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jentis4711
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K.

Bewertungen

Insgesamt 26 Bewertungen
Bewertung vom 22.02.2023
Gleißendes Licht
Sinan, Marc

Gleißendes Licht


ausgezeichnet

Der Debütroman von Marc Sinan hat mich wirklich umgehauen. Sprachlich wunderbar und besonders, bildhafte Szenen und nahbare Figuren (die trotzdem allesamt ihr Geheimnis behalten). Die inneren Kämpfe des Protagonisten werden schleichend spürbar, ohne konkret benannt werden zu müssen, und die Verbindung zur Geschichte seiner Familie (insbesondere der Großeltern) wird Schritt für Schritt deutlicher. Die Kapitel spielen zu verschiedenen Zeiten, drehen sich zwischendurch um andere Figuren, doch alles ist sehr schlüssig und verständlich montiert. Nur zum Schluss wusste ich nicht mehr sicher, was gerade passiert. Träumt der Protagonist? Dreht er wirklich durch? Hat er Wahnvorstellungen? Ich nehme an, das Ende war genauso verworren gemeint, wie ich es gelesen habe, doch ich hätte mir ein bisschen mehr Durchblick gewünscht (damit meine ich nicht ein klares Ende, sondern mehr Klarheit in den einzelnen Szenen). So habe ich das Gefühl, eine entscheidende Verbindung zwischen all den Kapiteln letztlich nicht gefunden zu haben. Doch vielleicht ist es genau das, was den Roman und die Geschichte ausmacht.

Bewertung vom 20.11.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


ausgezeichnet

Celeste Ng führt uns in ihren neuen Roman in eine nahe Zukunft und kreiert ein dystopisches Szenario (das sich leider gar nicht mal so weit hergeholt anfühlt), in dem Asian Americans als Wurzel allen Übels gesehen und ausgegrenzt werden und zunehmender Gewalt ausgesetzt sind. Im Zentrum steht ein 12-jähriger Junge, der sich auf die Suche nach seiner Mutter macht. Diese Hauptfigur ist mir sehr schnell ans Herz gewachsen. Die beklemmende Welt aus der Perspektive eines Kindes erzählt zu bekommen, macht sie einerseits leichter verdaulich, andererseits noch emotionaler und purer greifbar. Die Szenerie, die Figuren, die Stimmungen sind wunderbar und so bildreich geschrieben. Ebenfalls großartig: die Entwicklung der Gesellschaft (von einem auslösenden Ereignis bis zu dem Chaos und Hass der Gegenwart des Romans) ist so plausibel beschrieben, so schleichend geschehen, dass einem Angst und Bange wird. Ein sehr wichtiger und großartiger Roman, mit trotz allem sehr viel Wärme und Herz.

Bewertung vom 21.09.2022
Ich verliebe mich so leicht
Le Tellier, Hervé

Ich verliebe mich so leicht


gut

Ich war sehr gespannt auf den neuen Roman von Hervé Le Tellier und die Leseprobe hatte mich gleich gepackt - er hat ein großartiges Gespür für die alltäglichen, kleinen Abgründe im Menschen, für die ganz persönlichen Schwächen seiner Figuren und er schreibt unglaublich scharfsinnig, witzig, überraschend und auf den Punkt. Nach der Leseprobe hatte große Erwartungen an die weitere Geschichte, die tatsächlich nach 45 min ausgelesen war (sehr wenige Seiten mit noch weniger Text darauf), und am Ende hat sich doch gefühlt nichts getan. In meinen Augen macht die Figur an sich keine Entwicklung durch. Gedanken und Ängste wiederholen sich, bis es weinerlich wird (was natürlich der Figur entspricht, doch irgendwann war mir das zu einseitig). Hervé Le Tellier hat mit großartiger Sprache ein Klischee unserer Gesellschaft ausgearbeitet, doch gefühlt ist es für mich leider ein Klischee geblieben.

Bewertung vom 08.09.2022
Die Kriegerin
Bukowski, Helene

Die Kriegerin


ausgezeichnet

Der neue Roman von Helene Bukowski hat mich wirklich umgehauen. Ich bin überzeugt, dass sie einmal eine sehr große Autorin sein wird.
Wie schon in ihrem ersten Roman kreiert sie eine Geschichte, die sich zugleich nach Traum anfühlt und doch so real ist. Sie benutzt kaum Adjektive, schreibt meist kurze Sätze, doch gerade dadurch entsteht ein unverwechselbarer Ton und ein Sog. Die Figuren gehen einem nah, obwohl sie zugleich mysteriös bleiben, wiederkehrende Motive sind mit Feingefühl und Klugheit durch den Text gewebt, und die wichtigen Themen, die dieser Roman anspricht, tauchen beiläufig auf, ohne plakativ zu wirken, und hallen dadurch noch lange nach. Der Roman ist von einer sanft auf- und abklingenden Intensität, mit Figuren voller Schwächen, denen Bukoswki liebevoll und doch auch fordernd begegnet. Für mich unvergleichbar und eine absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 01.09.2022
Sanfte Einführung ins Chaos
Orriols, Marta

Sanfte Einführung ins Chaos


gut

In Marta Orriols neuem Roman geht es um Marta und Dani, die seit zwei Jahren zusammen sind (sie lieben sich, wohnen zusammen, haben jedoch nie konkret über gemeinsame Zukunft gesprochen). Eines Abends eröffnet Marta Dani, dass sie schwanger ist und das Kind nicht behalten möchte. Nun erfahren wir in diversen Kapiteln, was in jedem der beiden vor sich geht, in den wenigen Tagen bis zum Abbruchtermin.
Die ersten drei Seiten des Romans haben mich vom Stil her wirklich umgehauen - leider war es die einzige Seite in dem Stil (der Rest ist auch gut geschrieben, nur nicht so besonders). Die Geschichte fand ich wirklich vielversprechend, die ersten Kapitel aus Danis Sicht habe ich sehr gern gelesen, man liest doch selten aus der Sicht eines werdenden Vaters, wie es für ihn ist, wenn die Partnerin abtreiben möchte. Doch irgendwann haben sich die Gedanken wiederholt und ich habe einige Seiten wirklich überflogen. Erst ganz am Ende erfahren wir auf viel weniger Seiten, wie es Marta mit der Situation geht. Wir erleben die beiden streiten, doch nie wirklich miteinander reden. Was das alles letztlich mit ihrer Beziehung macht, erfahren wir kaum.
Aus meiner Sicht ist es ein (sehr) gut geschriebener Roman, der sich zwar intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, dabei aber nicht das volle Potenzial ausgeschöpft hat.

Bewertung vom 25.07.2022
Susanna
Capus, Alex

Susanna


sehr gut

Alex Capus neuer Roman ist großartig - allerdings eine andere Story, als ich nach dem Klappentext erwartet hatte. Ich hatte erwartet, es gehe hauptsächlich um die Zeit, die Susanna mit Sitting Bull verbracht hat. Tatsächlich arbeitet der ganze Roman nur auf diese Begegnung hin und endet dort. Am Anfang war ich verwirrt und etwas ungeduldig, weil ständig die Geschichten anderer Menschen aus Susannas Leben erzählt wurden - letztlich hat es jedoch dazu geführt, ihr Leben und die Epoche als Ganzes zu verstehen, voller wechselseitiger Einflüsse und Bedingungen, und das ist schon ein gelungenes Kunstwerk. Capus Sprache ist dazu unglaublich bildhaft, ich hatte die Szenen und Figuren stets so leibhaftig vor Augen, wie es selten gelingt. Schwierig fand ich die Anlage des Erzählers: Er erzählt aus der heutigen Zeit rückblickend die Geschichte von Susanna, die er, wie er betont, leider nicht kannte. An manchen Stellen spricht er nur Vermutungen und Vorstellungen über ihr damaliges Leben aus, dann wiederum ist er ein allwissender Erzähler voller Detailwissen. Und trotzdem lässt sich Susannas Leben nach eigener Recherche oft ganz anders nachlesen. Unter dem Aspekt, dass es eine wahre Geschichte ist/sein soll, bleibe ich etwas ratlos zurück - als Roman jedoch ist es ein tolles Leseerlebnis!

Bewertung vom 25.07.2022
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Bervoets, Hanna

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ausgezeichnet

Dieser Roman ist so dünn, dass ich ihn in zwei Stunden gelesen habe, doch zwischen den Seiten steckt so viel, was mich nachhaltig beschäftigt. Da stecken soziologische und psychologische Phänomene drin, die alltäglich geworden sind und für die es doch noch keinen einheitlichen Umgang gibt. Es geht um die zunehmende Verschiebung unserer Hemmschwellen und Grenzen durch Social Media (und die sich ständig ändernde Bewertung und Begründung dieser Grenzen) und es geht auch um die eigene Machtlosigkeit, wenn nahstehende Menschen sich plötzlich zu Verschwörungstheorien hingezogen fühlen. Hanna Bervoets ist ein grandioser Balanceakt gelungen, über starke Triggerthemen zu schreiben, ohne dass es zu viel wird (obwohl es manchmal nah dran ist). Wer sich die Zeit nehmen kann, sollte das Buch in einem Rutsch lesen, damit die ganzen, fast unmerklichen Verschiebungen im Verlauf ihre Wirkung richtig entfalten können.

Bewertung vom 18.07.2022
Violeta
Allende, Isabel

Violeta


sehr gut

Gegen den neuesten Roman von Isabel Allende lässt sich nichts sagen. Die Hauptfigur Violeta, die zugleich Erzählerin ist, schreibt ihr Leben für ihren, wie einen Sohn geliebten Enkel auf. Wir verfolgen ihr Leben von ihrer Geburt bis zum Tod (100 Jahre wird sie alt) und erfahren neben den bestimmenden Wendepunkten aus ihrem Leben auch viel über die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse des Landes (das übrigens nie klar benannt wird) während dieser Zeit. Wir lesen von einer Frau, die sich stets selbstbestimmt behauptet und ihr Leben gestaltet hat, doch sich im Angesicht unerfüllter Liebe stets schwach gefühlt und verhalten hat. Wir lesen von den schwierigen Verhältnissen zu ihren eigenen Kindern, von Schicksalsschlägen und lange bestehenden Freundschaften. Der Roman ist ein sauber gearbeitetes, umfassendes Werk voller wichtiger Inhalte, doch gerade das hat mich teilweise etwas gestört. Für mich gab es keine Ecken und Kanten, nichts was mich wirklich berührt hat, und die Hauptfigur erschien mir trotz der 100 Jahre erzählter Zeit innerlich immer gleich alt zu sein. Ich habe mich am Ende des Romans nicht anders gefühlt als vorher.

Bewertung vom 24.06.2022
Chopinhof-Blues
Silber, Anna

Chopinhof-Blues


ausgezeichnet

„Chopinhof-Blues“ ist ein sehr gutes Debüt von Anna Silber, das durchaus auch in einem größeren Verlag hätte erscheinen können. Ich hoffe, dass es weite Kreise zieht.
Die Sprache ist sehr ausgefeilt und hat zugleich einen ganz eigenen Ton. Anna Silber lässt uns für eine Weile am Leben von Katja (und ihrem Bruder), Ádám (und seiner Frau und seinem besten Freund), Esra (und ihrer Mitbewohnerin) teilhaben. Die Figuren sind lebendig, wir lernen ihre Ängste kennen, ihre Sorgen und ihre Träume. Wir verstehen, warum sie sich so verhalten, wie sie es tun, uns wünschen ihnen so sehr, dass sie für sich gute Entscheidungen treffen. Als am Ende alle einander im Chopinhof bei einem Kindergeburtstag begegnen, gleichen die Szenen einem Theaterstück. Wir sehen die Figuren nun auch aus den Augen der anderen Figuren und erkennen darin so unzweifelhaft eben jene, dass es zugleich unangenehm und höchst amüsant ist. Wirklich großes Kino - tolles Debüt!

Bewertung vom 24.06.2022
Fischers Frau
Kalisa, Karin

Fischers Frau


gut

Bei diesem Roman bin tatsächlich innerlich hin und hergerissen, wie ich ihn bewerten soll.

Zuerst einmal zur Sprache: Karin Kalisa hat eine unglaublich bildhafte, ausgefeilte, intelligente Art der Satzbildung. Regelmäßig stößt man auf wundervolle Formulierungen, die innehalten lassen. Zugleich ist die Sprache oft auch etwas gewollt konstruiert, Motive wiederholen sich, bis sie zu Plattitüden werden und man kann mitlesen, dass die Autorin oft Sätze geschrieben hat, weil sie ihr gefallen haben und nicht, weil sie an dieser Stelle gepasst haben. Da stehen sich dann Ego der Autorin und Erlebnis des Lesenden gegenüber.

Nun zur Story: insgesamt ist es eine faszinierende Geschichte, die sich da um einen Fischerteppich herum aufbaut. Allerdings wollte die Autorin anscheinend alles Mögliche noch mit in diesen Roman reinschieben. Kaum habe ich mich an die Geschichte mit Mia gewöhnt und will endlich wissen, wie es weitergeht, da wird sie auch schon abgebrochen und ich muss die Geschichte einer anderen Frau lesen, die wohl früher den Teppich gewebt hat. Allerdings ist diese Geschichte nicht mal die wahre, recherchierte, sondern Mia denkt sie sich nachts am Schreibtisch aus. Zudem ist das Buch manchmal ein Roman, manchmal ein Sachbuch, dann eine Chronik, hintenraus wird es ein Märchen, Figurenentwicklungen werden nicht zu Ende gebracht und gefühlt platzt dieses Buch aus allen Nähten und lässt einen doch nicht befriedigt zurück.

Es tut mir fast weh, das zu schreiben, weil ich die ganze Mühe und Liebe mitlesen kann, die Karin Kalisa in dieses Buch gesteckt hat, in jeden einzelnen Satz. Ich glaube tatsächlich, dass dieser Roman ein sehr viel besseres Lektorat verdient hätte, dann hätte es das Zeug zum Herzensbuch gehabt.