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KTh
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OL

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Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 14.03.2024
Das Jahr ohne Sommer
Neumann, Constanze

Das Jahr ohne Sommer


gut

Auf der Suche nach der Heimat
Vorweg sei gesagt, dass ich den Titel des Buches nicht verstehe und ihn auch nicht mit dem Gelesenen in Einklang bringen kann. „Ein Jahr ohne Sommer“ – wo doch viele Sommer beschrieben werden, in denen die Ich-Erzählerin ihre Ferien im „sozialistischen Ausland“ verbringt, um dort ihre Großmutter zu treffen.
Doch beginnen wir am Anfang: Die kurze Erzählung beginnt mit den Erinnerungen eines dreijährigen Mädchens an die misslungene Flucht der Eltern aus Leipzig in den Westen. Sie selbst kommt zunächst ins Heim, anschließend lebt sie bei den Großeltern, während die Eltern im Gefängnis sind. Diese werden „freigekauft“ und gelangen in den Westen – und zwar so richtig: Nach Aachen, die beinahe westlichste Stadt der BRD. Auch die namenlose Ich-Erzählerin kommt mit sechs Jahren nach Aachen.
Im Anschluss werden aus der Perspektive des Mädchens in chronologischer Abfolge die Ereignisse bis zum Mauerfall geschildert – ziemlich ruhig und emotionslos werden Probleme mit der neuen Heimat, mit der rheinischen Art und dem Zusammenleben und -arbeiten geschildert. Angesichts der Tatsache, dass der Roman nur gut 180 Seiten umfasst, ist klar, dass es keine ausführliche Beschreibung gibt, sondern nur Flashlights gesetzt werden.
Eine wiederkehrende Geschichte ist das schon erwähnte Treffen mit der Großmutter, die in Leipzig verblieben ist, in der Tschechoslowakei oder in Ungarn. Wiederkehrend ist auch die Klage der Mutter über die Gefängnisstrafe, in deren Folge sie nicht mehr Geige spielen kann.
Die Sätze von Constanze Neumann sind einfach und kurz gehalten – Emotionen finden sich nur selten und der Tiefgang ist auch gering. Nichtsdestotrotz ist es eine ganz angenehme Lektüre, die für mich als Zeitzeugin jedoch nur wenig Neues gebracht hat. Aber es wird deutlich, dass es für Neumann wichtig war, sich mit diesem Teil ihrer Biografie auseinanderzusetzen.

Bewertung vom 05.02.2024
Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
Tsokos, Anja;Tsokos, Michael

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge


sehr gut

Der 79-jährige, der in einen Flixbus stieg, um nach Warnemünde zu kommen

Heinz Labensky lebt in einem Feierabendheim, hat eigentlich mit seinem Leben abgeschlossen – und begibt sich doch ganz plötzlich auf eine weite Reise – von Erfurt nach Warnemünde. Statt in die Bahn steigt er in einen – ihm bis dahin unbekannten – Flixbus, ist irritiert vom offenbar indischstämmigen Busfahrer, von seinen Mitreisenden und auch von sich selbst.
Der Roadtrip über Leipzig, Berlin und Rostock ist vielleicht nicht so spektakulär wie seine Vorbilder in den USA und Schweden – und doch erzählen Anna und Michael Tsokos virtuos von einer Welt, in der so vieles anders war als in der BRD: in der DDR. Und Heinz Labensky war immer mittendrin statt nur dabei. So fuhr er die Köpfe der RAF zum Flughafen Schönefeld, die von dort in den bewaffneten Kampf in Jordanien starteten, suchte er in Carinhall das berühmte Bernsteinzimmer oder war an Spionageaktionen gegen Bundeskanzler Willy Brandt beteiligt.
Alles unwissentlich, denn Motor des als bereits in der Grundschulzeit als „förderunfähig“ abgestempelten Heinz Labensky ist seine große Liebe: Rita, die er als Junge kennen- und liebengelernt hat. Außenseiterin wie er im Dorf, dabei aber wild und unberechenbar, klug und mit einem Plan für ihr weiteres Leben. Das sollte nicht in Briesen stattfinden, sondern in Berlin – und so zieht sie mit 17 in die Hauptstadt der DDR, wohin ihr Heinz dann auch folgt. Allerdings ist die Liebe nicht beiderseitig – Rita fühlt sich eher belästigt von Heinz. Sie will dann sogar die Flucht in die BRD wagen – und verschwindet dann von Heinzens Radar, obwohl er doch noch alles tut, um einen Reisepass für Rita zu bekommen.
Erst ein Brief von Ritas Tochter, in dem vom Tod der Mutter viele Jahre zuvor berichtet wird, bringt Heinz zunächst auf den Roadtrip und dann auch dazu, seinen Mitreisenden von seinen „wilden“ Geschichten zu erzählen.
Der Roman ist toll, keine Frage – und doch ist das grundlegende Setting für mich zu konstruiert. Die Anklänge von „Forrest Gump“ und dem „100-jährigen“ sind sicherlich gewollt und auch okay. Aber es sind ja nicht einmal Erzählungen oder Gespräche mit den Mitreisenden, sondern eine Art Selbstgespräch. Heinz ist hierin eloquent, aber eigentlich doch „förderunfähig“ und wird als nicht-lesend, nicht-schreibend und doch etwas zurückgeblieben dargestellt. Da klafft für mich eine intellektuelle Lücke. Zudem wird dieser Aspekt m.E. ein wenig zu häufig aufgeführt.
Stilistisch hat mir Heinzens Sicht auf die Dinge sehr gut gefallen – auch die historischen Anspielungen und typischen ostdeutschen Begrifflichkeiten waren mir bekannt. Aber trotz allem bin ich nicht vollständig begeistert – und das hängt nicht nur mit dem Ende des Romans zusammen.

Bewertung vom 12.12.2023
Lindy Girls
Stern, Anne

Lindy Girls


gut

Lasset das Tanzbein schwingen
Anne Stern war mir als Autorin vor der Lektüre von „Lindy Girls“ nur namentlich bekannt, gelesen hatte ich von ihr maximal ihre Insta-Posts. Erzählt wird im Roman die Geschichte von einigen jungen Frauen, deren Namen ich permanent verwechselt habe. Sie sind unter anderem Teil einer von Wally gegründeten und trainierten Tanzgruppe, die allerdings noch auf ihren Durchbruch wartet. Der Charleston ist das bestimmende musikalische Element – leider im Buch häufig auf „Scream for Icecream“ reduziert.
Die grundlegende Stimmung der zwanziger Jahre, der roaring twenties, wird ganz gut eingefangen: Der große soziale Unterschied, die Hinterhofwohnungen, der Dreck und vielfach unhygienische Verhältnisse – kontrastiert durch die Feierlaune, den Champagner und die Tanzvergnügungen z.B. im Friedrichstadtpalast.
Auch gesellschaftliche Fragen wie die Folgen des (Ersten) Weltkriegs, der aufkommende Nationalsozialismus und die Frauenbewegung werden aufgegriffen. Es gibt nur leider kaum neue Aspekte, so dass sich „Lindy Girls“ für mich wie eines von vielen Büchern liest. Es fehlt mir an Tiefgang – die beschriebene Handlung ist doch ziemlich oberflächlich und kratzt nur ab und zu etwas in die Tiefe.
Insbesondere die Vielzahl der Personen hat mich irritiert – zu keiner konnte ich eine emotionale Bindung aufbauen. Auch der Wechsel der Perspektive, der durch die unterschiedlichen Geschichten erreicht wird, hat mich meist eher verstört.
Mein Fazit: Ein ganz gutes Buch, aber mehr leider nicht.

Bewertung vom 12.12.2023
Die Hafenärztin. Ein Leben für die Hoffnung der Menschen
Engel, Henrike

Die Hafenärztin. Ein Leben für die Hoffnung der Menschen


sehr gut

Schon der vierte Teil einer kurzweiligen Lektüre
Obwohl ich seit Anfang der Serie mit dem Cover fremdele, gefällt mir der Inhalt umso besser. Natürlich ist es irritierend, dass Anne von der Zwaan, wie sich die Protagonistin jetzt wieder nennt, so viel in so kurzer Zeit erlebt, was die Polizei und mit ihr Kommissar Berthold Rheydt auf den Plan ruft. Aber mit ihrer Arbeit als Hafenärztin lässt sich vieles erklären.
Im vierten Teil spielt Heroin, das Erkältungs- und Stärkungsmittel des frühen 20. Jahrhunderts, eine große Rolle. Denn falsch eingenommen, kann es zu Suchtkrankheiten und zum Tod führen. Eine Tatsache, die sich erst langsam durchsetzt.
Unklar ist zunächst, woher das viele Heroin kommt, das nicht in den Apotheken verkauft und gerade den Ärmsten zur Verfügung gestellt wurde. Der Hinweis im Nachwort auf weiterführende Literatur zum Thema war sehr gut – mich hat diese Geschichte des Heroins nämlich sehr verwundert.
Allgemein ist „Die Hafenärztin“ ein gutes Kaleidoskop der beschriebenen Zeit – noch vor dem ersten Weltkrieg in der Hafenstadt Hamburg – mit den Themen, die relevant sind: Auswanderung, soziale Ungleichheit, Abtreibung, Frauenrechte uvm. Neu im vierten Teil ist die Beschäftigung mit der Psychoanalyse, die Helene Curtius umtreibt.
Ich mag die Verquickung von persönlichen und gesellschaftlichen Themen – auch der schlussendliche Ausbruch des „Alsterschwans“ und die Beschäftigung mit dem weit verbreiteten Thema „häusliche Gewalt“ ist ein wichtiger Aspekt, der m.E. auch im Roman zu finden sein sollte.
Henrike Engel ist in allen vier Bänden, die auch jeweils ohne Vorkenntnis der anderen Bände lesbar sind, eine detailreiche Schilderung des Hamburgs im frühen 20. Jahrhunderts gelungen. Die Charaktere entwickeln sich im Laufe der Handlung, die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe sind gut recherchiert.
Mein Fazit: Eine Reihe von historischen Romanen, die sich einer Zeit widmen, die normalerweise nicht so stark im Fokus steht. Eine spannende Handlung, interessante Charaktere und ein gut lesbarer Schreibstil machen „Die Hafenärztin“ in allen vier Bänden zu einer gelungenen Mischung aus historischem Roman und Krimi.

Bewertung vom 02.11.2023
Im Herzen so kalt / Maya Topelius Bd.1 (eBook, ePUB)
Åslund, Sandra

Im Herzen so kalt / Maya Topelius Bd.1 (eBook, ePUB)


sehr gut

Serienauftakt in Östersund
Ähnlich wie viele Biathlon-Weltcupsaisons in Östersund beginnen, so startet auch die dreibändige Reihe um Maya Topelius ist der tief verschneiten nordschwedischen Stadt. Das war’s dann aber auch schon mit Parallelen zum Sport – auch wenn die Biathlon-Rennstrecke zumindest noch auf der Vorsatzkarte auftaucht.
Maya Topelius und ihr Kollege Pär Stenqvist kommen eigentlich aus Stockholm – werden nun aber zur Verstärkung bei der Aufklärung eines Mordfalls nach Östersund geschickt. Mordopfer ist Mats Anderberg, ein bekannter und offenbar sehr charismatischer Umweltaktivist, dem es um die Rettung der Wälder in seiner Heimat geht.
Genauso wenig wie Anderberg von der einheimischen Forstwirtschaft gemocht wird, werden Topelius und Stenqvist (oder besser: Maya und Pär) von ihren Kolleg:innen zunächst akzeptiert. Hat die örtliche Polizei doch alles versucht, den Mord als Jagdunfall einzustufen. Im Laufe der Ermittlungen verändert sich dieses Verhältnis jedoch.
Neben dem Thema „Wald“ und „Abholzung“, das m.E. sehr gut informiert dargestellt wird, nimmt auch sexueller Missbrauch in verschiedenen Facetten einen breiten Raum ein. Sanna, eine der Freundinnen von Maya, stellt sich nicht nur einer schrecklichen Jugenderfahrung, sondern muss auch aktuell entscheiden, wie sie die Übergriffe eines Kollegen abwehren kann.
„Im Herzen so kalt“ ist ein gelungener Auftakt zu einer neuen Schwedenkrimi-Serie. Die Protagonist:innen werden umfangreich vorgestellt – Orte und Personen sind gut beschrieben. Besonders positiv ist für mich die Literatursammlung zum schwedischen Wald. Das Rezept für die Smorgastorta hat mich schmunzeln und überlegen lassen, ob das Absicht war, um im NDR-Literaturpodcast „Eat. Read. Sleep.“ aufgenommen zu werden.

Bewertung vom 19.09.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


ausgezeichnet

Hoffnungen im Dorf im Moor
Anni und Edith waren Freundinnen, haben die Entbehrungen des zweiten Weltkriegs gemeinsam überwunden und warten beide auf ihre Ehemänner, die noch vermisst sind. Beide sind Mütter und Anni ist zwar nicht wirklich liebevoll zu ihrem Willi, hat es aber geschafft, den leicht behinderten Sohn vor den Euthanasie-Maßnahmen der Nazis zu retten.
Die Handlung von „Als wir an Wunder glaubten“ spielt 1949 – der Krieg ist also schon vier Jahre vorbei – und die moderne Zeit hält auch Einzug in Unnenmoor – dem nicht real existierenden Dorf der Handlung im Ostfriesischen. Ich muss gestehen, dass ich die Handlung eher im Teufelsmoor verortet hätte – die ostfriesischen Moorgebiete sind für mich nicht so stark mit Sagen und Märchen verwoben wie eben das Moorgebiet nördlich von Bremen.
Aber sei’s drum: In Unnenmoor kommt das Mammut zum Einsatz – eine Maschine, die die Landgewinnung schnellstmöglich vorantreiben soll. Und gleichzeitig machen Wundererzähler und Quacksalber ihr Geschäft – soll doch laut einem wandernden Wunderheiler die Welt bald untergehen und gelten nicht nur die alte Guste, sondern auch Edith und Tochter Betty als Hexen.
Atmosphärisch ist der Roman ziemlich dicht – wenn auch viele Dinge nicht wirklich ausgesprochen werden. Hexen- contra Fortschrittsglaube, Rückbesinnung auf Märchen und Sagen contra Moderne – in diese Schlagworte könnte man die Handlung stellen. Einen besonderen Stellenwert hat das Moor – es ist mystisch und gefährlich, aber auch schön und geliebt.
Bei der Bewertung des Romans bin ich leicht zwiegespalten. Auf der einen Seite hat mir die Verknüpfung von mystischen Elementen ganz gut gefallen – und ich finde auch die Möglichkeit durchaus vorhanden, dass sich Freundinnen durch einen solchen Aberglauben voneinander entfernen können. Gleichzeitig ist die Geschichte für mich nicht zuende erzählt und birgt einige Unlogiken und leider auch einige Wiederholungen.
Insgesamt sicherlich ein Roman, der gut zu lesen ist – kein Must-read, aber eine lohnenswerte Erfahrung.

Bewertung vom 05.09.2023
Aenne und ihre Brüder
Beckmann, Reinhold

Aenne und ihre Brüder


sehr gut

Bewegende Familiengeschichte
Mit „Aenne und ihre Brüder“ ist Reinhold Beckmann ein bewegendes Portrait seiner Mutter und deren vier Brüder gelungen. Die Hauptinformationen basieren auf den Feldpostbriefen der Brüder, die allesamt im zweiten Weltkrieg „gefallen“ sind. Auszüge aus diesen Briefen werden chronologisch in die Erzählung eingearbeitet – wobei mich auch interessiert hätte, was Beckmann weggelassen hat. Da es sich um private Briefe handelt, werden sie ja höchstwahrscheinlich nicht der Forschung zur Verfügung stehen.
Eine weitere Informationsquelle für Beckmann sind die vielen Gespräche, die er mit seiner Mutter über ihre Vergangenheit geführt hat. Und doch bleibt Aenne für mich eine etwas farblose Person, die sich – zumindest in der Schilderung ihres Sohnes – stark über die Brüder definiert.
Stilistisch ist Beckmann meines Erachtens kein großer Wurf gelungen. Einen Brief seines Onkels beschreibt er als stakkatohaftig – und genauso kommt mir auch sein Stil vor. Kaum einmal werden Nebensätze und schon gar kein verschachtelter Satzbau genutzt. Beim Lesen fühlte ich mich wie in einer Terra-X-Folge – relativ leichte Sprache mit klaren Hauptsatzstrukturen.
Was ich mich frage, ist, ob ein solches Buch von einem „Max Mustermann“ verfasst, auch dieses Echo finden würde. Nichts gegen berühmte Menschen, die andere Wege beschreiten und sich, wie in Beckmanns Fall, mit einer wichtigen Familiengeschichte schreibend auseinandersetzen, aber die Frage bleibt schon, inwieweit es einen Promibonus gibt. Auf jeden Fall in Sachen Talkshows, aber diese werden ja auch genutzt, um allgemein über dieses – leider wieder aktuelle – Thema zu sprechen.
Was ich faszinierend finde, ist die Tatsache, dass die Feldpostbriefe so lange überdauert haben. Von meinen – ebenfalls im zweiten Weltkrieg gefallenen – Onkeln sind keinerlei Briefe erhalten. Aber auch sie waren jahrelang ein Thema.
Die Gestaltung des Buches spricht für sich: es gibt viele Fotos im Textteil und einen eigenen Fototeil in der Mitte. Auch der Schutzumschlag, die – ziemlich kurze – Literaturliste und der Abdruck des Songs von Beckmann für seine vier Onkel sprechen für das Buch. Insgesamt wegen der sprachlichen Einfachheit nur 4 von 5 Sternen – aber eine Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 08.08.2023
Die Affäre Alaska Sanders
Dicker, Joël

Die Affäre Alaska Sanders


ausgezeichnet

Nun also die Wahrheit über Alaska Sanders

Joel Dicker fasziniert mich, seitdem ich „Die Baltimores“ mehr oder weniger verschlungen habe. Auch Stephanie Mailer und Harry Quebert wurden seinerzeit schnellstmöglich gelesen – und das auch und gerade wegen der Dicke der Bücher.
Obwohl es immer wieder Querverweise auf die früheren Romane gibt, ist es meines Erachtens nicht notwendig, diese zu kennen – aber die Verweise führen vielleicht dazu, dass es weitere Dicker-Fans geben wird.
Zur aktuellen Geschichte: Alaska Sanders wurde 1999 ermordet, ein Täter relativ schnell ermittelt und verurteilt. Nun sind aber Familie und Freunde seit 11 Jahren dabei, die Unschuld von Eric zu beweisen – und auch der damalige Ermittler Sergeant Perry Gahalowood wird durch einen anonymen Hinweis dazu gebracht, die Schuld infrage zu stellen.
Gemeinsam mit Marcus Goldman, dem fiktiven Autor von „Harry Quebert“ und dem Ich-Erzähler vieler Passagen, nimmt Galalowood die Ermittlungen wieder auf. Dabei wird die Geschichte in verschiedenen Zeitebenen und aus unterschiedlicher Perspektive geschildert – das mag verwirrend klingen, wird aber durch die entsprechenden Überschriften der Kapitel ganz deutlich. Die Rückblicke zeigen dann auch völlig andere Facetten der handelnden Personen.
Was für mich ein absolutes Empfehlungskriterium ist, ist die ausführliche Auflösung des Falles – mit allen Gründen und Hintergründen. Auch wenn für mich Dickers Romane nicht wirklich nur Krimis sind, ist die ausführliche Falllösung schon etwas Besonderes. Vor allem, wenn man sich seitenlang genau mit diesem Kriminalfall auseinandergesetzt hat.
Dabei verzeihe ich als Leserin auch kleine Ungereimtheiten und Fragen, warum denn die ersten Ermittlungen so schlampig verlaufen sind. Oder warum ein Schriftsteller so umfassende Auskünfte von den Beteiligten erhält.
Die Faszination von Dickers Romanen liegt woanders – wobei ich es gar nicht so genau ausdrücken kann. Die detaillierten Beschreibungen von Landschaften, Gefühlen, zwischenmenschlichen Problemen, die Selbstzweifel des renommierten Schriftstellers Goldman – alles führt dazu, sich die Personen und Landschaften und Situationen gut vorstellen und miterleben zu lassen.
Eine klare Leseempfehlung! Und nicht nur für „Alaska Sanders“, sondern auch für „Harry Quebert“ und Co.

Bewertung vom 08.08.2023
Marschlande
Kubsova, Jarka

Marschlande


ausgezeichnet

Selbstbestimmte Frauen

Im Roman „Marschlande“ von Jarka Kubsova begegnen den Leser:innen zwei starke Frauen: Britta Stoever, die in der Jetztzeit mit Mann und zwei Kindern in ein Einfamilienhaus in die Marschlande südlich von Hamburg zieht. Ihren Beruf hat sie wegen der Kinder größtenteils aufgegeben, der Umzug war nicht ihre Idee, aber sie versucht das Beste daraus zu machen und die neue Umgebung zu erkunden.
Die zweite Frauenfigur ist die historisch belegte Abelke Bleken, nach der auch die Straße benannt ist, in der Britta nun wohnt. Diese Benennung führt sie dazu, mehr über Abelke erfahren zu wollen, wurde diese doch als sogenannte „Hexe“ im 16. Jahrhundert verbrannt.
Erzählt wird in wechselseitigen Strängen – einmal Britta von Heute, einmal Abelke aus dem 16. Jahrhundert. Dabei sind meines Erachtens die Erzählteile über Abelke, über die es nur wenige Dokumente gibt, darunter ihr unter Folter erpresstes Geständnis, deutlich besser gelungen. Die Nöte und Bedrängungen der selbstständigen Hufnerin, die nach dem Tod der Eltern den Bauernhof weiter versorgt und nur durch die Flut und den Deichbruch in große Probleme gerät, werden eindringlich dargestellt.
Brittas Geschichte klingt irgendwie „abgestanden“ – und ist wohl leider noch immer viel zu aktuell: Der Verzicht auf die eigene Karriere, weil die Kinder versorgt werden müssen, die „schreckliche Schwiegermutter“, die sich in alles einmischt, der Mann, der vor allem seine Karriere und weniger die Familie sieht.
Wunderschön hingegen sind die Landschaftsbeschreibungen der Vier- und Marschlande – so habe ich sie selbst kennengelernt. Und auch die Verbindung der beiden Geschichten ist gut gelungen – das kenntnisreiche Nachwort vielleicht ein wenig zu pathetisch geraten.
Insgesamt eine absolute Empfehlung, auch, um sich auf interessante Art mit diesem Teil der Frauengeschichte zu beschäftigen.

Bewertung vom 25.07.2023
Leichenblass im Fass / Die Friesenbrauerin ermittelt Bd.2
Jensen, Joost

Leichenblass im Fass / Die Friesenbrauerin ermittelt Bd.2


gut

Viel zu viel Tüdelüt
Normalerweise verzichte ich bewusst auf die Lektüre von sogenannten Cosy Crimes, die auf Mundart, Schrulligkeiten und abstruse Mordfälle setzen. Warum ich nun bei „Leichenblass im Fass“ eine Ausnahme gemacht habe, weiß ich nicht wirklich. Allerdings hat mich der „Krimi“ nicht von meiner bestehenden Meinung abgebracht, sondern diese vielmehr noch verstärkt.
Beginnen wir beim Cover: Der Roman ist in Ostfriesland angesiedelt, die Bauweise des abgebildeten „Kroogs“ entspricht aber eher der aus dem Elbgebiet um Hamburg. Ansonsten ist der Himmel stimmungsvoll düster-melancholisch.
Dann die Grundstory: Eine schrullige Schankwirtschaft in einem kleinen Dorf mit einer Brauerin, der immer wieder Tüdelbüdel genannten Gesine Felber. Der Kroog ist Mittel- und Treffpunkt der Dorfbewohner:innen. Nun aber soll das Tüdelbräu in einem (sehr abstrusen) Wettkampf mit weiteren Bieren antreten – u.a. mit dem Dünenhopfen des Großbrauers aus der „Stadt“. Das Tüdelbräu gewinnt, der unsympathische Großbrauer muss seinen Pokal abgeben, der Kroog und das kleine Dörfchen werden von Touristen überrannt. Erst recht, als es auch noch eine Leiche im Bierfass gibt.
Geschickt agiert Jensen, wenn er das Heimatörtchen Sünnum also so klein schildert, dass es noch nicht einmal bei Google Maps zu finden ist. Denn Sünnum ist ein ziemlich idealisiertes Dörfchen, in dem die Welt noch in Ordnung ist – und das erst durch den Ansturm der Touristen seinen Charme verliert.
Weniger geschickt ist die Aufwertung von Großheide, einem kleinen Flecken in Ostfriesland, der vor allem durch das gleichnamige Plakat bei Fußball-Länderspielübertragungen bekannt sein dürfte, zur „Stadt“.
Und was wirklich störend ist, sind die massenhaften Klischees, die die Grundlage der Story bilden. Im Dorf sind die Menschen zuvorkommend, reden miteinander, helfen sich, sind freundlich und nett – und bilden eine Einheit. Alle anderen sind aufdringlich, unfreundlich, laut und unsympathisch.
Zum „Kriminalfall“ möchte ich lieber keine Worte verlieren – Miss Marple aka Tüdelbüdel ermittelt, genau wie Tochter Wiebke, die zwar bei der Polizei ist, aber wohl nur als klassische Streifenpolizistin.
Sprachlich ist Jensens Krimi einigermaßen gelungen. Aber was hätte es für Möglichkeiten gegeben, dem Bier ein richtiges Denkmal zu setzen?! In „Leichenblass im Fass“ wirkt es, als ob Bierbrauen ähnlich wie Teeaufgießen wäre – dabei sind es gerade die kleinen Brauereien, in denen der handwerkliche Vorgang noch zelebriert wird. Und da wäre eine Beschreibung doch lohnenswert gewesen.
Nein, „Leichenblass im Fass“ wird nicht zu einer Empfehlung – und wird mich hoffentlich davon abhalten, weitere Regionalkrimis lesen zu wollen. Immerhin lässt sich das Buch schnell und problemlos lesen.