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Benutzername: 
Helga
Wohnort: 
Worms

Bewertungen

Insgesamt 29 Bewertungen
Bewertung vom 13.01.2012
Das Gleichgewicht der Welt
Mistry, Rohinton

Das Gleichgewicht der Welt


sehr gut

Eins gleich vorab: Das war schwere Kost, nicht vom Lesen her, aber vom Inhalt. Selten hat mich ein Buch noch so lange beschäftigt, nachdem ich es aus der Hand gelegt hatte.

Rohinton Mistry hat einen im Großen und Ganzen leicht verständlichen und flüssigen Schreibstil. Ein Register am Ende des Buches mit den vielen indischen Begriffen, wäre aber hilfreich gewesen.
Mistry bedient sich einer recht blumigen und ausdrucksstarken, zeitweise aber auch sehr deftigen Sprache, mit denen er die unterschiedlichen Situationen sehr anschaulich wiederzugeben vermag. Sein feiner Humor zeigt sich in Kleinigkeiten. Hin und wieder finden sich aber auch recht merkwürdige Formulierungen, die nicht wirklich passen wollten, möglicherweise aber auch der Übersetzung geschuldet und daher verzeihlich sind.

Schön auch die verschiedenen Parabeln, die Mistry in seine Geschichte eingebaut hat, manche offensichtlich wie die Patchworkdecke oder das gekühlte Leben. Andere versteckter und nur schwer oder im Nachhinein erkennbar. So fragte ich mich, warum Mistry von dem übel riechenden Schmutz an Dinas Schuhen erzählt. Erst mindestens viele Seiten später fiel mir diese kleine Episode wieder ein und ich begann mich zu fragen, ob das nicht auch eine Art Gleichnis gewesen sein könnte, denn bald darauf war alles, was den Hauptpersonen widerfuhr, nur noch Sch.... Es gibt in diesem Buch so viele dieser „unnötigen“ Elemente, doch inzwischen frage ich mich, ob sie wirklich so unnötig sind oder ob ich es einfach nur nicht erkannt habe.

Mistry erzählt in epischer Breite und verliert sich manchmal in Einzelheiten. Die eine oder andere Kürzung hätte dem Buch sicher nicht geschadet. Es brauchte geraume Zeit, bis ich in der Geschichte „drin“ war, aber dann nahm sie mich gefangen und ließ mich nicht mehr los.

Ich hatte mich nie zuvor wirklich mit der Geschichte Indiens beschäftigt. Klar man hat schon von Indira Gandhi und dem Kastensystem gehört. Man weiß, dass es die „Unberührbaren“ gibt und auch die Erkenntnis, dass das Leben für die niedrigen Kasten in Indien nicht einfach war und ist, ist nicht wirklich neu. Aber ich hatte nicht wirklich eine Vorstellung davon, was dort tatsächlich passiert ist und so wurde ich beim Lesen von der Brutalität der Ereignisse mit einer Wucht getroffen, die mich benommen machte.
Beeindruckt hat mich, wie die Menschen im Buch mit ihrem Schicksal umgehen. . Mistry streut das Glück nur sehr sparsam über seinen Protagonisten aus und dennoch wissen sie, dieses zu nutzen und zu genießen. Wer weiß, für wie lange...

Was mir zuerst gar nicht aufgefallen ist, aber irgendwann, etwa ab der Mitte des Buches nicht mehr zu übersehen war, waren die zahlreichen Bezüge und Verweise auf den Buchtitel. Ob nun tatsächlich von einem Gleichgewicht oder der Balance oder von Waagschalen die Rede war, immer wieder weist Mistry den Leser darauf hin. Besonders auf den Seiten um 500 herum taucht das „Motiv“ alle paar Seiten in irgendeiner Form wieder auf.

Aber was ist das eigentlich – das Gleichgewicht der Welt? Und warum heißt das Buch so? Diese Frage beschäftigt mich noch immer. Sicher: Mistry gibt immer wieder kleine Erklärungen und Hinweise, aber kann es das sein? Wo gibt es dieses Gleichgewicht? Worin besteht es? Wie ist es zu verwirklichen? Was liegt in den beiden Waagschalen? Reich und arm? Willkür und Duldsamkeit? Verzweiflung und Hoffnung? Und wie fragil ist dieses Gleichgewicht? Wie schnell wird es gestört und zerstört?

Fazit: Ein Buch der Gegensätze. Ein Buch der Hoffnung und ein deprimierendes Buch. Ein Buch weit weg von Bollywood.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2012
Diner des Grauens
Martinez, A. Lee

Diner des Grauens


schlecht

Lustiger als die Muppet-Show und blutiger als From Dusk till Dawn“
„Der Sensationsroman aus den USA“
„Der größte Spaß seit Douglas Adams!“
So steht es auf dem Bucheinband und solche Lobeshymnen wecken – obwohl man eigentlich als Leseratte wissen sollte, dass dergleichen nicht unbedingt zu trauen ist – gewisse Erwartungen. Erwartungen, denen dieses „Werk“ meines Erachtens in keiner Weise gerecht wird.

Ich muss zugeben: Ich bin wahrscheinlich nicht objektiv. Aber das muss ich auch gar nicht sein, denn eine Rezension ist immer subjektiv und vom Geschmack, den Vorlieben und anderen Faktoren des Rezensierenden beeinflusst.

Aber zum Buch:
Zombie-Kühe, ein kläffender Terrier-Geist, Ektoplasma, Ghoule.... Wobei ich deren „Gespräch“ bei Sonnenaufgang fast hätte witzig finden können, wäre ich nicht von dem ganzen Schwachsinn derart angenervt gewesen, dass ich das Buch am liebsten ins Feuer geworfen hätte. Wobei wir beim Thema wären. Zombies, Geister, schmelzende Ghoule...sind doch eher was für Kinder! Aus dem Alter bin ich definitiv raus.

So in etwa würde ich auch den Sprachstil einordnen: Kindgerecht. Dem pseudo-kreativen Beschwörungsgestammel von Tammy „E-ber-he-be-be-be di-bich! Schwi-bimm a-bauf deben Flü-büs-se-ben vo-bon BLu-but, da-ba-mi-bit du-bu da-bas Li-bicht ve-ber-ba-ban-ne-ben mö-bö-ge-best.“ konnte ich auch nicht wirklich etwas abgewinnen.

Inhaltlich seicht, stereotyp, abstrus, nichtssagend... Anfangs konnte ich den geballten Schwachsinn noch ganz gut ertragen, aber ab einem bestimmten Punkt hatte ich einfach genug davon und war nur noch genervt. Ein bisschen mehr Handlung und ein bisschen weniger Monster-/Horror-Gedöns hätten dem Buch gut getan.

Schön ist allenfalls das Cover: Phantasievoll, fast fröhlich, bunt... Perfekt für ein Kinderbuch!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2012
Teufelsleib / Peter Brandt Bd.4
Franz, Andreas

Teufelsleib / Peter Brandt Bd.4


weniger gut

Sprachlich gesehen ist das Buch bestenfalls Durchschnitt. Die Dialoge selbst wirken auf mich gestelzt und hölzern, ganz besonders dann, wenn sich Brandt und Klein unterhalten. Ist das die Sprache eines verliebten Paares? Franz schafft nicht die sprachliche Differenzierung zwischen der Wiedergabe sachlicher Gespräche über Ermittlungen in einem Mordfall gegenüber privaten Dialogen.

Gestört und genervt hat mich in erster Linie die Länge der Dialoge. Sicher: In manchen Fällen war die ausführliche Wiedergabe von Gesprächen durchaus zu rechtfertigen, in anderen dagegen wurden Nebensächlichkeiten mit einer Detailverliebtheit ausgebreitet, dass das Buch unnötige „Längen“ bekam. Ich denke da insbesondere an die Beziehung der Hauptpersonen Brandt und Klein oder auch die familiäre Situation Brandts, seine Töchter usw. Da hätte man deutlich kürzen können.

Detailverliebtheit muss sich Franz von mir auch bei der Schilderung der Morde vorwerfen lassen. Da wurde in einer geradezu abstoßenden Genauigkeit geschildert, wie der Mörder seine Opfer quält und schließlich um die Ecke bringt. Es liest sich fast wie eine Anleitung zum Morden für angehende Psychopathen. Ob solch eine detailgetreue Wiedergabe der Gemetzel nötig ist, darüber kann man sich streiten. Ob man das mag, sicher nicht. Ich mag es nicht. : Für mich hat es was von perverser Freude an Gewalt, wenn ein Autor sich in solchen Schilderungen ergießt.

Die Story selbst reißt mich auch nicht vom Hocker. Ein Klischee wird an das andere gereiht und unglaubwürdig und unrealistisch in die Geschichte hinein konstruiert. Die Motive des Täters sind, so wie sie hier dargestellt wurden, nicht wirklich vollständig nachvollziehbar. Die vom Leben mit einem saufenden, arbeitslosen Ehemann gebeutelte Mutter, die sich prostituiert, damit es die Kinder einmal besser haben sollen und die ständige Verwandlung von der angeblichen Putze zur Edelnutte und zurück sind nicht wirklich glaubhaft.

Spannung kommt erst etwa in der Hälfte des Buches auf, bis dahin zieht sich die Handlung wie Kaugummi. Halten kann sie sich aber nicht lange, denn bald wird vollkommen klar, wo der Täter zu suchen ist und das Motiv wird auch schon frühzeitig präsentiert. Von da an baut Franz fast ausschließlich auf reißerische Erzählbausteine. Die Schilderung der Gefangenschaft der beiden Frauen gegen Ende des Buches und der sexuellen Übergriffe sind im Ausdruck derart vulgär und billig, dass man sich fragt, was der Autor für Phantasien hat.

Die Auflösung des Falles und damit die Überführung des Mörders kommt dann so plötzlich, als ob die Ermittler aus heiterem Himmel eine göttliche Eingebung getroffen hätte. Man hat fast den Eindruck, als wenn sich der Autor plötzlich dessen bewusst wird, dass er sich verzettelt hat und der vorgegebenen Seitenzahl oder dem Abgabetermin schon bedrohlich nahe ist. Dabei fällt dann auch einiges an Informationen „hinten herunter“, was den Leser noch interessiert hätte. Viele Fragen bleiben unbeantwortet und man schlägt das Buch zu mit dem Gefühl „Da fehlt noch was.“

Fazit: Wenn man mal von den ersten, etwas mühsamen 200 Seiten absieht, kein Buch, durch das ich mich hindurchquält hätte, aber auch keins, das ich ein zweites Mal in die Hand nehmen oder gar weiterempfehlen würde. Ein um mindestens 100 Seiten zu lang geratener, mittelmäßiger Krimi, der in erster Linie durch plakative Sprache und detaillierte Schilderung von Gewalt lebt und zu einem unbefriedigenden übereilten Ende findet.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2012
Tannöd
Schenkel, Andrea Maria

Tannöd


ausgezeichnet

Ein Krimi. Aber kein Krimi wie tausend andere. Ein Diamant unter Kieselsteinen, basierend auf einem bis heute ungeklärten Mordfall aus den 20er Jahren. Dieses Buch ist...außergewöhnlich! Grandios!


Ein großer Teil der Faszination gründet sicherlich darauf, dass diesem Buch ein tatsächlicher Fall zu Grunde liegt, dass dieser Mord tatsächlich so geschehen ist, vor fast 90 Jahren und bis heute ungeklärt, dass die Personen im Buch tatsächlich existierende Vorbilder haben, dass die ganzen Hintergründe rund um die Tat tatsächlich so vorhanden waren. Der Inzest, die vermutete Person auf dem Dachboden, der Monteur, der die Maschine repariert, der Mörder, der das Vieh versorgt.... Das Internet ist voll mit Informationen dazu und man fühlt den Drang nachzuforschen, mehr zu erfahren.

Dieses Buch hat Bilder in meinem Kopf geformt, wie selten zuvor ein Buch. Ich sah alles vor mir: den Hof, das Bauernhaus, den Wald, den Stadel, die über das Gebetbuch gebeugte alte Bäuerin, die Kammer der Magd, die Rauchküche, den Stall, das Vieh, die Düsternis,.... Ich konnte das Düstere, Unheimliche richtig fühlen, es umgab mich, es zog mich in seinen Bann.

Zu Beginn erscheint die Erzählweise unsortiert, chaotisch und erst nach und nach erschließt sich die Geschichte. Abwechselnd werden der Tathergang und die Entdeckung der Leichen geschildert, werden Berichte eingeschoben und kommen die Dorfbewohner zu Wort - im Gespräch mit dem Unbekannten, der zu Beginn des Buches kurz, eine halbe Seite lang, in Erscheinung tritt, dessen Identität dann aber im Verborgenen bleibt, dessen Beiträge zu den Gesprächen nicht erscheinen.

Die eingeschobenen Litaneien stoßen den Leser geradezu auf den vorgegebenen Kontrast zwischen fast schon fundamentalistischer blinder Gläubigkeit und den Abgründen der menschlichen Seele, vor denen letztendlich auch heruntergeleierte Gebete nicht zu schützen vermögen. Andrea Maria Schenkel zerrt diese heuchlerische Frömmigkeit gnadenlos ins Licht.

Die Beschränkung bei der Wiedergabe der Befragungen der Dorfbewohner auf die Antworten und Erzählungen derselben, gerade die Zitierung des Gesagten Wort für Wort ermöglicht dem Leser Einblicke in die Charaktere, in deren Lebensumstände, in ihre Sicht der Dinge in einer Tiefe, die anders kaum möglich gewesen wäre. Wären diese Gespräche in der Art wiedergegeben wie in anderen, in gewöhnlichen Romanen üblich, hätten die Schilderungen nie diese Dimension der Eindringlichkeit erreichen können. Andrea Maria Schenkel braucht keine seitenlangen langweiligen Personenbeschreibungen, um ihre Charaktere darzustellen. Sie schafft es, ein weitaus klareres Bild von diesen zu zeichnen, indem sie sie einfach nur sprechen lässt, als dies durch eine solche Beschreibung jemals möglich wäre.

Das wahre Gesicht der Menschen einer Dorfgemeinschaft in einem ach so idyllischen bayerischen Dorf der Nachkriegszeit, die Blindgläubigkeit der frömmelnden Katholiken, die Beziehungen der Bewohner eines abgelegenen Dorfes mit all seinen Abgründen treten nach und nach zu Tage. Dieses Buch ist auch ein gelungenes Gesellschaftsportrait eines solchen Umfeldes ohne jeden Schnickschnack und Weichzeichner.

Unheimlich und düster ist dieses Buch. Reduziert auf das Wesentliche, auf die Menschen und die Abgründe ihrer Seelen. Andrea Maria Schenkel verzichtet auf jegliche Ausschmückung, jeden Zierrat. Wozu auch? Man spürt sich beim Lesen hinein in die Atmosphäre, die diesen Hof und seine wortkargen, schwer arbeitenden und frömmelnden Menschen umgibt. Es bleiben Fragen. Letztendlich sind das aber auch die Fragen, die bei dem zu Grunde liegenden Mordfall offen geblieben sind.

Fazit: Das war sicher „schwere Kost“, nicht das, was man unbeschwertes Lesevergnügen oder spannende Unterhaltung nennen würde. Dieses Buch geht unter die Haut und ist für mich jeden Preis wert, den es erhalten hat. Endlich mal eins! Aber ebenso sicher auch ein Buch, das polarisiert. Die einen wird es faszinieren, die andern werden es ablehnen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2012
Simpel
Murail, Marie-Aude

Simpel


ausgezeichnet

Das ist sicher kein Buch, das besonders spannend ist, noch spektakulär, noch erzählt es eine besonders außergewöhnliche Geschichte. Es gibt weder den großen Paukenschlag, noch einen deutlichen Spannungsbogen. „Simpel“ ist ein sehr leises Buch, aber ein sehr eindringliches, das mich sehr berührt hat.

Simpel, der eigentlich Barnabé heißt, ist 22 Jahre alt, aber geistig auf der Stufe eines 3-Jährigen. Geistig behindert - wie sein Bruder Colbert den Menschen erklärt. Ein Idiot - wie Simpel selbst sich nennt. Simpel spricht Wahrheiten aus, seine eigenen Wahrheiten und diese Wahrheiten spiegeln seine Wahrnehmung seiner Umwelt wieder. Die Menschen um ihn nennen ihn einen Idioten, also ist er ein Idiot. So einfach ist das für Simpel. Für mich war es erst einmal schockierend.

„Simpel“ ist ein sehr humorvolles Buch. Kein lustiges! Ein humorvolles! Zuerst habe ich mich gefragt: Darf ein Buch über einen geistig behinderten Menschen witzig sein? Ich denke schon, wenn es wie hier ohne mit dem Finger auf die Hauptfigur zu zeigen, den ganz normalen Alltag schildert. Unbefangen und einfühlsam, aber dennoch mit einem sicheren Gespür für Situationskomik beschreibt Murail die Gefühlswelt Simpels. Ich habe das nicht als Über-ihn-lustig-machen empfunden, sondern als Darstellung seiner Sicht der Dinge und seinen unbefangenen Umgang mit seinem Anderssein, seinem ihm eigenen Humor. Man lacht mit ihm und man freut sich mit ihm und man erkennt, dass geistig behinderte Menschen oft mit einer gehörigen Portion Humor gesegnet sind und gerne lachen – auch über sich selbst!

Murail nimmt sich in diesem Buch eines Themas an, über das in der Literatur selten gesprochen wird. Für ein Jugendbuch gut gelungen ist es durch seinen etwas frechen und humorvollen Umgang mit der Behinderung eines Menschen. Es zeigt deutlich die Unsicherheit und Berührungsängste Nichtbehinderter bei dem Zusammentreffen mit behinderten Menschen, insbesondere mit Menschen mit geistigen Behinderungen, und die daraus resultierende reservierte, wenn nicht sogar abweisende Reaktion. Durch die unbefangene Schilderung der Gefühlswelt Simpels fällt es nicht schwer, Simpel Sympathien und Verständnis entgegenzubringen – aus dem Blickwinkel des Beobachters! Versetzt man sich jedoch an die Stelle der Beteiligten, kann man auch die eine oder andere ungehaltene Reaktion der Betroffenen nachvollziehen. Man erkennt, dass das Leben mit geistig Behinderten Menschen sicher sehr anstrengend ist und viel Kraft fordert, dass es aber auch viele schöne Momente bereithält und die Unbefangenheit und Unverstelltheit dieser Menschen auch viel Lebensfreude widerspiegelt – wenn man sie lässt.

Ein wesentlicher Faktor dieses Buches ist sicher die Sprache. Ungeschminkt und unverblümt gibt Murail wieder, wie sich das Leben mit Simpel gestaltet, wie es sich anfühlt. Einblicke in Simpels Gefühlswelt erhalten wir besonders durch seine Gespräche mit Monsieur Hasehase.

Dem Ende des Buches stehe ich etwas ambivalent gegenüber. Es zeigt, dass sich Sichtweisen durch das Zusammenleben mit einem Behinderten verändern kann, aber hier wird der Bogen etwas überspannt. Ich denke, die Botschaft des Buches muss nicht sein, große Veränderungen zu bewirken. Das kann und soll das Buch nicht leisten. Dieses Buch kann uns Gesunden aber den Spiegel halten und zeigen, dass unser Problem im Umgang mit Behinderten größer ist als die Behinderung für die Betroffenen selbst. Es kann Ängste im Umgang mit Behinderten nehmen, es kann Unsicherheit und Berührungsängste abbauen und es kann für mehr Toleranz und Unverkrampftheit dem Anderssein Behinderter gegenüber werben.

Fazit: Ein leises, einfühlsames, aber dennoch nicht pathetisches Buch, das mich sehr berührt hat. Liebevoll und humorvoll geschrieben, wirbt es für einen lockeren und toleranten Umgang mit behinderten Mitmenschen ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben. Prädikat: Unbedingt empfehlenswert!

9 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2012
Schneewittchen muss sterben / Oliver von Bodenstein Bd.4
Neuhaus, Nele

Schneewittchen muss sterben / Oliver von Bodenstein Bd.4


weniger gut

Bei diesem Buch fällt es mir schwer eine Rezension zu schreiben, die nicht zu viel verrät, aber dennoch begründet, wie ich zu meiner Einschätzung komme.

Ein junger Mann wird wegen Doppelmordes 10 Jahre hinter Gitter geschickt. Die Leichen wurden nie gefunden. Eine ganze Dorfgemeinschaft schweigt und lässt einen Unschuldigen aus ihren Reihen im Knast schmoren, um zwei andere aus ihren Reihen zu schützen.

Die um diese Basis konstruierte Story ist hanebüchen und mit ein paar Zufällen zu viel versehen, um glaubwürdig zu sein Trotzdem ist die Auflösung schon früh vorhersehbar. Das Ende im Stil eines drittklassigen amerikanischen Thrillers ist dann echt zu viel des "Guten".

Vielleicht habe ich auch einfach nur schon zu viele gute Thriller gelesen, um mich mit so etwas zufrieden geben zu können. Ich habe mir das Ganze verfilmt vorgestellt und mich gefragt, wie lange es wohl dauern würde, bis 90 % aller Zuschauer schlafen..... Schade, denn die Kurzbeschreibung klang viel versprechend!

5 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2012
Der Seelenbrecher
Fitzek, Sebastian

Der Seelenbrecher


gut

Der Seelenbrecher liest sich flüssig und hat sicherlich einen spannenden Handlungsverlauf, gehört für mich aber nicht zu einem der Bücher, die ich nicht aus der Hand legen konnte.

Die Grundhandlung der Geschichte und deren literarische Umsetzung sind nicht neu. Auch der Verlauf der vordergründigen Handlung (Die Opfer eingeschlossen mit ihrem Jäger ohne Aussicht zu entkommen) ist altbekannt und immer wieder gerne gebraucht.

Der ganz besondere Aspekt, nämlich psychische anstatt physische Gewalt, die vollkommene Herrschaft über einen anderen Menschen durch „Tiefenhypnose“, tritt aber im Handlungsverlauf für meinen Geschmack zu weit in den Hintergrund, obwohl die Idee genial und für einen Psychothriller kaum zu übertreffen ist. Ab dem Zeitpunkt, zu dem sämtliche Schotten dicht sind, schlägt der Handlungsverlauf um und es bleibt beim üblichen Hauen und Stechen. Schade, dass Sebastian Fitzek an dieser Stelle nicht tiefer in die Kiste der dramaturgischen Möglichkeiten gegriffen hat, sondern sich doch sehr an der Oberfläche bewegt und der physischen Gewalt so viel Raum gibt.

Wenig überraschend, dass nicht der ursprünglich Verdächtige der Seelenbrecher war - es hätte mich eher gewundert, wenn er es tatsächlich gewesen wäre, dazu war ihm die Rolle viel zu früh zugeordnet worden. Aber darüber hinaus muss ich gestehen, tappte ich vollkommen im Dunklen. Die Lösung war schließlich zwar überraschend, aber doch nachvollziehbar. Dass die Erläuterungen dann sogar auf die entsprechenden Seiten verweisen, war ein liebenswerter „Service“ des Autors und ersparte unnötiges Blättern und Suchen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ohne diese zurückgeblättert hätte. Ich glaube, eher nicht.

Während die meisten Figuren gut in das Geschehen eingeführt, beschrieben und konsequent durch die Handlung geführt wurden, empfand ich die Figur des Tom Schadeck und seine Rolle im Geschehen als ziemlich unlogisch und unpassend. Gelegentlich konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass seine einzige Aufgabe in der Handlung war, Caspar das Leben schwer zu machen, weil der Autor einfach keine Idee hatte, wer es sonst wie tun könnte und die Geschichte noch ein bisschen Dramatik und Verwicklung braucht.

Genial der Aufbau mit den beiden parallel erzählten Handlungsverläufen – auf der einen Seite der offenkundige Krimi über die Nacht in der Klinik, mehr nach dem Schema filmischer Darstellung, anschaulich und lebendig in schnell aufeinander folgenden Szenen beschrieben, daneben der viel subtilere Thriller mit den an dem Experiment teilnehmenden Studenten und dem roten Faden und Thema der Geschichte. Leider wird hier erst sehr spät deutlich, was der eigentliche Kern der Geschichte ist, dann aber heftig!

Alles in allem eine sehr gut aufgebaute Geschichte mit Einsatz zahlreicher sicher platzierter Stilmittel und dem Prädikat „Lesens- und empfehlenswert“. Ganz sicher werde ich den Seelenbrecher mit ein bisschen Abstand ein zweites Mal lesen und bin ich sehr gespannt, wie sich die Geschichte darstellt, wenn man weiß, worauf es hinausläuft! Manche Bücher werden mit jedem Lesen besser, ich könnte mir vorstellen, dass dieses eins davon ist.

4 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.01.2012
Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Steinfest, Heinrich

Die feine Nase der Lilli Steinbeck


gut

Zweifelsfrei ein bemerkenswerter Roman, mit zahlreichen Merkmalen, die man so nicht von einem Kriminalroman kennt oder erwartet. Wie soll man dieses Buch kurz und prägnant beschreiben? Am besten passt wohl das Attribut skurril - oder auch bizarr.

Gestört haben mich die vielen Fehler im Buch. . „Mein Deutsch habe ich aus der Schule.“ sagt Stavros Stirling. So weit, so gut, aber woher hat Heinrich Steinbeck seines? Bei Formulierungen wie z.B. „...bei der Tür hereingekommen...“ oder „vergaß...nun auf seine Deckung und begann zu tänzeln.“ rollen sich mir schon mal die Fußnägel hoch. Druckfehler? Dann aber ein bisschen zu viele für meinen Geschmack!
Auch Dinge wie verbeulte Holzplatten und Kerzen aus Gurkengläsern bereichern die Geschichte ungemein. Aber wie kommen Beulen in Holz und mit welch erstaunlichen Dochtmaterialien schafft er es, Gurkengläser in Kerzen zu verwandeln? Alchemie? Und was um alles in der Welt ist „gefinkelt“?
Dann tauchen Informanten ganz plötzlich auf, irgendwo auf der Welt. Woher? Wohin? Von den Göttern gesandt? Unwahrscheinlich, da die Götter ja die Gegenseite stellen. ;-)

Heinrich Steinfest ist wohl kein Freund einfacher Erzählungen. Er liebt offenbar Weitschweifigkeit, bizarr konstruierte Geschichten und pseudo-philosophische Exkurse und Gedankenspiele, die öfters mal die Grenze des Genialen überschreiten und in reines Gelaber abdriften. Oft genug scheint auch Steinfest selbst nicht mehr recht zu wissen, wie er die Brücke vom abschweifenden Geschwafel zurück zur eigentlichen Geschichte schlägt und so hilft er sich gerne mal mit einer abrupten Überleitung: „Wie auch immer...“

„Steinbeck... lächelte wie nach einer Darmspiegelung....“. „...es musste ein Mann sein, Lilli spürte das, wie man ein eitriges Nagelbett spürt....“. Darauf muss man erst mal kommen! Auf fast jeder Seite wird der geneigte Leser teilweise mehrfach mit solchen Beschreibungen konfrontiert. Witzig und genial erscheinen zu Beginn diese Vergleiche. Mit der Zeit aber nutzt sich der anfängliche Schmunzeleffekt ab und ich dachte nur noch „Jaja, ist gut. Weiter...!“

Gleiches gilt auch für die Absurdität des ganzen Geschehens. Beginnt es mit einem Apfel, der durch ein Fenster fliegt und einem merkwürdigen nächtlichen Telefonat - bizarr, grotesk, aber die Neugier weckend. Worum geht es?
Als aber dann die ausgestorbenen fetten Vögel in einer von den Franzosen zum Zweck der Vortäuschung einer Marsmission geschaffenen künstlichen und unterirdischen Marslandschaft und die Sprengung des Greenpeace-Schiffes Rainbow-Warrior wegen auf selbigem befindlicher Fotografien jener Scheinwelt (oder so ähnlich!) ins Spiel kommen, als die griechischen Götter dann plötzlich die Drahtzieher des Ganzen werden und der Restaurator eines Deckengemäldes im Bahnhof, das sich eben dieser Restaurierung bis just zu dem Zeitpunkt als Stransky das Zeitliche gesegnet hat, renitent widersetzt, der Restaurator überdies gleichzeitig und zufällig auch noch der Lover von Stranskys Frau ist und ebenfalls über die Wupper springt, habe ich mich doch ernsthaft gefragt, was für ein Kraut dieser Steinfest wohl beim Schreiben dieses Buches geraucht hat!

Meine Begeisterung für die bizarre Idee des Buches verhielt sich umgekehrt proportional zur steigenden Absurdität der Geschichte. Fand ich die Story zu Beginn doch noch auf eine sympathische Weise abgefahren, skurril und witzig, wurde mir das Ganze aber irgendwann dann doch etwas zu weit hergeholt und absurd.

Gewonnen hat das Buch bei mir durch seine sprachlichen Qualitäten. Steinfest ist in der Lage endlose Bandwurmsätze zu bilden, die man dennoch beim ersten Lesen sofort versteht. Dann wieder schießt er seine Aussagen wie Gewehrsalven ab. Stakkatosätze vom Feinsten. Und er hat ein unglaubliches Gespür dafür, wann er welche Art von Satzbau verwendet. Genial. Ein Schreibstil, der mir uneingeschränkt gefällt und das ist es letztendlich auch, was mein Urteil unterm Strich zum Positiven wendet.

Bewertung vom 13.01.2012
Hera
Simoni, Mirko J.

Hera


schlecht

Du meine Güte, ich dachte eigentlich, gewisse andere Lietratur wäre nicht mehr zu übertreffen, aber das hier ist nahe dran am Erfolg. Das war ja nur übel. Noch so ein Buch, das die Welt nicht braucht.

Was hat dieses Buch zu „bieten“?

- Eine unnatürliche gestelzte Sprache, wie sie im wahren Leben niemand gebraucht.
- Die Beschreibung eines Doppellebens, die man vielleicht sogar interessant hätte umsetzen können, aber so etwas gähnend Langweiliges....
- Die Beschreibung eines dekadenten, neureichen und einsamen Spinners, der sich eine Scheinwelt aufgebaut hat, die so unglaubwürdig ist, dass man das Buch am liebsten in die Ecke werfen würde.
- Beschreibungen sadomasochistischer Sessions in einer Detailliertheit, dass einem übel wird! Ich habe Kenntnisse gewonnen, auf die ich getrost noch den Rest meines Lebens hätte verzichten können!

Das Buch war so schlecht, dass es mir nicht mal die Mühe wert ist, es ausgiebig zu zerreißen. Ich habe schon mit dem Lesen genug Zeit unnütz vertan!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.