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LichtundSchatten

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Insgesamt 212 Bewertungen
Bewertung vom 03.05.2024
Erinnerungen
Schäuble, Wolfgang

Erinnerungen


ausgezeichnet

Eine schöne Einleitung mit Helmut Schmidt als Schlusspunkt und seiner Aussage, die auf Schuld und Verstrickung hinweist bzw. die Tatsache, dass jeder seine Fehler erkennen sollte und niemand frei sei von Fehlern. Mehrfach erwähnt Wolfgang Schäuble noch den Altkanzler der SPD und zeigt die einheitlichen Werte auf.

Dann der Hinweis auf den Fußball zu Beginn des Buches, Bern 54 und seine ihn prägende Fußballleidenschaft. Wenn es ihm nicht passte damals, nahm er wohl den Ball auch mal mitten im Spiel nach Hause. Hier die typische Politikeraussage: weiß nicht mehr, ob es stimmt, aber wenn es wahr wäre, ist es nahe an mir. Ergo: immer schön im Vagen bleiben, andeuten, aber nichts zugeben.

Und WS beherzigte zeitlebens die Aussage eines Fußball-Mitspielers: „Wenn Du austeilst, musst Du nicht so viel einstecken.“

Wenn ich nur diese beiden Inhalte Revue passieren lasse und mit dem abgleiche, was mir von Schäuble in Erinnerung bleibt, dann sind es zwei Dinge: 1. Die Aktentasche voller Geld und 2. Das oft mürrische Austeilen von Aussagen und nicht immer intellektuell unterlegten Mitteilungen in Richtung Öffentlichkeit. Zum Beispiel: Inzucht wäre unser Schicksal, wenn nicht mehr Menschen von außen einwandern. Darüber hinaus ist mir die Schelte eines Mitarbeiters, öffentlich, in Erinnerung, der Akten nicht rechtzeitig vorlegte.

Sein Verhalten war immer ein Ritt auf der Rasierklinge: zwischen echter Peinlichkeit und lichten, großen Momenten. Er fühlte sich von Kohl immer unter Wert geschlagen und tatsächlich hätte dieser ihm 1998 den Vortritt als Kanzlerkandidat lassen müssen. Alles wäre dann ganz anders gekommen und Merkel wäre uns allen erspart geblieben. Kohl lässt er weitgehend gut aussehen, dieser haben den Mitarbeitern stets eine lange Leine gelassen, Merkel wollte alles bestimmen.

Am Ende des Krieges geboren, 1942, wächst WS in Hornberg im Mittleren Schwarzwald, unweit von Triberg auf. Sein Vater baut sich etwas auf (Steuerberatung) und ist früh in der CDU engagiert, so auch die drei Söhne. Die Familie ist engagiert, auch in der Kirche, und bringt etwas zuwege, mit Disziplin, Ausdauer und Können.

Wolfgang Schäuble war mir weder als aufstrebender Abgeordneter noch später als Minister wirklich sympathisch. Letzten Endes konnte ich meine eher negative emotionale Einstellungen ihm gegenüber in dieser Biografie ziemlich gut orten.

Interessant zu Beginn die Definition von Konservatismus, die leider nicht über alle meist belanglosen Aussagen hinausgeht. Sie sind oft hilflos, statt selbstbewusst eine Position zu vertreten wie ich das z.B. bei einem Mann wie Dr. Dr. Zitelmann wahrnehme. Schäuble lernte Hayek in Freiburg noch kennen, er erkennt wesentliche Eckpfeiler des Wirtschaftens und Wohlstand für alle, aber er ist doch eher Jurist, Mediator und Sich-Durchsetzer im Politiker-Gewerbe.

Karl Popper und seine Gesellschaftsphilosophie ist ihm Vorbild und Maßgabe, sich immer wieder in Frage zu stellen und den offenen Diskurs zu wählen. In vielen Absätzen des Buches ahnt man, wie intensiv in Ausschüssen des Bundestages gerungen wurde, um dann Satzbandwürmer aufzuschreiben, die viel und wenig sagen.

„Willst Du etwas gelten, komme selten“, gab ihm sein Vorgänger im Wahlkreis Offenburg mit auf den Weg, na ja, da wäre ich mir nicht sicher. WS kümmert sich aber intensiv um die Kontakte ins Elsass, nach Straßburg, das war mir nicht bekannt. Nicht umsonst wird Macron auf der Rückseite des Buches erwähnt, und er fasst diesen Mann sehr gut zusammen: „Ein sehr großer Diener Deutschlands, ein großer Europäer und ein großer Freund Frankreichs.“

Merkel darf sich mit diesem Satz auf der U4 einbringen: „Als junge Ministerin war Wolfgang Schäuble mir politischer Lehrmeister.“ Ich hätte das so geschrieben: Wolfang Schäuble war mir als junge Ministerin ein guter politischer Lehrmeister. Ein kleines Adjektiv hätte ich hier doch erwartet.

„Die simple Einsicht, dass es in der Politik um Geld geht, hatte ich früh verstanden.“ (S. 101) Schäuble arbeitet sich in das komplizierte Finanzsystem ein und behält darin die Übersicht, allerdings mit einer zentralen Einsicht: „Wer glaubt, er könne volles Wissen erwerben, das die Beherrschung des Geschehens ermöglichen würde, hat kein Wissen.“

Irgendwann in den 80ern attestiert ihm Kohl wirtschaftliches Können und überlässt Schäuble die Details. Dezidiert, ordnungspolitisch, punktgenau sowie Tag und Nacht arbeitend, ich kann mir gut vorstellen, dass sich Kohl auf ihn verlassen konnte, 100%.

Eine wirklich lesenswerte Biografie und ein Stück Deutschland seit den 70ern. Viele Hintergründe waren mir nicht klar. Schäuble stellt sich nicht zu sehr in den Vordergrund, er anerkennt und ordnet ein. Er litt wohl immer etwas darunter, dass ihm das große staatsmännische und intellektuelle Charisma eines Helmut Schmidt fehlte. Er war kein Glücksfall für die deutsche Geschichte, wie Steinmeier auf der Rückseite orakelt, sondern ein beharrlicher, kluger Mann aus der 2. Reihe, die jeder Staat dringend braucht.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2024
Der Scheich (eBook, ePUB)
Kemp, Wolfgang

Der Scheich (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wer tiefe Einblicke in das Clan- und Rentenwesen in Saudi-Arabien gewinnen, wer wissen will wie der Hinweis im Koran, dass man auf der Welt keine Reichtümer anhäufen, sondern alles an die Brüder und Schwestern verteilen soll, zu interpretieren ist, der ist mit diesem Buch einer Sache auf der Spur, die einen in höchstes Erstaunen versetzt.

„Der Koran verheißt den Reichen nichts Gutes. Für eine Welt herben Mangels geschrieben, nobilitiert er Armut als Demut und Bescheidung.“ Er findet am Reichtum vor allem eines verwerflich: das Horten. Der König von Saudi Arabien orderte bei der Anreise nach Hamburg folgendes: „Vier Jahreszeiten zur Gänze (160 Zimmer), inkl. königliche Suite (400 qm), 7,5 Tonnen Handgepäck, gepanzerte Mercedes Limousinen, mehrere eingeflogene Kamele (wegen der Milch), ein goldener Thron und eine goldenen Rolltreppe (zum Verlassen des Flugzeugs).“

Im Grund sind Könige und Prinzen aus Saudi-Arabien sowie eine Mehrheit der Bevölkerung Günstlinge eines Rentensystems, das zur Maßlosigkeit tendiert, weil es nur ausgeben kann und nichts zurückinvestiveren muss. Das reichlich fließende Öl und prächtig umleitbare Gas bescheren vor allem eins: wenig Drang nachzudenken und allerlei Verirrungen des menschlichen Verhaltens. In keinem Land der Erde dürften rauschendere Parties stattfinden, bei geringen Frauenrechten und höchsten westlichen Standards.

Wer sich für das schlechte religiöse Gewissen interessiert, kann die Ergebnisse in dem Buch des Hamburger Psychotherapeuten Burkhard Hoffmann nachlesen: "Und Gott schuf die Angst.“ Er hat eine reichlich sprudelnde Geldquelle entdeckt: reiche Araber, die mit jemand über ihre Sünden reden müssen.

Dieses Buch ist an absurden Inhalten und Skandalen fast kaum zu überbieten, auch bezogen auf das Tierreich: Al Hidaya, ein Rennpferd aus dem Stall des Prinzen, wurde im November 2015 euthansasiert. Warum? Eine hochbesetzte Kommission aus Religionsgelehrten hatte dieses Urteil gesprochen, nachdem das Pferd zweimal bei Handlungen in homosexueller Absicht erwischt wurde.

Das schlechte, religiöse Gewissen der arabischen Prinzen fließt vor allem in Projekte, die den weltweiten islamistischen Terror unterstützen. In Amerika wurde immerhin am 20.3.2017 eine Sammelklage von 1500 beim Anschlag 9/11 verletzten Personen zugelassen - gegen den Staat Saudi Arabien. Ansonsten ist das Verhältnis zu diesem Ölstaat durch maximale gegenseitige Rücksichtnahme geprägt, die anerkennt, dass sich die Scheichs ihre Religion teuer kaufen müssen, um nicht weitere Anschläge wie 1979 (20. November bis zum 5. Dezember 1979, Große Moschee Mekka) zu erleben. Wolfgang Kemp bezeichnet diese Verbindung als die Internationale des Nihilismus.

Besonders spannend auch das abschließende Kapitel über Katar, bei dem einem die Worte versiegen. Vielleicht sagt der Dichter Mohammed Al Ajami etwas Treffendes: „Die Arabischen Regime und ihre Machthaber sind allesamt, ohne Ausnahme, ohne eine einzige Ausnahme schamlose Diebe. Die Frage, die dich wach hält und deren Antwort du auf keinem der offiziellen Kanäle findest: Warum, warum importieren diese Regime alles und jedes aus dem Westen, alles, nur nicht die Herrschaft des Gesetzes, alles, nur nicht die Freiheit?“

Bewertung vom 21.04.2024
Der neue Kulturkampf
Schröter, Susanne

Der neue Kulturkampf


ausgezeichnet

Woke zu sein, also erwacht, erweckt - das heißt alles zu tolerieren und so viele Kulturen wie möglich auf einem Staatsgebiet zu vereinen. Die Welt wird aber zweigeteilt in die weißen, kolonialen, kapitalistischen Täter und die nicht-weißen Opfer. Wokeness generiert immer mehr Opfer und hat ein einträgliches Geschäftsmodell entwickelt, das vermeintlich Gerechtigkeit schaffen sollen und im ersten Moment gut klingt.

Die einengenden, diskriminierenden Maßnahmen woker Ideologen bewirken aber das genaue Gegenteil. Mit der Tabuisierung gesellschaftlicher Missstände und einer Verhinderung von bswp. Kritik am Islam verhindert sie eine offene breite Auseinandersetzung im demokratischen Raum.

Susanne Schröter analysiert die Ideologie der Wokeness und skizziert, wie schleichend und schief diese quasi-religiöse Ideologie unsere Gedanken und Kulturbereiche infiltriert. Niemand ist davor mehr geschützt und das totalitäre Vorgehen spottet demokratischem Vorgehen Hohn. Nichts wird von den Säuberungsaktionen ausgenommen und schon gar nicht harmlose Kinderbücher.

Die anvisierte neue Welt zeigt sich bei näherem Hinsehen als kleinkarierte kindliche Auslese jener Dinge, die an Hochschulen gefördert und später in alle Bereiche des Lebens verbreitet werden. Der gute, fleißige Bürger kann diesen Konzepten wenig entgegen setzen, er zahlt und wundert sich.

Tatort Universität, so heißt ein länger zurückliegendes Buch. Kein Ort sei kindischer auf Vorteilsnahme bedacht als dieser! Wenige Menschen seien neidischer und voruteilsbeladener! Heute kann jeder beobachten, was herauskommt, wenn vermeintlich Wohlmeinende an der Macht sind und diese an Universitäten unterstützt werden, die ihren kulturellen Auftrag vergessen haben - zugunsten einer Verteilung von Gütern und Ideen an die ganze, weite Welt. Grenzen? Gott bewahre, das brauchen wir nicht mehr. Kommet zu uns alle, Ihr Mühseligen und Beladenen.

Das Buch von Prof. Schröter gehört zur kulturellen Basisausstattung eines jeden normalen, steuerzahlenden Bürgers, der wissen will, wie Indoktrination von links und grün funktioniert. Es läuft so ähnlich wie dies auch Religionen mit ihren Wahrheiten versprechen und durchsetzen. Das Ende der christlichen Religionen hat ein Ungeheuer entwickelt, vor dem man nicht nur Furcht haben, sondern einen aktive Abwehrhaltung entwickeln sollte.

Dabei ist die persönliche Karriere von Frau Schröter auch deshalb so interessant, weil sie sich von auch in Südostasien (Thailand, Philippinen, Malaysia) mit dem Thema Islam auseinandersetzte und dort die Übernahme einer traditionellen Scharia-Sichtweise wissenschaftlich begleitete. Sie schreibt aus einem Kern des Wissens, den viele von uns nicht für möglich halten, der aber real ist. Eine patriarchale, frauenverachtende Religion ist mitten unter uns - und wir wissen von ihr meist wenig mehr als eine geschönte Oberfläche, nicht aber ihren unversöhnlichen Kern.

Ich habe dieses Buch mit höchstem Interesse und atemloser Spannung gelesen. Damit sind mir im Grunde alle Bücher von Frau Prof. Schröter vertraut, von denen ich insbesondere empfehlen kann: Gott näher als der eigenen Halsschlagader, Fromme Muslime in Deutschland.

„Stärker noch als der Islamismus werden an den Universitäten Themen tabuisiert, die Migration oder die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft betreffen.“ Die meisten Forscher verteidigen lt. Schröter den ungebremsten Zustrom von Zuwanderern nach Deutschland und Steuerungsmaßnahmen werden als Menschenrechtsverletzungen skandalisiert. Wer Probleme trotzdem benennt, wird als Rassist verunglimpft.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.04.2024
Kickl
Bauer, Gernot;Treichler, Robert

Kickl


weniger gut

In ganz Europa wird aktuell Front gemacht gegen Rechts, wohlgemerkt nicht gegen Rechtsextreme. Noch gab es keine Biografie von Heribert Kickl, dem aktuell erfolgreichsten Politiker in Österreich mit blendender Rhetorik, die fast alle anderen Politiker überstrahlt.

Verwirrung bei fehlerhaften Angaben zu Beginn des Buches, bei den Verwandten des Politikers. Die Autoren mussten Fehler eingestehen. Gut, dass Kickl der Presse gegenüber nie zu viel verriet? Wohl schon, denn schlampig recherchierende Küchenpsychologen sind überall am Werk. Heribert Kickl machte sich lustig über dieses Buch und hatte stichhaltige Argumente genug.

Die Autoren bezeichnen Heribert Kickl als "Volkstribun mit Kontaktstörung“. Er habe nicht nur ein großes Misstrauen den Parteifreunden gegenüber, sondern auch der Presse. Warum? Siehe oben!

Die einjährige Ausbildung beim Heer bricht Kickl vorzeitig ab, ebenso sein Studium. "Ich kann zwar nichts, aber ich kann alles lernen", sagte der Studienabbrecher, als er sich bei der FPÖ begann empor zu arbeiten. Jörg Haider faszinierte ihn und er machte sich unentbehrlich. „Kickl, sozial etwas verkrampft, bewundert Haiders spielerisch leichten Umgang mit den Leuten.“

Heribert Kickl findet an der Universität einen Professor, der ihn fasziniert: Franz Ungler, Professor für Philosophie an der Universität Wien. Im Zentrum seiner Forschung und Lehre stand der MÜNDLICHE Vortrag, thematisch waren es die klassische antike Philosophie einerseits, die kantische Transzendentalphilosophie und ihre Weiterbildung in den Systemen des Deutschen Idealismus andererseits. Immerhin, jetzt weiß ich (indirekt) warum Kickl mündlich so hervorragend vorträgt.

Hinter der souveränen Fassade (immerhin!) stecke eine unfertige Persönlichkeit, beginnt das Kapitel "Der Einzelgänger". Was auch sonst, denkt man sich bei solchen Koryphäen der Küchenspsychologie.

Und natürlich: Kickl gefährde ganz Europa, behaupten die Autoren schon auf dem Titel! Ist das Ernst zu nehmen? Sollten Titel nicht etwas weniger aufbauschend daherkommen?

Bislang dachte ich, dass so hervorragende Fakten-Checker nur in Deutschland zu Haus seien. Offensichtlich gräbt Österreich hier noch eine Etage tiefer.

Bewertung vom 21.04.2024
Wir
Steinmeier, Frank-Walter

Wir


weniger gut

Das offenste deutsche Wort, das unverbindlichste, auch gefährlichste besteht aus drei Buchstaben: W, i , r . Wer soll das sein in Deutschland?

Nach Frank-Walter Steinmeier, dem 12. deutschen Bundespräsidenten, ist es die Mehrheit aller Deutschen, die demokratische Mitte. Woran erkenne ich diese? Sie setzt sich für den Staat und dessen Institutionen ein. Der Rest, also die Misstrauischen, die Kritischen, die Benachteiligten? Wie sind sie durch das Wir zu behandeln? Sollen wir für sie beten oder sind sie nicht vielmehr das Salz in der Suppe der Demokratie, die sie bewegen und weiterbringen? Ist Demokratie nicht vielmehr die Staatsform des Misstrauens von unten nach oben, die Kritik, das Hinterfragen? Keine Antwort in diesem Buch.

Sozialdemokraten reden gerne vom wir und den eigenen Erfolgen, Genossen genießen die Wärme der Wissenden, sie dürfen sich einreihen in etwas, was Enzensberger schon 1994 beschrieben hat: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)

Das Lieblingswort von Sozialdemokraten ist das rundum güldene, vermeintlich alle einschließende Wir, aber es hat einen harten, ausgrenzenden Kern. Wehe, man hat auch nur geringfügige Spuren eines alten Patriotismus oder man kritisiert alle Religionen, dann ist man nach diesem neuen Knigge der Demokratie raus. Nichts findet sich in diesem Buch über den Linksterrorismus und den Islamismus.

Dieses Buch hat mich animiert, das Buch „Wir“ von Jewgeni Samjatin wieder zu lesen. In ihm wird eine dystopische Gesellschaft beschrieben, die unter umfassender Kontrolle eines Wohltäters steht, der sein Ich perfekt in das verbindliche Wir für alle übersetzt. Es ist das erste Buch, welches offiziell in der Sowjetunion verboten wurde. Unzählige „Beschützer“ wachen über das Wohl der Einwohner, deren Leben bis in kleinste Details reglementiert ist, über allen steht ein wohl meinender, mächtiger „Wohltäter“. Menschen die sich gegen diese Fürsorge wehren, werden öffentlich hingerichtet. Der Einzelne zählt nicht, nur das Kollektiv.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.04.2024
Jerusalem (eBook, ePUB)
Sebag Montefiore, Simon

Jerusalem (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Es ist die Hauptstadt der Welt, für mich zweifellos und ihre Geschichte spiegelt ein unsagbares Leiden, Morden, Brandschatzen und Belagern, bis zum heutigen Tag. Die drei Weltreligionen bündeln ihre Heiligtümer in dieser Stadt und im Untergrund lagern weitere Tempel, nach denen man nicht mehr graben darf. Wer die Bibel gelesen hat, kann sogar in die Zukunft schauen und könnte erschaudern.

Grund genug dieses lesenswert spannende Buch zu studieren und in kaum merkbare Zeiten, Namen und Handlungen einzutauchen, schon der Titel macht Lust auf eine Historie, die mehr als fesselt. Die Inhalte Von der Antike bis Jesus waren mir größtenteils fremd, abgesehen von den biblisch bekannten Personen, ein echtes Sammelsurium an Kämpfen, Kriegen und Plünderungen, Mord und Totschlag. Wenig bleibt in Erinnerung, nur die erstaunliche Tatsache, dass Jerusalem immer wieder neu entsteht, robuster noch als zuvor.

Weil diese Aussage unkommentiert aufgeführt wird (S. 158 ) und eher Aggressivität insinuiert, möchte ich sie kurz erwähnen: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Matthäus 10,34) Übersetzt man diesen Satz tatsächlich aus dem Aramäischen in richtiger Weise (Franz Alt: Was Jesus wirklich gesagt hat) , dann heißt er: Seid nicht gutgläubig, seid wachsam! Wenn Ihr Euch mit anderen zusammensetzt, zieht das "Schwert der Worte" und streitet für Eure Sache. Meine Aufopferung, mein Selbstopfer bedeutet nicht Frieden, Erlösung als Automatismus, sie ist eher der Beginn des Kampfes um Wissen und Wahrheit.

Keinesfalls kann hier also eine irgendwie mögliche, direkte Kampfaussage hinein interpretiert werden. Jesus setzte sich im Tempel mit den Priestern auseinander und benutzte dafür das Schwert der Worte, das ihm letzten Endes die Kreuzigung einbrachte. Und Jesus meinte nicht nur die Gerechtigkeit in der jenseitigen Welt, sondern auch die in der aktuellen Welt.

Unglaubliche Ereignisse bis heute, Jerusalem lebte immer in maximaler explosiver Spannung, sehr gut beschrieben in diesem Buch, die Hauptstadt der einzigen Demokratie im Nahen Osten, immer unter Beschuss der Gegner wie Hamas oder Iran, … und genau jetzt: „Jerusalem … scheint intensiver zu leben als jeder andere Ort; alles bleibt gleich, und doch steht nichts still.“ Ein Pulverfass, das jederzeit hochgehen kann, ein Ort der Stille und Einkehr, des Gebets, der Feiern für alle 3 monotheistischen Religionen. Wenn hier jemand Frieden schaffen kann, in Demokratischer Verfassung, dann ist es das jüdische Volk, erfahren in der Auseinandersetzung mit anderen in allen Erdteilen und Religionen.

Sehr oft gehe ich per YouTube auf Wanderschaft in Jerusalem und nichts beeindruckt mich mehr als die Gebete an der Klagemauer. Das Buch endet mit 3 Personen, die die Heiligtümer öffnen, bewachen und sauber halten: „Heute morgen“ (S. 749) „Jeder hat zwei Städte, seine eigene und Jerusalem.“ (Teddy Kolek)

Bewertung vom 19.04.2024
Im Fußball-Himmel
Schießler, Rainer Maria

Im Fußball-Himmel


gut

Fußball und Glaube hat für Rainer M: Schiefer einen guten Klang, wohl auch wenn Frank Ribéry die Schale in den Münchner Himmel hält. Dieser wird im ersten Satz erwähnt bzw. seine Verzückung beim im Himmel halten der Meisterschale des FCB.

Die Rituale des Fußballs vergleicht Rainer M. Schießler mit jenen der Kirche. Zweifellos ist das in einigen Facetten so, aber doch gibt es einen wesentlichen und zentralen Unterschied. Fußball ist Kampf und Siegen, die christliche Religion verkörpert Mitmenschlichkeit, Liebe und Hilfe. Dass zu Beginn ein fußballernder Nicht-Christ erwähnt wird, es wird ein Geheimnis von Herrn Schießler bleiben.

Ich sehe Kirche und Fußball kritisch und Bezeugungen zu dem oder einem anderen Gott verursachen erhebliche Probleme. Allerdings schreibt der Autor, dass Gott bei den Mannschaften neutral bleibt, er möchte nur, dass es fair und sportlich zugeht.

Jesus hat eher weniger von Wettbewerb oder Besserseinwollen gesprochen, allenfalls im mitmenschlichen Bereich. Trotzdem haben mir die Annäherungen in diesem Buch und die Gedanken gefallen. Wer sie kritisch liest, hat am meisten davon.

Begegnet ist mir in diesem Buch die Hochzeit von Philip Lahm, den der Autor getraut hat, also eine Art Promi Geistlicher. Warum auch nicht. Alle Bereiche, die heute noch ein wenig Christentum beinhalten, sind gut und erstrebenswert.
Ganz am Ende redet der Autor vom Sinn des Betens, das hat mich überzeugt: „Das Gebet ändert nicht die Welt um mich herum und schießt auch keine Tore. Aber es macht aus mir einen anderen Menschen, a bisserl besonnener, friedlicher und gelassener.“

Ich stelle mir diese Art von gelassenen Fußballern auf dem Rasen vor und lasse das ganze Buch Revue passieren. Es ist doch etwas hingebogen, gewollt und nicht wirklich überzeugend. Ein ganze privater Bericht eines Pfarrers, der die Spannung des Fußball liebt.

Lese jetzt wieder im Buch „Was Jesus wirklich gesagt hat“ von Franz Alt. Vermutlich hilft beten am besten nach einer richtig deprimierenden Niederlage und tatsächlich sehe ich die Vorstandsriege des FCB zusammen mit den Spielern in den Katakomben des Vereins beten: für den Meistertitel 2025.

Bewertung vom 18.04.2024
Erinnerungen an Czernowitz
Yavetz, Zvi

Erinnerungen an Czernowitz


ausgezeichnet

Selten bin ich tiefer in das Leben jüdischer Mitbürger eingestiegen als in diesem Buch. Zu Herzen gehend geschrieben und alle Facetten auffächernd, die jüdisches Leben so anders macht(e). Man versteht, warum hier die Familie, der Zusammenhalt, Traditionen, Bildung so wichtig und zentral sind, und, warum daraus folgernd, Menschen aus diesem Kulturkreis so erfolgreich sind.

Zvi Yavetz wächst ohne Vater auf und das traurige Gesicht seiner Mutter machte sein Herz schwer. Vor diesem Hintergrund ist seine Entwicklung hin zu einem Professor für Alte Geschichte an der Universität Tel Aviv mehr als bewundernswert. Es ist eine der selten glücklichen Biografien, die aus tiefer Menschlichkeit und Liebe geschrieben wurden, aus Dankbarkeit und Hinwendung zu Wissenschaft und Frieden.

Dieser Satz führte mich direkt ins heute: „Heute bin ich fest davon überzeugt, dass ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung von Czernowitz den mündlich weitergegebenen Nachrichten mehr Glauben schenkte als den offiziellen Berichten der Tageszeitungen.“

Czernowitz war damals eine multikulturelle Stadt mit unterschiedlichsten Religionen, Sprachen und Bevölkerungsanteilen. Ich konnte im Nachlesen wenig Frieden und Glück entdecken, die Kommunikation wurde im Untergrund geführt und wenige trauten den anderen über den Weg. Für ein Kind ist dies manchmal Abenteuer, meist aber ein tiefer Graben, der eher depressiv macht.

Was in solchen Situationen und besonders im jüdischen Leben immer lebensnotwendig scheint, ist der Humor. Das Kapitel Seite 193 bis 207 ist deshalb besonders spannend: Czernowitzer Humor.

Bewertung vom 18.04.2024
Endlich mit Aktien Geld verdienen
Otte, Max

Endlich mit Aktien Geld verdienen


ausgezeichnet

In wenig anderen Staaten ist Geld verdienen mit Aktien so unpopulär wie in Deutschland. Die Investition in erfolgreiche Unternehmen wurde hier nie wirklich gelernt und die positiven Ergebnisse in die unbändigen Kräfte der Marktwirtschaft ist nach wie vor unpopulär, obwohl wir Exportweltmeister, Erfinder und fleißige Mittelständler haben.

Max Otte gelingt mit diesem Buch ein echter Motivations-Schub für eine Umkehr. „Ich investiere am liebsten langfristig in Qualitätsaktien und verdiene mein Geld gerne möglichst stressfrei.“

Das Buch vermittelt die Grundlagen für ein solches Vorgehen, auf leicht verständliche und klare Weise. Im Grunde sollte dieses Buch schon in der Schule behandelt werden, als Geschenk für 18-Jährige eignet es sich bestens.

Im Vergleich zu Aktien sind Immobilien zunehmend problematisch, sie werden von der Regierung bekämpft. „Über Gebühren und Auflagen sowie das im April 2023 verkündete Verbot von Öl- und Gasheizungen werden die Immobilienbesitzer geschröpft.“ Grund genug über die (mobilen) Aktien nachzudenken und in das Können anderer zu vertrauen.

Max Otte beschreibt anschaulich, auch an konkreten Beispiel, wie sein Königsweg der Bewertung aussieht. Mir sind viele Lichter aufgegangen, die ruhige, kluge Art des Autors schwingt zum Leser herüber und macht Mut, sich auf die Bewertung von Unternehmen einzulassen und Anteile davon zu kaufen bzw. zu verfolgen. Jeder ist dazu in der Lage und kann davon profitieren.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2024
75 Jahre Soziale Marktwirtschaft in 7,5 Kapiteln
Goldschmidt, Nils;Kolev, Stefan

75 Jahre Soziale Marktwirtschaft in 7,5 Kapiteln


sehr gut

Ich habe eine Schwäche für diese Art von Büchern, die Wissen auf übersichtlichen 80-100 Seiten präsentieren. So müssen sich Autoren auf das Wesentliche konzentrieren und aufgrund des handlichen Formates (11x19 cm) kann ich es in der Jackentasche mitnehmen und überall lesen.

Einer der Autoren hört auf einem Marktplatz in Deutschland ein Gespräch von einer jungen Studentin mit und hört: „Na ja, die soziale Marktwirtschaft ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes.“ Ist sie tatsächlich nur noch ein Windbeutel, mit viel Platz für Schaumschlägerei? So startet dieses lesenswerte Buch und nimmt mich gleich gefangen.

Soziale Marktwirtschaft wurde nach dem 2. Weltkrieg bei uns eingeführt, sie stellt neben wirtschaftlicher Effizienz das Wohlergehen der Menschen ins Zentrum seiner Vorgehensweise. Sie ist eine regelgeleitete Wirtschaftsordnung mit einem sicheren, rechtlichen Rahmen, der den Wettbewerb zu gesellschaftlich wünschenswerten Ergebnissen führt. „Der Staat garantiert diese Rahmenordnung, um einen fairen und entmachtenden Wettbewerb hervorzubringen.“ Dabei darf es nicht Aufgabe des Staates sein, aktiv in den Markt einzugreifen. Das Wort „entmachtend“ war mir neu, ich werde es in anderen Zusammenhängen suchen und bewerten. Denke, es hat zwiespältige Dimensionen.

Die beiden Wirtschafts-Professoren Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard haben die Soziale Marktwirtschaft theoretisch und mit dem späteren Kanzler praktisch geprägt. Der Vergleich mit einem Fußballspiel gilt auch heute noch. So wie der Schiedsrichter im Fußball nicht mitspielen darf, darf das der Staat eben auch nicht. Er setzt die Regeln und Planken für gerechtes, menschliches Wirtschaften, für Innovation, Gewinn UND soziales Gewissen im gegenseitigen Respekt aller. Dabei spielte für alle, also auch Adenauer, die europäische (auch transatlantische) Aussöhnung und Zusammenarbeit eine zentrale Rolle.

Das Buch erläutert in 7,5 Kapiteln die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft bis hin zum Beginn des Krieges in der Ukraine (das nur halbe, nicht abgeschlossene Kapitel). Alles verständlich und ohne zu viel Fremdworte. Das liest man selten und Karl Popper hätte seine Freude an den Autoren.

Irenik bedeutet das Bemühen um eine friedliche interkonfessionelle Auseinandersetzung mit dem Ziel der Aussöhnung. Dieses Wort fließt mehrfach ein (wird als bekannt vorausgesetzt) und wird auch im Kapitel „Wir schaffen das“ verwendet. Nun, es bleibt wohl ein Bemühen, denn ob es mit der 3. monotheistischen Religion Erfolg hat, möchte ich in Frage stellen. Genau hier weicht dieses Buch aus und wäre möglicherweise zu anderen Ergebnissen gekommen, wenn man den 7.10.24 mit in die Betrachtungen einbezieht. Wie Projekte in Afrika zu steuern wären, um dort Bildung zu schaffen, nun, unsere Entwicklungshilfe muss man zwiespältig bewerten, sie wird aktuell durch China und Russland konterkariert, durchaus mit großem Erfolg. Warum? Weil man weniger den Entscheiden gibt als vielmehr direkt vor Ort eingreift und Projekte voranbringt.

Trotzdem: sehr lesens- und nachdenkenswert. Eine Strecke deutsche Geschichte, die sich trotz aller Unkenrufe als Erfolg darstellen kann.