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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Carola
Wohnort: 
Zwickau

Bewertungen

Insgesamt 19 Bewertungen
12
Bewertung vom 22.10.2021
Auf Basidis Dach
Ameziane, Mona

Auf Basidis Dach


ausgezeichnet

Da schreibt eine bekannte Persönlichkeit aus dem Fernsehen ein Buch - schon wieder jemand - könnte man denken. Wer jedoch neugierig auf das Land Marokko ist, der kommt auf seine Kosten. Mona Ameziane, Moderatorin und Journalistin, verspricht im Prolog , den Leser auf eine individuelle Reise durch die Heimat ihres Vaters mitzunehmen. Sie möchte ihre Wurzeln besser, als es ihr bisher gelungen war, kennenlernen. Obwohl sie durchaus regelmäßig in Fès zu Besuch war.
Im Folgenden lässt sie uns teilhaben an ihrer Erziehung, die auch durch die deutsche Mutter beeinflusst ist. Wir fühlen mit dem Teenager mit, der in Marokko mehrere Wochen privilegiert leben kann. Sie gibt aber auch einen kleinen Einblick in ihre Aufgaben als Moderatorin.
Mona Ameziane springt von der Gegenwart in die Vergangenheit und genauso hüpfen die Gedanken von einem Stichwort zum nächsten Vorfall bzw. zur Situationsbeschreibung. Sie hält ihr Versprechen, und der Leser erfährt einiges über die Händler, Verkäufer, Hausmädchen, Taxifahrer und die Wohn-, Arbeits- und Lebensverhältnisse der Familien auf dem Land und in der Stadt.
Es werden viele Aspekte angesprochen: zum Beispiel Religion, Politik, Traditionen, Hauswirtschaft, Ernährung, Tod und Sprache. Welche Missverständnisse letztere bringen kann, wird humorvoll und leicht erzählt. Der Schreibstil ist flüssig, manchmal deutet Ameziane an und baut erstmal Spannung auf, ohne zu langatmig zu sein.
Es gibt ab und zu ein paar Ungenauigkeiten im Ausdruck, das aber wird relativiert durch die Lebendigkeit und Ehrlichkeit der Darstellung. Es ist an keiner Stelle langweilig, und man möchte immer mehr erfahren über das Land Marokko.
Zu lesen wird es denen empfohlen, „die mal dort waren“. Man sollte es aber eigentlich vor einem Marokkobesuch lesen, um schon mal ein Feeling für die Menschen aus diesem Land zu bekommen. Das ist Mona Ameziane gut gelungen. Einen großen Anteil daran hat auch ihr Vater in der „Nebenrolle“.
Ein Reiseführer der anderen Art!

Bewertung vom 16.09.2021
Nichts als Gutes
Slupetzky, Stefan

Nichts als Gutes


ausgezeichnet

Stefan Slupetzky hat das Genre der Erzählung hier einmal anders verwendet. In seinem Büchlein „Nichts als Gutes“ stellt er Grabreden vor, wovon man am Ende noch mehr lesen möchte, obwohl man überhaupt keinen Bezug zu den Verstorbenen hat und schon gar nicht ständig an den Tod erinnert werden möchte. Es sind kleine Lebensläufe, intim und voyeuristisch.
Das ist es, was Slupetzky augenzwinkernd und mit Vorliebe macht: Uns immer wieder erinnern, dass wir alle sterblich sind. In 15 Grabreden erscheinen 15 Menschen vor unserem geistigen Auge, die alle mehr oder weniger mit dem jeweiligen Grabredner verbunden sind. Es sind also 30 Schicksale, über die man auch noch nachdenkt, wenn schon der nächste Redner „auftritt“.
Anschließend stellt Slupetzky kurze Grabreden aus aller Welt vor, die nicht ganz ernst gemeint sind, aber die Kultur des Landes widerspiegeln. Da muss man sich jedes Wort auf der Zunge zergehen bzw. vor dem Auge nochmal erscheinen lassen. Slupetzky spielt mit Worten und schreckt auch vor schwarzem Humor oder bissiger Satire nicht zurück, als er einen Abgeordneten den Fall der unzähligen Toten der Flüchtlingswellen kommentieren lässt.
Humorvoll, aber trotzdem nachdenklich, ja sogar philosophisch und gewollt hoffnungsvoll endet die Zusammenstellung von Grabreden mit der „großen Null“, in der der Autor den Verstorbenen sogar selbst zu Wort kommen lässt.
Und wieder sollen wir mitdenken, wozu der Umgang mit dem Tod gut sein soll. Erstaunlich ist, welche vielfältigen Ideen der Autor hat: Da gesteht ein Redner intime Gefühle, die der Verstorbene vielleicht auch gern gehört hätte. Eine Liebe auf den ersten Blick stirbt durch die Rücksichtslosigkeit eines Autofahrers. Blutsbrüder wurden durch eine Frau auf eine verteufelte Probe gestellt. Aber auch leise Worte einer Witwe gehen ins Herz, weil sie so einfach und wahrhaftig sind. Ja, sogar kriminalistisch-spannend wird es. Der Leser soll selbst rätseln und zweifeln. Jede Grabrede ist anders aufgebaut, stilistisch und inhaltlich, fantasievoll und doch irgendwo realistisch.
Das versteht Stefan Slupetzky sehr gut, die Worte so zu setzen, dass man unterschiedliche Charaktere erkennt. Humor und Witz durchziehen die Grabreden, aber nicht, um die Toten bloßzustellen, sondern um zwischen den Zeilen zu erkennen, was die Gesellschaft zu Lebzeiten der Verstorbenen versäumt, falsch, aber auch richtig gemacht hat.
Das Wienerische kommt auch zur Geltung, aber einen Wunsch hat der Leser: Einen Nebensatz mit weil sollte auch Stefan Slupetzky (oder ein Grabredner) nicht zum Hauptsatz machen.
Auf jeden Fall kann man das Büchlein immer mal zur Hand nehmen, wenn man über den Tod und seinen Sinn nachdenken muss.

Bewertung vom 18.08.2021
Rochade
Tötschinger, Reinhard

Rochade


sehr gut

Gut gemacht: Das Cover weist auf das Thema hin, ein Gemälde aus dem 17. Jahrhundert.
Dieses Buch hat mich nachdenklich zurückgelassen. Warum?
Das Thema startet mit einem Verbrechen, einem Attentat in einem Museum auf das Bild. Die „Malkunst“ von Jan Vermeer mus deshalb restauriert werden. Der Kanzler Österreichs mischt sich insofern ein, dass er das Bild zum Repräsentieren braucht und damit den Restaurator Clemens Hartmann in Zeit- und Gewissensnot bringt. Das Buch erzählt eine erdachte und wahre Geschichte, die über die Restauration hinausgeht, weil Kunst schon immer Begehrlichkeiten geweckt hat. Außerdem wird das Problem Original und Fälschung/ Fälscher angesprochen. Das interessiert mich, und ich werde mehr darüber lesen.
Man kann den Inhalt gut verstehen - trotz österreichischem Dialekt - , aber der Text wird regelmäßig durch die Historie in Rückblenden unterbrochen. Welchen Weg hat das Gemälde durch die Jahrhunderte genommen, warum wurde es missbraucht für die Zwecke der Mächtigen. Tötschinger verbindet seine Gedanken mit seiner Familiengeschichte, die auch mit dem Bild zu tun hat. Wahrheit und Fantasie wechseln sich ab, was stimmt, was ist erdacht? Manchmal ist es schwer, das zu unterscheiden. Vor allem, wenn in der Zeit gesprungen wird. Soll man sich beim Lesen Gedanken machen, wie schwierig es war und immer noch ist, die Kunst um ihrer selbst Willen gelten zu lassen, nicht dauernd zu benutzen für egoistische Ziele? Soll man herausfinden, wer falsch und wer richtig gehandelt hat? Die Geschichte hat es ja schon beantwortet.
Der Schreibstil ist deshalb ab und zu langatmig, wiederholend, wirkt manchmal abgehackt. Gegen Ende kommen überraschende Wendungen ins Spiel, die allesamt gut ausgehen - vielleicht auch wieder zu langweilig.
Es ist eben eher ein sachliches Buch als ein Roman, der Autor stellt seine Gedanken über Restaurierung, Kunst, Politik, Echtheit und Fälschung, Wahrheit und Fake in den Raum, und der Leser ist gefordert. Gut gefallen hat mir, dass über den Wert und die Bedeutung des Gemäldes „Malkunst“, auch über Jan Vermeer, geschrieben wurde, über Einzelheiten der Malweise, der Bildgestaltung. Wer sich für Kunst und Gemälde und den Kunstmarkt interessiert, kommt daher auf seine Kosten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.07.2021
Mein Sternzeichen ist der Regenbogen
Schami, Rafik

Mein Sternzeichen ist der Regenbogen


ausgezeichnet

Rafik Schami - schon der Name allein bürgt für Qualität. Er ist einfach ein exzellenter Erzähler! Kurzgeschichten haben ihr eigenes Wesen. Die Charaktere offenbaren sich durch ihre Handlungen. Und genau das vermag Rafik Schami pointiert wiederzugeben. Leichtfüßig begibt er sich mitten ins Geschehen, und man will immer noch mehr wissen - über Menschen, die am Leben gewachsen sind und doch scheitern, über fantasievolle und wahre Lebensläufe, über die Zustände in Syrien oder über die Deutschen. Syrien und Deutschland sind/ist die Heimat von Schami, das spürt man zwischen den Zeilen. Er erzählt nicht viel über die politischen Zustände in seiner ehemaligen Heimat, aber jede Erzählung regt zum Nachdenken an und man muss innehalten, ehe man die nächste Geschichte liest. Vieles wird durch das oft abrupte Ende im Raum stehen gelassen. Keine Geschichte lässt vorhersehen, wie sie endet, auch wenn Andeutungen gemacht werden. Es sind die Menschen, die berühren.
Rafik Schami hat seine Erzählungen in Bereiche eingeteilt: Geburtstag, Lachen, Reisen, Geheimnis usw. Jeder Abschnitt enthält am Ende eine Zusammenstellung von Gedanken über das jeweilige Thema. Er zitiert die Klassiker bis hin zu den Griechen (man spürt seine Vorliebe für die Sagenwelt), er gibt Anregungen, mehr über das Thema nachzulesen. Groß nachgedacht hat man bis dahin gewiss noch nicht, das beste Beispiel ist das „Geheimnis“. Rafik Schami geht dabei nicht in die Tiefe, er schneidet nur an, das ist auch eine Kunst.
Der Meister der Erzählkunst hat in diesem Buch auch ältere Geschichten eingebaut. Sie behalten aber ihre Frische, weil durch die Leichtigkeit der Worte und mit einem Augenzwinkern die Menschen und Tiere plastisch vor den Augen erscheinen und uns in ihre Welt holen. Man kann sie immer wieder lesen.
Nach der Lektüre des Buches möchte man noch mehr (vom Autor) lesen, denn auch der Humor - nicht vordergründig - reißt einen mit, über Spinnereien schmunzelt man gern, sie wirken nicht aufdringlich.
Rafik Schami hat ein Herz für die Schwachen, das macht ihn und seine Worte so liebenswert.
Dass er auch mündlich sympathisch rüberkommt, kann man selbst überprüfen, wenn man auf die Homepage des Hanserverlages (www.rafik-schami.de) geht und sein Grußwort anschaut.
Und wenn jemand das Buch wegen des Stichwortes „Regenbogen“ gekauft hat, wird er erst einmal enttäuscht sein, denn es geht zwar um Geschlechter, aber das Thema Mensch schaut aus jeder Geschichte heraus - und das ist doch das Wichtigste!

Bewertung vom 05.06.2021
Frau Merian und die Wunder der Welt
Kornberger, Ruth

Frau Merian und die Wunder der Welt


sehr gut

Diese Worte einer Figur aus Ruth Kornbergers Buch Frau Merian und die Wunder der Welt drücken viel aus: Die Künstlerin und Wissenschaftlerin Maria Sibylla Merian (17. bzw. 18. Jahrhundert) widmete ihre Aufmerksamkeit den kleinen Wesen auf der Erde, vor allem denen im Urwald. Wir bekommen dank Kornbergers Roman einen biografischen und fantasievollen Einblick in einen Abschnitt des Lebens von Frau Merian - ihre Bestrebungen rund um die Reise nach Surinam, zur Beobachtung der kleinen Tierwelt im Urwald und die weitere Herausgabe wissenschaftlicher Bücher darüber. Den Respekt Merians gegenüber den Raupen, Insekten, Kröten und Schmetterlingen spürt man gleich am Anfang, und der überträgt sich auf den Leser.
Mit dem Prolog erhält der Leser einen Vorgeschmack auf das Kernthema des Romans. Das ist geschickt gewählt worden, denn bei einer historischen Figur die Balance zwischen Wahrheit und Fiktion zu halten, ist schwierig. Man wünschte sich, noch mehr darüber zu erfahren, weshalb Maria Sibylla Merian so zielstrebig und mutig war, denn als Frau ein solch riskantes Unternehmen zu wagen, war damals höchst selten. Aus ihrem Leben wird nur preisgegeben, was zum Kernthema passt. Welchen Ruhm Frau Merian damals erntete, ist in seinem Ausmaß im Roman nicht erkennbar, weil er nach der Ausstellung im Stadthaus endet.
Ruth Kornberger versucht Erklärungen zum Charakter Maria Sibylla Merians, indem sie Rückblenden einbaut, Marias Gedanken einflicht und einige Figuren aus Merians Umfeld dazu erfindet, charakterisiert und agieren lässt. Das gelingt insofern gut, dass man Merians wissenschaftliche Arbeit versteht und schätzen muss, denn wie viel Mühsal und Geduld das Zeichnen und Kolorieren bereitet, weiß nur jemand, der das selbst einmal gemacht hat. Das Buch liest sich flüssig und anschaulich, man kann sich gut in die Zeit hineinversetzen. Die Fantasiefiguren helfen praktisch dem Roman zum Aufbau der Spannung. Die Autorin hat sehr viele Fakten zu Lebensweisen und -umständen, zur Seefahrt, zu künstlerischen Techniken recherchiert und verständlich niedergeschrieben.
Vier Sterne gibt es für die klare und spannende inhaltliche Darstellung. Ein Punktabzug ist dafür, dass man manchen Satz mehrmals lesen musste, weil diese oder jene Formulierung unklar und nicht mit richtigem Bezug zum Vorangegangenen war. Und eine Frage bleibt für mich offen: Wie zufrieden war Frau Merian über sich, ob sie die kleinen Wunder für alle sichtbar in die Welt hinaustragen konnte?
Aber dieses Buch regt an, Weiteres über Kunst und Wissenschaft des 17., 18. Jahrhunderts in den Niederlanden zu recherchieren. Selbst Russland und Peter der Große rücken anschaulich in den Mittelpunkt und sind einer Nachlese wert.

Bewertung vom 24.04.2021
Hauskonzert (eBook, ePUB)
Levit, Igor; Zinnecker, Florian

Hauskonzert (eBook, ePUB)


gut

Ich habe es sehr begrüßt, dass ein Pianist Igor Levit und ein Journalist Florian Zinnecker ein Buch zusammen schreiben, weil man mehr über die Welt von Kulturschaffenden aus persönlicher Sicht erfahren kann.
Diesen Anspruch erfüllt das Buch auch. Was genau wollten die Autoren, welchen Anspruch auf Tiefgang hatten beide? So viel ist klar: Der eine (Jounalist) wollte die Persönlichkeit des anderen (Pianist) lebendig darstellen.
Es bleibt ein Einblick im wahrsten Sinne des Wortes. Denn alle Seiten der Person wollte der eine nicht aufzählen, es ging ihm sicher nur um zwei Facetten.
Erstens: Man erfährt das Wichtigste über Igor Levits Werdegang, seine Art zu lernen, weiter zu streben. Der Beruf des Pianisten ist sehr von der Beurteilung durch die Journalisten abhängig. Man erkennt die Macht und Ohnmacht der journalistischen Meinungsäußerung. Florian Zinnecker setzt mit textlich gegliederten Interview-, Artikelausschnitten und Lebenslaufereignissen Akzente und läßt auch optisch Lücken zum Nachdenken. Wir erfahren, wie das Bild des Pianisten Levit in den letzten Jahren durch Kritiker in die Öffentlichkeit gekommen ist. Man kann sich durch Igors Twittern selbst ein Bild machen und das relativieren. Das reicht aber nicht, denn man fragt sich unwillkürlich, ob es auch positive Kritiken oder Gegendarstellungen gegeben hat. Und fängt an zu googeln.
Levit bleibt in Erinnerung als ein zweifelnder, sehr oft mit sich und der Umwelt hadernder Mensch, der letztendlich froh ist, wichtige Menschen auf seiner Seite und in seiner Nähe zu haben, die seine Persönlichkeit formen, auch heute noch. Diese werden auch einbezogen, jedoch bleibt unbeantwortet, welche Charaktereigenschaften Igor Levit noch hat.
Zweitens: Der Journalist geht natürlich mit Igor auch auf seine politische Seite ein, versucht Zusammenhänge aufzuzeigen, geht in Levits Leben zurück und schaut sich Igors Entwicklung unter dem Aspekt an. Vieles reduziert sich auf die Herkunft als Jude. Es wäre schön gewesen, auch von den Eltern und anderen Freunden mehr zu lesen. So bleibt immer der Eindruck, dass er sich doppelt anstrengen muss, sich dreifach rechtfertigen und behaupten soll.
Seine Adaption der Klavierwerke ist auch nicht alltäglich. Wie schwer man es dadurch in der Öffentlichkeit hat, arbeitet Florian Zinnecker gut heraus.
Interessant ist die Darstellung des Streams der Vexations by Erik Satie. Da Musik im Buch ja nicht zum Klingen kommen kann, so erlaubt die Beschreibung ein annäherndes Nachempfinden.
Ich hätte mir nur gewünscht, Florian Zinnecker wäre nicht so oft in der Zeit hin und her gegangen. Auch das Durcheinander der Themen - Klavier, Leben, Politik, Weggefährten - war ungünstig in Bezug auf den Lesefluss.
Alles in allem ein interessanter Einblick in das Leben eines ungewöhnlichen Menschen, der viel Raum zum Weiterdiskutieren lässt.

Bewertung vom 29.10.2020
Generation Fake
Burow, Patrick

Generation Fake


sehr gut

Pflichtlektüre vor allem für die junge Generation

Das Büchlein liest sich flüssig, ist auf dem aktuellen Stand der Zeit, bringt interessante, auch neue Fakten und Beispiele, und am Ende lernt man allerhand daraus.
Mutig schreibt er über alle Bereiche der Gesellschaft und spart dabei auch seinen Arbeitsplatz nicht aus. Er stellt dar, wie weit die Lüge in der letzten Zeit durch Generationen (es gibt nicht nur eine Generation Fake) hinweg sozialisiert, salonfähig gemacht wurde, und wie sich das im täglichen Leben quasi vom Kindesalter an auswirkt. Burow erklärt auch kurz und einleuchtend, welche Differenzierungen es zu dem Begriff Lüge gibt.
Er kann das u.a. durch seine vierundzwanzigjährige Laufbahn als Richter gut mit Beispielen untermauern. Es wird einem dabei richtig unheimlich. Vieles hat man selbst beobachtet, gehört, vielleicht erlebt, aber dass es immer noch übertroffen werden kann, dass es immer neue Plattformen für Betrug und Täuschen gibt, lässt den Leser ratlos sein. Wie soll das noch weitergehen, wie kann man das verändern?
Sein Schreibstil ist direkt, manchmal kommt der humoristische Schriftsteller durch, denn Patrick Burow schreibt unter dem Pseudonym Falk van Helsing auch Humoristisches. In der Quellen- und Literaturangabe sieht man, wie viel er recherchiert hat, wie viel Literatur es dazu schon gibt.
Als Pflichtlektüre für die junge Generation wäre dieses Buch völlig geeignet, denn Patrick Burow schreibt im letzten Drittel ausführlich, warum die Sehnsucht nach Ehrlichkeit in jedem Menschen verankert und letztlich Voraussetzung für ein würdiges Miteinander ist. Er gibt viele Anregungen, die Lüge möglichst zu vermeiden, er engagiert sich für Ehrlichkeit, die bei jedem selbst anfangen muss.
Einen Stern bekommt er abgezogen, denn man möchte auch zwischendurch nicht nur das Negative aufgetischt bekommen. An einigen Stellen wird durch die Angabe von Prozentzahlen deutlich, dass nicht alle lügen. Da hätte man sich noch etwas mehr Statistik gewünscht. Und wäre wieder etwas beruhigter.

Bewertung vom 13.10.2019
Das Haifischhaus
Barth, Rüdiger

Das Haifischhaus


sehr gut

Mir hat der Roman gut gefallen. Am besten fand ich den Erzählstil, nur für die ersten Kapitel braucht man Geduld, um reinzukommen. Man merkt, dass Rüdiger Barth noch seine eigene Handschrift sucht.
Die Hauptperson Toto Berger ist ein früher sehr erfolgreicher Tennisprofi, der sich nach seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit und dem Profisport einer neuen Herausforderung stellen muss - einem neuen Match, das er eigentlich nicht gewinnen kann. Und da setzt die Spannung ein, die bis zum Schluss auch sehr geschickt gehalten wird.
Aber - ich habe es mit Tennisaugen und -wissen gelesen, weil ich selbst spiele und gerne Turniere schaue. Ob das alles auch anderen gefällt und sie dabeibleiben, um zu erfahren, ob Toto Berger gegen den unschlagbaren Frédéric Lamenteau gewinnt, ist für mich fraglich. Es liest sich am Ende wie eine Berichterstattung fürs Radio. (Aber das ist vielleicht gar nicht so schlecht, weil man kurz und klar informiert wird.)
Weiterhin hat Rüdiger Barth versucht, die Person Toto Berger als Mensch und als Spieler und als Profi auszuloten. Nicht immer sind mir seine Beweggründe und Beziehungsmotive klar geworden, da fehlt noch Tiefgründigkeit.
Das Wesen eines Siegertypen, egal welche Sportart, kann man sicher nicht pauschalisieren, aber es wurde ein sachkundiger Einblick in die Welt des Profisports gegeben, der auch aus dem Wissen des Autors schöpfte. Und gerade das wollen neugierige Interessierte lesen. Mit dem „Haifischhaus“ ist das schon mal gelungen.

Bewertung vom 03.08.2019
Leben wird aus Mut gemacht
Landsteiner, Anika

Leben wird aus Mut gemacht


ausgezeichnet

Der Titel ist sehr gut gewählt worden, und der Untertitel macht absolut neugierig. Ich wurde nicht enttäuscht, denn die Autorin kann solche Erlebnisse nur erleben und als Gedanken niederschreiben, weil sie mutig und neugierig ist. Über Letzteres lässt sie selbst keinen Zweifel. Überhaupt spürt man aus jeder Zeile, dass sie das Buch nicht einfach so hingeschrieben, sondern intensiv und sehr bewusst ein Jahr mit Herausforderungen gelebt und sich viele Gedanken im Vorfeld gemacht hat.
Deshalb sollte man dieses Büchlein, das ein großartiges Selbstfindungsbuch dieser Autorin ist, nicht einfach schnell durchlesen, sondern verarbeiten: den Gedanken von Anika L. nachspüren; mit dem eigenen Leben vergleichen; Schlussfolgerungen ziehen.
Anika Landsteiner, die man beim Lesen als Mensch sehr gut kennenlernt, hat es sich nicht einfach gemacht. Wollte und musste sie doch das Leben von Emma, der 84-Jährigen, mit ihrem eigenen Leben verbinden und verknüpfen, aber nicht durcheinander aufschreiben. Es ist ihr wirklich gut gelungen. Wenn es auch manchmal Wiederholungen gibt und man vielleicht noch hier und da gern weiter in Emmas Leben und Fühlen eingetaucht wäre, so geht es jedoch vor allem um Anika. Und da kann man ihr gut folgen.
Es ist erstaunlich und erfreulich, über welche Reife diese 31-Jährige verfügt, was sie sich erarbeitet hat und wie sie es mitteilt. Die Sprache und der Schreibstil sind angenehm.
Ich empfehle, jeden Tag ein Kapitel zu lesen und mit den Hauptfiguren mitzuempfinden, die Gedanken und Gefühle nachschwingen zu lassen.
Am besten gefiel mir das „Mutmach-Manifest“ am Ende des Buches. Es gibt ja tolle Aphorismen und Gedankenblitze von tollen Menschen, aber die in diesem Kapitel sind von Anika - ganz individuell und persönlich und doch verallgemeinerungswürdig - und da glaubt man ihr sofort, dass sie das selbst gedacht und gelebt hat.

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