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Verena

Bewertungen

Insgesamt 148 Bewertungen
Bewertung vom 28.07.2024
Die Sache mit Rachel
O'Donoghue, Caroline

Die Sache mit Rachel


weniger gut

Unreflektiertes Chaos

Den Hype um „Die Sache mit Rachel“ kann ich leider nicht nachvollziehen. Die Handlung wirkt oft flach und beliebig. Die Figuren waren mir entweder völlig gleichgültig oder gänzlich unsympathisch – ein Nachteil, wenn die Handlung so stark von ihren Charakteren getragen wird. Sie bleiben eindimensional und blass; es ist schwierig, sich mit ihnen zu identifizieren oder Interesse an ihrem Schicksal zu entwickeln. Besonders die titelgebende Rachel, aus deren Perspektive erzählt wird, wirkt stereotyp. Motivation für ihre Handlungen wird nie richtig rübergebracht, es fehlt Emotion und Reflexion. (Ich musste mehrmals an den Roman von Dolly Alderton denken, in dem die Protagonistin ebenfalls im wortwörtlichen Rausch umherirrt, ohne ihr Handeln zu hinterfragen. Ironischerweise wird Alderton in der Danksagung der Autorin erwähnt.)

Sehr unangenehm fand ich, dass Rachel sich ständig durch Beziehungen zu verschiedenen Männern definiert; sie zeigt eine passive Haltung und schiebt gleichzeitig anderen die Verantwortung für ihre Probleme zu. Es werden zwar mehrere wichtige Themen angesprochen, doch sie gehen in belanglosem Geplänkel unter. Besonders die finanziellen Schwierigkeiten von Rachel und ihrem besten Freund James werden zwar häufig thematisiert, ihre Probleme, einen Job zu finden und Geld zu sparen, doch gleichzeitig gehen sie mehrmals pro Woche aus, betrinken sich, kaufen Drogen. Da dies nie reflektiert wird – weder von der 21- noch von der 31-jährigen Rachel – war es für mich eine große Lücke in der Erzählung. Auch die Thematik rund um das irische Abtreibungsrecht wirkt nicht authentisch. Rachel nimmt nichts ernst, reflektiert in keinem Bereich ihres Lebens ihr Verhalten, aber dann soll ich der Autorin abnehmen, dass die Figur, so wie sie sie präsentiert, ab dem Moment ihrer ersten Periode wusste, welch großes Unrecht irischen Frauen durch das rigide Abreibungsrecht angetan wird? Nur ein weiteres sehr ernstes Thema, dem die Autorin nicht gerecht werden kann.

Insgesamt kann ich „Die Sache mit Rachel“ leider nicht empfehlen. Es bleibt der Eindruck von schwachen Charakteren und einer uninspirierten Erzählweise.

Bewertung vom 22.07.2024
Cascadia
Phillips, Julia

Cascadia


weniger gut

Schneeweißchen und Rosenrot im Pazifischen Nordwesten

Zwei Schwestern, Sam und Elena, leben mit ihrer kranken Mutter in prekären Verhältnissen auf einer kleinen Insel im Pazifischen Nordwesten. Erzählt wird aus Sams Perspektive. Ihr großer Traum ist es, nach dem Tod der Mutter das Haus zu verkaufen, mit Elena die Insel zu verlassen und in einer Stadt ein gutes Leben zu leben. Dann taucht ein Bär auf der Insel auf und alles ändert sich.
Eine spannende Ausgangslage; Cover, Titel, Klappentext und Location versprechen einen atmosphärischen Roman – eine wunderbare Kombination, die ich gerne lese. Im Original heißt der Roman schlicht „Bear“ und der nimmt eine relativ große Rolle ein. Recht bald wird klar, dass die Geschichte inspiriert ist durch „Schneeweißchen und Rosenrot“. Eigentlich auch interessant, ein modernes Märchen, aber die Umsetzung konnte mich überhaupt nicht abholen. Kennt ihr die DDR-Verfilmung von Schneeweißchen und Rosenrot? Die, in der der Zwerg die Schwestern wunderbar kreativ beschimpft? Beim Lesen fühlte ich mich ein bisschen wie der Zwerg, denn die völlig irrationalen Handlungen von Sam und Elena sind nicht ohne. Natürlich liegen heftige psychische Probleme zugrunde, natürlich sind da enorme Abhängigkeiten, natürlich ist Sam eine absolut unzuverlässige Erzählerin und natürlich könnte man (vor allem wenn einen literaturwissenschaftlichen Hintergrund hat) endlos interpretieren, was das alles eigentlich soll. Aber – und das ist mein größter Kritikpunkt – all das wird erzählerisch nicht transportiert. Vieles, sehr vieles wird angedeutet und gefühlt noch mehr wird offengelassen. Dabei hätte selbst die letztlich sehr makabre Geschichte (das Ende deutet sich zwar bald an, aber ist schon ein bisschen heftig), die die Autorin wohl erzählen wollte, funktionieren können. Hinzu kommt, dass Philips auch sprachlich nicht überzeugen konnte; wie man aus der Location so wenig herausholen kann, erschließt sich mir nicht. Schade.

Bewertung vom 15.07.2024
Mitternachtsschwimmer
Maguire, Roisin

Mitternachtsschwimmer


gut

Potential nicht ganz ausgeschöpft

Meine Rezension zu "Mitternachtsschwimmer" von Roisin Maguire fällt zwiespältig aus. Das Setting der Pandemie, das im Klappentext groß angekündigt wird, wirkt unrealistisch und scheint letztendlich nur als Vorwand zu dienen, um den Protagonisten Evan in Ballybrady, einem kleinen Dorf, festzuhalten. Ein Kritikpunkt ist, dass Luca, der kleine Sohn, viel zu spät im Roman auftaucht und selbst in Evans Gedanken zunächst kaum eine Rolle spielt.
Es ist fast schon ironisch, wie realistisch es letztendlich ist: Evan gibt sich ganz seiner Trauer hin, schmeißt seinen Job und zieht isoliert in ein Airbnb in einem kleinen Küstendorf. Währenddessen muss seine Frau Lorna, die ebenfalls ein Kind verloren hat, weitermachen und sich um das noch lebende Kind kümmern, das zudem eine Behinderung hat – mit der Evan offensichtlich nicht zurechtkommt. Manchmal wirkte es auf mich so, dass Lorna als die Böse dargestellt wurde, um Evans Gefühle zu validieren. (Hin und wieder musste ich mich daran erinnern, dass der Roman von einer Autorin und nicht von einem Autor geschrieben wurde.)
Die erste Hälfte des Buches zieht sich mit extremen Längen hin; erst im letzten Drittel kommt Bewegung in die Handlung, jedoch beinahe überladen mit zu vielen Figuren und einer seltsamen Szene des gemeinsamen Nacktschwimmens am Ende, die sehr out of character wirkte.
Insgesamt hinterlässt "Mitternachtsschwimmer" gemischte Gefühle: Während die Darstellung der Trauer und des Verlusts interessante Ansätze bietet und man auch die Pandemie geschickter hätte nutzen können, wirken einige Elemente des Settings und der Handlung unrealistisch oder überladen. Alles in allem blieb der Roman hinter meinen Erwartungen zurück.

Bewertung vom 13.06.2024
Stolz und Vorurteil
Austen, Jane;Kühn, Claudia

Stolz und Vorurteil


weniger gut

Wenig Austen

Graphic Novels sind absolutes Neuland für mich, daher hatte ich mich sehr gefreut, eines meiner absoluten Lieblingsbücher als solche zu lesen. Leider konnte mich das Ganze nicht überzeugen. „Stolz und Vorurteil“ wird dabei ausschließlich auf die Lovestory reduziert (hätte ich mir irgendwie denken können, da mit „dem ultimativen Bookboyfriend Darcy“ geworben wird). Das ist sehr schade, denn Austens Gesellschaftskritik, ihr Gespür für Sprache und ihr ganz fabelhafter Wortwitz gehen dabei gänzlich verloren. Mir ist klar, dass es nicht einfach ist, sprachliche Feinheiten in Graphic Novels ebenso zu transportieren wie in einem klassischen Roman, aber ich hätte mich gefreut, wenn die Autor:innen es wenigstens versucht hätten.

Viel mehr gestört haben mich aber andere Dinge. Ein Großteil der Szenen und Darstellungen sind mehr oder weniger Eins-zu-Eins Kopien der Verfilmung aus dem Jahr 2005. Regisseur Joe Wright hat bekanntlich an einer Kunsthochschule studiert, was sich sehr stark an seiner Bildkomposition bemerkbar macht. Das eignet sich natürlich auch gut für Illustrationen, aber wo bleibt da die Originalität? Was mich sehr irritiert hat sind die Übergänge. Manchmal gibt es einfach keine – ist das normal bei Graphic Novels? Ich kenne die Geschichte natürlich sehr gut und habe die Zusammenhänge trotzdem verstanden, aber wie ist das bei Austen-Neulingen?

Wirklich positiv hervorheben kann ich nur die detailliert und liebevoll gestalteten Zeichnungen; auf die Schnörkelschrift in den Briefen hätte ich auch gut verzichten können, eher unangenehm zu lesen.

Bewertung vom 04.06.2024
Das Licht in den Birken
Fölck, Romy

Das Licht in den Birken


sehr gut

Heile Welt im besten Sinne

Ich verwende das Wort ungern, weil es bei Buchblogger:innen inflationär verwendet wird, aber „Das Licht in den Birken“ war ein Wohlfühlbuch.
Nach über 20 Jahren kehrt Thea zurück nach Deutschland, nachdem sie in Portugal als Ziegenhirtin lebte. In der Lüneburger Heide zieht sie mit ihren beiden Lieblingsziegen beim wortkargen Eigenbrötler Benno ein, der auf seinem Gnadenhof Wohnungen ausgebaut hat, um irgendwie den Hof zu retten. Schon bei der ersten Begegnung ecken die beiden, die unterschiedlicher nicht sein könnten, an. Dann taucht noch Juli auf, die nach dem Abi zu Fuß nach Amsterdam wollte, nun aber mit einer Fußverletzung auf dem Hof festsitzt.
Alle haben ein Geheimnis, keines davon ist wirklich überraschend, aber bei der dichten, atmosphärischen Sprache störte mich das kaum. Bald haben Thea, Benno und Juli ein gemeinsames Ziel: den Gnadenhof retten. Dafür stellen sie ihre persönlichen Probleme hinten an, aber auch irgendwie nicht, denn durch die gemeinsame Arbeit und das Zusammenleben beginnen sie, sich einander zu öffnen. Manchmal in Zweiergesprächen, manchmal zu dritt am Küchentisch, manchmal bei der Selbstreflexion während einsamer Spaziergänge. Streit gibt’s, unschöne Worte, Verletzungen, aber auch Entschuldigungen und Gespräche. Das ist einerseits wirklich unrealistisch, hin und wieder musste ich schmunzeln, weil es mich gar an eine Art Gruppentherapie erinnerte. Aber das war auch erstaunlicherweise genau das, was ich als Wohlfühlaspekt der Erzählung wahrnahm: es könnte so schön sein, wenn wir uns alle mehr so verhalten würden.
Der sprachliche Stil und vor allem Tessa Mittelstaedt, die das Hörbuch eingesprochen hat, trugen weiter dazu bei, dass das Buch ein Highlight für mich war. Mittelstadt gibt allen drei Figuren eine ganz eigene Emotionalität und wertet die Geschichte dadurch zusätzlich auf.
Spoiler: Es gibt Happy End um Happy End – tatsächlich ein bisschen kitschig und auch der Grund, warum ich keine 5 Sterne vergebe, aber gleichzeitig wäre ich mit nichts anderem zufrieden gewesen.

Bewertung vom 17.05.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


gut

Fortsetzung im Schatten des grandiosen Vorgängerromans

Die Rezension fällt mir schwer, da ich „22 Bahnen“ unglaublich gern mochte, die Fortsetzung aber leider nicht annähernd die Tiefe hat. Vielleicht hätte „Windstärke 17“ mir besser gefallen, wenn es eben nicht diesen grandiosen Vorgängerroman geben würde (den ich auch erst vor kurzem gelesen habe, weshalb die Erinnerung daran noch ganz frisch ist).

Der spezielle Stil, der es trotz seiner vermeintlichen Schlichtheit schaffte, mir Tilda als komplexe Protagonistin mit großer innerer Zerrissenheit zu präsentieren, konnte das bei Ida leider nicht. Warum? Einiges kam mir ein bisschen stereotypisch, gar klischeehaft vor (Leif); an manchen Stellen wirkten die (Pop)Kultur Nennungen beinahe krampfhaft, wie eine Kopie des ersten Romans; ganz grundsätzlich wurde mir aber zu viel angerissen, es gab zu viele einzelne Plotpoints, die sich manchmal gegenseitig, vor allem aber der Entwicklung Idas als komplexe Figur im Weg standen.

Es ist so, so schade. Auch wenn ich mich am Ende von „22 Bahnen“ nur schwer von den beiden Schwestern trennen konnte und so gerne weiter an ihrem Leben hätte teilhaben wollen, so muss ich doch nun zugeben, dass manchmal ein offenes Ende besser ist und nicht jeder Roman eine Fortsetzung braucht.
Dennoch ist „Windstärke 17“ nicht per se schlecht. Die Geschichte lässt sich gut lesen, es werden interessante Themen angerissen (leider aber meist nur angerissen), einige der (neuen) Figuren sind sehr interessant – aber bei einem so starken Vorgänger blieb der Roman alles in allem leider etwas blass.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2024
Funny Story
Henry, Emily

Funny Story


gut

Solide Lovestory

Emily Henrys erste drei Romane habe ich GELIEBT (ich weiß, dass sie auch vor ihrem großen Durchbruch schon Bücher veröffentlicht hat, aber ich beziehe mich immer auf “Verliebt in deine schönsten Seiten”, “Kein Sommer ohne dich” und “Book Lovers” als ihre “ersten drei”). „Happy Place” dagegen mochte ich überhaupt gar nicht. Deshalb hatte ich ein bisschen Schiss, als ich mit “Funny Story“ begonnen habe. Spoiler Alert: Ich mochte es so viel Lieber als Happy Place, aber auch um einiges weniger als Die Top Drei, wie ich sie gerne nenne.
Ich mochte, dass die Figuren gut ausgearbeitet waren, ich mochte, dass man wusste, wohin die Geschichte sich bewegt, keine große Wendung aus dem Nichts, ich mochte Daphne und Miles – ich mochte sogar Peter und Petra, sie waren großartige Gegenspieler. (Julia und Ashleigh mochte ich nicht so sehr, denn sie waren mir zu flach und stereotypisch.)
Was ich an der Geschichte nicht mochte, war das Tempo der Erzählung. Am Anfang, also dreiviertel des Romans, war alles seeeehr langsam. Aber nicht auf slow-burn Art, sondern ich hatte das Gefühl, dass das Tempo, die Dynamik irgendwie nicht richtig funktioniert hat (für mich zumindest). Vielleicht ist mein größtes Problem, dass Henrys erste drei Romane nahezu perfekt waren. Obwohl ich sowohl Daphne als auch Miles mochte, konnte ich keine richtige Verbindung zu ihnen aufbauen, was bei meinen drei Henry-Lieblingsromanen super funktionierte (Alex und Poppy, Gus und Charlie waren mir besonders nah). Ich kann nicht richtig benennen, an was es lag, aber es machte mich ein klein bisschen traurig.
Es ist trotzdem ein guter Liebesroman, aber in meiner persönlichen Emily-Henry-Rangliste ist er eher durchschnittlich.

Bewertung vom 20.04.2024
Das Fenster zur Welt
Winman, Sarah

Das Fenster zur Welt


schlecht

Immerhin ist das Cover schön

Wie kann man ein super interessantes Thema so unglaublich langweilig aufarbeiten, wie es in „Das Fenster zur Welt“ der Fall war? Ich wollte so oft abbrechen, dachte aber immer, irgendwo müssen die guten Bewertungen doch herkommen. Aber nein. Es war sehr nervenaufreibend, den Roman zu lesen bzw. ab der Hälfte habe ich dann nur noch quergelesen.

Tatsächlich versuchte ich zwischendurch sogar das Hörbuch (zu dem Zeitpunkt nur auf Englisch verfügbar) zu hören, in der Hoffnung, dass durch die Lese-Performance etwas mehr Leben in die eintönige Erzählung kommt. Aber es war fast noch schlimmer. Das Buch wird von der Autorin selbst gelesen und wenn nicht mal sie es schafft, nicht alles wie einen ewigwährenden Absatz wirken zu lassen, dann weiß ich auch nicht. Ein kurzer Blick in die Rezensionen sagte mir,
dass im Originaltext wohl sogar auf Anführungszeichen bei wörtlicher Rede verzichtet wird und genauso wirkte es. Jeder Satz ging in den nächsten über.

Ich bin dann schnell wieder zum eBook zurück, weil ich meine Abo-Hörstunden nicht dafür verschwenden wollte. Jede Figur wirkte gleich (ganz besonders fällt es auf bei Alys, die am Anfang ja ein kleines Kind ist und Jahres später als Teenager genau gleich spricht, genau gleich geschrieben wird); Absätze sind kaum vorhanden (liegt das an der Formatierung des eBooks oder ist das auch im Printtext so?); die zahlreichen Figuren lassen sich kaum voneinander unterscheiden – manchmal wusste ich nicht mal mehr, dass Claude der Papagei ist, weil alles einfach so eindimensional war.

Ganz klar wurde der Roman inspiriert durch die vielen Italien-Reise-Selbstfindungs-zurück-zum-Schönen-Romane (was absolut nicht abwertend gemeint ist, ich liebe diese Romane!), besonders natürlich von E. M. Forsters „A Room with a View“. Was soll ich dazu sagen? Forsters Roman ist kleines Meisterwerk, ein atmosphärischer Sehnsuchtsroman, den ich sehr liebe.

Richtig schön an „Das Fenster zur Welt“ ist nur das Cover. Schade, dass der Roman eine solche Enttäuschung war, denn das, was er eigentlich verspricht, hätte ich zu gern gelesen.

Bewertung vom 19.04.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

Das Schicksal der "Amerasians"


„Wo die Asche blüht“ bzw. im Original „Dust Child“ ist der 2. Roman der vietnamesischen Autorin Nguyễn Phan Quế Mai. Nachdem ihr Debüt „The Mountains Sing“ war es ein Must-Read für mich.

Vor der Lektüre des Debütromans wusste ich so gut wie nichts über die Geschichte Vietnams; dieses Hintergrundwissen half mir nun bei „Wo die Asche blüht“ Einiges besser einzuordnen, aber es ist nicht notwendig, um der zu Handlung folgen zu. Im Zentrum stehen die Erfahrungen von „Amerasians“, den Kindern vietnamesischer Frauen mit amerikanischen Soldaten. Sie erfahren in der vietnamesischen Gesellschaft & den USA teils starke Diskriminierung.

Phong ist einer von ihnen, als Kind eines schwarzen Vaters wird er besonders schlimm ausgegrenzt. Er wuchs bei einer Nonne & auf der Straße auf. Obwohl er mit seiner Frau & den beiden Kindern glücklich ist, fehlt ihm etwas: verzweifelt sucht er als Erwachsener nach seinen Eltern. 2016 kommt Dan aus Seattle nach Ho-Chi-Minh-Stadt. Als 20jähriger Soldat war er in Vietnam, hat PTSD und lebt mit dem Wissen, seine Freundin Kim schwanger im Krieg zurückgelassen zu haben. Er sucht nach ihr & dem gemeinsamen Kind. Kim war der Barname von Trang, die 1969 als 18jährige mit ihrer Schwester Quỳnh nach Sài Gòn kam um dort Geld für die Familie zu verdienen. Letztlich arbeiten die jungen Frauen als Sexarbeiterinnen in Bars für amerikanische GIs.

Die 3 Erzählstränge laufen zunächst unabhängig voneinander, um dann miteinander verbunden zu werden. Es gibt noch eine 4. Perspektive, doch über diese zu schreiben, würde zu viel verraten.

Nguyễn Phan Quế Mai hat 7 Jahre lang an „Dust Child“ gearbeitet; das Thema ist das ihrer Promotion. Sie führte zahlreiche Gespräche mit Amerasians & ihren Familien. Wieder durfte ich viel lernen, doch es sind nicht historische Daten, die ich mir merken werde. Die menschlichen Schicksale sind das, was hängen bleibt. Und die beschreibt Nguyễn Phan Quế Mai in wunderbar poetischer Sprache.

Auch wenn man es sich für die Figuren noch so sehr wünscht, nicht alle bekommen ein „Happy End“; dennoch bleibt Hoffnung, und das Wissen, dass Menschen so viel gemeinsam erreichen können, wenn sie sich auf ihre Menschlichkeit besinnen.

Bewertung vom 16.04.2024
Nostalgia Siciliana
Di Stefano, Patrizia

Nostalgia Siciliana


sehr gut

Rückkehr nach Hause

Autorin Patrizia di Stefano hat mit „Nostalgia Siciliana“ ihre Familiengeschichte als Roman veröffentlicht. Darin erhält Tita, Grafikerin in Berlin, einen Anruf aus Sizilien, dass ihr Onkel verstorben ist. 26 Jahre lang verdrängte sie alles, was mit der Heimat ihres Vaters Gianni zu tun hat, denn dieser verstarb jung; der Schmerz von Tita, ihrer Mutter und ihrem Bruder war groß. Nun ist da das Erbe, das Landgut Magní und vor Ort kommen all die Erinnerungen wieder hoch, die Tita ganz tief in sich drin vergraben hatte.
Abwechselnd wird die Geschichte aus Titas und Giannis Perspektive erzählt. Gianni hätte eigentlich ins Kloster gehen sollen, doch in einer Nacht-und-Nebelaktion machte er sich auf nach Deutschland, als einer der ersten Gastarbeiter aus Italien. Das Aufeinandertreffen der Kulturen; kalte, nasse, graue Winter in Berlin; Heimweh; Einsamkeit in der Ferne – hier wird nichts beschönigt oder verkitscht dargestellt. Doch Gianni findet seinen Weg, bringt nicht nur in Restaurants den Deutschen die italienische Küche nahe, er beweist auch ein (zunächst) glückliches Händchen als Geschäftsmann, indem er die Tiefkühlpizza nach Deutschland bringt. Durch seine Frau und die beiden Kinder wird das Familienglück perfekt. Doch dann wird er krank.
Tita setzt sich an den Orten ihrer Kindheit mit der Vergangenheit auseinander und versucht gleichzeitig, in die Zukunft zu blicken. Herkunft, Familie, Sehnsucht(sorte) spielen sowohl in Titas als auch Giannis Erzählsträngen jeweils eine wichtige Rolle. Neben Vater und Tochter gibt es noch eine weitere „Hauptfigur“ und das ist Sizilien. Auch wenn der Titel es vielleicht anders vermuten lässt, wird die magische Schönheit der Insel beschrieben, doch das Land und das Leben dort wird nicht nostalgisch verklärt.
Julia Kelz spricht das Hörbuch wunderbar melancholisch, wechselt authentisch vom Deutschen ins Italienische; es ist sehr angenehm, ihr zuzuhören.
Anmerkung: an einer Stelle wird ein rassistischer Begriff verwendet; das war einfach unnötig, hatte keinerlei Mehrwert für die Erzählung und hätte sich mit Sicherheit schriftstellerisch anders lösen lassen.