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Benutzername: 
Romy

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 30.01.2024
Die Burg
Poznanski, Ursula

Die Burg


sehr gut

Maxim hat eine ganz besondere Einladung erhalten: Als Experte für Escaperooms darf er "Die Burg" besuchen, ein altes Gemäuer, das der Milliardär Nevio aufwändig restaurieren und umbauen hat lassen. Dabei herausgekommen ist ein Labyrinth aus Escape-Rooms, die sich im weitläufigen Tunnelsystem unter der Burg befinden. Und Nevio hat sich nicht lumpen lassen: Alle Wände sind mit modernsten LED-Screens ausgestattet, die jedes nur denkbare Szenario zum Leben erwecken können. Zusätzlich gibt es Sprinkleranlagen und Düsen, die auch Wetter und Düfte simulieren können. Ein erstklassiges Soundsystem gibt es selbstverständlich auch - also alles was es braucht, um die perfekte Illusion zu erschaffen. Und das Beste: Jede Gruppe, erlebt eine neue Reihe an Escape-Rooms. Neue Rätsel, neue Geschichten, neue Orte. Denn den kreativen Part übernimmt eine KI, die den Input der Besucher in Echtzeit in ein Erlebnis verwandelt.
Doch Maxim kann sich nicht so recht auf das bevorstehnde Abenteuer freuen: Er ist sich sicher, dass seine eigenen Escape-Rooms gegen die übermächtige Konkurrenz der Burg keine Chance haben werden. Doch Nevio hat ihm für seine Expertise eine Menge Geld angeboten, also wird Maxim die Burg mit einer Gruppe besuchen, und Nevio anschließend Verbesserungsvorschläge zukommen lassen - falls es überhaupt noch etwas zu verbessern gibt.
Doch die Zeit in den Tunneln der Burg verläuft anders, als Maxim und der Rest der Gruppe es sich vorgestellt haben. Was zunächst milde gruselig war, verwandelt sich nach und nach in einen Alptraum, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Denn die KI hat außergewöhnliche Ideen - nur entsprechen diese nicht alle dem Geschmack der Besucher.

Ich habe in der Vergangenheit schon verschiedene Titel von Ursula Poznanski gelesen, und habe sie immer als wirklich außergewöhnliche Autorin wahrgenommen. Ihre Geschichten sind unglaublich mitreißend und durchdacht. "Die Burg" hat mich neugierig gemacht, weil Poznanski hier ein neues Thema bearbeitet: Die KI und die Probleme, die bei ihrem Einsatz entstehen. Zwar ist sie nicht die erste, die aus diesem Stoff einen Thriller spinnt (z. B. "Der Wald" von Tibor Rode), trotzdem war ich gepannt, wie ihre Version sich lesen würde.
Das Setting hat mir gut gefallen, durch die detailreichen Beschreibungen konnte ich mir die Burg sehr gut vorstellen. Auch die eingeführten Charaktere, die das Abenteuer im Escape-Room gemeinsam bestreiten, waren mir sympathisch. Zwar sehr unterschiedlich, doch alle in sich stimmig und mit Unterhaltungswert. Zu Beginn braucht die Geschichte etwas, um in Fahrt zu kommen, doch ich finde es gut, dass Poznanski sich die Zeit nimmt, um Bilder im Kopf der Leser entstehen zu lassen, und die gewünschte Atmosphäre zu erzeugen. Der weitere Verlauf ist sehr spannend und fesselnd, doch leider hat mir das gewisse Etwas gefehlt. Zwar ist das Buch unterhaltsam und man taucht als Leser wirklich ein in die Welt, die Maxim und die Gruppe erleben, trotzdem fand ich die Erzählung, und auch die Auflösung am Ende, nicht so atemberaubend beeindruckend, wie ich es erwartet hätte. Alles in allem ist „Die Burg“ wirklich ein sehr gutes, ein sehr spannendes Buch. Doch Poznanski hat die Messlatte in der Vergangenheit so hoch gelegt, dass ich tatsächlich noch etwas mehr erwartet hätte. Trotzdem kann ich „Die Burg“ uneingeschränkt empfehlen und freue mich schon auf weitere Thriller aus der Feder von Ursula Poznanski!

Bewertung vom 12.07.2022
Verheizte Herzen
Crossan, Sarah

Verheizte Herzen


ausgezeichnet

Ana und Connor haben eine Affäre. Sie ist eigentlich seine Anwältin, die beiden sind eigentlich verheiratet - nur nicht miteinandern. So gehen sie durchs Leben, retten sich von einem gemeinsamen Wochenende zum nächsten geheimen Dinner. Dazwischen unauffällige Anrufe, Textnachrichten voller Sehnsucht. Aber auch immer viel Streit, Ungewissheit darüber, wie es weiter gehen soll. Bis es auf einmal abrupt endet: Connor ist tot, und als seine Anwältin wird Ana sein Testament vollstrecken. Dabei lernt sie Rebecca, Connors Frau, kennen. Rebecca, die sie immer als die Eiskönigin sehen wollte, die Connor in ihren Bann gezogen hat, und für immer zwischen Ana, Connor und ihrem gemeinsamen Glück stehen wird. Doch je mehr Zeit Ana mit Rebecca verbringt, desto schwerer wird es für sie, dieses Bild aufrecht zu erhalten...

"Verheizte Herzen" ist in Versform verfasst, was mich zunächst etwas abgeschreckt hat. Ich habe mir Sorgen gemacht, ob eine solche Form nicht dem Inhalt und der Erzählung im Weg stehen könnte. Doch ich habe mich getäuscht: Die Verse lassen Raum für alles, was nicht gesagt wird, was man einfach fühlen und erfahren muss. Durch die begrenzte Menge an Text fliegt man nur so durch die Seiten, konzentriert sich auf jeden Satz, seziert jedes einzelne Wort, um wirklich jede Nuance und Faccette zu erspüren. All die aufkommenden Emotionen sind pur und rein, minimalistisch und mächtig zugleich.
Auch das gewählte Thema hat mich fasziniert: So oft lesen wir über die, die von der Untreue ihres Partners durch Ehrlich- oder Nachlässigkeit erfahren, die vor den Scherben einer Partnerschaft stehen und sich machtlos fühlen. Zu oft wird dabei außer Acht gelassen, dass dies kein zufälliges Ereignis ist, sondern dass es jemanden gibt, der sich schuldig macht, der betrügt, der hintergeht. Und das auch dieser Akt mit Emotionen, Lust und Schuldgefühlen verbunden ist, das es auch hier nicht nur schwarz und weiß gibt. Ich habe diesen Einblick genossen, und finde es gut, dass hier eine unpopuläre Perspektive eingenommen wurde.
Durch die besondere Form mangelt es an nichts, aber das Wesentliche steht im Vordergrund. Mir hat das sehr gut gefallen, und ich habe das Buch in nur zwei Tagen verschlungen. Und auch inhaltlich hat mich "Verheizte Herzen" in seinen Bann gezogen - von mir eine absolute Empfehlung!

Bewertung vom 11.07.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


sehr gut

Auf einem verschlafenen Campingplatz irgendwo in Deutschland kreuzen sich die Wege unserer Protagonisten: Gustav, hochbetagter Herr des Hauses, der unheilbar krank ist und trotzdem seinen Lebensabend genießt. Lale, aus ihrem bürgerlichen Leben ausgebrochen, da sie seit dem Unfalltod ihres kleinen Bruders nicht mehr richtig funktionieren kann und nicht mehr so weiter machen will wie vorher. Christophe, angereist von "La Reunion", mit einem vergilbten Brief im Gepäck - auf dem seine gerade verstorbene Mutter verrät, dass Chris ein Kuckuckskind ist, und Gustav sein eigentlicher Vater.

Während die drei sich kennenlernen und sich ihre Geschichten immer mehr miteinander verweben, geben sie nach und nach ihre Geheimnisse und Wahrheiten preis. Umschwirrt werden sie dabei von einigen Nebenfiguren, die die Geschichte bereichern, aber nicht entscheidend verändern. Besonderen Charm erhält das Ganze durch das Setting des Campingplatzes, der einerseits verfällt, durch Lale und Chris aber auch neues Leben eingehaucht bekommt. Und dessen sommerlich-zauberhafte Stimmung den Leser vollkommen in seinen Bann zieht. Allerdings liegt hier auch schon der Hase im Pfeffer: Die Kulisse hat mich mehr begeistert als die Geschichte selbst. Was zwischen Gustav, Lale und Christophe passiert ist vorhersehbar. Nett, aber nicht überraschend, stellenweise unterhaltsam verpackt, aber kein Meisterwerk.
Insgesamt lässt mich das Buch an einen Nachmittag am See denken: Schön, keine Frage. Nichts, wofür man andere Pläne absagen würde. Und am Ende des Sommers verschwimmen sie alle miteinander, und es ist schwer, einen einzelnen genau in Erinnerung zu behalten. "Ein unendlich kurzer Sommer" ist durchaus eine angenehme Lektüre, hat mich jedoch weder gefesselt noch überrascht oder besonders berührt.

Bewertung vom 17.06.2022
Der letzte Schrei
Sagiv, Yonatan

Der letzte Schrei


weniger gut

Oded Chefer erlebt gerade den wohl wichtigsten Abend seines Lebens: Er wurde zur einer Party eines PR-Moguls eingeladen, das ihn auch noch wegen eines Ermittlungs-Auftrags treffen möchte. Oded ist sich sicher: Heute wird seine Karriere als Privatdetektiv endlich abheben und ihn bekannt und erfolgreich machen, sodass er endlich das Leben führen kann, das ihm zusteht. Als queere Person in Tel Aviv hatte er es nicht immer leicht, besonders da es gerade weder beruflich noch privat so wirklich läuft bei ihm. Doch nun scheint sich das Blatt zu wenden. Nach einem netten Flirt mit dem Türsteher bekommt er endlich den Auftrag, nach dem er sich die Finger geleckt hat, und fühlt sich ab dem nächsten Morgen als Teil der Welt der Schönen und Reichen. Leider muss Oded bald feststellen, dass unter der glänzenden Oberfläche die ein oder andere hässliche Überraschung auf ihn wartet. Und das beruflicher Erfolg häufig einen Preis hat - sei es die eigenen Integrität oder auch das sich anbahnende private Glück.
Eigentlich mag ich Bücher sehr, die mich in eine spezielle Subkultur entführen. Sei es ein schulisches Setting wie ein Internat oder eine Musikschule, oder auch eine Dystopie, ausgelöst durch eine Seuche oder eine Umweltkatastrophe. In der Regel fällt es mir leicht, mich in diese Welten einzufinden (sei es mir nur unbekannt oder tatsächlich nicht real), und ihre Regeln und Eigenheiten als gegeben zu akzeptieren. Die bunte und diverse Welt, in die Yonatan Sagiv uns einführt, hat mich zunächst auch fasziniert und interessiert. Allerdings schlug dieses Gefühl bald in Ermüdung um, da man als Leser, der auf eindimensionale Informationen angewiesen ist, nur schwer die Orientierung behält. Ich kann nachvollziehen, dass man Menschen nicht in Schubladen stecken will, und ihnen auch Pronomen nicht fest zuordnet. Allerdings führt dies beim Lesen dazu, dass man häufig nicht weiß von wem oder über wen gesprochen wird, da die Pronomen nicht einheitlich sind. Die für europäische Leserinnen und Leser ungewöhnlichen Namen tun ihr Übriges und haben bei mir immer wieder zu Verwechslungen geführt. Leider habe ich dadurch nur schwer in die Geschichte gefunden, und konnte der Handlung nur mit einigen Problemen folgen. Ein Spannungsbogen hat sich für mich nicht wirklich aufgefbaut. Noch dazu war mir auch die Hauptperson recht unsympathisch, da sie bzw. er sehr oberflächlich und materialistisch daher kommt, und darüber hinaus seine/ihre sexuellen Bedürfnisse immer wieder in den Vordergrund stellt.
Alles in allem konnte "Der letzte Schrei" mich leider nicht überzeugen, da das Potential des Themas nicht ausgeschöpft wurde, und die Lektüre für mich wenig flüssig war.

Bewertung vom 09.05.2022
Das Leben eines Anderen
Hirano, Keiichir_

Das Leben eines Anderen


gut

Akira Kido lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in einer kleinen Wohnung in einem Hochaus in Tokyo, die sich die kleine Familie vor Kurzem gekauft hat. Tagsüber arbeitet Kido als Anwalt, abends verbringt er Zeit mit seinem Sohn und seiner Frau. Doch vor allem die Interaktionen mit seiner Frau sind in letzter Zeit immer öfter unterkühlt. Und so ist er immer besonders aufmerksam, wenn er beruflich mit einer Frau in seinem Alter zu tun hat: So auch bei Rie, die er vor Jahren bei der Scheidung von ihrem ersten Mann unterstützt hat. Sie hat sich nun erneut an ihn gewendet, da ihr zweiter Mann vor Kurzem verstorben ist, und scheinbar ein Geheimnis mit ins Grab genommen hat. Durch Zufall erfährt Rie, dass ihr Mann die Identität eines anderen angenommen hatte, und sich auch dessen Vergangenheit zu Eigen gemacht hat. In ihrem Auftrag macht Kido sich auf die Suche nach der wahren Herkunft des Mannes, mit dem Rie beinah vier Jahre zusammen gelebt hat und ein Kind bekommen hat. Dabei stößt Kido auf immer mehr Geheimnisse, die ihn auch sein eignes Leben in einem ganz neuen Licht sehen lassen.

Keiichiro Hirano nimmt die Leser an die Hand und führt sie routiniert durch die japanische Kultur. Dabei werden viele Themen gestreift, die für Leser aus einem westeuropäischen Kulturkreis unbekannt bis ungewöhnlich sind: Es geht um den extremen Stellenwert von Herkunft und Abstammung, damit verbunden auch um die Beziehungen zwischen verschiedenen asiatischen Völkern, wie Japanern und Koreanern. Auch einschneidende Ereignisse wie das Tohoku-Erdbeben in 2011, das über 20.000 Menschen das Leben gekostet hat, werden thematisiert. Allerings werden diese Themen nicht ausführlich diskutiert oder beleutet, sondern bilden eher die Rahmenbedingungen, in denen sich "Das Leben eines Anderen" entwickelt und abspielt. Das hat den Vorteil, dass die eher kurz gehaltenen Passagen zu diesen Themen nicht von der eigentlichen Handlung ablenken, lässt die Leser an der ein oder anderen Stelle jedoch auch etwas hilf- und ratlos zurück. Mich persönlich hat das Buch neugierig gemacht und ich möchte mich gerne mehr in diese Thematik einlesen.
Allerdings war dieser Aspekt auch schon das, was mir an "Das Leben eines Anderen" am besten gefallen hat. Die Handlung an sich fand ich nicht ganz so spannend wie erhofft, zumal auf dem Klappentext bereits ein Großteil des Inhalts offengelegt wird. Wer sich besonders für eine abgeklärte und strukturierte Erzählweise mit wenig Emotion und viel Schilderung begeistern kann, für den ist "Das Leben eines Anderen" vielleicht die bessere Wahl.

Bewertung vom 25.04.2022
Die sieben Männer der Evelyn Hugo
Reid, Taylor Jenkins

Die sieben Männer der Evelyn Hugo


ausgezeichnet

"Die sieben Männer der Evelyn Hugo" ist ein Buch, um das man auf Social Media kaum herum kommt. Leserinnen und Leser scheinen durch die Bank weg begeistert zu sein, und empfehlen das Buch munter weiter. Das hat auch mich neugierig gemacht. Und ich muss sagen: "Die sieben Männer der Evelyn Hugo" ist zurecht populär. Es erzählt die Geschichte der jungen Monique Grant, einer ehrgeizigen und zielstrebigen Journalistin, die überraschend für eine Biographie angefragt wird. Aber nicht von irgendwem, sondern von Evelyn Hugo, einer Film-Diva im Ruhestand, die Hollywood nicht nur geprägt hat, sondern es zu dem gemacht hat, was es heute ist. Im Laufe ihres Lebens war Evelyn nicht weniger als sieben Mal verheiratet, und die Geschichte dieser Ehen, die Wahrheit über ihr Leben, die möchte sie nun Monique anvertrauen. Doch warum ist es Evelyn so wichtig, dass gerade Monique ihre Lebensgeschichte zu Papier bringt? Die beiden kennen sich nicht, haben keinerlei Verbindung - zumindest denkt Monique das. Und so lässt sie sich ein auf eine Reise durch die Zeit und das schillernde Leben der Evelyn Hugo.

Besonders auf BookTok bzw. TikTok ist "Die Sieben Männer der Evelyn Hugo" omnipräsent und wird von allen Seiten gelobt. Und nachdem ich das Buch selbst gelesen habe, kann ich sehr gut nachvollziehen, warum: Das vorranging junge Publikum dieses Netzwerks ist schnell gelangweilt, ständig auf der Suche nach dem nächsten Reiz, der nächsten Wendung, einem neuen Gedanken. Und genau dieses Bedürfnis nutzt die Autorin Taylor Jenkins Reid aus: Sie hat ein sehr dichtes Buch geschrieben, dessen Handlung zügig voranschreitet, dabei anschaulich beschreibt, Emotionen heraufbeschwört, aber nie zu lange verweilt. Wer sieben Ehen in 464 Seiten verpacken will, der muss sich schließlich ranhalten! Und noch etwas macht Reid richtig: Sie hat ein Thema gewählt, das vor allem (aber nicht nur!) junge Menschen interessiert, das für sie Bedeutung und Relevanz hat. Dadurch schreibt sie sich direkt in die Herzen vieler Leser, die sich davon nicht nur gerührt fühlen, sondern gleichzeitig auch noch perfekt unterhalten werden. "Die sieben Männer der Evelyn Hugo" ist damit die ideale Kombination, um junge Leser zu begeistern!

Bewertung vom 21.03.2022
Leo und Dora
Krup, Agnes

Leo und Dora


sehr gut

Es ist das Jahr 1948. Leo hat Österreich schon vor Jahren verlassen, und sich beinah damit abgefunden, dass er dort nicht länger willkommen ist. Was ihn zur Zeit viel mehr belastet: Seine einstige Karriere als Schriftsteller ist eingeschlafen, stattdessen verdient er in Palästina als Versicherungsmathematiker sein Geld. Doch das Leben dort ist eintönig und einsam: Seine Tochter und seine Frau (inklusive neuem Partner) haben ein anderes Exil gewählt, sodass die Beziehung zu den beiden auf Briefe begrenzt ist. Um seinen Alltag hinter sich zu lassen und an seine Erfolge als Autor anzuknüpfen, beschließt Leo, sich auf Einladung seiner Agentin, eine kreative Auszeit an der Ostküste der USA zu erlauben. Bei seiner Ankunft mit dem Zug muss er jedoch feststellen, dass die vorgesehene Unterkunft nicht länger existiert - ein Feuer hat nichts als Schutt und Asche hinterlassen. Stattdessen muss er im Gästehaus Roxy unterkommen, das von der resoluten wie charmanten Dora geleitet wird. Für Leo ist dies eine absolute Notlösung, die er so bald wie möglich hinter sich lassen möchte. Doch je mehr Zeit er im Roxy und mit dessen Bewohnern verbringt, desto mehr wachsen sie ihm ans Herz und lassen ihn die Welt mit ganz anderen Augen sehen.
Agnes Krup erzählt die Geschichte von Leo's Reise mit einem ganz besonderen Charme: Die Erwartungen, die er als belesener und weit gereister Mann aus Europa mitbringt, zerspringen im Roxy wieder und wieder an scheinbar banalen Dingen wie Gemeinschaftstischen und Salatcroutons. Übrig bleibt ein verwirrter Leo, eine amüsierte Dora, und ein lächelnder Leser. Dieser situative Komik lässt mich nur zu gerne darüber hinwegsehen, dass der eigentliche Inhalt des Romans in wenigen Sätzen zusammen gefasst werden könnte. Keine Cliffhanger, keine Wendungen oder geschickten Täuschen des Lesers. Stattdessen Unschuld, Humor, eine Reise durch die Zeit, die neugierig macht. Der historische Kontext wird sinnvoll einbezogen, ohne jedoch zu sehr im Vordergrund zu stehen. Insgesamt hat "Leo und Dora" mir wirklich gut gefallen, es hat mich unterhalten und ein wenig bezaubert. Die Sprache der Autorin ist eingängig und liest sich flüssig, sodass sich der Roman auch als Sommerlektüre oder Geschenk für eine liebe Freundin eignet.​

Bewertung vom 14.03.2022
Die Diplomatin
Fricke, Lucy

Die Diplomatin


gut

Fred hat sich für ein Leben als Diplomatin entschieden: Gepanzerte Fahrzeuge, Servietten mit Bundesadler und ein Empfang nach dem anderen - das ist Alltag für die erfahrene Botschafterin, die routiniert Krisen abwendet und souverän politische Klippen umschifft. Ihre aktuellste Entsendung führt sie nach Istanbul, wo das meterologische Klima zwar angenehm, aber das politische dafür umso konfliktgelandener ist: Deutsche Staatsbürger in Haft oder vor Gericht sind immer eine diplomatische Herausforderung, die Fingerspitzengefühl erfordert. Ganz besonders wenn der türkische Staat sie ausschließlich aus politischen Gründen im Visier hat. So kommt es, dass Fred sich gleich um drei deutsche Schützlinge kümmern muss, die mit den lokalen Gesetzen auf die ein oder andere Weise in Konflikt geraten sind. Und auch emotional ist Fred nicht mehr ganz unbeteiligt was die drei angeht, was ihre Arbeit als Diplomatin nicht gerade leichter macht...
Lucy Fricke erzählt mit hoher Sachkenntnis (so zumindest mein Eindruck) von der Arbeit in einer deutschen Botschaft. Der Alltag mit deutschen Kollegen und lokalen Angestellten wird immer mal wieder aufgegriffen, als Leser erfahren wir einiges darüber, welche Aufgaben einer deutschen Botschaft zufallen. Gleichzeitig lernen wir Fred, die Hauptfigur, immer besser kennen. Und obwohl die Erzählung ausführlich genug ist, dass keine Fragen offen bleiben, so fehlt mir doch etwas Substanz in der Erzählung. Es ist, als würde man eine Geschichte aus zweiter Hand erfahren, mit Fokus darauf, nichts Wichtiges zu vergessen. Stimmungen, Gefühle, Atmosphäre bleiben auf der Strecke, da in jedem Kapitel die Handlung voranschreitet, etwas Neues passiert, sodass man das Gefühl hat etwas zu verpassen, wenn man versucht sich tatsächlich in die Situationen hinein zu versetzen, oder die Charaktere wirklich kennen zu lernen. Das finde ich insgesamt schade, da Fred mir sehr sympathisch ist, und ich gerne mehr über ihren Werdegang, ihre Wünsche, Träume und Hoffnungen, aber auch ihre Ängste, erfahren hätte.
Da das Buch alles andere als langatmig ist, ließt es sich zügig und flüssig. Kleinere Sprünge in der Handlung sind keine große Herauforderung beim Lesen, da sie meist zeitnah aufgeklärt werden oder erste gar keine Fragen aufwerfen. Trotzdem hätte Fred für mich mehr Potential gehabt, und ich hätte mehr ein Buch mit mehr Volumen, Liebe zum Detail und Zeit für Atmosphäre gewünscht.

Bewertung vom 06.03.2022
Vertrauen
Mishani, Dror

Vertrauen


sehr gut

Avi Avraham hat genug von den alltäglichen Kriminalfällen, mit denen er es in seinem Arbeitsalltag bei der Polizei von Tel Aviv zu tun hat: Es geht um häusliche Gewalt, Diebstahl, oder Betrug. Seine Arbeit scheint keinen sinnvollen Beitrag zu leisten, kein höheres Ziel zu verfolgen. Entsprechend hat er wenig Interesse an dem Neugeborenen, das vor einem Krankenhaus ausgesetzt wurde, und lässt eine seiner Mitarbeiterinnen den Fall übernehmen. Er selbst interessiert sich mehr für den Touristen, der scheinbar spurlos aus seinem Hotelzimmer verschwunden ist: Da er sein Zimmer noch nicht bezahlt hatte, wendet der Hotelbetreiber sich an die Polizei. Als Avraham das Hotel aufsucht, hat sich das genze jedoch schon erledigt: Die Rechnung wurde in der Zwischenzeit beglichen. Doch Avraham kann nicht anders, und stellt weitere Fragen: Wer hat die Rechnung beglichen? Und aus welchem Grund? Wo ist der Tourist jetzt? Und vor allem: Hält er sich dort freiwillig auf? Er stellt Nachforschungen an und findet dabei ganz andere Dinge heraus, als er erwartet hat...
In "Vertrauen" erzählt Dror Mishani die Geschichte zweier Verbrechen, die auf den ersten Blick simple wirken: Begangen aus Angst oder Gier, Ausweglosigkeit oder Hass. Doch was im Laufe der Geschichte ans Licht kommt, liegt tiefer und ist komplexer: Fanatismus, Religiosität, Kontrollsucht, Liebe, Hörigkeit, Macht und Herrschaft. Viele dieser Motive werden verschleiert, geleugnet oder verheimlicht, und doch kommen sie Schritt für Schritt heraus. Das Bild, das vor den Augen des Lesers entsteht, vervollständigt sich nach und nach, und verändert seine Gestalt dabei vollkommen. Die Erzählweise von Mishani ist dabei viel subtiler, als man es von vielen Kriminalromanen kennt. Er verzichtet auf graphische Schilderungen oder schockierende Bilder. Stattdessen entwickeln sich die Ereignisse langsam aber stetig, ohne dass der Leser zu offensichtlich auf eine falsche Fährte gelockt wird. "Vertrauen" ist vielschichtig und erzählt gleichermaßen die Geschichte von Opfern und Tätern, von Gut und Böse, von Vertrauen und Verrat.
Mir hat der Roman gefallen, auch wenn es mir schwer fällt, diese Bewertung an einzelnen Elementen fest zu machen. Mit den Charakteren bin ich nicht richtig warm geworden, die Entwicklung der Handlungsstänge etwas zu schleppend. Vielleicht hat auch der besondere Handlungsort mit seiner besonderen Kultur und Sprache (auch nach Übersetzung an Namen und Orten erkennbar) dafür gesorgt, dass mein Lesefluss etwas zäh war. Trotzdem hat die Geschichte mich fasziniert und in ihren Bann gezogen, vielleicht gerade weil manche Elemente fremd auf mich gewirkt haben.

Bewertung vom 19.02.2022
Die Gezeiten gehören uns
Vida, Vendela

Die Gezeiten gehören uns


sehr gut

Eulabee wächst in einem wohlhabenden Teil des San Francisco der 1980er Jahre auf. Sie ist 13 Jahre alt, geht auf eine reine Mädchenschule, trägt dort Schuluniform und hört auf das, was die Lehrer sagen. Doch sie treibt sich auch gerne mit ihren Freundinnen am Strand herum, ärgert die Gärtner der Nachbarn oder trifft sich hin und wieder auch mal mit einem der Jungs, die sie beim Tanzkurs kennen gelernt hat. Beinah immer an ihrer Seite ist ihre Freundin Maria Fabiola, eine wahre Schönheit, die allerorts Blicke auf sich zieht. Diese Blicke sind teilweise bewundernd, teilweise neidisch, teilweise lüstern - und sie ändern auch die Art und Weise, wie die Freundinnen sich gegenseitig sehen. Mit der Zeit passieren immer wieder Dinge, die die Freundschaft zwischen Eulabee und Maria Fabiola strapazieren. Als Maria Fabiola eines Tages verschwindet, kommt diese Entwicklung zu ihrem Höhepunkt...

Vendela Vida greift bei ihrer Erzählung über Eulabee und Maria Fabiola auf bekannte Themen und Muster zurück: Teenager sind grausam, in der Schule ist Popularität alles, junge Mädchen werden früh sexualisiert, in der Pubertät liegen Wahrheit und Lüge eng beieinander. Sie verwebt sie geschickt, sodass daraus eine Decke aus Vertrautheit entsteht, in die sich der Leser einhüllen lässt, und dabei beinahe verpasst, welch schlimmen Dinge um ihn herum passieren. Dazu trägt auch der Schreibstil der Autorin bei: Sie erzählt locker und ungezwungen, als würde sie einer Nachbarin beim Kaffee von den neuesten Streichen ihrer Kinder erzählen. Dadurch wirken viele Dinge harmlos, die den Leser eigentlich schockieren sollten, wodurch der Schock dann manchmal umso tiefer sitzt. Die Geschichte rumd um Eulabee und Maria Fabiola ist insgesamt unterhaltsam, aber manchmal verstehe ich sie nicht ganz. Dabei sind mir nicht die Entwicklungen unklar, sondern die Absichten der Autorin. Was soll der Leser empfinden, denken, durchschauen? Auch der Zeitsprung am Ende des Buches hat mich eher verwirrt, als zu einem stimmigen Gesamteindruck der Erzählung beizutragen. Trotz allem hat mir das Buch gut gefallen, gerade weil es durch den Bruch mit verschiedenen Konventionen (z. B. umfassender Spannungsbogen) unvorhersehbar ist. Ich bin mir sicher, dass "Die Gezeiten gehören uns" vielen Leserinnen und Lesern Freude bereiten wird!