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cebra

Bewertungen

Insgesamt 15 Bewertungen
12
Bewertung vom 19.02.2021
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


sehr gut

Hannahs Großmutter Evelyn erhält von einer israelischen Anwaltskanzlei die Mitteilung, dass möglicherweise Kunstwerke existieren, auf die sie einen Rechtsanspruch haben könnte, und bietet an, dem nachzugehen. Während Evelyn davon wenig wissen will, ist Hannah fasziniert und lässt sich auf die Suche ein, die auch einiges bisher Unbekannte über ihre Familie zutage bringt.
Alena Schröder beginnt die Geschichte von vier Frauen aus vier Generationen in der Jetztzeit, wechselt dann in die 20-er Jahre des letzten Jahrhunderts und stellt behutsam die Verbindung her. Wir dürfen Senta, Evelyns Mutter, in ihrer Entwicklung begleiten und ausgiebig kennen lernen, so wie später ihre Tochter, und erleben sie während der dramatischen Ereignisse in den Kriegsjahren.
Das Grauen dieser Jahre, insbesondere die Verbrechen an den Juden, bilden einen wesentlichen Hintergrund der Geschichte. Es wird weitgehend ohne Brutalität transportiert, vielmehr in kleinen, emotionalen Gesten, und immer sehr persönlich, was die Ungeheuerlichkeiten auch ohne Ausformulierungen sehr nahe bringt.
Der Schreibstil wirkt leicht, originelle Formulierungen sorgen für ein angenehmes Lesen. Ein wenig passt er sich den Zeiten an: Hannahs Gedanken drücken sich manchmal in heutiger Jugendsprache aus.
Hannah erfährt in dem Zeitraum ihrer Forschung eine Wandlung. Sie startet als an sich selbst zweifelnde Doktorandin, die sich in ihren Doktorvater verliebt und ansonsten an Kontakten spart. Die ihre Wohnung in ein aseptisches Weiß getaucht hat und darunter leidet, dass sie ihren Weg nicht erkennen kann. Doch auf der Suche nach den verschollenen Bildern findet sie nicht nur viel Wissenswertes über ihre Vorfahren, sondern ebenso über sich selbst heraus, was sie wachsen lässt und ihren Blick für die Zukunft öffnet.
Diesem Roman ist es gelungen, anhand der Provenienzforschung, über die übrigens einiges Interessante vermittelt wird, und der Menschen, die damit befasst sind, einen etwas anderen Blick in die deutsche Geschichte zu werfen.

Bewertung vom 16.11.2020
Männer in Kamelhaarmänteln
Heidenreich, Elke

Männer in Kamelhaarmänteln


sehr gut

In diesem kleinen Band, den Elke Heidenreich vorlegt, geht es um Kleidung. Textile Stücke aller Art liefern das Stichwort oder die Grundlage zu den Gedanken oder Erinnerungen, die hier versammelt sind.
Unter den Kapitelüberschriften Rot, Gold, Grün, Schwarz, Weiß gibt es kurze Geschichten zu lesen, die mit viel Witz, ein wenig Nostalgie, Augenzwinkern, Selbstironie und ja, machmal auch mit etwas Sentimentalität weit über das Thema Mode hinausweisen. Nicht immer erschließen sich die Zuweisungen, aber das schmälert den Lesegenuss in keiner Weise.
Die Autorin gibt eine Menge Privates preis. Nichts scheint ihr heilig, nichts scheint ihr peinlich zu sein. Das Ergebnis sind erfrischend offene Texte, die neben der scheinbaren Leichtigkeit immer auch nachdenklich, aber nie moralisierend sind.
Da geht es beispielsweise um ein Papierkleid, wie es sie in den Sechzigern gab, und die unangenehme Situation, in welche ihre Trägerin gerät. Oder um die Bestattung des Lieblingstieres in angemessener Hülle. Um den Kamelhaarmantel, den kein Mann richtig zu tragen versteht, abgesehen vom Vater. Oder um eine kleine Überraschung bei dem Blick auf Karl Lagerfelds Socken.
Neben ihr treten also auch andere Personen auf, viele Prominente, deren Namen vor allem der älteren Generation, die an diesem Buch sicher viel Freude hat, geläufig sein dürften. Verschont werden wenige von ihnen, mal mehr mal weniger wohlwollend wird mit den übrigen verfahren.
Ab und an ist ein Foto eingefügt, meistens zeigt es die Autorin in zeittypischen Outfits, und unterstreicht den Eindruck des Persönlichen.
Besonders erwähnenswert, weil keineswegs mehr selbstverständlich, ist das Inhaltsverzeichnis, das auf den letzten Seiten einen Überblick gewährt und rasches Wiederfinden einzelner Episoden ermöglicht.
Im Großen und Ganzen eine vergnügliche und sehr kurzweilige Unterhaltung für Menschen, die gerne Lachen und Nachdenken verknüpfen.

Bewertung vom 09.06.2020
Die Henkerstochter und der Fluch der Pest / Die Henkerstochter-Saga Bd.8
Pötzsch, Oliver

Die Henkerstochter und der Fluch der Pest / Die Henkerstochter-Saga Bd.8


ausgezeichnet

Im Jahr 1679 breitet sich in Bayern erneut die Pest aus. Während der junge Peter Fronwieser sich von München auf den Weg macht, eine geheime Botschaft des Kronprinzen Max Emanuel nach Kaufbeuren zu überbringen, taucht bei seinem Großvater, dem Schongauer Henker Jakob Kuisl, ein sterbender Freund auf und warnt vor einem rätselhaften schwarzen Reiter, der Kaufbeuren bedroht.
Oliver Pötzsch schafft es auch in diesem achten Band der Reihe um Kuisl und seine Tochter Magdalena, farbenprächtig das mittelalterliche Bayern zum Leben zu erwecken. Es macht Spaß, sich in diese Welt hinein zu begeben und all den Menschen zu begegnen, die sie bevölkern.
Von der ersten Seite an wird Spannung aufgebaut, mehrere Handlungsstränge verlaufen parallel, an unterschiedlichen Schauplätzen wird das Geschehen fortwährend voran getrieben. Zarte Gemüter werden sich vielleicht etwas herausgefordert fühlen, nicht nur durch die schiere Anzahl der Todesfälle, sondern auch durch diverse zeittypische Grausamkeiten. Da tut es gut, wenn die Familienmitglieder der Kuisls eher sympathisch erscheinen. Trotz einiger Schwächen fällt es leicht, Zuneigung aufzubauen und mitzufiebern, wenn sie, oft unabhängig voneinander, oft jeweils auf eigene Faust, seltsamen Vorkommnissen nachspüren und dabei von einer Gefahr in die nächste geraten. Hier beweist der Autor außerordentliche Kreativität, die Vielfalt der brenzligen Situationen ist ebenso beeindruckend wie der Ideenreichtum der Helden, wieder aus ihnen herauszufinden.
Ein paar nette Goodies verschaffen zusätzlichen Mehrwert: eine Auflistung der wichtigsten Personen, ein Stadtplan, mit dessen Hilfe man die beschriebenen Lokalitäten und Wegbeschreibungen finden und nachvollziehen kann, und ganz besonders ein kleiner, informativer Reiseführer am Ende, der einlädt, Kaufbeuren auf den Spuren der Henkerstochter zu erkunden.
Dass ein historischer Roman sich an geschichtliche Begebenheiten hält und ein lebendiges Bild mit authentischen, wissenswerten Details und einer tüchtigen Portion Zeitgeschehen vermittelt, darf man erwarten. Der darin eingebettete komplexe Kriminalfall und die oben erwähnten Besonderheiten jedoch machen das Buch zu einem ganz besonderen Lesegenuss.

Bewertung vom 08.05.2020
Die Brüder Fournier
Wittekindt, Matthias

Die Brüder Fournier


sehr gut

Faszinierendes Leseerlebnis

Die Brüder Iason und Vincent Fournier wachsen in den 60er und 70er Jahren im fiktiven Brüsseler Vorort Envie als Söhne viel beschäftigter Eltern auf. Während Vincent, der jüngere, leichtfüßig seinen Weg einschlägt, bringt sich Iason durch seine unbeherrschbare Impulsivität schon früh in Schwierigkeiten. Sein aufsässiges, unangepasstes Wesen fordert pädagogische, psychiatrische, medizinische und gesellschaftliche Kompetenzen seiner Zeit heraus.
Dass das Verfolgen seines Werdegang so überaus interessant ist, liegt vor allem an der Besonderheit des Schreibstils.
Matthias Wittekindt beschreibt sachlich, detailgetreu und scheinbar unbeteiligt Szenen, als ließe er ein Spotlight darüber gleiten. Lediglich die leise Ironie vermittelt einen Hauch von Beurteilung. Zwischen kurzen, scheinbar simplen Sätzen versteckt er tiefe Bedeutungen. Immer wieder gibt es Andeutungen, die in die Zukunft weisen, eine dunkle Bedrohung beschwören und Dinge vermuten lassen, die, wenn sie dann eintreffen, doch wieder ganz anders sind als erwartet.
So schafft er ein Spannungsfeld, in dem sich die Personen bewegen und in das sie die Leser mit hineinziehen.
Unschön und willkürlich erscheint der Klappentext, der ungewöhnlich weit in die Geschichte vorgreift. Da geht es offenbar darum, etwas Reißerisches zu offerieren, um Käufer zu ködern. Schade, denn genau hier liegt die Stärke des Buches nicht. Leser, die sich aufgrund dieser Informationen zum Erwerb entschieden haben, werden vermutlich enttäuscht sein.
Wie auch diejenigen, die der Genrezuordnung auf den Leim gegangen sind. Falls man hier wirklich über einen Kriminalroman sprechen möchte, dann zumindest über einen, der völlig anders ist. Ein traditionelles Verbrechen findet nicht statt, polizeiliche Ermittler erscheinen ganz am Rand, Schuldige, falls es denn welche gibt, werden kaum zur Rechenschaft gezogen.
Alles ist verwirrend und undurchsichtig, der Fokus wird so stark auf Iason gerichtet, dass alles andere verschwimmt und sich verliert.
So bleibt man am Ende mit vielen Fragen und der einzigen Gewissheit zurück, soeben ein faszinierendes, fesselndes Leseerlebnis gehabt zu haben.

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