ausnahmesituation wird Jennifer mit ihrer Kindheit, den patriarchalen Strukturen ihrer Familie und den gesellschaftlichen Mechanismen konfrontiert, die Machtmissbrauch begünstigen.

Rosales gelingt es, den moralischen Konflikt Jennifers authentisch darzustellen. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Loyalität gegenüber ihrem Vater, dem Wunsch nach Gerechtigkeit und ihrer eigenen Rolle als Frau, die in einer von Männern dominierten Welt aufgewachsen ist. Auch Bernd wird facettenreich dargestellt – als charismatischer, aber manipulativer Mann, dessen Ego und Karriere stets im Vordergrund stand, während er die Bedürfnisse seiner Familie vernachlässigte.

Sprachlich zeigt der Roman jedoch deutliche Schwächen. Trotz der emotionalen Wucht der Geschichte wird die Wirkung durch zahlreiche sprachliche Fehler und stilistische Unsauberkeiten beeinträchtigt. Das Lektorat hat auffallend viele Flüchtigkeitsfehler übersehen – von Tippfehlern über fehlerhafte Grammatik bis hin zu inkonsistenten Formulierungen. Diese Nachlässigkeiten mindern den Lesegenuss erheblich und lassen ein Werk, das thematisch so relevant ist, in handwerklicher Hinsicht unvollendet wirken.

Inhaltlich überzeugt Die Ungelebten vor allem durch die klare Thematisierung gesellschaftlicher Machtstrukturen. Rosales beleuchtet, wie solche Dynamiken über Generationen hinweg wirken, ohne dabei ins Klischeehafte abzurutschen. Allerdings fehlt es dem Roman an Ausgewogenheit. Die männlichen Figuren sind quasi durchweg "die Bösen", und wie Jennifer einerseits beruflich in einer Führungsposition bestehen kann, andererseits sich aber von Vater und Ehemann permanent "unterbuttern" lässt, war für mich lange nervig und irgendwann zu konstruiert.

Fazit
Die Ungelebten ist ein mutiger Roman, der sich mit hochaktuellen Themen auseinandersetzt und zum Nachdenken anregt. Doch die sprachlichen Mängel und stellenweise oberflächliche Erzählweise trüben den Gesamteindruck. Für Leserinnen und Leser, die bereit sind, sich durch sprachliche Unzulänglichkeiten nicht vom Wesentlichen ablenken zu lassen, bleibt das Buch dennoch eine lohnenswerte, wenn auch nicht perfekte Lektüre.

Bewertung vom 23.12.2024
Für mein süßes Ich
Uriselli, Alessandra

Für mein süßes Ich


sehr gut

"Für mein süßes Ich" ist weit mehr als ein Backbuch, es ist auch ein flammendes Plädoyer für mehr Selbstliebe und -akzeptanz, für ein persönliches Glück, das sich nicht von gängigen Schönheitsidealen beeinflussen lässt. Und es ist ein Aufruf zum süßen Genuss.

All das wird bereits im sehr persönlichen Vorwort der Autorin deutlich, und auch im Rezeptteil finden sich immer wieder kleine, positive Botschaften und Anregungen, die zu mehr Genuss und Glück verhelfen mögen.

Autorin Alessandra Uriselli stammt aus Kalabrien, lebt aber inzwischen mit ihrem albanischen Ehemann und den gemeinsamen Kindern am anderen Ende Italiens, in Südtirol, und so sind die 50 im Buch vorgestellten Rezepte auch eine bunte und sehr vielfältige Mischung dieser Regionen. Dabei finden sich traditionelle Backwerke wie der albanische Blechkuchen "Revani me sherbet" oder kalabrische Sospiri genauso wie eine moderne Erdbeer-Mango-Tarte.

Die Ausstattung des hübschen Hardcovers ist solide, die zahlreichen Fotos wirken sehr ansprechend und authentisch. Insgesamt zeigt das Buch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Ein wenig schade ist es, dass die Angaben bei den Rezepten manchmal etwas ungenau sind: Mal wird der Teig einfach "in eine mit Backpapier ausgelegte Backform" gefüllt; wie groß diese sein soll, muss man selbst abschätzen. Bei den Zutaten habe ich ebenfalls gerne mehr Details, soll ich gezuckerte oder ungezuckerte Kondensmilch verwenden, wie hoch muss der Fettanteil sein etc. Und auch die Zubereitungszeit ist als grobe Richtschnur eine Hilfe, die ich ungern misse, wie hier. Aus diesen Gründen würde ich das Buch nicht unbedingt an Backanfänger*innen verschenken, ansonsten empfehle ich es aber gerne und von Herzen weiter!

Bewertung vom 23.12.2024
Velvet Winter
Baumgärtner, Theresa

Velvet Winter


sehr gut

Nachdem Theresa Baumgärtner ihre Leser*innen mit "Tweed Time" ins herbstliche Schottland geführt hat, ist "Velvet Winter" nun eine Einladung, ihr auf ihren Erkundungen durch die britischen Cotswolds zu folgen.

Die (abgesehen von zwei Fischgerichten) durchweg vegetarischen Rezepte sind ganz nach meinem Geschmack: sehr abwechslungsreich, modern, meist einfach zuzubereiten und dennoch sowohl geschmacklich wie auch optisch ein Genuss! Der Wintersalat mit Radicchio und Burrata etwa erhält durch eine selbstgemachte Glühweinmarinade eine unvergleichliche Adventsnote, ich kann gar nicht genug davon bekommen ...

Zwischen den Rezepten erzählt Baumgärtner in kurzen Geschichten von den Eindrücken, die sie auf ihrer Reise gesammelt hat, und so lässt sich in dem hochwertig gestalteten Hardcover mit stimmungsvollen Fotos, Zitaten und Gedichten englischer Literaten auch wunderbar schmökern. Einige weihnachtliche Bastelideen runden das stimmige Buch ab und machen es zum perfekten Geschenk für alle, die zum Jahresende gerne selbst kochen, backen und dekorieren.

Allerdings ist der "Werbeblock" für das Hotel der Autorin in Luxemburg mit gleich acht Seiten für mein Empfinden doch deutlich zu umfangreich geraten. Dies hinterlässt einen unangenehmen Nachgeschmack im ansonsten rundum gelungenen Winterbuch.

Bewertung vom 25.11.2024
60 Kilo Sonnenschein
Helgason, Hallgrímur

60 Kilo Sonnenschein


ausgezeichnet

In Island ist Literatur tief in der Geschichte, Kultur und im Alltag verwurzelt. Die Liebe zum geschriebenen Wort macht das kleine Land zu einer der literarisch reichsten Nationen der Welt. Island hat eine außergewöhnlich hohe Publikationsrate. Statistisch gibt es mehr Autor*innen und veröffentlichte Bücher pro Kopf als in fast jedem anderen Land. Umso bedeutender ist die Tatsache, dass "60 Kilo Sonnenschein" dort mit dem Preis für den besten Roman des Jahres ausgezeichnet wurde.

Nicht nur die Jury, auch ich bin restlos begeistert. Hallgrímur Helgason hat hier ein monumentales Werk geschaffen, das die rauen und magischen Seiten Islands in einer literarischen Glanzleistung vereint. Der isländische Bestsellerautor entführt uns in die entbehrungsreiche Welt der Menschen im frühen 20. Jahrhundert, inmitten von Vulkanausbrüchen, Lawinen und bitterer Not.

Helgason erzählt die Geschichte des Waisenjungen Gestur, der in einem kleinen Fischerdorf im Nordwesten Islands aufwächst. Von Anfang an spürt man die Härte des Lebens in dieser isolierten, unwirtlichen Landschaft: eine Welt, die von gnadenloser Natur, Armut und den strengen moralischen Regeln einer patriarchalischen Gesellschaft geprägt ist. Doch Gestur ist ein Überlebenskünstler – schlau, empfindsam und voller Witz. Durch seine Augen erleben wir die rohe Schönheit Islands und den unbändigen Lebenswillen seiner Menschen.

Helgasons Schreibstil ist ein Ereignis. Mit einer unvergleichlichen Mischung aus Sprachwitz, Poesie und beißender Satire fängt er die Eigenheiten des isländischen Lebens ein. Seine Beschreibungen der Landschaft – von tosenden Stürmen über glitzernden Schnee bis hin zu schroffen Küsten – sind so lebendig, dass man den eisigen Wind auf der Haut zu spüren meint. Gleichzeitig verwebt er die isländische Kultur und Geschichte mit der Handlung, ohne je belehrend zu wirken. Es ist eine höchst fesselnde Mischung aus Historien-, Abenteuer- und Gesellschaftsroman. Dabei kennt der Autor sichtlich keine Tabus, Tod und Komik gehen Hand in Hand, und auch Religion und Sexualität werden immer wieder verwoben. Teils geht es - sprachlich wie auch in der Handlung - recht derb und brutal zu, aber ohne Effekthascherei.

Protagonist Gestur ist eine faszinierende literarische Figur. Trotz der Schicksalsschläge, die ihn ereilen, bewahrt er sich eine unerschütterliche Lebenskraft und einen staubtrockenen Humor. Er ist ein Symbol für die Widerstandsfähigkeit und den Kampfgeist der Isländer, ein moderner Schelm, der uns zeigt, dass selbst in den dunkelsten Zeiten ein Lichtschein – oder 60 Kilo Sonnenschein – Hoffnung geben kann.

Obwohl tief in der isländischen Geschichte verankert, greift "60 Kilo Sonnenschein" universelle Themen auf: Armut, soziale Ungerechtigkeit, den Konflikt zwischen Tradition und Fortschritt sowie die Suche nach Identität und Freiheit. Es ist ein Roman über das Überleben – körperlich, emotional und spirituell.

Fazit: Hallgrímur Helgason hat mit "60 Kilo Sonnenschein" einen modernen Klassiker geschaffen. Es ist ein Buch, das mich tief bewegt hat, zum Lachen brachte und staunen ließ, es berührt Herz und Verstand gleichermaßen. Wer sich auf diese intensive literarische Reise einlässt, wird mit einem Werk belohnt, das in Erinnerung bleibt – ein strahlender Sonnenstrahl in der Welt der zeitgenössischen Literatur. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 19.11.2024
Ich bin Anna
Saller, Tom

Ich bin Anna


weniger gut

Dr. Thomas Saller, der sich als Autor kurz Tom Saller nennt, ist studierter Mediziner und praktiziert als Psychotherapeut. Mit seinem aktuellen Roman wirft er einen Blick zurück auf die Anfange dieses Berufsfeldes, indem er Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse, und vor allem dessen jüngste Tochter Anna zu Protagonisten macht.

Da ich nicht nur Psychotherapie gegenüber aufgeschlossen bin, sondern auch recht wenig über Anna Freud wusste, war ich sehr gespannt auf "Ich bin Anna". Doch was für eine Enttäuschung: Weit über die Hälfte des Romans habe ich mich entsetzlich gelangweilt. In der Rahmenhandlung erinnert sich die 84-jährige Anna an ihre Zeit als junge Frau in Wien, trotz Berufstätigkeit lebt sie noch bei den Eltern. Im Hauptteil wechselt die Ich-Erzählperspektive zwischen Anna und ihrem Übervater Sigmund. Doch die Perspektivwechsel fördern wenig Überraschendes zutage.

Saller lässt Anna eine (fiktive) Lernanalyse bei ihrem Vater machen. Ein an sich interessantes Gedankenspiel, doch es bleibt nebulös, wie dies vonstatten ging. Auch sprachlich hat mich der Roman leider gar nicht erreicht. Stellenweise allzu bemüht intellektuell, dann wieder war nur schwer zu erkennen, aus wessen Perspektive gerade erzählt wird, zu sehr gleichen sich die Ausdrucksweisen von Tochter und Vater. Zwar lässt sich das durch einen Twist am Ende erklären, aber es hat eben leider meinen Lesegenuss deutlich geschmälert.

Auch inhaltlich hatte ich mehr erwartet. Weder erfährt man jenseits der gut bekannten biografischen Eckdaten sonderlich viel über die Familie Freud, noch über die Entstehung und Entwicklung der Psychoanalyse. Mit einer Ausnahme, nämlich wie Sigmund dazu kam, einen Todestrieb ("Thanatos") zu postulieren; allerdings ist auch diese Erklärung fiktiv.

Alles in allem kaum Unterhaltung und wenig Erkenntnisgewinn für mich.

Bewertung vom 17.11.2024
Frankfurter Backstube
Jamin, Cathérine

Frankfurter Backstube


gut

Cathérine Jamin ist eine erfahrene Konditormeisterin, die ihr Handwerk in renommierten Konditoreien in Frankreich, Österreich und Deutschland verfeinerte, bevor sie ins Familienunternehmen in Frankfurt einstieg. In ihrem aktuellen Buch teilt sie 30 Rezepte aus ihrer Backstube – eine Einladung, den Duft Frankfurts ins eigene Zuhause zu holen, der ich gerne gefolgt bin.

Die Rezeptauswahl überzeugt mit Vielfalt: Von traditionellen Klassikern wie dem auch überregional bekannten Frankfurter Kranz bis hin zu modernen Kreationen ("Mispel in the Air") ist für jeden Geschmack etwas dabei. Die appetitlich und rustikal inszenierten Fotos wecken die Lust aufs Nachbacken, und die meisten Rezepte sind unkompliziert gehalten und für Hobbybäcker gut umsetzbar – zumindest auf den ersten Blick.

Leider ist das Buch nicht uneingeschränkt für Anfänger*innen geeignet. Manche Anleitungen sind etwas ungenau, und auch wichtige Details wie die genaue Mehlsorte oder die Größe der Backformen werden nicht angegeben. Gerade weil Jamin im Vorwort betont, dass ihre Rezepte möglichst originalgetreu nachgebacken werden sollten, ist diese Nachlässigkeit irritierend.

Hinzu kommt, dass einige Zutaten, wie etwa Mispeln in Sirup, schwer zu beschaffen sind. Hier hätte eine Bezugsquelle oder eine alternative Zutat den Zugang erleichtert. Und dass die Mainhattan Schokoblocks mit Blattgold verziert werden finde ich dekadent, das widerspricht völlig meinem moralischen Kompass. Es gibt so viele alternative hübsche Dekormöglichkeiten.

Das Inhaltsverzeichnis mit kleinen Bildkacheln ist sehr ansprechend. Dennoch hätte ich mir zum schnellen Wiederfinden eines Rezepts auch ein alphabetisches Register gewünscht. Eine zusätzliche Prise Lokalkolorit gibt es bei zwei Rezepten, zu denen man etwas über deren Geschichte erfährt.

Insgesamt vergebe ich gute 3 von 5 Sternen – ein inspirierendes Buch mit kleinen Schwächen, das aber durch ein solides Preis-Leistungsverhältnis punktet.

Bewertung vom 14.11.2024
Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Hefter, Martina

Hey guten Morgen, wie geht es dir?


gut

Man schwimme auf der anscheinend immer noch aktuellen Welle der Autofiktion mit, webe ein paar seltsam anmutende Betrachtungen über Sternbilder und nicht minder diffuse Referenzen an Lars von Triers Film "Melancholia" ein, kröne das Ganze mit einer Portion römischer Mythologie - und heraus kommt ein Roman, den die Jury mit dem Deutschen Buchpreis auszeichnet.

Ja, ich bezeichne hier etwas, aber ich kann diese Entscheidung wirklich nicht nachvollziehen. Zwar beginnt "Hey, guten Morgen, wie geht es dir?" mit einem vielversprechenden Plot und einem aktuellen Thema: dem Phänomen der Love-Scammer, eine Art moderner Heiratsschwindler, die über digitale Plattformen Vertrauen erschleichen und finanziell ausnutzen. Doch leider bleibt der Roman hinter seinen Möglichkeiten zurück und liefert ein eher unausgereiftes Leseerlebnis, das durch diverse Stil- und inhaltliche Entscheidungen zusätzlich erschwert wird.

Eine der größten Irritationen stellt für mich die inflationäre Verwendung von Namen aus der römischen Mythologie dar. Obwohl Namen wie "Juno" und andere mythologische Verweise durchaus ein literarisches Stilmittel sein können, um Charakterzüge zu unterstreichen oder tiefere symbolische Bedeutungen einzuführen, wirkt die Namensgebung in diesem Roman eher beliebig und wenig durchdacht. Die Symbolik bleibt oft unklar, und ohne ersichtliche Verbindung zur Handlung oder den Figuren scheint diese Referenz eher wie ein aufgesetztes Motiv, das unnötig überladen wirkt.

Auch die Gedanken der Protagonistin über Sternbilder und den Film "Melancholia" hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. An sich sind beides interessante Themen, doch leider fehlt es mir auch hier an einer Verknüpfung zum Kern der Geschichte. Diese philosophischen Exkurse wirken oft wie fremde Einschübe, die nicht zur Weiterentwicklung der Charaktere beitragen.

Protagonistin Juno bleibt leider erstaunlich statisch und eindimensional. Ihre Beziehung zu ihrem Ehemann, der an multipler Sklerose leidet, wird dabei vor allem durch ihre Erschöpfung und Überforderung bei der Pflege geschildert. Hier wird eine Chance verpasst, die emotionale Tiefe und die komplexen Facetten einer solchen Partnerschaft auszuloten. Die Perspektive ihres Mannes, seine Ängste und Sehnsüchte, hätten der Geschichte weitere emotionale Ebenen verleihen können. Stattdessen bleibt die Darstellung auf ein oberflächliches Bild von Pflege und Aufopferung beschränkt, hinzu kommt lediglich das prekäre Erwerbsleben vieler Künstlerinnen und Künstler.

Auch das Thema der Love-Scammer wird leider nicht voll ausgeschöpft. Es hätte Gelegenheit geboten, eine packende psychologische Spannung zu entwickeln und die schleichende Manipulation, die mit solchen Betrugsmaschen einhergeht, intensiv zu erforschen. Stattdessen bleibt der Plot recht oberflächlich, und die Dynamik zwischen Juno und dem Scammer wirkt fast schon stereotypisch. So bleibt die Handlung – trotz der Aktualität und des Potenzials des Themas – in einem mittleren Spannungsniveau stecken und lässt mich am Ende eher unberührt zurück.

Ich hatte eine tiefere Auseinandersetzung mit den Themen Pflege, Manipulation und emotionaler Erpressung gesucht, bekommen habe ich lediglich einen durchschnittlichen Roman mit jammerndem Grundrauschen.